Besuch aus Amerika von phean ================================================================================ Kapitel 10: Videochat --------------------- Montag, 24. Juni Sie hatte den Tag unbeschadet überstanden. Erleichtert seufzte Mimi und packte ihre Sachen zusammen. Den anderen war sie aus dem Weg gegangen, weil er natürlich immer dabei gewesen wäre. Jetzt wollte sie nichts sehnlicher als nach Hause. Aber sie musste noch etwas mit Izzy besprechen, also blieb sie neben seinem Tisch stehen. Der schrieb gerade noch etwas zur letzten Unterrichtsstunde auf, als er zu ihr sah, stockte sein Atem und er glaubte, sein Herz hörte auf zu schlagen. „Ich wollte fragen, ob du am Wochenende Zeit hast“, sie lächelte ihrem Freund entgegen. Der schnappte nach Luft und öffnete vorsichtig seinen Mund, „w-was meinst du?“ Ihm war, als würde sein Herz zerbersten, „m-mit den anderen?“ Mimi überlegte, „j-ja, wieso nicht“, sie frischte ihr Lächeln auf. Dann schmunzelte auch er, „d-das Programm an dem ich gerade arbeite, simuliert eine Karaokemaschine. Ich versuche gerade alle Lieder, die ich auf dem PC habe, zu integrieren, sodass die Texte passend angezeigt werden. Ebenso fehlt noch eine Bewertung, damit es auch einen Gewinner geben kann.“ Das Mädchen überlegte. Sie liebte das Singen und das wäre sicher lustig. „Läuft es schon?“, fragte sie nach. „Ich kann mich auf einige Lieder beschränken, dann kann ich die fürs Wochenende vorbereiten“, er zuckte mit den Schultern, „sonst laufen schon etwa 37 Lieder. Es ist zeitaufwändig, aber vielleicht muss ich es doch mit dem Internet verknüpfen, damit es …“, er stockte und sah zu der Braunhaarigen. Bis dahin hatte sie ihm aufmerksam zugehört, aber er dachte sich, dass sie das sicher zu langweilig fand. „… wie findest du das?“, kürzte er ab und er sah von unten nach oben zu ihr und wartete auf eine Antwort. „Klingt gut“, Mimi freute sich schon darauf, das war ihr anzusehen. „Bei mir dann?“, wollte nun die Braunhaarige wissen. Bei der Frage fing Izzys Herz an schneller zu schlagen, aber sie meinte sicher, dass auch die anderen kommen sollten – dachte er und enttäuschte sich damit selbst. „Super, dann frag ich die anderen, ob auch sie Zeit haben“, er lächelte gespielt und stand auf. Er packte seine Sachen zusammen. Mimi hingegen wurde in diesem Moment schlecht, wenn sie nur daran dachte, dass auch alle anderen kommen sollten. Wenn Izzy das aber wollte, dann sollte es ihr Recht sein, „ok“, murmelte sie leise. „Ihr wohnt jetzt in einem Haus, oder nicht?“, er schulterte die Tasche und schob den Stuhl, soweit es ging, unter den Tisch. „Ja, ich hab jetzt mein eigenes Ankleidezimmer“, lachte sie. Dass sie ihm damit auswich merkte er nicht. Sie hatte dieses zweite Zimmer wirklich – und ihr Vater nannte es Ankleidezimmer, aber sie nutzte es nicht. Was sie damit machen sollte, wusste sie noch gar nicht, vielleicht wird es in ein paar Monaten durchaus zu einem Zimmer für ihre Kleidung, aber jetzt brauchte sie es noch nicht. „Also ist dein größter Traum in Erfüllung gegangen?“, der Rothaarige lachte, wenn er daran dachte, wie sehr sie Mode liebte. Aber Mimi verpasste das nur einen weiteren Stich. Ihren größten Traum hatte sie am vergangenen Tag begraben. Mimi drehte sich zur Tür und lief los, „komm“, murmelte sie leise. Der Ältere folgte ihr und gemeinsam liefen sie den Gang der Schule entlang – schweigend nebeneinander. Am Eingang angekommen, wechselten beide ihre Schuhe und sie traten ins Freie. Mimi blieb abrupt stehen, als sie den Braunhaarigen auf dem Schulhof sah. Mit einem Fußball unter den Arm geklemmt und im Gespräch mit seinen Freunden von der Fußball-AG. Er grinste. Schien fröhlich wie zuvor, als hätte es das Wochenende nie gegeben. Für Mimi hat es allerdings existiert. In ihrem Hals saß ein Kloß. Wieder stieg in ihr dieser Druck auf. Ihr wurde warm. In ihren Augen sammelten sich Tränen. Aber sie ließ es nicht zu. Sie durften nicht fließen. Nicht hier und nicht jetzt. Sie versuchte sie hinweg zu blinzeln. „Mein Traum ist gestorben“, flüsterte sie mit brüchiger Stimme. „Was?“, verwirrt drehte sich Izzy zu ihr, doch ihr Blick war starr nach vorn gerichtet. Er folgte diesem und sah ebenfalls zu dem ehemaligen Anführer, dann wieder zu Mimi. Izzy sah, wie ihre Augen glänzten. „Mimi?“, wollte er vorsichtig wissen, „alles in Ordnung?“ Erschrocken atmete sie durch, blinzelte erneut mehrmals und sah sich irritiert um, bis sie schließlich zu ihm blickte und bei seinem Gesicht hängen blieb. „Ja … sicher“, sie zwang sich zu einem schrägen Lächeln. Er musterte sie misstrauisch. „Ich … ich sollte langsam nach Hause … ich … ich muss noch … D-Dinge … erledigen“, stotterte sie. Sie wollte seinem Blick ausweichen, doch sie konnte nicht von ihm ablassen. Seine dunklen Augen schienen ihr in diesem Moment so magisch. Izzy betrachtete sie weiterhin, dabei zog sich seine rechte Augenbraue leicht nach oben, er wusste nicht so ganz, was er davon halten sollte. Sie war heute nicht so wie immer. Wie sie sich gab, dass sie in der Pause im Klassenzimmer allein bleiben wollte. Auch wenn sich dort dann Mi-chan und Tako zu ihr gesellt hatten. Das Mädchen hatte sich normal mit den Mädchen unterhalten, sie hatte gelacht und aufgeregt erzählt. Aber nun war es anders. Er wusste, dass etwas in ihrer Gruppe nicht stimmte. Aber das war noch nicht lange so. „Also … ich geh dann“, sie winkte ihm, doch Izzy packte sie am Handgelenk. „Ich begleite dich noch ein Stück, wir haben doch bis zur großen Kreuzung den gleichen Weg.“ „J-ja, klar …“, zögerlich stimmte sie zu. Ihr war es aber nicht unangenehm, sie freute sich sogar, dass der Junge sie begleitete. So musste sie nicht zu dem Braunhaarigen sehen. Der Rothaarige konnte so aber noch weiter seine Freundin beobachten. Er kam beim besten Willen nicht auf eine Lösung. Was auch los war, sie wollte nicht darüber reden. Vermutlich musste er deswegen einmal Sora fragen, aber die war zu der Zeit in der Tennis AG und danach noch bei Matt. Die zwei machten sich auf den Weg und Mimi senkte mit jedem Schritt Stück für Stück den Kopf. Sie wollte Tai nicht sehen, doch sie hörte ihn. Wie er auflachte, als sie an ihm vorbei kamen. Izzy musste ihn schon wieder vergessen haben, denn normal grüßte er seinen besten Freund noch oder sagte noch etwas, dass er mit ihm noch schreiben würde, oder so ähnlich. Aber nun war nichts. Sie merkte allerdings wie er sie beobachtete. Er ließ seinen Blick nicht von ihr ab. Als sie vom Schulgelände waren konnte sie sich allerdings ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. Sie hob den Kopf und lachte auf. „Was ist?“, kam es verwundert von Izzy, welcher diese Reaktion überhaupt nicht einordnen konnte. „Ach nichts“, lachte Mimi. Sie erschien ihm mit einem Schlag wieder wie zuvor – wie früher. Sie hingegen lachte nur, weil sie wusste, dass er herauszufinden versuchte, was mit ihr war. Grinsend ließ die Braunhaarige ihren Blick über ihren Begleiter schweifen. Er konnte sich für noch so schlau halten, doch das menschliche Wesen war für ihn ein Rätsel, das wusste sie natürlich. Aber sie fand es toll, dass er sich sorgte. ❀ ❀ ❀ Gut gelaunt kam Mimi Zuhause an. Sie schlüpfte aus ihren Schuhen und lief in die Küche. „Bin wieder da“, grüßte sie im gleichen Moment ihre Mutter. „Hallo Schatz, wie war die Schule“, Satoe drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe und widmete sich gleich wieder dem dampfenden Topf. „Wie Schule“, schmunzelte die Braunhaarige und stellte ihre Schultasche auf einen freien Stuhl. Da hörte sie ihr Handy piepsen – eine Nachricht. Schnell fischte sie es aus der Tasche und öffnete diese. ‚Hey, bin grad nach Hause gekommen, du sicher auch, hast du Lust zu chatten?‘ Mimi musste lächeln. „Wer ist es?“, fragte die beschäftigte Köchin. „Michael“, Mimi hielt sich kurz und tippte auch schon. „Kann ich oben essen? Er will reden“, mit hochgezogenen Augenbrauen sah sie zu ihrer Mutter und wartete auf eine Antwort. „Klar, ich bring dir gleich was hoch. Dein Vater müsste auch bald da sein, dann hab ich Gesellschaft“, gespielt verzog Satoe den Mund und vollführte mit dem Kochlöffel in der Hand eine theatralische Geste – sie unterstrich ihre Einsamkeit. „Mama-a“, lachte Mimi auf, in diesem Moment fühlte sie sich glücklich, das merkte sie selbst. Aber auch fast augenblicklich kam das Gefühl zurück, welches sie gestern gefühlt hatte. Der Schmerz. Die Einsamkeit. Der Dolch in ihrem Herzen. Ihre Mundwinkel pressten sich aufeinander und sie starrte ihre Mutter an, die immer noch durch die Küche tanzte und eine fröhliche Melodie summte. Als diese sich zu dem Mädchen umdrehen wollte, setzte sich eilig ein Lächeln auf ihr Gesicht – sie wollte nicht, dass sich ihre Mutter wieder Sorgen um sie machte. „Ich bin oben“, sagte Mimi schnell, als sich ihr Handy erneut meldete. Sie griff nach ihrer Schultasche und lief auch schon die Treppe hoch. In ihrem Zimmer angekommen stellte sie ihre Schultasche neben den Schreibtisch. Sie setzte sich auf den Drehstuhl und rückte ihren PC zurecht, sodass sie vor sich noch Platz für den Teller hatte. Das Gerät war schnell hochgefahren und schon öffnete sie das Chatprogramm, welches auch für Gespräche ohne und mit Bild zu nutzen war. Mimi sah noch einmal auf ihr Handy, auf ihrem Display stand ‚ich warte‘. Aber als das Programm offen war, bekam sie auch schon die erste Nachricht und es klingelte. Sie nahm die Anfrage für den Videochat an und schon lächelte Michael ihr entgegen. Verwundert legte sie den Kopf schräg. Überlegend verzog sie den Mund und legte ihre Hände auf den Tisch. Der Junge im Bildschirm lachte und schüttelte. „Es ist immer das Gleiche“, ertönte es. „Und du hast es immer noch nicht geschafft Japanisch zu lernen“, lachte das Mädchen. „Ich bin in Amerika, da brauch ich kein Japanisch.“ „Ich kann ja sagen, von jetzt an schon, weil ich nur noch Japanisch reden werde“, sie streckte ihm die Zunge raus und Michael tat es ihr gleich. „Gut, ich setz mich hin und lern Japanisch, aber dann lern du den Zeitunterschied“, gab Michael nach und zuckte mit den Schultern. „Ach ja …“, jetzt wusste sie, was sie störte. Bei Michael im Zimmer brannte Licht. Sie überlegte kurz und sah auf ihren Wecker. Bei ihr war es gerade kurz nach 15 Uhr, damit müsste es... „Jetzt hast du es“, der Junge grinste breit und legte seinen Kopf auf seine Hand – dabei war sein Arm auf dem Tisch aufgestützt. „Falls du es genau wissen willst, ich bin früher aufgestanden.“ „Also bist du nicht gerade eben nach Hause gekommen“, klagte sie ihren Freund an, „und was machst du in der knappen Stunde, die du früher aufgestanden bist?“ „Dich fragen, wie dein erster Schultag war.“ Das Mädchen seufzte, natürlich wollte er das wissen. Und dafür war er um fünf Uhr aufgestanden? „Ganz gut, nehm ich an. Sind ja alles meine alten Freunde, mit denen ich wieder in einer Klasse bin.“ „Vermisst du mich denn nicht in deiner Klasse?“, wollte er gespielt beleidigt wissen. „Ach Michael, stell dich nicht so an“, Mimi krallte sich mit den Fingern in ihre Haare. Der Blonde lächelte liebevoll, „ich bin froh, dass es dir gut geht.“ Nachdenklich ließ Mimi ihre Hände sinken und ihr Blick senkte sich wieder, „das ist etwas anderes …“ „Was meinst du?“ Mimi wollte ihm gerade ausweichen, da klopfte es an der Zimmertür. „Ja?“, rief das Mädchen. Satoe trat ein und hielt einen dampfenden Teller in Händen. Schnell stand sie auf und nahm ihrer Mutter den Teller – sowie das Besteck – aus der Hand. „Danke, Mama.“ „Gern mein Schatz“, Satoe drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und beugte sich an ihr vorbei, „hi Michael, wie geht’s dir?“ „Danke gut, und ihnen Frau Tachikawa?“ „Auch, danke. Dann lass ich euch zwei wieder allein.“ Sie winkte den Zweien und verließ das Zimmer wieder. Mimi setzte sich erneut vor den Laptop und der Teller fand zwischen ihr und dem Gerät seinen Platz. „Also?“, wollte Michael wissen. „Ach ja“, wich sie aus, „wie geht’s dir?“, sie lächelte ihn an, während sie sich eine Gabel voll köstlichem Curry in den Mund schob. Auf diese Frage hin wurde der Junge nachdenklich. „Ich vermisse dich“, murmelte er und senkte seinen Blick auf die Tastatur. Mimis Brust schmerzte und in ihr zog sich ihr Magen zusammen. Ihr auseinandergehen war friedlich gewesen. Doch anscheinend war es … „Mach dir keine Gedanken“, er lächelte. „Michael … es … ist …“ „Das weiß ich doch, aber wir haben immer noch die Digiwelt …“ „Aber das ist auch keine Lösung …“ Er seufzte, „ich weiß, dass da noch mehr ist, aber ich weiß auch, dass ich dich zu nichts zwingen kann“, Michael kratzte sich an der Wange und gähnte prompt. „Michael …“, versuchte es Mimi erneut. „Ich bin dir nicht böse, das hab ich doch schon gesagt … Aber du sollst wissen, dass sich nichts geändert hat. Auch wenn du wieder in Japan bist.“ Das Mädchen seufzte. Kaum hatte sie den Ärger um Tai vergessen, kam schon der nächste und sie wurde an andere Probleme erinnert. Zu Mimis Glück klopfte es nun bei Michael im Zimmer. Er drehte sich um und wartete, seine Mutter streckte seinen Kopf zur Tür rein. Verwundert hielt sie inne. „Du bist ja schon wach … Was machst du denn schon so früh am Computer?“ „Mimi“, gab er kurz angebunden von sich. Seine Mutter verstand und hob zum Gruß die Hand. „Machst du dich fertig? Das Frühstück ist es gleich fertig“, sie zwinkerte ihrem Sohn zu, der nickte. „Dann mach ich mich wohl langsam fertig“, seufzend drehte sich Michael wieder zu der Braunhaarigen. Sie lächelte, „zieh nicht so ein Gesicht. Ist doch nur Schule.“ „Ja, aber ohne dich.“ „Michael“, jammerte Mimi und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. „Ist ja gut“, er lachte verlegen, doch sie erkannte in seinen Augen auch die Traurigkeit, die er ihr nicht zeigen wollte. „Dann mach ich mich mal auf den Weg.“ „Und das nächste Mal, zu einer besseren Zeit“, sie hob tadelnd ihren Zeigefinger. „Ist ja gut. Ich schreib dir“, er hob die Hand und schloss die Unterhaltung. Sie lächelte und senkte dann erschöpft ihren Kopf. Sie hatte ihr Mittagessen erst zur Hälfte gegessen. Gedankenverloren griff sie nach der Fernbedingung neben sich und schaltete den Fernseher an, der sich in ihrem Rücken und gegenüber des Bettes befand. Kurzerhand klappte sie den Laptop zu und drehte sich mit dem Teller auf der Hand um. Sie suchte sich durch die Sender und fand dann eine ihrer liebsten Sendungen – America‘s Next Top Model. Die anderen würden sich – wenn sie das wüssten – bestimmt wieder über sie lustig machen, aber diese kleinen Kämpfe zwischen den Mädchen machten süchtig und sie konnte sich so schön darüber lustig machen. Außerdem brachte es sie auf andere Gedanken. Das hatte Mimi auch von Michael gedacht. Dass er auf sie stand, war ihr schon vor Jahren aufgefallen, aber damals war sie noch davon überzeugt gewesen, dass das mit ihrer großen Liebe klappen würde. Als ihre Abenteuer in der Digiwelt vorbei waren, sah sie auch ihre Freunde nicht mehr so häufig. Sie gab es auf seine Aufmerksamkeit zu bekommen und hoffte ihn vergessen zu können. So war sie fast drei Jahre mit Michael zusammen, doch als ihre Eltern verkündeten, dass sie zurück nach Japan zogen, war ihr klar, dass die Beziehung ihr Ende fand. Das war eine zu große Entfernung und sie merkte, dass ihre Gefühle immer noch da waren. Sie waren nicht verschwunden. Selbst nach diesem Wochenende hatte sie diese Gefühle noch nicht vergessen. Das war auch das, was sie nicht vergessen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)