TMNT - Schicksal? von Pamuya_ ================================================================================ Kapitel 1: Ein üblicher Start in den Alltag ------------------------------------------- Liebes Leben, manchmal denke ich mir, du hasst mich. Dass es oftmals nicht einfach mit dir ist, bekommt man schon als Kind mit und dafür muss man nicht einmal extra in die Schule gehen, um das zu kapieren. Wobei, manchmal habe ich das Gefühl, dass es doch einige Menschen auf diesem Planeten gibt, die selbst das nicht geschnallt haben. Wovon ich rede, ist ganz einfach: Ich rede von den Leuten, die in ihrem bisherigen Leben alles in den Schoß bekommen haben, wenn es ihnen nicht schon hinterhergeschmissen worden ist. Andere wiederum, zu denen auch ich zähle, müssen vieles, wenn nicht schon alles hart erkämpfen und selbst dann bekommt man nur die Krümel vom Kuchen ab. Während andere mit ihren gierigen Fingern nach der großen Beute greifen und diese auch erhalten. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich eifersüchtig bin. Naja, manchmal trifft dies schon zu. Ich bin ja auch nur ein Mensch. Das passiert aber erst dann, wenn es mir mal wieder so richtig mies geht, aber genug davon. Sonst schweife ich endgültig ab. Ich kann nun mal nicht verstehen, wie jemand, der alles besitzt, was man sich nur erträumen kann, ausnutzt und anderen unter die Nase reiben muss. Nicht jeder ist mit großem Glück gesegnet. Sei es Geld, oder Macht, es weiß ohnehin jeder, dass das so und so auf der ganzen Welt ungerecht verteilt ist. Nur gibt es ganz spezielle Menschen, die diesen „Glanz“ einfach brauchen, wenn sie nicht sogar süchtig danach sind. Bei mir hingegen ist das anders. Es interessiert mich einfach nicht, wenn jemand mit seiner Kohle um sich wirft und jeden Tag mit den neusten Trends aufkreuzt. Egal wie sehr sich derjenige aufbrezelt, es ändert nichts an der Sache, was für ein Mensch derjenige ist. Selbst wenn das Herz selbst pechschwarz ist, es wird eigentlich nur mit dem ganzen Krimskrams überdeckt. Mehr als das ist es nicht. Da hilft auch nicht die neueste Mode, der geilste Klunker, oder der coolste Spruch. Außerdem gibt es für mich Wichtigeres als diesen Mist. Manchmal glaube ich aber, dass ich mit diesen Gedanken alleine bin und wenn man in einer Metropole wohnt, wird das wahrscheinlich nicht besser werden. Wenn ich dies nur irgendwie vermeiden könnte, aber dafür müsste ich mich schon für immer und ewig in meinen Träumen flüchten und dies wird wohl kaum möglich sein. Leider muss ich heute wieder an den Ort, an den es mich am meisten graust: die Schule. Nicht, dass ich ein Lernmuffel, oder etwas dergleichen wäre, aber ich fühle mich dort einfach nicht wohl. Wie Zombies treiben so viele Schüler in Gängen und Räumen ihr Unwesen. Dabei drängen sie anderen ihre Meinung auf und ziehen dabei die Ahnungslosen, wie Motten durch Licht, an, während jene dies nicht bemerken, bis es zu spät ist und sie nicht mehr aus den Klauen des Gruppenzwangs herauskommen können. Wenn ich nur daran denke, kommt mir ein Schauder über den Rücken und ich mag erst gar nicht meine Augen aufmachen. Mein Bett ist mein heiliger Ort und den möchte ich einfach nicht verlassen. Noch dazu bin ich viel lieber in meiner eigenen Welt, in der ich ohne Wenn und Aber entscheiden und das tun kann, was ich will. Keiner beeinflusst mich, oder legt mir Steine in den Weg, es ist einfach herrlich. Leider sind dies nur Träume, egal ob Tagträume, oder jene Geschichten, die ich in den Nächten erleben kann. Wäre ich in einer Art Märchen, so wüsste ich, dass dies nicht lange andauern würde und ich ein Happy End erleben darf, aber ich bin in der Wirklichkeit gefangen. Hier gibt es keine guten Feen, Magie, oder dergleichen. Es gibt nicht einmal Drachen, oder andere Wesen, welche ein Abenteuer zulassen würden. Vielmehr gleicht der Alltag einem vorgefertigtem Plan, der sich irgendein Idiot ausgedacht hat und dem man ohne Widerworte befolgen muss. Die Gesellschaft schreibt vor, was gut und was schlecht ist und dabei bräuchten die Leute einfach nur ihr tägliches Leben genauer anzusehen. Denn dann würden sie vielleicht feststellen, dass da etwas schiefläuft. Doch so wie es auch in meiner Schule abgeht, so ist es außerhalb dieser Mauern nicht viel anders. Menschen mit Macht bestimmen und andere haben dies zu übernehmen. Sei es physisch, oder psychisch, es spielt keine Rolle und dabei könnte so vieles anders laufen. Ich hingegen habe aber nicht die Macht dazu. Ich kann außerdem nur für mich selbst entscheiden und eigentlich ist das auch ganz gut so. Was würde es sich das auch bringen? Ich würde dann nur dasselbe wie die anderen machen und das bin ich einfach nicht. Ich stecke einfach nur, wie jeder andere auch, in diesem Leben fest, was sich aus meiner Sicht nur schwer ändern lässt. Wenn ich selbst nicht so eine Abneigung gegen Drogen hätte, hätte ich mir vermutlich schon einige eingeworfen, damit ich einfach nur der Realität entkommen kann. Dann wäre ich in meiner Welt und keiner könnte mir vorschreiben, etwas zu tun, was ich nicht will. Doch das Schicksal hat anscheinend etwas anderes für mich vorgesehen und das ist nun mal wirklich nicht nach meinem Geschmack. Wenn es nur jemanden gäbe, welcher zumindest in manchen Punkten ähnlich denken würde. Ich wäre schon damit zufrieden. Dann könnte ich zumindest mit denjenigen darüber diskutieren und wäre mit meinen Gedanken und Gefühlen nicht ganz so allein. Vermutlich wird dies aber nur ein Wunsch bleiben und mein anderer Wunsch, nicht in die Schule gehen zu müssen, wird gerade zunichtegemacht. Denn schon höre ich die „liebreizende“ Stimme von Tante Tina, die bereits an meiner Zimmertür geklopft hat und nach mir ruft: „Bernadettchen! Aufstehen! Oder willst du zu spät in die Schule kommen?!" Soll ich ihr jetzt wirklich antworten, dass ich lieber einen Besuch in die Kanalisation machen würde, anstatt dieses sogenannte Schulgebäude aufzusuchen? Lieber nicht, sonst hält sie wieder ein Vortrag und diese könnte in die Unendlichkeit ausarten. Darauf habe ich nun mal echt keine Lust. Dieses Szenarium hatte ich bereits schon zu genüge und eine weitere Version davon wäre in dieser Sammlung einfach nur überflüssig. Abgesehen davon ärgert mich momentan etwas Anderes viel mehr. Ich hasse es einfach, wenn sie mich so nennt. Ich heiße Bernadette und basta! Dass das kein alltäglicher Name ist, war mir schon als Kind bewusst, aber mit dieser „Verniedlichung“ ist es noch schlimmer. Schon oft habe ich mir anhören müssen, dass mein Name ziemlich ungewöhnlich ist. Nur, was soll ich machen, wenn meine Mutter sich unbedingt einen Französischen aussuchen musste, der noch dazu einer Heiligen gewidmet ist? Laut den Überlieferungen hatte die heilige Bernadette als Mädchen eine Marienerscheinung und das in Stadt Lourdes. Angeblich soll es dort auch Heilwasser geben. Ich habe jedoch keine Ahnung, ob dies überhaupt zutrifft und abgesehen davon interessiert dies niemandem. Ich heiße nun mal so und ich möchte auch so angesprochen werden. Das ist alles, was an diesem Thema wichtig ist. „Ja, ja, ich steh schon auf.", murre ich schließlich, während ich mich aus meinem Bett quäle. Montag, wohl der schlimmste Tag der Woche, denn dieser ist der erste Tag, der mich aus meiner schützenden Fantasie herausreißt und mich auf dem Boden der Tatsachen bringt. Ich seufze, aber ich habe wohl keine Wahl. Schon schlurfe ich zu meinem Kleiderschrank und hole mir dir Sachen für heute raus: eine dunkelblaue Jeans, ein schwarzes Top, braune Sneakers und eine rotorange karierte Bluse, die ich mir um die Hüfte binde. Das war mal Schritt eins des heutigen Tages. Als Nächstes kommt der Teil mit den Accessoires. Ehrlich gesagt, bin ich nicht so sehr der Fan von Schmuck, aber so kleine Sachen mag ich ja doch und die peppen das Ganze ein wenig auf. So binde ich mir meine beiden Lederarmbänder, die jeweils grün und gelb sind, um das linke Handgelenk und stecke mir kleine, runde Stecker-Ohrringe an die Ohrläppchen. Ich glaube, das reicht und ich denke, dass das ganz gut aussieht. Ich fühle mich zumindest wohl dabei. Doch als ich meinen Blick vom Schrank ablasse und zu meinem Schreibtischsessel hinüberschaue, sehe ich da eine pinke Bluse mit leichten Rüschen. Das zufriedene Gefühl verblasst. Ich kann nicht anders, als dass mein Gesicht automatisch eine angewiderte Miene aufweist, während ich noch weitere zwei Sekunden auf diesen Haufen von Stoff starre. „Das kann doch nicht ihr Ernst sein?", jammere ich kleinlaut und knalle mir meine rechte Hand gegen die Stirn, die ich dann langsam über mein ganzes Gesicht gleiten lasse. Nicht schon wieder, es wird schon langsam echt lästig! Wie oft will sie dieses Spiel noch treiben, bis sie das endlich mal kapiert? Ich hasse Pink! Das war schon damals so, als ich noch ein Kind war und das wird auch in alle Ewigkeit noch so bleiben! Da ändert nichts daran, dass ich ein Teenager bin und mit großer Wahrscheinlichkeit wird es auch noch so sein, wenn ich eine alte Oma bin! Mir hatte es schon damals gereicht, als ich früher von meiner Mutter und von meiner Tante in solchen Fummeln reingesteckt wurde. Damals hatte ich noch keine großen Chancen, um mich dagegen zu wehren. Heute aber spielt eine ganz andere Musik! Ich bin doch keine Barbiepuppe, die man einfach so ankleiden kann, wie es einem so passt! Besonders diese Farbe kommt nicht an meinem Leib! Da kann die Welt untergehen, ich werde mich weiterhin weigern. Außerdem ist Pink beziehungsweise Rosa für mich dann nur schön, wenn es sich dabei um Blumen, oder um Süßigkeiten handelt. Bei alles andere hat diese Farbe keine Chance bei mir. Da müsste schon mein Hirn umgepolt werden, damit das funktionieren würde. Mit einem genervten Seufzer lasse ich Bluse einfach so liegen, wie sie ist und stampfe ins Badezimmer. Der Tag fängt ja schon „gut“ an, da kann es kaum noch schlimmer werden. Zumindest hoffe ich das, denn meine Laune ist jetzt schon im Keller. Schon ergreife ich meine Bürste und streiche sie über meine gestuften, braunen Haare. Sie gehen mir über die Schultern, weswegen ich sie gerne offen trage. Tante Tina war nur nicht begeistert, als ich eines Tages mit roten Strähnen nach Hause kam, die nun besonders die Spitzen betonen und beinahe bis zur Mitte meiner Haarpracht reichen. Ein dunkles Weinrot und ein kräftiges Kirschrot hatte ich damals für meine Haare gewählt und bin bis heute noch stolz darauf. Kräftige Farben sind nun mal meine Lieblingsfarben und das ist egal, ob es sich dabei um Rot, Blau, Grün, Orange, Lila, oder sonst etwas handelt. Nur Pink ist die Ausnahme, aber wie heißt es so schön: Ausnahmen bestätigen die Regel. Ich bin nun mal sechzehn und kann selbst entscheiden, wie ich aussehe, auch wenn meine Tante anderer Meinung ist und immer wieder versucht entgegenzuwirken, um mich nach ihren Vorstellungen zu formen. Da beißt sie aber auf Granit und dennoch versucht sie es weiter, wie man heute wieder einmal sehen konnte. Vermutlich wird das noch lange so weitergehen. Seitdem ich bei meiner Tante wohne, versucht sie es schon und das müssten jetzt so um die zehn Jahre sein. Da hat sie schon einiges an Arbeit geleistet. Seit mein Vater gestorben ist, lebe ich bei ihr und muss meistens nach ihrer Pfeife tanzen. Durch dass meine Mutter eine Pilotin ist, ist sie ständig auf Reisen. Meine großen Brüder Dorian und Paul sind auch schon ausgeflogen. Ihr Glück ist, dass sie bereits erwachsen sind und somit ihr eigenes Leben führen können. Manchmal beneide ich sie darum und ich wünsche mir sehr, dass ich die Schule bereits hinter mich gebracht hätte. Nur werde ich noch „ein wenig“ auf meinem Abschluss warten müssen und bis es soweit ist, heißt es: Augen zu und durch! Jetzt heißt es aber: runtergehen, bevor Tante Tina wieder zu meckern anfängt, aber vermutlich wird sie auch so irgendetwas finden. Ich steige gerade die Treppen hinab, als ich schon von der brünetten Frau in ihrem rosa Sekretär-Outfit erwartet werde. Ihr Blick zeigt schon, dass sie von meinem Kleidungsstil wieder einmal nicht begeistert ist und sie seufzend den Kopf schüttelt: „Wann wirst du dich jemals wie eine Frau anziehen und dich auch so benehmen. Ich habe dir doch diese Bluse hingelegt. Ist sie denn nicht schön?" „Schön für eine Barbiepuppe, aber nicht für mich. Du weißt doch, dass ich diese Farbe hasse und bitte hör auf mich „Bernadettchen“ zu nennen. Ich heiße Bernadette. ... So, ich zisch jetzt ab.", beantworte ich ihre Frage mit einem leicht genervten und schroffen Unterton, schnappe mir meinen Rucksack und will schon verschwinden, als meine Tante mir wegen dem Frühstück noch auf die Nerven geht: „Warte mal! Willst du nicht etwas essen, bevor du einfach so abhaust? Das Frühstück ist immerhin die wichtigste Mahlzeit des Tages.“ „Keine Zeit, ich hole mir einfach was vom Bäcker. Der liegt eh auf dem Weg, als bis dann!“, rufe ich ihr noch zu, während ich einfach an ihr vorbeigegangen und gleich darauf aus der Tür marschiert bin. Sie hat nicht einmal die Chance gehabt, ihr Predigt fortzusetzen und das ist auch gut so. Ich gehe einfach meinen Weg. Ganz ehrlich, wer ist bitte für das Bildungssystem verantwortlich? Würde mich Literatur nicht interessieren, so wäre ich schon bereits zu Beginn der Stunde eingeschlafen. Auch jetzt stehe ich an der Grenze zwischen Wach- und Schlafmodus und das hat seinen Grund. Gerade höre ich die monotone Stimme meines Professors, der noch langsamer zu sein scheint, als eine Schnecke in den besten Zeiten. Mir kommt es sogar vor, als würde der Kerl absichtlich jedes Wort bewusst betonen, damit dies in das Unterbewusstsein eindringt, aber das würde nicht funktionieren, weil ihm kaum einer zuhört. Wahrscheinlich bin ich sogar die Einzige, die gerade aufpasst und das ist ganz schön anstrengend. Vielleicht bin ich auch einfach zu blöd, mich anders zu beschäftigen. So wie es der Rest meiner Klasse tut. Die meisten spielen mit ihren Handys, schminken sich, oder machen etwas komplett anderes und Professor Johnson scheint nichts davon mitzubekommen. Wie auch immer das möglich ist, aber vielleicht will er es auch einfach nicht. Es klingelt. Na endlich! Ich bin erlöst, zumindest was diesen Unterricht angeht, aber wenigstens kann ich dieser Schlaftablette entkommen. So schnappe ich mir meine Sachen und stürme aus dem Klassenzimmer. Nichts wie weg von hier und am besten mit niemandem reden. Doch auch jetzt scheint mein Glück mich verlassen zu haben, denn Lucinda stellt sich mit ihrer Clique mir in den Weg. Es ist einfach nicht mein Tag. Er hat schon beschissen begonnen und so geht aus auch munter weiter. „Wo wollen wir denn hin, wenn ich fragen darf?", fragt mich die Tussi, während sie mit ihren Fingern mit ihren blonden Locken spielt. Ok, ich habe echt nichts gegen Blondinen. Ich hatte früher sogar eine gute Freundin, die blond war, aber die hier schlägt echt dem Fass den Boden aus. Eingebildet, hochnäsig, zickig und von sich selbst überzeugt – Das sind die Begriffe, die Lucinda am besten beschreiben können. Seit sie in diese Klasse gekommen ist, hat sie es in kürzester Zeit geschafft, ein Schar von Anhängern um sich zu bilden und wurde sogar zur Klassensprecherin gewählt. Jeder bewundert sie, sogar die Nerds und größten Freaks auf dieser Schule können ihre Augen nicht von ihr lassen. Ich bin hingegen die Ausnahme und bis heute habe ich keinen blassen Schimmer, warum nur ich so denke. Wie ein Model schreitet sie immer durch die Schule und lässt die anderen ihre Arbeit machen. Selbst bei den meisten Lehrern ist sie beliebt und wenn nicht, schafft sie es dennoch sich irgendwie durchzumogeln. Ist ja auch klar, warum das so einfach geht. Sie hat ja genug helfende Hände, welche dies für sie tun. Sie braucht scheinbar nur einmal mit den Fingern zu schnippen und alles geht wie von selbst. Nur bei mir ist das anders. Zu ihrem und auch zu meinem Pech kann sie mich nicht so leicht umpolen, wie sie das sonst gerne hätte. Schon oft hat sie es bereits versucht und dennoch ist sie immer wieder kläglich daran gescheitert. Auch wenn sie mal behauptet hat, dass dies nur eine Frage der Zeit, hat sich bis jetzt nichts daran geändert. Kurz gesagt, stehe ich nun auf ihrer Abschussliste und auch ihr habe ich es zu verdanken, dass sich mein Leben zum Schlechteren verändert hat. Meine Freunde haben sich wegen ihr von mir abgewandt. Entweder durch Bestechen, Manipulation, oder durch Einschüchterungen haben sich Amy, Madison, Benny, Martin und Cary von mir entfernt und sprechen seitdem kein Wort mit mir, außer sie werden zu Beleidigungen angestachelt. Am Anfang war das sehr schwer für mich und ich konnte auch nicht begreifen, wieso die fünf so einfach kleinbeigegeben hatten. Wir waren einst doch so unzertrennlich. Jetzt hingegen können sie für mich bleiben, wo der Pfeffer wächst! Denn meiner Meinung nach halten wahre Freunde immer zusammen, egal was auch passiert und wer auf einmal im Leben aufkreuzt. Bei solchen „Freunden" bin ich lieber allein und wenn ich nur daran denke, könnte ich vor Wut schreien. Am liebsten wäre ich jetzt gerade wieder mal weit weg, aber das Teleportieren ist noch immer nicht erfunden worden und Lucinda wartet immer noch auf eine Antwort. Ich schaue sie zunächst mit einem ausdrucklosen Gesicht an und will stumm an ihr vorbeigehen, aber das kann ich mir getrost abschminken. Denn im nächsten Moment habe ich eine von ihren Kumpanen am Hals, welcher mich einfach zurückschubst und schroff, so wie auch arrogant meint: „Hey, hast du was an den Ohren?! Du wurdest was gefragt!“ Ach wirklich, darauf wäre ich ja „nie“ gekommen. Ruhig bleiben, Bernadette, sie sind das nicht wert. Lasse dich einfach nicht auf deren Niveau herab. Versuch einfach irgendwie an ihnen vorbeizugehen. Mit diesen Worten versuche ich stets mich unter Kontrolle zu halten, was aber nicht immer einfach ist. Auch wenn ich es gerne tun würde, kann ich nicht einfach losbrüllen und vielleicht sogar meine Fäuste für mich sprechen lassen. Denn dies würde leider nur dazu führen, dass sich wieder einmal alles gegen mich wendet. Daher muss ich ruhig bleiben und diesmal scheint es mir sogar zu helfen. Die Wut ist zwar nicht weg, aber ich bin nicht am Durchdrehen. „Schau auf den Stundenplan, dann weißt du es.", sage ich schließlich unbekümmert, was die Blondine dagegen umso mehr aufregt: „Willst du dich wohl wieder aufplustern Bernadetteee? Du Möchtegernfranzösin! … Wieso bist du nicht einfach dort, dann müssten wir dein Schandmaul nicht länger zu ertragen!" Nun grinst sie fies und glaubt mich, damit getroffen zu haben. Dabei war dies nur eine Lachnummer. Lucinda könnte es besser, aber anscheinend ist sie heute nicht in Form. „Erstens, das „-e" wird am Ende nicht ausgesprochen und zweitens wäre mir das sogar lieber. Dann würdest du mir nicht ständig über den Weg laufen und ich müsste dein Geschwafel nicht immer ausblenden müssen.", meine ich so monoton wie möglich und doch leicht gereizt. Der Zorn auf diese Tussi lässt sich nun mal nicht so leicht abschalten. Doch im Gegensatz zu mir, kann die Angesprochene nicht so einfach mit ihren Gefühlen umgehen. Schon sehe ich, wie Lucinda rot anläuft und sie will schon wieder etwas einwerfen, als in diesem Augenblick ein Lehrer an uns vorbeigeht. „Ist alles in Ordnung bei euch?“, fragt er mit einem skeptischen Blick, woraufhin Lucinda sofort das Wort ergreift und meint: „Aber natürlich. Es ist alles in bester Ordnung. Wir … ähm … diskutieren gerade.“ Natürlich setzt die Blondine ihre unschuldige Miene auf und blinzelt dabei mit ihren zu großgeratenen falschen Wimpern. Die anderen Mädels machen es ihr natürlich nach, bejahen es sogar und das ist für mich die Gunst der Stunde, die ich jetzt ergreife. So leise wie möglich, schlüpfe ich an den Haufen vorbei und laufe, so schnell ich nur kann, ins nächste Klassenzimmer. Zum Glück habe ich nur noch mehr eine Stunde, dann habe ich den Rest des Tages meine Ruhe, bis der Trubel natürlich wieder von vorne beginnt. Nur, was soll ich daran ändern? Wenn ich könnte, würde ich dies sofort tun. Da dies aber nicht der Fall ist, kann ich einfach nur Tag für Tag das Beste daraus machen. Mein heutiges Glück war, dass ein Lehrer mal skeptisch geworden ist. Sonst wäre das Ganze etwas anders verlaufen. Ach, was soll´s. Ich muss mich einfach auf mich konzentrieren und die anderen möglichst ausblenden. Nur dann „überlebe“ ich das irgendwie. Es hat bereits geläutet als ich mich endlich auf meinen gewohnten Platz fallen lassen kann und meinen Block für den Kunstunterricht heraushole. Das ist die einzige Stunde in der ich mit meinen MP3-Player Musik hören darf, ohne dabei Ärger zu bekommen. Genau darauf habe ich mich in den letzten Stunden gesehnt. Meine Songs ermöglichen es mir, mich von allen abzuschirmen und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Es gibt dann nur noch mich und darauf freue ich mich schon. Ich warte nur noch darauf, dass ich so schnell wie möglich damit loslegen kann. Kaum haben wir unseren Auftrag für diese Stunde endlich erhalten, schalte ich schon das Ding ein und die ersten Klänge lassen mich bereits wieder in meiner eigenen Welt versinken. Musik hat einfach etwas Magisches an sich, sonst würde es mir nicht einfach so helfen. Kaum dass mich dieses Flowgefühl erreicht hat, greife ich nach meinem Bleistift und fange an die Umrisse meines Fantasiebildes zu zeichnen. Der Auftrag lautet, die Szene aus einer Fantasiewelt nachzustellen, in der man selbst als Person dabei eine wichtige Rolle spielt. Ich habe dafür bereits schon genaue Vorstellungen, was genau ich kreieren möchte. Die Gedanken springen förmlich aufs Papier, weswegen ich schon nach kürzester Zeit den Stift zur Seite legen kann und den Pinsel und die Schachtel mit den Aquarellfarben an mich nehme. Fein säuberlich fülle ich die Flächen aus und spiele dabei mit den Farben und Farbverläufen, wodurch das Gesamtbild von Mal zu Mal mehr an Gestalt annimmt. Man kann schon bald den Pavillon erkennen, sowie auch das Blumenlabyrinth mit ihren Statuen an den Ecken und auch ich selbst habe ein Platz in diesem Bild gefunden. Ich habe kaum einen großen Teil bearbeitet, als Lucinda plötzlich wieder vor mir steht. Wenn ich nicht plötzlich einen Schatten wahrgenommen hätte, hätte ich sie während meiner Arbeit gar nicht bemerkt. Ihr Grinsen ist falsch und ihre Augen strahlen etwas Teuflisches aus, als ich zu ihr hinaufsehe. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zum Schluss, dass ihr Name eigentlich ganz gut zu ihr passt. Denn irgendwie muss ich da an Lucifer denken. Die beiden haben doch viele Gemeinsamkeiten, oder nicht? Falschheit, Manipulation, etc. – Da kommt schon eine lange Liste zusammen und diese würde womöglich bis nach Timbuktu reichen. Was diese Schlampe wohl wieder von mir will? Gerade bin ich dabei, ihr genervt genau diese Frage stellen, als sie sich auf einmal etwas zu mir hinunterbückt und mein Bild betrachtet. Scheinheilig bewundert sie es: „Wow, das ist ja wirklich „schön“ geworden. So … farbenfroh.“ Auch wenn ich genau weiß, dass dem nicht die Wahrheit entspricht, was aus ihrem verlogenen Mund gekrochen ist, versuche ich meinen Hass ihr gegenüber hinunterzuschlucken. Gerade im Unterricht ist diese Angelegenheit noch verzwickter, als was es sonst der Fall ist. Ich hätte zwar Augenzeugen, die meine Version bestätigen könnten, aber seitdem dieses Miststück hier ist und sie alle unter ihre Kontrolle hat, ist so einiges anders geworden und ich habe da schon meine Erfahrungen gemacht. Vielmehr würden diese feigen Idioten aus Angst dieser hochnäsigen, blöden Kuh zustimmen, oder sie halten sich vollkommen aus dieser Angelegenheit raus. Wie auch immer, ich kann ohnehin nicht mit Hilfe rechnen. Noch dazu muss ich mir immer wieder einbläuen, dass Lucinda es nicht wert ist. Auch wenn ich ihr am liebsten die Zähne ausschlagen würde, ich darf es nicht. Ich muss meine Wut unter Kontrolle halten. Doch kaum habe ich mich noch rechtzeitig besonnen, kippt die Alte mir doch glatt einen Becher mit gebrauchten und schmutzigen Wasser über das Bild. Wie eine Fontaine spritzt die braune Brühe alles voll und von meinem unfertigen Bild ist kaum noch etwas zu erkennen. Mein Bild ist zerstört. Erschrocken darüber, springe ich von meinem Platz auf und schnauze sie wutentbrannt an: „Hat man dir in den leeren Schädel gespuckt, du Irre?! Was fällt dir ein?!“ Ich konnte mich einfach nicht beherrschen. So sehr ich es auf versucht habe, es ging einfach nicht. Noch dazu habe ich bereits meine rechte Hand zu einer Faust geballt, die nur noch darauf wartet, in Aktion treten zu dürfen. Uns beide trennen nur noch wenige Zentimeter. Doch Lucinda kichert belustigt und hält ihre linke Hand scheinheilig unter ihren Lippen. „Och, das tut mir aber Leid. Das „schöne“ Bild. Das war doch sehr „ungeschickt“ von mir.", heuchelt sie mir nun vor, bis sie sich schließlich umdreht und dabei ihre blonden Locken mit einem Schwung zurückwirf, wodurch diese in mein Gesicht klatschen. Sofort fangen einige meiner Mitschüler an zu lachen und ich stehe einfach verdattert und zornig zugleich da. Dieses verdammte Miststück! Wenn Mrs. Foster nicht im Raum wäre, würde ich glatt zu diesem aufgeplusterten Huhn rennen und sie eigenhändig vermöbeln, bis sie vollkommen mit Beulen und blauen Flecken tapeziert ist! Jedoch schwärmt meine Professorin für sie und gibt ihr meistens sogar eine Eins, wenn sie auch nur einen Strich gemalt hat. Nur Ungerechtigkeit herrscht hier! Knurrend stehe ich noch ein paar Sekunden so da, bis ich mich schließlich schnaufend wieder setzte. Erst muss ich diese Schweinerei wegmachen, bis ich, immer zornig von vorhin. ein neues Blatt heraushole. Während ich wieder von vorne beginne und mir dabei die Ohrstöpsel wieder in die Ohren stopfe, spüre ich wieder diese verächtlichen Blicke, sowie auch dieses unterdrückte Gelächter, was einfach nur zum Kotzen ist. Noch immer wütend, knalle ich die Tür hinter mich zu, als ich nach Hause komme. Ich war noch einige Stunden unterwegs, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Normalerweise schlendere ich bei sowas durch die Gegend und nehme manchmal sogar die U-Bahn, aber diesmal hat mein langer Sparziergang nichts gebracht. Mein brodelnder Hass auf Lucinda und allgemein auf die Situation in meiner Schule scheint für heute kein Ende nehmen zu wollen. Diese Ungerechtigkeit und die Tatsache, dass ich nichts zu meinen Gunsten ändern kann, lässt das Blut in meinen Andern weiterhin kochen. Ich habe das Gefühl, in einem Irrgarten gelandet zu sein, aus dem es kein Entkommen gibt. Am liebsten würde ich was kaputtschlagen, damit das endlich mal raus ist. Doch leider habe ich gerade nichts Passendes dabei und kaum, dass ich den Flur betreten habe, werde ich schon von meiner Tante aufgehalten. Ihr ist mein Zorn auf die Welt nicht entgangen, aber ihre Belehrungen kann sie sich an den Hut stecken. Ich will jetzt einfach meine Ruhe! Jedoch gönnt sie mir diese nicht und nicht ehe hat sie mit ihrem Drängen aufgehört, bis ich schließlich den Mund aufgemacht habe und ihr von Lucinda und meinen Problemen in der Schule erzählt habe. Zwar hatte ich mich am Anfang geweigert, aber irgendwie tat es doch ganz gut, mal Dampf abzulassen und offen über diese Tussi schimpfen zu können. Ich hätte diesen Zorn ohnehin nicht länger hinterschlucken können. Das Nächste, was ich vermutlich ergriffen hätte, wäre mein Polster gewesen, der schon einiges mit mir durchmachen musste. Nicht selten habe ich bereits meine Fäuste auf ihn niederregnen lassen und sogar hineingeschrien. Doch jetzt konnte ich jemand anderen mein Leid klagen und mit Worten meinen Frust freien Lauf lassen. Normalerweise erzähle ich meiner Tante kaum etwas, was die Schule betrifft. Der Grund ist, dass sie es immer „besser weiß“ und sie mich entweder mit meiner Mom, oder mich sogar mit meinen Brüdern vergleicht und dabei bin ich immer das „schwarze Schaf“. Im Moment ist ein ganz kleiner Hoffnungsschimmer da, dass es diesmal vielleicht etwas anders sein könnte. Jedoch wird dies im nächsten Augenblick im Keim erstickt. Als wenn der Tag nicht schon beschissen genug gewesen wäre, werde ich nun von Tante Tina angepöbelt, welche meine Situation vollkommen anders wahrnimmt: „Tja Liebes. Das Alles würde nicht passieren, wenn du dich nur ein bisschen anpassen würdest. Irgendwann musste es ja soweit kommen." „Wie jetzt?! Bist du ernsthaft auf ihrer Seite?!“, kommt es mir empört über die Lippen. Denn das, was sie da gerade faselt hat, ist einfach nur die Höhe! „Anpassen“ – von wegen! Das hat kein bisschen mit Anpassen zu tun, das ist wohl eher Identitätsverlust! „Nein, natürlich nicht, aber das Leben ist nun mal nicht leicht. …“, versucht mich nun meine Tante zu beschwichtigen, aber ich unterbreche sie und meine sarkastisch: „Ach was, das ist mir noch „gar nicht“ aufgefallen.“ Meine Worte gefallen ihr gar nicht und momentan ist mir das auch egal. Dass sie Sarkasmus überhaupt nicht verträgt, ist ja nichts Neues, aber sie wiederum scheint es nun mit der nächsten Predigt wettmachen zu wollen: „Hör zu, du kannst nicht einfach Tag für Tag mit dem Kopf durch die Wand gehen. Du brauchst nur mal etwas von deinem hohen Ross herunterkommen. Dann bist du nicht mehr allein und hast wieder Freunde, sowie auch Freude am Leben. Und was diese Lucinda angeht, sie wird dann auch aufhören, dich zu belästigen.“ „Das ist doch nicht dein Ernst?! Soll ich mich etwa für andere verbiegen, nur damit ich toleriert werde?! Ne, nicht mit mir! Auf keinen Fall!", schnauze ich sie schließlich an, denn für heute habe endgültig genug. Ich lasse sie auch gar nicht mehr zu Wort kommen. Ich will für heute einfach nichts mehr hören! Ohne meiner Tante auch nur die geringste Chance zu geben, flüchte ich mit einem Affenzahn in mein Zimmer und sperre ab. Ich habe es einfach so satt! Es ist immer das Gleiche: Immer bin ich die Blöde! Ich werfe mich auf mein Bett, presse mir den Polster ins Gesicht und schreie so lange hinein, bis ich schließlich wieder nach Luft schnappen muss. Erst dann drehe ich mich um und starre zur Decke empor. Wo noch vorhin mein Gesicht Zorn gezeigt hat, so sehe ich nun bedrückt drein. Wie ich das alles hasse und nichts kann ich ändern. Ich seufze, schnappe mir schließlich meinen Mp3-Player und stopfe mir die Kopfhörer in meine Ohren. Für heute reicht es mir! Ich habe keinen Bock mehr! Als ich meine Tante von draußen höre, wie sie versucht, von außen auf mich einzureden und in mein Zimmer zu gelangen, drehe ich die Musik einfach lauter. Mag sein, dass ich jetzt bockig bin, aber das ist mir in Moment scheißegal. Wäre doch nur mein Vater jetzt bei mir. Er würde mich verstehen und mir auch Mut zusprechen. So hat er es früher getan und das fehlt mir. Ich vermisse ihn. Ich vermisse seine Umarmungen, seine Stimme, einfach alles. Ach, wieso bist du fort? Wieso? Kapitel 2: In letzter Sekunde ----------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Erst musste ich mich wieder einmal mit dieser Tussi und ihren Untergebenen herumschlagen und dann bekam ich auch noch die voller Breite von Tante Tina zu spüren. Als hätte ich nicht genug mit mir herumzutragen, musste sie schon mit der nächsten Predigt um die Ecke kommen. Was denkt sie sich eigentlich?! Sie sollte wohl eher hinter mir stehen und mir nicht noch vorwerfen, ich müsste mich der Gesellschaft „anpassen“. Ist ihr mal in den Sinn gekommen, dass man in einer Familie sich gegenseitig den Rücken stärkt, oder gilt dies nun auch nicht mehr? Gott ich könnte schreien! Ich könnte alles zunichtemachen, wenn es mir möglich wäre. So viel Wut steckt in mir und das ist nicht das Einzige. Ich habe einfach das Gefühl, dass alle verrückt geworden sind und ich stecke mittendrinn in der Scheiße. Andererseits hätte ich es mir auch denken können, dass ich gerade von meiner „allerliebsten“ Tante nichts Anderes zu erwarten habe. Denn gerade sie hatte mich in der Früh noch mit diesem rosa Fetzen und mit dem Tadel genervt, ich müsste mich mal „weiblicher“ anziehen. Als wenn sich sowas auf eine bestimmte Farbe beschränken würden. Sie hat sie doch nicht mehr alle! Ich kapier das nicht! Ich bin nun mal ich und nicht so, wie sich das ein anderer erwarten würde. Das ist nun mal so und wann akzeptieren sie alle das endlich?! Vermutlich wird das in den nächsten tausend Jahren nicht passieren. Da kann ich mir das wohl getrost abschminken. Nur, ich fühl mich einfach von Tante Tina hintergangen und das ist ein verdammtes Scheißgefühl! Viel besser kann man das wohl nicht beschreiben. Wenn ich mich schon nicht auf meine ehemaligen „Freunde“ verlassen konnte, so will ich das zumindest von meiner Familie erwarten können. Ich brauche keine Belehrungen und dass ich von oben herab angesehen werde. Das muss ich schon in der Schule ertragen und da sind die Lehrer nicht die Einzigen. Ich will einfach nur jemandem, der mir zuhört und der mir vielleicht sogar einen Ratschlag gibt. Ist denn das wirklich so schwer, oder komme ich doch von einem anderen Planeten, wodurch dies überhaupt nicht möglich ist? Seit diesem Tag spreche kein Wort mehr mit meiner Tante und meide sie so gut es eben geht. Es würde sich ohnehin nichts bringen, auch nur ein Wort mit ihr zu wechseln. Es würde nur in einem weiteren Streit ausarten. Sobald ich das Haus betrete, verschwinde ich schnurstracks in mein Zimmer und dieses wird jedes Mal abgesperrt. Das gilt auch, wenn ich es wieder verlasse. Schließlich habe ich keinen Nerv dafür, noch weitere „Geschenke“ darin entdecken zu müssen. Diese Bluse hat gereicht und kein solch weiteres Kleidungsstück wird es je wieder betreten. Dasselbe gilt auch für Tante Tina. Zwar versucht sie weiterhin, auf mich einzureden, aber wenn sie glaubt, sie könnte mich mit ihren Worten fertigmachen oder umpolen, dann hat sie sich gewaltig geschnitten. Ich kann verdammt noch mal stur werden! Auch wenn sie mir damit gedroht hat, die Schlösser austauschen zu lassen, werde ich nicht von meinem Standpunkt abweichen. Da kann sie noch lange warten, bis sie schwarz wird und sollte dies eines Tages tatsächlich der Fall sein, so werde ich mir anders zu helfen wissen. Wozu gibt es denn Vorhängeschlösser? Da kann sie zusehen, wie ich das durchsetze und selbst wenn es nicht klappen sollte, ziehe ich einfach zu einen meiner Brüder. Einer von ihnen wird mich schon aufnehmen und selbst wenn nicht, lebe ich halt auf der Straße. Irgendeinen Weg werde ich schon finden, egal welche Probleme noch auftreten werden. Da mach ich mal auf beinhart, wenn es sein muss. Mir ist das alles egal. So einfach lasse ich mich nicht ins Bockshorn jagen! Mir reicht es schon, wenn ich meine Fäuste in der Schule unter Kontrolle halten muss. Obwohl ich nicht nur einmal bereits davon Gebrauchen machen wollte. In meinem Zimmer kann ich dagegen machen, was ich will und sei es hundertmal das Haus meiner Tante. Es ist mein Reich und hier herrschen meine Regeln! Noch weitere Tage habe mich darüber ärgern müssen. Es ist einfach beschissen gewesen und ich musste da leider alleine durch. Noch dazu bin ich ständig aufs Neue mit diesem Thema konfrontiert worden und mir ist nichts Anderes übriggeblieben, als die Zähne zusammenzubeißen. Das Einzige, was mich ein wenig ruhiger stimmt, ist, dass heute Freitagnachmittag ist und ich somit diese Woche schon irgendwie überstanden habe. Es waren nur noch einige Stunden mit Lucinda mit ihrer Clique zu ertragen, die mir tagein tagaus auf dem Pelz gerückt waren. Übers Wochenende können sie mir aber getrost gestohlen bleiben. Ich kann endlich mal für die nächste Zeit die Schotten dichtmachen und sie mal vergessen. Mir hat es schon gereicht, dass ich wegen dieser arroganten Kuh sogar zum Direktor musste. Grund war, dass ich die Tussi angeblich verletzt haben soll. Nur weil ich ihr unabsichtlich eine blutige Nase verpasst habe, habe ich den vollen Anschiss bekommen! Dabei habe ich einfach nur die Toilettentür aufgerissen und sie stand mit dem Gesicht genau davor. Wie hätte ich das bitte sehen können und warum musste sich unbedingt frontal davorstellen?! Klar, dass sie dann vor Schmerzen wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend rennen und alles mit ihrem Blut vollspritzen musste, aber da ist sie einfach selbst schuld. SSKM – Selbst schuld, kein Mitleid - Was musste sie mir auch bis auf Klo folgen und mich dort weiter nerven? Hätte sie mich in Ruhe gelassen, wäre das nicht passiert. Da hätten wir sogar beide uns etwas ersparen können, aber anscheinend bettelt sie danach. So „tragisch“ ist das im Übrigen nicht einmal. Ok, es tut verdammt weh, wenn man im nächsten Augenblick eine Tür gegen das Gesicht geklatscht bekommt, aber das ist verdammt noch mal nicht mein Problem und ich habe gewiss kein Mitgefühl für diese Schlange. Wenn sie so blöd ist, geschieht es ihr nur recht und für kurze Zeit stand das Universum sogar hinter mir. Nur leider hatte sie sich das Blatt schnell gewendet, als wenn es nicht eh schon zu meinem Alltag dazugehören würde. Total hysterisch hatte Lucinda behauptet, ich hätte sie geschlagen und wäre zu ihrem Pech nicht die Klotür mit den „Beweisen“ gewesen, so hätte man das ihr auch noch geglaubt und ich hätte noch größeren Ärger bekommen. So ist es nun etwas anders gekommen, aber ob ich dies gutheißen soll, weiß ich bis heute nicht. Schließlich musste Tante Tina ebenfalls im Büro des Rektors erscheinen und von beiden Seiten bekam ich eine Standpauke zu hören, die sich gewaschen hatte. Von Rücksichtsvollsein bis hin zum „vorbildhaften“ Verhalten innerhalb der Schule war die Rede. Dass es aber auch eine andere Sichtweise gab, war den beiden Herrschaften zunächst egal gewesen und ich wurde mit allem Möglichen bombardiert. Als wenn einer der beiden auch nur einen Hauch einer Ahnung hätte, wie es in diesem Gebäude tatsächlich abläuft. Hier geht es vielmehr darum, von Menschen wie Lucinda nicht verschlungen zu werden, ohne dabei auch noch den Verstand zu verlieren. So wie sie und manch andere Schüler diesen Ort tyrannisieren, ist es schon nicht mehr normal und keiner bekommt dies mit. Ich habe sogar den Eindruck, dass es in meinem Fall sogar immer schlimmer wird. Denn früher wurde ich einfach gemieden und wie Luft behandelt. Damit kam ich auch noch irgendwie zurecht. Ich hatte mich sogar daran gewöhnt. Nur scheint es meiner Peinigerin nicht mehr zu reichen und so wurde ich in letzter Zeit viel mehr aktiver gemobbt. So oft hätte ich die Chance gehabt, ihr eine zu verpassen, oder sie gar zu erwürgen und trotzdem kam es nie dazu, weil ich einfach dagegen ankämpfe. Würde ich mich wegen weiteren Ärger und Co. nicht so sehr unter Kontrolle halten, wäre es vermutlich noch schlimmer. Wobei mir diese Aktion vollkommen gereicht hat. Was hat sie davon, wenn sie mich schikaniert und mich zur Weißglut bringt? Will sie mich endgültig aus dieser Schule vertreiben, oder mich gar ins Irrenhaus bringen? Oder hat sie einfach nur einen Knall und wird verrückt, wenn sie mich nur sieht? Ich habe keine Ahnung, vielleicht trifft sogar beides zu. Ich weiß nur, dass ich dieses Weibsstück abgrundtief hasse. Meiner Meinung nach hatte sie es mehr als nur verdient, dass sie mal die Quittung für ihre Handlung bekommt. Nur versuchte sie diese Situation auszunutzen und mich als die rücksichtslose Täterin hinzustellen. Immer wieder behauptete Lucinda, ich hätte dies mit Absicht getan und ich wäre auch noch so dreist gewesen, ihr aufzulauern. So ein Schwachsinn! Diese dämliche Kuh hat noch einen größeren Dachschaden, als was man ihr zutrauen würde und sie ist so falsch wie eine Schlange. Da diese Sache aber weder beweisbar, noch von jemandem anderen bezeugt werden konnte, stand es Aussage gegen Aussage. Am Ende hieß es dann noch „In dubio pro reo – Im Zweifel für den Angeklagten“. Mein einziges Glück an diesem Tag war, dass Tante Tina dem Direktor nicht gesagt hatte, wie sehr ich dieses Miststück verabscheue. Sonst hätte er zu großer Wahrscheinlichkeit zu ihren Gunsten entschieden. Da bin ich mir sicher. Stattdessen musste sich der Herr mit der Glatze eingestehen, dass ich bei einer zugemachten Tür nichts sehen konnte, weswegen die ganze Angelegenheit als unglücklicher „Unfall“ abgestempelt wurde. Jedoch betonte er zudem auch noch, dass dies auf keinen Fall noch einmal vorkommen dürfte. Sonst würde er andere Saiten aufziehen. Damit sie alle zufrieden waren, gab ich hiermit das Versprechen, etwas mehr Rücksicht zu nehmen. Auch wenn ich lieber mich übergeben hätte, als diese Worte über mich zu bringen, aber was tut man nicht alles, damit man endlich seine Ruhe hat. Doch für Lucinda war das Endergebnis wie ein weiterer Schlag ins Gesicht. Das konnte man ihr deutlich ansehen. Sie hatte sich wahrscheinlich erhofft, dass ich bestraft werden würde und die Tatsache, dass es nicht geschah, ließ sie nur weiterkochen. Das rieb sie mir dann auch noch unter die Nase, als das Gespräch zu Ende war. Wir hatten kaum den Raum verlassen und die Tür hinter uns zugemacht, als sie mich schon aufhielt und mich böse anfunkelte. Sie schwor mir bittere Rache und dass ich noch mein blaues Wunder erleben werde. Sie würde mir keine Ruhe geben. Ich befürchte leider, dass das ihr bitterer Ernst war, aber was will sie von mir? Ich bin eh schon allein. All meine Freunde sind dank ihr von meiner Seite gewichen und ich musste bereits einige Schikanen von ihr und ihren Handlangern ertragen. Warum lässt sie mich nicht einfach in Ruhe und geht mir einfach aus dem Weg? Hätte dies meine Tante nur gehört, aber diese sauste so schnell wie möglich den Flur entlang, weil ihr der Besuch beim Direktor einfach nur peinlich war. Wie schon so oft, hatte sie mich einfach wieder alleingelassen, während mich die Brut des Teufels wieder in Beschlag genommen hatte. Mit ihren Worten versuchte sie mir ein weiteres Mal Angst einzujagen, aber ich bin nicht so wie die anderen. Wie stellt sich diese Tussi das überhaupt vor? Soll ich etwa auf Knien zu dem Miststück kriechen, sie anbetteln und ihr dann auch noch die Schuhe lecken? Sozusagen: „Danke, dass du mich gewähren lässt in deinem Schatten zu leben.“ – Wirklich?! Nein, soweit kommt´s noch! Anstatt aber, dass meine Tante endlich mal aufhorcht und mitkriegt, was hier gespielt wird, war ihr das alles nur peinlich und ich war in ihren Augen wieder einmal schuld daran. Als wenn ich für sie nur das Problemkind wäre und sie setzte, kurz nachdem wir endlich wieder unter uns waren, noch einen oben drauf, indem sie mir die nächste Predigt vorhielt: „Das kommt davon, wenn man sich von jeden und allen distanziert. Ich habe dir doch gesagt, dass du mit deinem Dickkopf nicht so weitermachen kannst. Irgendwann bricht dir das noch das Genick.“ Hallo?! Wer hat sich hier von wem distanziert?! Wohl bestimmt nicht ich! Sie ist es doch, die mich mit meinen Problemen allein lässt. Anstatt, dass sie sich endlich einmal in mich hineinversetzt und für einen kurzen Augenblick mal versucht, mich zu verstehen, macht sie mir nur Vorwürfe. Das ist doch alles zum Kotzen! Wenn es einen Gott gibt, dann hol mich bitte aus diesem verdammten Scheißleben raus! Wenn sich nicht bald irgendetwas ändert, dann … dann … . Ach, ich weiß auch nicht. Vielleicht wäre es wohl doch besser, sich seinem Schicksal hinzugeben. Ich müsste mir mal endlich nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen. Denn ich wäre dann so wie die anderen, einfach ein Mitläufer und da muss man nicht denken. Man muss einfach nur das nachplappern, was von oben gesagt wird. Das ist alles. Nur, nein, dass bin einfach nicht ich und ich will auch niemand anderer sein. Ich will mich einfach zu nichts zwingen lassen, der ich einfach nicht bin! Wer bin ich dann, wenn ich mich der „Macht“ und den Worten der Gesellschaft hingebe? Was wird aus mir, sollte ich tatsächlich kleinbeigeben und Lucinda quasi die Stiefel abschlecken? Nein, diesen Blödsinn kann und werde ich nicht mitmachen! Ich bin keine Puppe, die man so anziehen und anschmieren kann, wie es einem so passt. Ich bin keine Marionette, bei der man einfach an den Fänden ziehen kann, wie es einem beliebt! Ich gehöre niemandem und am wenigsten Lucinda. Auch wenn sie das vermutlich immer noch glaubt. Das lasse ich nun mal nicht zu! Ich will ich sein und mir treu bleiben. Wem das nicht passt, der kann mich mal kreuzweise und sollte mir besser aus dem Weg gehen. Viel lieber bin ich allein, als dass ich mich dem Gruppenzwang hingebe und wenn es noch weitere Jahre andauern soll, ich werde es durchziehen! Langsam schlurfe ich durch die Straßen. So wie an anderen Tagen zuvor bin ich auch heute wieder einmal alleine unterwegs, um meinen Kopf freizubekommen. Das Leben kann manchmal echt grausam sein und hätte dieses ein Gesicht, so würde es mal ein ordentliches Veilchen von mir bekommen. Vielleicht würde es dann mal zur Besinnung kommen und an der Sache endlich mal etwas ändern, aber was rede ich da? Selbst wenn es so wäre, würde sich vermutlich nicht viel daran ändern. Meine Hände in die Hosentaschen gesteckt, blicke ich die ganze Zeit stur in eine Richtung, während ich in meine Gedanken versunken bin. Da heute wieder einmal so ein mieser Tag war, was fast eh schon zur „Normalität“ gehört, habe ich mich nach der Schule einfach in die nächste U-Bahn gesetzt und bin losgefahren. Ich wollte einfach nicht nach Hause, ich wollte nach dem Scheiß einfach meine Ruhe haben. Jetzt schlendere ich während der Dämmerung auf dem Gehsteig, welcher mit vielen Geschäften zugepflastert ist. Da ich aber so sehr nachgrüble, nehme ich meine Umgebung nur sehr vage wahr, weswegen ich erschrocken aufblicke, als plötzlich ein Mann mich beinahe niederstößt. „Hey, können Sie nicht aufpassen!“, schreie ich ihm hinterher, doch er dreht sich nicht einmal für eine Sekunde um, sondern rennt einfach weiter. Vermutlich hat mich dieser Kerl nicht einmal gehört, so eilig, wie der es hatte. Was mit dem wohl los ist? Der hat sie wohl nicht mehr alle beisammen, Idiot! Ich will schon schnaufend weitergehen, als ich schon den Grund für den plötzlichen Zusammenprall mitbekomme. Aus dem großen Kaufhaus, der nicht weit von mir entfernt liegt, kommt Rauch heraus und damit bleibt es nicht. Plötzlich höre ich laute Geräusche. Das Klirren von Glas und das Abfeuern von Schusswaffen lassen mich in binnen von Sekunden aufschrecken. Was geht hier auf einmal vor?! Meine Augen weiten sich und immer mehr Menschen verlassen hastig und mit voller Angst das Gebäude, aus dem der Rauch noch immer wie aus einer Dampflokomotive qualmt. Hustend kämpft sich die Menge voran und es ist nicht verwunderlich, dass ich auch diesmal herumgeschubst werde. Von allen Seiten bekomme ich es zu spüren und es ist schon erstaunlich, dass ich nicht schon endgültig zu Boden gestoßen und dann auch noch niedergetrampelt werde. Es ist ein schier endloser Kampf, bis ich mich doch aus dem Haufen befreien kann. Doch dann bleibe ich wie angewurzelt stehen und starre wieder in die Richtung, aus der diese „Völkerwanderung“ gekommen war, während ich heilüberfordert mit dieser Situation kämpfe. Mein Puls rast und unzählige Frage strömen mir durch den Schädel. Warum renne ich nicht auch weg und wieso bleibe ich immer noch wie angewurzelt an derselben Stelle stehen? Die Gefahrenquelle ist immerhin nicht weit weg von mir. Ich habe echt keine Ahnung. Wie an dem Beton festgewachsen, bin ich starr vor Schreck und starre nun auf das Feuer, was sich immer mehr zwischen den Qualm hervordrängt und sogar größer wird. Um mich herum wird es immer lauter. Sirenen heulen von Weitem und von Inneren des Gebäudes höre ich Schreie und Kampfgeräusche. Mein Hirn befiehlt mir ständig: Lauf verdammt noch mal endlich weg! Jedoch rühren sich meine Beine kein Stück. Es ist, als könnte ich mein Körper nicht mehr kontrollieren! Erst als ein Mann durch das kaputte Fenster geschleudert wird, machen meine Füße endlich, was ich will. Mit einem Satz sprinte ich vor Schreck los. Ich will einfach nur weg von hier. Ich renne aber nicht einfach zurück, woher ich gekommen war, sondern stürme quer über die Straße. Hupend und mit viel Geschimpfe weichen die einzelnen Fahrzeuge mir aus, aber ich achte nicht darauf. Ich höre sie nicht einmal wirklich, da mich zu sehr die Angst gepackt hat. Vielmehr nehme ich nur dumpfe Geräusche wahr und an der Front steht quasi mein Herz, welches nicht aufhören will, wie wild zu pochen. Immer weiter drängt es mich nach vorn. Doch plötzlich stolpere ich über meine eigenen Füße und knalle unsanft auf dem Asphalt. Ich versuche mich wieder aufzurappeln, aber was ist mit mir nur los?! Meine Beine sind vor Angst wie gelähmt. Ich komme kein Stück voran und meine Kraft ist wie erloschen! Als würden meine Füße nur noch aus Gummi bestehen. Mein Gesicht wendet sich zur Seite, denn das nächste Fahrzeug ist gerade dabei auf mich zu zurasen. Mit wilden Gehupe versucht mich der Lenker des Lkws darauf aufmerksam zu machen, dass er jetzt nicht einfach so bremsen kann. Doch ich kann mich nicht vor der Stelle lösen. Ich habe Angst, bin darin gefangen und sehe schon das Ende meines erbärmlichen Lebens in Form dieses Trucks immer näherkommen. Das Quietschen von Rändern, mein Herz, alles wird immer lauter und in wenigen Sekunden werde ich zermalmt werden. Auch wenn das nichts bringt, presse ich die Augen fest zusammen und versuche mich mit meinem rechten Arm zu schützen. Ich schreie. Ich schreie, was meine Stimmbänder nur so hergeben können und warte darauf, dass es endlich passiert. Doch auf einmal werde ich mit einem Ruck von der Straße geholt. Zwei mächtige Arme haben mich gepackt und mich noch rechtzeitig weggezerrt, bevor mich der Lkw überfahren konnte. Quietschend höre ich, wie dieser an mir vorbeirast. Doch ich sehe nichts. Meine Augen sind fest verschlossen und ich habe zu große Angst diese wieder zu öffnen. Ich spüre nur, wie ich mit schnellen Bewegungen weggetragen werde. Mein Kopf ist gegen die Brust meines Retters gedrückt und mein Haar wirbelt wild in der Luft. Mein Herz rast. Es pocht so laut, sodass es zerspringen könnte und ich zittere am ganzen Körper. Es hört erst dann allmählich auf, als ich endlich mitbekomme, dass es bereits vorbei ist und ich meine Augen endlichen wieder öffnen kann. Verwirrt und noch immer ängstlich, sitze ich mitten auf dem Gehweg und kann nicht glauben, was da gerade passiert ist. Ich höre immer noch, wie mein Herz ungewöhnlich schnell schlägt und meine einzelnen Glieder beben immer noch vor Angst. Was war da auf einmal los? Wieso konnte ich mich auf einmal nicht bewegen und wer war der Mann, der mich gerettet hat? Ich bin mir sicher, dass das ein Mann war. Denn ich spürte trotz meiner Angst seine starken Muskeln. Ich versuche mich zu beruhigen. Jedoch ist es leichter gesagt als getan. Es scheint mir sogar fast so, als wenn es unmöglich wäre. Denn die Angst nagt an meinem ganzen Körper und ich kann einfach nicht glauben, was da gerade passiert ist. Langsam und bewusst atme ich tief durch. Ich darf jetzt nicht einfach so ausflippen, ich muss runterkommen, egal wie. Wie viel Zeit wohl vergangen ist, vermag ich momentan nicht einschätzen zu können, aber mir fällt plötzlich auf, dass ich gerade vollkommen alleine bin. Wild blicke ich um mich. Wo ist er und wieso ist er wieder verschwunden? Ich kapiere einfach nicht, dass mein Retter einfach so weg ist. Ich verstehe nicht einmal, was da vorhin passiert war. Das plötzlich brennende Haus, die Schreie, der Lärm, nichts ergibt auch nur ansatzweise einen Sinn. Langsam, aber doch kann ich mich wieder beruhigen und meine Glieder wieder bewegen. Dennoch fühle ich mich steif, als ich mich vorsichtig wieder aufrapple und mich gegen eine Laterne anlehne. Den Blick zum brennenden Kaufhaus behalte ich weiterhin. Irgendwie wollen mir meine Fragen nicht aus dem Kopf und was ist mit meinem Retter passiert, der so plötzlich wieder verschwunden ist? So schnell der Unbekannte gekommen war, um mich zu retten, so schnell war er auch wieder fort. Wie geht das und noch viel wichtiger ist, wer war er? Ich horche auf. Die Sirenen werden immer lauter und schon tanzen sowohl die Feuerwehr, wie auch die Polizei und der Krankenwagen an. Ich sehe gerade, wie Männer und Frauen in ihren Uniformen herumlaufen. Wasserschläuche werden herausgeholt und die Flammen werden mühselig gelöscht, während die Straße abgesperrt und nach Verletzten gesucht wird. Ich will das nicht mehr sehen. Ich will einfach nur noch weg. Wenn nur meine Beine mitspielen würden. Sie fühlen sich so komisch an und dennoch kann ich nicht hierbleiben. Ich muss zumindest in die Gasse. Dort kann ich mich ein wenig ausruhen. Langsam und vorsichtig entferne ich mich schließlich vom Ort des Geschehens. Das ist doch alles zu viel für mich und ich spüre, dass ich nur wenig Kraft in meinen Beinen habe. Dennoch gehe ich wackelig in die nächste Gasse hinein und setze mich erst einige Meter später wieder auf dem Boden. Mein Herz meldet mir immer noch, dass noch keine Ruhe in mir herrscht und ich bin von dem allen immer noch geflasht. Ich muss das Ganze erst einmal sacken lassen. Somit versuche ich mich zu beruhigen und atme tief durch. Alles ist gut Bernadette, du bist jetzt in Sicherheit. Komm einfach runter und beruhige dich. Langsam, aber doch herrscht nun in mir Stille, bis ich plötzlich innehalte. Da ist doch jemand! Ich fühle es, aber als ich mich umblicke, kann ich niemandem sehen. Es ist total verrückt, aber das Gefühl bleibt. Hier in meiner Nähe muss jemand sein. Ich kann denjenigen zwar nicht sehen, aber ich bin mir sicher. Nur, was mache ich jetzt? Ich bin nicht gerade wirklich fähig dazu, irgendetwas zu machen, oder mich gar zu verteidigen. Ich fühle mich schwach und mein unruhiges Herz hat momentan immer noch die Oberhand. Eine gefühlte Ewigkeit vergeht und ich starre weiterhin stumm in den Schatten. Verschiedene Fragen kommen mir in den Sinn, welche die Situation nicht geraden einfacher machen. Denn wer ist die Person, die dort lauert? Ist das vielleicht einer der Täter, der für das Feuer verantwortlich ist, oder ist das einfach nur ein Obdachloser, der sich halt hier in der Nähe aufhält und vielleicht sogar irgendwo sturzbetrunken auf dem Boden liegt? Nein, das kann nicht sein. Solch ein Typ würde sich nicht bemühen, still zu sein. Denen ist doch sowas scheißegal, er wäre mir sogar vorher aufgefallen, aber wer könnte dann dort sein? Vielleicht bilde ich mir das alles auch nur ein, weil ich einfach mit der Situation noch überfordert bin. Dass ich Angst habe, ist nicht zu leugnen und vielleicht spielt mir der Verstand deshalb einen Streich, aber irgendwie will ich nicht daran glauben. Ich habe keine Ahnung, was jetzt wirklich der Fall ist, aber ich muss es herausfinden. Es bringt sich nichts, wie ein Idiot in die Gegend zu starren und außerdem macht mich diese Ungewissheit einfach nur Angst. Mit einem Ruck stehe ich schließlich auf und drehe mich genau in die Richtung, aus der ich den Fremden vermute. „Hallo? Ist da wer? … Kommen Sie raus! Sonst rufe ich die Polizei!“, rufe ich mutig in den Schatten hinein und hole währenddessen mein Handy aus der Hosentasche. Naja, eigentlich brauche ich ja nur schreien, denn die Polizei ist ja schon in der Nähe, aber das Herausziehen meines Handys gibt mir irgendwie ein bisschen Sicherheit. So dumm es auch klingen mag. Eine Weile hält noch die Stille an, doch dann höre ich eine tiefe Stimme, die ruhig zu mir spricht: „Ist alles in Ordnung bei dir? Bist du verletzt?“ Verwirrt über die Gegenfragen schüttle ich den Kopf und murmle leicht stotternd: „Ähm, … nein. Ich bin nicht verletzt. Mir geht es … soweit gut. … Glaube ich.“ Was sollen diese Fragen? Wer ist das? Ist das vielleicht derjenige, der mich vor dem Tod bewahrt hat? Könnte das wirklich mein Retter sein? Ich muss ihn das fragen, aber irgendwie hat mich doch wieder der Mut verlassen. Mein Mund scheint auch irgendwie zugeklebt zu sein. Ich zögere. Durch dass ich ihn nicht sehen kann, spuken gerade so viele Fragen und Gedanken durch meinen Schädel, wodurch mir immer unwohler wird. Es ist einfach diese bescheuerte Ungewissheit, die alles noch schlimmer macht. Eine Weile bleibe ich stumm stehen und auch der Unbekannte sagt kein Wort. Ständig starre ich in den Schatten, aber ich kann nicht einmal Umrisse erkennen und das macht mich umso ängstlicher. Es lässt einfach meine Fantasie verrücktspielen. Denn warum versteckt er sich? Hat er doch etwas mit dem Vorfall zu tun und versucht sich deswegen vor der Polizei zu verbergen? Nur warum hat er mich dann gerettet und warum sollte er jetzt mit mir reden und sich um mein Wohlbefinden sorgen, wenn er doch einfach abhauen könnte? Das ergibt doch alles keinen Sinn! Es sind so viele Fragen, aber keine Antworten in Sicht und die Angst macht es mir nicht leichter. Jedoch werde ich nichts erfahren, wenn ich noch weiterhin so starr wie Salzsäule stehen bleibe und wie eine Bekloppte in die Dunkelheit starre. Schließlich kann ich mich doch noch überwinden und frage ihn: „Wer sind Sie?“ „Ich bin einfach jemand, der auf andere aufpasst und vor dem Bösen beschützt.“, meint dieser dann nach einer langen Pause, wobei seine Worte so zögerlich geklungen haben. Als wenn er nicht mit mir reden dürfte. So kommt es mir vor. Seine Antwort bewirkt bei mir allerdings, dass sich mehr Fragen auftürmen und das zerreißt mich beinahe. Doch noch ehe ich weiter etwas sagen kann, meint er schließlich: „Sorry, aber ich muss jetzt los. Du solltest besser auch nach Hause. Vergiss am besten, was passiert ist. Das wäre besser für dich.“ Verwirrt über den überraschenden Abschied, verpasse ich es, ihm noch nachzurufen. Stattdessen höre ich plötzlich seltsame Geräusche. Es klang so, als wenn der Fremde gerade von Boden weggesprungen wäre und nun an der Hausmauer entlang klettern würde. Verwirrt schaue ich automatisch nach oben und glaube kurz einen Schatten gesehen zu haben, der im nächsten Augenblick wieder verschwunden ist. Noch eine Weile lasse ich meinen Blick dort gerichtet und wieder kommt mir die Frage: Wer ist er? Kapitel 3: Das "Wiedersehen" ---------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Wer er wohl war? Diese Frage beschäftigte mich noch lange und selbst in meinem Zimmer, wo ich mich nach einer guten Stunde Autofahrt endlich ins Bett werfen konnte, gingen mir die vergangenen Momente nicht mehr aus dem Kopf. Ich dachte ständig an ihn. Mein Retter, der nicht einmal für eine Sekunde ins Licht trat, damit ich ihn mit meinen eigenen Augen betrachten konnte. In der Dunkelheit verborgen, sah er mich vermutlich an und nach seinen Worten zu urteilen, war er scheinbar über meine Gesundheit besorgt. Nur will es mir einfach nicht in den Kopf, warum es so gekommen ist. Immerhin ließ er mich dann einfach inmitten der Gasse stehen, ohne auch nur eine weitere Erklärung von sich gegeben zu haben, geschweige sich mal zu zeigen. Auf der einen Seite rettete er mir das Leben und andererseits mied er jeglichen weiteren Kontakt. Ich verstehe das nichts. Zudem beschäftigen mich auch seine Worte. Er meinte, dass er auf andere aufpassen würde. Ist er denn sowas, wie ein selbsternannter Held, quasi „der einsame Rächer“, oder hat er gar einen Beruf, welcher genau in dieser Richtung geht? Das macht aber keinen Sinn. Denn wenn er sowas wie zum Beispiel ein Feuerwehrmann gewesen wäre, dann hätte er sich nicht im Schatten versteckt. Noch dazu gab er mir den Rat, alles, was heute geschehen war, zu vergessen. Wer würde schon sowas sagen, wenn dahinter nicht ein Geheimnis stecken würde und dann ist er auch noch so plötzlich verschwunden. Als wenn davor nichts passiert gewesen wäre und dabei glaube ich, jemandem an der Wand herumklettern gesehen zu haben. Das kann doch wohl kaum eine Einbildung gewesen sein? Ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Dafür war es einfach zu real. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich in ein seltsames Geheimnis hineingeraten bin, in der mir Logik vermutlich kein bisschen weiterhelfen wird. Ich stehe vor einem Haufen von Fragen und sie werden immer mehr anstatt weniger. Wenn ich doch nur eine Erklärung für das alles hätte. Doch je mehr ich darüber nachgrüble, desto verwirrter bin ich. Tante Tina konnte ich nach diesem Vorfall nicht um Rat fragen. Ich konnte ihr nicht einmal erzählen, was geschehen war, so sehr sie mich auf mit Fragen, wie: „Was ist passiert? Was hast du bloß hier gemacht?“, bombardiert hatte. Dafür war ich einfach zu sehr geflasht. Schließlich wäre ich beinahe angefahren worden, wäre ich nicht noch rechtzeitig von einer unbekannten Person von der Straße geholt worden. Wer wäre wohl nicht damit überfordert und in diesem Moment war ich das einfach, sodass ich kaum ein Wort aus mir herausbrachte. Abgesehen davon wollte ich ihr auch nichts erzählen. Sie hätte mir mit großer Wahrscheinlichkeit weder geglaubt, noch hätte sie mich auch nur ausreden lassen. Dafür hätte sie mich mit ihren „berühmten“ Predigten zugetextet und das wollte ich mir nicht auch noch antun. Mir hatte schon die Leier während der gesamten Autofahrt gereicht. Sie überschwemmte mich quasi damit. Wobei ich nicht wirklich darunter unterscheiden konnte, ob dies mehr aus Sorge geschah, oder weil sie selbst mit dem Nerven am Ende war, nachdem sie mich in der Nähe eines brennenden Gebäudes abgeholt hatte. Der Einsatz am Kaufhaus war noch lange nicht beendet, als sie eintraf. Es war schon mühselig für sie gewesen, endlich zu mir zustoßen und anschließend befürchtete sie vermutlich das Schlimmste. Vielleicht hatte sie sogar damit spekuliert, ob ich vielleicht etwas damit zu tun gehabt haben könnte. Zwar hat sie bis jetzt noch kein Wort darüber verloren, aber ich würde ihr diesen Gedanken nur allzu sehr zutrauen. Für sie bin ich ja nur das Problemkind. Schließlich zweifelt sie scheinbar an allem, was ich tue. Das ist besonders stark geworden, seitdem ich von meinen „Freunden“ in Stich gelassen worden war. Ich war plötzlich allein. Alles, was ich danach getan habe, um etwas daran zu ändern, scheiterte und das sah Tante Tina gar nicht gerne. Das schließt sogar meine täglichen Spaziergänge mit ein, die ich seit Monaten nach der Schule mache, damit ich einfach etwas Zeit für mich habe, ohne mich dabei für irgendetwas rechtfertigen zu müssen. Was meine Tante angeht, sie hat kein Verständnis dafür, dass ich das einfach brauche. Dadurch bekomme ich einfach etwas Abstand von meiner Umwelt und kann meinen Kopf wieder freibekommen. Ich würde sonst einfach explodieren und alles um mich herum kaputtschlagen, aber das versteht sie einfach nicht. Sowie sie auch diesen Vorfall nicht verstehen würde, egal wie ich ihr das auch erklären würde. Daher schwiegen wir während der restlichen Fahrt schließlich beide, als meine Tante endlich aufgab und mich in Ruhe ließ. Das galt seltsamer Weise auch, nachdem wir nach Hause gekehrt waren und ich sofort in mein Zimmer verschwand. Sie hielt mich nicht einmal auf und das war mir mehr als nur recht. Ich hatte einfach in diesem Moment keine Lust mit ihr zu diskutieren, egal worum es auch gehen mag. Dafür ging mir einfach viel zu viel durch den Kopf, mit dem ich zuerst einmal selbst damit fertigwerden musste und das tue ich jetzt immer noch. Es ist bereits Nacht geworden. Draußen ist es schon stockfinster, aber ich kann nicht schlafen. Es ist einfach zu viel geschehen und was heute passiert war, lässt mich einfach nicht los. Daher wälze ich mich im Bett hin und her. Im Grunde kann ich von Glück reden, dass es bereits Wochenende ist. Ich hätte die blonde Tussi mit ihrer Mobberei und ihren dämlichen Sprüchen jetzt nicht auch noch gebrauchen können. Somit kann ich mich ein wenig von diesem Schock erholen. Nur wird dies wohl noch eine Weile dauern. Zumindest befürchte ich das. Wenn ich so darüber nachdenke, kann ich vielmehr von Glück reden, dass ich überhaupt noch am Leben bin. Denn das war einfach zu knapp. Wäre ich nicht gerettet worden, wäre es um mich geschehen. Komm schon Bernadette, jetzt entspann dich endlich einmal! Sonst wirst du niemals Ruhe finden, geschweige mal endlich einschlafen! Seufzend schließe ich nach meiner eigenen Belehrung meine Augen und stelle mir den Moment vor, als ich mit dem Fremden alleine war. Ich versuche mich zu erinnern. Vielleicht konnte ich doch etwas erkennen und ich war in diesem Augenblick einfach noch zu aufgeregt. Doch so sehr ich mich auch anstrenge, ich sehe nur diesen Schatten und nichts weiter. Keine Umrisse, nichts, als wenn dort niemand gewesen wäre. Da ist nur Dunkelheit. Dafür rufe ich mir umso klarer seine Stimme in Erinnerung. Er sagte, dass er auf andere aufpasst und sie sogar vor dem Bösen beschützt. Wie hat er das gemeint? Ist er tatsächlich sowas wie „der einsame Rächer der Nacht“, so wie ich es zuerst vermutet habe? Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zum Schluss, dass er einfach kein „normaler Typ von nebenan“ ist. Das würde zumindest so manches besser erklären und so unwahrscheinlich wäre das nicht einmal. Hier in New York gibt es immer wieder Menschen, die aus verschiedensten Gründen auf eigener Faust handeln und sogar mal den „Racheengel“ spielen. Na hoffentlich bin ich keinen Verrückten über dem Weg gelaufen. Moment mal, es wurde doch mal in den Nachrichten über einen Typen namens Shredder gesprochen. Das ist noch nicht mal so lange her. Da hieß es doch, dass dieser Verbrecher von einen oder sogar von mehreren Unbekannten besiegt worden war. Der Footklan, welcher Shredder treu ergeben war, ist seitdem gespalten und man hat seit diesem Tag nichts mehr von ihnen, geschweige von diesem Shredder gehört. Das Einzige, was sich vermehrt hat, sind Straßengangster, die in manchen Bereichen von New York auflauern. Neu wäre das allerdings nichts und viel weiß man über sie nicht wirklich, außer dass sie sich die Purple Dragons nennen. Ich finde, das ist ein bescheuerter Name, aber das ist nur meine Meinung. Am besten ist es, wenn man mit solchen Leuten so wenig wie möglich zu tun hat. Nur, hat das Ganze vielleicht sogar etwas mit meinem Fall zu tun? Ist dieser Kerl dieser besagte Unbekannte und gibt es noch mehr von seiner Sorte? Noch lange habe ich in der Nacht darüber philosophiert und nachgegrübelt, aber irgendwann mal muss ich doch noch eingenickt sein. Denn als ich erwache, begrüßen mich bereits die ersten Sonnenstrahlen, die auf meiner Haut kitzeln. Gähnend und müde strecke ich meine Hände von mir. War alles nur ein Traum, oder habe ich das Ganze tatsächlich erlebt? Ich bin mir nicht mehr ganz sicher und mir brummt der Schädel. Das alles wirkte doch zu absurd, als wenn ich höchstpersönlich in einem Actionfilm mitgespielt hätte. Der Laden, das Feuer, die Rettung durch den Unbekannten - Bin ich vielleicht doch während eines Filmes eingeschlafen und habe das alles nur in meiner Fantasie eingebildet? Für die Verhältnisse wäre es nur logisch, denn warum konnte ich zwischendurch meine Beine nicht bewegen, so wie man das in einem Albtraum erlebt? Ok, ich hatte tierische Angst. Wer hätte es bei dieser Situation nicht? Ich weiß noch, dass ich nicht sofort weglaufen konnte, als ich es sollte und dennoch bin ich mir nicht sicher. Ich muss das überprüfen, bevor ich noch endgültig an meinem Verstand zweifle. Mit einem Schwung erhebe ich mich schließlich aus dem Bett und will schon in Richtung Tür sprinten. Als ich jedoch an mir heruntersehe, merke ich erst jetzt, dass ich mit meinen Klamotten vom Vortag eingeschlafen war. Anscheinend war ich so müde, dass ich nicht einmal dazu gekommen war, mich umzuziehen und jetzt habe ich auch keine Zeit dafür. Ich will einfach wissen, ob sich der vorherige Abend tatsächlich so abgespielt hat, so wie ich es mir gerade denke. War es nun echt oder nicht? Das ist hier die entscheidende Frage. Schon stürme ich aus meinen Zimmer und renne die Treppen hinunter, als ich jedoch schon erwartet werde. Mit einem strengen Blick sieht mich Tante Tina an und lässt mir keine Möglichkeit, an ihr vorbeizukommen. „Du hast mir einiges zu erklären junge Dame, oder glaubst du etwa, ich lasse dich ohne eine vernünftige Erklärung einfach so davonkommen? Gestern habe ich dich noch verschont, aber heute mache ich es dir nicht so leicht.“, meint sie streng und verschränkt dabei noch die Arme. Gott, kann sie mich nicht einmal in meinem Leben in Ruhe lassen? Ich verstehe es ja selbst noch nicht! Wie soll ich ihr das bitteschön erklären, ohne dass sie gleich darauf einen Anfall oder etwas Ähnliches bekommt? Noch dazu habe keinen Bock, von ihr für verrückt erklärt und ins nächste Krankenhaus gezerrt zu werden. Ich muss einfach selbst der Sache auf dem Grund gehen. Erst dann kann ich es ihr vielleicht verständlich machen. Vorher wird nichts daraus und das meine ich bitter ernst! „Ich erkläre es dir später, aber jetzt muss ich erst einmal los.“, erwidere ich, aber ich ernte nur ein erbostes „Du bleibst gefälligst hier!“. Keine Sekunde weicht meine Tante von ihrem Standpunkt, geschweige, dass sie mich vorbeilässt. Wütend über meine Sturheit bekomme ich schon die nächste Belehrung von ihr zu spüren: „So lange du unter meinem Dach lebst, wirst du mir gefällig das erzählen, was ich von dir hören will! So lange du das nicht tust, wirst du dieses Haus nicht eher verlassen!“ Das Ganze gleicht schon einer Schallplatte, die immer wieder aufs Neue im Grammophon aktiviert wird, aber hat sie tatsächlich vor, mich hier festzuhalten? Grummelnd schaue ich sie böse an. Wer glaubt sie eigentlich, wer sie ist? Sie ist nicht meine Mutter und auch wenn das ihr Haus ist, kann ich immer noch selbst entscheiden wann und wohin ich gehe! Ich bin schließlich sechzehn Jahre alt und kein Baby mehr! Ach, das hat doch keinen Sinn mit ihr! Sie wird mich nie verstehen! Da friert noch eher die Hölle zu! Mit einem lauten Knurren wende ich mich schließlich von ihr ab und stampfe wieder hinauf in mein Zimmer zurück. Dabei knalle ich Tür so laut hinter mir zu, sodass es vermutlich die gesamte Nachbarschaft gehört haben muss und ich verschließe sie. Natürlich ist meine Tante wie schnaubendes Nashorn hinter mir hergeeilt, aber sie ist zu spät gekommen. Die Tür ist zu und das bleibt sie auch. Polternd hämmert sie dagegen und schimpft: „Wir sind noch lange nicht fertig miteinander! Mach sofort die Tür auf, oder ich breche sie auf!“ Ich hingegen lache nur auf und verdrehe dabei die Augen. Soll sie nur machen. Mit ihren dürren Ärmchen kommt sie eh nicht weit. Ich warte mal besser, bis sie weg ist, dann wird sie schon sehen, dass ich dieses Haus verlasse. Somit hole ich mir meinen MP3-Player vom Nachtkästchen und stopfe mir die Kopfhörer in meine Ohren. Soll sie doch so lange brüllen, wie sie will. Ich kann warten. Zugegeben, ich musste zwei Stunden geduldig bleiben, bis sie sich endlich auf dem Weg machte. Müsste sie nicht heute wegen eines wichtigen Termins zur Arbeit fahren, hätte dies vermutlich noch länger gedauert und vielleicht hätte sie sogar vor meinem Zimmer campiert. Zuzutrauen wäre es ihr allemal, aber glücklicherweise kam es doch nicht so weit und ihr Genörgle machte endlich einmal Pause, was auch mal langsam an der Zeit war. Ich musste jedoch noch etwas warten. Nach einiger Zeit bekam ich von weitem das Brummen eines Autos mit. Erst da bin ich hellhörig geworden und habe die Musik abgestellt. Leise spähe ich nun aus dem Fenster und sehe, wie sich meine Tante murmelnd an ihr Auto zu schaffen macht und schließlich das Grundstück verlässt. Sicherheitshalber warte ich noch, bis sie in die nächste Gasse eingebogen ist. Erst dann kann ich etwas erleichtert aufatmen. Dieser Tag hat mal wieder so angefangen, wie es schon im Rest der Woche war, aber das wird mich ganz sicher nicht von meinem Vorhaben abhalten. Schon marschiere ich in Richtung Tür und sperre diese wieder auf. Schnell renne ich die Treppe hinunter und will schon die Haustür passieren, als ich jedoch dagegen knalle, obwohl ich die Türklinke nach unten gedrückt habe. Perplex stehe ich nun davor und kann es einfach nicht fassen. Sie hat mich doch tatsächlich eingesperrt! Ist sie jetzt völlig übergeschnappt?! Wofür hält sie mich? Für ein kleines Kind, oder was? Ruckartig drehe ich mich um und ich will schon in der Schüssel herumkramen, in der wir normalerweise immer unsere Schlüssel aufbewahren. Doch ich greife in die gähnende Leere. Mein Schlüsselbund ist einfach weg! Tante Tina hat mich nicht nur eingesperrt, sie hat auch noch meine Schlüssel konfisziert, damit ich ja nicht das Haus verlassen kann. Das ist doch zum Verrücktwerden! Sie hat sie doch nicht mehr alle! Wütend stampfe ich auf und schreie. Ich schmeiße sogar vor Wut die Modezeitschriften meiner Tante auf dem Boden, welche danebengelegen haben. Wie ich das alles hasse, aber so leicht lasse ich mich abspeisen! Sie wird schon sehen! Schnell renne ich im Haus herum und versuche ein Fenster nach dem anderen zu öffnen, aber jedes ist zu und egal was ich mache, es klappt nicht. Verdammt! Wieso muss sie ausgerechnet für das Erdgeschoss eine automatische Sicherung einbauen lassen. Ich habe keine Ahnung, wie die bedient wird und ich stecke hier fest! Meine Hände sind zu Fäusten geballt und am liebsten würde ich auf etwas einschlagen, oder noch etwas durch die Gegend schmeißen. Verdammter Mist! Wieso immer ich?! Grübelnd gehe ich wieder in mein Zimmer zurück und schmeiße die Tür hinter mich zu. Doch kaum habe ich den Schlüssel wieder umgedreht, was ich schon die ganze Woche automatisch Tagein Tagaus mache, fällt mein Blick auf das Fenster. Nicht alles hat Tante Tina verkabeln lassen. Mein Gesicht verändert sich schließlich zu einem breiten Grinsen. Denn ich habe eine Idee. Schon stürme ich auf das Fensterbrett zu und öffne das Fenster. Zum Glück bin ich im ersten Stock und an der Mauer ist eine Regenrinne. An dieser kann ich herunterklettern. Zumindest wäre dies vorerst der Plan und ich hoffe, dass das auch klappt. Ich will mir schließlich nicht den Hals brechen. Hoffentlich funktioniert es so, wie ich es mir denke. In den Filmen hat es schließlich auch immer geklappt und selbst einer meiner ehemaligen Freunde hat sowas ausprobiert, ohne, dass er auf die Schnauze gefallen war. Prüfend rüttle ich stark gegen die Regenrinne und kann aufatmen. Sie wäre stark genug und würde mein Gewicht tragen. Auch wenn ich nicht schwer bin, kann es dennoch schiefgehen. Dafür wäre nur eine Schwachstelle nötig, aber das glaube ich nicht. Zumindest will ich nicht einmal daran denken. Also Daumen drücken und ab durch die Mitte. Bevor ich jedoch gehe, schnappe ich mir noch meine Tasche mit meiner Geldbörse und meinen Zimmerschlüssel. Man weiß ja nie, ob ich einfach so wieder raufklettern kann und dann würde ich dumm vor meiner geschlossenen Zimmertür stehen. Das wäre dann nicht gerade sehr sinnvoll. Kaum habe ich alles bei mir, beginnt schon die etwas waghalsige Kletteraktion. Ein bisschen ist mir schon mulmig zu Mute. Denn so gut bin ich im Klettern nicht, aber ich lasse mich nicht einfach von etwas aufhalten, geschweige einsperren. Ich will endlich herausfinden, was gestern wirklich vorgefallen war und dafür muss ich einfach noch einmal an jenen Ort zurückkehren, an dem es stattgefunden hat. Wenn ich einfach nur zuhause bleibe und still in meinem Kämmerchen herumgrüble, werde ich auch nicht schlauer. Im Gegenteil, ich würde mich selbst nur verrückt machen. So nehme ich all meinen Mut zusammen und klettere aus dem Fenster. Erst mit der rechten und dann mit der linken Hand umklammere ich die Röhre und rutsche schließlich Stück für Stück hinunter. Ein wenig kracht es sogar, aber ich darf jetzt nicht einfach anhalten. Ich kann nur noch nach unten und wenn ich zurück nach oben klettere, wird es vielleicht noch mehr krachen. Ich muss einfach auf mein Glück hoffen und weitermachen. Die Kletteraktion hat sich allerdings gelohnt. Ich kann sicher auf meinen Füßen landen. Nur als ich nach oben blicke, muss ich feststellen, dass es keinen Weg mehr zurückgibt. Zumindest, was die Röhre betrifft. Diese sieht nun nicht mehr so „sicher“ aus, wie sie einst war, aber damit werde ich mich erst später genauer beschäftigen. Immerhin habe ich noch etwas Wichtiges vor und so mache mich auf dem Weg. Es dauert einige Zeit, bis ich endlich an mein Ziel ankomme. Es ist immerhin nicht leicht, ohne Auto von A nach B zu kommen und die öffentlichen Verkehrsmittel bringen einen auch nur mit Umwegen ans Ziel. Ein Taxi ist mir zu teuer und ich bin nun mal ein Teenager. Ich muss mit dem wenigen Taschengeld, welches mir meine Mutter monatlich schickt, gut zurechtkommen und daher sparsam damit umgehen. Umso erleichterter bin ich, als ich endlich jene Straße erblicke, an dem gestern dieses Chaos geschah. Jedoch hält sich meine Freude eher in Grenzen. Denn das, was am Vortag geschah, möchte ich niemandem zumuten, geschweige das noch einmal miterleben. Denn diese Angst werde ich auf keinen Fall jemals wieder vergessen und irgendwie spüre ich sie jetzt wieder. Heimlich, beinahe wie ein Dieb auf Beutesuche, hat sie sich in mir eingeschlichen und wird nun deutlich spürbarer. Auch wenn es diesmal nicht allzu schlimm ist, aber selbst der kleinste Teil davon reicht schon. Langsam nähere ich mich dem Kaufhaus, in der es letzten Abend gebrannt hat. Die schwarzen Spuren sind deutlich sichtbar und lassen schon erahnen, was hier passiert sein muss. Ich habe es also nicht geträumt. Das alles ist wirklich passiert. Im meinem geistigen Auge sehe ich die Flammen, sowie auch die Leute, die dieses Gebäude schreiend und in Panik verlassen hatten. Dass ich nicht niedergetrampelt wurde, ist schon ein Wunder, aber ich sollte mich nicht zu sehr darauf versteifen. Denn der Laden selbst interessiert mich nicht wirklich. Ich will einfach wissen, wer mich gestern gerettet hat und irgendwo muss sich doch ein Hinweis finden lassen. Er kann doch nicht einfach spurlos verschwunden sein. Schließlich drehe ich mich von der Absperrung weg, welche den gesamten Tatort umspannt, und wende meinen Blick in Richtung Straße. Gestern kam sie mir noch größer vor, aber vermutlich hat mir da die Angst nur einen Streich gespielt. Anders könnte ich es in Moment nicht erklären. Andererseits ist es vielleicht sogar besser so und genau genommen ist dieses Detail nicht einmal wichtig. Seufzend überquere ich schließlich die Straße. Den Blick genau auf mein Ziel gerichtet, steuere ich schnurstracks auf die Gasse zu. Je näher ich komme, desto mehr schleicht sich dieses beklemmende Gefühl in mir stärker ein. Meine Neugier und meine unzähligen Fragen halten mich aber auf Kurs, bis ich endlich ankomme. Wie auf Kopfdruck sehe ich in die Richtung, von wo aus ich mit dem Fremden gesprochen habe. Noch ist helllichter Tag und der Schatten ist nicht so groß wie gestern, da die Sonne beim letzten Mal bereits untergegangen war. Dennoch frage ich mich, warum er sich nicht einfach gezeigt hat. Es ergibt irgendwie keinen Sinn für mich, egal wie lange ich auch auf diese Stelle starre. Dass der Unbekannte nicht hier ist und sich auch nicht in der Nähe befindet, habe ich sehr bald feststellen müssen. Ob er wohl hier wieder zurückkehren wird, oder war dies alles nur ein „Zufall“? Irgendwie fühle ich mich hin- und hergerissen. Auf der einen Seite komme ich mir dumm und naiv vor. Wie ein Kind, welches als Möchtegerndetektiv einem Phantom hinterherjagt, das eigentlich gar existiert. Andererseits habe ich ständig das Gefühl, hierbleiben zu müssen, als wenn ich einfach nur mehr Geduld zeigen müsste, damit ich der Wahrheit ein Stück näherkomme. Unruhig kaue ich etwas an meiner Unterlippe und überlege mir, was ich jetzt am besten tun sollte. So einfach wieder nach Hause zu gehen, würde irgendwie keinen Sinn ergeben. Da hätte ich mir die lange Fahrt bis hierher auch sparen können, aber nur untätig rumzustehen scheint mir auch keine gute Option zu sein. Schließlich entscheide ich mich dafür, in der Nähe zu bleiben und zwischendurch an diesen Ort zurückzukehren. Vielleicht würde sich bis dahin etwas ergeben. Somit verbringe ich die Stunden damit, die Gegend zu erkunden, während ich von Zeit zu Zeit wieder in die Gasse gehe. Ich habe diesen sogar genau untersucht und mit dem Licht meines Handys durchleuchtet, doch ich habe nichts weiter als ein paar alte, verbeulte Dosen, eine Mülltonne, Dreck und sonstigen Schrott entdeckt. Das war nicht gerade sehr aufregend, oder gar hilfreich. Ich habe mir sogar die Wände genauer angesehen. Immerhin glaubte ich gestern, dass sich mein Retter übers Dach davongemacht hatte, aber so sicher bin ich mir nicht mehr. Da hätte er sich an den eingebrochenen Stellen, die nicht einmal nahe beieinanderliegen, an der Mauer hochangeln müssen und das schafft kein normaler Mensch, selbst wenn man ein hervorragender Kletterer ist. Wie lange ich noch hierbleiben sollte? Vermutlich wird es nicht mehr lange dauern, bis Tante Tina nach Hause kommt und mitbekommt, dass ich nicht mehr da bin. Das wird Ärger geben, aber damit muss ich Wohl oder Übel rechnen. Langsam merke ich, dass es schon dämmert. Die Sonne steht schon tief und die Schatten breiten sich schon überall aus. Das Licht macht nun der mehrenden Dunkelheit Platz und ich bin bis jetzt noch keinen Schritt weitergekommen. Bald wird man hier auch nichts mehr sehen können und dann werde ich es endgültig einsehen müssen, dass sich meine Aktion anscheinend überhaupt nichts gebracht hat und ich heute umsonst hierher zurückgekehrt bin. Ich seufze. Vermutlich war das wirklich eine bescheuerte Idee von mir. Ich hätte einfach nicht herkommen sollen, sowas Idiotisches. Ich will mich schon wieder auf dem Weg nach Hause machen und mich auf die bevorstehenden Konsequenzen meines „Ausfluges“ vorbereiten, als ich plötzlich ein Geräusch hinter mir wahrnehme. Blitzartig drehe ich mich um und starre wie am Tag zuvor in die Dunkelheit. „Hallo? Ist da wer?“, frage ich irritiert. Irgendwie wird mir wieder mulmig zu Mute und dass obwohl ich schon so dicht davorstehe, endlich alles zu erfahren. Zumindest hoffe ich das. Ungeduldig verharre ich auf meiner Position und lausche. Könnte es vielleicht mein Retter sein, ist er nun endlich aufgetaucht? Allmählich werde ich etwas unruhig, aber ich werde nicht enttäuscht. Ich bekomme endlich eine Reaktion. „Was machst du hier? Warum bist du wieder hierhergekommen?“, werde ich nun gefragt und ich horche auf. Ich erkenne diese Stimme. Es ist der Fremde, der mich gestern gerettet hat und mit dem ich noch kurz reden konnte. Wieder ist er im Schatten verborgen und ich kann nicht einmal die Umrisse erkennen. Dafür war in seine Stimme Sorge, oder wohl eher Verwirrung herauszuhören, doch ich kann nicht wirklich darauf reagieren. Irgendwie hat es mir die Sprache verschlagen. Ich weiß nicht warum, aber ich werde auf einmal nervös. Ich habe schon fast nicht mehr daran glauben können, dass ich ihn doch „wiedersehe“. Nur scheint jetzt nichts aus mir herauszuwollen. „Sag, was machst du hier? Du solltest nicht hier sein. Allein ist es zu gefährlich.“, fragt er mich nun ein zweites Mal und diesmal kann ich, wenn auch etwas holprig, darauf antworten: „Ich … ich kann mich ganz gut selbst verteidigen, danke, aber … ich bin ich eigentlich hier, weil ich mich bedanken wollte. … Immerhin haben Sie mir das Leben gerettet.“ Wieder herrscht kurz Stille. Anscheinend hat er das wohl nicht erwartet, sonst hätte er wohl sofort darauf mir etwas entgegen müssen und bei mir hat das nur bewirkt, dass sich neben meiner Unsicherheit nun die Neugier breitgemacht hat. Jetzt wäre es echt interessant in sein Gesicht blicken zu können. Vermutlich sieht er mich gerade verdutzt an. Doch leider kann ich dies nur erahnen. Immerhin habe ich ihn noch nie gesehen. Doch kaum, dass ich das gedacht habe, lacht er kurz auf und meint: „Bitte sag nicht „Sie“, da komme ich mir so alt vor und das bin ich mit Sicherheit nicht.“ „Na gut, wie heißt du? Wohnst du etwa hier?“, frage ich ihn dann lächelnd und etwas mutiger weiter. Meine Neugier wird stärker. Sie drängt mich förmlich, diesem „Geheimnis“ weiter auf dem Grund zu gehen. Er jedoch antwortet nicht sofort. Er schweigt wieder. Habe ich jetzt etwas Falsches gesagt? Durch dass er sich wieder im Schatten aufhält, kann ich das einfach nicht einschätzen und warum versteckt er sich überhaupt? „Nein, ich wohne woanders, aber ich war zufällig in der Nähe.“, antwortet er schließlich doch. Das wäre wohl heute der zweite „Zufall“ und das kann ich beim besten Willen nicht vorstellen. Vielmehr passt es nicht zusammen und ich hoffe, dass ich auf meine Fragen Antworten erhalte. Langsam gehe ich nun einige Schritte in die Richtung, aus der seine Stimme kommt. Doch ich habe kaum ein kleines Stück geschafft, schon stoppt er mich hysterisch und ich bleibe abrupt stehen: „Geh nicht weiter!“ „Warum versteckst du dich?“, frage ich ihn nun direkt. Auch wenn er mich gerettet hat, ich verstehe sein merkwürdiges Verhalten nicht. Er wiederum äußert sich nur: „Das ist … etwas kompliziert.“ Ich merke, dass ihm das unangenehm ist und ich kenne dieses beschissene Gefühl, weswegen ich nicht weitergehe, aber so leicht mache ich es ihm allerdings auch wieder nicht. „Sagst du mir zumindest deinen Namen, wenn ich dich schon nicht ansehen darf? Ich bin übrigens Bernadette.“, hake ich nach. Irgendwie ist das schon seltsam. Das unangenehme Gefühl, von vorhin ist schon beinahe verschwunden. Meine Neugier hat sie gekonnt zurückgedrängt und es fühlt sich schon fast so an, als könnte ich ihn vertrauen, oder ich bin einfach nur naiv. „Raphael.“, murmelt er schließlich und ich lächle. Ein schöner Name und irgendwie passt er zu dieser Stimme. Am liebsten würde ich ihn gerne kennenlernen, aber wenn er nicht aus dem Schatten kommt, dann wird das wohl eher schwierig werden. Dennoch will sich meine Neugier einfach nicht damit zufriedengeben und ich will ihn schon weiter ausfragen, als plötzlich mein Handy in der Tasche wie verrückt klingelt. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Musst das ausgerechnet jetzt sein?! Genervt ziehe ich das vibrierende Ding aus der Tasche. Wie befürchtet, ruft mich gerade Tante Tina an und ich ahne jetzt schon, dass der Ärger nicht länger auf sich warten lässt. Seufzend gehe schließlich ran. Von der anderen Seite höre ich die hysterische Frau hineinschreien, die mein Verschwinden schon mitbekommen hat: „Was hast du dir dabei nur gedacht?! Dich einfach aus dem Haus zu schleichen und dann noch über einen solch gefährlichen Weg! Ich …“ Noch mehr Vorwürfe und Belehrungen posaunen aus dem Gerät heraus und dabei hatte ich noch gehofft, das Ganze würde vielleicht unbemerkt bleiben. Nun wurde ich eines Besseren belehrt und nach einer Weile ihres Gezeters lege einfach auf. Auch wenn das nicht gerade die beste Idee war, aber mir reicht´s. Dass meine Ohren nicht schon geflohen sind, ist schon mal ein Wunder. Wie sehr ich ihre Engstirnigkeit hasse! Raphael dagegen amüsiert sich über meine beschissene Situation. Ich höre ihn leise und unterdrückt lachen und vermutlich war mein genervter Gesichtsausdruck der Auslöser dafür. Mich jedoch erheitert dies keineswegs und ich werde sauer: „Was gibt es da zu lachen?“ „Wohl Ärger mit der Familie, was?“, fragt er immer noch kichernd. Der hat doch keine Ahnung, aber ich bejahe es. „Du solltest besser nach Hause, bevor noch endgültig ein „Krieg“ ausbricht.“, meint er schelmisch, aber das wird wohl noch eine Weile dauern. „Wäre jetzt echt nicht schlecht, beamen zu können. Sonst lande ich wirklich noch vors Kriegsgericht. Du kannst das nicht zufällig, oder?“, entgegne ich ihm sarkastisch, aber seine Reaktion darauf überrascht mich. Viel mehr hätte ich mit einer überraschten, oder vielleicht sogar mit einer sarkastischen Antwort gerechnet. Jedoch bietet er mir seine Hilfe an: „Wenn du willst, bring ich dich heim. Ich kenne so manche Abkürzungen. Du musst mir nur sagen, wo du wohnst.“ Ist das jetzt sein Ernst? Ich kenne ihn doch gar nicht. Wie kann ich da einfach so mein Wohnsitz ausplaudern? Aber wenn … ich weiß nicht. Ob ich das wirklich tun soll? Andererseits hätte er mir die ganze Zeit schon etwas antun können. Gerade weil wir uns beide in einer dunklen Gasse befinden, höre ich schon die Alarmglocken in mir wie wild läuten. So ganz wohl fühle ich mich der Sache nicht, aber irgendwie siegen sowohl meine Neugier, als auch die Tatsache, dass ich so schnell wie möglich nach Hause muss. Auch wenn ich gerade so gar keinen Bedarf danach habe, aber mir bleibt es ohnehin nicht erspart. Somit nehme ich Raphaels Angebot schließlich an und hoffe einfach, dass er mit seinem Auto eine schnelle Route findet. Jedoch wird es seltsam. Er bittet mich, die Augen zu schließen und erst wieder zu öffnen, wenn wir bei mir Zuhause sind. Zuerst will ich es nicht und ich frage ihn auch, was das soll, aber dann gibt er mir die Erklärung dafür: „Glaub mir, du würdest dich erschrecken, wenn du mich sehen würdest. Ich bin nicht gerade Erscheinung für jedermanns Geschmack. … Ich würde es nicht so sagen, wenn ich es nicht ernst meinen würde.“ Er klingt ehrlich und seine Worte machen auch irgendwie Sinn. Mir schießen sogar mögliche Bilder durch den Kopf, wie Raphael aussehen könnte. Ich stelle mir gerade einen Typen vor, der zum Beispiel von einem Brand total vernarbt ist. Es gibt solche Menschen und die schämen sich einfach dafür. Er könnte aber auch eine Missbildung haben, für die es tausende Gründe geben könnte. Da ist es nur allzu verständlich, wenn man sich deswegen wie ein „Monster“ fühlt. Also habe ich mich zögernd darauf eingelassen: „Also gut.“ Kaum habe ich meine Augen geschlossen und ihn meine Adresse genannt, spüre ich schon, wie er mich behutsam hochnimmt und ich nun wie eine Braut in seinen Armen liege. Es ist ein seltsames Gefühl und ich vertraue jemandem, den ich noch nicht einmal gesehen habe. Wie bescheuert muss man eigentlich sein, aber dafür ist es nun zu spät und dies ist nicht das Einzige, was mich in Moment etwas irritiert. Er springt mit mir plötzlich von Boden ab und scheint an irgendetwas zu klettern. Angelt er sich tatsächlich mit einer Hand die Wand hoch?! Wie geht das?! Scheinbar unzählige Szenarien spielen sich gerade in meinen Kopf ab und ängstlich klammere ich mich an Raphael fest. Er wiederum klettert belustigt weiter, bis wir auf dem Dach ankommen. Zumindest glaube ich das. Es ist nun mal schwierig zu wissen, wo man ist und was gerade vor sich geht, wenn man die Augen geschlossen halten soll. Vertrauen in allen Ehren, aber lange halte ich das nicht durch und ich hätte mich auch nicht darauf einlassen sollen. Ich muss wissen, was da vor sich geht. Genau deswegen bin ich auch hierhergekommen. Tut mir leid Raphael, aber ich muss jetzt schauen. Bitte nimm mir das jetzt nicht übel. Dieser ist gerade dabei, über den Dächern zu rennen, als ich meine Augen öffne und in sein Gesicht blicke. Nur was ich da sehe, sprengt jede vorherige Vorstellung. Kapitel 4: Eine andere Art sich kennen zu lernen ------------------------------------------------ Aus Bernadettes Sicht: Ich weiß nicht, soll ich jetzt schreien, oder mir selber eine scheuern?! Was zum Henker geht hier vor?! Dass Raphael anders ist, als andere Jungs, war mir ja klar. So wie er zuvor ohne Wenn und Aber die schützende Dunkelheit nicht verlassen und panisch auf meine Schritte reagiert hat, habe ich mir schon einiges ausmalen können. Ich habe mir sogar verschiedene Möglichkeiten, wie mein Retter wohl aussehen könnte, zusammengereimt, nur damit mir seine Reaktionen verständlicher wird. Jedoch hätte ich nie im Leben damit gerechnet und ich muss völlig den Verstand verloren haben, denn ich zweifle gerade vollkommen an meinen Sinnen: Ich liege in den Armen einer seltsamen, riesengroßen Kreatur mit einer grünen Haut, welcher noch dazu ein rotes Kopftuch wie eine Maske über seinen Augen gebunden hat und darauf eine Sonnenbrille trägt. Glaubt der etwa, er wäre ein moderner Zorro, oder was?! Was rede ich da überhaupt?! Ich muss völlig verrückt geworden sein, mich auf eine solch dumme Idee einzulassen! Ich weiß gerade nicht, woran ich mehr zweifle: an meinen Verstand oder an meinen Augen. Vielleicht brauche ich jetzt schlicht und einfach eine Brille! Denn das, was ich gerade sehe, kann einfach nicht wahr sein. Sowas wie ihm gibt es einfach nicht! Das ist unmöglich! Wie zu Eis erstarrt, wird mein Körper ganz steif. Ich starre ihn einfach nur an und kann einfach nicht glauben, wer mich gerade in seinen Armen hält. Nie und nimmer hätte ich jemals mit so etwas gerechnet und im Moment habe ich nur das dringende Bedürfnis aus Leibeskräften zu schreien. Die Angst jedoch hindert mich daran und kein Ton kommt aus mir heraus. Stattdessen wünschte ich, ich wäre niemals in diese Gasse zurückgekehrt und hätte, so wie Raphael es mir gestern gesagt hatte, einfach alles vergessen. Doch nun ist es zu spät. Aus Raphaels Sicht: Seltsam, wieso wird sie auf einmal so steif? Was ist mit ihr, hat sie jetzt doch mehr Angst bekommen, als was ich zunächst gemerkt habe? Dabei kann ihr doch nichts passieren und sie muss nicht mehr lange die Augen geschlossen halten. Als ich allerdings zu Bernadette hinuntersehe, merke ich sofort, was Sache ist: Sie starrt mir gerade angsterfühlt ins Gesicht starrt. Verdammte Scheiße! Wieso hat sie die Augen aufgemacht?! Wieso hat sie nicht gewartet, bis ich sie nach Hause gebracht habe? Erschrocken bleibe ich abrupt stehen und spüre, wie sich Bernadette auf einmal aus meinem Griff befreien will. Wie ein hilfloses Tier im Netz, zittert sie in meinem Armen. Glaubt sie jetzt wirklich, ich tue ihr was an? Vorsichtig und wie ferngesteuert lasse ich sie hinunter und kaum, dass sie mit ihren Füßen Halt gefunden hat, weicht sie blitzartig von mir. Schritt für Schritt geht sie hastig zurück, wobei sie mich keine Sekunde aus den Augen lässt. Als müsste sie befürchten, dass im nächsten Augenblick etwas Schreckliches passieren könnte. Ich bin so ein Idiot! Ich hätte wissen müssen, dass ein Mensch niemals so lange durchalten würde und nun habe ich den Salat: Sie hat die Augen aufmacht und nun fürchtet sich vor mir. Na ganz „klasse“. Wie soll ich ihr jetzt nur klarmachen, dass ich ihr nichts tue? So ein verdammter Krötenmist! Aus Bernadettes Sicht: Was ist er? Ein Alien, ein Mutant? Auf keinen Fall ist er ein Mensch. Er hat einen Panzer, drei Finger an jeder Hand und sieht irgendwie einer riesigen Schildkröte ähnlich. Abgesehen davon, dass er wie ein Mensch auf zwei Beinen geht, spricht, menschliche Züge zeigt und eine seltsame Ausrüstung an seinem Leib trägt, ist er mit Sicherheit ca. zwei Meter groß. Vermutlich ist er noch größer. Kein Wunder also, dass er locker auf den Dächern herumspringen und an den Wänden herumklettern kann. Das dürfte wohl kaum eine große Herausforderung für ihn sein, geschweige mit oder ohne „Gepäck“. Wieso hat er mich jetzt überhaupt runtergelassen? Was will er nun von mir? Habe ich jetzt etwa seine „Pläne“, oder so durchkreuzt? Ich verstehe jetzt gar nichts mehr und noch mehr weiß ich nicht, was ich jetzt tun soll. Ach Gott, wie bescheuert kann man nur sein?! Ich bin nicht nur naiv gewesen und habe mich einen völlig Fremden anvertraut, vor mir steht eine riesige Kreatur, die, wer weiß was, mit mir anstellen könnte und ich habe mich auch noch bereitwillig auf diesem Scheiß eingelassen! Ich bin so ein Trottel! Langsam geht Raphael auf mich zu. Automatisch bewege ich mich im selben Tempo und das rückwärts. Ich habe Angst und er soll mir ja nur fernbleiben. „Jetzt komm runter und beruhige dich bitte. Ich tue dir nichts. Du kannst mir vertrauen, wirklich.“, versucht er mir nun klar zu machen, aber soll ich ihm das jetzt ernsthaft so einfach abkaufen?! Was erwartet er denn von mir?! Glaubt er wirklich, ich stelle meine Angst einfach so per Knopfdruck ab und tue so, als wenn hier alles normal wäre? „Klar, sicher doch“, es ist ja immerhin alles vollkommen „normal“, also brauche ich ja kein Drama zu machen. Hallo, vor mir steht eine riesige humanoide Schildkröte mit Waffen, die ich jetzt auch noch bemerke und da soll ich mich beruhigen?! Ich bin hier beim Ausflippen! Was wird hier überhaupt gespielt?! Ich meine, das glaubt mir doch niemand! Ich könnte genauso gut inmitten der Dreharbeiten eines neuen Actionfilmes hineingestolpert sein. So unglaubwürdig ist das hier. Ich warte nur darauf, dass jemand „Cut“ ruft und mir versichert, dass das alles tatsächlich nur eine Szene aus einem blöden Film ist, aber darauf warte ich scheinbar vergebens. Egal wie sehr ich auch noch darauf hoffen würde. „Ach Mann, jetzt stell dich bitte nicht so an. Ich reiße dir schon nicht den Kopf ab.“, murmelt er seufzend, aber seine „Methode“, mich zu beruhigen, schlägt bei mir allerdings fehl. Eines jedoch verwirrt mich umso mehr. Sein Gesicht wirkt dabei besorgt. Als wenn er es ernstmeinen würde, was er da gerade gefaselt hat und genau das will mir einfach nicht in den Schädel. Was ist er nun, ein Retter, ein Monster? Mein Hirn scheint schon zu explodieren, denn das kann doch nicht echt sein, oder? Abgesehen davon, dass meine Wahrnehmung für die Realität nun endgültig zu spinnen scheint, spielen meine Gefühle ebenfalls völlig verrückt. Auf der einen Seite hat er mich doch gerettet. Ich habe mich bei ihm für einen kurzen Zeitraum so sicher gefühlt, aber andererseits wirkt er jetzt irgendwie gefährlich auf mich und das liegt nicht nur daran, dass er ein grünes Monster ist. Auch seine gewaltige Größe, sowie seine Waffen, die ich an seinem Gürtel aufblitzen sehe, lassen mein Herz vor Angst schneller und heftiger schlagen. Ich habe sogar das Gefühl, als würde es sich aus mir herauskatapultieren wollen und dabei habe ich momentan nur einen Wunsch: Ich will verdammt noch mal weg von hier! Immer weiter weiche ich zurück, ohne ihn dabei aus dem Augen zu lassen. Ich traue ihm einfach nicht. Doch plötzlich geht es nicht weiter. Ich verliere den Halt und komme ins Straucheln. Der Weg hinter mir ist zu Ende und ich drohe rückwärts abzustürzen. Wild rudere ich mit den Armen, um mich doch wieder nach vorne zu drücken, aber ich kippe immer weiter rückwärts. Der Schwerpunkt wurde einfach zu sehr überschritten und ich drohe zu fallen. Doch selbst in diesem Moment bringe ich kaum einen Ton aus mir raus. Es ist, als würde etwas meine Kehle zuschnüren und mir nicht gestatten, aus Leibeskräften zu schreien. Würde ich nicht gerade dagegen ankämpfen zu fallen, würde ich mir selber eine scheuern, um endlich wieder aus diesem hirnrissigen Schock herauszukommen. Doch im Moment habe ich andere Sorgen und es geht alles so schnell, sodass ich nicht einmal normal denken kann. Doch plötzlich werde ich an der Hand gepackt und ich starre automatisch in die Richtung meines Retters. Raphael war noch rechtzeitig zu mir gestürmt und hätte er das nicht getan, so wäre es für mich zu spät gewesen und ich wäre mit Sicherheit in die Tiefe gestürzt. Schnell zieht er mich zu sich und ich spüre, wie er seine Arme um mich schlingt, während ich immer noch starr vor Angst bin. Hat er mich tatsächlich wieder gerettet?! Mir kommt das alles wieder so vor wie ein Traum. So, wie es bereits schon einmal der Fall gewesen war. Das kann doch jetzt nicht echt sein, oder?! Mit weit aufgerissenen Augen stehe ich einfach da und zittere wie Espenlaub. Ich kann es einfach nicht glauben und ich zweifle an meinem Verstand. Dennoch, es ist passiert. Ich wurde ein zweites Mal vor dem Tod bewahrt und zu verdanken habe ich es dieser riesigen, humanoiden Schildkröte, vor der ich eigentlich fliehen wollte. Ich hatte so große Angst vor ihm, doch ich weiß jetzt nicht mehr so genau, ob diese Angst überhaupt gerechtfertigt ist. Ich meine, was hat Raphael bisher getan, was die begründen würde? – Genau, nichts und dennoch kann ich dieses beschissene Gefühl nicht so einfach abstellen. Auch wenn mein Hirn mir gerade befielt, es zu tun. Ich habe gerade mit so vielem zu kämpfen: Da wäre mal als Erstes dieses Gefühlschaos, welches gerade achterbahnfährt und zudem noch ständig zwischen Angst, Erleichterung und Dankbarkeit schwankt und dann wäre noch etwas Anderes. Die unzähligen Fragen, die sich in meiner Birne immer weiter anhäufen und in die Höhe stapeln. Was zum Geier geht hier eigentlich ab?! Komm runter Bernadette, es ist alles gut, auch wenn es auf dem ersten Blick nicht so aussieht. Langsam und bewusst atme ich tief durch, während ich noch weiter gedanklich an diese Worte denke. Ich versuche das Ganze irgendwie zu verdauen und will mich auch beruhigen. Denn ich will es schlicht und einfach verstehen. Es fällt mir jedoch nicht leicht, so sehr ich es auch will. Stattdessen macht mich etwas Anderes stutzig. Leicht an Raphaels Brust gerückt, merke ich, dass sein Herz ebenfalls so schnell schlägt wie meines. Macht er sich gerade Sorgen um mich? Hat er ebenfalls Angst? Dabei kennt er mich doch nicht einmal und dennoch lassen seine schnelle Atmung, sowie sein erhöhter Puls dafürsprechen. Das ist doch echt verrückt! Irgendwie kann ich das kaum begreifen und doch ist es so. Nicht nur das, ich habe keine Ahnung warum, aber obwohl ich das Ganze überhaupt nicht verstehe, spüre ich doch, wie ich langsam ruhiger werde. Als wenn das Wissen darüber, dass sich jemand um mich sorgt, der Auslöser dafür wäre. Das ist doch krank. Eigentlich müsste ich schreiend davonrennen, aber ich tue es nicht und ich lasse es sogar zu, dass mich Raphael in seinen Armen hält. Ich wehre mich nicht einmal und ich will es sogar gar nicht. Irgendwie fühlt sich seine Umarmung gut an. Als wenn ich das schon seit langem gebraucht hätte. Noch dazu kommt mir plötzlich etwas in den Sinn, was einst mein Vater zu mir gesagt hatte, als jener noch lebte. Wie ein Gedankenblitz höre ich im Kopf seine vertraute Stimme. Aus Raphaels Sicht: Langsam löse ich mich wieder von ihr. Es ist ihr nichts passiert. Dabei hätte das jetzt mächtig schiefgehen können. Zum Glück konnte ich sie noch rechtzeitig festhalten, bevor sie in die Tiefe gestürzt wäre. Nur, was mache ich jetzt? Das eigentliche Problem ist immer noch nicht aus der Welt. Als ich mich nun einige Schritte von ihr entferne und in ihre graugrünen Augen schaue, merke ich, wie sie mich mit einem fragenden Blick ansieht. Sie ist überfordert und versteht mit Sicherheit nicht, was hier vor sich geht. Was eigentlich nur allzu sehr verständlich wäre, aber irgendwie habe ich den Eindruck, dass sie jetzt nicht mehr so viel Angst hat, wie vorhin. Ach Quatsch! Das bilde ich mir sicherlich nur ein. Vermutlich steht sie jetzt nur unter Schock und kann ihre eigentliche Angst nicht wirklich zeigen. Ich bin ein Mutant, da ist klar, dass sie sich vor mir fürchtet. Mein Aussehen erschreckt die Menschen und vermutlich wird es egal sein, wie oft meine Brüder und ich die Leute retten, wir werden für sie nichts weiter als schauerliche Monster sein. Wie soll ich ihr nur zeigen, dass ich zu den Guten gehöre? Wahrscheinlich wird alles, was ich sage, an ihr vorbeigehen. Sie wird mir garantiert nicht glauben. Eine Weile stehen wir einfach da und schauen uns gegenseitig an. Keiner von uns sagt etwas. Es herrscht eine unruhige Stille und jede einzelne Sekunde kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Dieses beschissene Gefühl zerreißt mich förmlich. So ein verdammter Mist! Kann sie denn nicht zumindest schreien? Keine Ahnung warum ich mir das jetzt gerade wünsche, aber das wäre mich jetzt tausendmal lieber als diese unerträgliche Stille. Sie hingegen bleibt einfach wie erstarrt. Doch dann verändert sich ihr Blick. Irgendwie sieht sich mich anders an. Was habe ich jetzt schon wieder gemacht? Eigentlich nichts und doch schaut sie mich so komisch an. Nun neigt sie sogar ihren Kopf leicht zur Seite und kommt überraschenderweise einige Schritte auf mich zu. Vorsichtig berührt sie mit ihrer rechten Hand meinen linken Arm. Irgendwie wirkt es auf mich, als wenn sie das alles nicht wirklich glauben kann, was sie vor sich sieht und nun versucht die Realität zu finden. Ich beobachte sie einfach stumm und weiterhin überrascht, wie sie mit ihren zarten Fingern über meine Haut gleitet und mich dann wieder direkt ansieht. Ich habe echt keine Ahnung, was da vor sich geht. Ich hätte eher damit gerechnet, dass sie jetzt schreiend davonrennt, um ihr Leben bettelt, oder irgendetwas dergleichen tut, aber dem ist nicht so. Sie schaut mich einfach an. Am liebsten würde ich jetzt selber etwas sagen, aber vermutlich würde ich sie somit nur noch einmal verschrecken. Vielleicht ergreift sie dann wirklich wieder aus Panik die Flucht und dann stürzt sie doch in die Tiefe. „Es … tut mir leid.“, stottert sie schließlich mit einer etwas leisen Stimme, was mich jetzt erst recht aus dem Konzept bringt. Es ist, als wäre ich gerade gegen eine Wand geknallt. Was hat sie da gerade gesagt?! Hat sie sich gerade bei mir entschuldigt?! Wofür?! Ihr Gesicht wirkt jetzt etwas beschämt und traurig zugleich. Kein Anzeichen mehr von Angst, aber warum? Ich checke das nicht! Überfordert und überrascht zugleich kann ich auf diese Entschuldigung zunächst nicht reagieren. Ich hätte mit vielem gerechnet, aber bei dieser Reaktion bleibt einem ja förmlich die Spucke weg. Denn das ist mir noch bei keinem Menschen untergekommen, egal ob sie meine Brüder und mich gesehen haben, oder nicht. Die Angst und die Panik waren immer vorhanden, egal wie wir es auch angestellt hatten und das obwohl es uns eigentlich nicht gestattet ist, überhaupt Kontakt zu den Menschen zu knüpfen. Tja, geht eigentlich schwer, wenn man der Oberwelt öfters den Arsch retten muss. Tatsache ist, dass es immer die Folge hatte, dass wir bisher immer gefürchtet wurden und manchmal war das auch gut zu. Wenn ich da an die Vollpfosten denke, die ab und zu an den Geschmack an meiner Faust kommen. Zwar war es auch diesmal, mehr oder weniger, der Fall, aber das hat sich zu meiner Überraschung schlagartig geändert. Nachdem ich endlich meine Stimme wiedergefunden habe, meine ich nur trocken: „Ist schon ok. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.“ „Ich weiß nicht. Irgendwie komme ich mir gerade total blöd vor. … Schließlich hast du mir zum zweiten Mal das Leben gerettet und wenn ich nicht gleich so in Panik geraten wäre, … wäre das nicht einmal notwendig gewesen. Anscheinend bin ich dafür geschaffen, ständig in Schwierigkeiten zu geraten.“, widerspricht Bernadette mir, während sie etwas wegsieht und dabei den Kopf schüttelt. Ihr Versuch dabei irgendwie zu lächeln, scheitert allerdings kläglich, während ich ebenfalls in dem Punkt versage, dass das alles irgendwie zu verstehen. Es will einfach nicht in meinen Schädel und wenn ich daran denke, was wohl meine Brüder davon halten würden, würde die mir das nicht einmal abkaufen. Leo würde mir wohl eher eine weitere Belehrung an den Kopf werfen, dass das ein totaler Mist ist, was ich hier verzapft habe. Vermutlich würde er sogar weitergehen. Mikey würde sich wohl her darüber schlappmachen. Für ihn wäre das wohl wie ein „Lottogewinn“, oder ein Platz in der ersten Reihe bei einer abgefahrenen Show und Donnie? Der würde zur hohen Wahrscheinlichkeit irgendetwas fachsimpeln, von dem ich eh keinen blassen Schimmer habe, oder sonst irgendetwas dergleichen tun. Was der oft von sich gibt, könnte man auch in einfache Worte verpacken, aber er liebt es nun mal, sein „Lexikonwissen“ an den Tag zu bringen. Ich dagegen stehe nun wie ein begossener Pudel da und starre wie ein Idiot durch die Gegend, als wenn ich nichts Besseres zu tun hätte und dann gibt es noch sie: Zuerst ist sie so ängstlich, dass sie beinahe in den sicheren Tod gestürzt wäre und dann entschuldigt sie sich auf einmal bei mir, als hätte sie einfach „nur“ etwas Falsches gesagt. Das scheint ja das „beste Rezept“ für eine totale Verwirrung zu sein. Noch dazu bin ich nicht der Einzige, der völlig von der Rolle ist. Auch wenn Bernadette versucht, einen klaren Kopf zu behalten, so wirklich kann auch sie die ganze Sache nicht verstehen. Auch wenn sie scheinbar „akzeptiert“ hat, dass ich kein Mensch bin, geschweige „normal“, wer weiß, was sie wirklich dazu denkt. Ich merke nur, dass sie etwas unsicher zur Seite blickt und ihre rechte Hand gegen ihren linken Arm reibt. „Ähm … tja, ich schätze mal, da das jetzt einmal „geklärt“ ist, … können wir uns wohl wieder auf dem Weg machen.“, versuche ich das Thema zu wechseln und will schon mein Vorhaben in die Tat umsetzen, als mir Bernadette jedoch erneut widerspricht: „Wenn es dich nicht stört, würde ich wohl noch gerne etwas von dir wissen.“ „Willst du nicht zuerst nach Hause? Es ist nicht mehr weit.“, hake ich nach, da sie doch nach diesem kurzen Telefonat so schnell wie möglich dort sein wollte. Bernadette hingegen schüttelt den Kopf und entgegnet mir achselzuckend: „Da würde ich so und so erst einmal ein Donnerwetter erwarten. Außerdem ist es jetzt eh schon egal, ob ich in ein paar Minuten früher zuhause bin, oder doch erst später. Es würde für meine Tante sowieso keinen Unterschied machen. Den Ärger kriege ich auch so.“ Wie sie meint, auch wenn ich noch nicht ganz begreife, was sie von mir hören will. Das ich kein Mensch bin, weiß sie bereits. Das brauche ich nicht an die große Glocke binden, aber wenn sie es so will, mir soll´s recht sein. Somit setzen wir uns beide zunächst hin. Das ganze Gestehe macht einem nur unruhig. Außerdem vermute ich, dass diese Sache wohl länger als ein paar Minuten dauern wird. Nur an mir soll´s nicht liegen, auch wenn ich noch immer nicht ganz checke, wozu das gut sein soll. Jedoch scheint ihre jede Menge Fragen zu brennen. Ob ich diese allerdings beantworten kann, sei mal dahingestellt, aber ich glaube kaum, dass ich eine andere Wahl habe, wenn ich nicht will, dass dieses Mädchen wieder Angst vor mir bekommt. Daher lasse ich mich darauf ein. Noch etwas vorsichtig kommen wir allerdings nach einer Weile langsam ins Gespräch. Irgendwie hätte ich das nicht erwartet. Was ich aber zu allererst einmal aufklären wollte, war die Tatsache, dass ich ein Mutant bin. Wenn mal ein Mensch tatsächlich mal entweder mich, oder einen meiner Brüder gesehen hat, so war oft die Rede davon, wir wären Aliens, oder sogar Dämonen. Was natürlich der größte Schwachsinn ist, den ich je gehört habe, aber die Fantasie scheint wohl keine Grenzen zu kennen. Daher war mir mal wichtig, diesen Punkt mal klarzustellen. Jedoch hatte ich währenddessen immer noch die Vermutung, dass Bernadette ihr Meinung vielleicht ändern könnte. Allerdings ist dies bis jetzt nicht der Fall gewesen. Noch dazu fällt mir hier auf, dass die Situation momentan irgendwie locker ist. Es ist, als wenn wir beide scheinbar das Schlimmste überstanden hätten, was total schräg ist. Je mehr wir miteinander reden, desto mehr fällt dieses drückende Gefühl von uns beiden ab. Zumindest scheint auch Bernadette lockerer zu werden und die Angst von vorhin ist wie verflogen. Als wenn sie nie existiert hätte. Stattdessen sprudeln nun die Fragen nur so aus ihr heraus, die sie scheinbar bereits gestern gequält haben. Für mich ist bereits klar gewesen, dass sie vieles nicht versteht und dementsprechend nachhakt. Wer trifft schon in seinem Leben auf einen Mutanten? Für die meisten Leute ist solch ein Ereignis nur ein Hirngespinst, was sich Autoren und Filmemacher ausdenken. Jedoch sind meine Familie und ich die lebenden Beweise und anders als in Filmen, versuchen wir die Bekanntschaft zu Menschen so gut wie möglich zu vermeiden. Ausnahmen sind natürlich April und dieser komische Kameramann, namens Vern, aber das ist etwas völlig anderes. Bernadette kann ich allerdings, glaube ich zumindest, ebenfalls in die Liste hinzufügen. Ich weiß auch nicht, aber sie strahlt etwas aus, was mich einfach daran glauben lässt. Die anderen werden das wohl nicht so sehen. Vermutlich wird diese Info, dass ich eine neue Bekanntschaft gemacht habe, wohl kaum bei ihnen gut ankommen. Daher werde ich wohl dieses Detail erst einmal verschweigen. Außerdem müssen sie ja nicht alles wissen, was ich tue. Auch wenn Leo mein Anführer und Meister Splinter unser Vater und strenger Lehrmeister ist, es geht sie nichts an. Schließlich kann ich für mich selbst entscheiden, was richtig ist und was nicht und bei ihr sehe ich einfach keine Gefahr. Auf dieses Gefühl vertraue ich einfach. Das Nächste, was ich dem Mädchen erzähle, ist, dass ich gemeinsam mit meinen Brüdern New York beschütze. Das, was ich gestern bereits zu ihr gesagt habe, habe ich ernst gemeint und ich versuche ihr so nochmals zu bestätigen, dass ich zu den Guten gehöre. „Ok, irgendwie klingt das für mich immer noch unglaublich, aber sag mal: Hattest du gestern etwas mit diesem Anschlag im Kaufhaus zu tun? Schließlich warst du bereits dort, oder zumindest in der Nähe. Irgendetwas muss dort geschehen sein.“, fragt sie mich anschließend und sieht mich dabei neugierig an. Anscheinend muss sie das sehr beschäftigen. Ob sie wohl in dieser Menschenmenge war, die wir gerettet haben? Ich hätte sie zwar nicht gesehen, aber andererseits würde sie nicht so detailliert fragen. Immerhin mussten meine Brüder und ich die Purple Dragons aufmischen, da hätte sie wohl etwas mehr mitkriegen müssen. Was da draußen war, war nur ein Bruchteil davon. Daher kann ich es mir nicht vorstellen. Somit starte ich einfach eine Kurzfassung: „Wie schon gesagt, meine drei Brüder und ich sind dafür da, um die Stadt etwas aufzumischen, wenn es notwendig ist. Das war auch letzte Nacht der Fall, als wir ein paar Möchtegern-Gangstern den Arsch versohlt haben. Manchmal brauchen Idioten, wie die es sind, eine Abreibung, damit die mal wieder klardenken können. Ich schätze aber, dass es bei denen von gestern sinnlos war.“ „Wie kommst du darauf?“, hakt Bernadette bei meiner letzten Bemerkung nach, aber wenn sie solche Schwachmaten kennen würde, würde sie das besser nachvollziehen können. Daher lache ich auf: „Na was wohl? Kaum hat man die einen erledigt, kommen schon die Nächsten. Sie lernen einfach nicht dazu. Solche geisteskranken Deppen sind nicht gerade die hellsten Kerzen auf der Torte. … Andererseits wird mir so auch nie langweilig.“ „Irgendwie kommt mir das bekannt vor.“, murmelt Bernadette vor sich hin, aber ich habe nur einen Teil davon verstanden. Als ich nachfrage, meint sie nur schnell: „Ach nichts, ich habe nur laut gedacht. Nur erzähl mal, was genau ist vorgefallen?“ Worüber sie wohl nachgedacht hat? Irgendwas scheint sie wohl zu beschäftigen, aber ich darf mich nicht allzu sehr einmischen. Ich habe eigentlich jetzt schon die Grenze überschritten und obwohl es mir vorhin vollkommen egal war, kommt mir nun wieder der Gedanke, was passieren würde, würden die anderen davon Wind bekommen. Vermutlich würde ich als Erstes eine Belehrung erhalten, dass ich keine Unschuldigen unnötig in Gefahr bringen soll. Andererseits bin ich da nicht allein schuld. Ich musste schließlich etwas tun, sonst wäre das Mädchen unter die Räder gekommen und das wortwörtlich. Dass Bernadette mich nun gesehen hat, war halt Pech. Ich muss einfach dafür sorgen, dass das unter uns bleibt und dass sie auf keinen Fall jemandem etwas von mir und meiner Familie erzählt. Es wäre wohl besser nicht zu viel von mir und den anderen preiszugeben, sonst komme ich wirklich noch ins Teufels Küche. So seufze ich und erzähle Bernadette nur kurz, dass ich mit meinen Brüdern einen Raub verhindert habe, wobei einer der Typen ein Feuer ausgelöst hat. Zum Teil stimmt das ja auch, aber das muss sie ja nicht wissen und die Kurzfassung reicht erst einmal. Ich glaube, für heute hat sie genug durchgemacht und mir geht es dabei nicht viel anders. Zum Glück ist sie mit meiner Aussage zufrieden. Zumindest fragt sie mich deswegen nicht weiter aus und ehrlich gesagt, bin ich sogar froh darüber. Allerdings bin ich nun selbst etwas neugierig geworden. Die ganze Zeit habe ich den großen Erzähler gespielt, nun könnte sie auch mal rausrücken, was sie eigentlich dazu bewegt hatte, diese Straße aufzusuchen. Wegen ihrer Adresse wundert es mich schon, dass sie sowohl gestern, als auch heute hier ist. Abgesehen davon, dass sie herausfinden wollte, wer ihr Retter war, warum streunte sie am Vortag dort herum? Als ich sie das dann frage, seufzt sie: „Ach, ich musste nur mal den Kopf freikriegen. Ich habe in letzter Zeit ein wenig Stress mit der High-School, sowie auch mit meiner Tante, aber Zweiteres hast du mit dem Telefonat auch selbst mitbekommen.“ Die Dame scheint ihr Wohl gehörig auf dem Wecker zu fallen und so wie das klingt, ist das nicht seit kurzem so. Irgendwie kenne ich das woher und so wie ich diese hysterische Nörgeltante beim Telefonat gehört habe, möchte ich mir nicht vorstellen, was Bernadette daheim erwartet. So wie sie herumgeschimpft hatte, war sie kaum zu überhören. Trotz allem gibt es etwas, was ich immer noch verwundert: Wir beide können jetzt so locker miteinander reden und die Tatsache, dass ich ein Mutant bin, scheint ihr vollkommen egal zu sein. Sie behandelt mich sogar, als wenn ich ein „normaler Mensch“ wäre. Wenn ich sie gestern nicht das erste Mal getroffen hätte, könnte ich sogar schwören, dass wir uns schon ewig kennen. Bei April war das damals etwas anders. Wenn ich sogar genau bin und an unsere Freundin denke, die bei unseren ersten Treffen nach einer Weile einfach ohnmächtig wurde, war das heute mit Bernadette schon beinahe leichter. Wenn wir mal von der Rettungssache absehen. Dennoch frage ich mich ständig, wieso sie jetzt keine Angst vor mir hat. Nicht, dass es mich stört, aber es ist doch merkwürdig und ich hätte nach der Aktion niemals damit gerechnet, dass wir beide jetzt auf einem Dach sitzen und uns „gemütlich“ unterhalten. Es nagt förmlich an mir und so konfrontiere ich sie damit: „Das mag vielleicht jetzt überflüssig sein, aber warum redest du mit mir? Dass ich nicht gerade wie der Typ von nebenan aussehe, ist dir sicherlich nicht entgangen. Hast du etwa keine Angst vor mir?“ Bernadette schaut mich kurz überrascht an, lächelt aber dann, als sie meint: „Weißt du, zuerst habe ich mich wirklich gefürchtet, weil ich so was wie dich noch nie in meinem Leben gesehen habe. Ich meine, Mutanten gibt´s „normalerweise“ nur in Geschichten, oder Filmen und wer weiß noch wo. … Aber irgendwie habe ich doch gecheckt, dass du mir nichts Böses willst … und nachdem ich mich wieder beruhigt habe, habe ich mich sogar an die Worte meines Vaters erinnert: Nicht das Aussehen macht einen Menschen aus, sondern seine Taten und sein Charakter.“ „Du weißt schon, dass ich aber kein Mensch bin, sondern ein Mutant?“, murmle ich fragend, aber sie meint nur: „Ob Mensch, oder Mutant, das ist egal. Viel wichtiger ist, was dabei rauskommt. Außerdem, warum sollte man das nicht über einen Mutanten genauso sagen können? Wenn man dabei bedenkt, dass du und deiner Brüder New York beschützt, sehe ich da kein Problem.“ Bei der letzten Aussage muss ich grinsen. Solch ein Kompliment habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört. Irgendwie ist sie schon komisch und doch hat sie etwas an sich, was ich sogar interessant finde. Ihre Sichtweise und wie sie mich behandelt, ist für mich praktisch unbeschreibbar. Merkwürdigerweise stelle ich auch fest, dass ich sie mag. Bernadette ist irgendwie anders, als jene Mädchen, welche ich bisher von weiten beobachtet habe und dabei habe ich schon viele gesehen. Von den üblichen Tussen, die nur an sich und ihr Aussehen denken, bis hin zu den Rockerbräuten waren so viele dabei. Nur keine scheint im Nachhinein mit Bernadette vergleichbar zu sein, aber vielleicht bilde ich mir das nur ein und an der Sache ist schlicht und einfach nichts dran. Eine Weile bleiben wir noch sitzen, bis ich sie dann nach Hause bringe. Schließlich kann Bernadette sich nicht ewig von der Tatsache drücken, dass sie demnächst Ärger bekommen wird. So wie ich ihre Tante am Handy gehört habe, wird ihr noch eine ordentliche Standpauke bevorstehen, aber da muss Bernadette jetzt durch und das ist ihr auch bewusst. Weder sträubt sie sich dagegen, noch sucht sie nach irgendeiner Ausrede. Sie schreitet sogar mutig in die Höhle des Löwen. Scheinbar hat sie das nicht zum ersten Mal durchgemacht, dennoch würde ich das keinem wünschen. Wie dem auch sei, sie lässt mich ohne irgendeinen Kommentar hochheben und ich laufe los. Geschickt springe ich über die einzelnen Dächer, bis ich nach kurzer Zeit endlich das Ziel erreicht habe. Der schnellste Weg ist immer noch von oben. Daran gibt es keinen Zweifel. Wenn man auf den Straßen über eine Stunde braucht, so ist es auf den Dächern vielleicht mal eine halbe Stunde. Wenn man nicht schon die einen oder anderen Abkürzung kennt, ist man manchmal sogar noch schneller. Der zweite hilfreiche Weg, ist durch die Kanalisation, aber das ist momentan nicht notwendig. Zwei Häuser vorher springe ich schließlich in die Gasse hinunter und lasse Bernadette dort vorsichtig herunter. Kaum, dass ich das getan habe, meint sie lächelnd: „Danke fürs Heimbringen und noch einmal Danke fürs Retten. Hoffentlich wird das für dich nicht zur Gewohnheit.“ „Lass mal, ich mach das ständig, als mach dir kein Kopf darum.“, entgegne ich ihr, wobei ich es dabei nicht lassen kann, ein wenig damit anzugeben. Andererseits gäbe ansonsten wenig Möglichkeiten, um dies zu tun und es ist ja nicht so, als wenn es nicht stimmen würde. Ich habe schon vielen Menschen den Arsch gerettet. Da ist es bei ihr nichts Neues. Doch dann kommt wieder ein Moment, in der Bernadette mich vollkommen überrascht. Sie sagt zum Abschied: „Das glaub ich dir, aber trotzdem muss es nicht sein. Ich bin nicht gerade gerne „die holde Maid“ aus den Märchen, die ständig gerettet werden muss. … Da würde ich dich lieber mal so treffen, ohne dass du wieder einschreiten musst.“ Grinsend winkt sie schließlich zum Abschied und verlässt ohne ein weiteres Wort die Gasse. Ich dagegen stehe nur verdattert da und starre ihr hinterher, bis ich mich blinzelnd und kopfschüttelnd wieder in die Realität zurückfinde. Ich spüre sogar, dass ich irgendwie nervös werde und dabei ist das doch schwachsinnig. Warum sollte ich auf einmal nervös werden? Es gibt ja keinen Grund dafür. Um nicht länger darüber nachdenken zu müssen, springe ich schon an der nächsten Wand hoch und klettere daran hinauf. Oben angekommen blicke ich um mich und entdecke sie schon. Von oben beobachte ich, wie sie gerade bei sich zu Hause klingelt. Die Tür öffnet sich und eine wutentbrannte Frau erscheint. Ohne zu zögern, packt sie das Mädchen sogleich an der Hand, zerrt Bernadette hinein und die Tür mit einem ordentlichen Knall zugeschmissen. Hoffentlich überlebt sie diesen „Anschlag“. Naja, so lange sie nicht in ein Hashi muss, so wie ich, wenn ich wieder einmal etwas ausgefressen habe, kann es ja nicht so schlimm werden. Apropos, ich sollte besser verschwinden, bevor mich noch jemand sieht. Das mich heute ein Mensch gesehen hat, reicht fürs Erste. Schließlich mache ich mich mit einem kurzen Seufzer auf dem Weg. Kapitel 5: Von jedem genervt ---------------------------- Aus Raphaels Sicht: Immer höher klettere ich hinauf, wobei ich mit meinen Händen so fest an der Mauer kralle, sodass diese zwischen meinen Fingern zum Bröckeln beginnt. In mir spüre ich keine Ruhe und ich mache solange weiter, bis ich dann das nächste Dach erreicht habe. Leicht keuchend stehe ich für einen Moment wie angewurzelt da und höre, wie mein Herz noch immer so schnell schlägt. Verdammt noch mal! Wann hört das jetzt endlich auf?! Seit sie sich von mir verabschiedet hat und diese Worte von ihr mein Hirn nicht mehr verlassen wollen, ist das schon so und ich kann es einfach nicht abstellen. Dabei bin ich schon einige Meilen von Bernadettes Zuhause entfernt und dennoch habe ich immer noch dieses Gefühl, als wenn sie noch neben mir stehen und mich anlächeln würde. Als würde sie im nächsten Augenblick etwas zu mir sagen. Das ist doch echt zum Verrücktwerden! Wieso will mir dieser Schwachsinn nicht aus dem Kopf?! Knurrend schlage ich schließlich auf ein paar Lüftungsrohre ein, die sich gerade zu meinen Füßen befinden. Die kommen mir gerade recht. Als würde der Teufel persönlich in mir wüten, schlage ich einfach darauf ein, bis diese nur noch verbeult sind und ich dann endlich zufrieden von ihnen ablasse. Das hat einfach gutgetan. Es gibt nichts Besseres als etwas zu zerstören, damit man sich besser fühlt. Ehe ich aber meinen Weg wieder fortsetze, lasse ich meine Gelenke knacken. Erst der Nacken und dann kommen schon meine Finger dran, bis ich mich schließlich wieder in Bewegung setzte. Über mir ist die Nacht pechschwarz und obwohl New York wieder einmal mit seinen Lichtern um die Wette kämpft, strahlen über mir kleine, weiße Sterne. Nur an manchen Stellen werden sie von den Wolken verdeckt, als würden sie selbst wie Ninjas in Aktion treten und dort im Schutz der Dunkelheit auf der Lauer sein. Irgendwie ein verrückter Gedanke, aber es bringt mich zum Schmunzeln. Vielleicht, weil daran etwas Ironisches ist. Die Sterne sind immer da, doch nicht immer von jeden sichtbar. Ich bleibe sogar wieder stehen und blicke zum Himmel empor, um diesen Gedanken noch einmal festzuhalten. Doch das ist nicht der einzige Grund dafür. Irgendwie genieße ich es, allein in die Ferne blicken zu können. Ob man es glaubt, oder nicht, es hat etwas Beruhigendes an sich und in Gegensatz zu den Lichtern hier unten, haben die dort oben keinen Stress. Jeder Einzelne von ihnen leuchtet einfach für sich, ohne dabei für wen anderen eine Konkurrenz zu sein. Als wäre es jedem von ihnen scheißegal, was der andere tut. Gerade will ich noch weiter in meine Gedanken abdriften, als plötzlich eine nervtötende Stimme hinter mir nach mir ruft: „Hey Raphi! Schön dich zu sehen Bro! Na, wie war bei dir die Patrouille?“ Genervt rolle ich mit den Augen. Kann ich denn für eine Nacht nicht alleine sein? Muss Mikey mir jetzt wirklich auf die Pelle rücken? „War nicht viel los.“, antworte ich trocken schließlich doch und das auch noch mit einem genervten Unterton. Dabei stimmt das nicht einmal und obwohl wir uns heute möglichst früh auf dem Weg gemacht haben, wünschte ich gerade, es wäre nicht so gewesen. Andernfalls hätte ich Bernadette nicht getroffen. Sie wäre vermutlich irgendwann mal alleine nach Hause zurückgekehrt und dann wäre es vollkommen anders gekommen. Nur kann ich Mikey das nicht erzählen und nichts sagen, würde mich nur umso verdächtiger machen. Ich kenne meinen Bruder. Die Nervensäge würde so oder so keine Ruhe geben, bis endlich etwas aus mir herauskommt. So neugierig, wie der nun mal ist, will er einfach alles wissen. Da sage ich lieber gleich was. Nur scheint Mikey mich in ein Gespräch verwickeln zu wollen, worauf ich momentan überhaupt keinen Bock habe. „Ach, bei dir auch? Bei mir war völlig tote Hose. Außer, dass ein paar Betrunkene die Straßen unsicher machen, gibt es kaum jemanden, der wirklich was angestellt hat. Vor eine Stunde wäre vielleicht was gewesen, aber ich habe dann gesehen, dass die Polizei mit denen schon zurechtkommt. Also …“ erzählt Mikey, ohne dabei eine Pause zu machen. Holt der irgendwann mal auch Luft? Er quasselt einfach wie ein Wasserfall weiter und er merkt nicht einmal, dass ich ihm so gut wie gar nicht zuhöre. Wäre er nicht so eine Nervensäge, hätte ich ihn komplett ausblenden können. Jedoch bohrt sich seine Stimme wie eine unerträgliche Gelse in meinem Schädel und es hilft nicht einmal, ihn irgendwie zu ignorieren. Noch dazu steht er mir leider zu nahe und selbst, wenn ich einfach abhauen würde, würde er mir einfach nur folgen. Abgesehen davon, dass wir beide uns ohnehin mit den anderen treffen müssen. Um das Ganze nun mal abzukürzen, unterbreche ich den Heini kurzerhand: „Willst du mich jetzt die ganze Nacht anschwafeln, oder kommst du endlich mal zum Ende?!“ „Heyhey! Wieso wieder so mies gelaunt? Was ist denn dir über die Leber gelaufen?“, fragt er mich dann leicht beleidigt und gleichzeitig verwirrt, aber ich antworte nicht darauf. Mir ist allerdings schon lange aufgefallen, dass er jedes Mal seine Hände schützend vor sich hält, wenn ich ihn kurz anschnauze. Wohl als Verteidigung, oder wie darf ich das verstehen? Ach egal! Das ist Mikey, er ist nun mal „etwas“ durchgeknallt. Was soll ich da also groß erwarten? Solange er mir nicht zu sehr auf die Pelle rückt, ist noch alles in Ordnung. Schließlich machen wir uns, nachdem das mal „geklärt“ ist, gemeinsam auf dem Weg und suchen die anderen beiden. Am liebsten wäre ich gerne noch länger alleine über die Dächer gesprungen und hätte noch etwas nachgegrübelt, aber es wurde beschlossen, dass wir uns zu einem bestimmten Zeitpunkt wiedertreffen und dann zusammen in die Kanalisation zurückkehren. Meine Brüder und ich haben noch nicht lange Meister Splinters „offizielle“ Erlaubnis bekommen, die Stadt vor dem Bösen zu beschützen und es wurde dafür die eine oder andere Regel aufgestellt. Anscheinend kann er sich noch immer nicht daran gewöhnen, dass wir langsam erwachsen werden und auf uns selber aufpassen können. Dabei hat er uns doch von klein auf trainiert und er weiß, was wir können und was nicht. Allein schon wegen der Sache mit Shredder sollte mehr herausspringen und damals hatte er sogar selbst zugegeben, dass wir schon so weit sind. So ganz will der alte Herr uns allerdings noch nicht von der Leine lassen. Ein wenig mehr Vertrauen wäre mal angesagt, doch wenn ich meine Meinung dazu sage, wird das schön ignoriert, oder es entsteht daraus eine Endlosdiskussion, die zu nichts führt. Zwar hätte ich meine Brüder zum Teil auf meiner Seite, aber die Loyalität Meister Splinter gegenüber geht nun mal vor. Manchmal nervt das Ganze, aber er ist unser Vater und was ich so von den Menschen mitbekommen habe, ist, dass das bei denen nicht viel anders ist. Bei den einen Familien kommt es sogar stärker rüber, was bei anderen weniger der Fall ist. Manchmal frage ich mich, ob gerade diese Eltern überhaupt wissen, was sie in einer Familie eigentlich tun sollten. Trotzdem, in unserem Fall ist es etwas Anderes! Wir sind schließlich Ninjas, fähige und starke Krieger und keine kleinen Kinder mehr, die sich nicht selbst beschützen können. Schließlich haben wir schon Einiges erlebt und vielen Idioten den Arsch versohlt. Nicht selten haben wir vier die eine oder andere „Show“ abgezogen und so schnell werden die uns garantiert nicht vergessen. Da lege ich meine Hand ins Feuer. Wegen Mikey bin ich mir allerdings manchmal nicht so sicher, ob unsere „geheimen“ Ninja-Aktionen, nicht doch einmal das Blatt wenden könnte, so wie der sich oft aufführt. Gut, keiner von uns kann wirklich von sich behaupten, dass mal nichts schiefläuft. Immerhin muss ja der Spaß nicht darunter leiden, wenn wir mal wieder gebraucht werden. Andernfalls ist Mickey, was die Unvorsichtigkeit angeht, der Spitzenreiter. Eigentlich wundert es mich, dass er bis jetzt noch nicht entdeckt wurde. Er ist zwar ein fähiger Ninja, aber meistens kann er seine vorlaute Klappe nicht halten und irgendwann wird ihm das mal das Genick brechen. Ich verdrehe bei diesem Gedanken meine Augen und knurre ein leichtes „Typisch Mikey“, weswegen ich gleich wieder den Blick meines Bruders mit der orangen Maske einkassiere. Na super! Toll gemacht Raphi! Jetzt kommt gleich wieder die nächste Ladung von seinem Geschwafel, auf die ich eigentlich keinen Bock habe. Drei, zwei, eins … „Hey, alles klar bei dir? Du bist heute irgendwie so komisch.“, fragt er mich schon, als wenn ich es nicht schon erwartet hätte. Ich murmle nur ein schnelles „Ja und beweg dich lieber.“, damit er mich wieder in Ruhe lässt und ich versuche jetzt einen Gang zu zulegen. Zu meinem Glück klappt das auch, weswegen Mikey erstmal damit beschäftigt ist, mir zu folgen und mit mir Schritt zu halten. Dabei grinse ich schelmisch über meinen kleinen Sieg. Anscheinend hat er das wohl gebraucht. Nach einiger Zeit erreichen wir endlich den Treffpunkt, wobei mein Bruder noch etwas keuchend hinter mir her trabt. Der sollte weniger dreifache Ladungen von Pizza in sich hineinstopfen, dann würde er nicht so schnell schlappmachen und länger durchhalten. Auch Leo und Donnie sind endlich angekommen und wie es mein dritter Bruder zuvor gemacht hat, fragen auch schon die beiden, ob irgendetwas Auffälliges passiert wäre. Knapp wiederhole ich nur das, was ich schon Mikey gesagt habe und auch er berichtet kurz. Wow, er kann sich doch kurzfassen! Das ist ja eine Meisterleistung! Vielleicht sollte ich ihn öfters herumhetzen, dann vergehen ihm vielleicht seine nervenraubende Ausfragerei und seine blöden Kommentare, die in die Endlosschleife ausarten. „Na dann Schluss für heute. Es wird Zeit, dass wir heimkehren.“, schlussfolgert unser Anführer und wir machen uns auf dem Weg. Geschickt springen und klettern wir hinunter, bis wir unbemerkt den nächsten Gullideckel aufreißen und durch den Schacht verschwinden. Es dauert einige Zeit, bis wir endlich daheim ankommen. In der Kanalisation erstrecken sich kilometerlange Tunnel, die wie ein kompliziertes Netzsystem den Untergrund durschlängeln. Wenn man sich hier unten nicht auskennt, glaubt man in einem Irrgarten gelandet zu sein, aus dem man nicht so schnell wieder herausfindet. In Laufe der Zeit haben meine Brüder und ich sie erkundet und sie für unsere Zwecke genutzt. Manchmal dienen sie uns auch als gute Abkürzung. Jedoch bin ich mir sicher, dass es immer noch Bereiche gibt, die wir immer noch nicht kennen. Selbst wenn diese quasi vor unserer „Haustüre“ stehen. Für solche Sachen haben wir aber dann unseren Computerheini. Nicht umsonst schleppt Donnie seine Ausrüstung ständig mit sich herum. Doch manchmal glaube ich sogar, dass er mit dem ganzen Zeug schläft. So wie er an diesen Geräten hängt, könnte man fast schon meinen, dass seine „Bindung“ und sein Interesse dazu ein bisschen zu viel des Guten sind. Also wenn es nach mir gehen würde, hätte ich den Krempel schon in die nächste Ecke geschleudert. Denn wozu braucht man den ständig. Naja, ich muss es ja nicht schleppen. Auch wenn mir Donnie damit manchmal wie ein Möchte-gern-Cyborg vorkommt, es ist nicht mein Problem. Kaum sind wir durch den Eingang in unser Zuhause gesprungen, werden wir bereits erwartet. Mit einer leicht ungeduldigen Miene tippt Meister Splinter mit seinem Gehstock gleichmäßig auf dem Boden. Na toll, das heißt nichts Gutes. Denn das macht er immer, wenn ihm etwas nicht passt und das ist in letzter Zeit nicht gerade selten. „Ihr seid spät dran meine Söhne.“, sagt er schließlich mit einem strengen Unterton. „Naja eigentlich sind wir sogar pünktlich. Wenn wir nach der Uhr von …“, will Donnie schon widersprechen, während er wieder auf seine Technikspielereien starrt, aber Leo stoßt ihm gleich in die Seite, mit der Aufforderung: „Sei lieber still.“ Das tut er auch abrupt und wir schauen nun stumm und gespannt zu unserem Vater und Sensei, welcher nur mit seiner rechten Hand über seinen Bart streicht. Ohne weiter etwas zu sagen, wendet er sich schließlich von uns ab, weswegen meine Brüder und ich uns für einen Moment gegenseitig verwirrt anstarren und dann wortlos mit den Schultern zucken. Genau das habe ich gemeint. Auf der einen Seite will unser Vater uns als Ninjas fordern. Er verlangt stets Höchstleistungen und andererseits behandelt er uns immer noch wie Kinder. Als könnten wir nicht selbst entscheiden, was richtig ist und was ist – Lächerlich! Ob sich das jemals ändern wird? Solange er nicht endlich kapiert, dass uns niemand auch nur das Geringste anhaben kann, wage ich es zu bezweifeln. Dabei ist es so einfach, diesen Möchtegernganoven das Fürchten zu lehren. Allein der Gedanke an die nächste Prügelei lässt meine Vorfreude darauf aufkeimen, aber solange der alte Herr noch die Oberhand hat, wird sich momentan wohl kaum etwas ändern. Da müsste schon etwas Gravierendes passieren, wie zum Beispiel … . Moment, ich bin so sehr in Gedanken gewesen, dass mir das Thema mit Bernadette komplett entfallen ist. Erst jetzt wird es mir wieder bewusst und neben meinen Brüdern passt mir der Gedanke ganz und gar nicht. Ich gehe lieber, bevor mir noch ungewollt irgendetwas herausrutscht. Mit einem Kopfschütteln verabschiede ich mich schließlich auch und sehe zu, dass ich mich verziehe: „Ich hau mich dann mal aufs Ohr.“ Dass ich tatsächlich müde bin, ist gerade eher zweitrangig, aber das wissen die drei nicht und das auch gut so. So strecke ich mich beim Gehen, während ich den anderen den Rücken zugewandt habe und verschwinde schon in mein Zimmer. Meine Brüder lasse ich einfach stehen. Sollen sie doch ihrem Alltag nachgehen, ich will einfach allein sein und die Ruhe genießen. Leo wird vermutlich nur an weiteren Plänen arbeiten und Donnie wird ihm dazu technisch zur Seite stehen, oder an seinen „Projekten“ herumbasteln. Was Mikey machen wird, ist klar: Fernsehen! Etwas Anderes macht er ja nie, was nach unseren nächtlichen Patrouillen betrifft. Mir ist allerdings egal, was sie sich alle mit einander in den Kopf setzen. So lange sich mich nicht stören, können sie ja tun und lassen, was sie wollen. Außerdem will ich für heute mit niemandem reden. Mikey ist mir für heute schon genug auf die Nerven gegangen. Da brauche ich jetzt nicht auch noch den Rest der Runde. Ich dagegen habe fürs Erste über einiges nachzudenken. Wodurch mir jede einzelne ruhige Minute, in der mir niemand weiteres auf die Nerven fällt, nur rechtkommt. Ich höre hinter mir nur ein desinteressierte „Nacht“, während ich mich von ihnen entferne. Gut, die Chance, dass ich weiterhin meine Ruhe habe, ist nun gestiegen. Kaum, dass ich in meinem Zimmer die Tür hinter mir zugeworfen habe, schmeiße ich mich mit einem Schwung auf mein Bett und seufze. Irgendwie bin ich ganz schön k.o.. Dabei habe ich heute nicht allzu viel gemacht. Das bisschen Zusammenschlagen von Metall und das bisschen Klettern macht mir im Normalfall nichts aus. Ich habe sogar niemandem verprügeln, geschweige meine Sais benutzen können. Dabei habe ich sie heute, nach dem Training, extra noch geschärft. Doch im Gegensatz zu sonst, habe ich diesmal einen Menschen kennengelernt und gerade dieses Mädchen will mich trotz dieser Umstände wiedersehen. Ich verstehe immer noch nicht ganz, warum Bernadette am Ende ihre Angst abgelegt hat. Auch wenn ich sie zweimal gerettet habe, hätte das noch nicht lange bedeutet, dass sie sich dadurch umstimmen lässt und dann meinte sie noch von sich aus, dass sie mich mal treffen möchte. Ihre Worte kamen, wie aus dem Nichts und klangen so selbstverständlich, als wäre ich ein stinknormaler Mensch. Ich checke das einfach nicht. Klar, die Vorstellung meiner Brüder und mir war immer da, dass wir uns einfach den Menschen zeigen könnten, ohne uns auf einen möglichen Kampf oder dergleichen einstellen zu müssen. Selbst als Kids war es nicht selten unser Wunsch, einfach auf der Oberwelt herumzuspazieren. Wie oft wir damals schon von einem Loch heraus alles beobachtet haben und uns gewünscht haben, wir wären genauso wie sie. Doch nun hat ein Menschenmädchen von sich aus bereiterklärt, sich mit mir zu unterhalten und will mich sogar mal wiedersehen. Nie hätte ich gedacht, genau das irgendwann mal von jemandem zu hören und doch kam dies. Sogar völlig unerwartet. Wenn ich heute nicht an diesem Ort zurückgekehrt wäre, hätte ich das wohl niemals erlebt. Wenn ich sogar genau darüber nachdenke, weiß ich nicht einmal so richtig, warum ich unbedingt wieder dorthin wollte. Ich hatte einfach den Eindruck, dass ich einfach dort nach dem Rechten sehen musste. Ihr Blick von letzter Nacht ging mir einfach nicht aus dem Kopf und irgendwie wollte ich sie einfach wiedersehen. So dämlich und so unvorstellbar das auch klingen mag. Ich wollte einfach wieder dorthin, aber ich hätte niemals damit gerechnet, sie tatsächlich dort wieder zu treffen. Als ich sie gestern vom Schatten aus beobachtete, war ich noch besorgt, ob sie nicht doch verletzt war. Ich konnte zwar noch verhindern, dass sie von dem Truck erfasst wurde, aber Bernadette hätte sich schon beim Sturz etwas getan haben können. Andererseits verstehe ich nicht, warum es mich bereits gestern so sehr gekümmert hat. Ich habe insgesamt schon so viele Leute aus einer lebensbedrohliche Gefahrenzone gezogen, oder so manche daran gehindert, die Unschuldigen zu verletzen. Das schließt Männer, Kinder, wie auch Frauen mit ein. Warum also war das bei ihr etwas Anderes? Ich kann es mir irgendwie nicht erklären. So sehr ich auch darüber nachgrüble. Es ergibt einfach keinen Sinn. Dasselbe gilt auch, als sie mit mir sprach. Dabei war ich gestern doch im Schatten verborgen. Wie konnte sie mich dort überhaupt wahrnehmen? Hatte sie vielleicht doch etwas sehen können? Nein, das kann nichts sein. Da wäre ihre Reaktion von heute anders verlaufen. Sie wäre vermutlich nicht einmal zurückgekommen, weil sie dann bereits Angst gehabt hätte. Jedoch ist sie mutiger, als sie aussieht. Das habe ich bereits gestern feststellen können. Wie sie auf einmal mit einer energiebetonten Stimme in meine Richtung rief und mit ihrem Handy herumfuchtelte. Jedes andere Mädchen wäre sofort schreiend davongelaufen und erst gar nicht in diese Gasse geflüchtet. Auch heute hat sie mich überrascht und das nicht nur einmal. Au Mann, dass Mädel ist echt kompliziert. Mir platzt gleich der Schädel. Selbst wenn sie nicht da ist, macht sie mich beinahe verrückt. Davon dürfen die anderen auf keinen Fall etwas erfahren! April und dieser Vern sollten eigentlich die einzigen Menschen sein, denen wir uns zeigen, aber jetzt ist es anders. Es ist ein weiterer Mensch hinzugekommen. Dabei hat uns Meister Splinter mehr als nur einmal eingebläut, wie gefährlich das für uns ist. Nicht jedem können wir trauen, aber das braucht man mir nicht sagen. Mir ist selbst klar, was alles auf dem Spiel steht. Es geht immerhin um die Familie und um unsere „Sicherheit“. Andererseits kann ich es mir nicht vorstellen, dass Bernadette es weitererzählen würde. Sie sieht mir einfach nicht danach aus. Dennoch ist es besser, wenn der Rest erstmal nichts von ihr erfährt und dafür muss ich vorsichtig sein. Zum Glück sind wir meistens jeweils alleine unterwegs, wenn wir auf Patrouille sind. Nur selten kommt es vor, dass wir zu zweit, oder sogar zusammen die Stadt unter die Lupe nehmen. Es geht einfach schneller, uns aufzuteilen, damit mir einfach größere Gebiete unter die Lupe nehmen können. Jedoch wird die Tatsache, dass ich mich einem Menschen gezeigt habe, nicht einfach zu verbergen sein. Auf keinen Fall dürfen die anderen etwas mitbekommen. Nur bin ich mir auch bewusst, dass meine Brüder meine Schritte verfolgen werden, sobald sie auch nur kurz Verdacht schöpfen. Ich muss aufpassen, damit ich nicht auffliege. Oh Mann, ich stelle mir jetzt gerade vor, wie es wohl wäre, wenn plötzlich alles rauskommt. Sowohl Leo als mein Anführer, so wie auch Meister Splinter würden mir eine Standpauke verpassen und ich dürfte zusätzlich die nächste Zeit im Hashi verbringen. Wobei auch Mikey und Donnie sich mit Sicherheit einklinken werden. Gerade in diesem Moment bei Bernadette. - Aus Bernadettes Sicht: Wütend gehe ich in meinem Zimmer auf und ab. Das kann doch echt nicht wahr sein! Nicht nur, dass sie mich heute eingesperrt hat, jetzt hat sie mir auch noch Hausarrest verpasst! Das ist Freiheitsberaubung! Nur weil ich ihr von gestern nichts erzählen wollte und heute quasi „ausbrechen“ musste, bestraft sie mich. Diese Frau macht mich noch ganz krank! Hat es denn nicht gereicht, dass sie versucht, mich umzupolen, oder dass sie mir wegen Lucinda in den Rücken gefallen ist? Jetzt darf ich auch nicht einmal ohne ihre Erlaubnis das Haus verlassen! Ich darf nur noch zur Schule gehen und muss danach direkt nach Hause kommen. Ansonsten holt sie mich persönlich ab und wenn ich dabei einige Stunden im Schulgebäude verbringen muss, bis sie endlich da ist. Hat meine Tante neben ihrem Job als Sekretärin überhaupt noch ein Leben, oder warum muss sie sich in meines ständig einmischen und alles auf dem Kopf stellen? Sie hat sie doch nicht mehr alle! Ich bin verdammt noch mal ein Teenager! Da habe ich es schon schwer genug und trotzdem funkt sie mir immer wieder dazwischen. Als wenn sie wegen alles die Kontrolle haben müsste, aber hat sie schon mal davon gehört, dass ich erstens meine Freiheit brauche und dass ihr zweitens meine Freizeit einen feuchten Dreck angeht? Wohl eher nicht, sonst wäre sie schon längst draufgekommen, dass sie alles noch nur noch schlimmer macht und der „beste“ Teil kommt ja noch: Sie hat auch noch die Frechheit besessen, sich bei meiner Mutter über mich zu beschweren! Während ich unterwegs war, hat Tante Tina sie doch glatt während der Arbeit angerufen und ihr sonst was aufgetischt. Dabei hat sie leider noch Glück gehabt, dass sie meine Mutter gerade noch in ihrem Hotel erwischt hat. Diese war gerade eine Stunde davor in Peking gelandet und hatte für den Rest des Tages frei. Eigentlich hatte sie ja vorgehabt, die Umgebung zu erkunden, aber daraus wurde ja nichts. Nur weil sie sich die Leier von meiner Tante anhören lassen musste und zu meinem Übel ging das scheinbar solange, bis sie sich auch noch von ihr überzeugen ließ. Dabei behauptete diese Frau sogar, wie schwierig es mit mir doch wäre und dass ich angeblich immer bockiger und launischer werde. Nichts würde ich auf die Reihe bekommen und stattdessen nur in Schwierigkeiten geraten. Zwar hat meine Mutter ihr am Anfang nicht geglaubt, aber wie ich meine Tante kenne, hat sie sie solange genervt, bis sie schließlich doch nachgegeben hat. Nur damit es endlich einmal Ruhe gab. Das Resultat war dann, dass meine Mutter per Videochat mit mir geredet, oder wohl eher mit mir geschimpft hat. Eine Belehrung nach der anderen musste ich über mich ergehen lassen und der krönende Höhepunkt war, als sie meinte: „Ich befürchte, ich muss deiner Tante rechtgeben. Solch ein Verhalten darf einfach nicht vorkommen. Du musst dich zusammenreißen und dich bemühen, sonst wirst du eines Tages tatsächlich vollkommen alleine dastehen. Dann wird es allerdings zu spät sein, noch irgendetwas daran zu rütteln.“ Super! Gleich die Nächste, die mir in den Rücken fällt und glaubt, dass ich an allen schuld wäre, was mir passiert! Tretet noch weiter auf mich ein, ich liege ja nur schon auf dem Boden! Am liebsten hätte ich meine Mutter sogar mit diesen Worten konfrontiert. Ich hätte es sogar gerne per Videochat hineingebrüllt, aber ich bin in diesem Augenblick so buff und so enttäuscht gewesen, sodass es mir einfach die Sprache verschlagen hat. Das war nicht einmal das Einzige, was ich in diesem Moment fühlte. Ich hätte vermutlich auch nicht dir richtigen Worte gefunden, weil ich zudem noch so sauer war und wahrscheinlich hätte man mir sogar das Wort abgeschnitten. So wie es auch sonst immer der Fall ist. Jetzt bin ich in meinem Zimmer und grüble weiter zornig über mein beschissenes Leben nach, während ich meiner Wut Luft mache. Ich habe sogar nach meinem Polster gegriffen und für einige Sekunden so laut hineingeschrien, sodass ich danach nach Luft ringen musste. So wütend und unendlich enttäuscht bin ich und wenn ich wollte, könnte ich noch einiges aus meinem Zimmer zerschlagen, aber ich habe es dann doch seinlassen. Es bringt sich doch eh nichts, wenn meine Sachen für meinen Zorn herhalten müssen. Viel lieber würde ich meiner Familie den Marsch blasen, aber in diesem Haus habe ich einfach keine Chance, geschweige irgendwelche Rechte. Ich kann nur das tun, was mir irgendwie möglich ist und dazu zählt auch mein Zimmerschlüssel. Diesen habe ich noch rechtzeitig in meinen Schuhen versteckt. Denn ich habe genau gewusst, dass Tante Tina die Gunst der Stunde nutzen und mir den Schlüsselbund konfiszieren wollte. Doch da schaute sie dumm durch die Röhre, als sie weder bei mir, noch in meiner Tasche diesen einen Schlüssel fand und das war auch das Einzige, worüber ich mich in diesem Haus kurz freuen konnte. Wenn auch diese „Freude“ nicht lange anhielt. Ich bin doch nicht bescheuert und händige ihr die einzige Möglichkeit, ein bisschen Privatsphäre zu haben, freiwillig raus. Dann habe ich erst recht nichts mehr, in der ich mich ein bisschen „schützen“ und zurückziehen kann. Es reicht schon, dass ich die Strafe „einfach so“ über mich ergehen lassen muss, obwohl das nicht nur unfair, sondern auch total bescheuert ist. Ich werde wie eine Kriminelle behandelt, als wäre mit einem Päckchen mit Drogen erwischt worden. Die haben sie doch nicht alle! Mir bleibt aber nichts Anderes übrig, als zu „gehorchen“, sonst habe ich nicht einmal das letzte Bisschen an Ruhe und die brauche ich mehr als nur dringend. Sonst explodiere ich noch! Wenn ich könnte, wie ich eigentlich wollte, dann hätte ich schon so manches gesagt, beziehungsweise getan. Nur am Ende hätte ich das dann wieder bereut und es sogar selbst schlimmer gemacht. Nur was soll ich machen? Mein Leben ist beschissen und ich fühle mich seitens der Familie total hintergangen und missverstanden. Sie behandeln mich wie den letzten Dreck, so wie es auch in der Schule ist. Dabei habe ich überhaupt nichts verbrochen. Ich schwänze weder die Schule, noch treibe ich Unfug, oder tyrannisiere die Leute in meiner Umgebung. Mein Pech ist nur, dass Lucinda mich nicht in Ruhe lässt und jede Möglichkeit nutzt, um mich fertig zu machen. Das Ergebnis ist, dass ich dann nicht nur alleine dastehe, sondern auch, dass mir niemand glaubt. Ich bin allein. Vermutlich würde sich für mich vielleicht erst dann etwas ändern, wenn ich aufhöre, ich zu sein. Damit andere aus mir das machen können, was angeblich „das Beste“ für mich ist. Ich wäre dann nichts weiter als eine Puppe, die man nach Belieben anziehen und einstellen kann, wie man es gerade braucht. Dann sage ich nur das, was man hören will und tue nur das, was „sich gehört“. Vielleicht holen sie mich dann in die Gruppe der Mitläufer, damit es tagein tagaus so weitergeht. Erst dann hätte ich wahrscheinlich meine „Ruhe“. Wenn ich so darüber nachdenke, kommt mir mein Essen wieder hoch. Mir graust davor und alles in mir sträubt sich dagegen. Dieser Gedanke ist einfach nur widerwärtig, aber vermutlich würde nicht einmal das klappen. Wenn ich weiterhin so viel Pech habe, wie bisher, dann ist dieser „Plan“ sowieso unvorstellbar. Für alle Beteiligten wäre es nur das Beste und damit schließe ich mich selbst mit ein, dass man mich für immer in Ruhe lässt. Lieber möchte ignoriert, als so behandelt werden. Noch immer zornig ziehe ich schließlich meine Kleidung aus, schmeiße sie in den Wäschekorb und gehe anschließend ins Bad, wo ich mich unter die Dusche stelle. Das Einzige, was mich jetzt halbwegs beruhigen kann, ist Wasser. Abgesehen davon fühle ich mich ohnehin nicht wohl in meiner Haut, als wäre ich von dieser Ungerechtigkeit in Form von Dreck und Schleim nur so überseht. Ich sehne mich schon danach, endlich davon befreit zu werden. So drehe ich den Hahn auf und lasse den warmen Wasserstrahl auf meinen nackten Körper hinabfließen. Kaum spüre ich die einzelnen Tropfen auf meinem Kopf und auf meiner Haut, merke ich bereits, dass sich bereits etwas tut. Trotz meiner Wut fange ich an, mich allmählich zu entspannen. Es ist beinahe so, als wenn in diesem Augenblick all meine Sorgen weggewaschen werden. Wie eine dicke Schicht aus Schmutz, gleitet der Zorn von mir herab und erleichtert atme ich dabei tief durch. Zwar bedecken meine Haare nun mein Gesicht, aber ich wische die Haarsträhnen einfach mit meinen Händen weg und hebe sogleich meinen Kopf etwas an, damit das Wasser mich direkt bei der Stirn berührt und anschließend langsam an mir herunterwandern kann. Für Außenstehende mag sowas vielleicht bescheuert klingen, aber das Wasser ist einfach mein Element. Schon als kleines Kind bin ich gerne geschwommen und sogar getaucht. Das hat sich bis heute nicht geändert. Da kann es schon passieren, dass ich länger als andere unter der Dusche stehe, oder mir ein langes, heißes Bad gönne. Für mich gibt es nichts Besseres, als den inneren Frieden durch dieses Element zu finden. Das Einzige, was dem noch nachkommen würde, wäre die Musik, aber jetzt brauche ich das Wasser. Es hilft mir einfach. Leider verschwindet dieses angenehme Gefühl wieder, sobald ich einige Zeit lang den Hahn wieder abgedreht habe. Dann kommt die negative Tatsache zurück und ich stehe damit wieder allein da. So ist es auch diesmal als ich nach einer gefühlten halben Stunde aus dem Bad komme. Mit einem Badetuch um Körper und einem Handtuch um meinen Kopf gewickelt, setzte ich mich traurig und enttäuscht auf mein Bett. Es ist einfach frustrierend und ich weiß einfach nicht, wie ich aus diesem Scheiß wieder rauskomme. Warum muss ich zu allem Übel auch noch allein sein? Eigentlich wünsche ich mir nur eine vertraute Person, mit der ich über alles reden kann, ohne mich dabei schlecht zu fühlen, oder mich dabei verstellen zu müssen. Ist denn das wirklich zu viel verlangt? Ist solch ein Wunsch tatsächlich vergeblich und nur in Träumen zu finden? Anscheinend schon, sonst müsste ich mich das nicht ständig fragen, geschweige darauf hoffen. Vermutlich muss ich die Tatsachen, so wie sind, einfach akzeptieren. So schwer es mir auch fällt, aber ich will einfach nicht. Langsam lasse ich mich zurückfallen und starre zur Decke hinauf. In diesem Augenblick kommt mir Raphael wieder in den Sinn und ich muss trotz meines schlechten Tages sogar ein wenig lächeln. Obwohl ich mich am Anfang vor ihm gefürchtet habe, muss ich feststellen, dass er etwas an sich hat, was ich davor einfach nicht gesehen habe. Meine Angst war einfach im Weg, bis ich mich dazu entschlossen hatte, ihm eine Chance zu geben und ich muss sogar zu geben, dass ich ihm am Ende irgendwie in mein Herz geschlossen habe. So seltsam es auch klingen mag. Denn als ich mit ihm auf dem Dach gequatscht habe, habe ich sogar für einen Moment den Eindruck gehabt, als wenn wir uns schon lange kennen würden. Es mag zwar nur ein Gefühl gewesen sein, aber es ist zumindest das Einzige, was heute irgendwie schön gewesen ist. Tja, ob ich ihn wohl mal wiedersehen? Es wäre schön, aber ich weiß es nicht. Kapitel 6: Der Tag fängt nicht gerade gut an -------------------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Sonntag, der letzte Tag der Woche, an dem ich halbwegs meine Ruhe haben kann, ehe mir Lucinda und ihre Clique wieder über den Weg laufen. Nein, eigentlich stimmt das nicht so ganz. Seit ich gestern Hausarrest bekommen habe, habe ich nicht einmal mehr zuhause eine ruhige Minute. Denn kaum, dass der Morgen angebrochen ist, werde ich schon in aller Herrgottsfrühe von meiner Tante belagert. Wie bei einem Hinterhalt werde ich plötzlich mit den Tatsachen konfrontiert, als sie ca. um halb sieben in der Früh heftig an meine Zimmertür klopft und diese sogleich aufreißt, ohne auch nur auf eine Reaktion meinerseits zu warten. Schon war es aus und vorbei mit meinem seelenruhigen Schlaf und mit meinen Träumen, aber ich weigere mich, mich auch nur einen Zentimeter aus meinem kuschlig, warmen Bett zu quälen. So drehe ich mich einfach von ihr weg und drücke mein Gesicht gegen den Polster. Kann sie mich denn nicht einmal an einem Sonntag in Ruhe schlafen und mich mal ausspannen lassen? Anscheinend wird mir nicht einmal das gegönnt. Moment mal, wie konnte sie überhaupt hier reinkommen?! Habe ich gestern etwa vergessen, mein Zimmer abzuschließen?! Scheiße, wie konnte ich das nur vergessen?! In all der Aufregung muss ich das blöde Dinge vollkommen verdrängt haben! Die plötzliche Erkenntnis, dass mein Zimmerschlüssel wohl noch immer in einen meiner Sneaker stecken muss, lässt mich das Schlimmste befürchten, aber im Moment habe ich größere Probleme. Tante Tina steht nun direkt vor meinem Bett und reißt ruckartig die Bettdecke von meinem Körper. Schnell reagierend, krümme ich mich auf der Matratze zusammen und schimpfe durch den Stoff in meinem Gesicht: „Es ist Sonntag, lass mich schlafen!“ Schon während ich das genervt aus mir herausbrülle, taste ich gleichzeitig mit meiner rechten Hand blind im Bett herum, damit ich die Decke wieder über mich schwingen und weiterschlafen kann. Allerdings greife ich vergeblich in die gähnende Leere, was meine Stimmung noch mehr sinken lässt. Meine Tante dagegen denkt erst gar nicht daran, mich einfach in Ruhe zu lassen und bedrängt mich weiter: „Daran hättest du denken sollen, bevor du so ein Theater veranstaltest. Also steh gefälligst auf!“ Nun reicht es mir. Mit einem Schwung setze ich mich auf, starre sie zornig an und schreie: „Das Theater machst gerade du! Raus aus meinem Zimmer und lass mich endlich in Ruhe!“ Ich will mich wieder hinlegen, doch meine Handlung ist ein gewaltiger Fehler gewesen. Denn absehen davon, dass sich Tante Tina einen Dreck darum schert, dass ich meine Ruhe haben will, hat sie jetzt noch bessere Chancen, mich aus dem Bett zu werfen. Sie packt mich einfach unsanft am linken Arm und zerrt mich ruckartig und mit voller Kraft von der Matratze. Nicht nur, dass ich diese plötzliche „Stärke“ von ihr nicht habe kommen sehen, ich bin noch dazu viel zu müde und zu matt, als dass ich mich wirklich hätte dagegen wehren können. Ich konnte letzte Nacht einfach nicht sofort einschlafen. Dafür war ich einfach zu wütend und genau diese fehlende Energie fehlt mir jetzt. So stolpere ich aus meinem Bett und torkle hinter meiner Tante her, die mich einfach hinter sich herzerrt, als wäre ich ein Hund, der ungewollt angeleint ist, während sie zu dem noch zornig vor sich her murmelt: „Ich muss dir anscheinend Manieren beibringen, sonst wird aus dir niemals eine wohlerzogene, junge Dame! Diese Flausen müssen endlich aus deinem Kopf und da fangen wir gleich mal mit dem ersten Punkt an.“ Was zum Henker hat sie schon wieder vor? Was soll dieses Gefasel und wieso kann sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Blinzelnd schaue ich sie zornig und müde zugleich an, während sie mich weiterhin hinter ihr her schleift. Weiteres Fragen ist im Moment allerdings sinnlos und so wie sie das gerade gesagt hat, klingt es für mich so, als wenn sie in ihrem Kopf bereits ein Konzept zusammengestellt hätte. Vermutlich hat sie bereits schon seit langem einen Plan wegen mir geschmiedet und ich ahne Schlimmes. Auch wenn ich noch nicht ganz auf der Höhe bin, kann ich es mir leider nur allzu gut vorstellen, was sie mit mir vorhaben könnte. Nur, hat die denn einen Knall?! Ok, anders gefragt: Wann hat sie KEINEN Knall?! Anstatt, dass sie mich meine Strafe „absitzen“ lässt, kommt sie wieder auf bescheuerte Ideen! Hat sie sich denn schon wieder diese uralten Filme reingezogen, wo die Frauen nur hinter dem Herd stehen, oder nur bestimmte Berufe ausführen dürfen? Hallo! Wir leben hier im 21. Jahrhundert, da hat sich schon einiges geändert! Also irgendetwas stimmt mit dieser Frau nicht! Es ist nie wirklich einfach mit ihr gewesen, doch je älter ich wurde, desto mehr häuften sich die Probleme und jetzt scheint sie völlig durchzudrehen. Wahrscheinlich versucht sie jetzt härtere Geschütze aufzuziehen, weil ich ihre blöde Bluse nicht angezogen habe und nicht das tue, was sie für „richtig“ hält. Kann es denn noch schlimmer werden? Warum frage ich das überhaupt noch? Ich kenne doch schon die Antwort und die ist immer gleich: JA!! Nur leider kann ich mich nicht dagegen wehren und in meinem momentanen Zustand, in der ich nur müde, und noch von gestern noch so erschöpft, vor mich hin blinzle, kann ich gerade kaum etwas ausrichten. Wie einen Sack mit Mehl, zerrt sie mich lieblos hinterher, bis wir schließlich in ihr Zimmer ankommen und kaum, dass sie ihre Schlafzimmertür aufgestoßen hat, sehe ich es mit einem Entsetzen schon. Ich habe noch nicht einmal das Frühstück hinter mir und doch könnte ich jetzt schon kotzen. Denn wie ich schon befürchtet habe, sehe ich mehrere Kleidungsstücke auf ihrem Bett liegen und dreimal darf man raten, was für eine Farbe die alle haben. Richtig: Pink, beziehungsweise Rosa! Wobei das für mich überhaupt keinen Unterschied macht. Egal wie man es auch nennt, ich finde diese Farbe schlicht und einfach hässlich und das gilt insbesondere für Kleidung und Accessoires. „Yippie“, da kommt doch „Freude“ auf. Im GEGENTEIL, da scheiß ich drauf und vermutlich will sie, dass ich das ganze Zeug auch noch anziehe und ich befürchte, dass dies erst der Anfang ist. Noch sehe ich gerade mal ein paar wenige Sachen, aber wie ich Tante Tina kenne, wird sie noch einiges im Petto haben. Zuerst schaue ich sie einfach entgeistert und verzweifelt an und hoffe so sehr, dass es vielleicht doch anders kommt. Zum Teil hoffe ich sogar, dass dies nur ein Albtraum ist, aber darauf hoffe ich vergeblich. Tante Tina will tatsächlich, dass ich mich in diese unbequemen Scheußlichkeiten hineinzwänge. Dabei lächelt sie mich sogar mit einem breiten Grinsen an und meint leicht jubelnd: „So, jetzt kann die große Umwandlung beginnen. Freue dich schon mal darauf. Du wirst nicht eher dieses Zimmer verlassen, bis wir fertig sind.“ Also ihre Schadenfreude kann man ihr voll und ganz vom Gesicht ablesen. Da braucht sie nicht so scheinheilig tun und die Sache mit ihrer verlogenen Stimme zu „beschönigen“. Ich komme dabei immer mehr zum Schluss, dass sich diese Frau schon lange nach solch einem Tag wie diesem gesehnt hat und ehe ich mich es versehe, beginnt schon die Tortur: Ich werde ich in einem Fetzen nach dem anderen gesteckt und zu allem Überfluss werde ich bei jeder einzelnen Anprobe vor ihrem großen Spiegel gestellt, damit sich jeder Anblick in mein Hirn hineinfrisst. Jetzt fehlt eigentlich nur noch, dass sie Fotos davon schießt, aber dafür scheint ihre Euphorie glücklicherweise zu groß zu sein, als dass sie darauf denken würde. Wenigstens bleiben mir diese „Beweise“ erspart, aber mir reicht auch das, was ich gerade da tun muss. Leider bin ich überhaupt nicht auf der Höhe und ich fühle mich in ihren Fängen gefangen. Zwar versuch ich stets mich zu befreien, aber kaum, dass ich glaube, ich könnte mich nun endlich verziehen, steht Tante Tina wieder vor mir und zwängt mich in das nächste Teil. Ich bin in einem Albtraum! Ich will nur noch aufwachen! Doch aus diesem Horrorszenario gibt es kein Entkommen und es geht immer weiter. Ein Fetzen nach dem anderen wandert vom Kleiderbügel zu mir und wieder zurück. Es scheint kein Ende zu geben. Ich muss so ziemlich an die zehn Kleider, Röcke und Blusen angehabt haben und doch hatte ich das Gefühl, dass das Tausende wären. Doch es gibt ein Licht am Ende des Tunnels. Endlich bin ich beim letzten Outfit angelangt: Ein pinker Rock und eine weiße Bluse, dessen Ausschnitt ziemlich weit ist und noch dazu mit ein paar rosa Rosen verziert ist. Ich würde mich am liebsten übergeben, wenn mein Magen nur mitspielen würde. Mit dem Zeug an meinem Leib, sehe ich überhaupt nicht aus wie ich. Ich komme mir vor, wie eine völlig andere Person! Das Einzige, was aus diesem Fummel heraussticht, sind meine Haare. Dennoch bin ich von diesem Anblick im Spiegel entsetzt. Tante Tina dagegen scheint dieses „Outfit“ am besten zu gefallen. Freudestrahlend steht sie neben, sieht ebenfalls in den Spiegel und bewundert meine momentane Erscheinung: „Hübsch siehst du aus. Es ist herrlich mit anzusehen, wie gut dir das steht. Wenn du sowas nur mal öfters tragen würdest, würde ein Traum für mich in Erfüllung gehen. … So, jetzt müssen wir nur noch etwas mit deinen Haaren anstellen. Das mit den roten Strähnen geht ja gar nicht, aber fürs Abschneiden sind mir deine schönen langen Haare einfach zu schade.“ Moment mal, was?! Ist sie jetzt endgültig übergeschnappt?! An meine Haare geht verdammt noch mal niemand ran! Schlimm genug, dass ich ohne meine Zustimmung in diese verfluchte, pinke „Modenschau“ reingezogen wurde, aber das geht nun wirklich zu weit! Meine Haare fasst niemand an und schon gar nicht sie! Soweit kommt´s noch, dass sie abschnitten werden! In mir brodelt es und wie aus dem Nichts spüre ich in mir eine Energie, die ich am liebsten schon vorher gehabt hätte. Denn wild reiße ich mich nun endgültig los und frage sie anschnauzend, was dieser Mist eigentlich soll: „Bist du jetzt endgültig übergeschnappt?! Reicht es dir nicht, dass du mich mit diesen Fetzen quälst?! Jetzt willst du mich endgültig verunstalten und dich an meinen Haaren vergreifen! … Auf gar keinen Fall! Vergiss es!“ Ich bin so knapp davor, endgültig auszurasten. Wieso kann sie mich verdammt noch mal nicht so akzeptieren, wie ich nun mal bin?! „Aber Bernadettchen, was regst du dich wieder so künstlich auf? Ich tue dies zu deinem Wohl, verstehst du es denn immer noch nicht? Es muss sich endlich etwas ändern und das können wir nur machen, wenn wir als Erstes bei dir anfangen. … Nur so wirst du erreichen, dass alles gut wird. Denk doch mal nach. Jeder wird dich lieben und die Jungs werden in Schlangen stehen, um mit dir ausgehen zu dürfen. Hast du nicht selbst gesagt, dass du endlich von dieser Lucinda deine Ruhe haben willst? Das geht nur, wenn du dich etwas anpasst und sie mit ihren eigenen Waffen schlägst. … Ich will dir dabei ja nur helfen Kind. Also mache es mir nicht so schwer.“, meint sie schließlich und klingt dabei noch so überzeugt, dass es schon schlimm ist. Als wenn die ganze Tortur nur halb so schlimm wäre, aber für mich ist es das Schlimmste, was sie mir bisher nur antun konnte. In was für eine Welt lebt die?! Sie hat sich doch nicht mehr alle! Hört sie sich eigentlich selbst zu, was sie da sagt?! Sie will mich zu jemand anderes machen, nur, damit „akzeptiert“ und von den Leuten geliebt und sogar angehimmelt werde! Das ist nicht nur falsch, sondern auch der größte Mist, was mir je untergekommen ist! Ich will das nicht! Entsetzt von ihren Worten, schüttle ich den Kopf und weiche von ihr. Das jemand in dieser Zeit so denkt und dann auch noch darauf beharrt, ist meiner Meinung nach einfach nur krank. „Du kapierst es echt nicht, oder?!“, frage sich sie zornig, aber sie blinzelt nur verwundert, eher sie mir die Gegenfrage stellt: „Was meinst du, Bernadettchen?“ „Na was werde ich wohl meinen?! Ich will verdammt noch mal ich selber sein und niemand anderes! Ich will nicht wegen den anderen meine Persönlichkeit aufgeben, nur weil sie angeblich nicht richtig ist! Das ist doch Schrott!“, versuche ich ihr ins Hirn einzuhämmern, weil sie anscheinend nicht kapieren, worum es mir geht. Doch egal, was ich auch noch sagen würde, sie versteht es immer noch nicht und das wird sie auch nie. Stattdessen versucht sie mich sogar ein weiteres Mal zu belehren und vom Gegenteil zu überzeugen: „Deine Persönlichkeit ist noch im Entwickeln. Du weißt doch noch selbst nicht, was wirklich richtig und wichtig im Leben ist. Versteh mich doch, ich will dir nichts Böses, ich will dir doch nur helfen Kind.“ Das ist einfach so falsch! Anders kann ich es nicht ausdrücken und das noch von einem Familienmitglied hören zu müssen, schlägt echt dem Fass dem Boden aus. Ich mag zwar noch ein Teenager sein, aber ich bin kein Kind mehr! Ich weiß, was ich vom Leben will und das hier will ich bestimmt nicht! Klar kann ich nicht immer mit dem Kopf durch die Wand gehen, aber für mich hört der „Spaß“ auf, wenn ich mich für andere verbiegen muss und da zählt Tante Tina leider dazu, was mich mehr als nur enttäuscht. Schließlich gehört sie zur Familie und die muss schließlich zusammenhalten, aber das scheint sie nicht zu sehen. Für sie ist scheinbar nur das wichtig, was andere von einem halten und das ist mehr als nur hohl. Ich habe von dieser sinnlosen Diskussion die Nase gestrichen voll und beende es schließlich: „Hast du eigentlich eine Ahnung, was du mir da antust? Du bist genauso schlimm wie Lucinda! Der einzige Unterschied zwischen euch beiden ist, dass ich dir anscheinend nicht entkommen kann und du auch noch meine Mutter ins Spiel bringst. Hast du mal in Entferntesten nachgedacht, wie ich zu dem allen stehe und wie ich mich dabei fühle? Anscheinend nicht, sonst wüsstest du, dass mich das krank macht! Lass mich endlich in Ruhe und mein Leben so leben, wie ich es für richtig halte!“ Mit diesem Worten renne ich aus ihrem Zimmer und lasse Tina einfach so stehen. Ich gebe ihr nicht einmal die Chance, irgendetwas darauf zu erwidern, oder gar irgendeine Reaktion darauf zu zeigen. Dafür hat sie meiner Meinung nach genug gesagt und ihren felsenfesten Standpunkt hat sie eh schon kundgegeben. Warum soll ich mir das noch länger antun? Es bringt sich ja so und so nichts. Sie wird mich nie verstehen! Mit Tränen in den Augen, flüchte ich, so schnell ich nur kann, in mein Zimmer, wo ich als Erstes die Tür hinter mir zuknalle. Doch damit ist es noch nicht genug, denn schon suche ich verzweifelt zwischen meinen Sachen den Schlüssel und im rechten Schuh werde ich fündig. Wie ich es mir vor einer Stunde gedacht habe, habe ich ihn dort leider liegen lassen. Hätte ich doch nur zugesperrt, dann wäre mir zumindest das erspart geblieben. Zumindest glaube ich das. Etwas Anderes kann ich mir einfach nicht vorstellen. Seufzend schließe schließlich ab und lehne mich sogar kurz gegen die Tür. Ich hoffe nur, sie kommt jetzt nicht angedackelt kommt und mit ihrem dämlichen Scheiß weitermacht. Im Moment habe ich keinen Nerv dafür und fürs Erste kann sie mir sogar gestohlen bleiben. Ich will einfach nicht mehr mit ihr reden und sie soll mir auch fernbleiben. So lange sie mich nicht so anerkennt, wie ich bin, möchte sie weder sehen, noch hören, geschweige mit ihr sprechen. Die ganze Woche war schon mies genug und heute hat sie höchst persönlich noch einen oben draufgesetzt. Als wenn es für mich nicht eh schon schlimm genug gewesen wäre, aber auf mich und meine Gefühle nimmt keiner Rücksicht. Sie treten wohl eher noch drauf, anstatt mir kurz zuzuhören, geschweige mich genauer anzusehen. Nur, zu jammern bringt sich nichts. So scheiße es auch ist, aber was soll ich tun? Ich habe ja niemandem, mit dem ich darüber reden könnte. Ich kann mir ja nicht einmal von jemandem einen Rat holen. Meine Brüder sind momentan im Ausland unterwegs, Dad ist tot und meine Tante hat sich gemeinsam mit meiner Mom gegen mich verschworen. Freunde habe ich keine mehr, was bleibt mir also? So gern ich auch alles wieder runterschlucken und vergessen will, ich kann es gerade nicht. Zu sehr bin ich verletzt und die Tatsache, dass ich mich nicht einmal mehr meiner Familie anvertrauen kann, macht die ganze Angelegenheit noch schwieriger. Ob ich nun will oder nicht, die Tränen lassen sich nicht aufhalten und bahnen sich einfach einen Weg ins Freie. Anscheinend gibt es keinen Tag, an dem ich mich nicht alleine und missverstanden fühle. Vermutlich wird sich das mindestens so lange weiterziehen, bis ich von hier ausgezogen bin. Vielleicht wird sich sogar nie etwas ändern. Missmutig, enttäuscht und zornig zugleich stoße ich mich von der Türe weg und schlürfe in Richtung Bett, wo ich mich einfach fallen lasse. Dass ich diesen Fetzen noch an meinem Leib trage, ist mir momentan egal. Ich will einfach von nichts und niemandem etwas hören. Tränenüberströmt klammere ich mich an meinem Polster fest und schluchze leise weiter, bis ich irgendwann sogar vor Müdigkeit eingenickt bin. Den ganzen restlichen Tag habe ich von meiner Tante nichts gehört. Auch nachdem ich wiedererwacht war, war es totenstill. Sie hat es sogar nicht einmal gewagt, in mein Zimmer zu kommen, geschweige an meine Tür geklopft. Ob meine Worte doch etwas bewirkt haben? Nein, das glaube ich nicht. Nach allem, was jetzt passiert ist, kann ich auf keinen Fall auf ein Wunder warten, geschweige hoffen. Außerdem hätte sich bereits etwas getan, sollte es wirklich der Fall sein und deswegen glaube ich es einfach nicht. Mit Sicherheit ist sie nun beleidigt, weil ich sie angeschnauzt habe und das war´s auch schon. Vielleicht erwartet sie sogar, dass ich mich bei ihr entschuldige, aber darauf kann sie lange warten. Wer etwas Falsches gemacht hat, sie auf jeden Fall sie und darüber sollte sie sich mal ihren Kopf zerbrechen. Ich glaube allerdings kaum, dass sie überhaupt über meine Worte nachdenken wird und solange sie es nicht tut, wird sich auch nichts ändern. Daher brauche ich erst gar nicht darauf zu hoffen, geschweige daran zu denken. Ich sollte mich wohl auf andere Sachen konzentrieren, sonst werde ich noch ganz verrückt. Ihre „Unterstützung“ kann ich mir getrost abschminken. Mittlerweile habe ich wieder meine eigene Kleidung an. Ich habe mich in diesen rosa Fummel einfach nicht wohl gefühlt und kaum, dass ich es von mir geworfen und etwas Anderes dafür angezogen habe, habe ich das ganze Zeug einfach vor die Türe geschmissen. Soll doch Tante Tina damit machen, was sie will. Ich brauch diesen Mist garantiert nicht. Das Zimmer habe ich für heute so gut wie nie verlassen und wenn, dann habe ich es nur getan, wenn ich mir schnell etwas zu essen geholt habe. Tante Tina bin ich zum Glück die ganze Zeit nicht begegnet. Entweder war sie gerade in einem anderen Raum, oder sie hat sich einfach wieder an ihrem Computer gesetzt und mir war das nur recht. So brauchte ich mich nicht wieder verteidigen und ich musste mir keine weiteren Belehrungen von ihr antun. Davon hatte ich in letzter Zeit zu viel gehört. Schließlich ist es bereits Abend geworden. Die letzten Sonnenstrahlen haben sich verabschiedet und selbst das dunkle Abendrot ist bereits hinterm Horizont verschwunden. Ich habe die Stunden damit verbracht, mich abzulenken, damit ich mich zumindest ein bisschen entspannen kann. Schließlich erwartet mich morgen eine neue Woche, die ich irgendwie überleben muss. Daher war eine Beschäftigung das Sinnvollste für mich. Entweder habe ich in einen meiner Bücher geschmökert, oder ich habe für die Schule gelernt, wobei ich mich bei beiden Sachen nicht immer konzentrieren konnte. Zwischendurch bin ich sogar aus Erschöpfung eingeschlafen, weil ich schon zu Beginn des Tages so viel Energie verschwendet hatte. Jetzt bin ich hellwach und lese gerade wieder in meinem Roman weiter, als plötzlich jemand an der Fensterscheibe klopft, oder habe ich mir das jetzt nur eingebildet? Das kann ja immerhin nicht sein. Ich bin schließlich im ersten Stock und wer würde mich schon in der Dunkelheit besuchen kommen? Fragend lege ich das Buch zur Seite, stehe vom Bett auf und gehe ans Fenster. Zuerst erkenne ich nichts, als ich hindurchsehe, doch als ich achselzuckend schon wieder gehen will, erscheint plötzlich ein vertrautes Gesicht. Kurz zucke ich erschrocken zusammen, grinse aber dann kopfschüttelnd. „Oh Mann Raphael, muss du mich so erschrecken?“, frage ich schließlich, während ich das Fenster aufmache. „Wie wäre es erst mal mit einem „Hallo“?“, entgegnet Raphael mir fragend, grinst ebenfalls dabei und ich lasse ihn herein. Er ist kaum hereingeklettert, als er schon neugierig um sich blickt. Seit wann sind Schildkröten, beziehungsweise Schildkrötenmutanten so neugierig? Wobei, da gibt es eine Frage, die mich sogar mehr beschäftigt. „Sag mal, woher wusstest du, welches Fenster meines ist? Hast du mich beobachtet?“, frage ich ihn schließlich, während er seinen Blick immer noch umherschweift. Es hätte ja immerhin sein können und was macht er eigentlich hier? Doch er antwortet auf meiner Frage nur achselzuckend: „Nicht wirklich, außerdem war dieses Fenster hier das Einzige, aus dem noch Licht zu sehen ist. Daher habe ich vermutet, dass es deines sein muss.“ Stimmt ja, meine Tante hat sich bereits schlafen gelegt, weil sie morgen wieder früh aufstehen muss. Doch es gibt sicher noch mehr Gebäude, in denen noch Licht brennt. Es sei denn, er hat nach unserem gestrigen Abschied noch gesehen, in welches Haus ich hineingegangen bin. Das würde die Sache schon eingrenzen. Dennoch, er hätte sich auch komplett täuschen können und wäre dann in den Armen von jemand anderes gelandet. „Ach so, dann hast du sowas wie ein Ausschlussverfahren gemacht? Aber wenn, dann hattest du trotzdem großes Glück gehabt. Es hätte ja auch das Zimmer von jemand anderes sein können“, erwidere ich mit großer Überzeugung, aber er wiederum zuckt nur abermals mit seinen Schultern und wechselt sogar das Thema: „Ähm … Gemütlich hast du es hier.“ Hätte ich mir ja denken können, dass er jetzt von etwas Anderem spricht. Bei solchen Themen gehen Jungs nicht gerade gerne darauf ein. Zumindest habe ich in dieser Richtung bis jetzt solche Erfahrungen gemacht. Moment mal, klang das gerade eben nicht etwas schüchtern? Ach was, das liegt sicher nur an Tante Tinas schnulziges Geschwafel über Jungs und Verabredungen, die sie mir den ganzen Morgen schon an den Kopf geworfen hatte. Anscheinend hat sich doch etwas in mein Gehirn eingenistet, was lieber schnell wieder wegsollte. Am besten wäre es, wenn ich erst gar nicht weiter darüber nachdenke und dieses Thema einfach ignoriere. So widme ich meine Aufmerksamkeit wieder Raphael zu und bedanke ich mich dafür, was er über mein Zimmer gesagt hat: „Danke und wie es aussieht, werde ich noch längere Zeit hier sein.“ Ob ich will oder nicht, der Gedanke an meinen Hausarrest lässt mich nicht los und er lässt mich auch wieder traurig stimmen. Raphael schaut mich nun verwirrt an. Er kann ja nicht wissen, was mir wiederfahren ist und vielleicht hätte ich das jetzt nicht sagen sollen, denn schon hinterfragt er das Ganze: „Alles klar bei dir? Du siehst irgendwie leicht angepisst aus.“ „Sorry, aber ich will jetzt nicht darüber reden. Ich hatte einfach einen langen Tag.“, versuche ich ihn abzuwimmeln, denn ich habe jetzt wirklich keinen Bock darauf. Den ganzen Tag über habe ich schon damit verschwendet, mich von dem Ganzen abzulenken und ich will das jetzt nicht wieder aufwärmen. Wer weiß außerdem, ob ein Kerl überhaupt eine Ahnung hat, wie beschissen man sich bei sowas fühlt und da ich in letzter Zeit nur enttäuscht und hintergangen wurde, will ich nicht, dass sich das jetzt schon wieder wiederholt. Ich brauche einfach nur eine Ablenkung und anscheinend muss er das gerade von meinem Gesicht abgelesen haben, als er mich fragt: „Na dann. Wenn du schon einen „langen Tag“ hattest, wie wäre es dann mit frischer Luft?“ Eigentlich nett von ihm, dass er mich fragt. Ich hätte das nicht einmal erwartet. Genauso wenig, dass ich heute noch Besuch von ihm bekomme. Allerdings tut es mir gerade gut, mal jemand anderes zu sehen und mich auch „normal“ zu unterhalten. Heute gab es schließlich hauptsächlich nur Streiterei, Geschrei und beleidigtes Schweigen. Zudem würde es nicht schaden, endlich rauszukommen. Vielleicht bekomme ich dann endlich wieder einen klaren Kopf und da Tante Tina schläft, wird sie mit Sicherheit nichts mitbekommen. Hausarrest hin oder her, sie würde das so oder so nicht merken, wenn ich mich übers Fenster davonstehle. Sie würde nach der Aktion mit der Regenrinne so und so nicht darauf kommen. Noch dazu möchte ich einfach nicht länger in meinem Zimmer bleiben, weswegen ich sein Angebot annehme. „Gerne, dann komme ich für heute endlich mal raus.“, murmle ich schließlich, aber Raphael hat mich dennoch verstanden. Kaum habe ich aber seinem Vorschlag zugestimmt, finde ich mich schon in seinem Armen wieder. Wird das jetzt zur Gewohnheit? Ich sage aber nichts. Denn warum sollte ich mir wieder den Kopf zerbrechen. Es reicht mal für heute. „Halt dich gut fest. Eine Hand brauche ich nun mal zum Klettern.“, meint er schließlich und grinst dabei. Was für ein Angeber, aber er wird das wohl einfach ausnutzen. Vermutlich kommt er nicht oft dazu, ein bisschen anzugeben. Solange er es aber nicht übertreibt, kann er es meinetwegen ab und zu machen. Momentan beobachte ich aber einfach, wie er mit mir aus dem Fenster und schließlich an der Mauer entlang aufs Dach klettert. Eines muss ich ihm ja lassen, geschickt ist er. In kürzester Zeit haben wir schließlich mein Zuhause hinter uns gelassen und Raphael springt jetzt mit mir über die Dächer der Stadt. Irgendwie ist es angenehm in seinen Armen zu liegen. Er ist wirklich vorsichtig und während er sprintet, weht mir eine angenehme Brise ins Gesicht. Seltsamerweise empfinde ich dabei tief in mir eine gewisse Wärme und sogar etwas Geborgenheit. Besonders nach diesem Gefühl habe ich mich schon den ganzen Tag gesehnt und bei Raphael scheint das alles so einfach zu gehen. Als wenn nichts dabei wäre, aber wieso eigentlich? Wir kennen uns kaum und das auch nur seit wenigen Tagen. Dennoch scheint das egal zu sein. Irgendwie ist es doch komisch. Bei meiner eigenen Familie und bei meinem Bekanntenkreis fühle ich mich so eingeengt und missverstanden. Wenn ich mein Zimmer nicht absperren könnte, wüsste ich nicht einmal, wohin ich flüchten sollte, oder wo mich einfach zurückziehen könnte. Tag für Tag muss ich sogar aufpassen, dass ich meine Gefühle und Gedanken unter Kontrolle halte. Ich zwinge mich immer selbst dabei, weder die Faust, noch meine Stimme zu erheben, da es so enden könnte, sodass ich es vielleicht nicht mehr kontrollieren kann. Nicht selten wäre ich mal am liebsten so richtig ausgerastet und hätte dabei gerne alles verwüstet, was mir nur so in die Finger gerutscht wäre. Ich erinnere mich gut. Es gab sogar einmal solch eine Situation. In der war ich knapp dran, dies ohne Wenn und Aber durchzuführen. Für mich gab es damals keinen Kompromiss. Doch dann hätte man mir wieder einmal wegen allem und jedem die Schuld zugewiesen und niemand hätte es interessiert, was zuvor passiert war. Nur wegen diesen einen Gedanken konnte ich mich selbst noch davon abhalten, bevor Blut geflossen wäre. Gebracht hat es mir allerdings auch wenig. Den Schmerz musste ich weiterhin stumm ertragen, während andere sich darüber lustig machten und vielleicht sogar einen oben draufsetzten. Jetzt, wo ich aber bei Raphael bin, ist dieses Gefühl wie weggeblasen. Als könnte ich mich einfach fallen und mich in der Schwebe treiben lassen. Zum Glück habe ich das noch nicht zu ihm gesagt. Mir wäre das einfach zu peinlich gewesen und wer weiß, was dann daraufgefolgt wäre. Da genieße ich doch lieber die Ruhe. Er wiederum würde mich wahrscheinlich für verrückt halten und wer weiß, vielleicht ist es dann sogar unangenehm für ihn und das will ich einfach nicht. Eine Weile sind wir unterwegs, bis Raphael auf einmal stehen bleibt und mich vorsichtig herunterlässt. Ich habe gar nicht darauf geachtet, wohin er mit mir eigentlich gelaufen ist. Ich habe ihm einfach vertraut und dieses angenehme Gefühl genossen. Mitten auf dem Dach eines hohen Hauses stehen wir nun und er weist mit seiner Hand auf eine Richtung hin. Als ich dorthin schaue, weiten sich meine Augen vor Staunen. Direkt vor mir zeigt sich der Mond in seiner ganzen Pracht und sein helles Licht spiegelt sich im Eastriver wider. Die Aussicht ist einfach traumhaft und ich komme mir sogar vor, als würde ich mitten in einem schönen Traum sein. Zuerst wird mir gar nicht bewusst, dass ich mich vor lauter Staunen an Raphael angelehnt habe. Erst als er seinen rechten Arm sanft und vorsichtig auf meine Schulter liegt, komme ich für einen Moment aus Wachtraum heraus. Ich hätte nicht gedacht, dass jemand so eine sensible, beinahe schon romantische Seite an sich hat, denn als ich zu ihm hinaufschaue, merke ich, dass er selbst mit einem staunenden Blick die Aussicht genießt. Dabei sieht er von außen hin gar nicht so aus, als ob er der Typ für solche Sachen wäre und das liegt nicht nur daran, dass er ein Mutant ist. Die meisten Männer würden sowas für kitschig, oder albern halten. Vermutlich würde er das vor anderen niemals zugeben, besonders nicht, wenn es um seine Brüder geht. Ich kenne sie zwar nicht, aber Raphael scheint eher der wilde Kämpfer zu sein und da haben Gefühle normalerweise keinen Platz. Würde mich daher nicht wundern, wenn er mich später darum bitten würde, niemandem davon zu erzählen. Ich hätte nicht einmal ein Problem damit. Denn sowas geht eh niemanden etwas an und wenn er es nicht will, dann soll es so sein. Jetzt allerdings scheint er gemerkt zu haben, dass ich ihn die ganze Zeit ansehe. Denn nun er schaut zu mir hinunter, aber seine Reaktion darauf ist merkwürdig. Wird er da gerade rot, oder bilde ich es mir gerade ein? Am liebsten würde ich jetzt zum Kichern anfangen, denn schon wendet er seinen Blick rasch wieder von mir weg und räuspert sich. Dabei tut er auch noch so, als wenn gerade nichts gewesen wäre. Also irgendwie komme ich mir jetzt vor wie in einem schnulzigen Girly-Film. Normalerweise mag ich ja so was nicht. Ich stehe lieber auf Fantasy-, Abenteuer- und Actionfilme, aber irgendwie finde ich das jetzt gar nicht mal so kitschig. Ich fühle mich wohl, weswegen ich einfach mit den Achseln zucke, mir nichts mehr dabei denke und mich schließlich wieder der Aussicht widme, welchen ich einfach weitergenieße. Eine Weile bleiben wir so und keiner von uns hat bis jetzt ein Wort gesprochen. Manchmal muss man auch nichts sagen und man kann einfach die Zeit miteinander genießen. Es ist einfach schön und das Beste daran ist, ich bin diesmal nicht allein. Schließlich löse mich doch von meiner etwas starren Stellung und setze mich auf dem Rand des Daches. Dabei lasse ich meine Beine in der Luft baumeln. Raphael gesellt sich gleich zu mir und ich schaue ihn mit einem Lächeln auf dem Gesicht an. „Danke.“, sage ich schließlich mit einer leisen Stimme und anscheinend habe ich ihn dabei wieder etwas verwirrt. Zumindest sieht er mich so verdutzt an, aber er kann sich gar nicht vorstellen, wie gut mir dieser nächtlicher Ausflug tut. Kapitel 7: Ein Mix aus verschiedenen Gefühlen --------------------------------------------- Aus Raphaels Sicht: „Danke“, mehr als das hat Bernadette nicht gesagt und dennoch reicht dieses eine Wort aus, um mich wieder stutzig zu machen. Denn warum bedankt sie sich auf einmal? Es ist ja immerhin nicht so, als hätte ich ihr gerade ein Geschenk gemacht, oder dergleichen. Ich bin einfach nur mit ihr hier draußen und mehr ist halt nicht, aber das ist nicht das Einzige, was mich gerade so verwirrt. Denn so wie sie es gesagt hat, kam aus ihr eine Art „ kurze Erleichterung“, oder als hätte ich ihr unbewusst einen Wunsch erfüllt, nachdem sie sich schon seit einer Weile gesehnt hat. Schwachsinn, warum sollte da mehr dahinterstecken? Ich interpretiere einfach zu viel hinein. Andererseits macht es mich trotzdem nachdenklich und ich komme wieder zum Schluss, dass dieses seltsame Mädchen einfach ein Rätsel für mich ist. Zunächst sprachlos schaue ich sie eine Weile an und warte darauf, dass sie noch etwas sagt. Doch dann wendet sie einfach ihren Blick wieder von mir ab und wirkt dabei etwas traurig. Als hätte sie in diesem Moment wieder ein Gedanke eingeholt, den sie am liebsten wieder vergessen hätte. Ich check´s nicht, was ist mit ihr überhaupt los? Vorhin hat sie noch so gestrahlt und jetzt ist alles wie weggeblasen. Moment, sie war vorhin schon so drauf, bevor wir aufgebrochen sind. Irgendetwas beschäftigte sie. Sie wirkte sogar ziemlich angepisst und das war mir schon klar, als ich noch Mitten in ihrem Zimmer stand. Nur hat sie das Ganze einfach beiseitegeschoben. Sie wollte schlicht und einfach nicht darüber reden, aber dass sie das Thema wohl nicht so einfach abschütteln kann, ist so sicher wie Donnies Weiterarbeiten an seine Erfindungen, sobald wir nach der Patrouille wieder daheim sind. Was in ihrem Fall dahinter steckt, bin ich immer noch planlos. Nur von einem „langen Tag“ war die Rede, aber das war´s auch schon und von der mickrigen Info, ist nicht wirklich etwas herauszufiltern. Ich kann nur eines vermuten und zwar, dass sie wohl wieder Stress mit ihrer Tante hatte. Vermutlich ging die ganze Aktion vom letzten Telefonat bis heute weiter und Bernadette hängt das nun zum Hals raus und nun ist deswegen angepisst. Allerdings verstehe ich nicht, wieso sie nicht einfach klipp und klar sagt, was Sache ist. Da würde man die Sache wohl besser verstehen und sie könnte sogar dabei etwas Dampf ablassen. Dann hätte sie es zumindest hinter sich und würde nicht trübselig in die Leere starren. Irgendwie macht mich dieser Gedanke sogar leicht aggressiv. Schließlich bringt es sich null, wenn man einfach nur dasteht und Trübsal bläst. Nur, soll ich mich jetzt wirklich dabei einmischen? Im Grunde geht mich das ja gar nichts an und ich hätte auch nichts davon, wenn ich sie nun darauf anspreche. Dass wir hier sind, hat eigentlich nur damit zu tun, weil ich sie einfach mal wieder treffen wollte und weil sogar sie selbst davon was gesagt hat. Dass sie nun geknickt durch die Gegend schaut und nun mit sich selbst beschäftigt ist, macht aber dieses Treffen umso deprimierter. Arch, ich habe einfach keine Geduld dafür! Ich kann doch nicht einfach die Klappe halten und so tun, als wenn nichts wäre. Auch wenn die Tatsache da ist, dass wir uns beide noch nicht einmal richtig kennen, ich will nicht einfach blöd dastehen und sinnlos in die gähnende Leere starren. Das ist schon mal glasklar. Nur, wie stelle ich das geschickt an? Bei Menschen weiß man nie, wie sie reagieren und so viel Erfahrung habe ich auf der persönlichen Ebene nicht. Ach scheiß drauf, mir wird es schon langsam zu bunt. So frage ich sie nach einer gefühlten Ewigkeit, was ihr demnach so sehr auf dem Keks geht: „Alles klar? Du siehst ziemlich angepisst aus.“ Überrascht von meiner plötzlichen Frage, dreht Bernadette ihren Kopf ruckartig zu mir und sieht mich wieder an. Doch anstatt gleich einmal Klartext zu reden, legt sie ihre überraschte Art wieder ab und tut sogar so, als wenn nichts wäre: „Hm? Wie kommst du darauf? … Was sollte schon groß sein? Bei mir ist alles in Ordnung.“ „Ach hör auf, das kannst du wen anderem erzählen. Meinetwegen dem Papst höchst persönlich und selbst der würde dir das nicht abkaufen. … Man sieht es dir ja förmlich an, dass irgendetwas nicht stimmt und dass du es am liebsten loswerden würdest. Also rück schon raus damit, dann hast du es zumindest hinter dir.“, hake ich weiter fordernd nach. Doch wenn man bei dem Mädel glaubt, die macht das einfach, dann irrt man sich. Als hätte ich das eigentlich schon vorher wissen müssen, kommt sie meiner Antwort, die so klassisch ist, als hätte sie diese direkt aus einer Seifenoper geklaut: „Nichts.“ Will sie mich etwa für dumm verkaufen? Da kann sie ihre Show „Gute Miene zum bösen Spiel“ so lange machen, wie sie will, ich kaufe ihr das garantiert nicht ab. Außerdem werde ich weiter nachhaken, wenn es sein muss. Schließlich wird mir nicht umsonst hinterhergesagt, dass ich eher zu sturen Sorte gehöre und wenn sie darauf aus ist, spiele gerne diese Karte aus. Was ist außerdem das Problem daran? Dass ihre Tante wohl nicht alle Tassen im Schrank hat und scheinbar leicht reizbar ist, habe ich schon mitbekommen. Da braucht Bernadette nichts verheimlichen und das Kuriose an der Sache ist auch noch, dass ich ihr vollkommen ansehen kann, dass sie eigentlich schon reden will, aber aus irgendeinem Grund nicht kann, beziehungsweise nicht will. Allein schon wie sie dasitzt und mich ansieht, merke ich ihre Unruhe und das Verlangen danach, es endlich mal aus sich herausschreien zu können. Ich kenne Bernadette zwar nicht, aber allein ihre Gestik und Mimik ist gerade wie offenes Buch für mich. Da brauche ich nicht viel dazu interpretieren und wenn sie glaubt, ich werde so einfach das Thema wechseln, dann hat sie sich mächtig getäuscht. So einfach mache ich es ihr nicht, weswegen ich es ein weiteres Mal versuche, sie darauf anzusprechen: „Hey, nun spuck es schon aus. Du kannst ruhig mit mir offen reden. Auch wenn ich so aussehe, ich beiße nicht.“ Mein letzter Satz, den ich gekonnt mit etwas Sarkasmus eingesponnen habe, hat anscheinend bei ihr gewirkt, denn nun lächelt Bernadette und lacht sogar kurz auf, aber dann meint sie geknickt: „Verstehe mich nicht falsch, aber wir kennen uns nicht einmal richtig. … Außerdem will ich dir nicht mit meinen Problemen auf die Nerven gehen. Das ist meine Sache und damit muss ich einfach zurechtkommen.“ „So ein Schwachsinn! Ich würde nicht fragen, wenn ich es nicht wissen wollen würde und wenn ich dir eh schon meine Hilfe anbiete, dann brauchst du dir keine grauen Haare deswegen wachsen lassen. Also rück schon raus damit. Ich bin zwar kein so guter Zuhörer, aber wenn ich mir mal was in den Kopf gesetzt habe, dann ziehe ich es verdammt noch mal auch nur. Also leg schon los.“, versuche ich sie weiterhin zum Reden zu bringen. Meine Ungeduld ist gerade nicht wirklich von Vorteil, aber was soll ich schon großmachen, wenn sie sich so ziert? So warte ich leicht angespannt und mit verschränkten Armen darauf, dass das Mädel endlich mal den Mund aufmacht. Doch Bernadette starrt mich zunächst fragend an und zögert sogar. Unruhig kaut sie etwas an ihrer Unterlippe, was meine Lage nicht gerade besser macht. Warum zur Kröte zögert sie immer noch? Soll ich etwa einen Handstand machen, damit mal kurz lacht und endlich mal die Kurve kriegt? Schnaubend mache ich deutlich, dass ich nicht gerade den längsten Geduldsfaden habe, aber ich weiß auch, dass es sich nichts bringen würde, wenn ich „etwas lauter“ werde, weswegen ich es noch einmal auf die etwas ruhige Art und Weise versuche. „Sag es einfach doch, oder schreie es meinetwegen heraus, damit es dir bessergeht. Dann ist es zumindest endlich raus und wenn du willst, kannst du ja mit Flüchen um dich werfen. Mir persönlich hilfst ja.“, füge ich einfach auffordernd hinzu und hoffe, dass sie endlich mit der Sprache rausrückt. Sie seufzt, doch dann fängt sie tatsächlich an, zu erzählen: „Ach, wenn du es unbedingt hören willst, dann bitte: … Weißt du, die ganze Woche ist für mich schon richtig mies gelaufen. Wobei, eigentlich ist das schon etwas länger so. … Die ganze Zeit versuchen die Leute um mich herum mich zu ändern. Sie zwingen mich zu Dingen, die ich eigentlich nicht machen will und wenn ich nicht mitspiele, dann …“ „Dann machen sie dir das Leben schwer.“, beende ich ihren Satz, als sie auf einmal gestoppt hat. Langsam verstehe ich, was Sache ist. Scheinbar liegt es nicht nur an ihrer Tante, aber so wie sie es erzählt, bin ich neugierig geworden. Bernadette dagegen nickt zu meinem Zwischenruf zustimmend und setzt dann schließlich fort: „Ja und das Schlimme daran ist, dass mir dann auch noch Sachen vorgeworfen werden, die eigentlich nicht stimmen und ich muss dann wieder für alles Mögliche den Kopf hinhalten. Zuhören ist bei denen ja Luxus, Hauptsache man kann mir eines reinwürgen, aber das ist ja leider nicht das Einzige. Dieses ständige „Eingliedern in die Gesellschaft“ macht mich noch ganz kirre! So wie auch heute. … Du kannst dir gar nicht vorstellen, was meine Tante mit mir aufgeführt hat.“ Jetzt werden meine Augen immer größer, als ich den letzten Teil gehört habe. Was meint sie damit? Hat ihre Tante wohl eine Folterkammer im Keller, oder wie darf ich das jetzt verstehen? Ich hoffe nur, dass Bernadette jetzt nicht geschlagen wurde. Das wäre wegen dieser absurden Geschichte auch vollkommen übertrieben gewesen, sollte das tatsächlich der Fall sein. Allerdings weiß man bei den Menschen nie. Manche habe einfach einen Knall und von dieser Sorte habe ich schon einige gesehen. Bernadette muss meine Reaktion darauf allerdings verstanden haben, denn schon beschwichtigt sie es: „Nicht das, was du denkst. Sie hat … wie soll ich sagen? …“ Plötzlich ist sie wieder still und sieht mich so komisch an, als wenn das, was wirklich dahintersteckt, ihr peinlich ist. „Sag´s einfach, dann hast es hinter dir.“, dränge ich sie schließlich. Meine Geduld ist nicht gerade das Beste, aber es kann so und so nicht so weitergehen. Jetzt hat sie damit angefangen, jetzt soll sie das auch zu Ende bringen. Muss ich ihr wirklich jedes Detail aus der Nase ziehen? Da werde ich noch alt und kleinwinzig, bis ich mal endlich schlauer aus ihr werde. Doch endlich geht es von ihrer Seite aus wieder weiter: „Also schön, … sie hat mich einfach zu einer „pinken Modenschau“ gezwungen. … Jetzt ist es raus.“ Eine „pinke Modenschau“? Und das soll so schrecklich gewesen sein? Ok, sowas Lächerliches habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört. Nur, war dies im allen Ernst das „große Problem“, weswegen sie so eine Miene gezogen hat? Ich werd´ nicht mehr! Das ist einfach zu bescheuert und ich kann nicht anders, aber da muss ich jetzt einfach lachen. Ich versuche sogar, es noch irgendwie zu unterdrücken, aber allein die Vorstellung, dass Bernadette in diesem Augenblick einen rosa Fummel mit allerlei Rüschen, Glitzer und Spitzen „spazieren“ trägt, lässt es einfach nicht zu. In meinem Hirn hat sich einfach ein Kopfkino eingeschaltet und selbst eine Version mit einem Tutu kommt dabei vor, weswegen ich einfach drauf loslache. Mir kommen sogar die Tränen, während ich mit meiner rechten Hand gegen den Beton des Daches klatsche. Es ist einfach zu lustig. Ich muss noch eine Weile aus Leibeskräften lachen. Mir geht sogar beinahe die Puste dabei aus, bis ich aber dann merke, dass ich mit meinen Lachen vollkommen alleine dastehe. Denn Bernadette sieht mich die ganze Zeit zornig an. Keine Spur von Humor ist von ihrem Gesicht abzulesen. Stattdessen strahlt sie pure Wut und Empörung aus und scheinbar hat Bernadette nun endgültig die Faxen dicke, denn sie steht auf einmal knurrend auf. „Schön, dass sich zumindest einer von uns amüsieren kann!“, faucht sie. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich vermutlich bereits gestorben, aber wieso macht sie aber so ein Drama daraus? Es ist ja nicht so, als wenn ich sie ausgelacht hätte. Die Vorstellung an sowas Bescheuertes ist einfach bescheuert. Was hätte ich auch anders machen sollen? Nur sie scheint das wohl anders zu sehen und für mich heißt es jetzt, dass ich die Sache mal aufklären und wieder bereinigen muss. Was man nicht alles tun muss, damit sie cool bleibt. „Hey, sorry! Das war jetzt wirklich nicht böse gemeint. Aber komm schon, du musst doch zugeben, dass „pinke Modenschau“ doch wirklich lächerlich klingt.“, versuche ich sie nun zu beruhigen und ich will ihr sogar meine Hand zur Entschuldigung entgegenreichen, als sie diese voller Zorn wegschlägt. Verwundert darüber sehe ich sie einfach stumm an. Das kann doch jetzt wirklich nicht so herzzerreißend sein, oder? Scheinbar doch und meine Lachattacke hat sie wohl mehr verletzt, als ich zunächst gedacht habe. Dabei war das nicht einmal so gemeint. Ich habe doch nur wegen dieser Vorstellung gelacht. Wer hätte das wohl nicht getan, aber wie hätte ich das bitte schön ahnen soll, dass ihr das so auf die Nieren geht. Bernadette hingegen kämpft gerade mit den Tränen, während sie mich immer noch böse anfunkelt. Jede Träne versucht sie irgendwie zu unterdrücken, aber das klappt anscheinend nicht so gut und ich scheine wohl dabei der letzte Tropfen gewesen zu sein, welcher das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Verdammt! Das wollte ich eigentlich nicht damit bezwecken und in mir schleicht sich immer deutlich das Gefühl ein, dass an der Sache noch mehr dran ist. Vermutlich ist selbst das, was sie mir zuvor erzählt ein Bruchteil davon, was wirklich ist. Nur wird sie mir wohl kaum jetzt den fehlenden Teil der Geschichte schildern. Dafür ist sie nun stinksauer auf mich und mir selbst ist das Lachen nun endgültig vergangen. Mit einem ernsten Gesichtsausdruck stehe ich schließlich auf und gehe auf sie zu. Sie dreht sich allerdings von mir weg und verschränkt zerknirscht die Arme. Was soll ich jetzt machen? Irgendwie habe ich nicht den blassesten Schimmer, was ich jetzt sagen, geschweige tun soll. Mit sowas hatte ich noch niemals etwas zu tun gehabt. Zwischen mir und meinen Brüdern gab es nun mal nie so eine „Schmollaktion“, daher habe ich keine Ahnung. Selbst nach „langem“ Grübeln fällt mir nichts Passendes ein. Gibt es nicht sowas wie eine Bedienungsanleitung für sowas? Wäre jetzt vielleicht hilfreich, aber wie machen die das immer in den Filmen. Moment, eine Idee hätte ich jetzt. Hoffend, dass das auch klappt, drücke ich sie einfach von hinten an mich und schließe sie in meine Arme. Vielleicht braucht sie das jetzt, ich ja keine Ahnung. Ich hoffe im Stillen nur, dass das auch die richtige Wirkung zeigt, sonst bin ich noch mehr am Arsch. Zuerst wehrt Bernadette sich dagegen, bis sie es aber dann doch zulässt und nach einer kurzen Weile sogar leise zu weinen beginnt. Schweigend lasse ich sie einfach. Was zu sagen, wäre vermutlich gerade nicht so ideal. Da muss mehr passiert sein, da bin ich mir sicher und ich glaube nicht, dass Bernadette zu jenen Mädchen gehört, die wegen jeder Kleinigkeit herumheulen. Ich schätze sie einfach anders ein – von außen stark und schnell kleinzukriegen und diese Vermutung hatte ich bereits bei unserer ersten Begegnung. Vermutlich war diese „pinke Modenschau“ nur die Spitze des Eisberges, was auch immer damit auf sich hatte. Bernadette hat ja zuvor gemeint, dass es ihr schon seit längerem nicht so gut geht. Abgesehen von ihrer Tante, wird es wohl noch weitere geben, die es ihr nicht leichtmachen. Nur wage ich es zu bezweifeln, dass es sich dabei nur um eine bestimmte Person handelt. Da muss noch mehr dahinterstecken. So werde ich allerdings nichts weiter erfahren. Ich Idiot habe es mit meiner Lachattacke nur schlimmer gemacht. Zwar unbeabsichtigt, aber jetzt weint sie. Na ganz toll! Ich wüsste allerdings auch nicht, wie ich ihr weiterhelfen könnte. Ich habe dazu keinen blassen Schimmer. Das Einzige, was ich machen könnte, ist denjenigen zusammenzuschlagen, der ihr die Tour vermisst. Ob das was bringt, weiß ich aber nicht. Ich persönlich hätte da kein Problem damit. Bei Bernadette sieht das wiederum anders aus. Vermutlich würde ich dadurch vielleicht sogar alles schlimmer machen. Mann, was mache ich jetzt?! Eine Zeit lang vergeht, bis sie sich zu meiner Erleichterung doch wieder beruhigt. Ihr Schluchzen wird immer leiser und erst als ich sicher bin, löse ich den Griff wieder, drehe sie zu mir um und sehe sie an. „Hey sorry. Das wollte ich wirklich nicht. … Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so schlimm für dich ist.“, entschuldige ich mich bei ihr noch einmal. Meine Hände ruhen dabei auf ihren Schultern und ich meine es auch ernst. Zu meiner Erleichterung erkennt Bernadette dies auch und sie verzeiht mir, indem sie einfach stumm nickt. Sie versucht sogar kurz zu lächeln, aber ihr liegt wohl die Sache immer noch quer im Magen. Naja, immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Seufzend bitte ich sie schließlich, ein bisschen mehr ins Detail zu gehen: „Ok und jetzt erzähl mir mal klipp und klar, was Sache ist. Ich brauche schon mehr Infos, sonst kann es leicht passieren, dass ich bei nächsten falschen Gedanken einen weiteren Lachkrampf bekomme. Ich garantiere nämlich für nichts.“ So wirklich begeistert scheint Bernadette ja nicht zu sein. Liegt es vielleicht daran, dass ich zuvor gelacht habe, oder gibt es da noch etwas, was ihr wieder peinlich ist? Ich hoffe nur, dass sie sich einen Ruck gibt und mir das von vorhin nicht allzu sehr übelnimmt. Zu meinem Glück enttäuscht sie mich damit nicht, als sie schließlich seufzend meint: „Ich weiß zwar nicht, warum du es unbedingt wissen willst, aber bitte: Erstens habe ich zuhause meine Tante im Nacken. Täglich wirft sie mir vor, dass ich mich nicht wie eine „richtige Dame“ verhalte und auch deswegen keine Freunde mehr habe. Als wenn sie nichts Besseres zu tun hätte, versucht sie mich nun mit pinken Sachen und ihren Predigten umzupolen und mischt sich in allen ein, was ich tue.“ Während sie so redet, wird ihr Stimme dabei immer kräftiger. Als wenn dabei ihr Wut darauf sich stärker zeigen wollen würde und für mich klingt das Ganze, als bräuchte ihr Tante mal dringend Hilfe. Anscheinend ist die Verrückte in der falschen Zeit geboren worden, oder warum behauptet die so einen Schwachsinn? Woher will sie wissen, was man unter einer „richtigen Dame“ versteht und gibt es sowas überhaupt? Das ist doch bescheuert! Noch dazu ist es offensichtlich, dass Bernadette die Farbe Pink wie die Pest hasst. Da wäre sie hierbei nicht die Einzige, aber das ist gerade nebensächlich. Allerdings beschäftigt mich mehr die Rede davon, sich der Gesellschaft anzupassen, und das ist doch der größte Bockmist, was mir je untergekommen ist! Was hat man davon, wenn man wie ein Papagei das nachplappert, was andere vorkauen? Das macht weder einen Sinn, noch ist es hilfreich, wenn man wie die Roboter nach dem gleichen Schema vorgeht. Da kann ich es nur allzu sehr nachvollziehen, dass Bernadette sie selber sein will und frei entscheiden möchte, was sie für richtig hält. Leider ist ihre Tante nicht die Einzige, die auf so einen Mist besteht, denn Bernadette setzt mit ihrer Erzählung fort: „Zweitens muss ich mich täglich mit einer Tussi herumschlagen, die scheinbar die gesamte High-School unter Kontrolle hat. Schüler, sowie auch die meisten Lehrer vergöttern dieses Miststück und sie liebt es, mich tagein tagaus zu schikanieren. Würde ich nicht ständig wegen ihr Probleme einkassieren und mich vor strengeren Strafen fürchten müssen, würde ich ihr am liebsten die Fresse polieren! Dann hätte sie zumindest einen Grund einen Chirurgen aufzusuchen.“ Bernadettes Wut steigt immer weiter an und allein wie sie von dieser Schnepfe spricht, von der sie so gequält wird, lässt klar an ihrer rechten Hand gut sehen. Sie ballt diese zu einer starken Faust zusammen und ich stelle mir gerade vor, wie sie das wohl anstellen würde. Bei sowas wäre ich sogar am liebsten dabei, auch wenn ich einfach, vom Schatten aus, zusehen kann. Jedoch denke ich nicht nur daran. Ich versuche mir anhand ihrer Erzählungen vorzustellen, wie es ihr an ihrer Schule ergehen mag. Diese scheint irgendwie für mich der schwierigere Part zu sein. Wer weiß, was noch alles vorgefallen ist, bis es dann schließlich zu diesem „Ausbruch“ gekommen ist. Ich weiß immerhin nicht viel von Bernadette. Nur das, was sie mir erzählt hat, aber scheinbar habe ich nun endlich das Eis durchbrochen. Denn voller Schmerz erzählt Bernadette mir mehr und ich bekomme nun mit, dass sie wegen dieser Tussi sogar am Verlust ihrer gesamten Freunde leidet und nun steht sie vollkommen alleine da. Keiner will mit ihr etwas zu tun haben und so lange sie nicht das tut, was man von ihr verlangt, wird sich daran nichts ändern und vielleicht sogar schlimmer werden. Zumindest ist Bernadette felsenfest davon überzeugt, dass das so geschehen wird. Zudem fühlt sie sich von jedem missverstanden und hintergangen. Schweigend und ohne Unterbrechung lausche ich ihren Erzählungen. Ich versuche sie zu verstehen und bekomme sogar den Grund zu hören, warum sie an jenen Tag in der Nähe des Kaufhauses war. Scheinbar kann sie sich mit kleinen Ausflügen ein wenig ablenken. Nur das es dieses eine Mal anders verlief als sonst und wir beide wissen ja warum. Je mehr sie mir erzählt, desto besser verstehe ich nun, warum sie die ganze Zeit versucht hat, ihre Traurigkeit und ihren Zorn zu verstecken und für einen Moment zu vergessen. Ich begreife endlich ihre komischen Argumente von vorhin, wobei mir immer noch einiges unklar ist. Zum Beispiel kapiere ich nicht, dass sie wirklich niemandem zum Reden hat. Was ist mit ihren Eltern, oder hat sie zumindest Geschwister? Vielleicht kommt schon später noch etwas zu diesem Bereich. Zumindest ist jetzt einmal geklärt, warum sie so zornig auf mein Lachen reagiert hat. Da hat sich bei ihr einfach einiges angestaut und irgendwann mal musste sie einfach explodieren. Hätte ich eher etwas davon gewusst, hätte ich anders reagiert. Trotzdem könnte ich mir für mein voriges Verhalten in den Arsch treten. Denn in mir herrschen nun kleine Schuldgefühle, die sich nicht so leicht abstellen lassen. Kaum hat Bernadette nun ihren letzten Satz gesagt, seufzt sie erleichtert und starrt wieder zum Mond hinauf. Es muss ihr schwergefallen sein, mir ihre Sorgen anzuvertrauen. Vermutlich wusste sie, abgesehen von der Lachattacke, nicht, ob sie mir trauen kann oder nicht. Schließlich kennen wir uns noch nicht wirklich. Es ist noch vieles im Unklaren und sie wird mich wohl noch als Fremden ansehen. Andererseits scheint sie sich momentan etwas besser zu fühlen. Zumindest wirkt sie jetzt so auf mich und momentan würde ich am liebsten jeden einzelnen verprügeln, den sie mir gerade aufgelistet hat. Auch wenn ich sie seit kurzem kenne, es gibt keinen Grund, solch einen Schwachsinn zu verzapfen! Wie kommt man nur auf sowas Idiotisches?! Gibt es nicht genug Sorgen auf der Welt, dass die Leute sich jetzt auch untereinander fertigmachen? Ich verstehe die Menschen manchmal nicht. Klar, meine Brüder und ich zanken auch manchmal, oder gehen uns gegenseitig mal mehr und mal weniger auf die Nerven. Das ist normal, wenn man das so nennen kann. Was aber die Leute hier an der Oberfläche manchmal abziehen, ist oft echt das Allerletzte. Als ich schon etwas zu Bernadette sagen möchte, dreht sie sich auf einmal zu mir um. Irgendwie wirkt sie auf mich jetzt, als wenn die negativen Gedanken für heute „Gute Nacht“ gesagt hätten und langsam abgedampft wären. Sie lächelt sogar etwas und ich bin ehrlich gesagt froh darüber, dass sie nicht mehr mit den Tränen kämpfen muss. Mit so etwas kann ich einfach nicht umgehen. Ich komme mir dabei nicht nur wie der größte Depp vor, ich weiß bei sowas einfach nicht, was man dabei am geschicktesten tun sollte. Vermutlich haben da meine Brüder etwas mehr Gefühl dabei. Auf jeden Fall konnte Bernadette endlich mit jemandem reden. Auch wenn wir uns beide noch nicht gut kennen, hat sie zumindest gesehen, dass ich nicht so übel bin und sie hat nicht mehr diesen gequälten Gesichtsausdruck von vorhin. Ich liebe es zwar, wenn meine Feinde Schmerzen haben, aber bei ihr brauche ich das einfach nicht. Dann ist jetzt wohl alles geritzt und ich hätte schon das Thema gewechselt, damit wir das Kapitel endlich abschließen können. Doch das, was dann folgt, habe ich nicht gerechnet. Sie geht einfach auf mich zu und umarmt mich. Zunächst bin ich noch etwas perplex und stehe für einige Sekunden wie eine Salzsäule da, aber dann ich erwidere es und schließe sie ebenfalls in meine Arme. „Danke, dass du mir zugehört hast. Es ist schon lange her, dass ich mich mit jemandem offen reden konnte, der mir auch wirklich zuhört, ohne mich dabei wieder zu belehren. Du bist der Einzige, bei dem ich mich in letzter Zeit wohlfühle.“, sagt sie auf einmal, als wenn nichts wäre und ich muss schlucken. Sie fühlt sich bei mir wohl? Habe ich da gerade etwas verpasst? Verwirrt stehe ich und langsam glaube ich sogar, dass ich wieder rot werde. Zum Glück schaut sie gerade nicht rauf, sondern drückt ihr Gesicht sanft gegen meine Brust. Das wäre jetzt sonst echt peinlich gewesen und ich kann das auch nicht so einfach abstellen. Was geht hier eigentlich ab? Mein Schädel ist völlig überfordert. Warum weiß ich selber nicht. Wie macht sie das nur, dass sie mich so irritiert? In ihrer Nähe schlägt mein Herz so schnell, als wenn ich einen Marathon laufen müsste und wenn sie mich auf eine gewisse Art ansieht, oder etwas Bestimmtes sagt, bringt sie mich erst recht aus der Fassung. Ich dachte die ganze Zeit, dass dies nur ein Zufall gewesen ist und dass ich es mir nur einbilde. Nur ergeht es mir auch jetzt wieder so, aber ich mache keine Anstalten, um es zu verhindern. Irgendwie genieße ich das sogar. So bescheuert und seltsam das auch klingt, aber es ist so und ich kann nichts wirklich daran ändern. Ist das vielleicht so etwas Ähnliches, was Mikey in Bezug auf April fühlt? Das kann nicht sein! Bei meinem Bruder handelt es sich vielmehr um sinnlose Flirtversuche und Schwärmereien, die April bis jetzt gekonnt abgeblockt hat. Ihr sieht man es sogar an, dass sie überhaupt nicht auf diesen Vollpfosten steht. Bei Bernadette hingegen bin ich mir unsicher. All diese Gedanken machen jedoch keinen Sinn und ich denke, dass es für heute reicht. Es ist schon spät und morgen muss Bernadette wieder in die Schule, wobei sie den Ort eher als Irrenanstalt bezeichnet. Außerdem muss ich mich auch schon langsam auf dem Weg machen. Immerhin sollen meine Brüder keinen Verdacht schöpfen und wenn ich zu spät komme, werden die mir sicherlich Löcher in den Bauch fragen. Darauf habe ich echt keine Lust. Die würden mir dann die Hölle heiß machen, wenn sie von Bernadette wüssten. Da mache ich lieber so schnell wie möglich die Biege, bevor ich noch auffliege. So bringe ich sie schließlich nach Hause. Dort angekommen, lasse ich sie durch das offene Fenster klettern, während ich mich am Rahmen festhalte. Als sie sich noch einmal zu mir umdreht, lächelt sie mich an. Was für ein anstrengender Abend, aber zumindest ist die Stimmung am Ende doch wieder gut geworden. Ich sollte mich aber langsam in Bewegung setzen und mich mal für heute verabschieden. Ehe ich dies aber tun kann, überrascht Bernadette mich für heute ein letztes Mal. Ich habe nicht einmal meinen Mund zum Abschied geöffnet, schon spüre ich ihre Lippen auf meiner rechten Wange. „Gute Nacht und danke nochmal fürs Zuhören“, wünscht sie mir mit einer sanften Stimme. Etwas perplex schaue ich sie dagegen blinzelnd an, bis ich mich dann räuspere und dann murmelnd einen Abgang mache. So schnell ich nur kann klettere ich die Wand hinauf und springen dann über die Dächer. Wie ein brausender Sturm sause ich durch die Nacht. Keine Ahnung, was mich da gerade antreibt, aber ich habe das Gefühl, als könnte ich fliegen. Ich weiß nicht einmal, wie lange ich überhaupt gebraucht habe, bis ich beim Treffpunkt angekommen bin. Jedoch bin ich noch allein. Keiner meiner Brüder ist in Sichtweite. Vermutlich war ich diesmal schneller als sonst und ich gehe nun ungeduldig auf dem Platz auf und ab. Ohne dass ich es will, denke ich gerade an die Momente, an denen mich Bernadette so aus der Fassung gebracht hat. Keine Ahnung warum das so ist, aber ich kann nicht aufhören daran zu denken. Der Höhepunkt war der Kuss. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich von einem Mädchen geküsst werde. Ok, Tatsache ist, dass es nur auf der Wange war, aber trotzdem zählt es! Tief durchatmen und Ruhe bewahren. Sonst bekommen die anderen noch mit, dass mit mir etwas nicht stimmt und dann wirklich fliegt alles auf. Ich muss mich irgendwie ablenken, nur womit? Da mir noch etwas Zeit bleibt, bis die anderen endlich aufkreuzen, suche ich etwas, auf das ich einschlagen kann. Das ist im Moment das Einzige, was mir noch ansatzweise helfen kann. Nachdem ich eine Weile wie ein Irrer herumgestöbert habe, finde ich doch noch ein paar verbeulte Metallstücke. Mit Genuss und voller Kraft schlage ich auf diese ein und verbiege sie noch mehr, sodass man sie eigentlich für moderne Kunst halten könnte. In diesem Augenblick treffen gerade die anderen ein. Natürlich ist es wieder einmal Mikey, der seine große Klappe als Erstes aufreißt und mir auf die Nerven geht: „Woawoaw Raphi! Was hat dir das Gerümpel denn getan, dass du so darauf einprügelst?“ „Schnauze Mikey!“, knurre ich ihn nur an und werfe das Stück, was ich gerade bearbeitet habe, in seine Richtung. Dabei hat es meinem Bruder mit der orangen Maske knapp verfehlt und am liebsten hätte er sich gleich darüber aufgeregt, aber soweit kommt es doch nicht. „Regt euch beide ab. Sag mal, war bei dir heute wieder einmal nichts los, dass du so sauer bist?“, mischt sich jetzt Leo ein und damit er wieder Ruhe gibt, bejahe ich es einfach, auch wenn es eigentlich nicht stimmt. Lieber gehe ich darauf ein, bevor sie noch von Bernadette erfahren. Ich darf mir auf keinen Fall etwas anmerken lassen, geschweige mir einen Fehler erlauben. Zum Glück geben sich meine Brüder damit zufrieden und wir können endlich von hier abzischen. So laufen wir los und nehmen den gewohnten Weg nach Hause. Auch diesmal werden wir von unseren Vater mit einer strengen Miene erwartet. Doch diesmal sagt er nicht, dass wir spät dran wären. Könnte er auch diesmal nicht, denn Donnie hat extra noch einmal die Uhren verglichen, bevor wir heute losgezogen sind. Das heißt also, dass Meister Splinter keinen Grund hat, zu meckern. Falsch gedacht! Der alte Herr findet doch wieder etwas und das heißt diesmal, dass wir unser Training sofort fortsetzen sollen. Ohne dass wir uns dabei von der Tour ausruhen dürfen. Also war das vorige Mal so eine Art Gnadenfrist, oder wie darf ich das verstehen? Murrend folgen wir ihm in das Dojo, auch wenn sowohl meine Brüder als auch ich für heute k.o. sind. Das scheint aber unserem Vater nicht zu interessieren, denn ohne, dass wir vorbereitet sind, gibt er plötzlich den Befehl zum Angriff an. Natürlich reagieren wir vier viel zu langsam und unser Meister hat uns bereits einen nach dem anderen auf die Bretter geschickt. Mit nur wenigen Bewegungen seines Rattenschwanzes hat er es geschafft, dass jeder von uns den Boden „küsst“. Etwas jammernd liegen wir nun verstreut herum und rappeln uns langsam wieder auf. Unser Vater schüttelt streng den Kopf, als er meint: „Als Ninjas ist es eure Aufgabe zu jedem Zeitpunkt für einen Kampf bereit zu sein. Euren Gegnern wird es egal sein, ob ihr müde seid oder nicht. … Von Vorne!“ Und nun geht es wieder los und ich befürchte, dass das eine lange Nacht werden wird. Kapitel 8: Aus verschiedenen Welten ----------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: In Nachhinein frage ich mich wirklich, was mich letzte Nacht geritten hat. Ich meine, ich habe schließlich Raphael einen Kuss auf die Wange gegeben. Das ist doch sonst nicht meine Art, wenn es um einen Bekannten geht. Immerhin kenne ich ihn kaum und dennoch war ich ihm so dankbar, dass er mit mir diesen kleinen Ausflug gemacht und mir auch zugehört hatte, sodass ich einfach nicht groß nachdachte. Ich tat es einfach und nun fühle ich mich ihm bezüglich hin und her gerissen. Denn aus einem undefinierbaren Grund ist zwischen uns beiden so eine Vertrautheit, die eigentlich gar nicht da sein sollte. Ich fühle mich bei ihm einfach wohl und ohne, dass es vermutlich beabsichtig war, hatte er mir letzte Nacht genau das gegeben, was ich schon so dringend gebraucht hatte: Ich kam dank ihn endlich raus aus meinem Zimmer, konnte ein wenig Frieden finden und ich konnte ihm sogar mein Leid klagen, ohne, dass ich mir dabei wieder die nächste Belehrung anhören musste. Er war einfach für mich da und das ohne, dass ich es von ihm verlangt, geschweige von ihm gefordert hätte. Er ist der Erste seit langem, der mich so sieht, wie ich bin und das ist einfach unbeschreiblich schön. Nur zweifle ich irgendwie daran, dass dies sich sogar mal wiederholen könnte. Dafür habe ich schon viel zu oft die bittere Wahrheit erfahren dürfen und ich möchte mich einfach nicht so sehr darauf festlegen. Mir reicht es schon, dass ich meine Energie auf anderer Weise einsetzen muss und dies habe ich zu meinem Leidwesen wieder aufs Neue erfahren dürfen. Ich habe am Morgen des nächsten Tages noch nicht einmal richtig die Aula der High-School betreten, als ich bereits erwartet werde. Mehrere Mädchen stehen bei der großen Treppe und direkt an der Front bemerke ich ihre Anführerin, Lucinda höchstpersönlich. Mit der linken Schulter zu mir gerichtet, hat sie anscheinend darauf gewartet, dass ich mich endlich blickenlasse. Zumindest würde das diese „Versammlung“ erklären. Jedoch ist sie noch mit ihrem Smartphone beschäftigt, weswegen sie mich noch nicht mitbekommen hat. Als mich schließlich eine von Lucindas Gefolgschaft bemerkt hat, flüstert sie ihrer Anführerin aufgeregt etwas zu, wodurch die Blondine sofort von ihrem Handy ablässt und sich der Quasselstrippe widmet. Zwar kann ich von meiner momentanen Position nicht verstehen, was diese gerade gesagt hat, aber allein was ich gerade gesehen habe, kann nichts Gutes bedeuten. Jetzt sind alle Augen auf mich gerichtet. Wie vor Gericht werde ich von starren Blicken verfolgt, bis Lucinda schließlich mit ihren Fingern ein Zeichen gibt und anschließend losmarschiert. Immer näher kommen sie auf mich zu und die Göre hat nichts Besseres zu tun, als mich mit erhobenen Haupt und einem hochnäsigen Grinsen anzusehen. Dabei tut sie so, als wenn sie etwas Besseres wäre und sie ist sogar felsenfest davon überzeugt. Nicht selten prahlt sie damit. Jedoch ist sie nichts weiter als eine aufgeblasene, blöde Kuh mit Unmengen an Kohle in den Taschen. Am liebsten hätte ich ihr gerne die Fresse poliert, damit sie endlich damit aufhört und sich zum Teufel schert. Ich spüre schon, dass sich die tobende Wut in mir breitmacht. Tatsache ist aber, dass ich alleine keine Chance habe. Würde ich auch nur eine falsche Bewegung machen, würde sich dieses Rudel auf mich stürzen und mich festhalten. Was dann darauf erfolgen könnte, ist schwer zu sagen. Ich könnte sowohl verprügelt werden, als auch in eine Art Falle tappen, wodurch ich dann wieder einmal zum Rektor müsste. Ich hasse es, nichts tun zu können und dabei würde ich so gerne mal den Spieß umdrehen und wie ein Tornado wüten! Nur, mir sind die Hände gebunden und das ist einfach scheiße! Tief durchatmend warte ich einfach stumm ab, bis sie vor mir stehen. Ich könnte ohnehin keinen Schritt weitermachen, denn die Schar beginnt nun, sich aufzuteilen und sie bildet dabei einen Halbkreis. Es kommt erst dann zum Stillstand, als ihre Anführerin nun direkt vor mir stehen bleibt. Gerade mal mehr als eine Armlänge ist zwischen uns Platz, während alle gespannt darauf warten, was als Nächstes folgt. Plötzlich zeigt Lucinda mit dem Zeigefinger auf mich und meint mir einer arroganten Stimme: „Wenn du glaubst, ich habe die Sache vergessen, dann täuscht du dich! Ich werde dich fertigmachen, du mickrige Made!“ Der pure Zorn steht ihr direkt ins Gesicht geschrieben und dass ich vom Direktor wegen dieser Nasen-Sache nicht bestraft wurde, lässt sie anscheinend immer noch kochen. Doch ich habe ja mit nichts Anderem gerechnet. Wenn die „feine Dame“ nicht ihren Willen bekommt, so holt sie sich diesen auf eine anderen Weise, was nun diese „Versammlung“ sein dürfte. Zudem hatte sie bereits ihre Drohung geäußert, aber was will sie jetzt damit bezwecken. Soll ich von diesem Haufen von Weicheiern Schiss bekommen? Klar könnten zwei mich festhalten, während die anderen auf mich eindreschen könnten, aber sie brauchen dennoch nicht glauben, dass ich deswegen sofort einknicke und Angst zeige – mit mir nicht! Unbekümmert sehe ich sie einfach an. Ihre Worte prallen bei mir ab, denn keines von ihnen trifft mich wirklich. Abgesehen davon, dass ich bereits schlimmere Schimpfwörter gehört habe, waren ihre bisherigen Drohungen im Allgemeinen schon mal besser. Obwohl, sie war noch nie ein Ass dafür. Die Tatsache, dass sie mich für jede Kleinigkeit büßen lassen will, ist ebenfalls nichts Neues für mich. Es kommt mir beinahe so vor, als hätte ich vor mir keine Person, sondern ein altes Grammphon stehen und dieses spielt mit einer kaputten Schallplatte immer wieder dieselbe Stelle ab. Die Frau hat doch wirklich einen auf der Klatsche und trotzdem wird sie von allen so angehimmelt. Ich verstehe das einfach nicht. Wieso sind alle so dumm, oder regiert tatsächlich Geld die Welt und wenn man bestechlich ist, kommt man am besten durch? Wieso grüble ich überhaupt darüber nach? Es macht doch eh keinen Sinn. Besonders wenn die Brut des Teufels höchstpersönlich vor mir steht, kann ich doch nichts daran ändern. Das Einzige, was ich im Moment machen kann, ist, dass ich mich von ihr schlicht und einfach nicht unterkriegen lassen darf. So bleibe ich einfach weiterhin stumm und mit verschränkten Armen stehen, während mein Blick ausdruckslos bleibt. Das Einzige, was ich dann doch mache, ist, dass ich eine Augenbraue etwas hochziehe. Damit will ich ihr signalisieren, dass mir ihr Geschwafel egal ist und dass mich ihre Drohung kein bisschen berührt. Immerhin geht sie mir schon so lange auf die Nerven, da ist ihre „Kampfansage“ nichts Neues für mich. Lucinda ist zwar nicht die hellste Leuchte am Kerzenständer, aber das hat auch sie anscheinend verstanden, weswegen sie mich dann auch noch wie eine wildgewordene Bulldogge anknurrt. Moment, habe ich sie etwa jetzt gerade provoziert, obwohl ich nicht einmal etwas gesagt habe? Anscheinend bin ich nicht die Einzige, die schnell ausrasten kann. Wäre da mal nicht dieser Umstand, dass ich mich bei solchen Situationen ständig unter Kontrolle halten müsste, hätte sie von mir schon längst etwas an die Birne geschmissen bekommen. Ihr Blick ist immer noch mit einem Zorn nach mir gerichtet und vielleicht denkt sie sogar über etwas Ähnliches nach. Wobei, ich daran etwas zweifle. Natürlich folgen die anderen ihrem Beispiel und im Moment frage ich mich nur Folgendes: Bin ich jetzt in einem Kindergarten gelandet, oder ist das hier doch ein Irrenhaus? Andererseits wäre das ja eine Beleidigung für die armen Kinder, beziehungsweise für die Irren und die Tussi hier mit ihren Mitläufern sind nun wirklich schlimmer. Da bräuchte man wohl wirklich eine Horde von guten Fachärzten, oder Betreuern. Lucinda will schon weiterschimpfen und mich fertigmachen. Sie hat sogar schon ihr loses Mundwerk geöffnet, als plötzlich ein blonder Junge mit einer Zahnspange im Mund auf sie zu rennt. Wild fuchtelt er mit den Armen herum und himmelt die Möchtegernprinzessin dabei auch noch an: „Lucinda, liebste Lucinda! Wärst du so gütig und würdest mir nur ein paar Sekunden deiner Zeit schenken?“ Ich glaube mir wird schlecht! Der denkt doch tatsächlich, die Schnepfe wäre die Lieblichkeit in Person. Wäre ich jetzt in einem Manga, so könnte ich schwören, dass aus seinen Augen sogar große rosa Herzen herausragen. Das ist echt nicht zum Aushalten, ich sollte besser verschwinden! Wo ist hier der Ausgang?! Zu meinem Glück wird Lucinda tatsächlich für einen Moment davon abgelenkt und widmet sich sogar dieser armen Seele, während sie schon ihre beliebte Haltung annimmt. Als hätte sie gerade einen Termin bei berühmten Fotografen. Sie liebt es nun Mal im Rampenlicht zu stehen und sie würde vermutlich für jeden posieren, wenn sie einfach nur ihre gefakte Show abziehen kann und anschließend darauf etwas bekommt. So nach dem Motto: Gib den Affen Zucker! Es ist widerlich, aber andererseits kann ich mich so einfach aus dem Staub machen. Manchmal habe ich doch ein bisschen Glück, auch wenn ich weiß, dass sich das Blatt schon bald wieder wenden könnte. Dennoch nutze ich jede Gelegenheit, die sich mir bietet und auch diesmal mache ich keine Ausnahme. Selbst die anderen haben ihren Blick hauptsächlich auf ihre „Göttin“ gerichtet und das ist meine Chance. So lasse ich den Haufen einfach stehen, schlüpfe zwischen diesen „Bannkreis“ hindurch und gehe in die Klasse, wo ich mich auf die kommende Stunde vorbereite. Seelisch stelle ich mich schon mal darauf ein, dass der Schrecken erst noch kommen wird. Dass ich diesmal entkommen konnte, heißt noch lange nicht, dass ich von anderen Gemeinheiten verschont werde. Wie erwartet, verläuft der heutige Tag wieder einmal mit blöden „Scherzen“ und anderen Mobbingattacken. Es fängt mit harmlosen Streichen an. Wenn ich für einen Moment wegschaue und mich dabei auf etwas Anderes konzentriere, sind auf einmal meine Stifte verschwunden und tauchen im nächsten Augenblick woanders wieder auf. Sehr „witzig“, da kann man wirklich nur mit den Augen rollen. Als würde ich zwischen Kleinkindern sitzen. Auf den Gängen ist es allerdings auch nicht besser. Dort werde ich ständig angerempelt und dabei tun die auch noch so, als wenn sie mich „nicht gesehen“ hätten. Ich bin doch wohl kaum aus Luft und das beweisen auch meine gesammelten blauen Flecken. Scheinbar am ganzen Körper haben die sich breitgemacht. Zumindest fühlt es sich so an und wenn das so weitergeht, bin ich bald komplett blau und könnte Schlumpfine im Schlumpfhausen Konkurrenz machen. Dreimal darf geraten werden, wem ich diese Scheiße zu verdanken habe und mir braucht keiner einreden, dass nicht Lucinda dahintersteckt. Die ist zu hundert Prozent dafür verantwortlich! Wem sonst, könnte ich diese Anstachelung zutrauen? Niemand Anderes hasst mich so sehr wie sie, aber das beruht sogar auf Gegenseitigkeit. Vermutlich steht sie meistens irgendwo in der Nähe, genießt dieses Schauspiel und macht sich dabei über mich lustig. Wenn sie mich schon von weitem erblickt, schickt sie wahrscheinlich die Ersten los und dann folgen schon die Nächsten. Dabei kenne ich die meisten der Anrempler nicht einmal. Ich habe mit ihnen noch nicht einmal irgendetwas zu tun gehabt und trotzdem lassen sie sich auf solch einen Mist ein. Solche hirnlosen Idioten, auf jeden Scheiß lassen die sich auch ein! Allerdings habe ich es schon aufgegeben mich darüber aufzuregen. Auf der Straße nutzt das vielleicht noch etwas, aber in der Schule sieht die Sache anders aus. Es hört mir keiner zu und wenn es doch mal so ist, dann wird behauptet, dass ich mir das nur einbilde und sogar „selbst verantwortlich“ dafür bin. Ich sollte zusätzlich, deren Meinung nach, nicht so „paranoid“ sein. Irgendwie ist die Schule wie eine andere Welt mit eigenen Gesetzten und aufgebaut ist sie in einer Hierarchie. Wobei Lucinda sozusagen die „Königin“ ist und ich einem „Tagelöhner“ gleiche. Das heißt, ich habe nichts zu sagen und die anderen, die „über mir stehen“, haben das Recht mich zu piesacken. Niemand hinterfragt mal, wie ich mich dabei fühle. Jedem ist das scheißegal. Nicht einmal die Lehrer interessieren sich dafür. Es läuft immer auf die gleiche Schiene aus: Ich „bilde“ es mir nur ein und mache andere für meine persönlichen Probleme schlecht, beziehungsweise dafür verantwortlich. Ist ja auch klar, sie hören ja nur auf das, was die Mehrheit der Schüler sagt und wenn die Gruppe der Meinung ist, sie haben nichts getan, dann wird es wohl so sein. Dass die Professoren das aber mal intensiver hinterfragen sollten, kommt denen nicht in den Sinn. Schließlich haben sie ja eigene Probleme, um die sie sich kümmern müssen. Wozu also den Worten EINER Schülerin lauschen, die anscheinend nur Probleme bereitet. Das ist einfach nur Mist! Ich kann keine Hilfe von irgendjemanden erwarten und muss selbst zusehen, dass ich mich tagein tagaus da irgendwie durchboxe. In der Cafeteria geht es natürlich munter weiter und jemand stellt mir heute sogar ein Bein, wodurch ich beinahe den Halt verliere und mir mein Tablett dabei fast aus den Händen rutscht. Zu meinem Glück war dem nicht so. Ich konnte noch rechtzeitig reagieren und die Balance wiederfinden. Auch wenn mir trotzdem etwas von meinem Essen verschüttet wurde und zu allem Überfluss höre ich Gekicher und unterdrücktes Gelächter. „Toll“, dass ihr auf meinen Kosten Spaß habt! Seufzend gehe ich weiter, ich kann ja so und so nichts machen. Als ich dann aber an dem Tisch vorbeikomme, an dem meine ehemaligen Freunde sitzen, schaue ich sie vorwurfsvoll und zornig an. Normalerweise versuche ich mir so wenig wie möglich etwas anmerken zu lassen, wie ich mich wirklich fühle. Schließlich möchte ich nicht direkt auf meine Schwachstellen zeigen und quasi rufen: „Hallo, die Zielscheibe steht bereit! Ihr müsst nur noch darauf zielen!“ Lucinda braucht nicht glauben, dass sie gewonnen hat. Es ist nicht gerade leicht, das stundenlang durchzustehen, aber bei den fünf sieht es anders aus. Sie sollen spüren, dass sie mich hintergangen haben. Manchmal wünschte ich, dass Blicke töten könnten, aber mir reicht es fürs Erste, wenn sie jetzt so richtig Schuldgefühle bekommen. Allerdings zweifelt ein Teil von mir daran und ich weiß zudem auch nicht, wie es bei ihnen in Wirklichkeit ankommt, aber für mich ist es trotzdem eine kleine Genugtuung und das lasse ich mir verdammt noch mal nicht nehmen. Dafür bin ich einfach zu stur. So wie heute, verlaufen auch die kommenden Wochen so. An manchen Tagen hat sich Lucinda sogar etwas besonders Fieses einfallen lassen. Entweder erlebe ich eine Schleimdusche, während ich durch die Klassentür gehe, oder ich werde mitten im Unterricht mit einer kleinen Pfefferbombe beworfen, wodurch ich heftig niesen muss. Da kann man sich gut vorstellen, wie das am Ende dann ausgesehen hat. Das Endergebnis ist dann ein Gelächter der gesamten Klasse gewesen, was ich wiederum einstecken musste, obgleich ich mich nicht selten am liebsten unsichtbar gemacht hätte. Denn die Peinlichkeit lässt sich einfach nicht gut verbergen, egal wie sehr ich mich auch anstrenge. Von meiner Wut möchte ich erst gar nicht reden. An jedem darauffolgenden Tag werde ich von Mal zu Mal mehr zum Gespött der Schule und manchmal frage ich mich, ob ich das noch weiterhin so durchstehen kann. Ich bin sogar einmal so weit gewesen, dass ich mich am liebsten heulend irgendwo verkrochen hätte und nicht mehr rausgekommen wäre. Nur mit Müh und Not konnte ich gerade noch dagegen ankämpfen und das Gefühl irgendwie hinunterschlucken. Dies ging aber auch nur, weil ich mit mir selbst tadelte und weiterhin an meine Prinzipien hängen wollte. Ich kann viel durchhalten, aber manchmal weiß ich wirklich nicht, ob nicht bald die Grenze erreicht ist. Es ist einfach zum Kotzen und ständig diene ich als Zielscheibe. Wenn ich Raphael nicht hätte, hätte ich vermutlich schon längst alles hingeschmissen. Fast jede Nacht besucht er mich und nimmt mich mit in seine Welt. Dann springt er mit mir über die Dächer. Als wenn es schon eine Selbstverständlichkeit wäre, zeigt er mir in New York Orte, an denen ich noch nie war, oder wir sitzen gemütlich auf einer freien Fläche und betrachten den Himmel. Manchmal reden wir stundenlang und manchmal sitzen wir einfach nebeneinander da und genießen den Augenblick. Natürlich merkt er auch, wenn es mir mal so richtig schlecht geht und fragt mich dann anschließend, was denn passiert sei. Schon so oft habe ich bereits versucht, es zu verbergen. Immerhin ist es meine Angelegenheit und trotzdem hält ihm das nicht davon ab, mich zu fragen. Jedes Mal, wenn er das macht, zögere ich und trotzdem hakt er immer nach. Als wäre es bereits ein fester Bestandteil unserer Unterhaltungen und ich habe stets den Eindruck, als wolle er meine Geschichte wirklich wissen. Weswegen sich mein Verhalten sich diesbezüglich bei jedem weiteren Treffen ändert und sogar lockerer wird. Nicht selten habe ich mich selbst gefragt, was ihn dazu bewegt, meinen Leidensgeschichten zu lauschen und darauf etwas zu äußern. Ich meine, er war ursprünglich ein Fremder, dem ich eigentlich nur durch Zufall „begegnete“ und trotzdem hat sich kurioserweise ein ziemlich starkes Vertrauen zwischen uns gebildet. Ich kann gar nicht beschreiben, was das immer wieder für ein befreiendes Gefühl ist, jemanden zu haben, der mir zuhört und das auch will. Sonst schert sich keiner für mich, aber bei ihm ist das anders. Er lässt mich ausreden und treibt mich auch sonst nicht in die Enge. Keine Belehrungen, keine Vorwürfe, nichts dergleichen bekomme ich von ihm zu hören. Stattdessen sind es gutgemeinte Ratschläge, oder einfach nur Vermutungen, oder sogar Zustimmungen, was so manche Themengebiete angeht. Von außen mag er eher sehr grob und sogar ziemlich launisch wirken. Er verhält sich manchmal dementsprechend so, aber wenn ich ihn brauche, ist er für mich da. Da gibt es keine Diskussion. Zwar sind seine Lösungsvorschläge nicht immer die besten, weil er da eher zu Gewalt neigt und gerade die versuche ich aus bestimmten Gründen eher zu vermeiden, aber er hört mir zu und das ist mir das Wichtigste. Raphael nimmt mich ernst und manchmal schafft er es sogar, mich wieder zum Lachen zu bringen. Sei es durch Sarkasmus, einen Witz, oder durch irgendeine Geste. Obwohl wir eigentlich aus zwei verschiedenen Welten kommen, fühle ich mich trotzdem mit ihm verbunden. An manchen Nächten fällt mir auch auf, dass wir sogar einige Gemeinsamkeiten miteinander teilen und dazu zählt zum Beispiel unsere Hitzköpfigkeit und den Drang auf etwas einzuschlagen, wenn wir mal so richtig sauer sind. Sind zwar nicht die besten Eigenschaften, die man haben kann, aber hey, niemand ist perfekt. Der Unterschied zwischen uns beiden ist allerdings, dass ich immer gezwungen bin, meine Wut unter Kontrolle zu halten, während er es zwischendurch mal rauslassen kann. Auch wenn er meint, dass das selbst bei ihm nicht immer gehen würde, ist er dennoch darum zu beneiden. Schließlich lassen seine Brüder ihm seine Meinung, selbst wenn diese rausgebrüllt und zusätzlich mit der Faust klargelegt wird. Er wird nicht ständig wie der Trottel von Dienst behandelt und er hat seine Familie, die ihm den Rücken stärkt. Schade ist nur, dass es manchmal Nächte gibt, an denen er nicht kommt und ich dann somit nur für mich alleine bin. Sobald er nicht zu seiner üblichen Zeit an mein Fenster klopft, weiß ich, dass er in Moment nicht kann und vermutlich irgendetwas zu tun hat. Raphael hat mir schließlich ja schon von Anfang an gesagt, dass er nachts mit seinen Brüdern die Stadt durstreift und seiner Tätigkeit als Beschützer nachgeht. Ich weiß selbst, dass in New York immer wieder etwas los ist und die Purple Dragons treten jetzt auch öfters auf. In den Nachrichten habe ich sogar mitbekommen, wie sie Banken ausgeraubt haben und nur einzelne Handlanger dabei erwischt wurden. Wer allerdings der Kopf der Bande ist, ist bis jetzt noch unklar und vermutlich sind Raphael und seine Brüder an den Fall dran. Wenn ich nicht selbst wüsste, dass sie Mutanten sind, könnten die glatt für die CIA, oder einfach als Detektive arbeiten. Zweiteres kommt zumindest näher an die Sache, aber Tatsache ist, dass ich in letzter Zeit seine Abwesenheit öfters zu spüren bekam. Vermutlich war da mehr los und so blieb ich allein. Dennoch stand ich jedes Mal eine Zeit lang am Fenster, wünschte ihm viel Glück und dass ihm auch nichts passiert. Ich weiß, es mag kitschig klingen, aber Raphael bedeutet mir eben was. Er ist in Laufe der Zeit ein guter Freund geworden und ich fühle mich bei ihm wohl und auch geborgen. Manchmal wünsche ich mir nur, dass er mir auch etwas mehr über seine Abenteuer erzählen würde, aber wenn ich ihn darauf anspreche, schaut er ich mich immer mit diesem leicht bedrückten und nachdenklichen Gesicht an. Als wenn er fürchten müsste, dass alles, was er mir erzählt, schwere Konsequenzen für mich hätte. Dann schildert er mir nur ganz kurz und in groben Auszügen, was er erlebt hat. Meistens lasse ich es danach auf sich beruhen und mein Nachhaken ist auch weniger geworden. Ich erkenne einfach keinen Sinn daran und ich weiß auch von mir selbst, wie scheiße es ist, wenn man scheinbar unaufhörlich bedrängt wird. Ich hoffe nur, dass er weiß, dass er auch mit mir offen reden kann. Er muss mich nicht in Watte packen, geschweige mich mit Samthandschuhen anfassen. Ich kann einiges verkraften, sonst würde ich ja meinen Alltag in der Schule nicht irgendwie überstehen. Auch wenn ich manchmal bereits an der Grenze stehe. Zumindest erzählt er mir etwas über seine Familie. Meistens muss ich lachen, wenn ich mir die verrückten Szenen vorstelle. Gelegentlich kommt in seiner Erzählung sogar ein Streich vor, welche es ordentlich in sich hat. Allerdings handelt es sich meistens um seinen Bruder Mikey, der dann dafür verantwortlich war und nicht selten spielte bei sowas mein Freund mit roten Maske „die Rolle des Opfers“. Wenn Raphael mir dann davon erzählt, macht er immer denselben genervten Gesichtsausdruck und knurrt dabei. Dann muss ich immer ein lautes Losprusten verkneifen. Allein die Vorstellung daran ist einfach zum Totlachen, wobei ich nur zu gerne dabei gewesen wäre. Ab und zu frage ich mich allerdings, ob Raphael ein Hund oder eine Schildkröte ist, denn so oft habe ich noch niemanden knurren hören, wenn ich eine Geschichte über einen Streich zu hören bekommen habe. Ich kann ihn aber verstehen. Immerhin bin ich selbst mit zwei großen Brüdern aufgewachsen und da habe ich auch schon einiges miterlebt. Auch von Streichen bin ich nicht verschont worden, aber dann gab es meist eine Retourkutsche meinerseits. Was ich so erfahren habe, ist, dass jeder in seiner Familie eine gewisse Rolle für das Zusammenleben übernommen hat. Neben Mikey, der wohl der Witzbold der Gruppe ist, ist Leo der Anführer und Donnie ein Technikspezialist. Am merkwürdigsten finde ich aber, dass der Vater der Schildkröten eine mutierte Ratte ist. Wie heißt er noch einmal? War das nicht Splinter, oder so? Von ihm haben die Brüder auf jeden Fall das Kämpfen gelernt. Würde mich nur interessieren, woher er das eigentlich kann und wie sie alle mutierten, aber Raphael schweigt zu diesen Fragen. Vermutlich gehört es zu den Themen, von denen ich noch nichts erfahren darf. Ich hoffe nur, dass sich das irgendwann mal ändern wird. Geheimnisse sind ok, aber zu viele sind auch nicht wirklich gut. Erzählersicht: Dass Geheimnisse im Umlauf sind, spüren auch Raphaels Brüder. Nicht selten wundern sie sich über dessen Verhalten, welches sich, ihrer Meinung nach, in letzter Zeit stark verändert hat. Bereits am Anfang der letzten paar Wochen machte es die drei stutzig, dass ihr Bruder nicht sehr viel über seinen Ausflügen an der Oberfläche zu berichten hatte, wie es normalerweise bei dem Hitzkopf üblich war und wenn, dann klang es vielmehr danach, als hätte er sich die Story gerade eben zurechtgelegt. Normalerweise war gerade er derjenige, der nur allzu gerne mit seinen Erfolgen prahlte. Dabei verwendete er noch das eine oder andere Zitat aus seinen Lieblingsfilmen, wenn er wieder einmal etwas zu erzählen hatte. Nur ist dies seit einiger Zeit weniger geworden. Das Gleiche gilt auch für seine Prahlerei, wie viele Gangster er zwischen seinen Fingern bekommen hatte. In Großen und Ganzen haben sie alle stets Spaß daran, daraus eine Art „Wettbewerb“ zu machen, indem sich die Brüder untereinander vergleichen und beurteilen. Von Donnie wurde sogar mal eine Liste erstellt, wie viele „Punkte“ die unterschiedlichen Verbrecher bringen würden. Von mickrigsten Kleinkriminellen bis hin zum größten Gangsterboss wurde alles genau dokumentiert. Dieses „Spiel“ haben sich die Jungs einfallen lassen, nachdem sie Shredder besiegt haben und nun in New York „offiziell“ als Beschützer agieren. Keiner von den vieren hat es sich bisher nehmen lassen, die anderen zu übertrumpfen. Es wurde so oft geprahlt, wo es auch nur möglich war. Kaum, dass einer der Brüder in seinem „Sieg“ glänzte, schon kam der Nächste mit seiner Liste und toppte das Vorherige. Doch nun schwankt es bereits bei der Vorfreude, weil eine Frage im Raum offensteht: Was ist nur mit Raphi los? Auch diesmal haben sich Mikey, Leo und Donnie am Dach versammelt und sind mit diesem Thema beschäftigt. Währenddessen ist Raphael bereits aufgebrochen und ahnt nicht einmal, dass seine Brüder Verdacht geschöpft haben. „Also ich weiß nicht Leute, aber das stinkt irgendwie zum Himmel.“, eröffnet der Technikspeziallist die Gesprächsrunde. Doch während Leo zustimmend nickt, sieht Mikey den Bruder mit lila Maske nur verwirrt an und verteidigt sich dabei empört: „Hey, ich habe jetzt keinen fahren lassen, ich schwör´s!“ „Ach Mikey, lass den Blödsinn! Donnie redet von Raphi?“, nörgelt der Anführer, aber der Witzbold kann nicht anders, als dessen Worte auszunutzen, indem er grinsend meint: „Wie jetzt? Der ist doch gar nicht mal da, da kann er es ja nicht gewesen sein.“ Donnie will schon Mikey anfahren, dass sie momentan keinen Bock auf diese idiotischen Kinderein haben. Doch noch bevor es dazu kommt, dass diese unnötige Diskussion ausarten könnte, meldet sich Leo wieder zu Wort und geht dazwischen: „Konzentriert euch lieber und bleibt bei der Sache! … Also, hat einer von euch schon irgendetwas mitbekommen, was uns nur irgendwie weiterhelfen könnte?“ Ein Kopfschütteln erfüllt die Runde. Innerhalb der letzten Tage, hat jeder der Brüder versucht, hinter Raphaels Geheimnis zu kommen. Während Donnie seine spezifischen Fragen unauffällig in einem anderen Themenbereich gepackt hat, hat Mikey versucht, auf eher „direktem“ Weg etwas herauszufinden. Doch weder innerhalb eines Gespräches, beziehungsweise einer weiteren unnötigen Streiterei, noch in dessen Zimmer hat der Orangemaskierte irgendwelche neuen Informationen erhalten. Selbst Leo, der bereits versucht hatte, dem Hitzkopf heimlich zu folgen, war in seinem Tun gescheitert. Raphael hatte es stets soweit gemerkt, sodass er von seinem eigentlichen Ziel plötzlich abwich und spontan für eine Ablenkung sorgte. Um nicht noch verdächtiger zu erscheinen, ließ es der Anführer beim zweiten Mal auf sich beruhen, beobachtete aber stets, welche Richtung der Rotmaskierte einschlug. Allerdings brachte diese Info den Turtles auch nicht viel weiter. Vielmehr endeten sie stets in einer Sackgasse. „Hey Leo, bei der letzten Patrouille warst du doch gemeinsam mit ihm unterwegs. Hat er da irgendetwas gesagt, oder etwas Bestimmtes gemacht?“, fragt Mikey diesem, als er sich an die letzte Tour erinnert. Leo hatte dies absichtlich eingeführt, damit die Chance, irgendwelche Infos aus ihrem Bruder rauszuquetschen, größer wurde, aber egal mit wem Raphael unterwegs war, es endete immer gleich. So wie es auch bei der letzten Patrouille war und das berichtet auch der Anführer: „Wenn das so wäre, hätte ich das schon längst erwähnt, meinst du nicht? … Nein, aus Raphi war überhaupt nichts rauszubekommen.“ „Er tut zwar so, als wenn alles normal wäre, aber irgendetwas verbirgt er vor uns. Als würden wir nicht mitbekommen, dass er auf einmal so seltsam ist.“, fügt Donnie murmelnd hinzu. Doch weswegen ihr Bruder daraus solch ein großes Geheimnis macht, ist für die Turtles immer noch schleierhaft. Mikey hingegen hat bereits mit einem bestimmten Gedanken herumgespielt. Bis jetzt hat er es zwar nicht laut ausgesprochen, aber da es keine Alternativen mehr gibt und sich dieser Eindruck sogar irgendwie stärker manifestiert, sagt er es einfach: „Vielleicht trifft er sich heimlich mit jemandem.“ „Das wäre nicht nur dumm, sondern auch völlig verantwortungslos. Selbst in diesem Fall würde Raphi nicht auf ein solches Risiko eingehen. Das wisst ihr doch.“, widerspricht Donnie seinem Bruder. Selbst Leo teilt dessen Meinung: „Also ich bin mir da auch nicht so sicher. Andererseits wäre es vorstellbar und auch irgendwie logisch.“ „Und wen soll er bitte treffen? Mit April habe ich bereits geredet und selbst sie hat keine Ahnung, was in unseren Bruder gefahren ist.“, fügt Donnie hinzu, als dann aus Mikey ein murmelndes „Zum Glück hat sie nichts damit zu tun.“ herauskommt. Doch er beharrt weiterhin auf seine Theorie, weil es für ihn einfach mehr Sinn macht, als jede andere: „… Vielleicht hat er ja eine heimliche Freundin. Immerhin ist er ja seit Wochen so komisch.“ „Stimmt, er ist in letzter Zeit merkwürdig. Jedes Mal sucht er die Gelegenheit allein zu sein, sei es in seinem Zimmer, oder auch wenn wir unterwegs sind. Und dass er seit Wochen kaum einen mehr zum Verprügeln hat, ist doch auch seltsam. Gerade er versucht doch seinen „Highscore“ zu knacken.“, muss der Blaumaskierte seinem Bruder irgendwie zustimmen, auch wenn er an der Freundin-Theorie nicht wirklich glauben möchte. Schließlich würde das für alle ein großes Problem darstellen. Da es aber keinen Sinn macht, hier weiter noch dumm herumzustehen und zu diskutieren, wechselt der Anführer das Thema: „Hey Donnie, ist deine Ortungsscheibe, von der du das letzte Mal geredet hast, einsatzbereit?“ „Ja, aber es war nicht einfach, diese Raphi unterzuschieben.“, muss der Angesprochene zugeben und erinnert sich nicht gerne daran. „Und, hat er dabei wirklich nichts mitbekommen? Ich möchte nicht in seiner Nähe sein, wenn er das rausfindet.“, meint Mikey etwas skeptisch, aber das Technikgenie ist von seinem Können mehr als nur überzeugt: „Das wird so und so passieren. Spätestens dann, wenn wir ihn gefunden und herausgefunden haben, was Sache ist, wird die Bombe platzen.“ Mikey gefällt das nicht, aber andererseits ist selbst seine Neugier zu groß. „Außerdem sollte genau er sich nicht so aufspielen. Schließlich verheimlicht er etwas vor der Familie, nicht wir.“, fügt Donnie noch hinzu und genau hier beendet Leo die „Versammlung“: „Also auf geht´s Leute, machen wir dieser Geheimniskrämerei endlich ein Ende.“ Aus Bernadettes Sicht: Heute Nacht sitzen wir beide auf dem Dach eines Containers und genießen die angenehme Brise. Diesmal befinden wir uns in der Nähe vom Pier, weswegen ich das Salz in der Luft förmlich schmecken kann. Er überrascht mich immer wieder mit etwas Neuem, aber etwas Anderes hätte ich auch nicht von ihm erwartet. Ich habe mich ganz nah an Raphael gekuschelt und er hat, wenn auch etwas zögerlich, sogar seinen Arm um mich gelegt. Schon mehr als drei Wochen kennen wir uns nun und doch kommt es mir viel länger vor. Es ist einfach schön und ich bin so froh ihn kennengelernt zu haben. In diesem Augenblick döse ich gerade vor mich hin. Der heutige Tag war ziemlich anstrengend und jetzt fallen mir beinahe die Augen zu. Nur mühevoll kann ich mich vom Einschlafen abhalten, damit ich diesen Moment mit ihm einfach in Ruhe genießen, als uns plötzlich eine fremde Stimme aufschreckt: „Ach hier treibst du dich rum! Wie wäre es, wenn du uns deine Freundin mal vorstellst Raphi!“ Als ich mich hastig und erschrocken in die Richtung drehe, aus der der Fremde gesprochen hat, landen gerade drei Schildkrötenmutanten auf dem Container und bleiben ein paar Schritte vor uns stehen. Jeder von ihnen hat ebenfalls ein Tuch als Maske um die Augen gebunden. Doch im Gegensatz zu Raphaels sind die jeweils, blau, orange und lila und sehen zudem auch etwas anders aus. Nur er selbst ist der Einzige, der zusätzlich eine Sonnenbrille auf dem Kopf trägt. Auch die Ausrüstung sieht bei jedem der Brüder komplett anders aus. Vermutlich hat jeder von ihnen seine eigenen Vorlieben und der Lilane trägt sogar eine altmodische Brille im Gesicht. Ich vermute, dass der, der gerade gesprochen hat, Leo sein muss. An seinem Rücken erkenne ich die Griffe seiner Schwerter und vor zwei Wochen habe ich erfahren, dass jeder von den Vieren eine bestimmte Waffe hat. Also müsste es theoretisch stimmen. Allerdings beschäftigt mich gerade mehr die momentane Situation. Mit einer ernsten und strengen Miene hält Leo seine Arme verschränkt und wartet darauf, dass Raphael endlich reagiert. Leicht überrumpelt steht dieser nun auf und sein Gesicht wirkt geschockt und fassungslos, was ich absolut nicht verstehen kann. Hat er denn etwa nichts über mich erzählt? Eigentlich habe ich geglaubt, dass seine Familie über mich Bescheid weiß, aber da habe ich mich total geirrt. Nie habe ich mit den Gedanken gespielt, überhaupt nachzufragen. Zwar hätte es mich schon ein bisschen interessiert, was seiner Brüder dazu meinen, dass Raphael eine menschliche Freundin hat, aber ich habe diesen Gedanken dann immer wieder vergessen. Mein Blick wechselt nun öfters zwischen ihm und zu anderen dreien. Jedoch kann Raphael nur stotternd und fragend auf die Situation reagieren: „Wie … wie habt ihr …?“ Seine Stimme klingt geschockt und zornig zugleich. Doch weiter kommt er nicht, denn schon wird er von denjenigen unterbrochen, der Donnie sein muss. Auch seine Stimme klingt dabei ziemlich aufbrausend und auch irgendwie streng: „Ich habe dich geortet! Jetzt wissen wir endlich, wo du dich immer rumtreibst, wenn du mal nicht auf Patrouille bist.“ „Boah Alter, wieso hast du nicht erzählt, dass du ´ne süße Chica geangelt hast.“, meldet sich auch noch Mikey zu Wort, wobei Raphael diesen nur zornig anblickt, als würde er ihn als Esters erwürgen wollen. Leo wartet immer noch auf seine Antwort und da mein Freund ja überfordert zu sein scheint, stelle ich mich nun selber vor: „Ich bin Bernadette.“ Kapitel 9: Ein Treffen mit der Familie -------------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Ich war in der Zwischenzeit bereits aufgestanden, als ich mich den drei Turtles mit kurzen Worten vorgestellt habe. Entschlossen stehe ich nun vor ihnen, jedoch ist meine Anwesenheit momentan eher zweitranging. Vielmehr ist die Aufmerksamkeit auf meinen überrumpelten Freund gerichtet. Zwei von ihnen schauen Raphael einfach vorwurfsvoll an. Nur Mikey kann ich nicht wirklich zuordnen. Auf der einen Seite mustert er mich interessiert und andererseits wirkt sein Blick besorgt, als er wieder zu seinem Bruder mit roten Maske hinübersieht. Kann mir vielleicht mal einer erklären, was hier vor sich geht? Da mir gerade keiner wirklich entgegenkommt, was das angeht, wende ich meinen Blick nun ebenfalls zu Raphael, während ich weiterhin verwirrt bin. Anscheinend hat er die ganze Zeit seinen Brüdern verschwiegen, dass wir uns beide fast jede Nacht treffen. Je nach dem halt, wie es sich halt ergeben hat, aber warum diese Geheimniskrämerei, was seine Familie betrifft und warum hat er zumindest mir nicht gesagt, dass das geheim bleiben soll? Wenn er es mir erklärt hätte, hätte ich dichtgehalten. So musste ich ja annehmen, dass die anderen zumindest mal etwas von mir gehört haben müssen. Im Nachhinein hätte ich ihn vielleicht doch mal ansprechen sollen, denn jetzt stecken wird beide in der Tinte. Allein der Gedanke daran, lässt nun auch mich wütend auf ihn werden. Es ändert zwar gerade nichts an unserer Situation, aber wenn er mich schon in etwas hinzieht, dann will ich es zumindest vorher wissen. So stehe ich nun zwischen den Fronten und habe keine Ahnung, wie ich jetzt weiter reagieren soll. Dass ich einfach das Wort ergriffen und mich selber vorgestellt habe, hat anscheinend wenig Wirkung gezeigt. Es scheint sogar ein Problem zu sein, wenn Raphael sich mit mir trifft. So wie seine Brüder ihn vorwurfsvoll anstarren, lässt nichts Anders darauf hindeuten. Nur warum ist es so tragisch? Liegt es vielleicht daran, dass ich ein Mensch bin und er als Mutant vielleicht gar keinen direkten Kontakt zu den Menschen haben darf, oder steckt etwas ganz Anderes dahinter? Ich verstehe das einfach nicht und keiner klärt das hier irgendwie auf. Stattdessen warte ich nur angespannt, was nun als Nächstes folgt. Was bleibt mir auch Anderes übrig, als direkt neben Raphael zu stehen und stumm auf weitere Reaktionen zu warten. Das ist eine verdammt beschissene Situation, so viel ist schon mal sicher. „Was machen wir jetzt Leo?“, fragt Donnie dem Blaumaskierten auf einmal und unterbricht somit diese furchtbare Stille. Dieser scheint wohl selbst noch zu überlegen, doch danach meint der Angesprochene, während er Raphael mit einer Mischung aus Zorn und Enttäuschung ansieht: „Raphi wird als Erstes einmal einiges zu erklären haben. Ich will hören, was er sich dabei nur gedacht hat! Wir werden daher heimkehren und die Sache dort regeln. Meister Splinter wird sicher auch erfahren wollen, was das alles hier sollte. … Was dann passieren wird, wird sich noch zeigen.“ Während er meinen Freund so tadelt, warte ich darauf, dass Raphael sich aufregt, oder zumindest irgendetwas erwidert. Doch von ihm kommt kein Wort raus. Vielmehr zeigt seine Körpersprache mehr, als was er es gerade in Worte fassen könnte. Sämtliche Muskeln sind angespannt und seine rechte Hand ist zu einer Faust geballt. Seine Augen dagegen verharren komplett auf Leo. Als würde als Nächstes ein ordentlicher Krawall zwischen den beiden folgen. Doch sein Mund bleibt weiterhin geschlossen. Seine Lippen sind sogar eng aneinandergepresst, als würde er sich selbst daran hindern, etwas Falsches zu sagen. Weiterhin verwirrt kämpfe ich nun mit den Gedanken, was ich an Raphaels Stelle getan hätte. Denn auf der einen Seite kann ich meine Wut auf ihn nicht leugnen. Doch andererseits mache ich ja nichts Anderes. Ich verheimliche meiner Familie ebenfalls meine nächtlichen Ausflüge. Der einzige Unterschied ist, dass ich niemandem etwas davon erzählen darf. Abgesehen von Raphaels Bitte wüsste ich nicht, was dann auf diese Mutanten zukommen könnte. Abgesehen davon, dass mir zur großen Wahrscheinlichkeit so und so keiner glauben würde. Dennoch würde ich niemals solch eine Situation heraufbeschwören wollen. Soviel steht für mich fest und trotz allem könnte Raphael momentan eine betonieren. Er hätte mich vorher aufklären sollen und nun, da es raus ist, stecke ich mit ihn nun hier drin. Meine Theorie allerdings, was tatsächlich hinter seinem Schweigen stecken könnte, lässt mich trotz meiner Wut auf ihn nicht los. Ich wechsle meinen Blick nun zu den Anderen und bemerke, dass Leo nun mich anstarrt. Doch diesmal erkenne ich keinen Vorwurf dahinter. Vielmehr steckt neben dem Zorn, Sorge und ein fragender Blick. Irgendwie kann ich mir schon denken, was ihn nun beschäftigt. Vermutlich befürchtet er, dass ich jemandem von ihnen erzählen könnte, aber erstens: Wer würde mir so was abkaufen? Und zweitens: Warum sollte ich das überhaupt tun? Raphael ist mein Freund, da werde ich ihn mit Sicherheit nicht verraten und dasselbe gilt für seine Familie. Vermutlich werden sie mir das aber nicht glauben. Auch wenn Raphael für mich bürgen würde, es würde keinen Unterschied machen. So wie mich der Anführer der Truppe noch dazu ansieht, kann ich mir das einfach nicht vorstellen. Wer weiß, was die anderen beiden überhaupt dazu denken? Ob sie wohl derselben Meinung sind, oder doch etwas Nachsicht mit Raphael und mir haben? „Und was machen wir mit der Chica hier?“, will nun Mikey auf einmal wissen, während er auf mich zeigt. Wie hat er mich gerade genannt? Was soll das denn bedeuten? Ich hoffe nur für ihn, dass das keine Beleidigung war, aber es ist nicht gerade der beste Zeitpunkt, aufbrausend zu werden. Ich habe im Moment andere Sorgen. Leo hat sich anscheinend auch schon die ganze Zeit Gedanken darübergemacht, was nun mit mir geschieht. In all der Aufregung habe ich diese Frage sogar total vergessen, wenn nicht sogar verdrängt und irgendwie will ich das auch gar nicht wissen. Doch als ich nun auf eine Antwort von dem Angesprochenen warte, meint dieser: „Es hilft ohnehin nichts. Sie kommt am besten auch gleich mit. Sie hat uns gesehen und wer weiß, was Raphi ihr schon alles erzählt hat. Da wäre es besser, wenn wir das hinter uns bringen. … Also, ab nach Hause!“ Irgendwie wird mir mulmig zumute, aber eine andere Wahl habe ich nun mal nicht. Einer von ihnen würde mich so und so mit sich schleifen. Allerdings frage ich mich, was das nun auch für meinen Freund bedeutet. Ich weiß nur wenig über diese Familie, aber ich vermute, dass auch dieses Thema mit dem Vater der Jungs besprochen wird. Schließlich muss sich Raphael nun vor diesem und vor seinen Brüdern rechtfertigen und eine Erklärung wegen mir und unseren nächtlichen Treffen herschaffen. Dabei tut er mir sogar etwas leid, aber ich wüsste gerade nicht, wie ich ihm momentan helfen könnte. Vielleicht würde ich das Ganze noch schlimmer machen, wenn ich mich jetzt einmische und etwas dagegen erwidere. Eigentlich habe ich mir das erste Kennenlernen mit Raphaels Familie komplett anders vorgestellt und in meiner Fantasie ist es viel fröhlicher zugegangen. Es glich sogar einer Situation, welche man eigentlich nur bei „normalen“, also bei menschlichen Familien finden würde. Jedoch ist nun zwischen Fantasie und Realität solch ein gewaltiger Unterschied entstanden, sodass es einem Kampf zwischen einem Hügel und einem großen Berg gleichen könnte. Ob ich nun will, oder nicht, der Entschluss des Anführers steht fest und da ich ja nicht mitbekommen darf, wo sich genau ihr Zuhause befindet, wird mir schon ein etwas zerschlissenes Tuch um die Augen gebunden. Zwar frage ich mich noch, woher sie dieses Ding auf einmal genommen hatten, aber diese Frage dürfte mir wohl sparen können und so genau will ich es auch nicht wissen. Andererseits hätten sich die vier das auch sparen können. Denn schon allein am Geruch habe ich schon gewusst, dass sie mich in die Kanalisation hinunterschleppen. Da hätte ich total verschnupft sein müssen, damit ich nichts rieche und selbst dann hätte ich mit Sicherheit etwas geahnt. Schließlich sind sie keine Menschen, sondern Mutanten und würden daher nicht einfach in einer normalen Wohnung leben. Dass ihr Zuhause aber in solch einer eher „ungewohnten Umgebung“ sein musste, die sogar bestialisch stinkt, hätte ich nicht einmal im Traum gedacht. Ich habe sogar zwischendurch gehofft, dass dies nur der Weg bis zum Ziel wäre, aber da habe ich mich wohl mächtig geirrt, was heute aber nicht das erste Mal wäre. Nachdem ich endlich wieder auf dem Boden abgesetzt werde und mir das Ding vom Gesicht genommen wird, ist alles zunächst noch verschwommen. Ich muss mir sogar die Augen reiben, damit ich wieder etwas erkennen kann. Doch dann sehe ich schon, dass ich mich in eine Art Wohnzimmer befinde. So gut es eben ging, hat sich diese ungewöhnliche Familie hier unten eingerichtet und ich finde, dass sie das gar nicht einmal so schlechtgemacht haben. Es sieht auf dem ersten Blick wirklich sehr wohnlich und gemütlich aus. Allerdings komme ich nicht lange dazu, mich umzusehen, als meine Aufmerksamkeit nun auf eine ältere Stimme gelenkt wird, die von Meister Splinter sein muss: „Warum seid ihr schon wieder zurück? Was ist vorgefallen?“ Eine große Ratte in einer Art Robe betritt nun den Raum. Wie die Turtles geht auch dieses mutierte Wesen auf zwei Beinen, hat einen langen Bart und in der Hand hält Meister Splinter einen Stab. Doch bevor er mich sehen kann, stellt sich Raphael plötzlich vor mich. Aus der Sicht von Raphael: Unser Vater ist kaum hereingekommen, als er uns alle schweigend, aber auch streng mustert. Er wartet immer noch auf eine Antwort und sein Blick wird immer ernster. Ich bin mir sicher, dass er bereits weiß, dass etwas nicht stimmt. Sonst wären meine Brüder und ich nicht erstens schon zurück und zweitens wäre die momentane Stimmung nicht so angespannt. Am schlimmsten ist es allerdings für mich. In meinem Schädel schwirren unzählige Gedanken, aber ich habe keine Ahnung, wie ich jetzt beginnen soll. Ich weiß nur, dass sie alle auf eine Erklärung warten, die ich aber nicht so einfach geben kann. Förmlich spüre ich die stechenden Blicke meiner Brüder, die einfach dastehen und warten, dass endlich etwas passiert. Verdammt! Jetzt stecke ich ganz schön in der Patsche! Wie genau haben die drei überhaupt herausgefunden, dass ich nicht immer alleine in der Stadt unterwegs war? Bis jetzt habe ich doch immer permanent darauf geachtet, dass niemand etwas mitbekommt, mir folgen kann, oder sonst irgendetwas dergleichen geschieht und doch haben sie mich erwischt! Wenn ich jetzt nicht an dem Pranger stehen würde, könnte ich glatt aus der Haut fahren, an die Gurgel packen und die Informationen aus ihnen herausprügeln. Allerdings bin gerade ich der Angeschmierte. „Nun, hat mir keiner von euch etwas zu sagen?“, hakt unser Vater fragend nach, wobei sein Blick nun direkt an mich gerichtet ist. Jetzt dürfte er wohl begriffen haben, dass es um mich geht. Was bleibt mir also anderes übrig, als endlich mit der Sprache rauszurücken. Ich habe allerdings noch nicht einmal richtig den Mund aufgemacht, als Donnie mir jetzt dazwischenfunkt: „Ich glaube, Raphi hat uns allen etwas zu erklären.“ Ich könnte ihn …! Kann er nicht einmal seine verdammte Klappe halten?! Sonst hält er sich doch auch aus allem raus, was ihn nicht betrifft. Allerdings hätte ich diesen Satz eigentlich eher von Leo erwartet. Normalerweise ist es er, der so penetrant auf „Anführer“ macht und mir öfters dazwischenfunkt. Doch diesmal steht der feine Herr einfach nur da und schaut mich auffordernd an. Ich brauch dabei kein Hellseher, oder dergleichen zu sein, damit ich weiß, dass dies eine stille Drohung ist, welche nur so schreit: „Tue es endlich, sonst mache ich es!“ Ich mach ja schon! Was habe ich auch schon für eine andere Wahl?! Knurrend verdrehe ich die Augen, seufze aber dann. Die ganze Aufmerksamkeit ist auf mich gerichtet. Sie alle warten. Ein verdammt beschissenes Gefühl ist das! Lieber hätte jetzt gerne jemanden verprügelt, oder mich verzogen, aber leider stecke ich hier fest. „Nun, ich höre.“, drängt mich nun Dad. Er wird bereits schon ungeduldig. Schließlich beginne ich, wenn auch etwas holprig, mit meiner Erklärung: „Ich … es ist so … ich habe jemanden kennengelernt.“ „Wohl über die Partnervermittlung, oder wie?“, scherzt Mikey, was mich allerdings kein bisschen zum Lachen, sondern viel mehr auf die Palme bringt. Fängt der jetzt auch noch an?! Will der etwa was aufs Maul?! Ich könnte ihm eine reinhauen! Knurrend schaue ich ihn an und habe schon meine rechte Faust geballt. Sie ist breit, um auszuholen, aber ich komme nicht dazu weiter zu agieren. Unbekümmert von Mikeys idiotischen Geschwafel, räuspert sich unser Sensei und mit seinem üblichen Handzeichen gibt mir zu verstehen, dass es jetzt genug ist und dass ich mein Vorhaben sofort einstellen los. So halte ich in mitten in meiner Bewegung inne, bis ich schließlich genervt und widerwillig weitererzähle: „Ich habe vor einigen Wochen ein Mädchen kennengelernt. … Das war, als wir diese Keilerei im Kaufhaus hatten. … Ihr Name ist Bernadette und nach einem „Beinahe-Autounfall“ haben wir uns halt irgendwie kennengelernt.“ „Du hast dich ihr einfach so gezeigt?!“, ruft Leo nun entsetzte dazwischen, der bisher geschwiegen hat. Dabei ist dieser Idiot während meiner Erzählung vollkommen auf dem Holzweg gekommen! Was denkt er sich?! Glaubt er etwa, ich wäre komplett bescheuert?! „Natürlich nicht, oder glaubst du etwa, ich hätte das total verpennt?! … Es ist halt passiert! Sie hat mich einfach gesehen!“, versuche ich das voller Wut zu berichtigen, aber so ganz wollen mir das meine Brüder wohl nicht glauben. Denn nun mischt sich Donnie wieder ein: „Wie soll sie dich im Dunkeln gesehen haben? Du hast dich doch wohl hoffentlich im Schatten versteckt, oder hat sie etwa spezielle Sensoren dafür, so dass sie dich dort ohne Wenn und Aber sehen kann?! Du musst dich daher gezeigt haben!“ Am liebsten hätte mir Mikey jetzt auch noch etwas an dem Kopf geworfen. Doch unser Vater will nichts weiter davon hören. Bevor es daher zum Eskalieren kommt, bringt er uns alle für einen Moment zum Schweigen: „Das reicht jetzt! Leonardo, Donatello, Michelangelo, schweigt!“ Wo Mikey gerade noch sein vorlautes Maul aufgerissen hat, so klappt er dieses wortlos wieder zu. Schließlich hätte er auch noch etwas sagen wollen, aber er lässt es danach doch bleiben. Die anderen tun es ihm gleich und starren mich nach diesem Befehl weiterhin zornig und sogar feinselig an. Auch den Blick von Meister Splinter spüre ich im Nacken, weswegen ich mich nun wieder an ihn wende und mühselig weitererzähle. Ich berichte ihm knapp, wie Bernadette mich hatte sehen können und auch, dass wir uns beide an mehreren Nächten getroffen haben. Was wir allerdings genau gemacht haben, erwähne ich nicht. Ich schneide es nur höchstens an. Doch je mehr unser Vater mir zuhört, desto mehr weicht seine strenge Miene von ihm ab. Stattdessen merke ich, wie seine Augen immer größer und auch besorgter werden. Ich weiß so gut wie die anderen, dass sowohl meine Brüder, als auch ich uns anderen Menschen nicht zeigen dürfen. Erstens würden sie wegen uns in Gefahr geraten und zweitens besteht die Möglichkeit, dass wir von ihnen verraten werden könnten. Die einzigen Menschen, die von uns wissen dürfen, sind daher nun mal nur April und dieser Vern und dabei sollte es auch bleiben. Doch ich bin mir sicher, dass das auch für Bernadette gelten sollte. Ich vertraue ihr und ich weiß, dass sie weder mich, noch meine Familie ans offene Messer liefern würde. Sonst wäre nicht nur schon längst etwas dergleichen passiert, ich hätte auch als erfahrener Ninja etwas mitbekommen und den Kontakt zu ihr sofort abgebrochen. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Jedoch werden es die anderen nicht so sehen. Dabei sind sie blind! Würden meine Brüder mal mehr die Glubscher aufmachen, so würden die mal mitkriegen, dass es manchmal Menschen gibt, denen man auch trauen kann. Wenn wir uns nur verstecken, was sind wir dann für Beschützer?! Beschützer ohne ein gewisses Maß an Vertrauen ist genauso lächerlich, wie diese Hampelmänner, die wir ständig jagen! Obwohl ich von meiner Meinung so felsenfest überzeugt bin, kann ich es in Anwesenheit meiner gesamten Familie nicht wirklich überzeugend rüberbringen. Denn meine Worte klingen während der ganzen Erzählerei weiterhin abgehakt und unvollständig. Keine Ahnung warum, aber ich bin ziemlich nervös und sauer zugleich. Es ist echt ätzend, wenn man von allen Seiten angestarrt wird und sich dann noch für etwas rechtfertigen muss, was absolut unnötig ist. Natürlich komme ich nicht drum herum, dass sich meine Brüder weiterhin wieder einklinken und blöde Kommentare abgeben. Zwar halten sie sich diesmal mehr zurück, wie zu Beginn, dennoch ist es mehr als nur störend und ich könnte ihnen eine knallen! Ich höre sogar, wie Mikey zu den anderen flüstert: „Ich habe es euch doch gesagt, dass er eine heimlich Chika hat und ihr wolltet das nicht wahrhaben.“ Können die mich nicht einfach in Ruhe lassen und einfach die Klappe halten?! Es ist eh schon schwierig genug die Sache zu beichten, da brauche die jetzt nicht auch noch dazu! Dad ist der Einzige, der mir schweigend zuhört, aber wie bereits erwartet, scheint auch er alles andere als begeistert darüber zu sein. Ich versuche die Sache so kurz wie möglich zu fassen, damit ich es endlich hinter mich bringen kann. Jedes weitere Wort wäre zudem unnötig und eine Verschwendung für alle Anwesenden. Auf einmal ist es für einen Moment unerträglich still, nachdem ich die Sache hinter mich gebracht habe. Vermutlich denkt nun unser Meister darüber nach, wie es jetzt weitergehen wird und derweil rechne ich mit dem Schlimmsten. Schließlich geschieht jetzt etwas, was ich leider bereits befürchtet habe. Er fragt nach ihr: „Ist diese Bernadette bereits hier?“ Ohne eine weitere Erklärung, wartet er auf eine Reaktion unsererseits. Seufzend mache ich einen Schritt zur Seite, wodurch nun meine Freundin sichtbar wird. Seltsamerweise verwundert es Dad nicht, aber vermutlich hat er tatsächlich damit gerechnet. Ich sage allerdings nichts weiter, sondern sehe nur zu, wie Bernadette noch einmal zu mir schaut und dann langsam auf meinen Vater zugeht. Ich hoffe nur, dass das gut. Jedoch merke ich, dass sie selbst nervös ist und sich nicht wirklich wohl in ihrer Haut fühlt. Aus Bernadettes Sicht: Nachdem ich mich dem Vater der Jungs einige Schritte genähert habe, knie ich mich auf dem Boden. Da die mutierte Ratte kleiner ist als ich, will ich mit ihm in Augenhöhe reden und ihn auch somit meinen Respekt zeigen. Ich hoffe nur, dass er das jetzt nicht als Beleidigung oder dergleichen sieht. Ich möchte einfach nicht, dass es noch schlimmer wird, als was jetzt schon bereits ist. „Du bist also Bernadette?“, werde ich schon von Meister Splinter gefragt, wobei seine Stimme ganz ruhig und kein bisschen aggressiv klingt. Dennoch ist mir nicht wirklich wohl bei der Sache und mit einem deutlichen Nicken bejahe ich seine Frage. Sein Blick ist ernst und ich habe das Gefühl, als wenn er versuchen würde, mich zu durchschauen. So tief sieht er in mich hinein und es ist unheimlich. Prüfend geht er nun einmal um mich herum und ich warte nur darauf, dass er wieder etwas zu mir sagt, aber es kommt dann doch ein klein wenig anders. „Geht jetzt meine Söhne und lasst uns beide alleine. Wartet, bis ich euch rufe.“, fordert er seine Söhne auf einmal auf und das macht mich stutzig. Wieso verlangt er das jetzt von den Jungs? Warum will er jetzt mit mir alleine sprechen? Habe ich gerade irgendetwas Falsches gemacht? Ich verstehe das nicht und anscheinend ergeht es nicht nur mir so. Denn als ich zurückblicke, sehe ich vier überraschte Gesichter. Dennoch entfernen sich die vier Brüder schweigend und verlassen den Raum. Auch wenn ich mir zu hundert Prozent sicher bin, dass Raphael mich jetzt nur ungern alleine lässt. Mir wäre es ebenfalls lieber gewesen, wenn er zumindest dageblieben wäre und mir quasi den Rücken gestärkt hätte, aber er und seine Brüder gehorchen Meister Splinter. Sie haben tatsächlich großen Respekt vor ihrem Vater, so wie ich es einst von meinem Freund erzählt bekommen habe. Dennoch spüre ich, wie ich nervöser werde und dabei komme ich mir vor, als wenn ich gerade eben an einem schwierigen Test schreiben würde. Es ist zwar ein blöder Vergleich und trotzdem habe ich dieses seltsame Gefühl. Innerlich bebe ich, auch wenn ich versuche die Fassung zu bewahren. Meister Splinter wartet noch einen Moment, bis er seine Söhne nicht mehr sieht. Erst dann fängt er an, mir Fragen zu stellen: „Wie hast du meinen Sohn kennengelernt und was weißt du über uns?“ War ja klar, dass das jetzt kommt. Ich habe auch nichts Anderes erwartet und nun bin ich an der Reihe. Auch wenn er bereits Raphaels Sicht gehört hat und schon einiges weiß, will er nun meine Sichtweise wissen. So erzähle ich ihm schließlich, wie ich es erlebt und empfunden habe: „Wie Raphael bereits gesagt hat, hätte es an jenen Abend beinahe einen Autounfall gegeben. Wegen der Panik der plötzlichen Menschenmenge, bin ich auf die Straße geflüchtet. Wäre Raphael nicht noch rechtzeitig dagewesen, hätte ich das vermutlich nicht überlebt. … Dafür bin ich ihm sehr dankbar. … Einen Tag später, kam ich an diesem Ort zurück, um mich bei ihm dafür zu bedanken und durch meine Neugier geschah es, dass ich ihn sah. …“ Immer weiter erzähle ich. Im Gegensatz zu Raphael, ist meine Erzählung jedoch etwas detaillierter, aber ich habe schließlich nichts zu verbergen. So erfährt Meister Splinter, was ich alles von ihm und seiner Familie weiß. Es ist nicht so viel, wie er vermutlich gedacht hat, aber wahrscheinlich ist es dennoch beunruhigend genug für ihn und meine erste Theorie hat sich hier noch einmal bestätigt: Diese Mutanten dürfen keinen direkten Kontakt zu uns Menschen haben und wir Menschen dürfen nichts von ihnen wissen. Geduldig hört er mir zu und er stellt mir dann auch nur an wenigen Momenten Zwischenfragen, wenn er etwas genauer erfahren möchte. Natürlich habe ich zuvor bereits geahnt, dass er wissen will, wie ich zu meinem Freund stehe und was ich überhaupt von Mutanten im Allgemeinen halte. Ein bisschen komme ich mir vor wie bei einem Verhör, aber ich aber andererseits stehe ich zu meinem Freund. Ich mag Raphael, er ist nun mal mein Freund und niemals würde ich ihn, oder seine Familie hintergehen. Ich würde den Teufel tun, es irgendjemandem weiterzusagen, geschweige Beweise für ihre Existenz zu sammeln. Da lasse mich doch lieber sofort wieder von Lucinda bis aufs Blut quälen, bevor ich auch nur daran denke. Einen Freund hintergeht man einfach nicht und dazu stehe ich! Kaum habe ich endlich den letzten Satz über meine Lippen gebracht habe, streicht sich Meister Splinter wieder über seinen langen Bart. Die ganze Zeit über hat er mich genau beobachtet und vermutlich hat er dabei auf jeder meiner Bewegungen und Reaktionen geachtet. Einerseits ist das doch unheimlich, aber andererseits bin ich doch irgendwie froh, dass diese Angelegenheit endlich „erledigt“ ist. Vielleicht wird es nicht so schlimm, wie ich es vorhin befürchtet habe und es geht sogar gut aus. Solange ich aber nicht sicher bin, wäre es vermutlich nur dumm, wenn ich jetzt voreilig bin und irgendetwas Falsches tue. Weswegen ich momentan einfach schweige und abwarte, was nun passiert. Zu meiner Überraschung geht er nicht auf meine Erzählung weiter ein, oder hinterfragt etwas. Es scheint beinahe so, als wenn es Meister Splinter reichen würde. Sicher bin ich mir allerdings nicht. Doch dann erzählt er mir auf einmal von der Reporterin April O´Neil. Ich bin erst einmal überrascht, dass es noch einen weiteren Menschen gibt, welcher diese Familie kennt. Von ihr hat Raphael nichts erzählt und dabei dachte ich zunächst, dass ich die Einzige wäre. Noch dazu scheint sie ihnen sehr wichtig zu sein, denn vor vielen Jahren hatte genau diese Frau als Kind diese fünf Mutanten vor einem grauenhaften Schicksal bewahrt und durch ein zugeführtes Mutagen wurde diese Familie zu der, was sie nun heute ist. Ach so ist das passiert, jetzt kapiere ich es. Noch dazu ist diese O´Neil eng mit ihnen verbunden, als wenn sie ein weiterer Teil der Familie wäre. So ganz verstehe ich das Alles allerdings noch nicht. Es gibt einfach noch zu viele Fragen, aber zu dem ist mir noch etwas völlig Anderes aufgefallen: Bilde ich mir das jetzt nur ein, oder hat Meister Splinter jetzt doch Vertrauen zu mir? Sonst würde er mir seine Hintergrundgeschichte nicht so einfach erzählen, oder? Auf jeden Fall erfahre ich überaschenderweise mehr und auch woher und warum die Brüder das Kämpfen überhaupt erlernt haben. Grund dafür ist, dass sie sich in erster Linie verteidigen können, doch anscheinend ist dies zusätzlich zu ihrem „Beruf“ geworden. Immerhin haben sie sich es zur Aufgabe gemacht, New York zu beschützen und den Leuten zu helfen. So war es ja auch bei mir. Raphael hatte mich damals davor bewahrt, überfahren zu werden und vom Dach zu fallen, als ich ihm das erste Mal gesehen hatte. Es ist einfach unglaublich und die ganze Sache würde eigentlich sogar einen tollen Roman abgeben, wäre es nicht die Wirklichkeit. Am Ende seiner Erzählung hat Meister Splinter allerdings wieder diesen besorgten Gesichtsausdruck, als er mich ansieht. Ich kann mir schon vorstellen, was ihm beschäftigt und wie erwartet, sagt er das auch: „Ich hoffe, du begreifst, dass ein Kontakt mit uns Mutanten gefährlich ist. Durch das meine Söhne Schredder besiegt haben, haben wir uns viele Feinde gemacht und wer weiß, wie viele noch dazukommen werden. Sollten diese nun von dir erfahren, werden sowohl du, als auch deine Familie in große Gefahr sein. Das Böse kennt keine Grenzen und nutzt jede Chance, die sie nur ergreifen kann, nur damit sie uns besiegen können. Ich hoffe, dass dir das im Klaren ist Bernadette.“ „Ich weiß und mir ist das auch voll bewusst.“, erwidere ich, aber mir das sogar irgendwie bereits klar gewesen, als ich Raphael das erste Mal sah. Wer würde auch das nicht begreifen? Schließlich sprechen wir über Mutanten und mit diesem Thema ist einfach nicht zu spaßen. Ich kenne sowas zwar nur aus Geschichten, oder Filmen, aber alles, was einfach anders ist, kann gefährlich sein, beziehungsweise werden. Selbst unter uns Menschen gibt es immer wieder die Gefahr, die plötzlich oder sogar schleichend kommt. Wäre ich zum Beispiel die Tochter eines Polizisten, könnte ich selbst dann aus Rache entführt oder vielleicht sogar getötet werden. Nur weil derjenige vom „meinem Vater“ eingebuchtet worden war. Jedoch behalte ich diese Meinung für mich. Ich glaube, dass das einfach besser ist. Andererseits sehe ich, dass er immer noch nicht fertig ist: „… Doch da du von unserer Existenz weißt, sind auch wir in Gefahr. … Raphael scheint dir zu vertrauen, doch woher wissen wir, dass wir dies auch tun können und ob dieses Vertrauen nicht irgendwann wieder verschwindet?“ Als ich das höre, habe ich das Gefühl, als ob mir gerade jemand direkt ins Gesicht schlagen würde. Niemals würde ich Raphael hintergehen und dasselbe gilt auch für seine Familie! Lieber würde ich alles aufgeben und mich für ein Leben in den Untergrund entscheiden, bevor ich auch nur auf solche Gedanken kommen würde. Wenn es sein müsste, würde ich auch noch andere Sachen machen, nur um ihn zu schützen. Sei es auch, wenn ich den Kontakt zu ihm für immer aufgeben müsste, nur damit sowas nicht geschieht. Das alles mag jetzt sehr dramatisch klingen, aber Raphael ist mir nun mal wichtig. Er bedeutet mir viel und niemals würde ich ihn oder seiner Familie schaden wollen! Ich spüre förmlich wie mein gesamter Körper angespannt ist und mit einer energischen Stimme schwöre ich Meister Splinter, dass ich sie niemals verraten würde, egal was auch kommen mag. „Sie haben mein Wort!“, füge ich noch hinzu und schaue ich ihn dabei entschlossen an. Nichts ist mir daweil ernster und wichtiger, als das hier und ich hoffe auch, dass man mir glaubt. Meister Splinter sieht mich währenddessen genau an, während er wieder einmal an seinem Bart herumfummelt. Irgendwie hat sein Blick etwas Hypnotisches, als wenn er meine Ehrlichkeit ein weiteres Mal auf die Probe stellen würde. Doch nach kurzer Zeit lächelt er leicht und meint schließlich: „Gut, ich vertraue dir … und ich hoffe, dass das auch alle mitbekommen haben!“ Seine Stimme ist beim letzten Teil des Satzes viel lauter geworden, was mich total überrascht. Verwirrt und leicht überrumpelt, schaue ich dann nach hinten in Richtung Tür. Haben etwa die Jungs die ganze Zeit zugehört und woher wusste Meister Splinter das? Außerdem, wieso hat er seine Söhne denn nicht wieder weggeschickt, oder wollte er, dass sie es auch mitbekommen? Aber warum dann das Alles? Ich bin verwirrt, aber irgendwie habe ich den Verdacht, dass das Ganze eine Art Prüfung war und selbst wenn nicht, mir kommt es jetzt so vor. Ob ich jetzt wirklich ohne Wenn und Aber bestanden habe, ist allerdings eine andere Sache, denn da bin ich mir ehrlich gesagt nicht so sicher. Das Alles ist doch irgendwie schräg und ich weiß ja nicht einmal, was Raphaels Brüder von der ganzen Sache halten. Wenn sie jetzt genauso auf Meister Splinter hören, wie zu vor, dann dürfte ich das wohl endlich hinter mir haben, oder? Kaum habe ich nun meinen Blick nach hinten gewandt, schon schauen vier Köpfe beim Eingang hervor. Die haben uns tatsächlich belauscht und ich habe nichts davon mitbekommen! Au Mann, ich kann mich schon auf jeden Fall darauf einstellen, dass ich mit dieser Familie noch einiges erleben werde. Kapitel 10: Brüder ------------------ Aus Raphaels Sicht: Grübelnd sitze ich auf der Couch und starre Löcher in die Luft. Mein Nacken ist dabei auf der Rückenlehne gelehnt, weswegen mein Blick nun sinnlos nach oben gerichtet ist. Der Grund, warum ich so dahocke, ist, dass ich schlicht und einfach k.o. bin. Ich stand richtig auf Nadeln, während unser Sensei sich mit Bernadette unterhielt und sie scheinbar dabei bis ins kleinste Detail ausfragt wurde. Das war vielleicht ´ne harte Nuss, aber es ist zum Glück überstanden, zumindest vorerst. Natürlich erntete ich von meinen Brüdern die ganze Zeit über diese skeptischen Blicke und nicht nur das: Alle drei schienen auf mich angefressen zu sein. Sie waren anscheinend sauer, dass ich ihnen von Bernadette nichts erzählt habe. Nur, was wollen die von mir hören?! Hätte ich mich anders verhalten, so hätte ich sie vermutlich kein zweites Mal gesehen, geschweige sie richtig kennengelernt. Das liegt doch wohl auf der Hand! Wir dürfen normalerweise nicht mit den Menschen in Kontakt treten! Was wäre gewesen, wenn ich ihnen das von der ersten Begegnung erzählt hätte? Mit Garantie hätten sie mich aufgehalten und mich sogar vor Meister Splinter angeschwärzt. Ich frage mich allerdings, was die drei wohl an meiner Stelle getan hätten. Hätten sie tatsächlich komplett anders reagiert, oder wären sie doch wie ich am nächsten Tag zurückgekehrt und hätten dann alles vor der Familie verschwiegen? Ich glaube kaum, dass sie wirklich anders gehandelt hätten. Vermutlich wäre es bei den Einen oder Anderen sogar früher herausgekommen. Sie sind nicht viel besser als ich! Das habe ich allein schon daran gemerkt, als die ganze Sache endlich vorbei war. Denn kaum, dass Dad seine Aufmerksamkeit auf uns gerichtet hatte, waren es natürlich meine Brüder, die sich wie die Geier auf Bernadette stürzten und sie gleich ausfragten. Mikey war natürlich der Erste, der die Arme in seine Fittiche nahm und sie in die Familie willkommen hieß. Seine stürmische Art bewirkte allerdings bei ihr, dass sie damit nicht wirklich umgehen konnte. Sie war sichtlich geflasht von seinem „Überfall“, wodurch sie zunächst nicht gewusst hatte, wie sie am ehesten darauf reagieren sollte. Dies hielt aber mein Bruder mit der orangen Maske nicht davon ab, weiter auf sie einzureden. Dabei ließ er wieder seine bescheuerten Sprüche los, wodurch ich nur noch meine Hand gegen die Stirn klatschen konnte. Der Typ kann manchmal echt peinlich sein. Es ist nur ein Glück für Bernadette, dass sie durch mich schon mal vorgewarnt war. Vermutlich wäre es dann noch schlimmer für sie gewesen. Dicht gefolgt von der Nervensäge beäugte mein zweiter Bruder meine Freundin. Wie zu erwarten ließ Donnie eher seine Technik für sich sprechen und Bernadette schien sich schon etwas davon bedrängt zu fühlen. Wie kann man nur so aufdringlich sein? Am liebsten hätte ich sie von ihm weggezerrt, aber ich kam nicht soweit. Ich weiß bis jetzt noch nicht, ob ich darüber glücklich sein sollte oder nicht, aber in diesem Augenblick mischte sich Leo ein, der die anderen beiden etwas zurückdrängte. Im Gegensatz zu vorhin am Pier war er diesmal merkwürdigerweise etwas freundlicher gestimmt. War das nun ernst gemeint, oder wollte er einfach nur gastfreundlich sein und bleibt wegen ihr weiterhin vorsichtig? Ich würde es ihm sogar zutrauen. Er ist bei solchen Dingen einfach störrisch und da heißt es, dass ich stur wäre. Er ist nicht viel besser, auch wenn er oft so tut. Dass er der Anführer von unserer Truppe ist, macht das noch lange nicht wett! Dennoch werde ich einfach das Gefühl nicht los, dass er weiterhin noch skeptisch bleiben wird und Bernadette immer noch nicht wirklich vertraut. Wer weiß, ob er das je tun wird. Dabei hat sie doch schon mehr als nur deutlich gesagt, dass sie niemandem von uns erzählen wird. Was hätte sie sonst noch machen sollen, einen Blutsschwur abliefern, oder was denkt sich mein Bruder dabei? Dabei hatte er April auch ziemlich schnell vertraut. Gut, sie ist unser Hogosha und ihr war es zu verdanken, dass wir damals nicht geröstet wurden und dass wir uns so fürs Erste in Sicherheit bringen konnten. Dennoch war ich als Einziger skeptisch und habe mich dann doch überzeugen lassen. Doch nun ist das Gegenteil der Fall. Ob Leo wohl auch einen Beweis braucht? Dürfte bei Bernadette wohl schwieriger werden. Schließlich war die Zeit gekommen, dass ich Bernadette nach Hause brachte. Es war bereits schon spät geworden und vermutlich haben wir wegen dem ganzen Mist mehrere Stunden verschwendet. Dafür muss ich nun kein Geheimnis mehr daraus machen, geschweige es hüten. Ich glaube sogar, dass es Bernadette nicht viel anders sieht. Sowohl sie als auch ich waren letztlich erleichtert, dass der Spuk fürs Erste endlich ein Ende hatte. Ich war mir aber bereits nach unserem Abgang sicher, dass da noch ein Nachschlag kommen würde. Bei solchen Dingen habe ich einfach ein gutes Gespür, wenn es nicht auch wegen meiner Erfahrung wäre. Meine Familie kann ganz schön anstrengend sein und ich muss es ja am besten wissen. Den ganzen Weg zu ihr schwiegen wir, doch kaum war Bernadette bei sich daheim durch das offene Fenster geklettert, seufzte sie: „Weißt du, ich hätte mir ja denken können, dass niemand Bescheid wusste, aber warum hast du es mir nicht einfach sagt? Ich habe mich bei der ganzen Ausfragerei ziemlich überrumpelt gefühlt.“ Kaum hatte ich geglaubt, es wäre für heute nun endlich überstanden, bekam ich schon den nächsten Vorwurf zugeschmissen. Zugegeben, ihr hätte ich etwas sagen können, aber ich hatte einfach gedacht, dass das nicht notwendig wäre und warum sollte ich mich wieder für alles, was ich tue, rechtfertigen? Dann würde ich nie zu einem Ende kommen. Ihr Blick war in diesem Augenblick ernst, aber andererseits, wie hätte ich ihr das sagen sollen? Hätte ich einfach so zu ihr gehen sollen und sie so quasi nach dem Motto bitten müssen - „Sorry es muss alles geheim bleiben, weil entweder du, oder meine Familie in Gefahr kommen könnte.“ - Wie bescheuert hätte das geklungen? Wäre sie überhaupt darauf eingegangen? Ich kann es nun ohnehin nicht mehr ändern. Außerdem ist es bis zum Schluss gut gegangen. Ok, ich hätte nicht gedacht, dass meine Brüder mir hinterherspionieren und ich hatte einfach geglaubt, dass das so einfach besser wäre. Da hatte ich mich wohl getäuscht. Ich fragte mich schließlich, was sie nun wohl von mir erwarten würde. Ich könnte es ja nicht mehr ändern, aber sie sagte nichts weiter. Was mir nur recht war. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob die Sache nun erledigt war. Ich hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, dass Bernadette in diesem Augenblick sogar ein wenig eingeschnappt war und mich daher fürs Erste nicht mehr sehen wollte. Doch kaum wandte ich meinen Blick von ihr und wollte schon schnaufend abhauen, als ich ihre Hand auf meiner spürte. Verdutzt schaute ich sie an. Ihr Blick war nun mehr leicht besorgt als zornig und so klangen dann auch ihre Worte: „Raphael, bitte pack mich nicht Watte. Ich will das einfach nicht. Bitte rede offen mit mir. Das ist das Einzige, was ich mir von dir wünsche, ok?“ Ich bejahte es nur murmelnd und machte mich dann auf dem Weg. Was hätte ich in diesen Moment auch sonst sagen sollen? Natürlich war mir klar, dass mir noch einiges bevorstand, als ich wieder in der Kanalisation zurückgekehrt war. Denn schon erwartete mich eine Strafaufgabe im Hashi, die ich nach einer langen Predigt von Meister Splinter aufgebrummt bekommen hatte. Dafür, dass ich den Kontakt zu Bernadette meiner Familie verschwiegen hatte, hatte ich gleich mehrere Aufgaben hintereinander zu bewältigen, ohne dass mir dabei eine Pause vergönnt war. Was blieb mir anderes übrig, als dem ohne zu klagen nachzugehen. Ich wollte es schlicht und einfach hinter mich bringen und verbrachte daher noch einige Stunden in diesem verhassten Raum. Nun sitze ich erschöpft auf der Couch und lasse in Gedanken die vergangen Stunden durch meinen Kopf ziehen. Diese Ruhe habe ich bitter nötig. Ich bleibe aber nicht lange allein, als Mikey sich schon zu mir gesellt und mich die ganze Zeit grinsend anstarrt. Dabei brauche ich diesen Poltergeist nicht jetzt auch noch! Oh bitte, lass mich einfach! Für heute bin ich schon genug bestraft worden. Kann man es daher nicht für heute gutseinlassen? Meine Nerven sind für heute schon genug strapaziert worden. Kann Mikey nicht einmal zur Abwechslung Leo oder Donnie auf dem Geist gehen? - Wohl anscheinend nicht. Mir bleibt auch nichts erspart. So versuche ich ihn einfach auszublenden, aber er starrt mich dennoch diesen dämlichen, breiten Grinsen weiter an, wofür ich ihn eine reinhauen könnte. Ich schließe die Augen und hoffe, dass er wieder abzischt, wenn ich mich einfach nicht rühre. Jedoch bleibt er hier und rührt sich keinen Millimeter. Dabei spüre ich weiterhin seinen schelmischen Blick, der sich bereits tief in mein Hirn einbrannt hat. Grummelnd drehe ich mein Gesicht schließlich zu Mikey und frage ihn: „Was denn? Ist irgendetwas, dass du mich so anstarrst?“ Das war wohl keine gute Idee. Sein dämliches Grinsen wird einfach breiter, nachdem ich ihn angesprochen habe und nun kann er endlich den Interviewer spielen, wonach er scheinbar schon gewartet hat: „Also erzähl mal, kennt ihr euch jetzt wirklich schon über drei Wochen? Und wie war eigentlich euer „erstes Treffen“ genau?“ „Hast du was an den Ohren?! Wieso soll ich dir überhaupt etwas erzählen, was du eh schon von Bernadette selbst gehört hast?“, grummle ich, aber das stellt meinen Bruder wohl nicht zufrieden: „Ist schon klar, aber da hat sie mit Sicherheit das eine oder andere Detail ausgelassen.“ „Und du glaubst wohl, dass ich jetzt „diese Lücken“ fülle, oder was? Vergiss es und zisch jetzt endlich ab! Ich will meine Ruhe.“, versuche ich das Gespräch hier und jetzt zu beenden, aber Mikey ist scheinbar schlimmer als eine Göre, welche bei einer Pyjamaparty ihren Freundinnen all ihre Geheimnisse anvertraut und nun glaubt er vermutlich, dass hier sowas Ähnliches veranstalten kann. Ich habe aber weder Bock darauf, noch geht es ihm irgendetwas an. Wieso sollte ich ihm überhaupt jede Kleinigkeit in sein Hirn trällern? Normalerweise hat er doch nur April im Schädel. Auch wenn er bei ihr null Chancen hat und sie ihm immer wieder zurechtweisen muss. Wie von es von meinem Bruder allerdings zu erwarten ist, gibt er natürlich nicht nach und ich lasse mich dann doch weichkochen. Da merkt man richtig, dass ich für heute einfach zu ausgelaugt bin, um mich jetzt einfach zu verkrümeln, oder ihn einfach zusammenzufalten. Ich will ja nicht einmal aufstehen, so todmüde bin ich, aber den „Geschichtenerzähler für Gutenachtgeschichten“ will ich jetzt auch nicht unbedingt spielen. Um ihn aber endlich ruhig zu stellen, wiederhole ich einfach das, was Bernadette bereits gesagt hatte und füge das Eine oder Andere noch hinzu: „ … Wie haben uns halt an manchen Nächten getroffen. Mal waren wir am Dach ihres Hauses und an einem anderen Mal waren woanders. Es war nichts Besonderes.“ Die ganze Zeit über versuche ich beim Erzählen alles runterzuspielen. Mikey soll schließlich nicht auf falsche Gedanken kommen. Immerhin sind Bernadette und ich einfach nur Freunde. Vermutlich würde es aber eh keinen Sinn machen. Wer weiß, was in seiner Birne so vor sich geht? Solange er aber nicht versucht, mir irgendwelche „Tipps“ zu geben, die seiner Meinung „zu hundert Prozent“ funktionieren würden, dürfte es hoffentlich mal langsam ein Ende finden. Vielleicht ist er dann endlich zufrieden und ich habe dann endlich meine Ruhe. Jedoch habe ich mich auch diesem Punkt mächtig geirrt. Denn kaum habe ich angefangen zu erzählen, gesellen sich auch schon die anderen beiden dazu. Ist das hier ein Kaffeekränzchen, oder was wollen die alle von mir?! Dicht neben Mikey drängt sich nun Donnie dazu, damit er ja kein Detail verpasst. Leo hingegen hält etwas Abstand von mir. Zumindest in seiner Richtung kann ich noch Luft bekommen, aber schon geht das Theater weiter. Sie alle wollen mehr wissen, doch nun geht Mikey echt zu weit, als er mich auf einmal fragt: „Na, du Casanova, wie nah steht ihr euch wirklich? Habt ihr euch schon geküsst? Komm schon, erzähl schon und lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.“ Für einen Augenblick bin ich wie erstarrt, als er dieses eine Wort gesagt hat. Ich weiß nicht, warum es mir gerade so die Sprache verschlagen hat. Schließlich sind Bernadette und ich einfach nur Freunde und da war dieses Thema einfach nie dabei. Nur, warum kümmert mich dieses Geschwätz so sehr? Grummelnd schaue ich einfach weg. Ich will einfach nicht näher darauf eingehen, weil es so und so nicht wichtig ist. Zu meinem Pech fängt die Nervensäge allerdings an zu lachen: „Hey, das braucht dir doch gar nicht peinlich sein. Die Chika ist doch richtig niedlich und Mut hat sie auch, wenn sie dich so einfach überlebt. … Also sag schon, wie war´s?“ „Halt endlich die Klappe Mikey!“, schnauze ich ihn an, damit er endlich Ruhe gibt und schweige schließlich. Von meinem Wutausbruch kurz überrascht, sehen mich die drei an, als wenn sie vermuten müssten, dass ich gerade wieder etwas verberge. Dabei stimmt es nicht einmal! Ich habe einfach keinen Bock mehr auf diesen Mist und sie alle sollten endlich mal Leineziehen. „Wo liegt denn nun das Problem Raphi?“, mischt sich nun Donnie ein, aber er auch wird nun von mir angeschnauzt: „Vielleicht liegt es daran, dass das euch einen feuchten Kehricht angeht!“ „Also war doch etwas?“, kam es nun trocken von Leo rüber, aber ich reagiere einfach nicht darauf und schweige. Das ist normalerweise nicht typisch für mich und dass wissen sie leider. Schließlich kennen wir uns unser ganzes Leben lang, daher gibt es kaum Geheimnisse zwischen uns. Sowas bleibt einfach nicht lange geheim. Auch diesmal ist es wieder so, obwohl ich alles dafür getan habe, dass es zwischen mir und Bernadette bleibt. Dennoch hat es nicht geklappt und ich bekommen nun die Quittung dafür. Die anderen haben dafür ihren Spaß, es mir nun richtig unter die Nase reiben zu können. Sie fangen sogar an herum zu spekulieren, während ich versuche, sie zu ignorieren. Vielleicht sollte ich mich doch einfach aufraffen und in mein Zimmer abzischen. Andererseits hat Mikey nun dafür gesorgt, dass mir dieser eine Gedanke nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Das scheint besonders mein Bruder mit orangen Maske gecheckt zu haben, aber ich mache keine Anstalten etwas zu sagen, geschweige ihm ins Gesicht zu sehen. Es gab nun mal keinen Kuss. Zumindest war es nicht so einer, den Mikey meint. Bernadette und ich kennen uns zwar schon eine Weile und wir haben auch in den letzten Nächten viel Zeit miteinander verbracht, aber es kam niemals dazu. Wir redeten viel, oder saßen einfach still neben einander. Warum denke ich überhaupt über sowas nach? Sie ist einfach eine Freundin und nichts weiter. Ich mag sie, ich mag sie sogar sehr. Sie ist einfach anders als andere Menschen, die ich bisher beobachte habe und sie habe ich noch dazu näher kennenlernen dürfen, was uns Mutanten bis auf die Ausnahmen versagt worden war. In ihrer Nähe habe ich sogar den Eindruck, dass ich irgendwie anders bin. Ich habe keine Ahnung warum und wie ich überhaupt darauf komme, aber ich spüre jedes Mal dieses seltsame Gefühl in mir. Als wenn ich mich in ihrer Nähe ständig unter Kontrolle halten müsste, bevor ich noch irgendetwas vermassle. Ach, das ist doch total verrückt! Jetzt fange ich auch noch genauso zu spinnen, wie es Mikey in Punkto April tut. Dabei läuft zwischen mir und Bernadette nicht einmal etwas. Wir sind einfach Freunde und bevor ich mir noch irgendetwas Anderes einreden lasse, sollte ich wohl schnell was dagegen tun. Nur werde ich jetzt von meinen Brüdern genervt. Abgesehen von Mikey, der immer noch seine blöden Sprüche klopft, hat auch Donnie schon wieder mal seine Meinung kundgegeben. Der berechnet doch glatt die Wahrscheinlichkeit, wie hoch meine Chancen bei Bernadette sind! Ist er denn jetzt auch noch völlig übergeschnappt?! Selbst Leo fängt zum Scherzen an und steigt bei Mikeys idiotischen Geschwafel mit ein. Die sind doch alle völlig durchgeknallt! Die scheinen es ja echt zu genießen, sich über mich lustig machen zu können. Schönen Dank auch! Wenn ich nicht so geschafft wäre, würde sie alle auf die Bretter schicken, damit sie endlich das Maul halten. „Also Spaß beiseite Jungs! Sonst bekommt Raphi sein Maul noch immer nicht aufgerissen und wir können bis zum Neujahr auf ein Ergebnis warten. … Leg schon los Raphi, wie war es nun? Hat es dir gefallen?“, wiederholt Mikey nun seine Frage von dem Kuss, aber ich reagiere immer noch nicht darauf. Dafür schaue ich ihn entgeistert und zornig zu gleich ein. Nur ein genervtes Knurren entweicht schließlich aus meiner Kehle und mein Bruder wird auf einmal stutzig. Verdammt! Jetzt hat der Idiot auch noch geschnallt, dass es noch keinen Kuss gegeben hat, was er auch noch laut ausspricht: „Woawoah! Moment mal! … Ihr kennt euch schon so lange und habt ihr euch noch nicht einmal geküsst?! Was treibt ihr denn immer auf den Dächern? Habt ihr nur Händchen gehalten, oder was?“ Jetzt starren mich alle mit neugierigen Blicken an. Anscheinend sind die anderen beiden von Mikey Erkenntnis ebenfalls überrascht. Wobei Leo sogar erleichtert aufatmet. Was geht denen das überhaupt an?! Gar nichts! Können die mich nicht einfach in Ruhe lassen?! Als die drei mich immer noch so bekloppt anstarren und Mikey weiterhin auf eine Antwort wartet, reagiere ich endlich auf seine Frage. Drohend und schnaufend halte ich ihm dabei meine Faust entgegen: „Das geht dich einen feuchten Dreck an! Dasselbe gilt auch für euch! Und jetzt haltet endlich mal die Klappe!“ In mir kocht es. Was mischen die sich überhaupt in meinen Angelegenheiten ein? Wenn Mikey nicht bald seine Schnauze hält, dann gibt´s Prügel und dasselbe gilt auch für die anderen beiden. Ich bin aber auch selbst schuld. Was bin ich auch so dumm und erzähl denen überhaupt was? Wieso bin ich nicht einfach aufgestanden und bin einfach in mein Zimmer gegangen? Dann hätte ich wohl nicht jetzt diesen Stress! Leo versucht nun Mikey zum Aufhören zu bewegen, aber das hält ihn einfach nicht davon ab. „Mal ehrlich Alter. Man sieht doch, dass du bis über beide Ohren in sie verknallt bist, dann …“ fängt er weiter an zu quasseln. Jetzt reicht´s! Jetzt ist das Maß nun wirklich voll! Ich bin zwar von der Strafaufgabe immer noch kaputt, aber jetzt habe ich die Schnauze endgültig voll! Mit einem lauten Knurren stemme ich mich von meinem Platz ab und springe auf Mikey. Dabei fallen wir beide auf dem Boden und rollen etwas zur Seite, doch das ist mir egal. Die Wut hat mich zu sehr gepackt und wild schlage ich auf ihn ein. Mein Bruder versucht sich zu wehren und kann sogar einige meiner Attacken parieren. Dabei grinst er so dämlich und lacht, was mich nur umso aggressiver macht. Er soll einfach die Klappe halten und mir nicht mehr auf die Pelle rücken! Ich merke kaum, wie Donnie und Leo nun dazwischenfunken und versuchen uns beide auseinander zu reißen. Erst als die zwei sich gegen mich stemmen, kann Mikey wegrutschen und auch ich versuche mich mit einem Schnauben allmählich zu beruhigen. Mir fällt es jedoch schwer. Jede einzelne Faser meines Körpers ist angespannt, ich atme hastig und spüre wie ich noch immer innerlich koche. „Komm wieder runter Raphi! Du kennst doch Mikey, der redet doch immer nur Blödsinn.“, versucht mich Donnie zu beschwichtigen. Er hat ja Recht. Noch immer grummelnd senke ich meine Fäuste und versuche wieder runterzukommen. „Hey, sorry Bro. Ich wollte dir jetzt nicht zu nahetreten.“, will sich mein Bruder nun entschuldigen, aber ich verdrehe nur genervt die Augen. „Spar dir einfach deine Worte und lasst mich alle nur in Ruhe.“, murmle ich erschöpft und kehre ihm den Rücken zu. Er sollte vielleicht öfters Mal die Klappe halten, oder zumindest mal nachdenken, bevor überhaupt mal etwas von sich gibt. Das wäre besser für seine Gesundheit. Wenn ich ihn allerdings jetzt wieder ansehe, weiß ich, dass ich wieder ausrasten werde. Für heute er es wirklich an die Spitze getrieben. Deswegen bleibe ich erst einmal so stehen und höre, was sich was hinter mir tut. Ich merke, wie Donnie Mikey zu sich zieht und ihn auffordert, mich fürs Erste in Ruhe lassen. Die beiden schalten dann auch noch die Glotze an, was wohl zu einem „Themenwechsel“ führt. Da kommen sie aber „früh“ drauf aber ich sollte wohl froh darüber sein. Sonst würde es vermutlich noch so weitergehen. Schließlich klopft Leo mir auf die linke Schulter und fordert mich auf ihn zu folgen: „Na komm. Bringen wir dich mal zum Abkühlen.“ Was bleibt mir anderes übrig, als ihm zu folgen. Bevor mein Bruder mit der orangen Maske noch auf weitere dumme Sprüche kommt und den „Witzbold“ in ihn noch einmal rauslasst, gehe ich lieber mit. So trotte ich Leo hinterher, der die offene Küche ansteuert. Kaum dass wir dort sind, lehne ich mir erst einmal gegen die Mauer und lasse schnaufend den Kopf in den Nacken senken. Leo wiederum hat in der Zwischenzeit eine Limodose aus dem Kühlschrank geholt und wirft sie mir jetzt entgegen. Geschickt fange ich sie und mache sie gleich auf. Ich bin zwar nicht durstig, aber das kühle Getränk tut wirklich gut, als es mir die Kehle herunterrutscht. Es dauert nicht lange, schon zerdrücke ich das Alumetall in meiner Hand und schleudere es in den Mistkübel. Doch ich bin mir sicher, dass mein Bruder und Anführer mich nicht nur hierher gelotst hat, um ein Getränk „auszugeben“. Als ich ihn anschaue, merke ich schon, dass er auf dem richtigen Moment zu warten sein scheint, um mich anzusprechen. Arme verschränkend hat er sich gegen die Tischplatte angelehnt und beobachtet mich. Bitte leg´ einfach los, dann habe ich es zumindest hinter mir. Ihr geht mir doch eh schon auf die Nerven! Als er immer noch nichts sagt, spreche ich ihn schon mit einem genervten Unterton darauf an: „Sag schon, du willst doch irgendetwas von mir.“ „Ich will gar nichts von dir. Ich verstehe nur nicht, warum du uns nichts gesagt hast.“, meint er mit einem ruhigen, aber auch leicht bitteren Ton. Selbst wenn er so ruhig ist, bringt er mich doch auf die Palme und ich bin eh schon so „gut gelaunt“. Noch dazu reitet er schon wieder auf diesem Thema herum. „Als wenn ihr es zugelassen hättet, dass ich mich mit einem Menschen anfreunde!“, kontere ich zurück, ohne irgendetwas dabei zu beschönigen. Irgendwie fühle ich mich wieder angegriffen. Anscheinend hat sich die ganze Welt gegen mich verschworen, denn wenn es mal mies läuft, dann aber richtig. Leo seufzt und muss aber zugeben, dass ich damit Recht habe: „So unrecht hast du dabei nicht. Dennoch wäre es besser gewesen, wenn du es getan hättest. Dann hätten wir uns das heute zum Beispiel ersparen können. … Jetzt lässt es sich so und so nicht mehr ändern.“ Endlich einmal gibt er mir bei etwas recht. Doch das reicht mir nicht und ich steure nun zum Gegenangriff: „Schön, dass du das auch mal „einsiehst“ und jetzt erklär mir mal, wie ihr das überhaupt rausgefunden habt! Jetzt seid ihr mir mal eine Erklärung schuldig!“ Leo erzählt mir schließlich seufzend und etwas ungern, dass sie jedes Mal etwas stutzig waren, wenn sie mich beim Treffpunkt gesehen hatten: „Dein Verhalten war in letzter Zeit merkwürdig. Du warst so „ruhig“ und komischerweise hattest du kaum etwas zu berichten. Noch dazu hast du verbissen versucht, dein Geheimnis zu verbergen und irgendwann sind wir halt dem nachgegangen. Donnie bastelte dann an einem Peilsender, was er dir dann irgendwie unauffällig untergejubelt hat.“ Na Klasse, das Gefühl von der eigenen Familie bespitzelt zu werden, macht meine Laune ja „noch besser“. Ich wollte es allerdings wissen, wie sie mir überhaupt gefolgt waren und nun weiß ich es. Wild suche ich meinen Körper ab. Ich bin mir sicher, dass das Ding noch immer da ist. Sonst wäre es mir bereits aufgefallen. Schon nach kurzer Zeit, nehme ich die Sonnenbrille von meinem Kopf und entdecke auf der Innenseite eine kleine, runde Scheibe. Grummelnd kratze ich es herunter und klatsche das Ding auf die Küchentheke. „Wehe ihr macht das noch einmal!“, drohe ich Leo und will schon wieder verschwinden, als er mich noch kurz aufhält: „Ich hoffe du weißt, was du tust. Vergiss nicht, dass einiges auf dem Spiel steht.“ Ich sage nichts, sondern nicke nur leicht. Ich weiß ja, was er damit meint, aber es macht einfach keinen Sinn darüber zu diskutieren und momentan will ich erstens nicht und zweitens würde Leo es nicht verstehen wollen. So wie er das gesagt hat, hat das meinen Eindruck nur bestätigt. Er vertraut Bernadette nicht und wer weiß, ob er sich überhaupt umstimmen lässt. So gehe ich aus der Küche und marschiere schnurstracks in mein Zimmer. Kaum habe ich die Tür hinter mir zugeknallt, lehne ich mich schon seufzend dagegen. Für heute habe ich einfach genug und ich will am besten für den Rest der Nacht niemandem mehr über den Weg laufen, geschweige etwas hören. Nur befürchte ich, dass ich noch einiges vor mir habe: Meine Familie, insbesondere Leo, muss ich davon überzeugen, dass man Bernadette vertrauen kann. Zweitens muss ich gewissen Themen aus dem Weg gehen, die mich zum Beispiel heute vollkommen aus dem Konzept gebracht haben. Das darf einfach nicht noch einmal vorkommen. Kapitel 11: Alles ok? --------------------- Aus Bernadettes Sicht: Was für eine Nacht! Ich dachte schon, dass dies kein Ende nehmen würde, aber ich war dennoch froh, dass es doch gut ausgegangen war. Jedoch war eines zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz abgehakt: Raphael hatte mir nichts von dieser Geheimniskrämerei mit seiner Familie erzählt und ich durfte es nun mit ihm gemeinsam ausbaden, ob ich wollte, oder nicht. Das machte mich natürlich sauer, was er auch dann von mir zu spüren bekam, nachdem er mich bei mir Zuhause abgesetzt hatte. Naja, so dramatisch war es dann nun wieder nicht, aber es lag viel mehr daran, dass ich einfach nur noch ins Bett wollte. Immerhin wurde ich davor ziemlich überrumpelt, als plötzlich seine Brüder vor uns auftauchten und ich dann auch noch bei seiner gesamten Familie aufs Genauste inspiziert wurde. Ich kam mir vor, wie bei einem Verhör. Dabei hätte Raphael mir zumindest Bescheid geben können. Dann hätte ich vielleicht mit solch einem Anschlag rechnen können. Wenn ich am Ende nicht so erschöpft gewesen wäre, hätte er noch einiges von mir zu hören bekommen. Andererseits, vielleicht war es sogar besser so. Abgesehen von meiner Müdigkeit, wollte ich mich dann doch nicht mit ihm streiten. Wem hätte das schon genützt? Vermutlich niemandem, aber ich hoffe dennoch, dass er mich beim nächsten Mal einweiht. Mir reicht schon der Stress, den ich zuhause und in der Schule habe, da brauche ich das nicht auch noch. Obwohl, ich kann die Sorge dieser Familie, ob man mir überhaupt trauen kann, schon irgendwie nachvollziehen. Immerhin sind sie Mutanten und wenn die Welt eines Tages von ihnen erfährt, würden nicht alle vor Freude jubeln. Auch wenn wir uns im 21. Jahrhundert befinden, entwickelt sich bei solchen Dingen schnell die Angst und aus dieser Angst können wiederum Panik und Hass entstehen. Auch wenn dies vollkommen unbegründet ist, wird da einfach nicht vernünftig nachgedacht. Wer weiß, was dann mit ihnen passieren würde? Vielleicht landen sie sogar in irgendeinem Labor und müssen dort einiges über sich ergehen lassen. Es könnte sogar passieren, dass sie aufgrund der Panik erschossen werden. Ich habe ja keine Ahnung, was sie tatsächlich aushalten. Auch wenn Raphael mal gemeint hatte, dass sie viel wegstecken können. Können sie etwa auch Kugeln aufhalten? Irgendwie kann ich mir das nicht vorstellen. Schließlich sind auch sie nicht unsterblich. Daher darf das niemand erfahren. Vorsicht ist immerhin noch besser als Nachsicht, jedoch hätte Raphael mit mir reden können. Ich hätte ihn doch verstanden und mich ruhig verhalten. Hat er etwa kein Vertrauen zu mir, oder warum hat er das gemacht? Das ist einfach etwas, was ich bis jetzt noch nicht begreifen kann. Ob Raphael wohl genauso gehandelt hätte, wenn er und seine Familie Menschen wären? Keine Ahnung, ich kann mir das Ganze nur schwer vorstellen. Noch dazu sind sie es nicht und es ist nun mal so passiert. Ich kann nichts daran ändern, auch wenn ich noch Monate lang darüber jammern würde. Dennoch fühlte ich mich in ihrem Zuhause nicht wohl in meiner Haut. Hätte Raphael mir zumindest Bescheid gegeben, so hätte ich noch Zeit gehabt, mich auf mögliche Situationen vorzubereiten. Ich hätte mich wenigstens ein wenig darauf einstellen können und mir darüber Gedanken gemacht. So wurde ich allerdings von verschiedenen Seiten überrumpelt und musste mich dem Kreuzverhör stellen. Zu meinem Glück hatte sich die Lage dann doch noch wieder beruhigt. Ich glaube, dass Raphael genauso erleichtert war wie ich, als ich Meister Splinters Vertrauen „gewann“. Doch ich war lange noch nicht aus dem Schneider. Donnie und Mikey waren die Ersten, die mich gleich in die Familie „aufnahmen“. Wohl eher war es ein „Überfall“. Besonders der mit der orangen Maske scheint es toll zu finden, Bekanntschaft mit einem weiteren Menschen zu machen. Zumindest hat er mich mit komischen Sprüchen vollgetextet und sein Bruder war mit seiner Apparatur auch nicht viel besser. Wollte der mich etwa sogar scannen, oder was? Ich glaube, ich denke nicht weiter darüber nach. Denn da kommt man sich vor, wie in einem absurden Sciences Fiction Film. Wäre Leo nicht gewesen, hätte man mich vermutlich noch ausgraben müssen. So sehr wurde ich von ihren Worten überhäuft. Dennoch, im Nachhinein, sind sie irgendwie schräg, aber doch auf ihre Art wieder lustig. Wenn sie mich nicht so „überfallen“ hätten, hätte ich natürlich besser darauf reagieren können. Vielleicht hätte ich auch darüber lachen können. Wer weiß es schon, aber ich kann die Vergangenheit nun eh nicht mehr ändern. Ich bin nur froh, dass ich das Ganze hinter mich gebracht habe und ich konnte mir sogar ein erstes Bild von Raphaels Familie machen. Manches, was er mir erzählt hatte, stimmte mit dem, was ich da mitbekam, auf jeden Fall überein. Mikey ist wirklich ein fröhlicher Typ, der ständig einen Spruch parat hat und die Anwesenden gerne unterhalten möchte. Er sollte nur aufpassen, dass er es nicht übertreibt, denn dann kann er ganz schön nerven. Dabei kenne ich ihn erst seit einigen Stunden. Donnie ist auf der einen Seite eher der stille Typ und auf der anderen Seite kann er reden wie ein Wasserfall. Wenn er das tut, hängt das meistens mit Technik oder irgendetwas dergleichen zusammen. Weswegen ich ihn oftmals nicht verstanden habe. Im Gegensatz zu Mikey scheint er aber zu wissen, wann er seinen Mund halten sollte. Das macht es irgendwie angenehmer, sich mit ihm zu unterhalten, nachdem der erste Schwall aus ihm heraus war. Leo kann ich aus einem undefinierbaren Grund nicht einschätzen. Auf der einerseits wirkte er gestern wenig erfreut über mich und ist noch milde ausgedrückt. Das begann bereits, als er und die anderen beiden mich und Raphael am Pier entdeckt hatten. Bei ihnen daheim wurde es auch nicht besser. In einigen Metern Abstand stand er mit verschränkten Armen da und schaute mich musternd und nachdenklich an. Ich glaubte schon, er würde mir am liebsten eine Gehirnwäsche verpassen, damit ich alles wieder vergesse und nie wieder etwas mit seiner Familie zu tun habe. Sein Blick schien mich durchbohren, oder durchleuchten zu wollen. Glaubt der wirklich, ich würde so etwas jemanden erzählen? Das kauft mir doch so oder so keine Seele ab. Da würden die mich eher in die Klapse verfrachten, bevor ich dafür nicht einen Beweis liefern würde und das tue ich garantiert nicht! Auf der anderen Seite war er dann doch freundlich zu mir, als ich kurz „Hilfe“ brauchte und er konnte die anderen beiden etwas bändigen, nachdem ich mich etwas von ihnen bedrängt gefühlt hatte. Dasselbe gilt auch für Meister Splinter. Wie sein Sohn, ist auch er nicht zu durchschauen. Er hatte irgendwie diesen stechenden, strengen Blick, der mir sogar etwas Angst gemacht hatte. Doch dann wurde dieser milder und sogar von einem freundlichen Lächeln abgelöst. Das Alles ist schon seltsam, aber was ist schon normal? Besonders seit ich Raphael kennen gelernt habe, habe ich dieses Wort aus meinem Vokabular förmlich gestrichen. Es ist nichts Schlechtes daran anders zu sein, aber es kann ganz schön anstrengend sein und diese Familie ist das garantiert. Zwei Nächte sind seit diesem „Familienereignis“ vergangen und Raphael habe ich seitdem nicht mehr gesehen. Ich hätte eigentlich geglaubt, dass ich mit ihm am folgenden Abend noch darüber sprechen könnte, weil mir noch einiges auf dem Herzen lag. Immerhin war ich in dieser „tollen“ Nacht zunächst von dem Ganzen doch ziemlich kaputt und hatte eher keine Lust mit ihm darüber streiten. Dennoch wollte ich ihn nicht so schnell davonkommen lassen und hatte ihm gleich mitgeteilt, dass ich diese Überraschung nicht so toll gefunden habe. Das war das Einzige, was ich ihm noch auf dem Heimweg mitgeben wollte und auch konnte. Nach der ganzen Anspannung war die Sehnsucht nach meinem Bett einfach zu groß. Ich hoffe nur, dass er mich das nächste Mal einweiht, bevor ich wieder so überrumpelt werde. Ich habe einfach nicht die Nerven dafür, noch weitere solche „Abenteuer“ erleben zu dürfen. Da reicht mir schon mein Privatleben. Ich mag zwar in letzter Zeit ganz schön am Jammern sein, aber wenn es nun mal nicht besser wird, habe ich verdammt noch mal das Recht dazu und das lasse ich mir auch von niemandem nehmen! Ich döse gerade in meinem Zimmer vor mich hin und bin momentan dabei, in das Traumland überzugehen, als ein vertrautes Geräusch mich aufhorchen lässt und mich wieder wachrüttelt. Wenn ich gerade Musik gehört hätte, hätte ich das Klopfen an der Fensterscheibe sicherlich nicht mitbekommen. Da wäre ich wohl vorher bereits eingeschlafen. So erhebe ich mich noch müde von meiner Matratze und schaue in Richtung Fenster. Wie vermutet, sehe ich Raphael, der mit gemischten Gefühlen zu mir hineinsieht. Habe ich ihn seit dem etwa zum Nachdenken gebracht? Gut so, denn so was kann er sich gleich von Anfang an abgewöhnen. Mit mir braucht man nicht spielen. Sowas kann ich nämlich absolut nicht leiden. Wer mich gut kennt, der weiß das auch. Sonst wird das sehr ungemütlich und ich kann dann für nichts garantieren. Das gilt auch für einen gewissen Mutanten, der dort draußen wartet. Leicht schief grinsend stehe ich von meinem Bett auf und gehe zu ihm. Kaum habe ich das Fenster geöffnet, werde ich schon mit einem zaghaften „Hey“ begrüßt, was ich dann natürlich erwidere. „Alles ok bei dir zu Hause? Oder hast du von dort die volle Härte zu spüren bekommen?“, frage ich ihn schon, da er immer noch diesen komischen Gesichtsausdruck hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass er meinetwegen und wegen dieser Geheimniskrämerei Ärger bekommen hat. Sonst würde er nicht so ein Gesicht ziehen. Zumindest würde es erklären, warum ich ihn in den darauffolgenden Nächten nicht gesehen habe und das kann sicherlich nicht nur an seiner nächtlichen Patrouille liegen. So wie ich seinen Vater kennengelernt habe, wird Raphael mit Sicherheit was zu hören bekommen haben. Wenn nicht schon seine Brüder auch mit von der Partie waren. Allerdings zuckt Raphael jetzt nur etwas mit den Achseln und antwortet mit einem genervten Unterton: „Wie es halt bei mir zuhause ist.“ Mehr geht er nicht darauf ein. Das heißt wohl, dass ich scheinbar doch recht habe, oder mit meiner Vermutung zumindest nicht ganz falschliege. Jedoch scheint es so, dass ich von dem Muskelprotz nicht mehr herausbekommen werde. Wie er meint, aber manchmal sagt die Körpersprache mehr aus, als was man wirklich sagen will und so wie er gerade drauf ist, kann es für ihn wohl kaum einfach, geschweige angenehm gewesen sein. Neugierig bin ich schon. Es wäre ja interessant zu wissen, was dann wirklich danach war. Ich gehe aber nicht weiter darauf ein, wobei ich sowieso nicht länger darüber nachdenken kann. Raphael streckt mir schon seinen rechten Arm entgegen und will mir etwas sagen, was aber so leise ist, dass ich kaum etwas verstehen kann. Nur so etwas, wie „Komm … gehen wir.“, habe ich irgendwie aus seinem Gebrabbel entziffern können und das war es auch schon. Wieso ist er heute so komisch und so schweigsam? Da versteht man ja nicht einmal die Hälfte. Das kenne ich gar nicht von ihm. Doch eher ich etwas darauf erwidern kann, merke ich schon, wieso er so drauf ist. Denn kurz darauf höre ich dreimal eine Begrüßung aus dem Hintergrund. Ich schaue in die Richtung und sehe sie. Raphael ist diesmal nicht alleine gekommen. Donnie, Mikey und Leo sind bei ihm, wobei sich die drei auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses befinden. Dort stehen sie wartend und schauen zu uns, wobei der Bruder mit der orangen Maske etwas ungeduldig wirkt. Auf was warten die denn bitte und warum verdammt ist Raphael so still? Irgendwie ist seltsam und sogar ein wenig unheimlich. Geht jetzt etwa das Chaos vom letzten Mal nun weiter? In diesem Augenblick sieht Raphael ebenfalls nach hinten. Ich weiß zwar nicht, was er ihnen für einen Blick zugeworfen hat, aber ich schätze einmal, dass die drei seiner Meinung nach verschwinden sollen und diese vermutliche Aufforderung scheint sogar geklappt zu haben. Denn sie gehen. Zwar sind sie jetzt etwas genervt und sie meckern sogar dabei, aber aus dieser Entfernung kann ich es ohnehin kaum verstehen, was sie alle da von sich geben. Sie verschwinden einfach hinter den nächsten Dächern. Kopfschüttelnd und leicht murrend wendet sich Raphael wieder mir zu und seufzt anschließend. „Kannst du mir mal erklären, was das hier werden soll?“, frage ich ihn schließlich. Ich habe ja nichts dagegen, wenn auch seine Brüder mal bei mir vorbeischauen, aber diese Stimmung muss nun wirklich nicht sein. Als wenn ich ein Spielzeug wäre, um die sich die Brüder streiten würden. Zumindest habe ich für den Moment diesen Eindruck gehabt. Ich habe eigentlich sogar gedacht, oder vielmehr gehofft, dass das jetzt endlich geregelt ist, aber anscheinend habe ich mich dabei getäuscht. Irgendetwas ist da im Busch. So viel ist schon mal sicher. „Als wenn das meine Idee gewesen wäre.“, entgegnet er mir, während er immer noch diese murrende Stimme hat und dabei mit den Augen rollt. Irgendwie klingt er jetzt wie ein schmollendes Kind, welchem sein Lieblingsspielzeug konfisziert wurde, woraufhin ich ihn nun schmunzelnd in den linken Oberarm knuffe und meine: „Was soll´s, kann´s losgehen?“ Auch wenn ich nicht genau weiß, was er damit genau gemeint hat, wird er schon seine Gründe haben und vermutlich wollte er nicht, dass die anderen auch kommen. Das würde zumindest die darauffolgende Reaktion seiner Brüder erklären. Schließlich finde ich mich wenig später in seinen Armen wieder und er springt mit mir auf die Dächer. Es hat aber nicht lange gedauert, denn kurz darauf gesellen sich die anderen schon zu uns. Von links und rechts tauchen sie wie Schneeglöckchen im Frühjahr auf. „Hey ihr zwei, wir dachten schon, ihr würdet wohl gar nicht mehr nachkommen.“, lacht Mikey und grinst dabei. Anscheinend sind die drei nur vorausgelaufen. Dabei hätte ich nach Raphaels Reaktion eher damit gerechnet, dass sie einen anderen Weg einschlagen würden und sie mich nur kurz begrüßen wollten, ehe sie ihrem „Alltag“ nachgehen. Da lag ich wohl wieder falsch und so wie mein Freund heute drauf ist, dürfte ihm das wohl nicht passen. Wer weiß, ob dies nicht sogar ausgemacht war und er muss sich nun dem fügen, ob er will oder nicht. Ich könnte es mir nur so vorstellen. Allerdings sage ich hierbei nichts dazu. Auch, wenn mir gerade eine Aufklärung lieber gewesen wäre. Als ich später wieder heruntergelassen werde, geht das Theater von letzten Mal in die nächste Runde. Raphael wird dabei gekonnt zur Seite gedrängt, damit seine Brüder mehr Platz haben und mich von Neuem beäugen können. Ihre Neugier scheint wohl weiter entfacht zu sein. Allein schon, wie sie vor mir stehen und mich ansehen, bestätigt meinen Eindruck dazu, aber ich bin weder eine neue Attraktion aus dem Zoo, noch bin ich eine lebende Informationsquelle für das Wissen über Menschen. Scheinbar hoffen die zwei, dass sie vom letzten Mal einfach weitermachen können und die Fragerei geht nun ins nächste Level über. „Sag mal, du hast uns noch gar nicht erzählt, was du schon alles mit unserem Bruder unternommen hast. Wo hat Raphi dich schon überall mitgezerrt?“, fängt Donnie als Erster an, jedoch interessiert dem Bruder mit der orangen Maske etwas völlig Anderes und drängt mit seiner Frage dazwischen: „Viel wichtiger wäre es wohl, dass sie mal mehr über sich erzählt. Schließlich haben wir ja nicht oft die Gelegenheit ein süßes Mädel kennenzulernen. Nicht war Chica?“ Frech zwinkert er nun mit dem rechten Auge und schnalzt kurz mit seiner Zunge. Was soll das werden, wenn´s fertig ist? „Also erst einmal, hörst du mal mit diesem „Chica“-Gefasel auf. Dass das mal klar ist! Zweitens seid ihr einmal dran, dass ihr wie die Vögelchen zwitschert. Das wäre mal ´ne nette Abwechslung. … Also legt schon mal los!“, kontere ich nun und verschränke anschließend meine Arme, während ich sie freche angrinse. Denn so leicht, mache ich es den Jungs sicher nicht. Sie haben bereits beim ersten Mal die Möglichkeit gehabt, dass sie mich einfach so überrumpeln können. Doch diesmal bin ich darauf vorbereitet. Wenn sie also glauben, dass ich so einfach zu knacken wäre, dann haben sie sich gewaltig getäuscht. Ich habe nämlich meine Mittel und Wege, die mich zu meinem Ziel führen. Schließlich bin ich mit zwei großen Brüdern aufgewachsen und zu meinem Glück haben sie mir das Eine oder andere beigebracht. So konfrontiere ich die beiden Turtles damit, indem ich sie kurz darauf mit zusätzlichen Gegenfragen und sogar mit Sarkasmus bombardiere. Wenn ich will, kann ich genauso nerven wie sie und zur meiner Freude ernte ich nicht nur gleich überraschte Gesichter, sie schauen sogar ziemlich dumm aus der Wäsche. Anscheinend haben sie wohl damit nicht gerechnet. Ich bin aber weder ein Mauerblümchen, noch bin ich auf dem Mund gefallen. Dass können sie sich mal gleich hinter die Ohren schreiben und sich fürs nächste Mal merken. Mikey scheint dies aber sogar sehr zu gefallen. Denn nun legt er seinen rechten Arm über meine Schultern und zieht mich etwas zu sich heran. „Also die Kleine hat was drauf Raphi! Yo, da hast du dir eine ausgesucht, die nicht nur taff ist, sie kann auch ordentlich mit Worten umgehen und mit diesen sogar punkten. Das gefällt mir! … Kein Wunder also, dass du meinen Bruder so gut aushältst. Bei ihm muss man schon zäh wie Leder sein. Also mach dich noch auf einiges gefasst.“, schmunzelt er, wobei die ersten Sätze Raphael gegolten haben, ehe dieser Witzbold sich mir zugewandt hat. Sein Bruder mit der roten Maske ist von seiner Begeisterung über mich allerdings alles andere als erfreut. Etwas Anderes hätte ich jedoch nicht von ihm erwartet. So wie Raphael die ganze Zeit dreingesehen hat, war das eigentlich schon vorauszusehen. Nicht nur ein grimmiges Knurren schlüpft aus seiner Kehle, er hält ihm auch seine rechte Faust bedrohlich entgegen. Zu meiner Überraschung hält er sich aber zurück und senkt seine Hand sogar wieder. Eigentlich hätte ich jetzt vermutet, dass schon etwas passieren würde, aber aus irgendeinem Grund kommt es nicht soweit. Schließlich kann ich mich doch aus Mikeys „Fängen“ lösen und die Unterhaltung geht weiter. Haben die etwa noch nie mit jemand anderem gesprochen, dabei habe ich doch schon längst mitbekommen, dass ich nicht der einzige Mensch bin, der sie kennt. Was ist zum Beispiel mit dieser April O´Neil? Immerhin steht sie mit den Jungs in Kontakt, oder wurde sie bereits so lange ausgefratschelt, dass es schon langweilig wurde? Bin ich dann etwa für sie sowas wie „Frischfleisch“, oder wie darf ich das verstehen? Da es mich sehr interessiert, wie die vier zu dieser Frau stehen, und ich so und so fürs Erste aus der Schusslinie möchte, spreche ich sie daher darauf an: „Sagt mal, Meister Splinter hat doch etwas von dieser Reporterin erzählt. …“ „Ach, du meinst April?“, werde ich bereits von Donnie unterbrochen und ich nicke zustimmend. Ein Glück, die haben den Köder sofort geschluckt. Jetzt darf ich auf keinen Fall aufhören, sonst bin ich wieder die Beute für die Jungs. „Also, wie ist sie denn so?“, werfe ich noch geschwind meine Frage ein, bevor ich wieder nicht zu Wort komme und ich stattdessen wieder ausgefragt werde. Bei den Jungs muss man auf jeden Fall schnell sein. Das habe ich, was das Reden angeht, bereits feststellen dürfen. Kaum, dass aber ich meine Frage gestellt habe, wird sie mir schon von dem Lilamaskierten beantwortet: „Sie ist eine gute Freundin von uns und der erste Mensch, mit dem wir je persönlich Kontakt gehabt haben, nachdem wir uns jahrelang aus den Augen verloren hatten. Naja eigentlich waren wir damals noch zu klein, um uns wirklich daran erinnern zu können. Jedenfalls, wäre sie uns an jener Nacht nicht bis aufs Dach gefolgt, wäre es wohl nie so weit gekommen.“ Skeptisch sehe ich Donnie an. Denn ich verstehe nicht, was diese Frau für einen Grund gehabt haben könnte, den Brüdern zu folgen. Doch kaum, dass ich das gedacht habe, wird schon weitererzählt, doch diesmal ist Raphael an der Reihe: „Du musst wissen, dass sie damals auf der Suche nach einer Story war, die sie groß rausbringen sollte und da kamen wir ihr gerade recht. Nachdem wir davor ein paar Typen von dem Footclan zusammengefaltet hatten, folgte sie uns und knipste mit ihrem Handy ein Foto von uns.“ „Aber ihr habt noch rechtzeitig etwas davon gemerkt, oder?“, hake ich interessiert nach und Raphael nickt. Ganz schön spannend, wenn man bedenkt, dass April die vier bereits schon als Kind kannte und sie Jahre später wieder aufs Neue und auf einer anderen Art kennenlernte. Mikey fügt nun grinsend hinzu, welche „Show“ Raphael dabei hingelegt haben soll: „Du hättest Raphi dabei sehen müssen, wie er damals mit seiner „Batman-Stimme“ April drohend aufforderte, das Handy rauszurücken. Das war einfach zum Brüllen!“ Ich sehe wieder zu Raphael und muss dabei ebenfalls grinsen. Ihm würde ich das nur allzu sehr zutrauen, jedoch zuckt er nur genervt mit den Achseln und meint zu Mikey: „Tu nicht so, als ob ich sie damals quasi auffressen wollte.“ „Aber du was knapp dran. Zum Glück hast es du es dir bei unserem Hogosha doch noch anders überlegt.“, scherzt sein Bruder mit orangen Maske weiter, geht aber dabei sicherheitshalbe in Deckung, bevor er schon die Faust zu spüren bekommt. Raphael lässt es aber abermals auf sich beruhen, droht ihm aber kurz. „Moment mal, wer, oder was zum Geier ist ein Hogosha?“, frage ich nun verwirrt, da ich dieses Wort noch nie in meinem Leben gehört habe, aber es dauert nicht lange, bis ich kurz darauf die Antwort von Mikey bekomme: „Na April ist unser Hogosha.“ „Ja, aber was soll das beuten?“, frage ich ein zweites Mal, da es mir einfach noch immer nichts sagt. Die nehmen dieses Wort so einfach für selbstverständlich, dabei habe ich nicht die leiseste Ahnung, um was es sich dabei handeln könnte. Ich weiß ja nicht einmal, aus welcher Sprache dieser Begriff stammt. Donnie klärt mich schließlich auf, worauf ich schon die ganze Zeit gewartet habe: „Ein Hogosha ist ein Beschützer. Im alten Japan waren damit meist die Eltern gemeint, oder ein Stellvertreter dafür, die sich um die Jüngeren kümmerten und sie vor Gefahren bewahrten. … Man könnte April sozusagen als große Schwester bezeichnen.“ „April hatte diesen „Titel“ damals von Meister Splinter bekommen, nachdem sie uns damals gerettet hatte. Obwohl sie selbst noch ein Kind war und sie sich mit ihrer Tat in größter Gefahr gebracht hatte, hatte sie uns vor dem sicheren Tod bewahrt. Somit hat sie seitdem unser Vertrauen.“, fügt Leo hinzu, sieht mich aber bei seinem letzten Satz streng an, welchen er zudem noch stärker betont hat. Wow, mit dem habe ich jetzt eigentlich nicht gerechnet. Besonders, da ich ja mit diesem Wort zunächst nichts anfangen konnte, ist dieses eigentlich etwas Besonderes und in der Tat hat April O´Neil schon als Kind etwas Großes geleistet. Nun weiß ich zwar jetzt, was es nun mit diesem Hogosha auf sich hat, aber die letzten Worte des Anführers haben bei mir einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Ich spüre förmlich, wie sehr er mir misstraut und dass er diese April auf diese Weise sogar hochjubelt, macht die Sache auch nicht besser. Ich muss zugeben, dass es bewundernswert ist, was sie bereits als Kind für die Jungs getan hatte, aber muss Leo mir das nun unter die Nase reiben? Was habe ich ihm getan, dass er mir so „unauffällig“ dieses Misstrauen zuwirft? Hängt sogar diese Ausfragerei, die Raphaels Brüder vorhin bei mir gemacht haben, sogar damit zusammen? Horchen sie mich etwa aus, damit sie auf alles gefasst sind? Muss ich mich etwa beweisen? Das ist doch echt lächerlich! Alles was recht und gut ist, aber das können die sich wirklich sparen. Ich mag zwar ein Mensch sein, aber nicht alle sind auf Geld, oder Ruhm aus und nutzen solch eine „Gelegenheit“ aus. Da sind sie bei mir bei der völlig falschen Adresse. Nur was mache ich jetzt? Wenn ich jetzt mit ihnen zum Streiten anfange, geht es erst recht in die falsche Richtung und dann habe ich den Salat. Nur naiv darf ich auch nicht sein. Schließlich sind Raphaels Brüder genauso Fremde für mich, wie ich für sie. Daher könnte ich „die Karte des Misstrauens“ genauso ausspielen wie sie. Sie brauchen nicht erwarten, dass ich ihnen gleich alles anvertraue, nur weil sie ein Vertrauensproblem mit Menschen haben. Denn so stur kann ich genauso sein. Außerdem weiß ich ohnehin nicht, was Raphael bereits über mich erzählt hat und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er nichts zu all dem gesagt hat. Selbst, wenn das bedeuten würde, dass er genauso wie ich belagert wurde. Nur, damit seine Familie etliche Informationen aus ihm herausquetschen kann. Allerdings wird sich das alles erst mit der Zeit zeigen, aber eines steht schon mal fix fest: Sie alle gehören genauso ins Spiel wie ich. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit und nur weil ich Raphael vertraue, muss das noch lange nicht heißen, dass ich das automatisch bei seiner Familie tue. Jedoch wage ich es zu bezweifeln, dass Leo genauso denkt. Mikey und Donnie würden sich noch eher darauf einlassen als er, da bin ich mir sicher. Zu meiner Erleichterung machen es mir die drei heute etwas leichter als zunächst gedacht. Während wir über den Dächern schlendern, erfahre ich zum Beispiel, was meine neuen „Mutantenfreunde“ so treiben. Dabei sind zwei von ihnen sogar geschwätziger als gedacht. Wie zu erwarten ist dies bei Leo nicht so leicht, aber so einfach lasse ich mich nicht abspeisen. Darauf kann er Gift nehmen. Von merkwürdigen Hobbys bis hin zu Erzählungen von ihren nächtlichen Ausflügen erfahre ich so einiges. Natürlich müssen Mikey und Donnie wie ihr Bruder Raphael dabei etwas angeben, wobei es sich dabei um irgendwelche Technikspielereien, oder um ihre Kampfkünste handelt. Selbst der eine oder andere Streich ist mit von der Partie, was mich im gesamten sogar milden stimmen lässt. Am Ende habe ich sogar Spaß mit ihnen und selbst der Sarkasmus kommt dabei nicht zu kurz. Der Lilamaskierte erklärt mir sogar seine mitgebrachte Apertur, die er ständig mit sich herumschleppt. Währenddessen merke ich, dass ich nur die Basics von der Technik im Allgemeinen verstehe, denn alles andere, was aus seinem Mund kommt, gleicht schon beinahe einer fremden Sprache. Wenn er aber auf etwas Bestimmtes zeigt, kann ich es mir jedenfalls vorstellen, was er da vermutlich gerade meint. Zumindest versuche ich es zu verstehen und hoffe, dass ich nicht ganz so falsch liege. Ich frage mich nur, wie er das alles so mit sich schleppen kann. Das Zeug muss doch einiges wiegen und dennoch scheint es Donnie nichts auszumachen. Raphael und Leo dagegen halten sich bei den Ganzen eher zurück. Von denen ist vermutlich das Interesse mehr als nur abgedeckt, wobei ich nicht glaube, dass das nur an dieser Technikspielerei zusammenhängt. Denn während der Anführer der Truppe weiterhin Abstand zu mir hält, scheint Raphael wohl irgendetwas über die Leber gelaufen zu sein. Ständig sieht er grimmig zur Seite. Besonders dann, wenn ich meinen Blick zu ihm wende. Er meidet nicht nur Blickkontakt, sondern hält sich auch so etwas fern von mir. Was er wohl hat? Habe ich zwischendurch vielleicht sogar etwas Falsches gesagt, mit dem ich ihn beleidigt haben könnte? So sehr ich mich auch anstrenge, mir will nichts einfallen, was ich gesagt haben könnte. Verwirrt stehe ich da, aber ich spreche meine Frage nicht laut aus. Stattdessen hoffe ich, dass er nur einen miesen Tag gehabt hat und deswegen so drauf ist. Einige Zeit später geleiten mich meine Begleiter wieder nach Hause. Doch diesmal ist es nicht Raphael, der mich trägt, sondern Mikey. Wie ein fröhliches Kind, welches unbedingt ein neues Spielzeug haben will, hat er darauf bestanden. Perplex habe ich zu Raphael hingesehen, er hat aber einfach seinen Blick nur von uns abgewandt, was wohl sein Bruder als „Genehmigung“ verstanden hat. Überraschend und in binnen von Sekunden hat Mikey mich dann gepackt und hochgehievt. Irgendwie ist das ungewohnt für mich. Denn die ganze Zeit über, seitdem ich meinen Mutantenfreund mit der roten Maske kenne, ist es nie anders gewesen und heute hat es sich schlagartig geändert. Es ist auch ein anderes Gefühl in Mikeys Armen zu liegen, abgesehen davon, dass der Typ mit mir Umdrehungen durchführt, welche man wohl eher von Achterbahn kennt. Zum Glück habe ich einen guten Magen, der sowas aushält und dass ich ein paar Albernheiten schätze, kommt hier auch wieder gut. So macht es mir sogar Spaß, wenn er mit mir gemeinsam ein paar Tricks vorführt. Schließlich werde ich wenig später bei meinem Fenster wieder abgesetzt. „Ok Jungs, wir sollten jetzt besser zusehen, dass wir unsere Patrouille endlich beenden, bevor wir zurückmüssen. … Gute Nacht Bernadette.“, fordert Leo seine Brüder auf und verabschiedet sich dann bei mir mit kurzen Worten, ehe er sich in Bewegung setzt. Donnie und Mikey folgen seinem Beispiel, sagen noch „Tschüss“ und sind auch schon verschwunden. Nur Raphael bleibt noch kurz wie angewurzelt stehen. Ich warte darauf, dass er etwas sagt, aber er kann mich nicht einmal richtig ansehen. Er winkt nur kurz, bis auch er die Biege macht. Habe ich da etwa was verpasst, oder was sollte das? Verwirrt stehe ich am Fenster und schaue ihm noch nach. Raphael sieht nicht einmal kurz zurück, als er hinter den nächsten Dächern abhaut. Was ist denn ihm über die Leber gelaufen? Er ist heute total merkwürdig und das ist er bereits die ganze Zeit schon gewesen. Bis auf die paar Minuten am Anfang, hatten wir kaum einen Moment für uns allein und selbst da hatte er sich nur kurz eingeklinkt. „Was hat er nur?“, frage ich mich murmelnd. Den ganzen Abend war er schon so komisch. Ich hatte kaum die Möglichkeit mit ihm zu reden und wenn ich ihn mal auf etwas ansprach, blockte er entweder ab, oder gab seltsame Kommentare von sich. Meistens blieb er aber eher still. Selbst Leo war für seine Verhältnisse diesmal etwas lockerer, obwohl er mir mehr als nur einmal zu verstehen gegeben hat, dass er mir keineswegs vertraut. Vielleicht hatte mein Freund ja doch mehr Ärger bekommen, als was ich zunächst gedacht habe und nun grämt er sich vielleicht deswegen. Irgendetwas muss schließlich passiert sein, sonst hätte sich Raphael nicht so merkwürdig aufgeführt. Nur warum lässt er seine üble Laune dann auch an mir aus? Ich habe ja nichts Falsches gemacht. Manchmal werde ich einfach nicht schlau aus ihm. Ob seine Brüder das genauso gemerkt haben wie ich? Immerhin kennen sie sich untereinander viel besser. Vielleicht hat er aber auch nur einfach einen schlechten Tag gehabt und hat sich deswegen etwas rausgehalten. Eine bessere Erklärung finde ich momentan nun mal nicht. Ich hoffe, dass das wirklich nur das ist und dass das nicht so bleibt. Kapitel 12: Allein gelassen --------------------------- Aus Raphaels Sicht: Genervt trabe ich hinter meinen Brüdern her, welche fröhlich vor sich hin lachen und durcheinander quatschen. Manches kann ich nicht verstehen, aber vielleicht liegt es einfach daran, dass ich versuche sie auszublenden. Zurzeit gehen sie mir gehörig auf die Nerven. Können die jetzt nicht einfach mal die Klappe halten? Ich will unsere Patrouille einfach hinter mich bringen, damit wir endlich nach Hause können. Doch sie sehen das scheinbar anders. Besonders der Technikfreak und der Vollspinner höchst persönlich haben sich einen Narren an Bernadette gefressen, sodass es einem nur schlechtwerden könnte. Nur unser Anführer sieht so aus, als hätte er einen Stock verschluckt. So steif ist er momentan und das er ist mit Sicherheit nicht seit kurzem so. Seit er das mit mir und meiner heimlichen Menschenfreundin herausgefunden hat, ist er nur noch angespannt und auf der Hut. Als müsste er ständig aufpassen und seine Sinne schärfen, damit ja nichts schiefgeht. Was für ein Schwachsinn, aber soll er doch, wenn es ihm glücklich macht. Zumindest bin ich nicht der Einzige, der angepisst ist, auch wenn meinen Brüdern das wohl entgeht. Murrend setze ich meinen Weg hinter den anderen fort und hoffe, dass wir das Ganze schnell hinter uns bringen können. Wir sind immerhin schon die halbe Nacht unterwegs. Zu tun gab es für uns einiges. Da mussten wir uns nicht einmal aufteilen, um etwas zu erleben. Jetzt, wo wir in schnellen Schritten unterwegs sind, ist es nun etwas ruhiger. Dies bleibt allerdings nicht lange so, da Donnie nun einen Gang runterschaltet, bis wir schließlich nebeneinander rennen. Stur versuche ich zunächst nicht darauf zu achten und laufe einfach weiter. Ich befürchte nämlich, dass es nun um allgegenwertige Thema geht, was ich ohnehin schon nicht mehr hören kann und leider spricht mich Donnie genau auf das an: „Hey Raphi! Das Mädel hat ganz schön was auf dem Kasten! Ich hätte nicht gedacht, dass sie sogar ein wenig von Technik versteht. …“ „Willst du etwa sagen, dass du sie für dumm gehalten hast?“, schnauze ich ihn an, während mir wieder die Galle emporsteigt. Wie er das gesagt hat, klang es tatsächlich danach. Als wäre Bernadette wohl nur an Klamotten und Co. interessiert und hätte sonst nichts in der Birne. Es kann nun mal nicht jeder so ein Technikguru sein wie er! Überrascht schaut mich mein Bruder an und versucht mir zu erklären, dass er das nicht so gemeint hat: „Jetzt mal halblang Raphi, das habe ich doch gar nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, dass sie ein wenig von Technik versteht und das interessiert normalerweise nicht jedem. Genauso wenig könntest du das von anderen Bereichen behaupten. Filme wären da ein gutes Beispiel, oder soll ich dir noch ein paar andere aufzählen?“ Auf die letzte Frage hin murmle ich nur, dass er einfach seine Klappe halten soll, jedoch versteht er mich nicht. Bevor er dann auch noch nachhaken kann, hat sich schon meint zweiter Bruder zu uns nach hinten gesellt. Wie hätte ich auch glauben können, dass sich gerade Mikey bei diesem Thema ausklingt. Gerade er scheint so happy über die Situation zu sein, als wäre er ein kleines Kind, welches sich über einen Ausflug, oder sich über ein neues Spielzeug freut. So muss auch er seinen Senf dazugeben, nachdem er unser „Gespräch“ mitbekommen hat: „Humor hat sie aber auch. … Sie hat viel über meine Witze gelacht.“ „Bist du dir sicher, dass sie das nicht aus reiner Höflichkeit gemacht hat?“, mischt sich jetzt auch Leo ein, wobei dieser seine Abneigung gegen Bernadette zeigt. Es ist kaum zu überhören, aber er sollte lieber seine Schnauze halten! Was mischt er sich überhaupt ein, wenn ihm das total auf dem Panzer geht? Ein Wichtigtuer war er ja schon immer, aber an seiner Stelle hätte ich nicht einmal zugehört, oder hat er hier wieder einmal die Panik, dass etwas nicht stimmen könnte? Was glaubt er, was Bernadette ist? – Etwa eine heimliche Spionin, welche auch noch die Fähigkeit besitzt, ihren Opfern einer Gehirnwäsche zu verpassen? Der hat sie doch nicht mehr alle und die anderen beiden sind auch nicht viel besser! Gibt es eigentlich bei den dreien auch noch ein anderes Thema, oder gibt es jetzt nichts Wichtigeres zu tun?! Wie wäre es zum Beispiel mit der Patrouille, die wir jetzt eigentlich zu erledigen haben! Wütend beschleunige ich mein Tempo. Ich habe jetzt keinen Bock mir das Ganze anzuhören, geschweige auch nur eine Sekunde daran zu verschwenden, wenn meine Brüder wieder einmal ihre Meinung zu ihr äußern. Keiner von ihnen hat auch nur eine Ahnung von ihr! Niemand von ihnen kennt sie! So schnell ich nur kann, springe ich an jeden Einzelnen vorbei, bis ich schließlich die Führung übernommen habe und knurrend davonsause. Normalerweise hätte ich bei solch einer Aktion gerne nach hinten gesehen, nur damit ich die dummen Gesichter der drei genießen kann. Jedoch ist mir das im Moment nicht nur egal, ich will einfach weg von ihnen. Am liebsten wäre es mir sogar, wenn sie endlich aufhören würden, über Bernadette zu reden, aber das kann ich mir getrost abschminken. Aus Bernadettes Sicht: Am nächsten Morgen wachte ich noch etwas erschöpft in meinem Bett auf. Es war einfach eine kurze Nacht und wegen Raphaels merkwürdigen Verhalten ging mir noch einiges durch den Kopf, bis ich schließlich irgendwann mal eingenickt war. Natürlich war es wieder einmal meine Tante, die mich mit ihrer „süßen“ Stimme aus dem Traumland geholt hatte. Am liebsten hätte ich mich zur Seite gedreht, die Bettdecke über den Kopf gezogen und weitergeschlafen. Leider ging das nicht und zusätzlich wusste ich, dass ich wieder in die Schule musste. Abgesehen davon, hat es bei ihr so oder so keinen Sinn, wenn man auch nur ein Wort dagegen sagt. Da friert noch eher die Hölle zu, ehe dieser Frau mal gechillter den Tag bewältigt und mich dabei in Ruhe lässt. Davon kann man also höchstens nur träumen und so stemmte ich mich müde und seufzend von der Matratze. Kurz rieb ich meine Hände gegen mein Gesicht, damit das Aufwachen schneller voranging, stand danach murrend auf und machte mich schließlich für den Tag bereit. Der Morgen begann natürlich wie jeder andere, was ja auch nicht anders zu erwarten war. Wie es nun mal in diesem Haus so ist, so hatte ich mich ein weiteres Mal geweigert, auch nur irgendein Teil, die mir meine Tante vor die Zimmertür gelegt hatte, anzufassen. Stattdessen kam ich mit meinem gewohnten Stil die Treppe hinunter, was, wie ich es schon bereits vorausgesehen hatte, von meiner Tante missbilligt wurde: „Kindchen, hörst du mir überhaupt mal zu? Versuch es doch mal. Es wird dich ja nicht umbringen, wenn du mal etwas Neues ausprobierst.“ „Das hat rein gar nichts damit zu tun. Ich will einfach nicht, komm damit endlich klar!“, war meine Antwort darauf und ich marschierte einfach an ihr vorbei. Wer wohl hier nichts dazulernen wollte, war wohl sie! Auch wenn sie es einfach nicht lassen konnte, ihre absurden Bemühungen fortzusetzen. Sollte sie doch von mir halten, was sie wollte, ich hingegen hatte einfach nur vor, sie schlicht und einfach zu ignorieren. Immerhin hatte ich nicht den Nerv dafür, bereits am Morgen mit ihr zu streiten. Das würde ohnehin im Laufe des Tages kommen und davon war ich mehr als nur überzeugt. Doch da ich jetzt in der Schule bin, wäre es mir doch lieber gewesen, ich wäre zuhause geblieben. Denn natürlich ist es ja „ihre Hoheit“ höchst persönlich, die mich ein weiteres Mal im Schulgebäude beehrt und dabei hatte ich noch gehofft, sie nicht gleich als Erste treffen zu müssen. Nur diesmal ist sie allein, was mich zuerst etwas stutzig macht. Normalerweise hat sie immer mindestens zwei, oder drei Leute bei sich, die unsere „Königin“ ständig mit Komplimenten überhäufen. In diesem Moment steht sie aber ohne irgendjemanden vor mir und ich lasse meinen Blick immer wieder in alle Richtungen schweifen. Mit der Befürchtung, ich könnte gerade in einem Hinterhalt gelandet sein, bleibe ich angespannt und vorsichtig. Es ist einfach nicht Lucindas Art, alleine ihre Opfer zu quälen. Nicht nur, dass sie einfach mehr Spaß an der Sache hat, sie „beweist“ jedes Mal den anderen, dass man sie ja nicht unterschätzen, geschweige sich mit ihr anlegen sollte. Was hat sie also vor? Mir gefällt das ganz und gar nicht, aber ich darf dieser Schlampe auf gar keinen Fall meine Unsicherheit zeigen. So sehr ich auch diesen Moment merkwürdig finde. Da es noch sehr früh ist und der Unterricht erst in einer halben Stunde beginnt, sind wir ziemlich allein. Zwar haben einige Lehrer und wenige Schüler das Gebäude schon betreten, doch diese sind bereits woanders und ich stehe immer noch im vorderen Teil der Aula. „Was willst du Lucinda?“, frage ich sie schließlich und versuche dabei so neutral wie möglich zu klingen. Mir graut es jetzt schon, ihre Anwesenheit zu ertragen und dabei hat der Tag erst gerade begonnen. Ich könnte theoretisch einfach gehen und sie wie einen begossenen Pudel in der Halle stehen lassen. Doch wer weiß, was sie wirklich im Schilde führt. Vielleicht steht einer ihrer Untergebenen in der Nähe und passt mich bei der nächsten Ecke ab. Da bringe ich es doch gleich hinter mich und versuche mich dann bei ihr hindurch zu schlüpfen, sollte die Gelegenheit passen. Die Blondine hingegen schaut mich nur mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. Es wirkt irgendwie so, als ob sie etwas Bestimmtes planen würde und ich traue ihr keinen Millimeter über den Weg. Armeverschränkend geht sie nun um mich herum, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. Also wirklich, was hat die Schlange nun jetzt wieder vor? Sie plant doch was. Als sie endlich ihre Runde beendet hat, fängt sie endlich an zu reden. In Nachhinein wünschte ich mir, ich hätte meine Frage einfach gelassen und wäre stumm meinen Weg gegangen. Doch dafür ist es nun zu spät. „Was ich von dir will? Ganz einfach, du Möchtegernfranzösin. … Ich will, dass du mir bei einer Sache hilfst.“, antwortet sie mir, während sie wieder einmal mit ihren Locken herumspielt. Ich und ihr helfen?! Soweit kommt´s noch! Da beiß ich doch lieber in ein schimmliges Brot, bevor ich auch nur daran denke! Die hat doch nicht mehr alle Latten am Zaun! Zuerst nimmt sie mir meine Freunde weg, quält mich aufs Übelste, droht mir und jetzt soll ausgerechnet ich ihr bei irgendeiner Sache helfen! Die spinnt doch! Wo sind die Typen mit der Zwangsjacke, wenn man die mal braucht. Am liebsten würde ich ihr genau diese Worte an den Kopf ballern, doch ich halte mich zurück. Denn bevor ich jetzt überstürzt handle und das Ganze in die verkehrte Richtung geht, versuche ich die Ruhe zu bewahren. Was jedoch alles andere als einfach ist. Schließlich wäre womöglich jetzt eine gute Gelegenheit, in der ich einfach ihre vollgeschminkte Fresse polieren könnte. Tief in mir schreit förmlich eine zweite Stimme danach, damit ich es endlich tue. Ich bin so nah. Es fehlt nicht mehr viel und sie würde mal so richtig meine Faust zu spüren bekommen, was sie schon längst verdient hätte, aber ich lasse meine rechte Hand einfach wieder sinken. Nein, ich bin besser als, auch wenn ich in Wahrheit nach Vergeltung lechze. Stattdessen erhebe ich kühn mein Haupt und sehe Lucinda nun so an, wie sie es normalerweise tut. „Warum sollte ich?“, frage ich sie trocken, wobei ich es nicht verhindern kann, dass ich dies mit einem leicht genervten Unterton tue. Ich muss mich unter Kontrolle halten! Es fällt mir jedoch schwer, es nicht einfach sein zu lassen und stattdessen direkt zu handeln. Allein die Erinnerung an die letzten Geschehnisse und ihre jetzige „Bitte“ lassen einfach die Galle in mir hochsteigen. Wenn sie mich provozieren will, ist sie auf dem besten Weg dahin. Ich würde es ihr auch nicht empfehlen, es weiterhin zu tun. Denn auch bei mir wird es einmal ein Ende geben, was mein Geduldsfaden angeht. Doch jetzt will ich dieser Schnepfe einfach nicht den Moment gönnen, dass sie mich gerade wieder zur Weißglut bringt. Dafür ist mein Stolz viel zu groß. Lucinda hingegen lacht kurz auf und meint arrogant: „Tu nicht so, als wenn du es selbst nicht wüsstest. Du weißt doch, dass alles im Leben einen Preis hat und selbst in deinem Fall wäre ich bereit, ein Auge zuzudrücken. … Schon mal daran gedacht, diese Gelegenheit zu nutzen? Möchtest du an ein erbärmliches Dasein nichts ändern? Es geht ganz leicht und es würde sich für dich mehr als nur lohnen. … Du müsstest dafür einfach nur tun, was ich dir sage. Das ist alles.“ Ich hätte mir ja denken können, dass diese dumme Kuh nun mit dieser miesen Tour kommt. Doch ich bin weder bestechlich, noch lasse ich mir irgendetwas einreden und dumm bin ich schon gar nicht! Um aber nicht einfach auf meinen Zorn zurückgreifen zu müssen, kontere ich sie stattdessen mit etwas Anderem: „Hast du nicht genug helfende Hände, die dir die ganze Drecksarbeit abnehmen? Warum solltest du daher deine Zeit mit mir verschwenden?“ Jetzt habe ich den Ball zurückgespielt. Doch was ich dafür ernte, gefällt mir ganz und gar nicht. Sie lächelt und bei diesem falschen Grinsen verstärkt sich einfach nur das Gefühl: Da ist doch was faul! Ich spüre förmlich schon, wie sich alles in mir zu verkrampfen beginnt, weil ich mich einfach nicht meinem Zorn hingebe und es endlich durchziehe. Dabei ist es doch so verlockend und dennoch sagt mir mein Verstand, dass ich es nicht darf! Niemand ist da, der das beobachten könnte und diese Pute schreit scheinbar schon nach einer saftigen Abreibung! Wieso muss alles so kompliziert sein?! Bernadette, ruhig bleiben. Geh einfach weiter und lasse sie einfach stehen. Sie hat das gesagt, was sie sagen wollte und damit bleibt es einfach. Geh ja nicht näher darauf ein, sonst hast du schon verloren. Da ich einfach ihren Blick momentan nicht mehr ertragen kann, will ich diesen Gedanken schon in die Tat umsetzen, als Lucinda mich plötzlich an der Schulter packt und mit einem Ruck zurückschubst. Sie legt es wirklich darauf an und irgendwann mal werde ich mich nicht mehr beherrschen können, das versichere ich ihr! „Anscheinend muss ich lauter sprechen, denn du hörst mir nicht zu! … Ich will, dass du mir hilfst und wenn dir das gelingt, wirst du dafür auch belohnt werden. Je nachdem, wie gut du deine Sache machst, wird etwas dabei für dich rausspringen. Geht das endlich mal in deinem kleinen Erbsenhirn rein, oder ist dieses so mickrig, dass nicht einmal diese Info bei dir ankommt?!“, sagt sie anschließend sehr provokant, wobei man am Ende mehr als nur deutlich ihre Drohung heraushören kann. Wer glaubt sie eigentlich, wer sie ist, dass sie mir einfach so Befehle erteilen kann? Ich bin weder ihre Dienstmagd, noch ihr Laufbursche! Ihr Geschwafel kann sie sich sonst wo hinstecken, ich gehe sicherlich nicht auf ihre Forderung ein! Egal was sie mir auch dafür anbieten mag, es wird sich nichts an meiner Situation ändern! Sie wird mich weiterhin hassen und fertigmachen und das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche! Zornig sehe ich sie an und rede auch so auf sie ein: „Erstens, was könntest du mir schon anbieten, damit ich dir helfe? Und zweitens, warum sollte ich? Du bist immerhin diejenige, die mein Leben auf dem Kopf gestellt hat. Nie in Leben werde ich dir helfen! Egal was ich dafür „kriegen“ würde, ich mache das sicher nicht!“ Eigentlich erwarte ich jetzt, dass dieses Miststück darauf vor Wut abhebt und mich mit ihren „Beschimpfungen“ volltextet. Doch zu meiner Überraschung geschieht genau das Gegenteil. Sie lacht einfach. Sie lacht in diesem Moment sogar so sehr, als wenn ich gerade einen tollen Witz erzählt hätte. Was geht gerade mit der ab? Sind nun auch die letzten Sicherungen bei ihr durchgebrannt? Ohne auf mich zu achten, lacht Lucinda einfach weiter. Mir dagegen ist alles andere als zum Lachen zu mute. Nicht nur, dass mir die Situation gerade unheimlich vorkommt, ich habe das Gefühl, dass ich jetzt auch noch ausgelacht werde. Doch dabei bleibt es nicht, ihr Lachen macht mir ungewollt sogar etwas Angst. Als wüsste sie etwas, was ich noch lange nicht wissen werden. Die Alte muss nun endgültig verrückt geworden sein! Grimmig starre ich sie nur an und unterdrücke diese Angst, bis sie plötzlich innehält, wieder ernst wird und mich schließlich böse anfunkelt: „Was ich dir anbiete, ist deine Freiheit in dieser Schule, du nichtsahnender, dummer Armleuchter! Ein kleines Geschenk, wovon andere nur träumen könnten, hätte sie an deiner Stelle diese Chance. … Doch bilde dir ja nicht ein, dass du meine Großzügigkeit noch mehr beanspruchen könntest. Wie gesagt, alles hat seinen Preis. Denn mein Angebot gilt nur, wenn du genau tust, was ich von dir verlange. Erst dann wirst du nichts von mir befürchten müssen und nie wieder leiden müssen. Du wirst sogar ein Teil meiner Clique sein und niemand wird es je wieder wagen, dir spöttisch entgegenzutreten. … Na, klingt das nicht wundervoll?“ „Warum bist du so „nett“ zu mir? Ich bin für dich doch nur ein Dorn in deinem überschminkten Auge. Außerdem würdest du nur damit bezwecken, dass ich nicht mehr das Opfer in deinem kranken „Spiel“ bin. Warum also das Ganze?“, hake ich nach. Ich bin mir sicher, dass da mehr dahintersteckt, als was diese Teufelsbrut gerade zugeben will. Also wo ist genau der Haken bei dieser Sache? In Laufe dieses „Gespräches“, wenn man das hier überhaupt so nennen kann, kommt diese arrogante Kuh nun mit der nächsten Frage, wobei ich sogar hellhörig werde: „Sagt Prof. Willows dir etwas?“ „Sprichst du mich etwa wegen ihrem Test an?“, frage ich sie und langsam wird mir klar, worauf dieses Miststück hinauswill. Diese Professorin ist nämlich eine von den wenigen Lehrern an dieser Schule, die sich von Lucinda nicht einfach so einlullen lässt. Sie ist nicht nur sehr streng, sie kann ihre Schüler leicht durchschauen, ob die Arbeit ehrlich gemacht wurde, oder nicht. Keine Ahnung, wie Prof. Willows das macht, aber sie schafft es fast jedes Mal. Selbst für mich ist das Fach Geschichte nicht sehr einfach und trotzdem habe ich im schlimmsten Fall eine Drei bei ihr geschafft. Meine Befürchtung ist allerdings, dass mich meine Erzfeindin nun bitten wird, dass ich den kommenden Test für sie mitschreibe. Denn die meisten Leute in meiner Klasse sind in Geschichte eher schlecht, was wohl nicht wirklich verwunderlich ist. Prof. Willows macht es nämlich keinem leicht. Nicht selten gab es bei ihr schon Tränen, wie eine korrigierte Arbeit zurückgegeben wurde. Die, die allerdings gut sind, sind die Einserschüler und ich schlussfolgere einmal, dass nun diese Aufgabe auf mich übertragen wird. Warum ist ganz klar. Meine Noten liegen in Geschichte zwischen eins und drei. Das heißt, es würde weniger auffallen, sollte dieses Miststück von mir abschreiben wollen. Natürlich gibt es auch noch einige mehr, die wie ich zwischen diesen Noten bei dieser Lehrerin hin- und herschwanken. Jedoch sind zwei von ihnen zurzeit schwer krank und müssen die Prüfung so oder so nachholen und was die Restlichen betrifft, die hat Lucinda schon durch. Ein weiteres Mal würde auffallen, sollte sich die Schnepfe „zufällig“ wieder dort hinsetzen und das war beim Letzten Mal schon sehr knapp, wenn ich mich richtig erinnere. Eines wäre da noch. Lucinda würde damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erstens hätte sie auf meine Kosten gute Chancen auf eine gute Note und zweitens würde sie endlich ihr Ziel, auch mich um den Finger zu wickeln, endlich erreichen. Nicht nur einmal hat sie mir bereits verkündet, dass dieser Tag eines Tages kommen würde und vermutlich glaubt sie jetzt auch noch daran. Doch da werde ich sie mächtig enttäuschen, aber erst einmal muss ich aus dieser Nummer hier raus. „Lass mich raten, du willst, dass ich den Test für dich schreibe, stimmt´s?“, lege ich nun meine Vermutung klar, nachdem mir ein Licht aufgegangen war, woraufhin Lucinda provokant in die Hände klatscht: „Bravo, sie hat es begriffen! … Gut gemacht, aber das Leckerli gibt es erst danach, ja?“ „Hör auf mit der Scheiße und lass es doch von jemandem anderen schreiben! Es gibt mit Sicherheit jemand, der besser ist als ich. Also warum kommst du ausgerechnet zu mir? Da werden deine Chancen auf eine gute Note wohl kaum so hoch sein, wie bei deinen üblichen Helfern.“, versuche ich nun von mir abzulenken. Ich hoffe inständig, dass Lucinda nicht so weit denkt und diesen „Vorschlag“ sogar in Betracht zieht. Es wäre nicht einmal gelogen, jedoch weiß sie das leider selbst: „Glaub mir, es gibt genug Schleimer, die leicht eine Eins bei Prof. Willows schreiben. Allerdings bin ich nicht dumm und lasse mich selbst ins offene Messer laufen. Wo ich doch weiß, dass mit dieser arroganten Professorin nicht zu spaßen ist. Daher brauchst du nicht glauben, dass du dich einfach so leicht aus dieser Affäre ziehen kannst.“ „Ich bin aber nicht verrückt und halte meinen Kopf für dich hin! Sieh selbst zu, wie du das machst! Vielleicht fängst du mal an zu lernen, dann würdest du dir das vielleicht sparen. Das wäre mal ein kleiner Tipp am Rande und der wäre kostenlos und ohne irgendwelche Bedingungen. Und übrigens: Dass mit der „Einladung“ als „freies Mitglied“ in deiner Clique kannst du dir in die Haare schmieren! Wenn du glaubst, dass ich dir das einfach so abkaufe und so verzweifelt bin, dann hast du sie nicht mehr alle und jetzt lass mich in Ruhe!“, sprudelt es nur so aus mir heraus, sodass ich damit kämpfen muss, nicht noch weiter zu gehen. Die Energie in mir hat einfach die Überhand übernommen. Wenn Lucinda so weitermacht, rennt sie bald wirklich in meine Faust, das garantiere ich ihr! Sie jedoch starrt mich zunächst nur geschockt an. Vermutlich hat sie mit einer anderen Antwort gerechnet, oder sie glaubt einfach, dass ich so schwach bin, dass ich nach jedem Strohhalm greife. Doch da hat sie sich getäuscht. Ich gehe auf solche Deals nicht ein und wenn sie noch weiter darauf baut, dann hat sie wirklich noch weniger in Birne, als was ich sowieso bereits vermutet habe und das wäre nicht gerade viel. Entschlossen stehe ich vor ihr und hoffe, dass dieses „Gespräch“ nun ein Ende hat. Doch dann merke ich bei ihr, wie sie wie ein Vulkan zu brodeln beginnt, bis sie mich dann auch noch bedroht: „Ich glaube kaum, dass du in deiner Position eine andere Wahl hast! An deiner Stelle würde ich das Angebot lieber annehmen, sonst wird es für dich noch schlimmer werden, als was es ohnehin schon ist! … Ich habe dich gewarnt!“ Mit diesen Worten wendet sich die Blondine endlich von mir ab und lässt mich einfach stehen. Doch nach einigen Metern, dreht sie ihren Kopf nach hinten und ruft mir noch zu: „Überlege es dir gut, was du tust. Bis zum Test hast du noch Zeit. … Wenn nicht, … dann weißt du ja, was dir blüht.“ Siegessicher darüber, dass ich in ihren Augen keine andere Wahl habe, als mich meinem Schicksal hinzugeben, lacht sie, während sie in den nächsten Korridor schreitet. Schon ist sie verschwunden und ich stehe immer noch wie angewurzelt da, während ich mit meiner Wut kämpfe. Die hat doch echt Nerven! Woher nimmt sie sich überhaupt das Recht, über andere zu entscheiden?! Was frage ich daher überhaupt? Es ist schließlich Lucinda, über der ich meinen Kopf zerbreche, während meine Nerven Achterbahn fahren. Neben der Wut, mit der ich die ganze Zeit ringe, spüre ich sogar Angst. Ob ich will oder nicht, aber sie hat es geschafft, dass sich die Sorgen in mir schleichend ausbreiten. Irgendwie fürchte ich mich sogar schon vor den Konsequenzen, wenn ich nicht tue, was sie von mir verlangt. Ihre Warnung, dass alles noch schlimmer für mich werden würde, lässt sich einfach nicht ignorieren. Dennoch schreit alles in mir, das ja nicht zu tun. Mag meine Lage jetzt noch so schwierig sein und mir die letzten Kräfte rauben, aber ich bin trotzdem nicht bereit meinen Hals für Lucinda zu riskieren. Was, wenn ich erwischt werde? Wegen sowas und gerade wegen ihr will ich nicht noch mehr Ärger bekommen. Davon hatte ich nämlich in letzter Zeit genug. Außerdem gibt es noch weitere Gründe gegen dieses „Angebot“: Wer sagt mir, ob sich diese Teufelsbrut überhaupt an unserer „Abmachung“ halten wird? Vermutlich werde ich weiterhin als Mobbingopfer hingestellt und das, was ich „dafür“ getan haben werde, bleibt im Dunkeln und verrottet dort. Sowas ändert sich einfach nicht, geschweige so schnell. Des Weiteren würde ich gegen all meine Prinzipien verstoßen und mich für sie, nach allem was ich je dagegen unternommen habe, endgültig verbiegen. Dann hätte Lucinda im Ganzen gewonnen und das kann und werde ich nicht zulassen! Schnaubend marschiere ich schließlich in meine Klasse und lasse die alltäglichen Strapazen über mich ergehen. Jedoch habe ich zusätzlich noch weitere Sorgen. Den ganzen Tag hindurch geht mir Lucinda mit ihrer Drohung nicht mehr aus dem Kopf. Ich gebe es nicht gerne zu, aber seitdem sich die Mobbingattacken verstärkt haben, ist die Angst vor den möglichen Konsequenzen stärker geworden. Wer weiß, was sie diesmal vorhat und worauf ich mich vorbereiten muss. Das Problem ist, dass ich allein bin und selbst die Lehrer sind keine große Hilfe für mich. Außerdem macht es mir diese arrogante Ziege nicht gerade leicht auf andere Gedanken zu kommen. Jedes Mal, wenn sie an mir vorbeigeht, setzt sie diesen drohenden Gesichtsausdruck auf und rempelt mich sogar an, wo sie sonst stets den direkten Körperkontakt zu mir gemieden hat. Schließlich bin ich für sie nichts weiter als eine mickrige Made. Während des Unterrichts erhalte ich sogar kleine Briefchen und darin steht nur ein Satz: „Du weißt, was dann passiert.“ Sie meint es bitter ernst, aber genauso stehe ich felsenfest für mich selbst ein. Um ihr sogar zu zeigen, dass ich mich nicht so leicht unterwerfe, versuche ich sie so weit wie möglich zu ignorieren, aber selbst nach der Schule muss ich noch darüber nachdenken. Ich brauche Hilfe. Tante Tina kann ich aber gleich wieder vergessen. Bei ihr würde ich kein Sterbenswörtchen darüber verlieren, denn sie würde mir so oder so in den Rücken fallen. Vermutlich würde sie mir sogar raten Lucindas „Bitte“ nachzugehen, damit ich mich endlich der sozialen Gesellschaft anschließe. Daher gehe ich stumm an ihr vorbei und verziehe mich gleich in mein Zimmer. Eine Weile schlürfe ich dort, wie ein Tiger in seinem Käfig, auf und ab. Ich muss unbedingt mit jemanden reden. Die Sorge zerreißt mich förmlich und ich habe keine Ahnung, wie ich jetzt mit dem Ganzen umgehen soll. Mein Blick fällt auf meinen Laptop und mir kommt eine Idee. Wenn ich schon mit Tante Tina nicht darüber reden kann, dann vielleicht mit Dorian, oder Paul. Bei Mom wird die Sache wohl eher schwieriger sein, da ich keine Ahnung habe, ob sie unterwegs ist, oder nicht. Bei den anderen beiden ist die Chance immerhin noch größer. So nehme ich das Ding an mich und versuche per Videochat den ersten meiner Brüder zu erreichen. Eine Weile warte ich geduldig, aber Dorian meldet sich nicht. Seufzend versuche ich es nun bei Paul. Vielleicht habe ich bei ihm mehr Glück und er geht zumindest ran. Durch dass der Altersunterschied zwischen uns beiden sieben Jahre ist, habe ich nicht so die Bindung zu ihm, wie zu meinem anderen Bruder, aber ich brauche jetzt einfach jemanden, mit dem ich reden kann. Eine Weile sitze ich etwas ungeduldig vor dem Bildschirm, bis sich endlich etwas tut. Doch statt dem Videochat kommuniziert Paul per normalen Chat mit mir und dass auch nicht gerade sehr lange, da er noch zu tun hat. Daher komme ich erst gar nicht dazu, ihm von meinen Problemen zu erzählen und bin nun wieder allein. Ich seufze enttäuscht. Denn wenn ich mal jemandem brauche, dann ist niemand da. Ob ich heute vielleicht Raphael wiedersehen kann? Er ist schließlich noch der Einzige, mit dem ich überhaupt noch reden kann. Ihm kann ich zumindest vertrauen, denn ich weiß, dass er mit zuhört. Ich hoffe nur, dass er heute wiedererscheint und an mein Fenster klopft. Momentan brauche ich einfach nur jemandem, der sich meine Sorgen anhört und der mir keine Vorwürfe dabei macht, geschweige mir vorhält, was ich zu tun, oder zu lassen habe. Es ist bereits die Nacht hereingebrochen und ich warte ungeduldig am Fenster auf Raphael. Schon den ganzen Tag sehne ich mich danach, jemandem mein Herz ausschütten zu können und mein Freund scheint in meinem Leben der Einzige zu sein, an dem ich mich wenden kann. Ich hoffe nur, dass er diesmal besser gelaunt ist, als das letzte Mal und vielleicht sind seine Brüder diesmal nicht dabei. Ich mag sie, aber jetzt brauche ich einfach nur jemanden, dem ich mich voll und ganz anvertrauen kann und bei so was bin ich mir bei Mikey, Donnie und Leo nicht so sicher. Zumindest kenne ich sie dafür noch zu wenig. Die Zeit vergeht und ich sitze immer noch an derselben Stelle und sehe hinaus. Von Raphael fehlt jede Spur. Er ist zu seiner üblichen Zeit nicht gekommen. Ob er diesmal wieder einmal viel zu tun hat? Vielleicht ist heute Nacht einfach mehr auf den Straßen los, sodass er gemeinsam mit seinen Brüdern eingreifen muss. Wahrscheinlich klingt das jetzt irgendwie egoistisch von mir, aber irgendwie wünschte ich mir, ich könnte ihn jetzt einfach herbeirufen. Ich weiß, dass er kein Seelentröster oder so etwas in der Art ist, aber irgendwie brauche ich ihn jetzt. Ich habe sonst niemanden. Traurig sehe ich aus dem Fenster hinaus. Irgendwie habe ich das Gefühl, alleingelassen worden zu sein. Mit niemandem kann ich reden, obwohl mir einiges auf dem Herzen liegt, welches so schwer ist, dass es mit einem Felsbrocken Konkurrenz machen könnte. Ich seufze schwer und frage mich, warum das immer mir passieren muss. Eine Antwort finde ich auf diese Frage nicht. Schon so oft habe ich sie mir selbst gestellt und bin auf keinen grünen Zweig gekommen. Dass Raphael jetzt nicht bei mir ist, betrübt mich umso mehr, dabei bräuchte ich einfach nur seine Anwesenheit. Er müsste nicht einmal etwas sagen, aber wenn ich so darüber nachdenke, komme ich mir so egoistisch vor und ich hasse dieses Gefühl! Beschämt und von mir selbst enttäuscht, schüttle ich seufzend den Kopf, bis ich mich dann schlafen lege. Es hat ja ohnehin keinen Sinn. Kapitel 13: Nichts als Wut -------------------------- Aus Raphaels Sicht: Es ist tiefste Nacht, als ich in die Nähe von Bernadettes Zuhause ankam. Doch anstatt direkt zu ihr zu gehen, habe ich einfach beschlossen, auf diesem Dach zu bleiben. Meine Beine haben einfach Halt gemacht, kaum dass ich schon die Dachziegel dieses Hauses erspäht habe. Es ist seltsam. Dabei ist es erst die zweite Nacht, seitdem meine Familie dahintergekommen war und schon habe ich das Gefühl, dass mich alles, was ich auch nur ansehe, stört. Jedes Wort und jeder Blick machen mich so wütend, sodass ich alles und jeden in den Boden rammen könnte. Ich hasse es und viel mehr würde ich dieses Gefühl im Keim ersticken! Zwar konnte ich mich bei der heutigen Patrouille austoben und so manchen Gaunern das Leben zur Hölle machen, aber diese innere Ruhe, dich noch vor kurzem noch gespürt hatte, ist nun wie weggeblasen. Als wenn allein nur der Gedanke an ihr alles in mir wieder hochkommen lässt. Eine Weile stehe ich so und gehe sogar hinter dem nächsten Schornstein in Deckung, als sich bei ihrem Fenster etwas tut. Bernadette sieht hinaus und betrachtet den Himmel. Sie blickt sogar suchend umher, als würde sie schon nach mir Ausschau halten. Wartet sie aber tatsächlich auf mich, oder hofft sie sogar, dass meine Brüder mit dabei sind? Immerhin hatten sie alle das letzte Mal viel Spaß zusammen, während ich damit beschäftigt war, nicht völlig aus der Haut zu fahren. Wie Donnie und Mikey sie mit ihren Geschichten und blöden Witzen fesselten. Es gab kaum ein Moment, in der mal nicht mit Sarkasmus, alten Erlebnissen und Sonstigen um sich geworfen wurde, während ich mich wie das fünfte Rad am Wagen fühlte. Dabei war ich es doch, der sie als Erstes kennenlernte, während sich meine Brüder schön brav an die Regel hielten und den direkten Kontakt zu Menschen mieden. Nun haben sie doch Gefallen daran gefunden, mal etwas aus dem Schatten zu treten und ich stehe da, wie der Trottel vom Dienst. Die einzige Ausnahme ist unser Anführer. Doch der hat völlig andere Probleme, von denen ich mich einfach nur fernhalten möchte. Mir reichen schon meine Eigenen. Da brauche ich seine Nörgelei nicht auch noch. So beobachte ich einfach im Stillen weiter, was sich bei Bernadette so tut. Sie hat nun ihren Kopf auf ihre Hände abgestützt und sogar ein weiteres Mal den Himmel erkundet. Soweit ist nichts Aufregendes passiert, das wird es auch wohl nicht, wenn ich noch lange hier stehenbleibe. Nur kann ich mich gerade nicht von dem Schornstein wegdrücken. Ich kann es nicht beschreiben, aber obwohl ich einfach zu ihr gehen will, hindert mich etwas in mir davon ab. Ist es meine Wut, welche sowohl an meine Brüder, als auch auf alles und jenen gerichtet ist? Oder ist es doch etwas völlig Anderes, was ich einfach nur nicht begreifen kann? Wenn ich nur mit ihr reden könnte? Bis vor kurzem ist mir das sogar so einfach gefallen, als würden wir uns beide schon ein ganzes Leben kennen. Wenn ich bei ihr bin, kann ich einfach sagen, was mir auf dem Keks geht. Es stellt weder ein Problem dar, noch habe ich dabei den Eindruck, als würde sie mir nicht zuhören wollen. Es ist genau das Gegenteil der Fall. Egal wo ich bis jetzt mit ihr gewesen bin, oder was ihr bisher erzählt habe, sie ist stets neugierig gewesen und hat keine Scheu gehabt, egal worum es sich dabei auch gehandelt hat. Doch jetzt komme ich mir so wildfremd vor, der nicht einmal hier sein sollte. Am liebsten wäre es mir sogar, es wäre niemals rausgekommen. Doch seit meine Familie von ihr Wind bekommen hat, ist alles jetzt irgendwie anders. Kaum, dass meine Brüder sie gestern unter ihre Fittiche genommen hatten, wollte ich sie einfach nur noch von ihnen wegzerren und nun kann ich nicht einmal mit ihr alleine reden, ohne dabei befürchten zu müssen, die Blicke meiner Brüder im Nacken zu spüren. Als würden sie mir überall folgen. Ich habe ja gemerkt, wie Bernadette ständig zu mir rüber gesehen hat, als wir bei ihr waren. Ich konnte aber nichts zu ihr sagen. Ich konnte sie ja nicht einmal richtig ansehen, als wir alle gemeinsam unterwegs waren. Warum weiß ich selber nicht so genau und genau das macht mich auch heute noch so wütend. Ich könnte sogar alles um mich herum niederreißen, so sehr hat mich der Zorn gepackt. Vermutlich ergeht es Bernadette dabei nicht viel anders, so wie es einige Nächte zuvor war, als sie meine Familie überstürzt kennenlernen musste. Sie sagte ja zu mir, dass sie es überhaupt nicht in Ordnung von mir fand, dass nicht einmal sie eine Ahnung von diesem Geheimnis hatte, welche Dank meiner Brüder wie eine Seifenblase geplatzt war. Doch ich kann es jetzt nicht mehr ändern. Ich kann höchstens das Beste daraus machen und das wird Bernadette wohl einsehen müssen. Egal ob sie jetzt auf mich sauer ist, oder nicht, ändert nichts daran. Jetzt steht sie auf. Ihr Blick zeigt schon, dass sie angefressen ist, denn sie schüttelt gerade genervt den Kopf und geht schließlich zu Bett. Das Fenster ist nun zu und meine Chance, es wieder hinzubiegen, vertan. Vielleicht hätte ich jetzt doch zu ihr gehen sollen. Immerhin hat sie gewartet, aber jetzt scheint es dafür zu spät zu sein. Ich habe zu lange gezögert und vermutlich ist sie jetzt schlechter auf mich zu sprechen, als was sie schon vorher war. Vielleicht sollte ich mich für die nächsten Nächte nicht bei ihr blicken lassen, das wäre jetzt vermutlich besser so. Seufzend schließe ich für einen Moment die Augen, bis ich mich dann auf dem Weg mache. Aus Bernadettes Sicht: Die Tage vergingen, doch jeder Einzelne erschien mir so zäh wie ein Kaugummi zu sein, an dem man schon eine Weile gekaut hat. Wie könnte ich es sonst beschreiben? Dass ich an jeden Morgen nicht gerne dieses verfluchte Gebäude aufsuchte und dass ich das bis zu meinem Abschluss noch weiterhin tun werde, steht außer Frage. Weswegen ich mich Tag für Tag immer mehr nach dem erlösenden Wochenende sehnte und mich einfach von einer Unterrichtseinheit in die Nächste quälte. Natürlich hatte Lucinda mir die ganze Zeit über keine Ruhe gelassen. Sie ist so erpicht darauf, ihr Ziel zu erreichen, sodass sie allmöglichen Hebel in Bewegung setzte, um mich ja an die „Verpflichtung“ zu erinnern. Auf verschiedenster Art und Weise ließ mich spüren, dass sie ihre Drohung ernst meint. Egal ob es die Drohbriefchen mit demselben Inhalt waren, die sie mir immer häufiger zukommen ließ, oder ob es einfach einer ihrer Handlanger direkt übernahm, es mir deutlich ins Gesicht zu pfeffern, sie ließ einfach nicht locker. Neben meiner Wut und dieses Nichtverstehen, warum gerade mir immer solch etwas wiederfahren muss, versuchte ich die Geschehnisse stets hinunterzuschlucken. Wie könnte ich es auch einfach rauslassen? Ich habe schließlich keine Möglichkeit dafür! Meine Spaziergänge sind fürs Erste gestrichen, meine Familie versteht mich nicht, oder hört mir überhaupt nicht zu und Raphael hat sich schon die ganze Zeit nicht mehr bei mir blicken lassen. Welche Optionen bleiben mir da noch? Das Musikhören, das Lesen und andere meiner Hobbies helfen mir nur bedingt und ermüden mich eher, als dass ich dadurch meine Ruhe finden könnte. Sie lassen mich nur für eine beschränkte Zeit vergessen, welche Last auf meinen Schultern lastet, aber dann reicht schon der kleinste Gedanke, welcher nur indirekt mit meinen Problemen zu tun hat und dann bin ich wieder am Grübeln. Es zerrt förmlich an meinen Kräften und am liebsten würde ich deswegen schreien. Mir bleibt aber nichts Anderes übrig, als jeden Tag irgendwie zu überstehen und sie einfach mit Lernen vollzustopfen. Abgesehen von dem bevorstehenden Test, versuche ich meine Gedanken auf das Wesentliche zu konzentrieren. Nur damit ich diese Angst nicht mehr spüren muss, die ich neben dem Zorn noch erleide. Es ist einfach beschissen und ich stecke mittendrin! Wie Lucinda selbst, quält mich diese Sorge jeden Tag und ich habe sogar die Befürchtung, dass sie immer stärker wird. Meine Wut auf das Leben und meine beschissene Situation ist immer mehr gewichen. Dabei gibt mir dieses Gefühl doch irgendwie den Antrieb, mich ja nicht doch von dem Gesindel herumkommandieren, beziehungsweise fertigmachen zu lassen. Gerade im Fall meiner Erzfeindin bemühe ich mich, meine wachsende Angst nicht zu zeigen, oder mich gar von ihr übernehmen zu lassen, aber je mehr Zeit verstreicht, desto mehr wird mir bewusst, dass ich meine wachsende Angst bald nicht mehr leugnen, geschweige ignorieren kann. Sie frisst sich förmlich in mich hinein, aber dennoch schreit ein Teil von mir, mich meinen Frust ja nicht hinzugeben. Niemand darf es sehen, wie sehr mich diese Einsamkeit und diese wachsende Angst bis jetzt geschwächt hat. Mit jedem Tag in der Schule habe ich stets versucht mir nichts anmerken zu lassen. Ich habe stets gelächelt und bin mit erhobenen Haupt durch das Gebäude gegangen, während ich nur einmal am liebsten alles hingeschmissen hätte. Ich habe sogar mal kurz mit den Gedanken gespielt, einfach aufzugeben, damit endlich Ruhe einkehrt. Doch wie schon so oft, hat alles dann in mir so heftig geschrien, dass ich das ja nicht zulassen darf, sodass ich mich doch noch von diesen absurden Gedanken abwenden konnte. Ich will mich einfach nicht unterkriegen lassen, ich will es nicht! Doch was soll ich machen, wenn sich nicht bald etwas ändert und diese Angst von mir weicht? Ich würde so gerne mit jemandem reden. Endlich einmal diese Last von mir werfen und wenn es nur für ein paar Minuten ist, so würde es mir fürs Erste reichen. Ich wüsste dann zumindest, dass ich mich jemand anvertraut habe, dass ich einfach nicht alleine bin und dass mir jemand zugehört hat. Vielleicht würde man mir einen Rat geben, oder mir wenigstens zeigen, dass ich das nicht alleine durchstehen muss. Es wäre jemand da, der mir den Rücken stärkt. Das Alles ist verdammt hart für mich und die schlechten Träume, die mich in letzter Zeit auch noch quälen, machen das nicht viel besser. Vielmehr sind sie das I-Tüpfelchen von dem, was mich zurzeit belastet und es ist einfach scheiße! Dennoch versuche ich es, soweit es nur irgendwie geht, weiterzukämpfen. Etwas Anderes kommt einfach nicht in Frage. Etwas niedergeschlagen komme ich gerade von der Schule nach Hause. Einen weiteren Tag habe ich zumindest zur Hälfte überstanden und ich warte nur noch, dass mich die kurze Ruhe in Empfang nimmt. Doch jetzt heißt es wieder, für ein paar Minuten gute Miene zum bösen Spiel zu machen, bevor ich noch mehr raufgeknallt bekomme. So lächle ich, auch wenn es gerade mehr bemüht wirkt, aber besser geht es nun mal nicht. Kaum habe ich schließlich die Haustür betreten, zwinge ich mich selbst, ein Lächeln beizubehalten. Ich habe einfach keine Lust, dass Tante Tina mich wegen der Schule anspricht und ein genervter Gesichtsausdrück würde sie nur dazu hin verleiten, mir wieder auf dem Wecker zu fallen. Schließlich „muss“ sie sich scheinbar in Dinge einmischen, die ihr nichts angehen und von dem sie sowieso kein Verständnis hat. Schnell habe ich mich über die Treppe in mein Zimmer verzogen und hole schon die Bücher heraus, die ich fürs Lernen brauche, als meine Tante mich plötzlich ruft: „Bernadettchen, komm doch bitte mal runter!“ Och ne, bitte nicht! Gerade jetzt, wo ich gehofft habe, mich in Ruhe konzentrieren zu können, muss sie mir dazwischenfunken. Hat sie etwa doch etwas gemerkt? Bitte nicht, ich habe jetzt nicht die Nerven dafür. Schnaufend erhebe ich mich vom Schreibtischsessel und mache mich auf dem Weg. Vielleicht habe ich ja Glück und es geht um etwas Anderes. Dann kann ich mich zumindest schnell wieder verziehen. Außerdem, wenn sie mich mit diesem Spitznamen in so einer Art ruft, ist eine kleine Hoffnung da, dass meine Tante gute Laune hat. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, wie ich es befürchte. Dennoch ist mir klar, dass die Chancen dafür nicht gerade hoch sind und ich mich bereits nicht nur einmal mächtig geirrt habe. Trotzdem stirbt die Hoffnung zuletzt und daran klammere ich mich einfach. Seufzend gehe schließlich die Treppe hinunter, wobei ich dabei bemüht bin, meinen Kummer und Sonstiges nicht anmerken lassen, als ich jedoch stutzig werde. Mitten im Flur steht ein großer Koffer und dieser kommt mir mehr als nur bekannt vor. Mein Gesicht fängt an zu strahlen, meine Augen werden vor Freude immer größer und dann kann ich nur ein fragendes „Mom?“ von mir geben, während ich hastig die letzten Stufen herunterrenne. Mein Weg verläuft direkt ins Wohnzimmer und schon sehe ich sie, meine Mutter und sie scheint auf mich gewartet zu haben. Vor Freude öffnet sie ihre Arme. Ich stürme einfach auf sie zu und werfe mich, ohne groß nachzudenken, um ihren Hals. Es ist schon so lange her und es ist einfach schön, sie jetzt wieder hier zu haben. Auch wenn ich das letzte Mal sauer auf sie war, ich habe sie einfach vermisst. Die Tatsache, dass ich meine Mutter endlich wieder umarmen kann, ist für mich ein Glücksgefühl, nachdem ich mich schon lange gesehnt habe. Zu lange war sie schon weg gewesen und jetzt ist sie überraschende Weise wieder da. Ich genieße einfach ihre Umarmung und würde sie am liebsten nie mehr wieder loslassen. „Es ist so schön dich zu sehen Kind. Wie geht es dir?“, werde ich schon von ihr gefragt. Auch sie freut sich mich zu sehen und das lässt mein Herz vor Glück noch höher springen. Ich antworte ihr aber nicht gleich, sondern lasse dieses schöne Gefühl noch eine Weile auf mich wirken. Zu lange habe ich das nicht mehr gespürt und ich möchte das einfach nicht mehr missen. „Ach, wie es halt so ist, aber ich bin so froh, dass du wieder da bist.“, sage ich schließlich und drücke mich dabei noch etwas fester an sie. Woraufhin meine Mutter etwas nach Luft ringen muss und mich schließlich bittet: „Schatz, drück nicht so fest. Sonst bekomme ich ja keine Luft mehr, oder willst du mich gleich nach meiner Ankunft wieder in den Himmel befördern.“ „Entschuldige bitte, ich bin einfach nur so froh, dass du wieder da bist.“, entschuldige ich mich, nachdem ich sofort meinen Griff gelockert habe und sogar etwas von meiner Mom gewichen bin. Sie lächelt und streicht mir mit ihrer rechten Hand sanft über der linken Wange. Dabei meint sie meiner sanften Stimme: „Ich bin auch froh, dich zu sehen. Ich habe dich vermisst Bernadettchen.“ „… Du weißt doch, dass ich diesen Spitznamen hasse.“, nörgele ich etwas, aber meine Mutter kichert nur: „Ich weiß, aber ich sage es einfach gerne und du bist und bleibst einfach für mich mein Bernadettchen.“ Sie kann es wohl nicht seinlassen, aber ich bin über ihre Ankunft einfach zu glücklich, als dass ich mich über sowas wirklich aufregen kann. Vielleicht sieht sie das genauso. Meine Tante dagegen, die ich die ganze Zeit über ausgelbendet habe, steht strahlend steht daneben. Währenddessen hat sie sich nicht geäußert, sondern uns nur zugesehen. Doch dann räuspert sie sich und meint: „Tut mir leid, wenn ich diesen rührseligen Augenblick jetzt störe, aber ich muss jetzt los. Mein Chef wartet und heute werden wir einen großen Auftrag an Land ziehen. Da darf ich auf keinen Fall zu spät kommen. … Ich wünsche euch beiden aber noch viel Spaß.“ „Na dann geh schon, wenn du es schon so eilig hast!“, lacht meine Mutter und wir beide sehen ihr noch nach, bis meine Tante endlich aus dem Haus gegangen ist. Schon wendet sie ihren Blick wieder zu mir und fragt mich grinsend: „Deine Tante hat sich wohl kein bisschen gehändert, was?“ Ich schüttle einfach nur den Kopf, wobei mir mein Lächeln bleibt. „Naja, was soll´s. Dann sind wir halt zu zweit. Ist vielleicht auch ganz gut so. Dann können wir beide mal endlich wieder ein Mutter-Tochter-Tag machen. Den hatten wir schließlich schon lange nicht mehr. … Mal überlegen, was hältst du davon, wenn wir beide was essen gehen. Nach dem langen Flug habe ich richtig Hunger bekommen.“, schlägt meine Mom mir vor und fügt auch hinzu, dass wir beide schließlich viel zu erzählen hätten. Natürlich sage ich vor Freude „Ja!“, denn endlich kann ich mit meiner Mutter ein bisschen Zeit verbringen. Das ganze Jahr hindurch ist sie meistens unterwegs und so genieße ich jeden Augenblick mit ihr, wenn sie mal für mich da ist. Da ist mir auch das Lernen vollkommen schnuppe. Nicht nur, dass ich mir bereits seit Tagen mit dem Lernstoff gequält habe, mir ist meine Mom momentan viel wichtiger. Wenig später sitzen wir beide in einem Lokal, den sich meine Mutter ausgesucht hat. Schon seit längeren wollte sie mal wieder hier essen und da wir heute unser Wiedersehen feiern, ist dies sogar der perfekte Ort dafür. Meine Mom ist gerade dabei, über Reisen zu erzählen. Manchmal verbringt sie mehrere Tage an einem Ort und gönnt sich dabei jedes Mal eine kleine Sightseeingtour. Man könnte fast sagen, dass sie durch ihren Job zwischendurch die Möglichkeit hat, Urlaub zu machen. Selbst, wenn es sich dabei nur um 24 Stunden handelt. Sie versucht dabei stätig, alles auszukosten und jeden Moment zu genießen. In meinem Zimmer hat sich wegen ihr bereits einiges angesammelt. Denn sie hat mir immer wieder einige Postkarten und Bilder geschickt, welche sogar einen Teil meines Zimmers schmücken. Schon seit Jahren sammle ich sie und wünsche mir manchmal, ebenfalls an ferne Orte reisen zu können. Als Kind wollte ich mich manchmal sogar in ihrem Koffer verstecken, damit ich einen ihrer Geschichten live miterleben könnte. Doch als ich es einmal versucht hatte, war sie ziemlich böse auf mich, nachdem sie mich dabei erwischt hatte. Seitdem warte ich immer gespannt auf ihre Postkarten, oder auf die Videochats. Dann kann ich mir ihre Erlebnisse zumindest vorstellen. Irgendwann werde ich aber selbst reisen und alles mit meinen eigenen Augen sehen. Vermutlich werde ich nicht denselben Beruf, wie der von meiner Mom, ergreifen, aber es gibt noch viele andere, die mit Reisen verbunden sind. Selbst, wenn es nicht so sein sollte, so will ich zumindest ab und zu in den Urlaub fliegen und dabei werde ich immer wieder ein neues Land erkunden. Ich weiß sogar, welches Land mein erstes Ziel sein wird und zwar ist es Frankreich, aus der mein Name kommt. Dicht gefolgt von Irland und Schottland werden noch viele weitere kommen, aber bis dahin bin ich erst einmal in meinem Zimmer gefangen. Mom ist gerade so vertieft in ihren Erzählungen, sodass ich meine Sorgen für einen Moment zur Seite schieben konnte, bis sie mich aber plötzlich auf die Situation aus der Schule anspricht. Wenn ich nicht wüsste, dass mein Herz im Brustkorb fest verankert ist, könnte ich schwören, dass es mir gerade in die Hose hinuntergerutscht ist. „Was ist los Schatz? Sag jetzt nicht, dass du schon wieder Ärger bekommen hast.“, fragt sie mich auffordernd und ihre Stimme ist auf einmal sehr ernst geworden. Auch meine Fröhlichkeit ist nun endgültig verschwunden. Nicht nur, dass es ein Thema ist, was mich sehr betrifft, sie unterstellt mir wieder etwas, was gar nicht der Fall ist. Wieso glaubt sie, dass ich was angestellt habe? Sie müsste mich doch am besten kennen und wissen, dass ich sowas eher vermeide, oder etwa nicht? Traut sie mir wirklich sowas zu, oder hat sie Tante Tinas übertriebenen Geschichten zu sehr verinnerlicht, sodass sie sich nichts mehr anderes vorstellen kann? Mein Gesicht verfinstert sich und ich spreche sie darauf an: „Warum traust du mir sowas zu? Bin ich etwa für dich nur das Sorgenkind, welches nichts anderes im Kopf hat, als allen anderen das Leben zur Hölle zu machen?“ „Nein, das habe ich nicht gesagt, aber deine Tante meinte, dass es in letzter Zeit nicht einfach mit dir ist und sie die Sorge hat, dass du demnächst wieder Ärger von der Schule bekommen könntest.“, meint Mom nur darauf, was aber meinen Zorn nur verstärkt. Natürlich, ich hätte mir ja denken können, dass Tante Tina wieder dahintersteckt. Jetzt wendet sie schon wieder meine Mutter gegen mich und dabei ist diese noch nicht einmal da! Was soll das?! Sie kann doch nicht etwa solche bescheuerten Geschichten über mich verbreiten, die weder Hand noch Fuß haben! Würde sie mal zuhören und mir mal glauben, wüsste sie, dass das nicht auf meinem Mist gewachsen ist! Schließlich ist es Lucinda, die mir das Leben zur Hölle macht! Sie ist das Problem und nicht ich! Jetzt ist meine Mom endlich wieder bei mir und dann muss ich mir sowas hören! Ich muss mich sogar wieder für etwas rechtfertigen, für das ich nicht einmal irgendetwas gemacht habe. Ich gehe einfach nur zu Schule und versuche dort irgendwie zurechtzukommen. Doch anstatt mich dabei zu unterstützen, werde ich nur von allen Seiten fertiggemacht! Am liebsten würde ich schreien und alles rauslassen, was mich quält, aber stattdessen seufze einfach nur, während ich meine Finger in die Tischplatte kralle. Denn ich will mich nicht streiten, weder jetzt, noch mit meiner Mutter. Dafür ist mir die wenige gemeinsame Zeit mit ihr viel zu kostbar. „Mom, du weißt ja gar nicht, wie es wirklich ist.“, sage ich möglichst ruhig, auch wenn man meinen Zorn sicherlich noch heraushören kann. Doch nach dem Gesichtsausdruck meiner Mutter zu urteilen, scheint sie auf derselben Seite zu sein wie meine Tante. Allerdings fordert sie mich nun auf, zu erzählen und ich werde stutzig:“ Also gut, dann sag mir bitte, wie es „wirklich“ ist.“ Einen Moment bleibe ich allerdings noch still. Denn will sie jetzt wirklich meine Sicht hören, oder ist das nur ein Witz gewesen? Irgendwie traue ich ihr nicht, auch wenn ich mir eigentlich das schon die ganze Woche gewünscht habe. Immer wieder wollte ich mit jemandem über meinen Kummer reden, aber es ging nie. Meine Brüder hatten keine Zeit, Raphael hat sich seit Tagen nicht mehr bei mir blicken lassen und Tante Tina konnte ich gleich von Anfang an vergessen. Nun hätte ich die Chance. Doch jetzt fällt es mir irgendwie schwer, wobei es eigentlich mehr daran liegt, dass ich wieder einmal in ein falsches Licht gestellt worden bin und das hat nun eben wieder an meinem Stolz gekratzt. Wie ein fetter Kloß stecken die Worte in meinem Hals und erst als mich Mom immer ernster ansieht, überwinde ich dieses beschissene Gefühl und rücke endlich mit der Sprache raus: „Du willst also wissen, wie es wirklich ist? Dann lass dir mal als Erstes sagen, dass Tante Tina dir nur einen Teil von der ganzen Story erzählt hat und nicht einmal das ist zu 100 Prozent wahr. Denn ich werde in der Schule gemobbt! Meine ehemaligen Freunde meiden mich wie die Pest und dann gibt es auch noch ein Mädchen in meiner Klasse, die mir schon lange das Leben zur Hölle macht! Sie droht mir und versucht mich sogar dazu zu zwingen, dass ich den kommenden Geschichtstest für sie schreibe! Wenn ich das nicht tue, so will sie mich das spüren lassen!“ Meine Mutter hört mir eine Weile zu. Sie redet mir nicht einmal dazwischen und ich hoffte schon, dass sie mich endlich versteht, je mehr ich alles rauslasse. Viel zu oft hat sie alles von meiner Tante für bare Münze genommen und jetzt habe ich endlich die Chance, ihr meine Sichtweise zu zeigen. Zu meiner Enttäuschung muss ich jedoch wieder schnell feststellen, dass Mom mir kein einziges Wort zu glauben scheint: „Du meinst wohl diese Lucinda, von der habe ich bereits schon gehört. Ihr hast du ja die blutige Nase verpasst, richtig? … Tja, ich gehe mal davon aus, dass du sie aus irgendeinen Grund hasst und das spiegelt sich vielleicht sogar wider. Meinst du nicht, dass du nicht etwas übertreibst und dir manches sogar einbildest? Vielleicht haben sich genau deswegen deine Freunde von dir entfernt. Irgendeinen vernünftigen Grund muss es ja dafür geben.“ Bin ich hier in einem falschen Film, oder scheint sich die ganze Welt gegen mich verschworen zu haben?! Ich schütte ihr mein Herz aus und was macht meine Mutter, sie fällt mir in den Rücken! Anscheinend war sie zu lange über den Wolken, sonst wüsste sie, dass Mobbing keine Einbildung ist! „Das … das ist doch jetzt nicht wirklich dein Ernst, oder?!“, hake ich leicht stotternd und schockiert nach, da ich es einfach nicht glauben will, was sie vorhin behauptet hat. Jedoch bestätigt mir ihr Blick, dass es ihr voller Ernst ist. „Schatz, beruhige dich und benimm dich bitte. Wir sind immerhin hier unter Leute. Da kannst du nicht einfach deine Stimme so erheben, aber ich muss dir leider sagen, dass du dich verändert hast. Ich …“, will sie schon mit ihrer Heuchelei anfangen, aber jetzt reicht es mir. Ich halte es einfach nicht mehr aus! Ich will nichts mehr davon hören! Wütend springe ich auf, wodurch der Stuhl ruckartig nach hinten kippt und auf dem Boden knallt, während wir beide nun von den anderen Gästen angestarrt werden. Erschrocken dreht meine Mutter um sich. Beschämend will sie nun die Situation bereinigen, aber ich bin in diesem Moment viel zu sehr aufgebracht, als dass ich mir von ihr noch irgendetwas sagen lasse und schnauze sie daher an: „Lass mich einfach in Ruhe!“ Mit diesen Worten renne ich aus dem Lokal. Ich will nur noch fort von hier, bevor ich noch den ganzen Laden in Schutt und Asche lege. Jedoch bleibe ich nicht allein, meine Mom ist mir wenige Sekunden später hinter mir hergeeilt und versucht mich nun aufzuhalten. Ich fasse es einfach nicht! Viele Wochen und Monate ist sie nicht da, bekommt von all dem nichts mit und glaubt dann auch noch der eigenen Tochter nicht! Sie will nur das glauben, was ihre Schwester ihr erzählt. Dass diese sich vielleicht auch mal irren könnte, an das hat meine liebe Mutter wohl natürlich nicht gedacht! Wer würde auch nur auf sowas kommen?! Natürlich ich und mir glaubt man ja nicht! Ich bilde mir schließlich alles nur! Wer weiß, vielleicht haben sich die beiden sogar in den Kopf gesetzt, dass ich dadurch nur nach Aufmerksamkeit schreie! Das würde sogar passen! Ist sie aber wirklich so wildfremd geworden, dass sie nicht einmal das Offensichtliche erkennen kann?! Muss ich es ihr aufschreiben, oder sogar dekodieren, damit es mal bei ihr durchsickert?! Was will sie überhaupt von mir, was will sie von mir hören?! Soll ich etwa auf ihre Leier Danke und Amen sagen, oder wie stellt sie sich das vor?! Wütend marschiere ich weiter und habe meine Hände zu Fäuste geballt. Dass ich dabei die vorbeigehenden Passanten halb niederreise, ist mir völlig egal. Viel zu sehr bin ich sauer und ich drohe sogar zu explodieren! Ich will einfach nur weg von hier, als ich plötzlich von Mom aufgehalten werde und sie mich nach Luft ringend anschreit: „Bist du wahnsinnig?! Du kannst doch nicht einfach so weglaufen! Wenn dir etwas passiert wäre …“ Wieder unterbreche ich sie und schnauze sie leicht spöttisch an: „Als wenn du dich dafür interessieren würdest, wie es mir geht! Lass dir doch wieder was von Tante Tina andrehen, bei ihr sperrst du ja mal die Lauscher auf! Ob es allerdings überhaupt stimmt, interessiert dich ja nicht die Bohne!“ Meine Mom sieht mich geschockt an. Sie will schon etwas erwidern und mich zur Vernunft bringen, als plötzlich jemand hinter ihr steht, sich ganz nah zu ihr drängt und ihr zuflüstert: „Keinen Mucks. Geht einfach weiter.“ In der ganzen Hysterie haben weder meine Mutter noch ich bemerkt, wie jemand uns gefolgt ist und dann auf den richtigen Moment gewartet hat, um uns zu bedrängen. Ich will schon um Hilfe schreien, als sie wiederum besorgt und ängstlich den Kopf schüttelt. Hat der Kerl etwa eine Waffe? Bitte nicht! Leider bestätigt sich meine Befürchtung, denn als dieser meine Mutter weiter vordrängt, sehe ich kurz eine schwarze Pistole aufblitzen. Direkt an ihren Rücken gedrückt, hält er das Ding, bedeckt es aber zum Teil mit seinem Körper, damit die restlichen Passanten nichts mitbekommen. Widerwillig aber gehorsam gehen wir nun ein Stück weiter. Ich habe Angst und meiner Mutter geht es genauso. Sämtliche Befürchtungen schießen durch meinen Kopf, die man normalerweise nur vom Fernsehen kennt. Was wenn der Typ Mom erschießt? Das könnte ich mir niemals in meinem Leben verzeihen! Ich bereue einfach nur, dass wir uns gestritten haben und dass ich das Lokal so wutentbrannt verlassen habe. Ängstlich starre ich den Mann an. Gehüllt in einem dunkeln Mantel drängt uns der Schwarzhaarige mit den Stoppeln im Gesicht weiter. Irgendwie glaube ich Alkohol zu riechen, aber die Angst lässt mich nicht weiter klar nachdenken und ich gehe gehorsam weiter. In diesem Augenblick wünschte ich mir, dass ich nicht so ausgerastet wäre, denn dann wären wir jetzt nicht in diesem Schlamassel. Wir würden immer noch in diesem Lokal sitzen und miteinander streiten. Das wäre mir jetzt tausendmal lieber, als das wir nun um unser Leben bangen müssen. Immer weiter zwingt uns der Fremde voranzugehen, bis wir an einer Stelle kommen, die kaum von Menschen betreten wird. Ständig versuche ich eine Möglichkeit zu finden, um Hilfe zu holen. Mein Blick wandert stetig herum und ich suche. Meine Befürchtung, dass meiner Mutter etwas zustoßen könnte, sollte ich auch nur eine falsche Bewegung machen, hält mich jedoch etwas zurück. Der Kerl wartet noch einen Moment, bis er uns in die nächste dunkle Gasse schubst. Was will der von uns? Geld allein scheint es nicht zu sein, sonst hätte er das schnell hinter sich gebracht und wäre dann mit unserem Hab und Gut davongelaufen. Stattdessen fuchtelt er mit seiner Waffe herum, während er uns immer weiter ins Dunkle drängt. Arm in Arm stehen meine Mom und ich nun da, gehen teilweise einige Schritte zurück und starren weiterhin auf dem Kerl, welcher nur boshaft und siegessicher grinst. „Nun meine Damen. Einen herzlichen Dank dafür, dass ihr beide es mir so leichtgemacht habt. Eure „Show“ war einfach grandios und es war ein Genuss, euch zuzusehen, wohin euch euer Zorn gebracht hat, aber jetzt wird es Zeit, dass wir zum Finale überschreiten.“, murmelt er und kommt uns immer näher. Dabei hält er seine Waffe ständig vor sich, um uns zu zeigen, dass es für uns beide kein Entrinnen gibt. Meine Vorstellung darüber, was nun passieren könnte, lässt sich nicht in Worte fassen. Doch kaum, dass dieser Widerling uns nur noch einige Schritte entfernt ist, höre ich plötzlich ein Geräusch. Ich zucke zusammen. Allerdings bin ich nicht die Einzige, die das gehört hat, denn jeder von uns horcht auf und starrt in die Richtung, aus der dieses Geräusch vermutlich gekommen war. Dabei war es mir seltsamerweise vertraut. Es klang nämlich, als wenn jemand von einer bestimmten Höhe heruntergesprungen wäre. Mein erster Gedanke führt mich automatisch zu Raphael. Hat er mich etwa gesehen, vielleicht sogar beobachtet und ist mir nun zur Hilfe geeilt? In diesem Moment wünsche ich mir nichts Anderes, auch wenn das bedeutet, dass Mom ihn höchst wahrscheinlich sehen könnte. Allerdings sind unsere Optionen nicht gerade breitgefächert, weswegen meinem Freund wohl nichts anderes übrigbleiben wird. Doch dieser ist durch den Schatten eingehüllt. Man kann nichts sehen, man könnte höchstens eine Silhouette erahnen und das wäre schon viel verlangt. Ich kann nicht einfach sagen, ob es Raphael ist, aber er muss es sein. Ich hoffe es einfach. Ebenfalls von dem Geräusch aufmerksam gemacht, wendet der Mann sich kurz von uns ab, dreht sich um und brüllt in die Finsternis: „Wer auch immer hier sein mag, sei gewarnt! Ich habe eine Waffe und ich werde mich mit Sicherheit nicht scheuen, diese einzusetzen!“ „Das würde ich nicht wagen.“, antwortet ihm nun eine Stimme, die allerdings auf keinen Fall von Raphael ist. Dennoch kommt sie mir so bekannt vor. Jedoch habe ich momentan einfach nicht das Hirn dafür, logisch zu denken, geschweige in mein Hirn herumzustöbern. Perplex und völlig verängstigt schaue ich einfach in dessen Richtung. Der Schwarzhaarige jedoch stürmt sogleich auf meine Mutter zu und reißt sie an sich, wodurch ich plötzlich zu Boden gestoßen werde. Zitternd bleibe ich bei meiner jetzigen Position, während der Kerl die Pistole an ihre Schläfe hält. Abwechselnd schaut er zu mir und zu meiner Mutter, drückt aber dann die Waffe noch dichter an ihren Kopf, während sein Finger auf dem Lauf ruht. „Einen Schritt und sie ist tot!“, faucht der Kerl und schaut mit einem drohenden Blick in den schwarzen Schatten. Er wird doch wohl nicht ernsthaft abdrücken?! Kapitel 14: Eine Prüfung nach der anderen ----------------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: „Ich warne dich zum letzten Mal: Einen Schritt weiter und die Frau ist tot! Dasselbe gilt auch für das Mädchen hier! Verschwinde!“, wiederholt sich der Schwarzhaarige, während er grimmig in den Schatten hineinstarrt und weiterhin seine Waffe fest gegen die Schläfe meiner Mom drückt. Immer wieder wechselt er hastig seinen Blick. Er will weder mich, noch meine Mutter aus den Augen lassen. Vermutlich befürchtet er, dass ich die Chance ergreifen und wegrennen könnte. Dafür habe ich aber viel zu viel Angst um meine Mutter und meine Beine fühlen sich gerade wie Gummi an. Wie soll ich mich da noch vom Fleck bewegen?! Selbst wenn ich es gewollt hätte, hätte ich nicht einfach so aufstehen und irgendetwas tun können. Genauso ist meine Mom wie gelähmt. Sie ist einfach damit beschäftigt, sich still zu verhalten, während sie zittert und vermutlich darauf hofft, dass der Kerl ja nicht den Abzug betätigt. Ich habe Angst, ich habe Angst um mein Leben und das meiner Mutter. Egal, was auch vorhin vorgefallen war, ich will einfach nicht, dass es so endet. Während ich noch an derselben Stelle dahocke und verzweifelt sie anstarre, greift mein Retter endlich ein. In Binnen von wenigen Sekunden hat er dem Mistkerl einen Wurfstern entgegengeschleudert. Dabei trifft er aus seinem Versteck so geschickt in Richtung der Pistole, sodass der Verbrecher vor Schmerz aufschreit und vor Schreck das Ding von sich schleudert. Es ist so schnell gegangen, wodurch ich kaum mitbekommen habe, wo genau dieser Abschaum getroffen wurde. Stattdessen sehe ich das Endergebnis. Im selben Moment lässt sich meine Mutter fallen und kriecht hastig zu mir. Es vergeht kaum eine Sekunde, schon hat sie ihre Arme um mich geschlungen und versucht mich nun mit ihrem ganzen Körper vor weiteren Gefahren zu schützen. Ich dagegen bin wie versteinert. Es geht einfach so schnell und wie gebannt beobachte ich das Geschehen. Wie aus dem Nichts erscheint eine große Gestalt, welche sich auf dem Typen stürzt, ihn als Erstes gegen die nächste Wand schmettert und sich anschließend wieder in den Schatten zurückzieht. Ein dumpfer Schrei folgt daraufhin, wird aber von dem Aufprall verschluckt und eine schweres Keuchen ersetzt ihn. Dies hindert den Kerl aber nicht daran, sich vor Schmerzen zu winden und schließlich wieder mühselig aufzustehen. Er sucht sogar nach seiner Waffe, damit er sich verteidigen, oder zumindest wild in die Dunkelheit schießen kann. Was er dabei treffen mag, ist ihm egal. Genau das sagen mir seine Augen, die nur wutentbrannt und voller Hass sind. Jedoch hat er nicht mit unserem Retter gerechnet, der nun vollkommen aus dem Schatten tritt und nicht gleich wieder verschwindet. Als ich ihn endlich erkenne, weiten sich meine Augen, doch ich wage es nicht, auch nur ein Laut von mir zugeben. Es ist Leo, der mich und meine Mutter gerade beschützt und sich vor diesem Kerl aufbäumt. Wie ein mächtiger Bär hat er sich vor seinem Gegenüber in Stellung gebracht und ist bereit für den Kampf. Ich dagegen bin einfach nur perplex und mir ist nun endlich klar, warum mir seine Stimme auch so bekannt vorgekommen ist. Jedoch konnte ich diese vor Angst nicht richtig zuordnen, geschweige irgendwie klardenken. Noch dazu kann ich einfach nicht glauben, dass gerade er hier ist. Immerhin ist er der Einzige von den Brüdern, der mich nicht gerade gut leiden kann und mich sogar meidet. Doch nun ist er da und rettet mich und meine Mutter! Nicht nur, dass ich wegen diesem Mistkerl und seiner Waffe Angst habe, ich bin einfach mit der Tatsache überfordert, dass ich gerade von dem Schildkrötenmutanten beschützt werde, der mich ansonsten mit seinem durchbohrenden Blick bestraft und sich vermutlich sogar gewünscht hätte, ich würde alles, was ihn und seine Brüder betrifft, vergessen. Allerdings bin ich nicht die Einzige, welche gerade mit den Nerven kämpft. Denn als meine Mom ihren Blick zu unserem Retter zugewandt und schließlich bemerkt hat, dass es sich hierbei nicht um einen Menschen handelt, starrt sie ihn fassungslos und sogar entsetzt an. Entpuppt hat sich für sie eine riesengroße, humanoide Schildkröte mit Waffen, welche gerade dabei ist, dem Gauner einen weiteren Schlag zu verpassen, sodass jener nun endgültig liegen bleibt und sich nicht mehr rührt. Meine Mom dagegen hat nun die Panik gepackt. Mehrere Male blinzelt sie, reibt sich sogar zwischendurch mit ihren Händen ihre Augen und starrt immer wieder auf ihn. Sie kann es einfach nicht glauben und hätte ich solch Ähnliches nicht selbst mal erlebt, so würde es mir jetzt vermutlich genauso ergehen. „Das … das … das kann doch nicht wahr sein!“, stammelt sie, während sie ihre Arme vor Angst dichter um mich schlingt und mich fester an sich drückt. Meine Mutter kann nicht glauben, was sie da gerade sieht, was nur allzu verständlich ist. Mir ist es doch ähnlich ergangen, als ich Raphael kennenlernte. Doch zu sehr hat auch mich die Angst gepackt, weswegen ich kaum reagieren kann. Schuld daran ist der Typ mit der Pistole, der nun endlich seine gerechte Strafe bekommen hat. Zum Glück ist dies nicht lange von Dauer gewesen und ein Problem haben wir fürs Erste gelöst. Stöhnend liegt der Kerl nun am Boden und rührt sich kaum mehr, während wir beide noch damit kämpfen, dass unsere Herzen nicht gleich aus unseren Brustkörben springen. Leo atmet nach seinem Kampf auf, kickt aber noch die Pistole ein Stück zur Seite, als er dann langsam auf uns zukommt. Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Je mehr sich der Mutant nämlich uns nähert, desto mehr Panik bekommt meine Mutter, bis sie dann nicht mehr kann und vor Schreck das Bewusstsein verliert. „Mom!“, rufe ich ihr erschrocken zu, erhalte aber keine Antwort. Sie ist bereits weggetreten und ohne jegliche Reaktion liegt sie nun auf dem Boden. Zum Glück konnte ich sie noch etwas auffangen, bevor sie mit dem Kopf auf dem harten Asphalt geknallt wäre. Es ist aber deutlich, dass das nun endgültig zu viel für sie war. Besonders Leos Erscheinung hat ihr den Rest gegeben. Dieser wiederum steht nun direkt vor uns, kniet sich nieder und fühlt schließlich mit den Fingern an ihrem Hals. Erleichtert spürt er ihren Puls. „Sie ist nur ohnmächtig.“, berichtet er mir mit einer ruhigen Stimme, was auch mich etwas ruhig stimmen und aufatmen lässt. Die Angst um meine Mutter bleibt dennoch erhalten. Den Kopf auf meinem Schoß liegend, ruht sie nun und erholt sich vor diesem Schreck, den sie vermutlich nicht so schnell wieder vergessen lässt. Es sei denn, sie versucht dies zu verdrängen. Wie ich ihr das wohl erklären soll? Ich weiß es nicht. Ich sehe nun zu Leo. Dankbar dafür, dass er rechtzeitig da war, will ich schon etwas zu ihm sagen, jedoch hat er bereits seinen Blick von mir abgewandt. Er steht einfach wieder auf, dreht sich nun ganz um und geht schließlich zu dem anderen Bewusstlosen. Wortlos packt er diesen und wirft ihn wie einen schweren Sack über seine linke Schulter. Doch bevor er geht, wirft er noch einen kurzen Blick auf mich und meine Mutter. Ich kann nicht deuten, was er damit ausdrücken will und bevor ich auch nur irgendwie darauf reagieren, geschweige etwas zu ihm sagen kann, ist er bereits verschwunden. Vermutlich schmeißt er dieses Arschloch den nächsten Polizisten vor die Füße, oder liefert ihn direkt vor dem nächsten Polizeipräsidium ab. Ich hoffe nur, dass dieser Scheißkerl so schnell niemanden mehr bedroht. Wobei er dieses Erlebnis so und so nicht so schnell wieder vergessen würde und das verdanke ich nur einen: Leo Einen Moment sehe ich dem Mutanten noch nach und wende mich dann seufzend wieder meiner Mom zu. Noch immer hat sie sich nicht bewegt. Nur flach atmet sie, während sie das Geschehnis nun irgendwie verarbeitet. Doch es wird schwer werden, ihr das zu erklären. Allein die Tatsache, dass uns ein fremdes Wesen gerettet hat, welches vom Äußeren her einfach nicht erklärbar ist, wird sie nicht so einfach verdauen können. Wer weiß, was meine Mutter in diesem Augenblick gedacht hat. Vermutlich versuchte sie sich einzureden, dass das ein schlechter Scherz sein musste und dass sie sich diese Gestalt aus Angst nur eingebildet hatte. Immerhin hat sie noch nie an Übernatürliches geglaubt. Das war eher Dads Ding und auch ich interessiere mich für solche Themenbereiche. Mom dagegen ist ein purer Realist, wobei sie bei meinen Problemen eher über den Wolken zu schweben scheint, aber das ist jetzt nebensächlich. Viel wichtiger ist es, dass wir beide wohlauf sind und dass niemand verletzt wurde. Die Sache mit Leo muss ich irgendwie anders erklären. Denn ich kann ihr nicht einfach sagen, dass es sich bei unserem Retter um eine mutierte Schildkröte handelt, die noch mit drei weiteren Mutanten New York vor Verbrechern und Co. beschützt und noch dazu irgendwie zu meinem geheimen Freundeskreis gehört. Erstens würde sie mir ein weiteres Mal nicht glauben und vielleicht würde sie mich sogar endgültig für verrückt halten. Auch wenn sie das gerade selbst live miterlebt hat, so wird sie sich garantiert gegen diese Tatsachen wehren. So viel steht schon mal fest. Ich könnte es ihr nicht einmal verübeln, weil es einfach unglaublich ist. So wie ich es mir schon einmal dachte, sieht man sowas normalerweise nur in Filmen, oder liest dies in abenteuerlichen Geschichten. Nur ist dies nicht das Einzige, was mich momentan beschäftigt. Ich habe noch so viele Fragen, jedoch muss ich erst einmal zusehen, dass ich meine Mutter wieder wachbekomme. Wir können schließlich nicht bis zum nächsten Morgen hier versauern und ich kann sie ja hier nicht einfach so liegen lassen. So tätschle ich sie eine Weile sanft bei den Wangen und spreche sie ständig an. Irgendwie muss ich sie ja wieder wachbekommen. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit kommt sie endlich zu sich. Stöhnend blinzelt sie und stammelt irgendetwas vor sich hin, während ich ihr helfe, sich erst einmal wieder aufzusetzen: „Da … da war … dieses Monster … ich …“ Natürlich ist Leo wieder das Thema. Etwas Anderes wäre einfach unvorstellbar gewesen, aber ich versuche meiner Mutter zu beruhigen und ihr einzureden, dass sie sich „dieses Monster“ nur eingebildet hat. Irgendwie ist das sogar ironisch und wäre das nicht gerade der falsche Zeitpunkt, wäre es vielleicht sogar ziemlich komisch. Denn kurz zuvor hat ausgerechnet sie mir das vorgehalten. Ich würde mir ja alles, was meine Probleme betrifft, nur einbilden und wäre an meiner Einsamkeit selbst schuld. Doch nun bin ich an der Reihe: „Aber Mom, was redest du da? Da war doch kein Monster. … Das hast du dir sicherlich nur eingebildet.“ „Und was war es dann bitte schön?! Kannst du mir das vielleicht erklären?!“, kontert sie sofort beleidigt, da sie einfach nicht verstehen kann, wie ich ihr nun in den Rücken fallen kann. Wäre das allerdings nicht so eine komplizierte Angelegenheit, so würde ich es nicht tun. Ich meine es ja nicht böse, aber ich habe meine Gründe dafür und ich weiß ganz genau, dass sie das nicht verstehen würde. Bei manchen Dingen mögen wir beide uns vielleicht einig sein, aber abgesehen davon, dass sie momentan meine Welt so und so nicht verstehen kann, so würde sie auch das nicht begreifen, geschweige akzeptieren können. Ich kann sie ja verstehen, dass sie aufgebracht ist, aber es ist einfach besser, wenn sie nichts von meinen geheimen Freunden erfährt. Es soll ja niemand zu Schaden kommen und außerdem haben die Jungs mein Vertrauen, den ich nicht brechen möchte. „Ich weiß zwar nicht, was du da gesehen hast, aber ich bin einfach nur froh, dass dieser Fremder aufgetaucht ist. Wäre er nicht so schnell aus dem Nichts erschienen, so wäre es um uns geschehen.“, behaupte ich und so falsch wäre das nicht einmal. Ich drehe da nur etwas an der Wahrheit. Jedoch lässt sich meine Mutter nicht so einfach damit abspeisen: „Wenn du schon behauptest, dass das kein Monster war, wer hat uns dann gerettet? Wie sah er deiner Meinung nach überhaupt aus?“ Gute Frage und jetzt kann ich zusehen, dass ich mir schnell eine Lüge einfallen lasse, die aber auch glaubhaft wirkt. Sonst würde mein Kartenhaus schneller in sich zusammenfallen, als was sie aufgebaut ist. Noch dazu kann ich mit der Erklärung nicht so lange warten, da das nur auffällig wäre und so erzähle ich ihr: „Das kann ich dir auch nicht so sagen. Es ging ja alles so schnell und der Mann war vermummt. Ich habe nur gesehen, dass das ein eher stämmiger und großer Kerl war, denn er konnte den anderen so leicht überwältigen und diesen Mistkerl quasi gegen die Wand klatschen.“ „Aber … das verstehe ich nicht. … Ich habe doch gesehen, dass … dass doch ...!“, will meine Mutter nun verwirrt einwerfen, aber ich unterbreche sie: „Du standst unter Schock und hier ist es ziemlich dunkel. Wer weiß, was du aus Angst noch gesehen hast. Noch dazu hattest du ja die Pistole an deinem Schädel. Wer weiß, was ich an deiner Stelle dann gesehen hätte.“ Grübelnd sieht sie mich an. Überzeugt ist sie von meiner Annahme nicht, aber ich sehe ihr an, dass meine „Logik“ für sie nicht allzu sehr verkehrt klingt. „Das macht wohl Sinn, aber … ach ich weiß nicht.“, stammelt meine Mutter, da sie das Ganze einfach nicht begreifen kann. Ich würde es ihr gerne einfacher machen, aber ich kann nicht und diese Lüge muss erst einmal reichen, welche zu meinem Erstaunen sogar glaubhafter wirkt, als die bittere Realität. Daher bestehe ich weiterhin darauf und versuche dabei so überzeugend zu sein, wie es mir gerade möglich ist. Auch ich bin erschöpft und fertig mit dem Nerven. Eigentlich will ich nur nach Hause, aber erst nach einer Weile kann ich sie doch irgendwie von meiner Lüge überzeugen. Wahrscheinlich will sie diesen Abend einfach nur vergessen und so schnell wie möglich von hier verschwinden. Erleichtert darüber, atme ich auf, bis ich ihr dann aufhelfe und wir dann gemeinsam nach Hause gehen. Für heute reden wir allerdings kaum mehr miteinander. Meine Mutter ist zu sehr erschöpft und aufgebracht und mir selbst ist auch nicht wirklich nach Reden zu Mute. Ich bin einfach nur froh, dass sie nicht verletzt wurde. Alles andere ist mir im Moment egal und ich sehne mich nur noch nach meinem Bett. Ca. eine Stunde später bin ich in meinem Zimmer. Ich sitze auf meiner Matratze und denke gerade über die Geschehnisse nach. Kaum waren meine Mom und ich heimgekehrt, so ging jede von uns wortlos in sein Zimmer. Keine von uns wollte für heute auch nur ein Wort darüber verlieren und wahrscheinlich wird dies erst dann passieren, sollte Tante Tina nachhaken. Irgendwann wird sie es schon erfahren und wie ich meine Mutter kenne, so wird sie als Erste von uns davon berichten. Was für ein Scheißabend, zuerst der Streit und dann noch diese Sache! Ein Klopfen lässt mich plötzlich aufhorchen und mich aus meine Gedankenwelt herausreißen. Es kam vom Fenster und als ich dann dorthin sehe, entdecke ich Leo. Verwundert stehe ich auf und gehe zu ihm. Was er wohl hier will, ach egal. Kaum ist er wenig später zu mir hineingeklettert, sage ich nichts zu ihm, ich umarme ihn einfach. Ich kann nicht anders. Auch wenn er mir bis jetzt mehr als nur seltsam vorgekommen ist und mir misstraut, bin ich ihm trotz allem einfach nur dankbar. Er hat immerhin meine Mutter und mich gerettet und so murmle ich ein leises „Danke.“, ehe ich schließlich zu ihm aufsehe. Leo lächelt stumm, als ich das zu ihm gesagt habe. Doch dann kommt mir wieder die Frage in den Sinn, die ich mir davor schon gestellt hatte: Warum war er überhaupt dort? Mein Gesicht wird nun ernst, als ich ihn meine Frage stelle: „Nicht, dass ich jetzt undankbar erscheinen möchte und verstehe mich bitte nicht falsch, aber sag mir: Wie konntest du rechtzeitig dort sein? Bist du mir etwa gefolgt?“ Er wiederum seufzt, nickt aber dann und erklärt mir auch noch trocken, dass es mit Raphael zu tun hat: „Raphi ist schon seit letzter Zeit seltsam. Er flippt öfters ohne jeglichen Grund aus, oder geht uns aus dem Weg. … Er ist zwar schon immer ein Hitzkopf gewesen, aber jetzt ist es irgendwie schlimmer. Habt ihr euch das letzte Mal gestritten, oder so? Er war das letzte Mal doch noch für einen Augenblick bei dir. … Was hat er denn gesagt?“ „Raphael hat gar nichts zu mir gesagt. Er hat mich nur kurz angesehen, aber kein Wort mit mir gewechselt, bis er dann plötzlich aufgebrochen ist. Wir hätten also nicht streiten können.“, antworte ich auf seine Gegenfrage, obgleich ich auch nicht ganz verstehen kann, was Leo dazu bewegt hat mir zu folgen. Andererseits ist mir selbst aufgefallen, dass Raphael sich komisch benommen hat und ich habe ihn seitdem auch nicht mehr gesehen. „Seltsam, weswegen ist er so eingeschnappt?“, fragt Leo murmelnd, wobei diese Frage mehr an sich selbst gerichtet ist. Dennoch gehe ich darauf ein: „Ich weiß es nicht. Er war schon an diesem Abend so merkwürdig drauf und dann ist er nicht mehr gekommen. … Nur, was hat das jetzt bitte mit heute zu tun?“ „Ich wollte einfach dem nachgehen. Schließlich muss es dafür eine vernünftige Erklärung geben und deswegen habe ich dich beobachtet.“ „Ist das wirklich dein Ernst? Sehe ich wirklich danach aus, als ob ich nur Probleme bereiten würde? Hast du schon mit ihm überhaupt geredet, oder hast du gleich beschlossen, mich zu beschatten?“, frage ich ihn nun beleidigt, wobei ich mich bemühe, meinen Zorn nicht allzu sehr rauszulassen. Schließlich hat er mich noch vorhin gerettet. Aber Dankbarkeit hin, Dankbarkeit her, das berechtigt noch lange keine grundlose Beschattung, geschweige solche ungerechtfertigte Mutmaßung! Zu meinem Glück nimmt mir Leo das nicht krumm. Vermutlich bezieht er meine momentane Stimmung auf vorhin, in der ich noch gemeinsam mit meiner Mom um unsere Leben bangen musste. Dennoch besteht er darauf, zu erfahren, wie ich die eine Nacht erlebt habe. Denn es würde vielleicht helfen. Ich seufze und erzähle ihm: „Wie gesagt, er hat kein Wort rausbekommen und er war auch schnell wieder weg. Seitdem habe ich jede Nacht darauf gewartet, mit ihm zu reden, aber er ist nie gekommen. Ich kann dir daher nicht mehr sagen, weil ich einfach nicht mehr weiß. Tut mir leid.“ Leo scheint jetzt nachzudenken, bis er mir dann vorschlägt: „Vielleicht ist es besser, wenn du gleich mitkommst. Dann könnten wir vielleicht die Sache gemeinsam aufklären.“ Ich jedoch schüttle bei seinem Vorschlag den Kopf und erwidere: „Das geht jetzt nicht Leo. Meine Mom ist da und wenn die mitbekommt, dass ich jetzt plötzlich weg bin, dann flippt sie mir endgültig aus. Es war schon schwierig genug, ihr einzureden, dass nicht du, sondern ein vermummter Fremder uns gerettet hat. Ich will ihr heute das nicht auch noch zumuten. … Besser wäre es, wenn ich morgen Abend komme, dann hat sie das bis dahin vielleicht etwas verdaut.“ Leo nickt zustimmend und so machen wir es für morgen aus, dass er mich abholt. Da es so und so bald Wochenende ist, wird meine Tante meine Mutter unter ihre Fittiche nehmen. Wenn ich Glück habe, lassen sie beide mich in Ruhe und ich kann ohne weiteres verschwinden, ohne dass dabei irgendjemand etwas davon mitbekommt. Ich hoffe das zumindest. Es würde mir mal einmal etwas einfacher machen. Kaum dass wir das nun geklärt haben, bedankt sich Leo auf einmal bei mir. Verwirrt schaue ich ihn an und er scheint sofort zu begreifen, dass ich seinen Dank jetzt nicht verstehe. „Danke dafür, dass du mich nicht verraten hast.“, fügt er schließlich hinzu. Ich schüttle leicht lächelnd den Kopf, während ich ruhig sage: „Hast du wirklich geglaubt, ich würde so was tun? Ich habe euch doch gesagt, na eigentlich sogar versprochen, dass nichts über meine Lippen kommen wird. … Außerdem, einen Freund hintergeht man nicht. Das ist einfach so bei mir und dazu stehe ich auch.“ Dies ist tatsächlich mein voller Ernst. Bei meinen letzten Worten spüre ich allerdings in mir ein seltsames Gefühl, der mich beinahe zu erwürgen scheint. Denn in diesem Augenblick kommen mir meine Ex-Freunde wieder in den Sinn. Denn gerade sie waren es, die mich wegen Lucinda einfach im Stich gelassen hatten, nur damit sie ihre Ruhe hatten. An mich dachten sie dabei nicht und das werde ich ihnen auch niemals verzeihen. Abgesehen davon, dass ich zu meinem Wort stehe, ist Freundschaft etwas Wichtiges für mich. Egal um wen es dabei geht, für meine Freunde bin ich da und niemals möchte auch nur daran denken, jemandem zu hintergehen. Leo scheint sich jetzt irgendwie zu schämen. Der hat doch wirklich die Angst gehabt, dass ich jemandem von ihm oder von seiner Familie erzählen würde. Ich hoffe, dass er jetzt endlich zur Besinnung gekommen ist und dass ich das nicht mehr länger beweisen muss. Zwar kann ich seine Sorge irgendwie nachvollziehen, aber mir wäre es jetzt wesentlich lieber, wenn er damit endlich aufhört und mir eine Chance gibt. Das zerrt nur an den Nerven, so wie ich mich auch jetzt wieder fühle. Ich seufze und setze mich wieder auf mein Bett. Durch die Gedanken an meine Ex-Freunde kommt meine Sorge wegen der Schule wieder hoch. Dabei konnte ich es bis jetzt so gut wie möglich verdrängen und sogar vergessen. Leo scheint bemerkt zu haben, dass mich etwas bedrückt. Anstatt dass er sofort nach Hause geht, setzt er sich neben mich und fragt mich: „Bedrückt dich etwas? So wie du aussiehst, scheint dich gerade etwas zu belasten und ich wage es zu bezweifeln, dass es mit diesem Idioten und seiner Pistole zu tun hat.“ Er hat ja recht. Nur, ob ich jetzt wirklich wieder damit anfangen soll? Selbst bei Mom wurde ich heftig an den Kopf gestoßen. Ein weiteres Mal würde ich für heute vermutlich nicht verkraften, aber andererseits wäre es schön, mal endlich einen Rat zu hören und so, wie mir Leo momentan erscheint, glaube ich eigentlich nicht, dass er mit meinen Nerven spielen wird. Er scheint es sogar ernst zu meinen. Was habe ich also schon zu verlieren? So erzähle ich dem Blaumaskierten von Lucinda und von meinen Problemen in der Schule. Allerdings erwähne ich nicht alles. Im Fokus stehen die Prüfung und die Drohungen, welche mir bis jetzt auf verschiedenster Art und Weise zugeschickt wurden. Alles andere ist irgendwie nebensächlich geworden. Zumindest ist dies für die nächste Zeit so. Was dann kommen wird, steht noch in den Sternen. Darüber möchte ich noch nicht einmal nachdenken, aber irgendwann wird es der Fall sein. Das weiß ich, leider. Geduldig hört Leo mir zu und als ich dann noch meine, dass ich niemanden zum Reden hätte, knufft er mir leicht in den rechten Arm: „Naja, jetzt konntest du mit mir darüber. … Ich schätze mal, das wäre sonst Raphis Part gewesen, oder?“ Bei diesen Worten werde ich plötzlich etwas rot. Er hat ja eigentlich recht, aber das muss er nicht wissen, geschweige laut aussprechen. Irgendwie komme ich mir jetzt vor wie eine rote Tomate. Das ist doch echt peinlich! Da fängt Leo leicht an zu kichern: „Keine Sorge, ich sage nichts weiter, … aber ich gebe dir einen gutgemeinten Rat: Lass dich nicht unterkriegen. … So schwer es dir auch fällt, halte durch und wenn du was brauchst, kannst du auf jeden Fall mit uns reden und damit schließe ich die gesamte Familie mit ein. … Aber nur so ein kleiner Tipp nebenbei: Ich würde Mikeys Vorschläge eher meiden. Sonst bekommst du mehr Ärger, als was dir lieb ist. … Aber jetzt muss wirklich ich los. Wir sehen uns morgen.“ Mit diesen Worten steht er schließlich auf und macht sich nach einem kurzen Abschied meinerseits auf dem Weg. Schon springt er über die Dächer und ich sehe ihm noch nach. Ich winke ihm sogar noch zu, bis er endgültig verschwunden ist. Irgendwie hat sich eine Erleichterung in mir ausgebreitet. Eigentlich kann er sogar nett sein, wenn er will. Nachdem ich mit ihm geredet habe, fühle ich mich einfach etwas besser. Ich habe sogar endlich einen Rat bekommen, den ich eigentlich von meiner Mutter erhofft hatte. Dennoch bin ich damit zufrieden und noch dazu glaube ich, dass sich auch bei Leo etwas getan hat. Er war am Ende einfach anders und wer weiß, vielleicht war dies sogar der Erste Schritt für ein gegenseitiges Vertrauen. Wünschen würde ich es mir. Der nächste Morgen bricht an und mit einem erleichterten Blick wird mir bewusst, dass es Freitag ist. Das heißt, dass ich nur noch einige Stunden überstehen muss, bis ich endlich in das Wochenende flüchten kann. Jedoch ist meine Freude begrenzt, denn heute ist die Geschichtsprüfung, für ich die ganze Zeit gelernt habe. Ich hoffe, dass mir noch etwas im Kopf geblieben ist. Immerhin habe ich in den letzten Tagen viel durchmachen müssen. Tief durchatmen Bernadette, du schaffst das schon. Immer wieder versuche ich mir Mut zu zusprechen. Doch je näher die Prüfung voranrückt, desto nervöser werde ich. Natürlich ist Lucinda mit ihren stechenden und bedrohenden Blick nicht ganz unschuldig. Ich darf mich aber nicht fertig machen lassen. Es geht immerhin um meine Note, für die ich gepaukt habe. Also tief durchatmen, das wird schon. Hoffe ich zumindest. Die Stunde für die Prüfung beginnt. Ich habe mir bereits in der Pause einen freien Platz gesucht und zu meinem Leidwesen, hat sich meine Erzfeindin in meiner Nähe gesetzt. „Ich hoffe für dich, dass du dich für das Richtige entschieden hast. Du weißt ja, was das für ich bedeuten kann.“, droht sie mir mit einer zischenden Stimme, ehe unsere Geschichtslehrerin an uns vorbeikommt und die Blätter austeilt. Bei Prof. Willows ist es nämlich so, dass die Prüfung sich aus zwei Teilen zusammensetzt. Der Erste besteht aus Fragen mit mehreren Antwortmöglichkeiten und beim Zweiten müssen wir eine Aufgabenstellung in einem längeren Text beantworten. Beide Bereiche müssen positiv sein, um die Prüfung überhaupt zu bestehen. Das ist auch der Grund, warum viele bei dieser Lehrerin durchfallen, oder gerade noch eine Vier ergattern können. Wer allerdings weiß, was für diese Professorin wichtig ist, markiert sich bereits im Unterricht die wichtigsten Bereiche im Geschichtsbuch. Dies aber gut herausfiltern zu können, ist eine andere Sache. Die Prüfung beginnt und ich setze mich schon daran. Wie durch Geisterhand gehe ich jede einzelne Frage durch und kann mich ohne Probleme darauf konzentrieren. Es ist fast schon wie Zauberei und ich habe mir doch mehr in meinem Hirn behalten, als was ich zunächst befürchtet habe. So merke ich nicht, dass ich nur die Hälfte der Zeit dafür gebraucht habe. Erst, als ich den Stift zufrieden zur Seite gelegt und einen Blick auf die Uhr geworfen habe, ist dies mir klargeworden. Erleichtert lehne ich mich etwas zurück. Ich bin einfach stolz darauf, dass ich es hinter mich gebracht habe und ich habe sogar ein gutes Gefühl dabei. Doch schon merke ich, dass Lucinda zu meiner Rechten ständig auf meine Arbeit starrt. Zu ihrem Pech bin ich Rechtshänder, weswegen immer ein Teil der Blätter durch meinen Arm abgedeckt ist. Dies war auch so, während ich geschrieben habe. In der Hitze des Gefechts habe ich die Schnepfe sogar vollkommen vergessen, was mir sonst kaum gelungen ist. Umso stolzer bin ich, dass sich meine Mühe irgendwie ausgezahlt hat und dass ich mich ohne Bedenken auf meine Arbeit konzentrieren konnte. Jedoch sieht mich Lucinda wieder drohend an. Als wenn sie sagen wollte: „Zeig mir endlich, was du geschrieben hast, sonst wirst du es bitter bereuen!“ Gerade wo ich mich noch so gefreut habe, ist mir mein Lächeln nun wieder vergangen. Stattdessen schleicht sich nun wieder die Angst in mich hinein. Die Drohbriefe schießen mir vor meinem geistigen Auge und das beklemmende Gefühl wird immer stärker. Ich denke nun an die Konsequenzen, die mir bevorstehen könnten, sollte ich mich jetzt weigern, ihr einen Blick auf meine Arbeit zu gönnen. Was soll ich machen? Schiebe ich die Antworten zu ihr, so würde ich in Gefahr laufen, erwischt zu werden. Gebe ich aber meine Arbeit einfach ab, könnte wer weiß was passieren. Sollte ich es vielleicht einfach wagen? Ich will schon das erste Blatt zu Lucinda drehen, damit sie tatsächlich auf meine Arbeit hinüberschielen kann, als ich mich aber an Leos Worte erinnere: „Lass dich nicht unterkriegen. … So schwer es dir auch fällt, halte durch.“ Er hat Recht und eigentlich hatte ich mich schon von Anfang an dafür entschieden. Mir musste es nur wieder klarwerden, denn mein Leben ist jetzt eh schon die Hölle. Da kann mir nicht mehr viel passieren. So decke ich meine Prüfung einfach wieder mit der Hand ab, bis ich meine Sachen nehme und die Arbeit anschließend vorne beim Lehrertisch abgebe. Ich spüre richtig Lucindas entgeisterten Blick und ich bin mir sicher, dass sie mich in diesem Moment gerne angeschrien hätte, aber das kann sie jetzt vergessen. Schließlich muss sie ihren Test noch zu Ende schreiben und nun kann sie zusehen, wie sie das meistern wird. Mir ist das jetzt egal. Soll sie doch schwitzen und sich nun durchquälen. Das geschieht ihr nur recht. Stolz auf mich selbst werfe ich meinen Rucksack über die Schulter und verlasse zufrieden das Klassenzimmer. Zum Glück ist das die letzte Stunde gewesen und das heißt, dass ich ganz in Ruhe nach Hause gehen und endlich in mein wohlverdientes Wochenende starten kann. Freiheit ich komme! Kapitel 15: Unter vier Augen ---------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Ich komme gerade von der Schule nach Hause, als ich meine Mutter auf der Couch sitzen sehe. Sie scheint von gestern immer noch ausgelaugt zu sein. So wie sie in die Leere starrt, kann ich es mir nur so vorstellen und vermutlich wird sie immer noch an diese Geschichte denken. Was soll aber ich dabei sagen? Ich war ja live dabei und musste heute einen schweren Test schreiben, der nicht gerade ein Zuckerschlecken bei meiner Professorin ist. Dennoch habe ich im Gegensatz zu meiner Mom einen Vorteil: Ich kenne den „Fremden“, der uns beide gestern Abend gerettet hat und mir ist dabei voll bewusst, was er ist. Obwohl ich ihr einreden konnte, dass es sich bei dem gestrigen Überfall um einen Menschen, genauer gesagt, sich um einen vermummten Mann gehandelt hat, sieht sie meiner Meinung nach nicht gerade aus, ob sie das wirklich abgehakt hat. Vielleicht ist sie immer noch skeptisch, oder sie stellt schlicht und einfach ihren Verstand in Frage. Wer würde wohl bei solch einer Geschichte nicht an seinen Sinnen zweifeln und sich fragen, warum man sich nur sowas „einbilden“ konnte? Irgendwie tut sie mir leid. Es muss schwer für sie sein, dass Ganze irgendwie zu akzeptieren. Wenn ich ihr nur gestehen könnte, dass dies tatsächlich so war, wie sie es gestern gesehen hatte. Jedoch darf ich nicht meine Freunde vergessen. Es steht für sie immerhin viel auf dem Spiel, das ist mir mehr als nur klar. Andererseits will ich meine Mom nicht einfach so hängen lassen. Irgendwie muss ich es anders regeln. Mir muss etwas Besseres einfallen. Vorsichtig spreche ich sie schließlich an: „Hey Mom! Ist alles in Ordnung bei dir?“ Einige Sekunden vergehen, bis sich etwas tut. Langsam wendet sie ihren Blick zu mir und nickt stumm, während sie versucht zu lächeln. Allerdings weiß ich, dass sie mich gerade anlügt, selbst wenn es sich dabei nur um ein stummes Nicken gehandelt hat. Nur, was soll ich machen? Ich kann sie schließlich nicht damit konfrontieren und die Geschichte dabei noch einmal aufwärmen. Nach ihrem Blick zu urteilen, wird es wohl noch viel länger dauern, damit umzugehen, als was ich zunächst gehofft hatte. Es würde sich nicht einmal etwas bringen, sie weiter zu drängen, weil sie sie es nur abstreiten würde und außerdem will ich nicht schon wieder mit ihr zanken. Das von gestern hat mir fürs Erste gereicht und ein weitere Zoff macht das auch nicht besser. Das hat also keinen Sinn. Besser wäre es für meine Mutter, wenn sie den Vorfall vergessen würde, aber sowas ist leichter gesagt als getan. Davon könnte ich sogar ein Lied singen, weil ich mich mit diesem Gedanken nicht nur einmal in meinem Leben beschäftigt habe, aber für meine Mutter war es wohl der Schock ihres Lebens. Ich seufze kurz und kaue sogar etwas an meiner Unterlippe. Wie soll ich mit ihr reden, wenn ich auch noch aufpassen muss, mich nicht zu verplappern. Es wäre wohl besser, wenn ich das Thema wechsle. Etwas Besseres kommt mir momentan nicht in den Sinn und wer weiß, vielleicht bringt sie der Alltag wieder auf andere Gedanken und hilft ihr etwas dabei, das Ganze zu verdauen. Ein Versuch wäre es zumindest wert. Also setze ich mich zu ihr und fange an, von meinem heutigen Tag zu berichten: „Ich muss dir was erzählen! Du kennst doch meine Geschichtsprofessorin Prof. Willows, oder?“ „Ja, ich erinnere mich dunkel. Ist das nicht diese strenge Lehrerin, die meistens etwas Dunkles anhat und oft sogar nur in schwarzen Sachen herumläuft?“, versucht sich meine Mom zu erinnern, was ich wiederum bejahe: „Genau, das ist sie. Heute hatte ich bei ihr den Geschichtstest und ich habe dabei ein verdammt gutes Gefühl! Ich glaube, so schnell habe ich bei ihr noch nie einen Test geschrieben. Dabei macht sie es einem überhaupt nicht leicht.“ „Schön für dich.“, meint sie aber nur trocken. Als hätte sie bereits nach der ersten Hälfte ihr Gehirn auf Autopilot gestellt, doch ich plappere vor Freude einfach weiter. So, wie ich das meiner Mutter erzähle, strahle ich sogar übers ganze Gesicht. Denn ich habe mich bei dieser Arbeit nicht nur voll und ganz darauf konzentrieren können, ich habe zusätzlich Lucinda eins auswischen können. Wobei ich Letzteres nicht an die große Glocke binde, sondern eher für mich behalte. Denn sonst kann ich mir wieder einmal etwas zum Thema „Kollegialität“ anhören lassen, worauf ich einfach keinen Bock habe. Viel wichtiger ist für mich so und so der Test. Allerdings sieht meine Mom das nicht so und freut sich auch nicht für mich. Ich habe sogar den Eindruck, dass sie mir kaum zugehört hat. Vielleicht hat sie sogar nur einige Fetzen daraus wahrgenommen und fühlt sich von mir einfach nur gestört. Ihre abweichende Art macht sie sogar mit ihren Worten noch deutlicher: „Dein Enthusiasmus darüber in allen Ehren mein Schatz, aber mir ist nicht gerade nach Reden zu mute. Vielleicht ein anderes Mal, in Ordnung?“ Wieder versucht sie zu lächeln, scheitert aber ein weiteres Mal kläglich und so schnell mein Grinsen gekommen war, so ist es auch jetzt wieder verschwunden. Ich bin einfach enttäuscht. Denn eigentlich habe ich darauf gehofft, dass sie nicht nur mal kurz auf andere Gedanken kommen würde, sondern, dass sie auch mal wieder stolz auf mich ist. Schließlich bin ich bisher für alle nur das „Problemkind“ gewesen und scheinbar werde ich das noch weiterhin sein. Wobei, mein Gedanke daran, dass sie sie nur die Hälfte von dem gehört und vielleicht sogar noch mehr herausgefiltert bleibt hartnäckig. Denn nachdem ich sie auf meine Professorin angesprochen habe, habe ich sogar kurz den Eindruck gehabt, sie würde nun immer mehr aus der Realität abdriften und mich gar nicht mehr richtig wahrnehmen. Als wäre ich nicht als Person da, sondern eine nervige Werbung im Fernsehen, die man schnell wegschaltet. Wo sie schon wieder mit ihren Gedanken ist, kann ich schon erahnen. Natürlich ist es der Überfall und vermutlich ist die Sache mit Leo auch nicht weit. Ob ich will, oder nicht, ich fühle mich beleidigt. Ich weiß ja, dass man sowas nicht einfach so wegstecken kann und so wie meine Mutter, so bin auch ich stur, was die Wahrheit angeht. Sonst wäre ich ja an jenen Tag nicht an dieselbe Stelle zurückgekehrt und hätte die Wahrheit wegen Raphael herausgefunden. Dennoch, sie ist meinen Mom und momentan fühle ich mich absolut nicht wie ihre Tochter. Innerlich spüre ich schon diesen schweren Kloß, welcher nur darauf wartet, endlich mal raus zu dürfen. „Mom, was beschäftigt dich? Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, dass du mir überhaupt nicht zugehört hast.“, konfrontiere ich sie nun damit, denn allmählich bin ich es leid, dass ich ständig auf andere Rücksicht nehmen muss, während mir nicht einmal richtig zugehört wird. Ich fühle, wie es weiterhin in mir brodelt und sich meine Wut wieder stärker zu Wort meldet. Jedoch schlucke ich dieses Gefühl im nächsten Moment herunter und versuche diese Enttäuschung aus meinem Kopf zu verbannen. Was man nicht alles tun muss und diese ständige Selbstkontrolle! Es ist einfach nur mühsam, lästige und nervenraubend! Gespannt auf ihre Antwort, oder ob sie überhaupt irgendeinen Ton von sich gibt, sehe ich sie nun stumm und leicht ungeduldig an. Dann kommt endlich eine Reaktion von ihr, wobei meine Mom nun mehr angefressen als ausgelaugt wirkt: „ … Es geht um deine Tante. Als sie gestern spät am Abend von ihrem Meeting heimgekehrt war, habe ich ihr halt von dem Überfall erzählt. …“ „Und was hat sie darauf gesagt?“, frage ich nach, nachdem meine Mutter kurz eine Pause gemacht hat. Eigentlich kann ich es mir fast schon denken, aber ich will es dennoch von ihr hören. Bei meiner Frage reagiert sie aber empört und wird sogar mit der Stimme lauter: „Na, was wird sie wohl gesagt habe?! Sie hat gelacht und gemeint, dass ich bei meinem Schock nur fantasiert habe! Denn es gibt ja keine Monster!“ Na habe ich es mir doch gedacht. Da hätte ich ihr ja sonst ein Märchen auftischen können, sie hätte es nicht mitbekommen. Wenn ich gerade selbst nicht so angepisst wäre, hätte ich momentan sogar gelacht. Jetzt hat Mom höchstpersönlich die volle Breite von Tante Tinas Sichtweise bekommen, die ich schon seit Jahren bei ihr „genießen“ darf. Ist doch „toll“, wenn man sich sowas anhören darf, nicht? Andererseits hält sich meine Schadenfreude in Grenzen. Schließlich hätte ich von Tante Tina in Bezug auf meine Mom ein kleinwenig etwas Anderes erwartet. Immerhin ist ihr Verhältnis super und schon in ihrer Kindheit haben sich die beiden, bis auf ein paar Streitereien, wunderbar verstanden. Wie es aussieht, ist es wohl bei diesem Thema anders. Ich muss aber zugeben, dass solch eine Story für jeden vernünftigen Menschen absurd klingt. Wer würde schon an eine Geschichte über Mutanten, Monster, oder dergleichen glauben? Die Anzahl wäre dafür sehr gering und das ist noch höflich ausgedrückt. Noch bin ich in meinen Gedanken, doch dann erfahre ich, dass die beiden heute einen „Wellnesstag“ machen werden. Nach der Meinung meiner Tante sei meine Mom überarbeitet und bräuchte daher mehr als nur dringend Erholung. Daher war das sofort eine beschlossene Sache, ohne, dass sie mich irgendwie miteinbezogen hätten. Sie würden demnächst sogar im Hotel übernachten und erst übermorgen am Vormittag wiederkommen. Als ich das höre, könnte ich vor Freude in die Luft springen, denn das klingt für mich wie ein Jackpot! Ich muss mir wegen meinen Freunden keine Ausreden einfallen lassen, geschweige auf der Hut sein, wenn ich mich aus meinem Zimmer verdünnisiere. Das ist einfach super! In dem Punkt könnte ich meine Tante sogar küssen, wüsste sie, dass sie mir dabei sogar unfreiwillig hilft. Jedoch halte ich mich zurück und lasse es lieber sein. Jegliche Sekunde der Freude wäre in meinen Fall nur verdächtig, weswegen ich mich zwinge, meine Gefühle zu unterdrücken. Außerdem hat Tante Tina in einem Punkt recht: Meine Mutter braucht wirklich Erholung. Der ganze Schreck von gestern hat sie scheinbar bis auf die Knochen geprägt und vielleicht hilft ihr ein Wellnesstag. Manche behaupten sogar, dass dies Wunder bewirken würde und man würde als ein völlig neuer Mensch nachhause kommen. Wer´s glaubt, wird selig, aber sei´s drum. Wichtig sind für mich nur zwei Punkte: Mom kann sich ablenken und sich sogar verwöhnen lassen und ich kann einfach das Haus verlassen. Um allerdings nicht aufzufallen, versuche ich ein möglichst neutrales Gesicht zu zeigen, bis Mom ihren Kopf in den Nacken legt und seufzt: „Ach, was soll´s. Vielleicht hilft es mir ja. … Aber solange wir weg sind, stellst du keinen Unfug an! Ich will hier kein Chaos auffinden müssen, haben wir uns verstanden?“ „Du tust ja so, als ob ich sofort etwas in Brand stecken würde, wenn ich mal allein bin.“, nörgle ich und werde nun wieder sauer. Was glaubt sie in allen Ernst, was ich bin?! Ein kleines Kind oder was?! Ich bin schließlich sechzehn Jahre alt und kein verrücktes, kleines Gör, welches bei jeder Gelegenheit eine Riesenfete und eine Sauerei veranstaltet! Glaubt sie etwa, dass ich nur am Randalieren bin? Ich kontrolliere mich verdammt noch mal mehr, als so manch anderer! Würde ich dies nicht tun, würde es schon lange vollkommen anders aussehen! Manchmal frage ich mich, ob sie mich überhaupt kennt, denn jetzt ist wieder so ein Moment da, in der ich wieder einmal daran zweifle. Wütend schaue ich sie an. Wenn ich könnte, wie ich wollte, hätte ich sie bereits wie eine Katze angefaucht. Streng, aber dennoch erschöpft erklärt sie mir dann: „Das habe ich nicht gesagt, aber ich kann momentan einfach keine weiteren Aufregungen vertragen. Also unterstütze mich bitte dabei. Mehr verlange ich ja gar nicht.“ „Na wenn´s dich „glücklich“ macht, verspreche ich es halt.“, entgegne ich ihr, auch wenn es mir in Wahrheit nicht passt. Denn was soll ich sonst sagen? Glaube und Vertrauen sind in diesem Haus ja Luxusgüter, die ich nicht habe! Mir hört man ja nicht einmal wirklich zu! Da ist es wohl besser, wenn ich mit einer Wand rede. So stehe ich beleidigt auf und marschiere in Richtung Treppe. Dass eine Sache gibt, bei der ich erleichtert bin, wird von meiner Wut verschluckt, aber das interessiert ja keinem. Mom hat sich derweil wieder ihren Gedanken gewidmet, weswegen sie gar nicht mitbekommt, dass ich bei der kleinen Kommode haltmache. Mein Blick fällt auf die kleine Schublade in der ersten Reihe. Wenn ich mich richtig erinnere, hat Tante Tina vor ein paar Tagen hier herumgekramt und da hat doch was geklimpert. Wäre ich da nicht zufällig vorbeigegangen, hätte ich das wohl nicht einmal mitbekommen und wenn mir das gerade nicht so sehr ins Auge stechen würde, würde ich die Kommode nicht einmal beachten. Naserümpfend öffne ich vorsichtig die Schublade und schaue kurz wieder zur meiner Mutter. Doch die hat mich nicht gehört. Als ich nun hineingreife, entdecke ich meinen Schlüsselbund! Da hat sie ihn also hingetan! Ich habe aber die ganze Zeit schon danach gesucht und ihn nicht gefunden. Vielleicht hatte Tante Tina ihn die ganze Zeit bei sich, oder einfach in einen ihrer Handtaschen verstaut. Nur warum ist mein Schlüsselbund jetzt hier? Glaubt sie etwa, ich würde nicht weiter danach suchen, wenn sie nur lange genug wartet? Ach egal, besser ich habe ihn jetzt, allerdings bin ich nicht sicher ob ich den ganzen Pack so nehmen soll? Was ist, wenn sie doch noch einmal nachsieht, dann ist wieder die Hölle los. Vielleicht nehme ich einfach nur den Hausschlüssel ab. Die anderen Schlüssel kann ich momentan ohnehin nicht gebrauchen. Ein weiteres Mal schaue zurück, ob die Luft rein ist und als ich mir sicher bin, fummle ich solange und so leise wie möglich an dem Ding herum, bis ich mein Ziel erreicht habe. Erst dann schließlich geräuschlos die Schublade und ziehe mich siegessicher in mein Zimmer zurück. Selbst wenn Tante Tina nun nachsehen sollte, sofort wir ihr nicht auffallen, dass neben den vier Schlüsseln noch einer fehlt. Ich bin nur froh, dass ich es getan habe. Denn beide misstrauen mir so derartig, dass Tante Tina nach einiger Zeit doch tatsächlich nachgesehen und den ganzen Schlüsselbund eingesackt hat. Was darauf folgte, war mir bereits klar: Ich würde wieder einmal in meinem eigenen Zuhause eingesperrt werden und so stehe ich alleine im Vorraum, nachdem ich mich von den beiden verabschiedet habe. Ich komme mir vor, wie ein Vogel in seinem Käfig, aber dieser Vogel hat einige Tricks auf Lager. Darauf können sie Gift nehmen, auch wenn sie es nicht wissen. Bei diesem Gedanken grinse ich schief. Auch wenn mir die Tatsache immer noch schleierhaft ist und meine Enttäuschung sich zwischendurch wieder zeigt, lasse ich meinen Stolz dennoch nicht so einfach ankratzen. Dafür bin ich einfach zu stur. Somit verschwinde ich wieder in mein Zimmer, wo ich auf die Abenddämmerung warte. Erst als die Sonne schon eine Weile den Horizont hinter sich gelassen hat, tut sich etwas bei mir. Wie erwartet, klopft schließlich Leo an meiner Fensterscheibe. Kaum, dass ich sie für ihn geöffnet habe, werde ich schon gefragt: „Nun, kann es losgehen?“ „Klar doch, ich bin so weit.“, antworte ich ihm und so finde ich mich diesmal in den Armen des Anführers dieser Truppe wieder. Der „Ausflug“ in die Kanalisation kann nun beginnen. Es dauert nicht lange, bis wir schließlich das Ziel erreicht haben. Dadurch, dass Leo die Umgebung quasi auswendig kennt, weiß er ganz genau, welchen Weg er einschlagen muss. Wie lange die Brüder wohl gebraucht haben, sich in der Kanalisation zurechtzufinden? Hier unten könnte man wirklich meinen, dass es hier ein Labyrinth ist. Denn viele Gänge und Rohre schlängeln sich in alle Himmelsrichtungen. Allerdings befürchte ich, dass ich mich an den Geruch von hier unten erst noch gewöhnen muss. Wie lange das wohl dauern mag, kann ich gar nicht einschätzen, aber ob ich will oder nicht, da muss ich wohl durch. Irgendwie scheint es mir aber, dass im Vergleich des unterirdischen Labyrinths, das Zuhause der Jungs nicht so schlimm ist. Viel mehr bereitet sich hier ein anderer Geruch stärker aus und wenn mich nicht alles täuscht, riecht es hier irgendwie nach Pizza, oder bilde ich mir das ein? Ob es so ist, spielt keine Rolle, meine Nase ist so oder so vom Gesamtkonzept ziemlich beleidigt. Noch ist es im Eingangsbereich, in der Leo mich abgesetzt hat, ruhig. Hinzu kommt, dass mich schon die ganze Zeit eine Frage beschäftigt, den ich nun den Anführer stelle: „Sag mal Leo, weiß Raphael eigentlich, dass ich komme?“ „Nein, er hat keine Ahnung davon. Er hätte aber weder mir, noch den anderen wirklich zugehört, hätten wir es erwähnt. So ziemlich den ganzen Tag hat er bereits in sein Zimmer verbracht. Wären da nicht unsere Pflichten, würden wir ihn wohl kaum zu Gesicht bekommen.“, antwortet er mir und wieder frage ich mich, was in diesem Kerl gefahren ist. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte er so manch einer Zicke Konkurrenz machen. Wird wohl Zeit, ein paar ernste Worte mit ihm zu wechseln. Kaum aber, dass ich mit Leo hier angekommen bin und mich mit ihm unterhalten habe, haben schon Donnie und Mikey gemerkt, dass ich hier bin. Wie es zu erwarten war, war es natürlich der Orangemaskierte, der mich als Erster willkommen hieß, obgleich er es mit seinen herzhaften Begrüßungen nicht übertreiben sollte. Wenigstens ist das Technikgenie der Brüder nicht so stürmisch, aber er fragt mich genau das, was alle zu beschäftigen scheint: „Habt ihr euch gestritten?“ Aus Raphaels Sicht: Ich sitze gerade genervt in meinem Zimmer, als ich Stimmen höre. Es ist ja nichts Ungewöhnliches. Immerhin wohne ich mit meinem Vater und meinen drei Brüdern hier unten. Doch neben den Stimmen von den Nervensägen, nehme ich noch eine weitere wahr. Unglaubwürdig horche ich auf, denn ich glaube Bernadette zu hören. Das kann aber doch nicht sein! Wer hätte sie schon hierherbringen sollen? Das ist doch normalerweise meine Sache! Fragend stehe ich auf und gehe auf die Tür zu. Allerdings mache vorsichtig einen Spalt auf, während ich hinausspähe. Tatsächlich, sie ist es! Sie ist gerade dabei, mit den anderen über irgendetwas zu reden. Was sie da quatschen, kann ich von der Entfernung nur erahnen, aber was macht sie hier und wie ist sie hierhergekommen? Vermutlich hat einer der drei etwas damit zu tun, aber wieso? Was geht denen jetzt schon wieder in ihren Hohlschädeln vor?! Können die sich nicht einmal aus der Sache raushalten?! Schon will ich die Tür wieder schließen, aber mein Bruder mit der orangen Maske hat mich schon entdeckt und ruft mir zu: „Na wenn man vom Teufel spricht. Hey Raphi, komm doch zu uns!“ Manchmal könnte ich ihm die Zunge rausreißen! Ich komme aber erst gar nicht dazu, etwas knurrend zu erwidern, als Bernadette zu mir hinsieht und ich meine Wut auf Mikey allmählich wieder vergesse. Dafür fühle ich mich, wie von ihr in den Bann gezogen. Als hätte sie bei mir unbewusst einen Schalter betätigt, während mir stärker bewusstwird, dass ich mich sogar irgendwie freue, sie zu sehen. Wie von selbst öffnet sich weiter die Tür und ich schaue sie überrascht an. Sie dagegen lächelt, was ich nicht verstehe und mich eher verwirrt. Müsste Bernadette nicht irgendwie sauer auf mich sein? Immerhin habe ich sie beim letzten Treffen gemieden und kaum mit ihr gesprochen. Hat sie sich während der Zeit, als ich sie so angefressen beim Fenster gesehen hatte, wieder beruhigt? Ohne dass ich es wirklich will, löse ich mich von meiner jetzigen Stellung und gehe zu ihr. Obwohl mein Kopf etwas Anderes sagt und mich zum Umkehren drängt, gehorchen mir meine Beine nicht. Das ist doch alles wie verhext! Ich marschiere einfach auf sie zu, während meine Augen weiterhin auf sie gerichtet sind. Schließlich stehe ich vor ihr und für einen Moment kehrt Stille ein. Als keiner von uns etwas sagt, unterbreche ich diesen etwas unangenehmen Umstand und frage sie vorsichtig: „Was machst du denn hier?“ Überrascht von meiner Frage hebt Bernadette eine Augenbraue hoch und erwidert: „Wie wäre es mal mit „Hi“ oder so?“ Etwas verlegen lächle ich schief und räuspere mich sogar. Es ist irgendwie gerade eine verzwickte Situation. Jedoch merke ich schon, wie meine Brüder sich darüber amüsieren und sogar versuchen, ein Kichern zu unterdrücken, was ihnen aber nicht gerade so gut gelingt. Manchmal könnte ich sie zum Mond schießen! Was finden die überhaupt schon wieder daran so lustig?! Wollen sie etwa schon wieder meine Faust spüren?! Doch ehe ich auch nur den Mund aufgemacht habe, damit ich sie anmotzen kann, funkelt Bernadette die drei schon böse an und verschränkt sogar die Arme. Deren Reaktion darauf kommt dann ziemlich unerwartet. Denn räuspernd machen sich alle drei aus dem Staub, wobei jeder von ihnen eine eigene Ausrede auftischt und jede einzelne an sich klingt schon bescheuert. Etwas Besseres haben sie wohl nicht aus dem Ärmel schütteln können, wie? Kopfschüttelnd und zähendknirschend schaue ich ihnen hinterher und seufze dann. Meine Brüder können manchmal echt anstrengend sein. Eigentlich müsste ich dies bereits gewöhnt sein, aber dennoch schaffen sie es immer wieder aufs Neue, mir gehörig auf dem Geist zu gehen. Was mich aber in Moment mehr beschäftigt, ist, warum Bernadette hier ist. Ich habe zwar eine Vermutung, aber ob dies wirklich der Tatsache entspricht, weiß ich nicht und diese Ungewissheit macht mich krank! Dennoch hält mich etwas in mir zurück. Wie es bereits beim letzten Mal auf dem Dach war, als ich eigentlich zu ihr wollte und wieder komme ich mir gerade vor wie ein Weichei, da ich mein verdammtes Maul in ihrer Gegenwart nicht aufbekomme. Gerade das von vorhin war schon peinlich genug und die Tatsache, dass sie aus irgendeinen Grund hier unten bei mir ist, hat mir ein weiteres Mal die Sprache verschlagen. Wie komme ich nur aus diesem Schwachsinn wieder raus?! Ich muss ganz schön in meinen Gedanken versunken gewesen sein, denn schon spüre ich, wie Bernadette mich bei der Hand nimmt und mich so wieder aus meiner Gedankenwelt herausholt. „Kann ich mal mit dir unter vier Augen reden?“, fragt sie mich und ich muss schlucken. Ihr Blick ist ernst und ihr Lächeln verschwunden. Dafür hat sie so fragende Augen, die alles Mögliche bedeuten könnten. Ist sie etwa doch noch sauer auf mich und hat es vor meinen Brüdern einfach nicht gezeigt? Nutzt sie nun etwa die Gelegenheit, ohne mich dabei vor meiner Familie blamieren zu wollen? Wenn ich allerdings nur dumm herumstehe, werde ich es nicht erfahren. Daher nicke ich nur, während sie mir direkt ins Gesicht sieht. Jetzt ist allerdings die Frage, wo wir reden sollen. Hier geht es auf keinen Fall. Denn ich bin mir sicher, dass meine Brüder uns belauschen werden. So neugierig, wie die sind, wird das auf jeden Fall der Fall sein. Wieder leicht in Gedanken versunken, schaue ich mich suchend um. Ich könnte sie theoretisch mit ins Hashi nehmen. Nein, keine gute Idee. Dort wäre es zwar ruhig und keiner meiner Brüder würde uns dort vermuten, oder gar stören, aber das geht nicht. Ich könnte ja … nein, das ist auch nicht gut. Schließlich schweift mein Blick in Richtung Dojo und ich seufze. Das scheint wohl noch eher der geeignete Ort zu sein. So führe ich sie einfach dorthin. Zu meinem Glück hat Leo gemeint, dass er zu unserem Vater geht. Was auch immer er bei dem alten Herrn vorhat, aber mir soll´s recht sein. Das heißt, dass unser Trainingsraum leer ist … theoretisch. Ohne etwas zu sagen gehen wir schließlich hinein. Hier gibt es zwar keine Tür, die ich hätte schließen können, was mir gerade jetzt lieber gewesen wäre, aber es ist immer noch die beste Option. So sehe ich noch einmal kurz hinaus und seufze dann erleichtert. Meine Brüder haben sich wirklich zurückgezogen, zumindest fürs Erste. Irgendwie bin ich schon wieder etwas nervös und das liegt wahrscheinlich an ihr. Was Bernadette nun sagen wird? Als ich mich zu ihr umdrehe, sehe ich gerade, wie sich das Mädchen neugierig umsieht. Schließlich war sie erst einmal hier und da hatte sie keine Möglichkeit für eine „Sightseeingtour“. „Sag mal, was ist das hier eigentlich?“, fragt sie mich und ich antworte ihr leicht murmelnd: „Das ist unser Dojo, sowas wie eine Trainingsstätte. Hier trainieren wir meistens.“ „Verstehe.“, meint sie nur und betrachtet zunächst die unterschiedlichen Waffen, die an den Wänden hängen. Anschließend springt sie lächelnd auf die sechseckige Plattform, welche wir quasi als „Ringarena“ benutzen. „Ich schätze mal, dass ihr hier verstärkt euer Kampftraining macht, oder?“, vermutet Bernadette, hüpft dann wieder von der Kante herunter und setzt sich schließlich darauf. Ich dagegen nicke einfach, während sie weiterplappert: „ … Also ich glaube, das wäre nichts für mich.“ „Was?“, hake ich fragend nach, weil ich nicht so ganz weiß, was sie jetzt damit meint. Dabei lacht sie ein wenig und erklärt mir: „Naja, ich meine das Kämpfen. Nicht, dass ich nicht gut zuschlagen könnte, aber so wie du das zum Beispiel machst, dafür hätte ich wohl nicht die Geduld.“ „Ist alles eine Frage der Übung.“, werfe ich etwas angeberisch und achselzuckend ein, worauf sie schmunzelt: „Klar, dass du das sagst. Immerhin machst du das sicherlich schon dein ganzes Leben. … Ich dagegen würde wohl genau das Gegenteil von dem machen, was man mir sagen würde. Ich handle da mehr nach Gefühl, wenn es in dem Moment überhaupt möglich ist. Da würde Meister Splinter wohl an mir verzweifeln.“ In diesem Moment muss ich selbst ein wenig lachen. Sie und Ninjutsu? Das wäre wirklich kaum vorstellbar. Nicht, dass ich sie beleidigen will und ich wage es auch erst gar nicht, das laut zu auszusprechen, aber sie und kämpfen und das vielleicht sogar mit einer Waffe in der Hand? Nein, das würde nicht gut gehen. Wobei das für meine Augen sicherlich lustig wäre. Bei den Gedanken, dass Bernadette sich besonders am Anfang eher umständlich aufführen würde, bringt mich einfach zum Schmunzeln. Doch mein Lächeln verschwindet wieder, denn ihr Satz von vorhin kommt mir wieder in den Sinn. Der Gedanke daran, dass sie mit mir unter vier Augen reden will, heißt, dass mit ihr wohl doch nicht gut Kirschenessen ist. Langsam werde ich ziemlich sicher, dass sie doch sauer auf mich ist und sich vorhin nur aus Höflichkeit etwas zurückgenommen hat. Es wäre nicht unüblich für sie. Immerhin hat sie mir bereits oft genug erzählt, wie oft sie sich unter Kontrolle halten muss, um ja keinen Fehler zu machen. Auch wenn ich mal zu ihr gesagt habe, dass das auf Dauer schwachsinnig ist, wird sie dies wohl nicht so schnell umstellen können. Jetzt, wo wir alleine sind, wird sie das vermutlich nicht mehr tun. Ich warte irgendwie nur darauf, dass sie mich jetzt darauf anspricht, denn mir selbst fehlen irgendwie die Worte dafür. Hinzu kommt, dass ich nicht auch noch ins nächste Fettnäpfchen treten möchte. Etwas unsicher warte ich nun und räuspere mich dann, da von ihrer Seite nichts kommt. Diese Stille ist jetzt irgendwie unangenehm für mich. Sie macht mich einfach noch nervöser, als was ich ohnehin schon bin. Jedoch kann ich das Gespräch nicht wirklich anfangen. Zu meiner Erleichterung muss ich das auch gar nicht. „Ich habe dich schon lange nicht mehr gesehen.“, sagt sie völlig ruhig und sieht mich dementsprechend auch an. Ich horche auf. Irgendwie klingt es, als wenn sie mich vermisst hätte. Ich höre keinen Zorn heraus und das verwirrt mich. Zögerlich fange ich schließlich an, meinen Mund aufzumachen: „Dachte, du wärst … vielleicht sauer auf mich.“ Jetzt scheint sie etwas perplex zu sein. Denn sie sieht mich mit einem fragenden Blick an und widerspricht mir: „Wie kommst du darauf? Ich hatte vielmehr das Gefühl, dass du wegen irgendetwas angepisst bist.“ „Mehr, oder weniger, aber es hatte nichts mit dir zu tun. … Vielmehr habe ich eher geglaubt, dass du nach dem Abend mich halt fürs Erste nicht sehen wolltest.“, gestehe ich ihr, aber Bernadette hat dies wohl anders gesehen. Kopfschüttelnd erzählt sie mir: „Warum sollte ich sauer sein? Klar war es merkwürdig für mich, dass du so seltsam drauf warst. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich nicht sehen will. … Glaub, mir, wenn sowas mal wirklich vorkommen sollte, dann hörst du das beinhart aus meinem Mund. Das garantiere ich dir. … Nur … Ich habe mich halt ständig gefragt, ob alles ok bei dir ist. Zuerst glaubte ich, dass du wieder so viel zu tun hättest, wie es schon mal öfters der Fall war, aber als Leo …“ Weiter kommt sie nicht, denn als Leos Name erwähnt wird, unterbreche ich sie schlagartig. Was hat der jetzt damit zu tun?! Irgendwie spüre ich, wie aus dem beklemmenden Gefühl der Zorn in mir hochsteigt. Zuerst sind es Donnie und Mikey, die mir wegen ihr ständig auf die Pelle rücken und jetzt mischt sich auch noch der „ach so tolle“ Anführer in die Sache ein. Vermutlich ist er auch derjenige gewesem, der Bernadette zu uns nach Hause gebracht hat. Ich könnte ihm … ! Doch ehe, ich irgendetwas vor Wut aus mir herausbekommen kann, übernimmt Bernadette das Machtwort: „Hey, jetzt reg dich wieder ab! Bevor du wieder an die Decke gehst, solltest du mal besser begreifen, dass deine Brüder nur um dich besorgt sind. Und obwohl mir Leo sonst die kalte Schulter zeigt, scheint auch er langsam kapiert zu haben, das ich eigentlich ganz ok bin.“ Stutzig horche ich auf. Denn dass Leo nicht wirklich gut auf Bernadette zu sprechen ist, ist noch milde ausgedrückt. Nur was meint sie jetzt damit? Ich höre ihr schnaufend weiter zu und erfahre schließlich, was in letzter Zeit bei ihr los war. Sie erzählt mir von dieser Furie, namens Lucinda, von ihrer Prüfung und auch von der Drohung. Je mehr ich davon höre, desto mehr weicht mein Zorn auf Leo. Stattdessen begreife ich, dass Bernadette wieder einmal etwas mit sich herumschleppen musste und ich Hornochse war nicht für sie da. Ich weiß doch, dass sie niemanden zum Reden hat und diese Schreckschraube von Tante bräuchte dringend mal eine Grundsanierung! Allerdings war das noch nicht alles. Denn die Krönung war noch der Überfall auf sie und ihre Mutter, was sich erst gestern abgespielt hatte. Allein der Gedanke, dass sie mit einer Waffe bedroht wurde, lässt mein Herz erstarren. Die Sache, dass sie beide von meinem Bruder gerettet wurden, beruhigt mich keineswegs. Denn an Leos Stelle hätte ich an Bernadettes Seite sein müssen. Ich hätte sie und ihre Mutter beschützen müssen. Was habe ich stattdessen getan? Ich habe mir was eingebildet, meine Brüder wegen jeder Kleinigkeit angeschnauzt und mich scheinbar von der ganzen Welt zurückgezogen. Wütend balle ich meine rechte Hand zu einer Faust. Das hätte nicht passieren dürfen! Ich hätte das verhindern müssen! Ich hätte an Bernadettes Seite sein müssen! Das ist doch echt zum Verrücktwerden! Für mein idiotisches Verhalten könnte ich mir glatt selbst eine verpassen! Sie hatte noch großes Glück gehabt, dass ihr nichts passiert ist, aber was wäre gewesen, wenn Leo nicht da gewesen wäre? Hätte er sie nicht meinetwegen aufgesucht, dann wäre sie … . Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was dann wirklich passiert wäre. Mich wundert es nur, dass Bernadette jetzt so ruhig ist. Sie scheint kein bisschen sauer auf mich zu sein und dabei hätte sie doch allen Grund dazu. Warum also schimpft sie dann nicht mir, oder schreit mich an? „Kommt runter Raphael. Es ist ok, jetzt können wir so oder nichts daran ändern. … Das nächste Mal aber redest du mit mir, bevor du wieder auf dumme Ideen kommst.“, meint sie und schaut mir dabei grinsend ins Gesicht. Sie hat ja Recht. Wenn ich mit ihr geredet hätte, hätte ich meinen Irrtum schnell bemerkt. Ich weiß aber, dass das nicht noch einmal vorkommen darf. Aufheiternd knufft sie mir in die Seite: „Und, alles wieder ok?“ Ich nicke, während ich sie leicht lächelnd ansehe und sie schmiegt nun ihren Kopf gegen meinen Arm. Ich habe echt keine Ahnung, wie sie das immer macht, aber sie schafft es immer wieder, dass ich mich mit der Zeit wieder beruhige und ich mich einfach bei ihr wohlfühle. Noch dazu freue ich mich jetzt, dass sie hier ist. Wer weiß, wie lange ich noch wie ein kleines Kind geschmollt hätte, hätte ich da nicht einen kleinen Denkzettel verpasst bekommen. Noch dazu bemerke ich, wie sehr ich sie vermisst habe. Kapitel 16: Die erste Warnung ----------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Etwas müde schlürfe ich durch den Gang des Schulgebäudes. Leider ist das Wochenende schon wieder vorbei. Am liebsten hätte ich noch gerne mindestens zwei weitere Tage drangehängt, wenn nicht schon eine Woche. Denn so richtig erholen, konnte ich mich nicht wirklich. Mom dagegen konnte sich mit Tante Tina seelenruhig entspannen. Vermutlich hat einer dieser Massagen, oder die Sauna bei ihr Wunder bewirkt. Denn als ich sie gestern wiedersah, strahlte sie übers ganze Gesicht. Ob sie allerdings die Begegnung mit Leo vergessen hat? Ein wenig zweifle ich noch daran. Schließlich war sie am Freitag mehr als nur übel drauf, aber so lange sie jetzt so gechillt ist, brauche ich mir wohl keine Sorgen zu machen. Noch dazu hat weder sie, noch meine Tante von meinem heimlichen Ausflug etwas mitbekommen. Bei der Frage, was ich so gemacht hätte, behauptete ich einfach, dass ich entweder für die Schule gelernt, oder einfach nur gechillt hätte. Wenn sie wüssten, dass ich bei meinen heimlichen Freuden in der Kanalisation war, würden die glatt durchdrehen. Den Samstag hatte ich glücklicherweise für mich und am Abend konnte ich endlich wieder mit Raphael reden. Obgleich mir dieses eine Thema noch immer irgendwie im Magen liegt. Ich weiß zwar bis jetzt noch nicht so richtig, wieso er das ganze Theater veranstaltet hatte, aber ich wollte einfach nicht länger darauf rumreiten, geschweige mit ihm darüber streiten. Als ich ihn endlich sah, freute ich mich einfach. Denn er ist mir in den letzten Nächten einfach abgegangen. Seine fehlende Gesellschaft machte sie einfach leer, weswegen ich einfach nur glücklich war, als ich hinter seiner Zimmertür sein verdutztes Gesicht entdeckte. Dass ich plötzlich in seinem Zuhause aufkreuzen würde, hatte ihm vollkommen die Sprache verschlagen, aber dass er sich ebenso freute wie ich, war deutlich von seinem Gesicht abzulesen. Wozu also dieses dumme Theater? Er ist schon irgendwie ein komischer Kerl und auch jetzt noch frage ich mich, was in diesem Dickschädel so alles vor sich geht. Gerade Männer sind da irgendwie eigen. Da sind meine Brüder wohl nicht viel anders und da heißt es, dass wir Frauen das anstrengende Geschlecht sind. – Von wegen! Manchmal denke ich, dass die Männer wohl eher von einem anderen Planeten stammen, aber was soll´s. Auch wenn unser Gespräch am Anfang irgendwie umständlich verlief, weiß ich zumindest einige Dinge besser und dass es schlicht und einfach nur ein Missverständnis war. Manches verstehe ich allerdings noch immer nicht so ganz. Das ist genau der Grund, warum ich noch immer etwas darüber nachgrüble, aber andererseits bringt es sich nichts, sich noch länger darüber den Kopf zu zerbrechen. Viel wichtiger ist es mir, dass ich mir solch ein Theater nicht noch öfters antun will. Den erlebe ich nämlich bereits in meinen eigenen vier Wänden und das reicht mir. Somit ist für mich die Sache mehr oder minder abgehakt und ich konnte noch eine schöne Nacht bei den Jungs verbringen. Der Sonntag sah allerdings wieder etwas anders für mich aus. Nicht, dass ich mich wieder einmal mit Zoff und dergleichen auseinandersetzen musste, aber wenn sowohl meine Mom, als auch meine Tante die Zeit mit mir verbringen wollen, dann muss man seine Kraftreserven ausschöpfen. Zumal mir Tante Tina wieder mit ihrem Rosa-Fimmel auf dem Wecker ging und ich zumindest eines ihrer „Kollektion“ anziehen musste. Nur damit meine Mutter mal ein Bild davon bekam und sich auch darüber freuen konnte. Solange wurde diskutiert und gefeilscht, bis wir uns alle einig waren, dass es nur bei diesem einen Kleidungsstück blieb. Darauf bestand ich einfach, ansonsten wäre vermutlich der nächste Krieg ausgebrochen und dieser wäre diesmal von mir aus gegangen. Jedoch bin ich froh, dass ich endlich einmal nicht mit Vorwürfen und mit den sonstigen Problemthemen bombardiert wurde. Wäre es so gewesen, hätte ich mich einfach wieder in mein Zimmer verbarrikadiert und auf Sturschädel umgeschaltet. Dafür bekam ich etwas zu hören, was weit mehr interessanter für mich war und auch mal nicht mit mir zu tun hatte. Mom erzählte mir von ihren Reisen und welche Orte sie in den letzten Monaten gesehen hatte. Als ich sie das letzte Mal sah, war das, glaube ich, vor etwa vier Monaten. Da hatte sie allerhand erlebt und sogar aufgezeichnet. Sowohl Fotos, als auch kurze Filme bekam ich zu sehen. Eines davon war Peking. An diesem Ort besuchte meine Mutter einige Kulturhäuser, sowie auch den einen oder anderen Tempel. Im südlichen Teil der äußeren Stadt sah sie sich Tiantan, oder auch Himmelstempel genannt, näher an. Wenn ich so über die einzelnen Bilder wandere, so beneide ich meine Mom. Denn ich möchte ebenfalls reisen, die Welt ansehen und so manches entdecken, was ich einfach zuvor noch nicht kannte. Jedoch stecke ich mit meinen sechzehn Jahren hier fest und so lange ich kein eigenes Geld habe, kann ich nur weiterhin davon träumen. Allerdings, wer weiß, was noch kommt? Immerhin habe ich nie in meinem Leben damit gerechnet, jemanden wie Raphael und seine Familie kennen zu lernen. Das kann wohl niemand von sich behaupten, daher kann noch einiges auf mich zukommen. Ich bleibe da optimistisch. Ich bin gerade tief in meinen Gedanken versunken und lasse mir das Wochenende noch einmal durch den Kopf gehen. Allein für die paar Tage habe ich wieder einiges erlebt und mir war nicht langweilig. Egal ob es bei mir zuhause war, oder bei meinen heimlichen Freunden. Irgendwie muss ich sogar grinsen, während ich an Raphael denke. Es tat einfach gut, wieder eine gemeinsame Zeit mit ihm zu verbringen und am liebsten hätte ich noch weiter darüber nachgedacht, als ich plötzlich jemanden angerempelt habe. „Entschuldigung, ich war gerade …“, will ich in diesem Moment erschrocken sagen, als ich aufblicke und erkenne, wer da eigentlich vor mir steht. Denn es ist Madison, eine der fünf Verräter und gerade sie wagt es, mir unter die Augen zu treten! So ist es auch nicht verwunderlich, dass mir der Rest der Entschuldigung förmlich im Hals stecken bleibt und der Groll sich stattdessen in mir breitmacht. Die hat mir gerade noch gefehlt! Gerade, wo ich mal meinen Frieden gehabt habe und den auch eigentlich genießen wollte. Wer kommt jetzt noch?! Ist der Rest der Bande auch noch in der Nähe?! Muss ich ihnen wieder klarmachen, wer eigentlich an meinem Unglück schuld ist, oder bleibt es bei einen dieser Überläufer?! Mit großen blauen Augen steht das Mädchen mit den schulterlangen schwarzen Haaren vor mir und sieht mich vorwurfsvoll an. Ich glaube aber kaum, dass sie jetzt das Recht hat, mich so anzuglotzen, denn immerhin ist sie es gewesen, die mich wegen Lucinda einfach im Stich gelassen hat. So wie es auch bei den Anderen der Fall war. Zusammen sind sie nichts weiter, als ein hohler Abschaum, die es eigentlich nur verdient hätten, wenn Albträume, oder Sonstiges sie bis aufs Blut quälen. Doch wer hier wieder gequält wird, bin leider ich. „Sag mal, bist du noch zu retten?!“, fragt sich mich schon leicht hysterisch und aufgebracht, während sie dabei mehrere Male kurz an ihre Stirn tatscht. Als wolle sie mir damit noch mehr verdeutlichen, dass ich nicht mehr alle beisammenhätte. Allerdings habe ich im ersten Augenblick keine Ahnung, wovon Madison eigentlich redet. Was soll ich ihrer Meinung nach, denn schon getan haben? Das kann jetzt wohl kaum mit dem Zusammenprall zusammenhängen, oder? Andererseits, warum sollte mich das überhaupt kümmern? Es ist einfach nur das Geschwätz einer Verräterin, die es nicht einmal verdient hat, dass ich mich mit ihr überhaupt abgebe und wenn sie bis heute noch nicht kapiert hat, dass sie auf der falschen Seite steht, dann ist wohl sie nicht mehr zu retten. „Halt´s Maul und lass mich durch.“, murmle ich einfach mit einem boshaften Ton, während ich den Blickkontakt zu ihr meide. Ich will schon mit erhobenem Haupt an ihr vorbeigehen, aber sie wagt es tatsächlich, mich zurückzuhalten und spricht mich auch noch wegen voriger Woche an: „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?! Wieso hast du sie wegen diesem blöden Test nicht einfach abschreiben lassen?!“ Ach so, daher weht also der Wind, aber was geht sie das an? Das ist immerhin eine Sache zwischen mir und der Möchtegernkönigin, oder wurde sie etwa höchstpersönlich von ihr geschickt, damit ich mich ja auf meine nächste Tortur bereitmachen kann? Sie soll nur kommen, denn ich habe mir nichts vorzuwerfen! Ich habe richtig gehandelt und bin mir selbst treu geblieben! Dass die Bitch das nicht wahrhaben wollte, ist nicht mein Kaffee! Daher: Pech gehabt! „Was mischt du dich überhaupt ein?! Das geht dich einen feuchten Dreck an und jetzt scher dich zum Teufel!“, gifte ich sie zornig an und reiße mich dabei von ihrem Griff los. Allerdings weigert sie sich und lässt mir keine Ruhe. Stattdessen werde ich von ihr an den Schultern gepackt und nun von ihr angeschrien: „Mensch, Bernadette! Du weißt ja nicht, was du da getan hast! Du hast nun endgültig eine Lawine ins Rollen gebracht! … Geh lieber zu ihr und versuche es wieder gut zu machen. Entschuldige dich, sie wird dich sonst endgültig fertigmachen! Du wirst keinen weiteren Tag an dieser Schule überstehen! Glaub mir!“ „Ich glaube wohl eher, du bist nicht ganz dicht?! Wofür sollte ich mich überhaupt entschuldigen?! Wenn sie nicht lernt, ist das nicht mein Problem! Wie komme ich dazu, ihr den Hintern zu retten und meinen Hals dafür zu riskieren?! Soll sie sich doch selbst um ihren Scheiß kümmern, dafür hat sie ja doch ihre Meute! Wozu braucht sie da also mich?!“, kontere ich und ich spüre förmlich, wie mein Zorn immer weiter anwächst. Nichts weiter als Verachtung habe ich für diese Tussi übrig und das gilt sowohl für Madison, als auch für diese Teufelsbrut. „Du hast wohl wirklich keine Ahnung, was du da angerichtet hast.“, wiederholt sie sich und ist dabei fassungslos, aber das bewirkt bei mir nur, dass ich sie nur weiteranschreie und sie mit ihrem Verrat konfrontiere: „Was kümmert es dich überhaupt! Gerade du Verräter solltest besser aufpassen, was du sagst! Denn wer hier etwas falschgemacht hat, bist nämlich du! Hättest du nur an meiner Seite gestanden, als ich dich und auch die Anderen am meisten gebraucht habe, aber ihr alle habt mich wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Allein nur wegen ihr!“ „Ja aber …“, versucht Madison mir zu wiedersprechen, aber ich bin noch lange nicht fertig mit ihr: „Nichts aber! Dir ist es doch bis heute egal gewesen, ob ich fertiggemacht werde, oder nicht! Warum kommst du mir jetzt auf einmal damit?! … Immer wieder habe ich dich aufgesucht, dich um Hilfe angefleht und versucht unsere Freundschaft zu retten! Und was hast du gemacht?! Du hast mich gemieden wie die Pest und dabei zugesehen, wie ich zu Boden gestampft werde, wenn du nicht sogar selbst Hand angelegt hast! … Nein … Darauf kann ich nun wirklich verzichten!“ Ich weiß, dass mein Leben die Hölle ist. Lucinda hat dies ja bereits Tag für Tag unter Beweis gestellt und mich das auf verschiedenster Art und Weise spüren lassen. Glaubt sie etwa wirklich, ich bin bescheuert und habe das die ganze Zeit nicht mitbekommen?! Wie dumm muss man dabei sein? Die hat doch wirklich jeden Funken Verstand und den Blick zur Realität verloren! Sonst hätte sie schon längst mitbekommen müssen, wie sehr mich das belastet. Ich habe meine Freunde verloren, muss allmöglichen Schikanen über mich ergehen lassen, werde bedroht und trotz allem kämpfe ich weiter! Weil ich einfach ich sein will und niemandem wie ein Schoßhündchen hinterherdackeln, geschweige alles nachplappern möchte. Mein Stolz ist einfach noch das Einzige, was ich von meiner Vergangenheit habe und das lasse ich mir von niemandem nehmen! Egal ob es nun Madison ist, oder Lucinda höchst persönlich! Auf ihre falsche Tour scheiße ich einfach! Mit einem, und das muss ich fairerweise sagen, hat sie allerdings Recht: Mit der Schnepfe ist nicht gut Kirschen essen und noch bevor der Geschichtstest überhaupt stattgefunden hat, habe ich mir bereits ihre Warnungen anhören müssen. Dass nun bald darauf was folgen wird, ist unbestreitbar. Allerdings steht auch fest, dass das nichts Neues mehr für mich ist und selbst, wenn ich getan hätte, was mir „ihre Hoheit“ höchstpersönlich befohlen hatte, wer hätte mir zu hundert Prozent garantieren können, dass sie ihr Wort hält? Genau, nämlich niemand und dieser Bitch kann man auch nicht vertrauen. Wer dies tut, der darf demnächst sein blaues Wunder erleben. Nicht umsonst misstraue ich ihr. Lucinda ist und bleibt eine falsche Schlange und das beweist sie immer wieder aufs Neue. Genau aus diesem Grund gehe ich auf keinen Fall einen Pakt mit ihr ein und ich werde außerdem mit Sicherheit nicht auf Knien zu ihr kriechen und um Verzeihung bitten. Dafür, dass ich nicht einmal etwas Falsches getan habe, ist sie nicht einmal eine Sekunde meiner Zeit wert. Noch dazu wäre das nicht nur lächerlich, ich würde dann auch noch meinen Stolz verlieren und das kann Lucinda ein für alle Mal vergessen! Ich habe mich schlicht und einfach auf mich selbst konzentriert und wenn sie nicht fähig ist, für die Prüfung zu lernen, ist das nicht mein Kaffee! Vielleicht ist dieser blöden Kuh sogar mal ein Licht aufgegangen, dass es nicht immer so funktioniert, wie man das halt haben will und wenn das nicht in ihren Schädel will, dann hat sie eben Pech gehabt! Die ganze Zeit über, während ich meine Worte nur so an Madisons Birne gepfeffert habe, hat sie mich mit einem geschockten Blick und einem offenen Mund angestarrt. Keine Sekunde habe ich ihr auch nur geschenkt, damit sie sich wehren, oder auch nur irgendetwas erwidern kann. Dafür hat sie sich von mir einiges anhören lassen müssen und je mehr sie es tat, desto bleicher ist ihr Gesicht geworden. Anscheinend haben sich doch Schuldgefühle in sie hineingeschlichen. Zumindest wirkt sie gerade auf mich so, aber das ist mir vollkommen egal. Soll sie es doch ruhig mit der vollen Breite spüren, aber das wäre noch immer nur eine Bruchzahl von dem, was ich tagtäglich durchmachen muss. Selbst wenn es nicht so ist und sie sich einfach nur davor gefürchtet hat, ich würde ihr demnächst auch noch eine scheuern. So allerdings tat es mir einfach gut, endlich mal Dampf abzulassen. Noch dazu galt es mal jemandem, der schon viel zu lange davor verschont worden war. Wobei es eigentlich nicht nur sie betreffen sollte, aber fürs Erste reicht es mir und momentan will ich mit ihr einfach nichts mehr zu tun haben. Mit einem Schwung schiebe ich Madison schließlich zur Seite und lasse sie verdattert stehen. Mir ist es egal, wie sie sich jetzt dabei fühlt. Dafür wurde ich von ihr und von den Anderen viel zu sehr und viel zu oft verletzt. Zu meiner Überraschung lässt mich Lucinda für heute so weit in Ruhe. Ständig warte ich darauf, dass sie mich wie eine Furie anspringt und mich zur Schnecke macht. Denn das kann doch alles noch nicht gewesen sein. Außerdem wäre Madison dann nicht zu mir gekommen und hätte mich wegen dem Test belästigt. Ich bin mir einfach zu hundert Prozent sicher, dass die Tussi ihre Finger im Spiel hat. Auch wenn ich nicht genau weiß, was Lucinda damit bezwecken wollte. Warum hätte ich gerade auf jemandem hören sollen, welcher mich verraten hat? Das ergibt für mich einfach keinen Sinn und genau das betrifft auch den heutigen Tag. Denn warum werde ich diesmal verschont, wenn ich doch scheinbar „das größte Verbrechen der Welt“ begangen habe? Ich merke nur, wie sie und ihre Kumpanen mich ständig mit diesem bösartigen und stechenden Blick ansehen, wenn ich ihnen wieder einmal über den Weg laufe. Mehr passiert allerdings nicht, aber warum? Ich habe den schweren Verdacht, dass sie etwas planen und daher noch einiges auf mich zukommen wird. Denn das lässt Lucinda sicherlich nicht auf sich sitzen. Dafür kenne ich sie zu gut. So gern ich es auch abstreiten würde, aber neben meinem Zorn ist dennoch auch die Angst deutlich spürbar. Als wenn sie sich leise und Schritt für Schritt immer deutlicher bemerkbar machen wolle, dass das noch lange nicht gewesen ist und ich mich bereithalten muss. Egal, was auch kommen mag. Ich weiß einfach, dass ich alleine kaum bis gar keine Chance habe. Wie würde das auch gehen? Sich gegen eine ganze Meute aufzulehnen ist einfach unmöglich, da brauche ich nicht lange darüber nachdenken. Noch dazu habe ich keinen blassen Schimmer, was demnächst auf mich zukommen wird. Allein schon, dass Madison heute Morgen bei mir war, lässt meine Fantasie etwas verrücktspielen. Ich kann mich einfach auf nichts vorbereiten, geschweige irgendetwas dagegen unternehmen und genau hier liegt der Knackpunkt. „Toll“ und zusätzlich darf auf keinen Fall jemandem meine Angst zeigen. Es würde sie nur stärker und mich dagegen schwächer machen. Zwar konnte ich diese Tatsache über das Wochenende gut verdrängen und sogar meine Schadenfreude auftreten lassen, aber in ihrer Nähe kommt dieses beklemmende Gefühl leider wieder hoch. Gerade weil ich keine Ahnung habe, was demnächst auf mich zukommen wird, lässt sich diese beschissene Angst einfach nicht abstreifen und dabei ist es doch lächerlich. Ich weiß ja, dass ich mich nicht so einfach unterkriegen lassen will und diese Tussi und all die anderen brauchen nicht glauben, dass ich einfach so leicht kleinbeigebe und dann wie ein Häufchen Elend um Gnade winsle. Noch dazu hat sich noch etwas in meinem Leben geändert, wodurch sich mein Wille gestärkt hat: Ich bin nicht mehr allein, auch wenn es so aussieht. Ich habe Raphael und eigentlich auch die Unterstützung seiner Brüder. Wenn sie doch nur auch bei mir in der Schule sein könnten, wenn ich mal Rat brauche, aber das geht leider nicht. Zumindest weiß ich, dass ich mich an jemanden wenden kann und das muss erstmal reichen. Noch etwas mulmig im Bauch kann ich schließlich den Tag irgendwie überstehen und nebenbei freue ich mich schon auf den bevorstehenden Abend. Ich hoffe nur, dass ich heute wieder mein Zimmer absperren und abhauen kann. Auf ein mögliches Gezeter von meiner Tante und meiner Mutter habe ich nämlich keine Lust. Erzählersicht: Vorsichtig huscht ein Mädchen mit schwarzen Haaren durch die Gänge der Schule. Es ist Madison, die am Morgen mit Bernadette gesprochen hatte. Seitdem hat sie diese wieder gemieden, auch wenn sie es nicht lassen konnte, ihre ehemalige Freundin ständig zu beobachten. Bernadettes Worte hallen immer noch in ihrem Kopf, aber Madison ist sich sicher, das Richtige getan zu haben. Immerhin hatte auch sie einst eine schwere Entscheidung getroffen und bis heute nicht bereut. Nur eines hat sie bis jetzt nie ganz losgelassen und zwar, dass Bernadette die Einzige von ihrem Freundeskreis war, welche sich nicht anpasste, sondern stur ihren Dickkopf durchsetzte. So wie es auch heute Morgen wieder einmal der Fall war. „Wenn du nicht daraus lernen willst, bist du selbst schuld daran. Dann kann dir einfach keiner mehr helfen.“, denkt sie sich, als sie wieder einmal in ihren Gedanken ihre ehemalige Freundin vorstellt. Zugern hätte sie es ihr direkt ins Gesicht gesagt, doch dafür hatte sie keine Gelegenheit gehabt. Bernadette ließ sie einfach nicht zu Wort kommen und sie glaubte auch, dass sie es ohnehin nicht über ihre Lippen gebracht hätte. Dafür fehlte ihr der Mut. Jetzt lehnt sie sich gerade an der Hausmauer an und beobachtet gerade, wie Bernadette das Grundstück verlässt und sich mit dem Rucksack auf dem Rücken auf dem Weg macht. Eine Weile wartet sie und blickt um sich, aus Angst sie könne womöglich beobachtet und belauscht werden. Erst als sie sich sicher ist, dass der Moment günstig ist, zückt sie ihr lilaschimmerndes Handy aus der Tasche und drückt dieses wenig später an ihr linkes Ohr. „Ja?“, hallt eine genervte Mädchenstimme auf der anderen Leitung. Madison braucht allerdings noch eine Sekunde, bis sie endlich darauf antworten kann: „Ich habe getan, was du wolltest Lucinda, aber Bernadette hat sich nicht umstimmen lassen. … Egal was ich gesagt habe, sie hat mich einfach eiskalt stehen lassen.“ Für einen kurzen Moment ist es ruhig und Madison wird langsam unsicher. Sie kennt Lucinda und weiß, dass sie heute keine gute Laune hat. Auch wenn sie den Grund dafür weiß und nicht auf der Abschussliste steht, fühlt sich die Schwarzhaarige nicht wohl bei der Sache. Etwas nervös wartet Madison nun geduldig, bis Lucinda endlich weiterspricht: „Das war mir von Anfang an klar, oder hältst du mich für etwa für dumm?!“ Lucindas Stimme klingt am Ende erzürnt und vorwurfsvoll, woraufhin sich Madison entschuldigen möchte: „Nein Lucinda, aber ich dachte …“ Weiter kommt das Mädchen nicht. Lucinda unterbricht sie mitten im Satz und ihrer Wut scheint jetzt noch größer als vorhin zu sein: „Du bist nicht fürs Denken zuständig! Lass das also lieber, sonst machst du mir mehr Ärger, als was du mir wert bist! … Fürs Erste war´s das einmal. Ich melde mich, falls ich dich wieder brauchen sollte.“ „Aber … du sagtest …“, will Madison schon erwidern, wird aber wieder in ihre Schranken gewiesen: „Wag es ja nie wieder, mich zu unterbrechen! Vergiss nicht, dass du das tun musst, was ich dir sage! Du weißt ja, was dann passieren wird.“ Madison schluckt schwer, denn sie weiß ganz genau, was Lucinda damit meint. Sie möchte es sich gar nicht vorstellen. Da wäre es nur ein Fehler, wenn sie ihr jetzt widersprechen würde. Nur ein klägliches „Ja“ ist auf der anderen Seite zu hören, woraufhin Lucinda nur lachen kann: „Na also, sind wir wohl doch nicht so beschränkt. … Also hör jetzt gut zu und ich werde mich gewiss nicht noch einmal wiederholen: Ab jetzt wirst du wieder den Kontakt zu dieser Möchtegernfranzösin meiden. Ist das klar?! Kein Brief, keine Email, kein Telefonat, nichts! … Wenn ich deiner wieder bedarf, werde ich mich melden.“ Mit den letzten Worten legt Lucinda einfach auf. Madison kommt erst gar nicht dazu, etwas dagegen zu erwidern, geschweige mit einem „Ich habe verstanden.“ zu antworten. Sie hat nicht einmal richtig den Mund aufgemacht und Luft geholt, da war das Gespräch schon abrupt zu ende. Jedoch wird sie genau das tun, was Lucinda gerade befohlen hat. Schließlich und endlich hat sie sich für dieses „Leben“ entschieden. Aus Bernadette Sicht: Etwas ungeduldig warte ich auf dem bevorstehenden Abend. Die Schule hat heute wieder einmal meine Nerven strapaziert und ich sehne mich nach Abwechslung und Ablenkung. Dass meine Mom heute wieder einmal etwas unternehmen will, ist für mich ja nichts Neues. Schließlich ist sie das fast ganze Jahr hindurch unterwegs und wenn sie mal wieder zu Hause ist, dann wird sie von jedem, den sie kennt, in Beschlag genommen. Daher erstaunt es mich keineswegs, dass sie einen Anruf von einer ihrer Freundinnen erhalten hat, die sie schon lange nicht mehr gesehen hat. Allein das Gespräch am Telefon hat schon so lange gedauert, dass ich schon geglaubt habe, sie würde dafür noch einen ganzen Tag brauchen. Allerdings verstummte das ständige Gekicher irgendwann und stattdessen hörte ich Sätze, wie „Gut … ja, geht klar. … Holst du mich? … Ach wunderbar und wann genau kommst du? … Gut, mach ich. Wir sehen uns dann. Bussi!“. Vermutlich geht sie heute mit ihrer Freundin ins Kino, oder unternimmt etwas anders mit ihr. Ich weiß es nicht und ich muss leider zugeben, dass ich etwas neidisch auf meine Mom bin. Bei mir selbst ist es schon lange her, dass ich mit ein paar Mädels ausgegangen war. „Meine Leute“ sind nun nicht mehr meine Freunde und gerade heute ist mir eine von ihnen begegnet, mit der ich früher so viel Spaß gehabt hatte. Gerade bei Madison war das für mich so unvorstellbar, weil sie sonst immer ein freundlicher und zuvorkommender Mensch war. Dass sie sich aber dann mit einem Schlag so geändert hatte und sie nun lieber auf der falschen Seite sein möchte, anstatt zu seinen Freunden zu stehen, hatte mir schnell die Augen geöffnet. Irgendwie klingt das schon ziemlich bescheuert. Immerhin bin ich sechzehn Jahre alt und verbringe die meiste Zeit eher zu Hause. Zumindest ist es so, seitdem ich von Tante Tina zwei Wochen lang Hausarrest bekommen habe und ich nach der Schule direkt nach Hause kommen muss. Zwar ist die Frau jetzt etwas lockerer drauf, weil sich seit dem Vorfall mit der Toilettentür die Schule nicht mehr bei ihr gemeldet hat, aber sie besteht dennoch darauf. Manchmal begreife ich sie nicht und das ist noch untertrieben gesagt. Ich kann sie aber nicht ändern, geschweige wirklich gegen sie rebellieren. Es würde nur das Ganze schlimmer machen, auch wenn ich mich selbst immer wieder daran hindern muss, mir die Fragen „Warum? Wieso? Weshalb?“ zu stellen, denn eigentlich kann ich es mir sparen. Ein wenig vermisse ich meine langen Spaziergänge nach der Schule, denn diese waren das Einzige, was mich von der Schule etwas ablenken konnte, auch wenn das nicht immer funktioniert hat. Allerdings konnte ich stets etwas Anderes sehen und musste mich nicht wie jetzt zwischen den Räumlichkeiten meiner Schule und denen meines Zuhauses begnügen. Jetzt sitze ich in meinem Zimmer und warte darauf, dass meine Mom endlich das Haus verlässt. Meine Tante ist zum Glück auch nicht da. Seitdem es bei ihrer Arbeit so boomt, kommt sie ziemlich spät nach Hause und ich hoffe, dass das noch länger so bleibt. Denn so wird es für mich kein Problem sein, von meinen Freunden abgeholt zu werden und ich habe meine Ruhe. Dann kann ich endlich meinem Alltag ein wenig entkommen. Bis dahin muss ich mich allerdings noch ein wenig gedulden. Ich sitze gerade an meinem Schreibtisch und schreibe den letzten Satz meines Aufsatzes in mein Heft, welches bis spätestens Freitag fertig werden muss, als ich meine Mutter höre: „Bernadette, kommst du mal bitte runter!“ „Ich komme schon!“, rufe ich zurück, während ich das Heft schließe und mich von meinem Sessel erhebe. Was meine Mom wohl von mir will? Vielleicht muss ich noch irgendetwas für sie erledigen. Allerdings ist die Wäsche schon längst gemacht und sie weiß ja, dass ich gerade etwas für die Schule mache. Egal, ich bringe es einfach hinter mich und so schlimm wird es wohl hoffentlich nicht sein. Also verlasse ich auf schnellsten Wege mein Zimmer und haste die Stufen hinunter. Ich nähere mich in diesem Moment dem Ende der Treppe, als ich meine Mom sehe, die auf mich zukommt. Ihr Blick ist nachdenklich auf ihren Händen gerichtet und ich merke, dass sie gerade einen weißen Umschlag hält. „Wolltest du nicht schon los?“, frage ich sie, während ich auf sie zukomme. „Ja, aber das habe ich noch vor der Türschwelle gefunden. Es ist an dich adressiert.“, meint sie und überreicht mir den Brief. Als ich mir diesen genauer ansehe, merke ich, dass darauf weder ein Absender, noch eine Briefmarke ist. Nur mein Name steht darauf. Also der Postbote hat den mit Sicherheit nicht geliefert. Nicht so und außerdem wäre der Umschlag im Briefkasten und nicht vor der Haustür gelandet. Und seit wann wird so spät noch Post verschickt, was soll das alles? Meine Mom scheint sich wohl dasselbe zu fragen, doch dann sieht sie auf ihr Handgelenk und wird dabei leicht aufgeregt. Ihre Armbanduhr zeigt ihr schon, dass sie ziemlich spät dran ist, weswegen sie den seltsamen Brief wieder vergisst und sich einfach nur auf dem Weg machen will. Sie verabschiedet sich schnell, indem sie mir geschwind einen Kuss auf der Stirn drückt und schnell aus der Tür eilt. „Hab dich lieb!“, ruft sie mir noch zu und schon ist die Haustür zu. Eine Weile stehe ich noch etwas verdattert auf derselben Stelle da und sehe ihr hinterher. Auch wenn ich weiß, dass sie schon längst weg ist, aber irgendwie bin ich irritiert. Wenn ich daran denke, dass unser Streit im Lokal noch nicht so lange her ist, scheint zwischen uns wieder alles in Ordnung zu sein. Tatsächlich ist es aber nicht so, auch wenn das von außen vollkommen anders aussieht. Ich bin nämlich immer noch sauer auf sie und das aus gutem Grund. Immerhin fühle ich mich in Bezug auf meine Probleme von ihr in Stich gelassen und sie scheint meinen Standpunkt weder verstehen, noch hören zu wollen. Als wenn sie sich nur eine heile Welt wünschen würde, die es einfach nicht gibt und sie kann doch meine Gefühle nicht einfach so ignorieren, nur damit sie in dieser Welt bleiben kann. Wieso hört sie mir nicht zu oder versucht mich zu verstehen? Sie ist zwar körperlich wieder hier, aber geistig ist sie immer noch mehrere Kilometer von mir entfernt. Als wenn ich für sie nur eine Fremde wäre, die zufällig vom selben Blut ist. Seit dem Überfall haben wir das Thema nicht mehr angesprochen, noch über ähnliche Dinge gesprochen. Wobei es mir am Anfang nur mehr als nur recht war. Nur langsam wäre es mir lieber, sie würde mal zur Abwechslung auf mich eingehen, damit ich nicht immer die Starke spielen muss. Ich weiß, dass der Überfall für sie ein großer Schock war und der Anblick von Leo hat ihr auch noch den Rest gegeben. Ich kann es wirklich nachvollziehen und vermutlich würden diese Bilder ihr nur wieder Angst machen, sollte dieser Tag wieder aufgerollt werden, aber sie kann doch nicht ewig ihre Augen davor verschließen und eine glückliche Mutter spielen. Vermutlich glaubt sie sogar, mir würde das nicht auffallen, aber sie kann mir nichts vorgaukeln. Ich bin schließlich ihre Tochter, allerdings werde einfach nur als jemand abgestempelt, welcher nur Ärger macht. Selbst Tante Tina spielt das Ganze runter und hat sogar „nebenbei“ zu mir gesagt, dass ich das Thema einfach abhaken soll. Schließlich würde das keinen Sinn machen und nur für Unruhe in diesem Haus sorgen. Ich sehe das nicht so, denn sie beide schließen dabei mich und meine Probleme mit der Schule mit ein und das geht mir gehörig auf dem Senkel! Von der Beziehung zwischen mir und meiner Mutter enttäuscht, schüttle ich enttäuscht und schnaufend den Kopf und betrachte dann das weiße Papier in meinen Händen genauer. Dass ich einen Brief ohne Absender bekommen habe, lässt meine Gedanken an meiner Mutter sogar abschweifen. Viel mehr noch beschleicht mich ein ungutes Gefühl. „Wer mir wohl was geschrieben hat? Muss wohl sehr dringend gewesen sein, wenn man nicht einmal eine Briefmarke draufgibt. Allerdings gibt es heutzutage sogar etwas Schnelleres und das nennt sich Email.“, murmle ich verwirrt vor mich hin und öffne schließlich den Umschlag. Denn wenn ich nur weiterrate, werde ich es nie herausfinden, daher bringt es nichts weiterhin auf den Brief sinnlos zu starren, wie eine Kuh, wenn´s blitzt. Schon nach wenigen Augenblicken habe ich den oberen Teil aufgerissen und das mehrfach zusammengefaltete Papier herausgeholt. Derjenige, der das wohl verfasst hat, muss anscheinend sehr darauf bestanden haben, dass das nicht gleich gelesen wird. Denn das, was ich da sehe, verwirrt mich im ersten Augenblick nur noch mehr. Mit dem Computer wurde der Text in Spiegelschrift geschrieben und das Nächste was merkwürdig ist, ist, dass nur sehr wenig darauf steht. Warum das alles und dann noch dieser Aufwand? Kann man nicht normal schreiben, wenn man was sagen will? Direkt wäre mir lieber, als diese Geheimniskrämerei. Genervt seufze ich und gehe schließlich ins Badezimmer im Erdgeschoss. Dort stelle ich mich direkt vor dem Spiegel und halte das Papier in Brusthöhe hoch. So kann ich es besser entziffern. Doch das, was ich da gerade lese, lässt das bedrückende Gefühl aus der Schule wieder hochkommen. Denn auf dem Papier steht Folgendes geschrieben: „Füge dich, oder du wirst es bitter bereuen! Nimm diese Warnung ernst, sonst wird es dir schlecht ergehen!“ Kapitel 17: Wenn die Gefühle stärker werden ------------------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: „Füge dich, oder du wirst es bitter bereuen! Nimm diese Warnung ernst, sonst wird es dir schlecht ergehen!“ – Das sind die Worte, welche in diesem ominösen Brief stehen. Wie vom Donner gerührt, stehe ich mir weit aufgerissenen Augen da und starre in den Spiegel. Im ersten Augenblick, als ich diese Nachricht entziffert habe, habe ich das Gefühl, als würde ich gerade so weiß wie die Wohnzimmerwand werden, während mir der Boden unter den Füßen weggerissen wird. Ich schlucke, denn ich habe tatsächlich eine Drohung erhalten, die bis zu mir nach Hause gelangt ist. Besser gesagt, diese lag buchstäblich vor meiner Haustür. Dass ich sonst in der Schule mit diesen kleinen Zettelchen genervt werde, in den öfters mal einer „Warnung“ zu finden ist, ist nichts Neues für mich. Wenn mir solch eine „Mitteilung“ nicht einmal an den Nerven kratzt, so kann ich diese sogar verdrängen, während ich sie mit einem Achselzucken in den nächsten Mistkübel schmeiße und keinen weiteren Gedanken mehr darüber verschwende. Das hier allerdings ist etwas völlig Anderes! Nie! Im meinem ganzen Leben wurde ich von meinen Mitschülern bedroht, während ich in meinen eigenen vier Wänden war! Hier bin ich, mehr oder weniger, in meinem schützenden Rückzugsbereich, zu dem niemand von außen Zutritt hat und nun ist dieser mit einem Mal durchbrochen worden! Ein Gemisch aus Angst und Zorn breitet sich in meinem ganzen Körper aus. Wobei diese Gefühle mehr einer Flutwelle gleichen, in der ich drohe zu ertrinken. Noch dazu kann ich gar nicht unterscheiden, welches von ihnen gerade mehr dominiert. Während meine Wut nach Vergeltung schreit, will sich die Angst am liebsten in den finstersten Winkel verkriechen und auch dort für immer bleiben. Momentan weiß ich nur eines und zwar, dass das langsam zu weit geht! In der Schule kann mich dieses Miststück ruhig terrorisieren. Da bin ich ihr so und so ausgeliefert. Ich habe ja in diesem Irrenhaus doch eh keine Chance, wenn ich alleine kämpfen muss, aber hier will ich verdammt noch mal meine Ruhe haben! Was hat diese Tussi überhaupt eingenommen?! Hat sie etwa zu viel von ihrem Nagellack inhaliert, sodass sie auf eine solch bescheuerte Idee kommen musste?! Wenn ich könnte und sie würde gerade vor mir stehen, so würde ich dieser Schlange solange in die Fresse hauen, sodass man sie nicht mehr wiedererkennen kann! Dieses Miststück kennt doch wirklich keine Grenzen! Woher weiß sie eigentlich, dass ich hier wohne? Das habe ich noch nie in meinen Leben erwähnt. Besonders Lucinda gegenüber würde ich das niemals über die Lippen bringen. Da würde ich mir noch eher eine Bratpfanne ins Gesicht klatschen lassen, ehe ich auch nur auf solch eine bescheuerte Idee kommen würde. Nur wie hat sie das herausbekommen? Sie muss es gewesen sein, denn kein anderer hasst mich so sehr wie sie. Ich bin quasi ihre Erzfeindin, außer sie hat noch jemandem, von dem ich einfach nur nichts weiß. Jedoch ist das im Moment vollkommen irrelevant. Es geht schließlich um mich und um darum, dass sie mir jetzt auch noch in meinem eigenen Zuhause auflauert. Als wenn es nicht bereits genug wäre, dass ich ihr in der Schule kaum entkommen kann. Unruhig gehe ich im Badezimmer auf und ab. Dabei kaue ich immer wieder an meiner Unterlippe, während ich weiter nachgrüble. Ich verstehe das einfach nicht! Wie konnte dieses Miststück das nur herausfinden? Moment mal! Was ist, wenn es nicht Lucinda selbst gewesen ist, die heimlich bei mir Zuhause aufgetaucht ist? Was ist, wenn jemand von ihr beauftragt wurde, dies zu tun? Nur wer könnte das sein? Auf die Schnelle will mir gerade niemand einfallen. Es muss auf jeden Fall wer anderer gewesen sein. Diese Theorie wäre zumindest noch eher vorstellbar, als wenn die Schlampe höchst persönlich hier angetänzelt wäre. Sie ist einfach nicht der Typ dafür, welcher sich die Hände schmutzig machen würde. Nicht selten hat sie dies bereits schon unter Beweis gestellt und ihre Handlanger vorgeschickt. Allein schon die Tatsache, dass diese Warnung per PC geschrieben worden ist und dann auch noch bearbeitet wurde, damit man sie nur mit Hilfe eines Spiegels entziffern kann, ist mit Sicherheit nicht durch ihre Hände entstanden. Klarerweise klingen die Worte sehr nach ihr. So abgebrüht ist immerhin nur sie, aber selbst wenn man sich nur die Mühe dafür vor Augen hält, kann es einfach nicht diese Möchtegernkönigin selbst gewesen sein. Dafür ist sie viel zu faul und zu eingebildet. Auch würde sie niemals extra persönlich zu mir nach Hause fahren, nur damit der Brief direkt vor meine Haustür landet. Da hätte sie wohl etwas Anderes gemacht, was viel persönlicher ist. Stellt sich nur die Frage, wer da wirklich dahintersteckt. Wer hätte die Kenntnis und auch die Möglichkeit dies zu tun? Merkwürdigerweise komme ich mir gerade wie in einem Krimiroman vor, in der ich jetzt gezwungener Weise eine Detektivin spielen muss. Allerdings habe ich gerade nicht den Nerv dafür. Momentmal, was ist mit Madison? Mein Gott bin ich blöd! Wieso bin ich nicht schon eher darauf gekommen?! Ich bin vielleicht ein Hornochse! Das ergibt doch mehr als nur einen Sinn! Schließlich war sie einst meine Freundin und war in unseren Kindheitstagen manchmal bei mir Zuhause! Daher muss sie es gewesen sein! Noch dazu war sie diejenige, die mich heute Morgen aufgehalten und mich wegen dem beschissenen Geschichtstest angeschwafelt hat. Ich erinnere mich noch, wie sie mich angeschrien und mir sogar vorgeworfen hat, dass ich quasi den größten Fehler meines Lebens begangen hätte. Ihrer Meinung nach hätte ich zu diesem Miststück hingehen und mich sogar entschuldigen müssen! Nur war meine Antwort darauf klipp und klar ein pures und überzeugtes NEIN! Denn sie kann mich mal kreuzweise! Allerdings sollte ich meine Wut jetzt kurz zur Seite schieben und mich auf das Wesentliche konzentrieren. Es könnte immerhin gut möglich sein, dass Madison nach unserer „Unterhaltung“ wie ein gehorsames Hündchen zu ihrer „Hoheit“ gegangen ist und mich dort bei ihr angeschwärzt hat. Vermutlich hätte Lucinda ihr anschließend befohlen, mir bei einem günstigen Zeitpunkt diesen Drohbrief zu hinterlassen und wahrscheinlich hat dieses Miststück sogar gewusst, dass ich wahrscheinlich so reagieren würde. Ach was, wie soll diese Pute das überhaupt sehen?! Das ist nur lächerlich! Denk mal nach Bernadette! Allerdings ärgere ich mich momentan. Zudem sind dies nur reine Spekulationen und ich habe außerdem keine Beweise. Noch dazu hätte ich Madison niemals zugetraut, dass sie wirklich sowas tun würde. Sie war immerhin schon in unserer damaligen Clique die Ruhigste und Besonnenste gewesen. Man könnte sogar fast sagen, dass sie in der Runde „das süße Lämmchen“ war, welches niemandem etwas Böses wollte, aber niemals hätte ich damit gerechnet, dass sie mich jetzt so sehr hassen würde. Was habe ich ihr nur getan, dass aus ihr solch eine hinterlistige Furie wurde? Ich kann mir nicht helfen, aber je sehr meine Vermutung bezüglich Madison stärker wird, desto mehr hängt sich auch der Zweifel daran. Wahrscheinlich liegt es aber daran, dass ich zu sehr an Vergangenheit hänge. Denn besonders, wenn das Thema „alte Freunde“ in mir hochkommt, spielt sich in mir eine Achterbahn ab, welchen ich einfach niemandem zumuten würde. Es tut einfach immer noch weh und gerade jetzt spüre ich es wieder. Damals war es einfach schön und nicht selten sehne ich mich nach diesen Tagen. Als sich dann auch noch eine Träne aus meinen linken Auge bahnen möchte, wische ich diesen sofort wieder weg und setze dafür einen zornigen Blick auf. Ich will einfach nicht darüber „trauern“, geschweige auch nur darüber nachdenken. Weswegen ich mich bemühe, meine Gedanken wieder auf dem Brief zu lenken. Was für eine bescheuerte Idee und Lucinda hat es auch noch geschafft, dass mich das auch noch irgendwie innerlich zerreißt. Vermutlich hat sie sich genügend Krimis reingezogen, sodass sie sich erhofft hat, dass das auch bei mir etwas bewirken würde. Leider ist dies auch so gekommen, da hilft kein Abstreiten. Nur will es mir nicht aus dem Kopf, dass Lucinda in der Schule ein viel leichteres Spiel mit mir gehabt hätte. Gerade heute wurde ich einfach ignoriert und dabei hätten die Handlanger dieser Verrückten mir locker auflauern können. So wie es auch sonst stätig der Fall war und ich deswegen ständig auf der Hut sein musste. Was plant sie nur mit dieser Aktion? Wenn sie mich damit einfach unsicher machen, hat sie das schon mal geschafft, denn ich bin es bereits. Doch ich bin nicht nur unsicher, ich bin auch stinksauer! Ich bin sauer wegen diesem Drohbrief und ich bin auch stinkwütend, dass ich ausgerechnet bei mir Zuhause belästigt werde. Nur weil ich mich geweigert habe, ihrer „Hoheit“ zu gehorchen und sie alle das nicht kapieren wollen, habe ich jetzt das Nachsehen. Was will dieses Miststück überhaupt von mir, wenn sie eh schon die High-School mindestens zu 95% in ihrer Gewalt hat? Da bin ich im Vergleich dazu nur ein kleines Licht am Kronleuchter, aber das rafft sie einfach nicht! Zähneknirschend knülle ich das Papier zwischen meinen Fingern zusammen und will es am liebsten wutentbrannt in den nächsten Mistkübel schmeißen, damit es mir nicht länger ein Dorn im Auge ist. Ich habe schon meinen rechten Arm gehoben und mich zum Werfen bereitgemacht, als ich mitten in der Bewegung innehalte. Ich kann zunächst gar nicht beschreiben, was in mich gefahren ist. Dabei hätte ich allen Grund dazu, damit ich das nicht mehr sehen muss, auch wenn sich der Text bereits in mein Hirn eingeprägt hat. Irgendwie habe ich gerade das Gefühl, dass das jetzt falsch ist, wenn ich es wirklich tue. So dumm es auch klingen mag. Vielleicht sollte ich es behalten und als Beweisstück aufbewahren. Denn all die anderen Drohbriefchen habe ich bereits in der Schule „vernichtet“, oder sie schlicht und einfach weggeworfen. Jetzt würde ich zumindest einen Beweis in meinen Händen halten und Mom hat den Umschlag sogar gesehen. Noch dazu wird das hier mit Sicherheit nicht die letzte Warnung gewesen sein. Ich befürchte einfach, dass noch mehr von dieser Sorte kommen wird. Wer Lucinda irgendwie kennt, der weiß das. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Nur was soll ich damit machen? Am besten ist es wahrscheinlich, wenn ich es in meinem Zimmer verstecke, bis ich es wirklich brauche. Wer weiß, vielleicht kann mir dieses zerknüllte Papier doch noch nützlich sein. Auch wenn es mich momentan mehr als nur aufregt und ich es am liebsten in tausend Stücken zerreißen möchte. So verlasse ich schließlich das Badezimmer und marschiere auf direktem Wege in mein Zimmer. Mein Blick fällt als Erstes auf mein Bett. Denn darunter habe ich ein paar kleine Kisten verstaut, die normalerweise für Erinnerungen gedacht sind. Im Gesamten hat sich dort unten eine kleine „Sammlung“ angehäuft, welche ich gerne für Verstecke und für persönliche Dinge nutze. Ich habe die ersten beiden Kisten schon zur Seite geschoben, als ich eine kleinere Version aufhebe und diese öffne. Sie ist leer. Eigentlich war sie für Fotos gedacht, die ich mal bei meinen späteren Reisen machen werde, aber jetzt soll sie mal für etwas Anderes dienen. So verstaue ich darin den Drohbrief und stülpe schnell wieder den Deckel darüber. Als wäre darin ein böser Geist, der sofort sein Gefängnis verlassen würde, müsste dies nicht sofort wieder verschlossen werden. Ich habe eindeutig zu viel Fantasie, aber was soll ich machen? Ich bin nun mal so. Seufzend und auch erleichtert aufatmend setze ich mich auf mein Bett. Als ich dann meinen Blick umherschweifen lasse, merke ich gerade, dass es bereits dunkel ist. Seltsam, in der ganzen Hysterie ist mir gar nicht aufgefallen, dass wegen diesem idiotischen Brief so viel Zeit vergangen ist. Wie lange ich wohl darüber nachgegrübelt habe? Wohl viel zu lange, wie man hier sieht, aber was soll´s. Ich bin einfach nur froh, dass ich dieses „Ding“ momentan nicht mehr sehen muss und am liebsten soll das auch so bleiben. Es soll dort unten verotten! Kaum aber, dass ich gerade bereit bin, meine Gedanken über andere Themen schweifen zu lassen, damit ich mich von diesem Schock erst einmal wieder erholen kann, höre ich ein bekanntes Geräusch. Aus purer Reaktion drehe ich mich automatisch in die Richtung und meine Stimmung verändert sich schlagartig. Statt Zorn verspüre ich nun große Freude und gerade er ist genau das, was ich jetzt mehr als nur dringend brauche. Raphael sieht gerade zu mir hinein und ich eile zum Fenster. Meinen Ärger und meinen Kummer habe ich einfach zur Seite geschoben und sogar ein wenig vergessen. „Hey!“, ist das Erste, was mir über die Lippen kommt, als ich lächelnd das Fenster öffne. Der Turtle mit der roten Maske erwidert dies mit einer ähnlichen Begrüßung und streckt mir schon seinen Arm entgegen. Jedes Mal, wenn ich sein Gesicht sehe, spüre ich förmlich, wie mein Herz vor Freude auf- und abspringt. Seine goldgelben Augen strahlen wie Sonne und dabei habe ich auch noch dazu den Eindruck, dass aus ihnen eine angenehme Wärme ausgeht. Allein wenn ich ihn so ansehe, fühle ich mir geborgen und wenn ich in seinen Armen liege, glaube ich sogar über Wolken zu schweben. Es ist einfach ein herrliches Gefühl, welches ich nicht missen möchte und seitdem nun hoffentlich wieder Frieden in der Kanalisation herrscht, ist es einfach schön, meinen Freund wiederzusehen. Er gibt mir einfach das Gefühl, dass ich willkommen bin und dass ich einfach ich selbst sein kann. Zudem möchte ich einfach bei ihm sein. Am liebsten wäre es mir auch, wie könnten uns auch bei Tageslicht sehen. Da es aber nicht geht, sehne ich mich umso mehr die Dämmerung herbei und dann bin ich einfach nur glücklich. So ist es auch diesmal, als er mit mir wieder unterwegs ist und über den Dächern springt. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich mich bei jemandem so wohl und sicher fühle, so wie es bei ihm einfach ist. Wobei mir dieses Gefühl nicht ganz unbekannt ist. Ich glaube, dass ich das einst bei meinem Vater gefühlt habe. Auch wenn es vielleicht nur ein ähnliches Gefühl war, aber dennoch genoss ich jede Sekunde davon. Leider kann ich mich nicht mehr so gut daran erinnern, wie es damals bei meinem Dad war. Es wäre auch nicht verwunderlich, da es schon etwa zehn Jahre her ist. Je mehr Zeit verstrich, desto mehr erscheint es mir manchmal, dass die Angst, ihn vollkommen zu vergessen, größer wird. Wenn ich wieder dieses Gefühl habe, so versuche ich es zwanghaft zu verhindern, indem ich zum Beispiel alte Fotos ansehe und an die vergangenen Tage denke. Ich erinnere mich einfach gerne an die schönen Momente, die ich mit meinem Vater erleben durfte. Irgendwie habe ich sogar seinen Dickschädel geerbt, wenn nicht auch die eigene Art Dinge zu sehen, die für die meisten unvorstellbar sind. Das soll jetzt nicht heißen, dass ich bei meiner Mom nie diese Geborgenheit gespürt habe, aber bei ihr ist es einfach anders. Ich kann es nicht gut erklären, vielleicht hat das mit der jeweiligen „Aura“ zu tun, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Eines weiß ich allerdings. So wie damals wie auch jetzt ist das, was ich im Moment empfinde, ein eigenes und spezielles Gefühl, was ich kaum beschreiben kann. Als würden mir schlicht und einfach dazu die Worte fehlen. Das Ironische und vielleicht auch das Besondere daran ist, dass ich das bei einem Mutanten fühle. Es ist einfach mehr, als eine „einfache“ Freundschaft zwischen uns beiden. Uns verbindet einfach viel und doch sind wir wieder so verschieden. So kompliziert es auch klingen, Raphael ist mir wichtig und er bedeutet mir sehr viel. Hätte mir jemand allerdings vor einem Jahr gesagt, ich würde eines Tages jemandem wie ihn über den Weg laufen, dann hätte ich denjenigen sofort für verrückt erklärt. Umso schöner ist es jetzt für mich, dass es so gekommen ist und dass ich mit ihm in der Nacht unterwegs sein kann. Nach einer Weile lässt er mich wieder runter und diesmal muss ich geschockt feststellen, dass er mich auf einem der hohen Steinpfosten der Brooklyn Bridge abgesetzt hat. Etwas eingeschüchtert über die enorme Höhe und über die geringen Ausmaße der Plattform, klammere ich mich blitzartig an Raphaels Arm fest, während dieser nur belustigt zum Kichern anfangt. „Was ist daran jetzt bitte so lustig?!“, gifte ich ihn mal kurz an und schaue ihn auch dementsprechend ins Gesicht. Doch der Typ hat nichts Besseres zu tun, als weiter zu lachen und mich dann auch noch an sich zu drücken. „Müsstest du das nicht schon gewohnt sein, so oft wie ich dich schon durch die Gegend geschleppt habe.“, meint er mit einer amüsanten Art, worauf ich nur die Arme verschränke. „Klingt ja so, als würde es dich stören, mich zu tragen.“, erwidere ich, wobei man bei meiner Bemerkung einen starken sarkastischen Unterton heraushören kann. Ich bin zwar froh darüber, dass er seit dem letzten Mal diese miesepetrige Art abgelegt hat. Die so nebenbei sogar nicht zu ihm passt, aber das hier muss nun wirklich nicht sein. Ich habe zwar keine Höhenangst, aber dieser Ort hier lässt meinen Magen doch etwas unruhig werden und das ist nicht das Einzige, was sich in meinem Körper meldet. Meine Muskeln fangen sogar an, sich leicht zu verkrampfen. Außerdem ist diese Stelle, an der er mich gerade abgesetzt hat, mehr als nur etwas restaurierungsbedürftig. An manchen Bereichen bröckelt sogar etwas von dem Gestein ab und besonders die Ecken und Kanten wirken sehr abgenutzt. Naja, wenn man berücksichtigt, dass diese Brücke immerhin 365 Tage im Jahr der Temperatur und dem Wetter ausgesetzt ist, hat sie sich eigentlich all die Jahre gut gehalten. Dennoch wäre es mal nicht verkehrt, auch den Rest mal wieder in Schuss zu bringen. „Ein bisschen mehr mitzuschleppen, hält einem halt fit.“, schmunzelt Raphael auf ähnlicher Weise und ich entgegne ihm: „Als wenn ich so schwer wäre. Im Vergleich zu dir, bin ich eine Feder. Außerdem, du weißt schon, dass du das nicht musst, oder?“ Armeverschränkend und leicht grinsend erwarte ich nun einen Konter von ihm. Irgendwie sie wir beide wieder einmal in einem „Sarkasmus-Duell“ gelandet und es ist für mich eine herrliche Abwechslung. Doch anstatt dass Raphael in seine „Sarkasmus-Kiste“ greift und gegen meine letzten Worte etwas Neues parat hat, reagiert er überraschenderweise vollkommen anders. Er geht einfach mehr in Richtung Kannte und dreht sich dann mit seinem Gesicht zu mir um. „Na wenn das so ist.“, sagt er auf einmal mit einem Achselzucken und lässt sich im nächsten Augenblick einfach grinsend nach vorne fallen. Geschockt, verwirrt und mit weitaufgerissenen Augen starre ich ihm zunächst hinterher, ehe sich meine Beine endlich in Bewegung setzen und ich zum Rand des Steinpfostens eilen kann. Angsterfüllt schaue ich in die Tiefe und kralle dabei meine Hände tief ins Gestein fest, um nicht zu sehr nach vorne zu kippen. Wild bewege ich meinen Kopf hin und her und versuche ihn zu finden, aber ich sehe ihn nicht! Ich erkenne nur wage die kleinen Fahrzeuge, die unbeirrt auf der Brücke fahren und das tiefe, schwarze Wasser. „Raphael!“, rufe ich schon verzweifelt nach ihm. Wo ist er nur?! Wieso hat er sich plötzlich fallen lassen?! Ich bin gerade im Begriff, noch ein weiteres Mal nach ihm zu rufen, als ich nach einigen Sekunden plötzlich von hinten an der Schulter gepackt werde. Für einen kurzen Augenblick erschrocken, wende ich meinen Blick nach hinten und sehe, wie der Turtle mit der roten Maske mich grinsend ansieht. Als wenn nichts gewesen wäre, schaut er mich wie ein Unschuldslamm an und hat immer noch dieses dämliche Grinsen im Gesicht. Ist er noch zu retten?! Der hat sie doch nicht mehr alle! Oh Mann, dir wird noch das Lachen vergehen Freundchen! Wild drehe ich mich ganz zu ihm um, während ich gleichzeitig aufstehe und ihn dann mit beiden Händen gegen seine Brust schlage. „Sag mal, bist du noch zu retten?! Willst du, dass ich einen Herzinfarkt bekomme, oder was?! Du spinnst doch!“ Unbekümmert von meinen Worten umarmt er mich einfach und lacht dann: „Sollte nur ein Scherz sein.“ „Ein Scherz?! Wenn ich lachen soll, dann lass diesen Mist und überleg dir was Anderes! Ich dachte schon, dass dir was passiert wäre! … Und da heißt es, dass Mikey auf bescheuerte Ideen kommt! Du bist da anscheinend nicht viel besser!“, schimpfe ich immer noch und drehe mich dann von ihm weg, nachdem ich mich von seiner Umarmung befreit habe. Der hat doch wirklich einen Knall, mir so einen Schrecken einzujagen! Ich hasse solche „Scherze“! Was wäre, wenn ihm wirklich was passiert wäre. Ich hatte richtige Angst um ihn. Schon spüre ich, wie er seine Hände auf meine Schulter legt, aber ich reiße mich davon los und gehe noch einen Schritt nach vorne, während ich daraufhin noch immer erzürnt erwidere: „Ach lass mich!“ „Sorry.“, kommt es nun vorsichtig aus seinem Mund, wobei ich mir sicher bin, dass er darüber immer noch schmunzelt. Ich kann es ja nicht sehen, da ich ihm immer noch den Rücken zugewandt habe und ich dieses dämliche Grinsen mit Sicherheit nicht sehen will. Sonst rennt er sich bei mir noch eine ein! „Idiot.“, murmle ich, was meinem Freund aber nicht davon abhält, sich weiter darüber zu amüsieren und noch einmal seine Hände auf meine Schultern zu legen. Sind denn alle Kerle so bekloppt? Ich seufze, denn abgesehen von dem Ärger, bin ich einfach nur froh, dass zum Glück nichts passiert ist. Ich hoffe aber für ihn, dass er das nicht nochmal macht, sonst lernt er mich mal anders kennen! Ich kann schon zur Furie werden, wenn es wirklich sein muss und das will er garantiert nicht erleben. Das verspreche ich ihm. Aus Raphaels Sicht: Grinsend stehe ich da und schaue sie an. Dass sie gleich so übertreiben muss. Dabei war das doch nur ein Scherz. Wie oft habe ich das schon bei meinen Brüdern gemacht und die sind nicht gleich so ausgeflippt. Im Gegenteil, die haben mir es sogar oft nachgemacht, wodurch daraus so eine Art Spiel entstand. Nur Leo hat das beim ersten Mal nicht gepasst. Wenn ich genau darüber nachdenke, hat er sogar ähnlich reagiert. Andererseits war seine Standpauke anders und im Gegensatz zu Bernadette hat er mir mit allem Möglichen gedroht, bis auch schließlich er auf dem Geschmack kam. Allerdings werde ich nie sein bescheuertes Gesicht vergessen, bei dem ich so lachen musste. Ich habe sogar das Meiste, was er mir an den Kopf geworfen hatte, nicht wirklich mitbekommen. Wie lange dieser heimliche Trip wohl schon wieder her ist? Hm, ich glaube vier Jahre oder doch schon länger? Egal, das ist jetzt nicht so wichtig. Meine Aufmerksamkeit ist jetzt wieder auf Bernadette gerichtet, die mir immer noch armeverschränkend den Rücken zugekehrt hat. Meine Hände ruhen weiterhin auf ihren Schultern und schon höre ich, wie sie genervt seufzt. Sie hatte wohl wirklich Angst um mich. Dabei müsste sie doch wissen, dass mir nichts passieren kann. Selbst wenn ich mich verletzten sollte, verheilt dies im Vergleich zu den Menschen ziemlich schnell. Das habe ich wohl dem Mutagen in meinem Blut zu verdanken und nicht nur einmal hat das mir und meinen Brüdern quasi den Arsch gerettet. Selbst ein Knochenbruch kann mich daher nicht sehr lange dazu zwingen, mich auszuruhen und im Bett zu bleiben. Anscheinend muss sie das noch verstehen lernen. Dennoch ist es für mich schön zu wissen, dass ich ihr nicht egal bin und dass sie sich um mich sorgt. Abgesehen von meiner Familie, bei der ich weiß, dass wir uns bei jeglicher schwierigen Situation den Rücken stärken, gibt es nun sie. Leicht streiche ich mit meiner rechten Hand über ihre Schulter und sie dreht sich schließlich wieder zu mir um. Ihre Augen hat sie noch leicht böse funkelnd halb geschlossen, wobei sie mit ihrem Mund leicht schief schmunzelt. Sie ist wohl nicht mehr sauer, auch wenn sie versucht dies noch immer zu zeigen. „Sorry, aber egal was du jetzt machst. Das kaufe ich dir jetzt einfach nicht ab.“, murmle ich grinsend, wobei sie mir nicht widerspricht, sondern nur mit den Augen rollt. Durch diese Gewissheit kann ich es mir einfach nicht verkneifen, dass mein Grinsen umso breiter wird und nun hat auch sie wieder der Humor voll und ganz gepackt. Mit ihrer rechten Faust knufft sie mir noch leicht in die Seite und sieht mich dann wieder gelassener an. „Dir kann man wohl nicht lange böse sein, aber wehe, du machst das noch einmal! Ich verspreche dir, ich garantiere dir dann für nichts!“, fügt sie noch hinzu und ich zucke einfach mit den Schultern, während ich ihr scherzend entgegne: „Wie du meinst. … Wobei es mich ja doch irgendwie interessieren würde, was dann noch kommen würde.“ „Glaub mir, das willst du gar nicht wissen. Also reiz mich ja nicht“, lacht sie darauf, woraufhin ich ebenfalls miteinsteige und wir beide nun wieder einmal scherzen. Nur eines fällt mir währenddessen auf. Sie hat anscheinend jetzt vollkommen vergessen, dass sie sich immer noch auf dem Stützpfeiler der Brooklyn Bridge befindet, vor dem sie zuvor so sehr gefürchtet hat, sodass ich schon beinahe befürchtet habe, dass sie vor Angst wie eine Salzsäule erstarren würde. Demnach ist sie doch eher ein lockerer Mensch, so wie ich sie bisher kennengelernt habe. Auch wenn sie manchmal ein bisschen kompliziert ist und es bei ihr den Anschein hat, sie wäre ein Buch mit sieben Siegeln, welches man mit etwas Nachdruck zum Aufspringen bringen muss. Nun ja, immerhin hat sie ja jetzt gesehen, dass sie um mich keine Angst zu haben braucht. Jegliche Sorge ist einfach unbegründet, auch wenn das bedeutet, dass ich es ihr ab und zu beweisen muss. Andererseits würde ich alles für sie tun, egal worum sie mich auch dabei bitten würde. Als ich ihr nun direkt in ihr Gesicht sehe, habe ich den Eindruck, als ob ihre graugrünen Augen strahlen würden. Es ist zwar Nacht, aber die Lichter der Stadt, so wie die der Brücke lassen mich Bernadette klarsehen und ihre Augen zum Funkeln bringen. Irgendwie überkommt mich wieder dieses brennende Gefühl und dies geschieht jedes Mal mit mir, wenn ich dieses Mädchen so ansehe und mit ihr allein bin. Ich kann es nicht wirklich genau beschreiben. Es ist, als wenn eine angenehme Wärme durch meinen gesamten Körper fließen würde. Dabei kann man es nicht als Feuer bezeichnen, was ich normalerweise eher durch meinen Zorn kenne, der wie ein Vulkan in mir brodelt und schließlich irgendwann mit einem gewaltigen Knall explodiert. Es ist einfach, als wenn ich mich an einem kalten, eisigen Tag am Feuer wärmen würde, wodurch ich mich dann einfach wohlfühle. Jeder noch so kleine Muskel in mir ist dabei angespannt, obgleich ich mich gleichzeitig vollkommen entspannt fühle. Was ist das nur, was jedes Mal mit mir passiert? Ich kann es mir nicht erklären. Jeder einzelne Gedanke, den ich zuvor gehabt habe, scheint im Moment nicht mehr wichtig zu sein. Nur sie steht für mich im Mittelpunkt und alles andere wirkt auf mich, als ob es nebensächlich, wenn nicht schon vollkommen egal wäre. Dabei will ich Bernadette am liebsten berühren, sie ganz nah bei mir haben und sie nicht mehr loslassen. Jedes Mal wenn ich sie bis jetzt umarmen konnte, sie dabei über den Dächern trug und wenn sie sich einfach an mich gelehnt hatte, oder wenn ich sonst irgendeine zärtliche Berührung von ihr gespürt hatte, fühlte ich genau diese Wärme tief in mir. Dieses sonderbare Gefühl breitet sich am ganzen Körper aus und ich sehne mich dabei immer nach mehr. Mein Blick schweift gerade zu ihrem Mund. Wie zarte Rosenblätter liegen ihre Lippen aufeinander und zieren ein liebliches Lächeln. Wie gern ich diese jetzt berührt hätte. Wäre da nicht diese eine Frage in meinem Hirn, die mich seit Mikeys Geschwafel immer wieder beschäftigt: „Na habt ihr euch schon geküsst?“ So sehr ich ihn zum damaligen Zeitpunkt für seine Worte gehasst habe, aber mein Bruder sprach auf etwas an, was mich seitdem nicht mehr loslässt und mich wie einen Geist immer wieder heimsucht. Sooft schwirrte dieser eine Satz bis zum heutigen Tag durch meinen Schädel und jedes Mal musste ich mir leider selbst eingestehen, dass die Antwort darauf ständig „Nein.“ ist. Es gab nie einen Kuss in dieser Form und dennoch sehnte ich mich immer wieder danach. Besonders seitdem ich Bernadette das erste Mal so nah war und sie keine Angst mehr vor mir hatte, schweifte mein Blick ständig zu ihrem Mund. Dieses Verlangen, sich nicht mehr zurückhalten zu müssen und mich einfach dem Hier und Jetzt hinzugeben, lässt die Kontrolle in mir ständig wanken. Ich habe es am Anfang einfach nicht wahrhaben wollen, aber je länge ich sie so ansehe, desto mehr wird es mir immer deutlicher bewusst: Ich habe mich verliebt und das nicht in irgendjemandem. Ich habe mich in Bernadette verliebt. Je öfter ich sie sah und je länger ich mit ihr unterhielt, desto deutlicher und größer wurde dieses Gefühl. Das Idiotische daran ist, dass selbst Mikey es vor mir kapiert hat, aber vielleicht wusste ich es bereits schon und wollte es mir einfach nur nicht eingestehen. Wie kann es auch sein, dass sich ein Mutant in einen Menschen verliebt? Klar habe ich früher mit meinen Brüdern öfters darüber geredet, wobei wir uns darüber eher lustig gemacht haben. Jegliche Art von Romanze wurde von uns ins Lächerliche gezogen. Nicht selten äfften wir bestimmte Situationen nach, die wir entweder aus Filmen, oder direkt bei unseren Ausflügen auf der Oberwelt beobachtet hatten und lachten darüber. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich einer von uns es je wirklich in Erwägung gezogen hat, einem Mädchen emotional so nah zu sein. Auch wenn Mikey in Bezug auf April immer seine dämlichen Sprüche klopfen muss. Dass sind es bei ihm höchstens Schwärmereien und selbst das kann ich ihm nicht wirklich abkaufen. Er will sich einfach nur wichtigmachen und ich möchte gar nicht wissen, was sonst noch in seinem Kopf herumspukt. Dennoch hätte ich nie in meinem Leben gedacht, dass ausgerechnet mir so etwas passiert. Zumindest war mir dieses Thema stets egal, aber jetzt ist es anders. Es ist, als wenn es mich endlich eingeholt und wachgerüttelt hätte. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich sowas wie Liebe für einen Menschen empfinden könnte. Jetzt ist es aber so und ich wünsche mir nur noch, dass sich daran nichts ändert. Kapitel 18: Gedanken, die mich verzweifeln lassen ------------------------------------------------- Aus Raphaels Sicht: Immer noch stehen Bernadette und ich hoch oben auf dem Steinpfosten der Brooklyn Bridge. Unser „Lachanfall“ hat sich allmählich beruhigt, auch wenn ich es einfach gerne sehe, wenn sie übers ganze Gesicht strahlt. Ihr Lachen ist zudem auch so ansteckend, sodass man es nicht wirklich verhindern könnte und stattdessen einfach mitmacht. Doch bevor uns beiden noch „die Puste ausgeht“, versuchen wir beide wieder runterzukommen. So stehen wir einfach da und schauen uns nur an. Wie viel Zeit wohl bereits vergangen ist? Es ist irgendwie schwer dies genau wahrnehmen zu können und noch dazu wäre es mir gerade wieder lieber, wenn die Nacht noch viele weitere Stunden anhalten würde. So wären wir noch länger gemeinsam unterwegs, aber die wenige Zeit muss mir leider jedes Mal reichen, so wie es auch diesmal wieder der Fall ist. Ich möchte einfach jeden Moment mit ihr genießen. Besonders da mir nun endlich klargeworden ist, welche Gefühle ich für sie hege. Was mich noch umso mehr noch glücklich macht, ist, dass wir beide heute Nacht wieder nur zu zweit sind. Kein anderer ist hier, der uns stören könnte. Keiner meiner Brüder ist da, bei dem ich mit jeder Sekunde rechnen müsste, dass demnächst vielleicht etwas Peinliches passieren könnte, oder dass ich meine Freundin wieder irgendwie aus ihren Fängen rausholen müsste. Ich will Bernadette einfach mit niemandem teilen und das habe ich schon vom ersten Moment an mehr als nur deutlich gespürt, als diese bereits beim ersten Kontakt versucht haben, sich ihr zu nähern. Auch wenn es bei Leo selbst nicht so stark der Fall gewesen ist. Dennoch braucht sich der „ach so tolle Anführer“ nicht so aufspielen, egal was er auch von ihr halten mag. Seine Sorgen sind vollkommen unbegründet, aber ihm dies zu verklickern, ist genauso schwierig, als wenn man Donnie verbieten würde, wieder einmal mit seinem Technikkram herumzuspielen. Ich sollte vielleicht nicht zu sehr darüber nachdenken, sondern einfach den Moment mit ihr genießen. Am liebsten würde ich alle bisherigen Gedanken nach hinten schieben und mit Bernadette stattdessen das Thema wechseln. Doch kaum habe ich meinen Mund geöffnet, als ich schon in der nächsten Sekunde innehalte und meinen Mund wieder schließe. Was soll ich nur sagen? Irgendwie fehlen mir gerade die Worte, obwohl mir eigentlich gerade so um die tausend Dinge durch den Kopf schießen. Was ist nur los mit mir? Gerade eben habe ich mich mit Bernadette noch wunderbar amüsieren können und nun ist es irgendwie anders. Ich fühle mich so seltsam. Mein Herz, es fühlt sich so an, als ob es nun schneller schlagen würde, als zuvor. Doch nicht nur das. Ich habe das Gefühl, als ob sich nicht nur das Tempo erhöht hat. Jeder Schlag scheint mit jedem Mal stärker und auch lauter zu werden. Als wenn gerade jemand mit dem Schalter für die Lautstärke herumgespielt hätte und der Lautsprecher nur so dröhnt. Wenn das so weitergeht, wird noch ganz New York dieses Gepolter hören, wenn es Bernadette nicht schon jetzt mitbekommen hat. Nervös sehe ich nun zu ihr, doch sie scheint von all dem nichts mitzubekommen. Wieso bin ich jetzt verdammt noch mal nervös! Es gibt überhaupt keinen Grund dafür und dennoch lässt sich dieses Gefühl nicht einfach abschalten. Das immer stärker werdende Gepolter geht einfach weiter, ohne dass ich auch irgendetwas dagegen tun kann und stattdessen frage ich mich, woran das plötzlich liegen kann? Ist es etwa deswegen, weil ich mir endlich selbst gestanden habe, dass ich etwas für dieses Mädchen empfinde? Nur warum ist das jetzt so stark? Dass ich sie liebe, ist ja immerhin nicht von heute auf morgen passiert. Ich wusste bereits die ganze Zeit, dass sie für mich mehr als nur eine „einfache“ Freundin ist. Also warum dieses plötzliche Theater, oder fühlt sich Liebe wirklich so an, sodass ich mir gerade vorkomme wie der größte Idiot aller Zeiten? Irgendwie ist gerade alles so kompliziert für mich geworden. Als wenn Bernadette mich in diesem Moment nur mit ihrer bloßen Anwesenheit um den Verstand bringen würde. Was mache ich jetzt? Ich kann ja nicht zulassen, dass sie etwas davon mitbekommt. Sie würde meine plötzliche Nervosität nicht verstehen, oder vielleicht sogar in den falschen Hals bekommen. Ich habe jedoch nicht den blassesten Schimmer, warum das gerade jetzt so plötzlich mit mir passiert. Dieses Gefühl ist einfach wie aus dem Nichts aufgetaucht. Nur wenn ich nicht will, dass ich weiterhin so dumm dastehe wie der größte Volldepp, sollte ich besser zusehen, dass ich dies irgendwie überwinde und sie einfach auf irgendetwas anspreche. Nur so werde ich vermutlich davon abgelenkt und kann mal wieder klarnachdenken. Sonst explodiere ich vielleicht noch. So sehr ich allerdings mir selbst befehle, endlich mit der Sprache rauszurücken, gelingt es mir nicht, einen einfachen Satz zu sagen. So seufze ich schwer, wende meinen Blick von ihr ab und setzte mich am Rand des Steinpfostens. Natürlich ernte ich sofort einen verwirrten Blick. Ich muss erst gar nicht hinsehen, um zu wissen, dass Bernadette meine Reaktion von eben nicht verstanden hat, aber ich habe mich, so bescheuert es auch klingen mag, nicht mehr anders zu helfen gewusst. Dabei passt das eigentlich überhaupt nicht zu mir. Nur kann ich jetzt nichts daran ändern. Vermutlich wird Bernadette mich gleich darauf ansprechen und als wenn ich die Zukunft sehen könnte, habe ich damit Recht. Schon nach wenigen Sekunden spüre ich ihre Hand auf meiner linken Schulter, während sie mich fragt: „Hey, alles ok bei dir? Du bist plötzlich so still geworden.“ Was soll ich darauf antworten? Es ist alles in Ordnung, aber auch gleichzeitig wieder nicht und das ist selbst für mich nicht begreifbar. Wie sollte ich das nun ihr erklären? So bejahe ich es einfach, wobei ich nur stumm nicke und gleichzeitig ein einfaches Lächeln aufsetze. Schließlich soll sie sich nicht unnötig wieder Sorgen machen. Das Thema hatten wir bereits und aus meiner Sicht wäre das abgehakt. Was meine momentanen Gefühle angehen, ist dies etwas Anderes und damit muss erst einmal ich klarkommen. Was dann sein wird, weiß ich zwar noch nicht, aber das wird schon irgendwie. Das hoffe ich zumindest. Vorsichtig setzt sich Bernadette nun neben mich, wobei sie sogar dabei etwas gezögert hat. Vielleicht liegt es aber nur an den Steinpfosten. Anscheinend ist ihr das hier immer noch nicht ganz geheuer, dabei habe ich gedacht, dass sie sich jetzt eingekriegt hätte. Da habe ich mich wohl anscheinend geirrt, aber solange sie nicht wieder vor Angst erstarrt, dürfte es wohl nicht so schlimm sein. So blicken wir beide, wie wir es bereits schon oft getan haben, in die Ferne. Nur diesmal schweigen wir. Eine Weile geht das so und währenddessen kämpfe ich mit diesem unangenehmen Gefühl, welchen ich am liebsten aus mir herausprügeln würde, hätte dies einen Körper. Nur ist dem leider nicht so und ich kann deswegen meine Wut nicht einfach rauslassen. Schließlich scheint Bernadette diese Stille zwischen uns wohl nicht mehr länger aushalten zu können und beginnt nun mit einem Gespräch, welches sich zum Glück um etwas Anderes handelt: „Erzähl mal, war bei euch in letzter Zeit irgendwas los? Ich meine, bei eurer Patrouille muss doch sicherlich wieder etwas Spannendes passiert sein.“ Gerade bin ich ihr einfach nur dankbar, dass sie das Thema gewechselt hat. Manchmal frage ich mich allerdings, ob sie wohl spüren kann, wenn so etwas in Moment am besten ist und man über etwas Bestimmtes einfach nicht reden will. Zumindest habe ich gerade diesen Eindruck. Vielleicht aber bilde ich mir das auch nur ein und es steckt nichts weiter dahinter. Um sie aber nicht länger auf die Folter zu spannen, mache ich den Mund auf und fange an zu erzählen: „Wir sind nicht jede Nacht unterwegs und suchen während unserer Patrouille nach irgendwelchen Idioten, die glauben, dass das Verbrechen auch nur die geringste Chance gegen uns hätte. Denn manchmal haben wir auch unsere Trainingseinheiten in der Nacht. Besonders seit wir vier offiziell als Beschützer von New York unterwegs sind, hat sich so manches nach oben verlegt. Die Dächer der Stadt und auch einige andere Gegenden dienen uns als gute Trainingsplätze.“ „Aber kann es nicht auch passieren, dass ihr gerade an solchen Nächten gebraucht werdet?“, hinterfragt Bernadette dies neugierig, während sie wohl versucht, sich das bildlich vorzustellen. Ich dagegen meine nur: „Dafür haben wir ja unseren Technikheini. Dank seinem Kram, welchen er immer mit sich herumschleppt, sind wir meist gut informiert. Ansonsten bekommen wir auch so mit, wenn gerade etwas abgeht. … Die sind nicht gerade unauffällig.“ „Also ist Donnie wohl Kämpfer, Informant und „Internet“ zugleich, oder wie?“, hakt sie wiederum nach und ich bestätige ihr das zum Teil: „Mehr oder weniger ja. Immerhin können wir uns, was das angeht, gut auf ihn verlassen. Außerdem ist es wichtig, dass wir stets bereit sind und dazu gehört das Training genauso dazu, wie auch unser Trip durch die Stadt. … Auch wenn ich gerade wieder das Bedürfnis habe, wieder einen zu verdreschen. Meine Fäuste sehnen sich schon nach einem guten Kampf.“ Am Ende knacke ich sogar mit meinen Gelenken, um besonders Letzteres noch besser zu verdeutlichen. Wie sehr ich gerne einen Bankräuber, oder einfach einen kleinen Taschendieb zwischen meinen Fingern hätte. Da hätte ich mal etwas zu tun und kann mich danach wieder etwas entspannen. Gerade stelle ich mir solch eine erbärmliche Gestalt vor, welche sogar versuchen würde, mir zu entkommen. Wer weiß, was ich nun gerade für ein Gesicht gemacht habe, denn Bernadette lacht daraufhin: „Etwas anderes wäre bei dir ja auch unvorstellbar.“ Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Ich wäre da nicht ich, wenn ich mich nicht nach einem guten Kampf sehnen würde. Doch soweit kommt´s noch, dass ich mir sowas entgehen lasse. Allerdings merke ich gerade, dass dieses beklemmende Gefühl von vorhin etwas abgewichen ist und ich habe auch, ohne groß nachzudenken, einfach zum Quatschen angefangen. Selbst ein ungezwungenes Lächeln lässt sich automatisch wieder auf mein Gesicht zeigen. Bernadette und ich kommen sogar nach kurzer Zeit wieder ins Gespräch, auch wenn mich dieses beklemmende Gefühl noch immer nicht ganz loslassen will. Es hängt an mir wie eine nervige Klette und dennoch versuche ich es irgendwie abzuschütteln. Ich will das einfach nicht! Ich will einfach mit ihr normal reden, was ich bei ihr schon vermisst habe und schuld daran war einfach, dass ich sie eine Zeit lang gemieden habe. Dieses ungezwungene Reden, bei dem ich nicht aufpassen muss, was ich sage, hat mir einfach sehr gefehlt. Wenn ich daran denke, dass ich den direkten Kontakt zu ihr abgebrochen habe, frage ich mich selbst, wieso ich so bescheuert war. Allein schon, wenn ich ihr etwas erzähle, ist es irgendwie etwas erlösend für mich. Besonders da sie aus ihrer Seite das Thema gewechselt hat und doch lässt mich heute dieses brennende Gefühl nicht mehr los. Es schneidet mich für förmlich ein und dabei ist es doch eigentlich etwas Schönes oder nicht? Vielleicht sollte ich einfach mit der Sprache rausrücken. Dann wäre die Sache vielleicht endlich vom Tisch. Nur, wie soll ich ihr das sagen? Ich bin zwar ihr Freund, aber ich kann nicht einfach damit so plötzlich damit anfangen, dass ich mehr als nur das für sie empfinde. Jedes andere Thema wäre in diesem Moment sogar weniger ein Problem für mich und dabei ist es völlig egal, ob ich mich dabei über etwas beschwere oder sogar schimpfe. Es kommt ganz einfach über meine Lippen. Das hier allerdings ist schon eine andere Nummer. Es ist einfach etwas, mit dem ich noch nie in meinem Leben zu tun hatte und noch dazu als bescheuert abgestempelt habe. Hinzu kommt, dass ich die ganze Zeit über mit Unmengen an Fragen bombardiert werde. Dieses brennende Gefühl in mir hat anscheinend noch nicht gereicht und nun kämpfe ich gerade auch noch damit. Denn dass ich sie liebe, steht außer Frage. Ich habe es ja endlich geschnallt. Was ist jedoch mit ihr? Wer sagt mir, dass Bernadette ebenfalls so fühlt? Bis jetzt hätte ich bei ihr noch nichts bemerkt, was dafürsprechen könnte, oder habe ich dies schlicht und einfach nicht beachtet, weil ich erst selbst darauf kommen musste, wie es bei mir aussieht? Kann sie jemanden wie mich überhaupt lieben? Ich bin schließlich ein Mutant und kein Mensch, den man so einfach auf der Straße begegnet. Es war für mich schon ein Wunder, dass sie bei unserem ersten richtigen Zusammentreffen keine Angst mehr von mir hatte. Sie hätte nach der Rettung vorm Absturz weiterhin versuchen können, vor mir zu fliehen und wir hätten uns nie wirklich kennenlernen können. Doch stattdessen blieb sie, beruhigte sich und redete sogar mit mir. Schon seit ich sie das erste Mal gesehen habe, war dieser Wunsch da, sie wiederzusehen. Ich bin keines Weges jemand, der an Wunder oder sonstigen Schnickschnack glaubt, aber meine „Bitte“ wurde scheinbar erhört und es wurde sogar mehr daraus. Wir wurden Freunde und konnten bis jetzt mal abseits unserer Familien an etwas Anderes denken. Doch wie sieht es bei ihr aus? Was denkt sie eigentlich über mich? Empfindet sie nur Freundschaft für mich, oder ist da doch mehr und ich erkenne es einfach nicht? Wie kann ich es sehen, oder gar bemerken? Gibt sie mir bereits einige Hinweise und ich habe es einfach bis jetzt nicht geschnallt, weil ich dieses Thema von Anfang an nicht wahrhaben wollte, oder sind das einfach nur hoffnungslose Wünsche? Ich weiß das nicht und das frustriert mich. Noch nie in meinem Leben, habe ich jetzt so sehr mit Zweifel kämpfen müssen wie jetzt. Ich wünsche mir sogar, dass ich ein Mensch wäre, dann wäre es vielleicht nicht so kompliziert. Wie soll ich zu meinen Gefühlen stehen, wenn mich doch ständig dieser Zweifel und diese Fragen plagen? Es war bis jetzt schon schwierig genug, mich irgendwie unter Kontrolle zu halten, damit ja nicht etwas nach außen dringt. Wenn ich sie ganz nah bei mir spüre, oder wenn ich ihr auch nur in die Augen sehe, fällt es mir allerdings alles andere als leicht. Dabei war es, bevor meine Brüder uns auf die Schliche kamen, so einfach und so unkompliziert. Die einzige Schwierigkeit war, meine heimlichen Treffen mit ihr zu verbergen, was aber am Ende doch rausgekommen ist. Nur habe ich da auch noch nicht die Erwägung gezogen, dass ich für sie einfach mehr als nur bloße Freundschaft empfinden könnte. Man, wie mich das aufregt! Wenn nicht bald etwas passiert, drohe ich noch zu explodieren und dennoch kann ich ihr nicht so einfach die Wahrheit sagen! Wer weiß, was sie dann sagen wird? Ob sie dann vielleicht sogar darüber lachen wird? Nein, das würde Bernadette nicht tun, so ist sie nicht. Aber was dann? Vermutlich würde sie mich nur geschockt anstarren und vielleicht würde sie versuchen mir schonend beizubringen, dass sie nicht dasselbe für mich empfindet. Schließlich weiß ich, dass sie mich mag, aber sonst weiß ich rein gar nichts! Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich daran, dass sie vermutlich in mir nur einen guten Freund sieht und mehr nicht. Vielleicht bin ich sogar für nur so eine Art dritter Bruder, bei dem sie sich schlicht und einfach wohlfühlt. Mit diesen Möglichkeiten werde ich mich wohl oder übel abfinden müssen, sollte dies tatsächlich so sein, aber könnte ich ihr das dann auch verübeln? Wie soll ich bitte von ihr verlangen, sich in einen Mutanten zu verlieben? Eine Kreatur, die zwar wie ein Mensch spricht und sogar wie einer handeln kann, aber nicht das Aussehen von einem Menschen hat. Mit mir wird sie niemals am helllichten Tag in der Stadt spazieren gehen können. Ich könnte sie nie in ein Restaurant führen, oder mit ihr ins Kino gehen. All diese „normalen“ Dinge, welche ich nur aus Filmen und meinen Beobachtungen während der Patrouille kenne, könnte ich niemals mit ihr gemeinsam tun. Das ist doch echt zum Verrücktwerden! Mich macht das alles hier noch ganz krank und hinzukommt, dass ich mir nichts anmerken lassen will! Langsam frage ich mich, was ich tun soll. Noch nie habe ich mich so „hilflos“ gefühlt. Dabei bin ich nicht schwach! Ich bin stark und das habe ich mehr als nur einmal unter Beweis gestellt! Jede Herausforderung, welche sich mir bis jetzt in den Weg gestellt hat, habe ich ohne Weiteres aus dem Weg geschafft und wenn es sein musste, habe ich sogar einen eher ungemütlichen Pfad gewählt, aber das war mir stets egal. Hier allerdings ist es anders, hier herrscht ein anderer Kampf. Es geht dabei nicht um Leben, oder Tod, aber viel besser ist auch nicht und ich weiß zudem noch, dass ich jetzt einfach nicht weiterkomme. Ich brauche einen Rat, aber mit wem soll ich auch darüber reden? Meine Brüder kann ich fürs Erste vergessen. Die würden mich damit nur aufziehen und mich erst gar nicht ernst nehmen, da versuche ich erst gar nicht. Dad kann ich auch ausschließen. Mein Meister weiß doch genauso wenig wie ich, wie soll er mir da helfen können? Und irgendwie will ich auch nicht mit ihm darüber reden. Die Einzige, die mir noch bleibt, ist April. Schließlich ist sie eine Frau. Beziehungen wird sie sicherlich schon einige gehabt haben. Auch wenn es nur eine war, das würde mir schon reichen. Vielleicht kann sie mir da helfen, wobei ich da auch eher zweifle, aber was habe ich schon für eine andere Wahl? Alleine bekomme ich noch endgültig die Krise und mache es vermutlich noch schlimmer. Normalerweise gibt es in meiner Familie immer einen, dem ich mich anvertrauen kann. Meistens ist es Donnie oder unser Sensei. Nur selten spreche ich Leo auf ein bestimmtes Thema an und mit Mikey kann ich einfach nicht darüber reden. Auch wenn ich weiß, dass hinter seiner bekloppten und nervigen Art ein „emotionaler“ Turtle steckt, es geht einfach nicht. Noch dazu zeige ich keinen meiner Brüder, dass ich mich derzeit irgendwie verloren und sogar überfordert fühle. Diesen Bonus gönne ich denen garantiert nicht! Langsam begreife ich, wie Bernadette sich bei solch einer Last fühlen muss und dabei macht sie das jeden Tag durch. Wie bringt sie das aber nur fertig? Soweit ich weiß, hat sie außer mir niemanden, mit dem sie wirklich reden kann. Noch dazu kommt, dass sie eine Menge Stress in der Schule hat und das sind auf jeden Fall keine „normalen“ Teenagerprobleme, die sie hat. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Wie schafft sie es also, meist so ruhig zu bleiben, oder macht sie das nur bei mir? Fragen kann ich sie nicht. Auch wenn wir uns beide immer noch mit unseren Erzählungen vertieft sind, ist es wieder etwas, worauf ich sie einfach nicht ansprechen kann und auch nicht möchte. Vielmehr bin ich zusätzlich damit beschäftigt, dass ich mich nicht allzu oft in meine Gedanken abschweife. Sobald Bernadette mich misstrauisch ansieht, versuche ich das Ganze mit Scherzen, Sarkasmus, oder mit anderen Albernheiten zu kaschieren und zu meinem Glück scheint dies sogar zu klappen. Zumindest erspar ich mir fürs Erste, die Sache zu erklären. Ich habe jetzt gerade weder die Nerven, noch die richtigen Worte dafür. Alles andere würde nur verkomplizieren. Eine Weile bleiben wir noch hier oben, bis ich sie schließlich wieder nach Hause bringe. Es ist schon spät geworden und sie muss morgen wieder früh raus. Zwar würde ich am liebsten mit ihr noch die ganze Nacht verbringen, aber ich merke selbst, dass ich heute irgendwie meine Gedanken nicht klarhalten kann. So ist es das Beste für heute, einen Schlussstrich zu ziehen. Kaum habe ich sie wenig später beim Fenster abgesetzt und will mich von ihr verabschieden, fragt sie mich plötzlich, ob sie morgen zu mir nach Hause kommen könnte, da sie meine Familie einfach besser kennenlernen will. Im ersten Augenblick muss ich schlucken. Die Idee gefällt mir überhaupt nicht. Viel lieber bin ich mit ihr allein. Da habe ich nicht so das Gefühl, von meinen Brüdern beobachtet und analysiert zu werden. Es ist zwar schön, dass sie „meine Welt“ besser verstehen will, aber ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Es ist mir schon beim letzten Mal so schwergefallen, da ruhig zu bleiben und was hat es mir gebracht? Ich habe Bernadette gemieden und versucht meinen Groll unter Kontrolle zu bringen, was mir überhaupt nicht gelungen ist. Ich will schon etwas erwidern und ihr irgendeine Notlüge auftischen, als ich sehe, wie sie ihren Kopf leicht zur Seite neigt und mich fragend ansieht. Natürlich spricht sie mich gleich darauf an, wodurch mir wieder für einen Moment die Luft genommen wird: „Stimmt irgendetwas nicht? Du wirkst so angespannt.“ Ich weiß zwar nicht, was ich ihr in diesem Augenblick signalisiert habe, dass sie mir diese Frage stellt, aber ich muss das jetzt irgendwie klären. Leicht überrumpelt verneine ich es: „Nein, nein, warum auch?“ Schließlich zuckt sie leicht lächelnd die Schultern und ich verabschiede mich von ihr. Puh, das ist gerade noch gut gegangen, auch wenn ich mich jetzt mit der Tatsache anfreunden muss, dass sie morgen bei mir zuhause ist. Allein schon der Gedanke daran, lässt mich bereits das Schlimmste befürchten, aber ich habe wohl keine andere Wahl. Kaum habe ich mich von ihrem Fenster entfernt, klettere ich schon auf das Dach und lehne mich an der nächstbestgelegenen Stelle an. Ich seufze und schüttle leicht den Kopf. Wieso konnte ich ihr nicht irgendeine Story auftischen und mich dann verdünnisieren? Warum ist es mir so schwergefallen? Irgendwie finde ich heute zu nichts eine Antwort und das gilt besonders die eine Frage, was die Beziehung zwischen mir und ihr angeht. Es hilft alles nichts, ich muss mir Rat holen. Alleine komme ich einfach nicht weiter. So stemme ich mich von der Mauer weg und mache mich auf dem Weg. Mein Ziel ist Aprils Wohnung. Seitdem Donnie sich in ihrem Computer eingehackt hat, wissen meine Brüder und ich, wo sie wohnt. Nachdem Shredder besiegt wurde, kam es ab und zu vor, dass wir sie dort besuchten, oder sie von dort abholten. Je nachdem wie es verlief. So ist es kein Problem für mich, den möglichst kürzesten Weg zu ihr zu finden. Es hat gerade mal zwanzig Minuten gedauert, bis ich schließlich auf dem Dach des Gebäudes stehe. Ihre Wohnung ist eher in den oberen Etagen, weswegen ich gezielt an der Mauer herumklettere und dann bei der Feuertreppe herumspringe. Schon erreiche ich das Fenster und klopfe an. Zu meinem Glück lebt sie allein. Seitdem April die Sache mit uns herausgefunden hat, schien ihre Mitbewohnerin sie verrückt gehalten zu haben, weswegen diese bald darauf hastig die Wohnung verlassen hatte. Mein Gott, was für ein Hasenfuß! Das sind so die typischen Menschen, die ich hasse. Sobald irgendetwas nichts ganz rundläuft, ergreifen sie die Flucht, anstatt sich dem „Problem“ entgegenzustellen. Mir kann das jetzt aber egal sein und andererseits macht diese Tatsache so manches leichter. So erspar ich es mir wenigstens, mich wegen dieser Memme verstecken zu müssen. Demnach kann ich sogar einfach „eintreten“, ohne dass ich dabei wirklich vorsichtig sein muss. April hat zum Glück ein Fenster halb offengelassen, weswegen ich einfach geschickt einsteigen kann und in der Küche lande. Von dort aus rufe ich nach ihr. Nach dem zweiten Mal kommt sie endlich angedackelt und das in einem Bademantel und einem Handtuch auf dem Kopf. Einige nassen Strähnen hängen ihr im Gesicht. „Raphi, was machst du denn hier?“, ist gleich das Erste was ich gefragt werde, wobei ich mir sicher bin, eine leichte Empörung herauszuhören. Vermutlich habe ich sie, früher als gewollt, aus der Dusche gerissen. Zumindest würde das ihre jetzige Erscheinung erklären. Mir ist das allerdings in Moment schnuppe, auch wenn ich mich kurz gefragt habe, warum sie ausgerechnet um diese Uhrzeit noch duschen geht. Ich brauche jetzt einfach jemanden, der mir einen Rat geben kann. Alles andere kann mir egal sein. „Ich muss mal mit dir reden. Es … ist wichtig.“, murmle ich, wobei meine Worte eher gequetscht wirken. April verschränkt interessiert die Arme und mustert mich für einen Augenblick von oben bis unten an. „Das muss ja ziemlich ernst sein, so wie du dreinschaust.“, sagt sie schließlich und ich frage mich, was sie damit meint. Wie schaue ich denn?! Ich kann aber nichts erwidern, denn schon winkt sie mich zu sich und wir gehen in ihr Wohnzimmer, wo wir uns auf die Couch setzen. Ich habe mich kaum niedergelassen, schon fragt sie mich weiter aus: „Also Raphi, was ist denn so wichtig, dass du so plötzlich in meiner Wohnung auftauchst und mich dann auch noch aus der Dusche zwingst?“ Ich werde nervös und spiele dabei mit meinen Fingern herum, weil ich nicht weiß wie ich anfangen soll. Es ist doch schwieriger als gedacht und ich hasse das. April sieht mich weiterhin schweigend an. Zum Glück lässt sie ihre journalistische Art weg. Ich brauche einen Ratgeber und keinen, der mich bis aufs letzte Detail ausquetscht. Vielleicht war es doch keine gute so Idee und ich sollte doch besser wieder gehen. „Raphi, was ist los? Dich bedrückt doch etwas.“, drängt sie mich nach einiger Zeit, weil ich immer noch geschwiegen habe. Sie sieht mich sogar streng an. Vermutlich hat sie nach der Dusche-Sache wohl eher wenig Geduld. Nur widerwillig und zögernd fange ich endlich an zu erzählen: „Es ist … wegen Bernadette.“ Von Bernadette weiß April bereits. Auch wenn sie das Mädchen bis jetzt noch nicht persönlich getroffen hat, hat sie doch einiges über sie erfahren. Nachdem meine Freundin überstürzt meine Familie kennengelernt hatte, musste Mikey April diese „ach so tolle Neuigkeit“ unbedingt erzählen. So ist es für mich klar, dass die Frau auch von den Anspielungen meiner Brüder Bescheid weiß und ich daher nichts Näheres erklären brauche. Wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich das für gut oder eher für schlecht halten soll. Schließlich rede ich gerade mit April über meine Freundin. Nur mühselig, angespannt und leicht stotternd kann ich ihr mein Leid klagen. Es fällt mir sehr schwer, offen über meine Gefühle zu sprechen. Ich bin nicht wirklich der Typ dafür. Diese Gefühlsduseleien waren mir bis jetzt stets ein Dorn im Auge und ich habe mich immer davor gehütet, je so „weich“ zu sein, aber was soll ich schon anderes machen? Ich muss wissen, was ich jetzt tun kann. April hört mir währenddessen aufmerksam zu, aber ich merke, wie sich ihre Augen vor Staunen immer größer werden. Manchmal schaut sie sogar nachdenklich zur Seite, sagt aber kein Wort. Erst als ich zum Ende komme und sie direkt anspreche, wird sie davon abrupt herausgerissen: „Könnte … könnte ein Mensch sich in einem Mutanten verlieben?“ „ … Ich weiß es nicht. … Ich weiß es wirklich nicht Raphi. … Bei Freundschaft ist das kein Thema, aber was die Liebe angeht, bin ich leider selbst überfragt. Schließlich gibt es für den „normalen“ Menschen euch Mutanten nicht. Wie Aliens oder magische Wesen seid ihr für die meisten reine Fantasieprodukte. … Außerdem kenne ich Bernadette nicht wirklich. Ich weiß nicht, wie sie tickt. Ich weiß nur das, was die anderen mir erzählt haben. Sonst hätte ich dir sofort gesagt, dass ich vielleicht kleine Anzeichen zwischen euch beiden gesehen hätte. So bin ich allerdings selbst überfragt.“ meint sie darauf. Mit dieser Antwort habe ich irgendwie gerechnet. Nur hilft mir das kein bisschen weiter. Ich habe immer noch keine Ahnung, was ich jetzt tun soll. Spreche ich Bernadette darauf an, könnte vermutlich unsere Freundschaft zu Grunde gehen. Sage ich nichts, werde ich wahrscheinlich mit der Zeit innerlich zerbrechen. Denn ewig kann ich diese Nummer nicht durchziehen. Soviel steht schon mal fest. Verwirrt und überfordert lasse ich mich leicht nach vorne fallen, während ich meine Ellenbogen auf meine Knie abstütze und mein Gesicht in meine Hände vergrabe. Mich macht das einfach fertig. Fürsorglich tätschelt April mir meine linke Schulter und versucht mir einzureden, dass das schon irgendwie wird. Ich kann es aber nicht glauben. Zu sehr habe ich Angst davor, was passieren könnte. Ich dachte, wenn ich mit jemanden darüber rede, werde ich einen Weg finden, mein Problem zu lösen. So wie aber die Sache aussieht, scheine ich keinen Schritt weitergekommen zu sein. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie es ohne Bernadette wäre und wenn sie mich nicht mehr sehen möchte. Ich glaube, ich könnte das nicht ertragen. Das wäre der Horror. Kapitel 19: Leicht strapazierte Nerven -------------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Noch eine Weile stand ich gestern am Fenster und sah meinem Freund hinterher. Seine Stimmung, die so plötzlich und auch so merkwürdig umgeschlagen hatte, als würde sich abrupt das Wetter ändern, lässt mich auch jetzt nicht mehr los. Manchmal frage ich mich, was in Raphael vor sich geht. Er kann mir viel erzählen, aber ich bin mir sicher, dass ihn etwas bedrückt. Nur war es diesmal anders, als beim letzten Mal. Woran hat er plötzlich gedacht? Ich kann es mir nicht erklären, aber auf jeden Fall war etwas, das in ihm plötzlich etwas ausgelöst hatte und dennoch wollte er nicht darüber reden. Er hatte einfach so getan, als wenn nichts wäre. Als dürfte ich dies auf keinen Fall wissen. Dabei weiß er doch, dass ich ihm zuhöre. Egal worum es auch gehen mag. Stattdessen hatte er sich wieder so seltsam benommen. Ich glaube sogar, dass er sich sogar mehr verschlossen hatte, als beim letzten Mal. Dabei müsste er das doch gar nicht. Was ich ihm schon alles erzählt habe, müsste das eigentlich von seiner Seite ebenfalls kein Problem sein, oder hält er dies einfach für eine Schwäche? Ich weiß immerhin, wie stolz er auf seine Stärke ist und dass ihm nichts so leicht erschüttern kann. Dennoch ist irgendetwas, was ihm schwerfällt. Eigentlich wollte ich ihn gestern schon darauf ansprechen, bevor er auch nur die Chance hatte, sich so schnell wie möglich zu verdünnisieren, aber ich ließ es bleiben. Ich wechselte davor sogar das Thema, weil ich hoffte, dass er dann wieder lockerer werden würde. So wie er vorher war. Als ich nämlich in seine Augen sah, hatte ich den Eindruck, dass er das Thema unbedingt verdrängen wollte, welches ihn derzeit belastete. Als hätte er versuchen wollen, einfach nicht darüber nachzudenken und scheinbar kam mein Themenwechsel ihm sehr gelegen. Er redete sogar wieder „normal“ mit mir, als wenn zuvor absolut nichts gewesen wäre. Auch wenn ich mir sicher bin, dass da trotzdem nicht stimmt. Nur wie kann ich ihm helfen, wenn ich nicht den blassesten Schimmer habe, worum es eigentlich geht? Hätte ich etwa vielleicht doch besser Nägel mit Köpfen machen und ihn direkt darauf ansprechen sollen? Schließlich habe ich ihm schon einmal gesagt, dass ich diese Geheimniskrämerei nicht mehr möchte und dass er gefälligst offen mit mir reden soll. Wäre es aber wirklich klug gewesen, einfach so mit der Tür ins Haus zu fallen? Womöglich wäre es vielleicht sogar nach hinten losgegangen, hätte ich dies wirklich getan. Andererseits kenne ich das Gefühl, wenn man im Augenblick über etwas Bestimmtes nicht reden will. Bei sowas möchte man einfach seine Ruhe haben. Nicht immer ist der richtige Zeitpunkt da, um zu reden und wenn ich ihn dann darauf angesprochen hätte, hätte das vermutlich noch mehr verkompliziert. So wie er dreinblickte, war er in einem solchen Moment und ich musste mir beinahe schon auf die Zunge beißen, damit ich ja nichts Falsches sagte. Ich hoffe nur, dass er irgendwann über seinen Schatten springen kann und dass ihm bewusst ist, dass ich mich bemühe, ihn zu verstehen. Bei mir braucht er sich nicht zu scheuen, denn ich werde ihm genauso zuhören, wie er das bis jetzt auch bei mir getan hat. Ich bin für ihn da. Nur eines weiß ich ganz genau. Sollte sich dies ebenso entwickeln, wie beim letzten Mal, sodass ich vollkommen im Dunklen stehe, während das nächste Chaos im Ausbrechen ist, dann trete ich mal auf die Bremse. Ich habe wirklich viel Geduld, nur habe ich keine Lust darauf, ständig Detektiv zu spielen. Das gilt sowohl für meine eigenen Probleme, wie auch für jene in meinem Freundeskreis. Besonders wenn es um Raphael geht, möchte ich das einfach nicht. Noch lange beschäftigte mich sein gestriges Verhalten. Selbst in der Schule ging mir Raphael nicht aus dem Kopf. Immer wieder sah ich dieses bedrückte Gesicht vor meinen Augen und ich versuchte zu verstehen, was in meinem Freund vor sich gegangen war. Er ist mir immerhin, neben meiner Familie, die wichtigste Person in meinem Leben. Zwischen uns beiden hat sich einfach eine starke Bindung entwickelt und ich möchte ihn so gerne helfen. Ich weiß aber nicht wie und egal wie sehr ich darüber nachdenke, ich komme zu keinem wirklichen Ergebnis. Vielleicht weiß er nicht, dass er irgendwie mehr für mich ist, als nur ein „einfacher“ Freund. Ich weiß auch nicht, wenn ich da an meinen damaligen Freundeskreis denke, war das bei Benny und Martin nie wirklich so der Fall. Klar, ich mochte sie zu dieser Zeit sehr, aber mehr als gute Kumpels habe ich die beiden nie gesehen. Bei Raphael ist das vollkommen anders und manchmal schleicht sich in mir der Eindruck, als wäre bei ihm einfach noch mehr. Allein schon die Nächte, an dem ich ihn nicht sah, machten dies umso deutlicher. Mir wurde klar, dass ich bei unseren Treffen nicht nur seine Anwesenheit genossen habe. Er versteht mich und nimmt mich so, wie ich nun mal bin. Kein einziges Mal hat er zu mir gesagt, ich müsste mich anders verhalten, oder hat mir irgendwelche Belehrungen an den Kopf geworfen. Nein, seit unserem ersten Treffen ist er der Einzige gewesen, der mir mal zugehört hat und auch versucht hat, mich zu verstehen. Zwischen uns entwickelte sich dieses bedingungslose Vertrauen, welches ich nie mehr missen möchte und eigentlich ist da sogar noch etwas. Dieses Gefühl, was ich bisher noch nie bei jemandem gefühlt habe, aber das ist das Einzige, was er nicht von mir weiß und ich könnte es mir nicht einmal selbst erklären, weil ich es einfach selbst nicht verstehe. Ich muss einfach immer wieder an ihn denken. So waren mir auch die typischen Mobbingattacken irgendwie egal, während mein alltäglicher Schultag wieder „Normalität“ gefunden hat. Zumindest schien ich sie nicht wirklich zu bemerken und es waren auch nur jene von der wenig üblen Sorte. Weswegen ich ihnen einfach keine Beachtung schenkte. Dazu zählten die übliche Anrempelei und mich mit Papierkügelchen bewerfen. Selbst Lucinda schien keine Anstalten zu machen, mich zu bedrängen, auch wenn selbst sie mich trotz der Prüfungssache in Moment kalt ließ. Zu sehr war ich in meine Gedanken vertieft und mit dem Thema „Raphael“ beschäftigt. Als ich schließlich von der Schule nach Hause komme, bin ich überrascht, meine Mutter nicht mehr zu sehen. Eigentlich hätte ich sie schon im Eingangsbereich hören müssen, denn so leise ist sie nämlich nicht. Wenn sie mal Urlaub hat und daheim ist, so verbringt sie ihre Zeit gerne damit, die Musik laut aufzudrehen, oder sich einfach vor die Glotze setzen. Doch heute ist es still, als wenn niemand im Haus wäre. So rufe ich verwundert nach ihr. Egal aber wie oft ich dies tue, niemand antwortet mir und es wird für mich immer merkwürdiger. Normalerweise müsste meine Mom hier irgendwo im Haus sein, außer sie trifft sich wieder mit einer ihrer Freundinnen. Oder sie ist sogar ausgegangen? Gerade um diese Tageszeit wäre das allerdings eher untypisch für sie. Dafür kenne ich sie zu gut. Sie gehört nämlich mehr zu dem Typ Frauen, welche am späten Nachmittag und in der Nacht durch die Gegend streifen. Eigentlich kenne ich das von woher. Ach ja stimmt, ich bin ja nicht viel anders. Ich bin ja auch mehr eine Nachteule, als ein Tagmensch und das war auch schon so, als ich noch ein Kind war. Eine Weile rufe ich noch nach ihr, wobei ich mir schön langsam ziemlich dumm dabei komme, aber es kommt mir einfach so komisch vor. Es passt nun mal nicht zu meiner Mutter, einfach zu gehen, ohne dabei jemandem Bescheid zu geben, oder eine Nachricht zu hinterlassen. Gerade sie möchte bei solchen Themen stets ein Vorbild sein, aber vielleicht hat sie in der Küche etwas hinterlassen. Meistens ist dort etwas zu finden. Wenn nicht, werde ich sie mal anrufen. So sehe ich mich erst einmal um und als ich wenig später die Küche betrete, sehe ich schon von Weitem ein Stück Papier auf dem Küchentisch liegen. Also habe ich doch recht behalten. Etwas Anderes war ja nicht zu erwarten. Nur als ich mich dem Tisch nähere, merke ich, dass es zusammenfalten ist. Normalerweise heißt das in meiner Familie eher weniger etwas Gutes. Viel mehr deutet dies auf einem Abschied hin, was wiederum meine Stimmung noch weiter runterzieht. Als ich genauer hinsehe, lese ich schon, was darauf geschrieben steht: « An Tina und Bernadette » Es ist ein Abschied, ich habe es befürchtet. Nur warum musste sie so plötzlich weg. Gestern schien immerhin noch alles in Ordnung bei ihr zu sein. Ich werde aber nicht mehr wissen, wenn ich einfach nur dastehe. So nehme ich das Papier in die Hand, entfalte es und lese den Brief: « Es tut mir leid, dass ich so schnell wegmusste. Ich habe aber in letzter Sekunde eine Nachricht erhalten, dass ich für einen Kollegen einspringen muss. Vermutlich ist er krank geworden. Also macht euch keine Sorgen. Ich melde mich, sobald ich kann. Alles Liebe, Mom. » Sie ist also „wegen einem Kollegen“ weg. Ich weiß nicht, aber irgendwie kann ich es nicht glauben. Denn wenn es wirklich so wäre, so wie es dasteht, dann hätte sie zumindest geschrieben, dass sie sich melden würde, NACHDEM sie sicher GELANDET wäre. Denn das sagt, bzw. schreibt sie sonst immer. Daher glaube ich es ihr einfach nicht. Ich vermute eher, dass sie somit die Ereignisse der letzten Tage verdrängen will, die sie wahrscheinlich immer noch nicht ganz verdaut hat. Ich kenne meine Mom gut, daher weiß ich, dass das wieder eine ihrer typischen Reaktionen ist. Sie stürzt sich einfach in die Arbeit und lässt die Probleme dadurch hinter sich. Als könnte sie einfach wie ein Vogel wegfliegen und die Probleme könnten ihr nicht folgen. Das war schon so, als Dad von uns ging. Zwei Tage nach der Beerdigung setzte sie sich einfach in den nächsten Flieger und war fort. Ich hatte damals nicht einmal die Chance, mich von ihr zu verabschieden, da sie einfach ihre Sachen gepackt hatte und ohne ein Wort zu sagen das Haus verlassen hatte. Das Einzige, was noch von ihr da war, war ein Zettel, in der auch so eine ähnliche Nachricht zu lesen war. So wie damals, sowie auch heute schob meine Mutter es auf die Arbeit, anstatt mit jemanden darüber zu reden und ehrlich zu sein. So war es nicht verwunderlich, dass ich als Kind damit völlig überrumpelt wurde. Mein Glück war es allerdings, dass ich damals noch Dorian hatte, welcher zurzeit noch mit mir gemeinsam bei unserer Tante lebte. Paul hatte zur damaligen Zeit bereits eine eigene Wohnung, weswegen ich nur eine Person zum Reden hatte. Nur diesmal ist mein Bruder nicht bei mir und ich frage mich, wieso meine Mom schon wieder flieht, anstatt einfach zu reden. Wenn sie so weitermacht, wird sie sich noch irgendwann ins Unglück stürzen, davon bin ich überzeugt. Leider hört sie nicht auf mich. Ich bin ja schließlich „nur“ ihr Tochter, aber vielleicht braucht sie wirklich die Wolken um sich besser zu fühlen. Ich weiß es nicht. Zumindest wünsche ich ihr das. Mehr als das, kann ich in ihrem Fall ja sonst nicht tun. Aus Raphaels Sicht: Stunden um Stunden hänge ich hier unten in der Kanalisation fest. Doch ich bin scheinbar der Einzige, dem das stört. Denn nur ich habe bis jetzt meine Meinung dazu schon mehr als nur deutlich geäußert, dass wir vier nicht nur nachts agieren sollten, aber keiner hört auf mich. Meister Splinter stellt auf stur und beharrt darauf, dass meine Brüder und ich tagsüber die Zeit hier unten totschlagen müssen. Egal wie wir diese auch nutzen, mich kotzt es einfach momentan an und ich finde, dass es wirklich das Letzte ist! Es ist schon klar, dass wir von den Menschen nicht gesehen werden dürfen. So bescheuert ist niemand von uns. Selbst Mikey schaffte es immer, von niemandem entdeckt zu werden, der von uns vieren wirklichen der Lauteste ist, aber das ist doch echt übertrieben! Schließlich sind wir Ninjas und wissen daher, wie wir uns verbergen können! Auch wenn der Schatten unser Verbündeter ist, müssen wir uns doch nicht immer in der Dunkelheit verstecken. Dafür sind wir einfach zu gut und langsam langt´s mir! Ungeduldig wandere in unserem Zuhause auf und ab, während ich mir sehnlichst die Dämmerung herbeiwünsche. Ich will einfach nur hier raus! Ich habe einfach das Gefühl hier unten noch zu ersticken, so eingeengt fühle ich mich. Nicht einmal das Training konnte mich wirklich auf andere Gedanken bringen. Dabei habe ich heute wieder einen guten Tag gehabt und sogar meine Brüder das eine oder andere Mal auf die Bretter geschickt. Das Training ist allerdings schon seit einer Weile wieder vorbei und an Schlafen beziehungsweise ans Ausruhen brauche ich erst gar nicht zu denken. Ich würde so oder so kein Auge zubekommen und mich nur unnötig hin und her wälzen. Da ist es besser, wenn ich stattdessen etwas Anderes mache und mich irgendwie beschäftige. Es ist nur die Frage was und weil mir zurzeit nichts Besseres einfällt, schlürfe ich hier unten durch die Gegend. Zu meinem Glück lässt mich Mikey zurzeit mit seinen nervigen Sprüchen in Ruhe. Auch wenn das besonders im ersten Moment für mich ein wenig komisch gewesen ist. Denn mein Bruder mit der orangen Maske wagt es nicht einmal, irgendetwas zu mir zu sagen. Sobald er mit seinem dämlichen Grinsen um die Ecke biegt und mich sieht, zieht er sich sofort wieder zurück, oder geht schlicht an mir vorbei, als wenn ich Luft wäre. Auch Leo und Donnie scheinen mir bewusst aus dem Weg zu gehen. Habe ich irgendetwas zu ihnen gesagt, dass sie das machen? Ach was soll´s. Ich sollte besser froh darüber sein, dass sie mir nicht wieder auf dem Geist gehen, sondern mich in Ruhe lassen. Ich fühle mich auch ohne sie aufgekratzt. Auch wenn sie mir sonst ständig auf die Pelle rücken, kann ich es nun „genießen“, wenn es in diesem Fall überhaupt möglich ist. Wieso denke ich eigentlich darüber nach? Ich sollte mich nicht beschweren, sondern es einfach sein lassen, aber diese „Ruhe“ und dieses Nichtstun macht mich noch irre! Mein Hirn explodiert beinahe und so geht es mir schon die ganze Zeit, wenn ich nicht gerade dabei bin, mich mit Hilfe meiner Fäuste abzulenken. Schon seit gestern Nacht bin ich so drauf. Ich konnte nach dem Besuch bei April kaum schlafen, geschweige mal für fünf Minuten zu Ruhe kommen. Zu viel ging mir einfach durch den Kopf und dass ihre Worte mich nicht beruhigen konnten, erschwerte die Sache umso mehr. Vielmehr machte mich ihre Antwort noch pessimistischer, als was ich es eh schon bereits gewesen bin. Allein die Vorstellung daran, macht es mir umso schwerer, klar zu denken und nicht einmal unser Hogosha hatte für mich etwas in Petto, mit ich irgendetwas anfangen könnte. Stattdessen plagten mich dieser Zweifel und dieses erdrückende Gefühl, was auch bis jetzt nicht aufgehört hat. Stundenlang wälzte ich mich in meinem Bett hin und her und konnte einfach keine Ruhe finden. Wenn ich die Augen schloss, sah ich immer wieder Bernadette vor mir und ich fragte mich, was nun auf mich zukommen würde. Die Sorge mit dem Was-wäre-wenn geisterte stetig durch meinen Verstand und lässt mich bis heute nicht in Ruhe. Irgendwann musste ich allerdings doch noch eingeschlafen sein, denn heute Morgen wachte ich erschöpft auf, wobei ich meine Augen kaum offenlassen konnte. Am liebsten hätte ich mich umgedreht, die Decke über den Kopf gezogen und weitergeschlafen. Es hätte mir aber nichts genutzt, weil ich bald darauf wieder mit meinen momentanen Gedanken konfrontiert wurde und abgesehen vom Training und meinem „üblichen“ Alltag hätte sich nichts daran geändert. Jetzt bin ich zwar viel wacher, aber immer noch ziemlich erschöpft und durcheinander. Die Nacht war einfach kürzer als sonst, dennoch wollte ich mir meine Müdigkeit nicht anmerken lassen. Es hätte einfach nur dazu geführt, dass ich nur von den anderen belagert werde, während sie mich dazu bis in die Unendlichkeit ausfragen. Zu meiner Überraschung konnte ich dies sogar mit Hilfe unseres Trainings irgendwie wettmachen und keiner meiner Brüder sprach mich auf meine Müdigkeit an. Auch wenn ich mir dabei nicht zu hundert Prozent sicher bin, ob ihnen überhaupt etwas aufgefallen ist. Dennoch bleibe ich weiterhin von meiner Unruhe nicht verschont. Ich will mich gerade wieder dem Boxsack zuwenden, damit ich meine Gedanken endlich freibekomme, als Dad mich zu sich lotst. Eigentlich wollte ich mich etwas abreagieren und vom ewigen Trott loskommen, aber das wird mir jetzt nicht gegönnt. Schnaufend, aber ohne jegliche Widerworte wende ich mich von dem Ding ab und gehe zu meinem Sensei, der mit dem Stab in der Hand in Richtung seines Zimmers geht. „Raphael, schließe bitte die Tür.“, fordert er mich danach auf, was ich gehorsam mache und mich dann anschließend an dem zugewiesenen Platz niederlasse. Sein Blick ist ernst und nach seiner Stimme zu urteilen, scheint er gerade über irgendetwas nicht begeistert zu sein. Was habe ich denn jetzt schon wieder angestellt? Ich habe mich doch heute mit niemanden gestritten und beim Training habe ich auch gute Ergebnisse erzielt, also warum musste ich hier antanzen?! Seitdem mein Vater mich zu sich bestellt hat, geistern mir diese Fragen durch den Kopf, ich wage es aber nicht diese laut auszusprechen. Dafür habe ich zu viel Respekt, was meinen Vater angeht und es ist einfach bei uns üblich, dass er das erste Wort hat. Somit warte ich einfach nur ab. Ich hätte eigentlich nicht einmal etwas zu sagen, aber wenn ich schon hier sein muss, dann muss es wichtig sein. Meister Splinter macht nichts ohne Grund, auch wenn man es auf dem ersten Blick nicht sehen kann. Allerdings würde ich jetzt viel lieber wieder einen Abgang machen und auf meinen Bockssack eindreschen, aber so lange der alte Herr etwas von mir will, kann ich mich nicht so einfach drücken. Also abwarten und die Sache über sich ergehen lassen, was bleibt mir auch anderes übrig? So bleibe ich stumm bei meiner jetzigen Position und warte nur darauf, dass Meister Splinter endlich etwas sagt. Eine ewig zu scheinende Zeitspanne bleibt es noch still, bis Dad endlich zu reden anfängt: „Gibt es vielleicht etwas, was du mir sagen willst, Raphael?“ Ich horche auf. Was meint er damit, oder besser gesagt, was soll ich bitteschön sagen? Seine Frage verwirrt mich und dementsprechend schaue ich ihn auch an, bevor ich schließlich den Kopf heftig schüttle und das Ganze verneine: „Nein, was denn auch?! Es ist alles so wie immer.“ Nun streicht er sich über seinen Bart, während er mich keine Sekunde aus den Augen lässt. Worauf wartet der bitte?! Soll ich jetzt auch noch ein Kunststück aufführen, oder was will er von mir?! Doch anstatt meine Gedanken laut werden zu lassen, bleibe ich weiterhin stumm, schaue ihn aber entgeistert und auch ungeduldig an. Mein Vater allerdings sieht dies nicht so und zweifelt an meiner Antwort. „So? … Ich habe aber das Gefühl, dass dir etwas auf der Seele lastet, mein Sohn.“, hakt er weiter nach und ich muss schlucken, ehe ich dann beschämt zur Seite schaue und allmählich begreife, was hier abgeht. Anscheinend sieht man mir die Sache doch an, auch wenn ich versuche, so normal wie immer zu sein. Ich würde es aber auch nicht ausschließen, wenn einer meiner Brüder dahinterstecken würde. Immerhin gehen mir die drei schon die ganze Zeit aus dem Weg. Sie könnten daher zu unserem Sensei etwas gesagt haben. Die haben doch alle keine Ahnung! Keiner von ihnen hat auch nur die geringste Vorstellung davon, was in mir vorgeht, aber helfen kann mir auch keiner! Das gilt sowohl für Meister Splinter, wie auch für die anderen drei. Mein Dad ist mit Sicherheit jemand, der viel Wissen und Weisheit in sich trägt. Dafür bewundere und achte ich ihn sehr, aber das, was mich zurzeit beschäftigt, kann selbst er mir nicht helfen. Es ist ja immerhin etwas, was keiner von uns jemals wirklich erfahren hat. Zumindest wüsste ich es bei meinem Vater nicht und wenn selbst April mir kein bisschen helfen konnte, wie könnte er es? Noch immer schweige ich, denn ich wüsste so oder so nicht, was ich darauf antworten soll. Er würde demnach nachbohren und selbst, wenn ich ihm eine Lüge auftischen würde, würde er schnell dahinterkommen. So leicht kann man ihm nichts vormachen. Das hat er bereits nicht nur einmal bewiesen und momentan bin ich nicht gerade imstande, irgendetwas aus den Fingern zu ziehen. Da ist es besser zu schweigen und auf ein „Ausflug“ ins Hashi habe ich jetzt ebenfalls keine Lust. Mein Sensei seufzt nach einer Weile. Anscheinend hat er damit gerechnet, oder vielleicht doch gehofft, dass ich endlich die Klappe aufmache. Ich weiß es nicht und irgendwie will ich es auch gar nicht wissen. Im Moment möchte ich einfach nur wieder gehen, was er mir zu meinem Glück auch gestattet: „Nun, wenn es nichts weiter zu bereden gibt, kannst du gehen.“ Ich blicke ihn verwundert und fragend an. Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass Dad mich streng ermahnen würde, endlich mit der Sprache rauszurücken. Denn so macht er es immer und holt, wenn es sein muss, seine Informationen auf anderen Wegen. Ich sage nur Hashi und diesen Raum haben meine Brüder und ich nicht nur einmal besucht. Stattdessen lässt er mich jetzt ziehen und fragt nicht weiter nach. Noch immer schaue ich ihn verdutzt an, ehe ich mich verwirrt erhebe und den Raum schweigend verlasse. Langsam muss ich wirklich hier raus, denn ich fühle mich von allen hier richtig erdrückt. Ich hätte mich auch endlich meinen Boxsack widmen und meinen Frust rausprügeln können. Doch dafür ist mir die Lust endgültig vergangen. Dass Meister Splinter mich zu sich bestellt hatte und dabei nichts rauskam, hat mein Verlangen, endlich an die Oberfläche gehen zu können, nur noch verstärkt. Schließlich eile durch die gesicherte Tür, die Donnie vor einigen Jahren montiert hatte, und marschiere einfach tiefer in die Kanalisation. Wenn ich schon nicht nach oben kann, so will ich lieber durch die Gänge streifen. Immerhin kenne ich den Laden hier unten gut genug, um mich nicht zu verirren und wenn die anderen mich suchen sollten, wissen die ja, wo sie damit anfangen sollten. Schließlich habe ich das schon oft genug gemacht und es gibt hier unten immer Anhaltspunkte, an dem ich mich mit den anderen treffen könnte. Doch fürs Erste will ich nur allein sein. Mit blanken Nerven streife ich nun durch die Tunnel und warte sehnsüchtig auf die Abenddämmerung. Wie lange es wohl noch dauern wird? Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man fast schon glauben, dass die Sonne sich absichtlich Zeit lässt, nur um mich zu ärgern. Was für ein Schwachsinn! Stundenlang bin ich bereits herumgeschlendert. Manchmal bin ich sogar gelaufen, um den Druck tief in mir für einen Moment nicht mehr zu spüren. Doch es hat sich bis jetzt nichts daran geändert. Als würde ich eine riesige und demnach schwere Last auf meinen Schultern tragen und das meine ich sogar wortwörtlich. Es kommt mir sogar beinahe vor, als würde ich die ganze Zeit einen Haufen an großen steinen mit mir herumschleppen, die ich einfach nicht so schnell loswerden kann. Nach einer Weile lasse ich mich allerdings für einen Moment einfach an der nächsten Mauer fallen, ehe ich die Augen für ein paar Sekunden schließe und tief durchatme. Komm jetzt endlich runter Raphi! Das bringt´s sich doch alles nichts! Jetzt krieg dich endlich mal wieder ein! Das sind zumindest die Worte die ich mir immer wieder einrede, damit mein Körper mal zur Abwechslung auf Leerlauf geht und sich etwas entspannt. Nach einiger Zeit glaube ich sogar, es auch allmählich zu schaffen. Zumindest halte ich an diesem Glauben fest. Eine Weile bleibe ich noch an derselben Stelle, bis ich mich davon löse und mich durch den nächsten Schacht vorsichtig nach oben wage. Meinem Gefühl nach sollte sich der Tag langsam dem Ende neigen und ich werde zu meinem Glück nicht enttäuscht. Behutsam schiebe ich den Gullideckel zur Seite und merke gerade, wie das Licht einen dunklen Orangeton angenommen hat. Wohin ich auch sehe, die Menschen, Gebäude und auch andere Dinge hinterlassen einen langgezogenen Schatten, während die Sonne immer mehr hinter dem Horizont verschwindet. Der Tag neigt sich allmählich dem Ende zu und ich kann endlich hier raus! Das wird aber auch langsam Zeit! Ich habe schon geglaubt, ich müsste noch länger hier unten versauern, bis ich mich endlich nach oben wagen und in Bewegung setzen könnte. Mit diesem jubelnden Gedanken schiebe ich die runde Metallplatte endgültig zur Seite, klettere heraus und mache mich schließlich auf dem Weg. Auch wenn ich dabei immer noch mit einem seltsamen Gefühl in der Magengegend begleitet werde, welche gerade einen eigenen Kampf zu bestreiten hat. Dass ich aber endlich raus kann, erleichtert die Sache ein wenig. Es dauert nicht lange, bis ich Bernadette abgeholt und sie anschließend zu mir nach Hause gebracht habe. Den ganzen Weg zu ihr habe ich ständig versucht, eine neutrale Haltung aufzubauen, damit sie mich nicht als völliges Nervenbündel sieht. Schließlich bin ich nicht schwach! Keiner, der mich kennt, braucht auch nur ansatzweise davon anfangen! Der würde sich bei mir nur eine blutige Nase holen! Selbst sie soll sehen, dass mich nichts so schnell kleinkriegen kann. Auch wenn mich diese Was-wäre-wenn-Geschichte bis jetzt noch immer nicht losgelassen hat. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich mich davon besiegen lasse! Schließlich bin ich kein Weichei, oder eine Heulsuse! Zu meiner eigenen Überraschung schaffe ich es auch irgendwie, denn lächelnd habe ich sie in meine Arme genommen und bin mit ihr über die Dächer gesprungen. Ich habe sogar, ohne dass sie es mitbekommen hat, mir Zeit gelassen, als ich den Heimweg angesteuert habe. Schließlich wollte ich sie noch etwas für mich alleine haben, ehe der Trubel daheim aufs Neue losgeht. Zudem war es auch einfach wieder ein schönes Gefühl, sie wieder in meinen Armen tragen zu können. Ironischer Weise hat mir das sogar Kraft gegeben. Natürlich wird meine Freundin zu Hause wieder aufs Neue herzlichst in Empfang genommen. Auch wenn Leo diesmal viel entspannter ist, was Bernadette betrifft. Scheinbar hat sich wohl auch bei ihm in letzter Zeit etwas getan. Hat er nun endlich begriffen, dass meine Freundin nicht automatisch eine Gefahr für die Familie bedeutet und dass man ihr wirklich trauen kann? Hängt wohl mit dem letzten Aufeinandertreffen zusammen. Nur wenn ich daran denke, muss ich meine Wut wieder unterdrücken. Schließlich hätte ich an seiner Stelle dort sein müssen, aber ich kann es jetzt nicht ändern. Was mich aber zudem auch noch wurmt, ist, dass er nun so vertraut mit ihr ist. Als hätte zuvor nie ein Misstrauen zu ihr stattgefunden. Heuchelei ist das! Ich sage aber nichts und versuche einfach nur im Geschehen mitzuwirken. Schließlich schulde ich Bernadette das. Anders, als beim letzten Mal, als ich mich einfach von ihr entfernt habe, will ich es nun besser machen. Also Augen zu und durch. Wir sitzen gerade gemütlich am Sofa. Wobei ich armeverschränkend am äußersten Rand einen Platz gefunden habe, während sich die anderen verstärkt Bernadette zugewandt haben. Da meine Brüder sie nicht allzu oft zu Gesicht bekommen, nutzen sie diese Gelegenheit nun schamlos aus. Es wird gelacht, geschwatzt und auch gescherzt. Doch solange sie unter sich sind, habe ich das Gefühl, als hätte ich gerade in eine saure Zitrone gebissen. Mir geht es einfach auf die Nerven, hier unten zu sitzen. Lieber wäre es mir gewesen, wenn Bernadette und ich wieder unter uns wären und uns irgendwo auf dem Dach eines Gebäudes befinden würden, anstatt die gesamte Familie mit ihrer Erscheinung zu beehren. Doch sie bestand darauf. Sie wollte einfach meine Familie besser kennenlernen. Nur, was bringt sich das? Sie kennt doch meine Brüder und meinen Vater bereits und reicht es ihr nicht, was ich ihr bisher über sie erzählt habe? Da gibt es nun mal nichts Neues, selbst wenn sie persönlich mit ihnen redet. Was habe ich nur bei mir gedacht? Ich hätte einfach „Nein“ sagen sollen! Nun habe ich den Salat! Soweit es mir irgendwie möglich ist, mache ich irgendwie mit, auch wenn mir ganz gar nicht danach ist. Ich wäre sogar am liebsten aufgestanden und wäre gegangen, aber dann würde ich genauso handeln, wie beim letzten Mal. Nein, das will ich nicht! Ich muss mich einfach zusammenreißen und gute Miene zum bösen Spiel machen. Allerdings, wenn ich zwischendurch in ihr Gesicht blicke und sehe, wie fröhlich sie in unserer Runde ist, bin ich für einen kurzen Augenblick entspannt. Ich sehe sie einfach gerne lachen. Es steckt mich förmlich auch, sodass ich selbst ein wenig lächeln muss und dennoch spüre ich in mir, dass der Groll keine Sekunde eine Ruhe gibt. Gerade eben sind sie dabei über gemeinsame Interessen, wie Filme oder dergleichen, zu sprechen. Bei manchen Geschmäckern meiner Brüder kann ich ihr ansehen, dass sie deren Meinung nicht wirklich teilt. Dabei verzieht sie sogar ihr Gesicht, wie es zum Beispiel beim Thema „Horrorfilme“ der Fall ist und sie meint noch dazu: „Also nein. Horrorfilme, Thriller und sowas ist einfach nicht mein Fall. Die harmlosen Gruselfilme gehen ja noch, aber die harte Sorte ist echt nichts für mich. Da könnte ich wohl kaum noch ein Auge zubekommen.“ „Und was siehst du dir lieber an?“, fragt nun Donnie, der sich wohl eine kurze Auflistung von verschiedenen Filmen erhofft, doch Bernadette bleibt, was das angeht, sehr offen: „Das ist verschieden, aber am liebsten mag ich ja Fantasyfilme. Dann kann ich einfach in eine andere Welt tauchen.“ „Wohl mal raus der harten Realität, oder?“, hakt Leo lachend nach, aber der hat doch keine Ahnung! Keiner von ihnen hat auch nur einen blassen Schimmer, wie es bei Bernadette manchmal zugeht und ich muss es ja wissen. Mir hat sie bereits einiges anvertraut, aber vermutlich ist selbst dies nur die Spitze des Eisberges. „Hey, sag mal, wenn wir schon hier gemütlich beieinandersitzen, was hältst du von einem Spitznamen? … Ich meine Bernadette ist doch wirklich ein langer Name und …“, fängt Mikey auf einmal mit einem völlig anderen Thema an, mit dem keiner von uns auch nur ansatzweise gerechnet hat. Doch meine Freundin stoppt ihn sofort und ich weiß auch warum. Schon als sie das Wort „Spitzname“ gehört hat, hat sich ihr Blick von fröhlich auf ernst verändert und sie argumentiert darauf, dass mein geschätzter Bruder das gleich mal wieder vergessen kann: „Das kannst du dir gleich wieder abschminken Mikey. Ein Spitzname für mich kommt gar nicht in Frage!“ Doch wie wir alle Mikey kennen, lässt er es nicht auf sich beruhen und geht noch weiter auf das Thema ein: „Hey, komm schon! Ich bin mir sicher, dass wir einen tollen finden werden. … Wie wäre es mit Berni, oder Detti, oder …“ „Vergiss es Mikey! Ich will keinen Spitznamen! Und wage es ja nicht mich irgendwie so zu nennen, sonst lernst du mich mal von einer ganz anderen Seite kennen. Ist das klar?!“, widerspricht sie ihm sofort, nachdem sie ihn kurzerhand unterbrochen hat und das ist das erste Mal, an dem ich heute so richtig schmunzeln muss, ohne mich dabei zu verstellen, oder ihr ins Gesicht zu blicken. Denn allein diese Situation ist zum Schreien komisch. Ich kenne sie schließlich schon gut genug, sodass ich weiß, dass Bernadette ganz schön stur und leicht aufbrausend sein kann, wenn sie will. Dass sie aber wegen einem Namen so reagiert, hätte ich nicht so schnell damit gerecht. Wobei ich schon zugeben muss, dass bei ihrem Vornamen nicht wirklich ein Spitzname passt. Berni geht ja noch, aber Detti? Das klingt ja wie bei einem Haustier und das würde ich mir an ihrer Stelle auch nicht gefallen lassen. Innerlich feuere ich sie sogar an, wobei ich es auch nicht lassen kann, laut ein Kommentar dazu abzugeben: „Ich würde lieber darauf hören Mikey. Mit ihr ist nicht gut Kirschen essen, wenn es um sowas geht.“ „Du musst es ja am besten wissen.“, schmunzelt Donnie und ehe ich noch darauf reagieren kann, meint Leo: „Ich würde auch sagen, dass wir bei „Bernadette“ bleiben, bevor noch ein „Krieg“ deswegen ausbricht. Außerdem klingen deine Vorschläge nicht gerade danach, als würde sie gerne danach gerufen werden wollen Mikey.“ „Ich war ja auch nicht fertig mit meiner Liste, aber wie ihr wollt.“, beschwert sich unser Bruder mit der orangen Maske gleich wieder und da kann ich mir ein Grinsen nun endgültig nicht verkneifen. Hätte nicht gedacht, dass ich heute mit der Sache doch besser umgehen würde als das letzte Mal. Auch wenn ich dieses nervende und erdrückende Gefühl bis jetzt immer noch nicht wirklich abschütteln konnte, welche sich weiterhin immer wieder zu Wort meldet und mir damit signalisiert, dass sie sich nicht so einfach von mir ignorieren lässt. Zumindest konnte ich für heute dafür sorgen, dass sich Bernadette bei uns wohlfühlt, ohne dass ich die Sache kaputt mache. Ich hoffe nur, ich vermassle es nicht irgendwann mal doch noch. Kapitel 20: Ziemlich dicke Luft ------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Einige Tage sind vergangen, seitdem ich das erste Mal so richtig bei Raphael zu Hause war. Es war einfach schön und ich konnte viel mit ihm und den anderen lachen. Ich muss zugeben, dass ich Leo, Donnie und Mikey richtig gern habe. Sie könnten beinahe meine Brüder sein, aber vielleicht empfinde ich das nur, weil ich selbst mit Brüdern aufgewachsen bin und mich daher ziemlich gut mit ihnen verstehe. Jeder von ihnen hat etwas Eigenes an sich, was ich bereits bei den ersten Treffen und Kennenlernen mit ihnen erleben durfte. So unterschiedlich sie auch vom Charakter her sind, konnte ich dennoch spüren, wie nah sie dennoch zueinanderstehen und wie viel sie alle vier gemeinsam haben. Zudem sind sie auch keineswegs zu schade, mal den Sarkasmus rauszulassen. Es lockert das Gespräch nicht nur auf, ich bin mit ihnen irgendwie auf einer Wellenlänge. Mikey ist allerdings irgendwie am schrägsten von ihnen. Auch wenn Raphael mich vor ihm „gewarnt“ hat, muss man dennoch bei diesem Mutanten aufpassen, dass man von seinen Albernheiten nicht „überrollt“ wird. Ich weiß zwar, dass er das einfach aus Spaß meint, aber auch er sollte mal kapieren, wo die Grenzen sind. Allein schon die Sache mit den Spitznamen sollte hoffentlich geklärt sein. Ich garantiere wirklich für nichts. Sonst sieht er tatsächlich die Radieschen von unten, das schwöre ich ihm. Ich hasse Spitznamen und bei meinem Namen gibt es nun mal keine Gutklingenden! Mir reicht es schon, wenn ich von meiner Tante und auch von meiner Mutter manchmal „Bernadettchen“ gerufen werde. Das klang vielleicht noch „süß“, als ich noch ein kleines Kind war, aber jetzt passt das absolut nicht zu mir. Was soll´s. Es gibt ja noch Schlimmeres im Leben, als das. Viel wichtiger war es mir einfach, dass ich die Jungs besser kennenlernen konnte. Ich sehe sie ja nicht allzu oft, weswegen ich einfach darauf bestand. Ich liebe es zwar, mit Raphael allein durch New York zu streifen, aber die Familie ist meiner Meinung nach etwas sehr Bedeutsames und genauso sehe ich das, wenn es um Freunde geht. Schließlich ist sowas für mich wie ein zweite Familie. Besonders seitdem Leo endlich begriffen hat, dass ich keine Bedrohung bin, ist es für mich einfach ein noch größeres Anliegen geworden, sie mehr in meinem Leben teilhaben zu lassen. Ich möchte ihnen vertrauen und auch sie sollen wissen, dass man mir ebenso vertrauen kann. Seitdem ist wieder einige Zeit vergangen. Zwischendurch war ich wieder mit Raphael alleine unterwegs, wobei ich ständig das Gefühl hatte, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Allmählich wird mir das unheimlich, aber wenn ich meinen Freund mit der roten Maske darauf anspreche, wechselt er entweder das Thema, versucht mich mit irgendetwas abzulenken, oder er hat wieder diesen beklemmenden Gesichtsausdruck. Egal was ich auch anstelle, er redet nicht mit mir darüber und schön langsam fühle ich mich wie der Depp vom Dienst. Dabei habe ich mich bereits schon selbst gefragt, warum ich nicht einfach einen Strich ziehe und mit ihm mal Tacheles rede. Sein momentanes Verhalten passt nun mal nicht zu ihm. Er ist in letzter Zeit so anders geworden und dennoch gab es dann wieder Situationen, in denen er sich wiederum so zeigte, wie ich ihn kenne. Ich verstehe das nicht und ich verstehe auch mein eigenes Verhalten nicht. Bei keinem anderen bin ich so vorsichtig, wie bei ihm. Ist es etwa, weil ich mich ihm so nahe fühle? Weil wir beide doch irgendwie mehr gemeinsam haben, als was man zunächst erahnen könnte? Wenn ich so darüber nachgrüble, merke ich wieder, dass da einfach mehr ist, als nur Geborgenheit und Freundschaft. Kann es vielleicht doch sogar sein, dass … nein, das unmöglich! An das brauche ich erst gar nicht zu denken! Ich meine, … nein, das geht einfach nicht. Ich mache mich dabei nur selbst lächerlich und wer weiß wie es wirklich ist. Da würde ich nur unnötig eine Lawine ins Rollen bringen und vielleicht sogar unsere Freundschaft aufs Spiel setzen. Gerade das will ich nicht und für nichts will ich das in Gefahr bringen. Vielmehr sollte ich mir Gedanken machen, was ich jetzt mit diesem Dickschädel anstelle. Es kann ja schließlich nicht ewig so weitergehen. Ich gebe ihm aber noch eine Chance. Auch wenn es mir förmlich unter den Fingernägeln brennt, seinem merkwürdigen Verhalten auf die Schliche zu kommen, möchte ich dennoch fair sein. Vielleicht übertreibe ich ja auch damit, aber irgendetwas in mir sagt mir ständig, dass ich einfach geduldig bleiben soll. Immerhin hatte er sich ja an jenen Abend, an dem ich bei ihm zuhause war, für seine Verhältnisse ja auch „normal“ verhalten. Wenn er heute allerdings wieder so merkwürdig drauf ist, nehme ich diesmal keine Rücksicht mehr darauf, sondern verlange endlich die Wahrheit. Ich habe wirklich viel Geduld und Verständnis, aber auch bei mir gibt es Grenzen. Ich sitze gerade in meinem Zimmer und mache meine Hausaufgaben. So richtig konzentrieren kann ich mich aber nicht, denn ich bin mit den Gedanken ganz woanders. Dabei habe ich die Schreiberei schon ständig vor mich hergeschoben und ich sollte mal langsam fertig werden. Sonst hängt mir das noch ewig nach. Dennoch fällt es mir schwer, einfache Sätze zu bilden und ich schwenke meinen Blick ständig zum Lehrbuch, in der die Aufgabenstellung steht. Wie mir die Schule manchmal auf dem Geist geht. Hausaufgaben gehören verboten! Am liebsten hätte ich den gesamten Pack in den Mistkübel befördert, aber ob ich will oder nicht, diese unnötige Arbeit muss erledigt werden. So setze ich die seufzend wieder fort. Plötzlich stürmt meine Tante ohne anzuklopfen in mein Zimmer und ich drehe mich erschrocken zu ihr, wobei mir auch noch der Kugelschreiber aus den Fingern flutscht. Muss sie mich denn so erschrecken?! Ich will sie schon genervt anmeckern, dass sie nicht so einfach reinplatzen kann, aber ich komme nicht so weit. Sie überrumpelt mich einfach freudestrahlend und jubelt: „Endlich! Endlich habe ich es geschafft!“ „Was?“, kann ich nur verwirrt aus meinem Mund bringen und sie berichtet mir voller Stolz: „Ich habe endlich den langersehnten Großauftrag bekommen! Du weißt schon, darauf habe ich die ganze Zeit hingearbeitet und jetzt habe ich endlich den dicken Fisch an Land gezogen!“ Wie ein kleines Kind zur Weihnachtszeit springt sie in meinem Zimmer auf und ab, zieht mich dann auch noch vom Sessel und drückt mich fest an sich. Es geht so schnell, dass mir sogar die Luft wegbleibt, bis sie mich endlich wieder loslässt und weiter vor Freude jubelt: „Oh Bernadettchen, du glaubst ja gar nicht, wie aufgeregt ich bin! … Ich werde für diesen großen Fang gemeinsam mit einem Kollegen auf Geschäftsreise gehen! … Das ist einfach unglaublich!“ Unglaublich ist es in der Tat. Denn allein schon mit dieser Reaktion habe ich gar nicht gerechnet. Denn derweil stehe ich einfach wie eine Salzsäule an und starre sie einfach nur bekloppt an. Zwar wusste ich schon, dass meine Tante so fieberhaft auf etwas hingearbeitet hat, aber dass sie deswegen so ausflippt, ist für mich doch neu. Schließlich kenne ich sie vollkommen anders. Schließlich ist sie immer so „feminin“, aber dennoch freue ich mich für sie. Auch wenn ich erst mal mit diesem überraschten Jubel zurechtkommen muss. Damit es aber nicht heißt, ich würde mich nicht für sie freuen, frage ich sie schließlich, wann es denn bei ihr losgehen würde. Dabei versuche ich so fröhlich wie möglich zu klingen, auch wenn es mir nicht so gelingt, wie ich es gerade gerne hätte. Ich bin einfach noch zu perplex. Meine Tante achtet allerdings nicht weiter darauf, sondern erzählt mir strahlend: „Morgen geht es schon los! … Moment, habe ich denn auch alles zusammen, was ich brauche? Ich bin ja schließlich für eine Weile weg. Für eine Woche muss ich mindestens rechnen und ich muss mich beeilen. Schließlich muss ich mit allen, was ich brauche, im Büro erscheinen und dann muss ich auch noch mit James abklären, was wir auf gar keinen Fall vergessen dürfen. …“ Je mehr sie so redet, desto mehr merke ich, dass ihr Worte gar nicht mehr an mich gerichtet sind. Vielmehr spricht sie gerade mit sich selbst und ich grinse einfach schief. Es ist einfach so typisch für sie. Alles muss seine Richtigkeit haben. Dabei braucht sie sich doch gar nicht so aufgeregt sein, was ihre Reisekoffer angeht. Wenn mich nicht alles täuscht, hat Tante Tina für solche Fälle bereits alles vorbereitet, denn auf dieses Ereignis hat sie, wie gesagt, schon lange gewartet. Plötzlich hält sie inne und schaut mich gerade mit großen Augen an, als wenn ihr in diesem Moment etwas sehr Wichtiges aufgefallen wäre. „Aber das heißt ja, dass du derweilen vollkommen allein sein wirst. Deine Mutter musste ja schon so früh wieder los.“, sagt sie nun leicht bekümmert und nachdenklich zugleich. Die Freude in ihren Augen ist in binnen von Sekunden wie weggeblasen und stattdessen hat sich ihre Sorge um mich in ihr ausgebreitet. Ok, dass Mum wieder so abrupt wegmusste, gefiel mir auch nicht, aber das heißt noch lange nicht, dass ich ein kleines Kind bin und einen Babysitter brauche, oder will sie das jetzt irgendwie andeuten?! Ich spüre, wie sich die Wut über das „alltägliche“ Thema sich wieder einmal in mir ausbreitet und es fällt mir gerade schwer, nicht auszuflippen. Ich bin schließlich sechszehn Jahre alt und kann auf mich selber aufpassen! Eine Woche allein im Haus zu sein ist doch kein Weltuntergang, oder?! Zwanghaft versuche ich zu lächeln und sie zu beruhigen. Es bringt sich nun mal nichts, sich darüber aufzuregen. Denn diese Diskussion hatten wir beide schon zu oft und ein weiterer Streit ist einfach unnötig. Ich muss ihr stattdessen zeigen, dass ich auch anders sein kann: „Es ist wirklich kein Problem Tante Tina. Du kannst ruhig deinen Auftrag erledigen. Ich kriege das bis dahin schon hin.“ „Und du kommst wirklich zurecht?“, fragt meine Tante allerdings nach und ich hätte sie so gerne angebrüllt. Denn wofür verdammt noch mal hält sie mich?! Tiefeinatmend bemühe ich mich ihr das zu bestätigen und füge noch hinzu: „Mit Sicherheit und sehe es mal so: Ich kann dir so zeigen, dass du mir ruhig mehr vertrauen kannst. Ich bin alt genug, um einige Zeit allein zu sein. Also mach dir keine Sorgen.“ Jedes gesagte Wort kommt mir gerade so sinnlos vor, weil es eigentlich bereits eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Noch dazu merke ich wieder, dass Tante Tina die Sache überhaupt nicht gefällt. Allerdings erwidert sie nichts dazu. Sie soll doch endlich einmal ihre Scheuklappen ablegen und ihren Dickkopf abschalten! Ist denn das so schwer?! Schwer seufzend stimmt sie meinem Vorschlag doch zu und kramt anschließend in der Tasche ihres Hosenanzuges herum, ehe sie mir meinen Schlüsselbund zurückgibt, den sie normalerweise nach jedem Eintreffen von der Schule einkassiert. Ich wage es nicht, irgendein Kommentar abzugeben, auch wenn es mir bereits sehr auf meiner Zunge brennt. Als müsste ich aufpassen, dass sie ihren Entschluss im nächsten Moment doch noch widerrufen könnte und ich dann wie ein begossener Pudel dastehe. Meine Tante muss jetzt endlich begreifen, dass ich schon lange auf mich selbst aufpassen kann. Selbst wenn das heißt, dass ich ihr ein für alle Mal den Beweis dafür liefere. Es muss endlich aufhören! Zaghaft lächelt sie und ich schaue sie mit entschlossenen Augen an. Mit einem Nicken, der unseren „Pakt“ „besiegelt“, verlässt sie schließlich mein Zimmer und ich kann endlich aufatmen. Was man nicht alles für seine Freiheit tun muss, aber es ist geschafft, hoffentlich. Die Nacht bricht herein und als ich aus dem Fenster sehe, merke ich, wie einige Wolken aufziehen. Da braut sich wohl was zusammen. Zum Glück bin ich später bei Raphael zu Hause. So kann es mir egal sein, ob es regnet oder nicht und solange wir noch im Trockenen sind, wenn er mich abholen kommt, wird es auch halb so schlimm werden. Gerade als ich an ihn denke, muss ich lächeln. Es kommt ganz einfach von allein und als wenn ich ihn bereits schon herbestellt hätte, erscheint er plötzlich wie aus heiterem Himmel vor meinem Fenster. Kurz zucke ich etwas zusammen, da er mich wieder einmal überrascht hat. Allerdings ist dies keine Seltenheit, weswegen ich mich schon etwas daran gewöhnt habe und mich schnell wieder beruhigen kann. Es ist einfach typisch Raphael. „Schon Angst gehabt, das Taxi zu verpassen?“, ist das Erste was er mich als Begrüßung fragt, während er mich dabei etwas schelmisch angrinst und ich kichere kurz: „Tja, wenn man danach immer Ausschau halten muss.“ Und da haben wir wieder unseren Sarkasmus, den ich auf gar keinen Fall missen möchte. Ohne ihn wäre es ja langweilig. Meine Tante ist bereits früh zu Bett gegangen. Es ist schon erstaunlich, was eine positive Stimmung so alles bei ihr bewirken kann. Denn wie ein kleines Kind, welches bereits ungeduldig auf den Weihnachtsmorgen, bzw. auf die Geschenke wartet, hat sie sich schon ziemlich früh zu Bett begeben. Für mich ist es nur ein Vorteil. Denn so weiß ich, dass sie schläft und ich nun seelenruhig abhauen kann, ohne dass sie irgendetwas davon bemerkt. Vermutlich ist Tante Tina bereits tief im Schlummerland angelangt und ich brauche mir keine großen Sorgen zu machen, dass irgendetwas schiefgehen könnte. So lasse ich mich einfach in Raphaels Armen fallen und genieße es, dass er mit mir wieder über die Dächer springt, nachdem wir mein Zuhause kurz darauf hinter uns gelassen haben. Gemütlich habe ich mein Gesicht an seine linke Brust geschmiegt, wodurch ich seinen Herzschlag deutlich spüren kann. Ich bin einfach gerne bei ihm. Doch seltsamerweise klingt sein Puls so anders. Ich weiß auch nicht, es macht mich einfach stutzig. Als wenn er gerade wegen irgendetwas beunruhigt wäre, aber als ich zu ihm hinaufschaue, ist nichts davon zu merken. Er lächelt sogar, oder ist das einfach nur gut geschauspielert? Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein und das seltsame Pochen hat einfach mit dem Adrenalinstoß während der ganzen Springerei zu tun. Andererseits ist er schon eine Weile schon so komisch und ich meine nicht die humorvolle Art. Er ist kaum in meiner Nähe und schon bereitet sich in mir die Sorgen wegen ihm aus. Es ist beinahe schon so, als warte das Schicksal nur darauf, dass ich endlich mal darauf reagiere, anstatt nur abzuwarten. Ich bin wohl schon paranoid geworden und male schon wieder den Teufel an die Wand. Denn eigentlich ist noch gar nichts Großartiges passiert, bei dem ich wirklich stutzig werden sollte und dennoch kann ich gerade dieses Gefühl nicht so einfach abschütteln. Es scheint an mir zu kleben wie Honig. Ob ich doch etwas zu ihm sagen sollte? Nur das würde sich nichts bringen. Allein schon die Tatsache, dass er das sofort abstreiten würde, hätte das null Sinn und der Abend wäre schon gelaufen, bevor er noch richtig angefangen hat. Nein, ich lasse es lieber. Mit dieser Aufforderung an mich selbst lasse ich mich wieder in meiner vorigen Position fallen und warte darauf, dass wir endlich unser Ziel erreichen. Noch eine Weile denke ich darüber nach, bis ich schließlich davon abgelenkt werde, dass Raphael mich kurz absetzt, ehe er den nächsten Gullideckel öffnet und mit mir gemeinsam nach unten verschwindet. Ich kann mich aber nicht wirklich an den Geruch hier unten gewöhnen. Meine Nase ist förmlich beleidigt von dem Regenbogen an Gerüchen und vermutlich wird er es noch sein, wenn ich wieder zuhause bin. Die Kanalisation ist nun mal nicht gerade das Hygienischste und an manchen Stellen scheint es besonders bestialisch zu stinken. Daher bin erleichtert, als wir endlich ankommen. Denn bei den Jungs zu Hause ist es nicht so schlimm. Wenn es bei ihnen riecht, dann eher nach Pizza, Metall, oder nach etwas ganz Anderem, was ich allerdings nicht ganz genau definieren kann. Fakt ist, dass es sich bei ihnen noch besser aushalten lässt, als im Rest der Kanalisation und das ist auch gut so. Sonst kann ich vermutlich gar nichts mehr riechen. Als ich gerade mit Raphael eintreffe, höre ich von Weitem knackende Geräusche, die wie das Poppen von Popcorn klingen und ich habe Recht. Donnie kommt nach wenigen Sekunden mit einer vollen Schüssel aus der Küche, wobei Mikey ihn direkt verfolgt und ihm schließlich das Ding aus der Hand reißt. Wie ein hungriges Raubtier, welches sich über seiner Beute hermacht, greift er in den Haufen Popcorn und stopft es sich sogleich in den Mund. Der Überrumpelte allerdings protestiert sofort: „Jetzt warte mal du Vielfraß! Wenn du gleich alles verschlingst, kannst du deinen Arsch gleich in Richtung Küche begeben und Neues machen!“ Mikey allerdings zuckt nur mit den Achseln, während er sich gleich die nächste Portion gönnt. Ich dagegen wende mich dem Genie der Brüder zu und frage ihn lachend: „Na, was habt ihr denn vor? Filmabend, oder so?“ „Hey Bernadette! Habe mich schon gefragt, wann ihr beide endlich mal hier eintrudelt.“, begrüßt er mich schon, nachdem er mich gehört hat und vergisst für einen Augenblick seinen Ärger. Dabei hat er meine Frage wohl auch vergessen, oder einfach nur überhört. Natürlich folgt Mikey seinem Beispiel, wobei er mich gleich wieder fest umarmt, ohne dabei die Schüssel mit dem Popcorn fallen zu lassen. Dafür braucht er nur einen Arm, aber dieser reicht mir schon. Seine Umarmungen sind zwar immer liebevoll gemeint, aber auch oft mit diesem starken Druck verbunden. Der Typ ist nun mal Kapitel für sich, aber ich mag ihn und seine Art ist nun mal typisch für ihn, Mikey halt. Wie ich aber bereits richtig vermutet habe, sind die Brüder dabei, sich eine DVD reinzuziehen. Leo ist derweil mit dem Fernseher beschäftigt. Daher hat er mich erst spät bemerkt und dennoch gesellt er sich schließlich zu uns. Seltsamer Weise ist Raphael neben mir wieder einmal ziemlich ruhig geworden, wobei ich glaube, ein kurzes Knurren von ihm vernommen zu haben. Sicher bin ich mir allerdings nicht. Ob sich die vier wieder einmal gestritten haben? Wäre immerhin nicht unüblich zwischen Geschwistern und vielleicht würde dies seine bisherige seltsame Art erklären und es ist heute nicht wirklich was Schlimmes dabei. Am besten ist es aber, wenn ich mich nicht einmische. Mich geht es in Grunde auch nichts an, aber das ist ehrlich gesagt nicht der eigentliche Grund für meine Entscheidung. Ich will jetzt einfach nicht schon wieder den Teufel an die Wand malen oder unnötig einen weiteren Streit heraufbeschwören. So wie ich das Gefühl habe, spüre ich eine gewisse Spannung in der Luft und jeder kleinste Funke könnte sich in eine Katastrophe verwandeln. Ich versuche aber nicht so pessimistisch zu sein, denn vielleicht irre ich mich ja und es ist ganz anders, als das es den Schein hat. Stattdessen widme ich meine Aufmerksamkeit wieder den Brüdern zu, die gerade über den Film sprechen, als Meister Splinter sich ebenfalls zu uns gesellt. Respektvoll verneige ich mich vor ihm, was auch er bis jetzt immer bei mir gemacht hat. Scheint wohl so eine Art japanische Tradition, beziehungsweise eine Begrüßung zu sein oder so. Allerdings habe ich nicht den blassesten Schimmer, ob dies wirklich zutrifft. Ich dachte auch immer, dass sie alle so wie New Yorker sind. Dass sie vielleicht japanische Wurzeln haben könnten, kann ich mir einfach nicht vorstellen, aber vielleicht haben meine Mutantenfreunde einfach nur von denen etwas angeeignet, sowie es auch mit der Kampfkunst ist. – Sozusagen das komplette Set Aus Raphaels Sicht: Unruhig und sogar völlig angespannt stehe ich da und blicke in die Runde. Dass ich heute mit Bernadette wieder hier unten bin, ist natürlich nicht auf meinem Mist gewachsen. Was hätte ich aber auch zu ihr sagen sollen? Etwa, dass mir das überhaupt nicht passt und ich mich lieber mit ihr wieder verdünnisieren will? Sie hätte da wohl eher nachgefragt, warum mir das sowas von gar nicht in den Kram passt und eine Begründung dafür hätte ich wohl kaum sofort für sie parat gehabt. Denn ich weiß es selbst nicht einmal. Immerhin komme ich schon seit Ewigkeiten mit meinen Brüdern hier unten klar. Wenn man davon absieht, dass ich damals bereits keine große Wahl gehabt habe. Nicht selten hatte ich mit ihnen bereits so manche Streitereien gehabt, aber andererseits sind sie meine Familie und es gibt nicht nur Schlechtes. Vom Alltag angefangen, über die Trainingseinheiten, bis hin zu unseren Kämpfen an der Oberfläche haben wir schon so manches erlebt, die ich einfach nicht missen möchte. Auch wenn es mal Phasen gab, an denen ich mich am liebsten aus dem Staub gemacht hätte und diese kamen nicht selten vor. Was allerdings Bernadette angeht, könnte ich heute wieder einmal aus der Haut fahren! Sie gehört nun mal zu mir und würde sie nicht mein Leben besser verstehen und mehr mit meiner Familie zu tun haben wollen, so wäre ich jetzt nicht schon wieder so angespannt. Bereits als ich Bernadette abgeholt habe, hat es bereits in mir gewurmt. Mir bleibt aber nichts Anderes übrig, als es einfach hinter mir zu bringen. Sonst würde ich mit noch mehr Fragen bombardiert werden. Denn schon die ganze Zeit werden mir Löcher in den Bauch gefragt und diese kommen von allen Seiten. Auch wenn meine Brüder mich an manchen Tagen mehr in Ruhe lassen, habe ich dennoch ihre Blicke im Nacken gespürt. Als würden mich ihre Augen überall verfolgen, egal was ich auch tue. Wie lange wird das noch so weitergehen, bis sie mal gerafft haben, dass es sie absolut nichts angeht?! Selbst wenn sie sich auf dem Kopf stellen, wird sich nicht daran ändern! Sie sollten sich besser über eigenen Probleme scheren! So gern hätte ich gerade wieder Luft gemacht, damit dieser Druck endlich aus mir raus ist. Doch stattdessen schweige ich einfach weiter und lasse meinen Blick zwischendurch auch wieder zu Bernadette schweifen. Innerlich flehe ich sie an, dass sie es sich doch anders überlegt. Vielleicht würden wir zumindest nur kurz bleiben, bis sie doch wieder zurück nach oben will. Diesen Wunsch hätte ich ihr sofort und ohne irgendwelche Fragen erfüllt. Jedoch bleibt es mehr mein stiller Wunschtraum. Sie amüsiert sich einfach mit meinen Brüdern, während ich nicht einmal ein Wort aus meinem Mund bringe. Leo hat sich inzwischen wieder auf die Couch gepflanzt und greift nach der Fernbedienung. Er ruft uns zu sich, was meine Brüder sich nicht zweimal sagen lassen. Dabei nimmt Donnie Bernadette an der Hand und zieht sie mit sich, worauf ich ihnen nur entgeistert hinterhersehe. Jetzt auch noch er! Reicht denn Mikey mit seiner Möchtegern-Flirterei nicht?! Die gehen mir jetzt schon sowas von auf dem Senkel und dabei sind Bernadette und ich erst seit ein paar Minuten hier. Das ist doch zum Aus-der-Haut-fahren! Nur mit Mühe kann ich es mir verkneifen, mich nicht zu beschweren und meinem Bruder sogar anzukeifen. Stattdessen folge ich den anderen und lasse mich bei der Couch schwerfällig fallen. Durchatmen Raphi, das überstehst du schon irgendwie. An den anderen Nächten hat es ja auch geklappt. Unser Sensei hat bis jetzt nichts gesagt. Er hat sich einfach stumm in seinem Sessel gesetzt, nachdem er Bernadette begrüßt hatte. Dabei sieht mich Dad mit so einem komischen Blick an und ich habe sogar das Gefühl, als könnte mich dieser Blick beinahe durchbohren. Es ist allerdings nicht so einer wie bei meinen Brüdern. Sein Gesichtsausdruck wirkt eher fragend und zugleich auch besorgt. Genervt davon schaue ich weg. Ich habe keine Ahnung, was der alte Herr jetzt wieder von mir will und ich will es auch nicht wissen! Gerade jetzt habe ich keinen Nerv dafür. Ich habe momentan andere Probleme, um die ich mich erst einmal kümmern muss. So wie ich gerade mit mir selbst beschäftigt bin, habe ich nicht mitbekommen, wie sich einer meiner Brüder hinter mich geschlichen hat und hinter der Couch nun auf einen passenden Moment wartet. Plötzlich spüre ich, wie Mikey nun von hinten seine Finger an meine Mundwinkel legt und diese leicht nach oben zieht. Dabei lacht er so dämlich, dass man einfach ausrasten muss: „Hey, du trübe Tasse! Jetzt lächle doch endlich einmal und starre nicht so trübsinnig in die Leere! Bei dir glaubt man ja schon, dass wer gestorben ist.“ Grummelnd reiße ich seine Hände von mir weg, springe auf, dreh mich zu ihm und schnauze ihn an: „Gib deine verdammten Griffel weg! Und wer ist hier trübsinnig?! Du spinnst wohl!“ „Na bei deinem Blick musste man das wohl glauben.“, scherzt er weiter und geht schon mal sicherheitshalber in Deckung, während er noch hinzufügt: „Hey jetzt komm wieder runter Bro. Du musst ja nicht gleich wieder die Bude abfackeln.“ Während er so „unschuldig“ grinst und seine Abwehrhaltung einnimmt, drohe ich ihn schon mit der Faust. „Ach lass ihn Mikey. Soll er doch …“, fängt Leo auf einmal an sich einzumischen und unseren Bruder in Schutz zu nehmen, aber ich breche ihn mitten im Satz ab: „Und was?! Spiel ich für dich wieder der Miesepeter?! Sag es doch, wenn du dich traust!“ Ich kann mich nicht mehr halten. Die ganze Zeit habe ich es versucht, meinen Zorn irgendwie unter Kontrolle zu halten, aber sie mussten es ja so weit kommen lassen. Zuerst kommt Mikey mit seinen bescheuerten Kindereien und dann drängt sich auch noch mein Bruder mit der blauen Maske auf! Was mischt er sich auch schon wieder ein?! Kann er sich nicht einmal in seinem Leben aus etwas raushalten?! „Führ dich jetzt bitte nicht schon wieder so auf, wie die Axt im Wald.“, meint Leo auf einmal ernst und ignoriert völlig meine Frage, während auch er sich von seinem Platz erhebt. Dabei geht er in einer leichten Abwehrstellung, als wenn er nur darauf warten würde, dass ich ihn jetzt anspringe und das kann er auch meinetwegen haben. Sein Anführer-Getue kann er sich sonst wo hinstecken, ich lasse mir das nicht gefallen! Wütend habe ich beide Hände zu Fäuste geballt und beuge mich dabei etwas leicht nach vorne, wodurch ich noch größer wirke, als was ich ohnehin schon bin. Das scheint Leo aber überhaupt nicht zu beeindrucken. Er zuckt nicht einmal mit seinen Augen, so steif ist momentan sein Gesicht. Mit einem starren und entschlossenen Blick sieht er mich an und weicht keinen Schritt zurück. „Jungs, hört auf, das bringt sich doch nichts, sich wegen nichts in die Haare zu kriegen.“, fordert Donnie uns beide auf und zwängt sich sogar zwischen uns. Vermutlich hofft er, dass ich mich dadurch abhalten lasse, aber da hat sich unser Genie leider getäuscht. Mit einer flachen Hand schiebe ich ihn zur Seite, wobei ich etwas Druck anwenden muss, damit sich Donnie endlich von der Stelle rührt. Ihm passt das überhaupt nicht, aber mir ist das ganz egal. Stattdessen gehe ich weiter auf Leo zu und stoße ihn mit beiden Händen von mir weg. Ein Stück taumelt er zurück, behält aber das Gleichgewicht. Ich warte nur darauf, dass er nun zum Gegenschlag ausholt, aber der feine Herr tut nichts. Stattdessen sieht er mich einfach grimmig an, was meine Wut in mir nur stärker brodeln lässt. Große Klappe und nichts dahinter! Typisch für ihn! Immer weiter stoße ich ihn ruckartig zurück und schimpfe dabei, bis er schließlich nicht mehr zurückweicht, sondern zum Gegenangriff übergeht. „Hey jetzt beruhigt euch mal! Was geht hier eigentlich ab?!“, meldet sich auch Mikey zu Wort, der bis jetzt eher geschwiegen und das Szenario beobachtet hat. Der sollte seine Klappe lieber nicht so aufreißen. Das von vorhin habe ich nicht vergessen und er kann sicher sein, dass das noch ein Nachspiel haben wird! Dabei drängt sich mein Bruder zwischen mir und Leo und stoßt mich ein Stück zurück. Das hat er jetzt nicht wirklich gewagt, oder? Knurrend wechselt meine Wut auf Mikey, wobei ich aber Leo und Donnie nicht aus den Augen lasse. „Jetzt komm endlich mal wieder runter Raphi! Spinnst du jetzt völlig?!“, schimpft dieser mit mir und sieht mich dementsprechend an, was ich von Mikey nicht gewohnt bin. Sonst ist er stets derjenige, der versucht mit Witz und Blödheiten die Sache zu kitten. Dass er sich mir nun in den Weg stellt, ist überhaupt nicht seine Art. Was plustert der sich auch auf?! Der sollte sich lieber verkrümeln, bevor er meine Faust zu spüren bekommt! Mit einem lauten Knurren laufe ich auf meine Brüder zu und will schon einen nach dem anderen verprügeln, als ein Schrei mich stoppt und aufhorchen lässt. Kapitel 21: Inmitten von Regen und Sturm ---------------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Was zum Henker ist auf einmal los mit ihnen?! Wieso streiten die sich und wieso tickt Raphael jetzt völlig aus?! Haben die vier nun endgültig den Verstand verloren?! Wegen nichts kriegen sie sich in die Haare! Ich kann nicht fassen, was ich da sehe. Mikey wollte seinen Bruder doch nur ein wenig aufheitern, weil der Herr Griesgram wieder einmal so ein grimmiges Gesicht gezogen hatte. Nur das ist schön in die Hose gegangen und Raphael dreht nun völlig durch. Er geht nicht nur auf Mikey los, sondern auch auf seine anderen Brüder, die einfach nur versucht haben, die Sache runterzuspielen, beziehungsweise dazwischen zugehen. Doch Raphael ist völlig von Sinnen und grundlos aggressiv! Ich habe es geahnt. Die ganze Zeit über habe ich schon diese Spannung hier unten gespürt. Als wenn nur noch ein Funke fehlen würde, der dann alles zum Brennen bringt und leider hatte ich damit recht. Mikey war dieser Funke und ich wollte es nicht wahrhaben, weil ich einfach den Teufel nicht an die Wand malen wollte. Hätte ich doch nur auf mein Bauchgefühl gehört, doch für diese Erkenntnis ist es leider nun zu spät. Wie die Irren gehen sie sich an die Gurgel. Zuerst will Raphael Mikey an den Kragen, dann ist es Leo und zwischendurch kommt selbst Donnie dran. Wie ein wildgewordener Stier stellt er sich abwechselnd seinen Matadoren und dabei gibt es doch überhaupt keinen Grund dafür! Was ist nur mit ihm los, ich verstehe das nicht. So kenne ich Raphael nicht. Natürlich weiß ich, dass er seine Probleme gerne mit der Faust löst und dass er auch ziemlich schnell sauer werden kann. Schließlich hat er mir das schon oft genug erzählt. In diesem Punkt sind wir uns sogar ein bisschen ähnlich, aber im Gegensatz zu ihm, kann ich meine Wut bis zu einem bestimmten Punkt zügeln und sogar andere Mittel nutzen, um aus dem Problem herauszukommen. Nur hilft mir das jetzt kein bisschen weiter und ich habe zusätzlich keine Ahnung, was ihn zurzeit ständig zum Kochen bringt. Wenn er mal nicht seine „Show“ abzieht, hat er auch eine sanfte Seite, die überhaupt nichts mit dem zu tun hat, wie er jetzt gerade drauf ist. Als wenn sein Zorn sich über längere Zeit angesammelt hätte, bis schließlich eine falsche Bemerkung das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hat. Mit Sicherheit geht es ihm schon eine Weile so. Dafür lege ich sogar meine Hand ins Feuer. Ich habe ja bereits mehrere Male gemerkt, dass etwas nicht stimmt und ich habe mir auch deswegen den Kopf darüber zerbrochen. Die ganze Zeit über war er schon so unruhig, angespannt und irgendwann musste es ja so kommen. Auch wenn ich gehofft habe, dass ich mich irre und dass alles nur eine Frage der Zeit ist, bis sich das klärt. Immer wieder habe ich Raphael sogar darauf angesprochen. Ich wollte ihm helfen und etwas von seiner Last nehmen, die mir bis jetzt noch schleierhaft ist. Doch er hat dazu nur geschwiegen, meine Fragen ignoriert und mich sogar davon ablenken wollen, aber sein seltsames Verhalten blieb mir nun mal nicht verborgen. Ich verstehe ihn einfach nicht. Er hätte doch mit mir reden können. Ich hätte ihm zugehört. Vielleicht hätte er dann einen Teil von seinem Frust abbauen können. Egal was auch ist, ich bin für ihn da, aber er ist anscheinend zu blind, das endlich einmal zu kapieren. Dabei habe ich es ja selbst am eigenen Leib erfahren, wie schwer das manchmal sein kann, wenn man niemanden zum Reden hat. Umso befreiender ist es dann, sich endlich aussprechen zu können. Bei ihm konnte ich es, nur warum konnte er es nicht? Jetzt eskaliert alles. Im ersten Augenblick war ich zu dem noch viel zu sehr erschrocken, als dass ich hätte reagieren können, nachdem Raphael so plötzlich aufgesprungen war und mit den anderen zum Zanken anfing. Ich konnte nur beobachten, während ich wie erstarrt auf meinem Platz blieb. Doch dann riss ich mich davon los. Ich versuchte ihm zuzurufen, dass er sich wieder beruhigen soll, aber er hörte mich nicht. Es scheint sogar so, als wenn ich für alle Beteiligten gar nicht hier wäre, als wenn ich nur ein stiller Beobachter wäre. Raphael ist zudem sogar so sehr in seinem Zorn gefangen, sodass er nur noch mehr seine Brüder und seine Wut vor Augen hat. Wie ein Stier, der nur auf dem Matador und seinem Tuch achtet. Schließlich halte ich es nicht mehr aus. Ich springe von der Couch auf und will mich dazwischendrängen, damit diese sinnlose Streiterei endlich ein Ende findet. Doch ehe ich auch nur einen Schritt machen kann, werde ich von Donnie aufgehalten. Er sieht mich mit einem ernsten und warnenden Blick an und gibt mir mit einem Kopfschütteln zu verstehen, dass das jetzt keine gute Idee ist. Was soll ich aber sonst machen? Dies Hitzkopf hört mir doch nicht zu! Flehend schaue ich zu Donnie hoch, er nickt verstehend und zwängt sich nun zwischen den Raphael und Leo. Es hilft aber alles nichts. Er wird einfach wieder grob zur Seite geschoben und auch Mikey hat keine Chance den Sturkopf zu beruhigen. Wobei ich mich doch sehr stark über ihn gewundert habe, dass der sonst so Alberne so ernst sein kann. Erneut versuche ich mit Worten bei Raphael durchzudringen, aber er ist schon so sehr mit seinen Brüdern beschäftigt, dass meine Rufe einfach an ihm abprallen. Selbst wenn ich gerade ein Megaphon zur Hand gehabt hätte, hätte vermutlich selbst das nichts genutzt. Ich komme mir so hilflos vor und ich hasse es wie die Pest! Gerade ist er dabei, sich mit geballten Fäusten auf sie zu stürzen, als Meister Splinter endlich das Wort ergreift und den hatte ich in all der Aufregung vollkommen vergessen. Denn die ganze Zeit über hat er keinen Ton von sich gegeben. Vermutlich kennt er solchen Szenarien bereits, doch nun scheint auch ihm die Geduld verlassen zu haben. Wütend knallt er mit seinem Stock auf dem Boden und brüllt: „Es reicht!“ Seine Stimme ist voll von väterlicher Strenge, sodass wir alle erschrocken zusammenzucken und ihn ansehen. Es herrscht Stille und jeder von uns verharrt in seiner momentanen Position, egal ob man in diesem Moment steht, sitzt, oder jemandem einen Fausthieb verpassen wollte. Keiner wagt es auch nur, sich zu bewegen, oder auch nur etwas zu sagen. Allein die Stille hat diesen Raum erobert und alle Aufmerksamkeit ist auf die mutierte Ratte gerichtet. Meister Splinter erhebt sich nun von seinem Sessel und starrt wütend in die Runde. Als könnte sein Blick jeden töten, sieht er jeden einzelnen von uns an, wobei sein Blick dann bei Raphael anhält und auch dortbleibt. Was er wohl gerade denkt? Ich wage es aber nicht, irgendetwas zu sagen. Ich warte einfach gespannt ab, was nun passieren wird. Ich rechne sogar damit, dass sowas wie eine „Predigt“ oder etwas dergleichen als Nächstes kommen wird. Denn genau das drücken seine Augen meiner Meinung nach aus. Er wiederum sieht nun zu mir. Seine Mimik wird milder und er seufzt kurz, bis er sich schließlich wieder seinem Sohn mit der roten Maske widmet und ihn auffordernd anspricht: „Bring besser unseren Gast nach Hause. Wir reden danach.“ Mehr braucht er gar nicht sagen, um zu verstehen, dass das für meinen Freund nun ernste Konsequenzen nachziehen wird. Im ersten Augenblick begreife ich aber nicht, wieso der Sensei mich nun nach Hause schicken will und warum er die Sache jetzt nicht klärt. Als könnte ich womöglich im Weg stehen. Zumindest komme ich mir gerade so vor. Verwirrt und sogar leicht beleidigt von dessen Entscheidung schaue ich nun zum Angesprochenen, der keine Anstalten macht, irgendetwas dagegen zu erwidern. Auch er ist verwirrt. Doch dann schnauft er kurz auf, packt mich unsanft am Handgelenk und zerrt mich hinter sich her. Ich komme erst gar nicht dazu, irgendetwas empört zu erwidern, oder mich gar über die etwas grobe Behandlung zu beschweren. Ich schaue einfach nur zurück und sehe, wie die anderen immer noch perplex hinter mir her starren, während Raphael und ich das Zuhause der Mutanten verlassen. Wenig später haben wir die Kanalisation hinter uns gelassen und ich liege wieder in Raphaels Armen, wobei ich mich diesmal kein bisschen wohlfühle. Diese unnötige Zankerei sitzt mir immer noch in den Knochen und ich habe gerade das Gefühl, als würde ich Raphael kein bisschen kennen. Der hat es ja nicht einmal in Erwägung gezogen, mich mal endlich aufzuklären. Er hat mich einfach hochgehievt und ist, ohne ein Wort zu sagen, mit mir losgestürmt. Immer weiter springt er mit mir über die Dächer und sieht stur in eine Richtung. Ich dagegen merke, dass das Gewitter, dem ich vor diesem furchtbaren Abend eigentlich entgehen wollte, nun sein volles Ausmaß zeigt. Es muss sogar bereits davor schon etwas geregnet haben, als wir noch unten waren. Denn überall ist es bereits nass und der Regen wird jetzt immer stärker, bis es wie aus Eimern schüttet. Selbst der Wind zeigt, was er so draufhat. Heulend treibt er die Unmengen an Wassertropfen an, welche mir nur so ins Gesicht peitschen und wenn es nicht schon genug wäre, sehe ich aus der Ferne, wie ein Blitz irgendwo am Himmel kurz aufleuchtet und bald darauf der nächste Donner sich grollend bemerkbar macht. Das Wetter scheint genau meine derzeitigen Gefühle widerzuspiegeln. Denn selbst in mir herrscht ein tosender Sturm aus Emotionen und ich kann es noch immer kaum verstehen, was da vorhin passiert ist. Ein sinnloser Streit, mehr war es eigentlich nicht und trotzdem entstand wegen nichts ein so großer Wirbel. Was um Himmelswillen ist mit nur ihm los?! Wieso verhält er sich so bescheuert?! Raphael macht immer noch keine Anstalten mir die Sache zu erklären und dabei sollte er jetzt endlich einmal mit der Sprache herausrücken. Ich verlange verdammt nochmal endlich Antworten und diese ist er mir mehr als nur schuldig! Stattdessen folgt er wortlos seinem Weg und er bekommt nicht einmal mit, dass sich mein erschrockener und verwirrter Blick in Zorn und Verständnislosigkeit verwandelt hat. Denn je mehr ich darüber nachdenke, desto wütender werde ich auf ihn und ich habe endgültig genug davon! „Lass mich runter.“, sage ich schließlich bitter ernst, als ich endlich meine Stimme gefunden habe. Anscheinend habe ich ihn kurz aus seinen Gedanken gerissen, denn sein Blick wandert überrascht zu mir hinunter. Als hätte er damit jetzt überhaupt nicht gerechnet. Er reagiert aber nicht auf das, was ich gerade eben befohlen habe, woraufhin ich meine Forderung wiederhole: „Ich hab gesagt, du sollst mich runterlassen!“ Diesmal ist meine Stimme lauter und energischer. Ich fange sogar an, mich aus seinem Griff zu befreien, nachdem er nach gefühlten Sekunden immer noch nicht das getan hat, was ich von ihm verlangt habe. Zunächst bleibt er erst einmal verwirrt und irritiert mitten auf dem Dach stehen und lässt mich schließlich hinab. Ohne ihn weiter anzusehen, gehe ich von ihm weg und stampfe zwischen den ganzen Pfützen auf das nächste Dach zu, welches direkt an diesem hier angrenzt. Es ist jedoch etwas höher und das ist auch gut so. Geschickt klettere ich darauf und drehe mich anschließend wieder zu Raphael. Diese Aktion hatte seinen Grund, denn so kann ich das Dach als eine Art Podest nutzen. Ich möchte nämlich meinem Freund nun endlich direkt in die Augen sehen, ohne dabei meinen Nacken zu überstrapazieren. Ich will jetzt endlich wissen, was sein Problem ist und ich will ihm verdammt noch mal meine Meinung sagen, dass ich von seiner Schweigsamkeit und von seiner unbegründeten Streitsucht endgültig die Nase voll habe. Arme verschränkend warte ich, bis er auf mich zukommt. Wobei ich feststellen muss, dass er immer noch dieses verdutzte Gesicht hat. Er sieht mich an, wie eine Kuh, wenn´s blitzt, was mich allerdings noch wütender macht. Der kann nun was erleben, aber erst einmal muss der „feine Herr“ endlich einmal vor mir antanzen und ich hoffe mal, dass er endlich einmal seinen Arsch zu mir rüber schwingt! Aus Raphaels Sicht: Jetzt sie nicht auch noch! Was haben die alle gegen mich?! Hat sich denn die ganze Welt gegen mich verschworen?! Was soll dieser Mist?! Bin ich hier etwa der Trottel vom Dienst?! Verwirrt, aber immer noch wütend gehe ich auf Bernadette zu, die am anderen Dach zu warten scheint. Mitten im prasselnden Regenschauer steht sie da und schaut mich vorwurfsvoll an. Dabei hat sie auch noch ihre Arme verschränkt, wobei sie mit ihren Fingern ihrer rechten Hand gegen ihren linken Oberarm unruhig hin und her bewegt. Dass ihre Kleidung bereits völlig durchnässt ist und der starke Wind ihre Haare völlig wild umherwirbelt, scheint sie allerdings nicht das Geringste zu interessieren. Sie starrt mich einfach nur zornig an, während ich nicht den blassesten Schimmer habe, was hier momentan abgeht. Gerade eben hatte ich noch Zoff mit meinen Brüdern und nun stehe ich mit ihr inmitten auf einem Dach, während das Gewitter „seelenruhig“ seine Show abzieht. Wieso wollte sie verdammt noch mal runter und was will sie jetzt von mir? Ich setze mich nun in Bewegung. Wie ferngesteuert gehe verwirrt auf sie zu, während alles in mir Achterbahn fährt. Kaum dass ich mich aber ihr genähert habe, fängt sie auch schon mit ihren Tadeln an und schreit mich am Ende sogar an: „Kannst du mir mal endlich erklären, was mit dir los ist? Was zum Kuckuck ist bitte dein Problem?!“ Was soll das jetzt schon wieder heißen?! Ich habe kein Problem, die anderen sind das Problem! Wieso muss ich mir jetzt auch noch diese Scheiße anhören?! Natürlich versuche ich ihr dies mit anderen Worten zu sagen. Immerhin gilt mein Zorn mehr meinen Brüdern, aber es lässt sich nun mal nicht verhindern, dass meine Stimme nicht so richtig mitspielen will. Ohne wirklich die Kontrolle darüber zu haben, schnauze ich sie an: „Hättest du mal besser aufgepasst, wäre dir nicht entgangen, dass ich nicht derjenige bin, der das Problem hat!“ Bernadette schaut mich aber nur verständnislos an und widerspricht mir: „Das sehe ich aber vollkommen anders!“ „Ach ja?! Was ist deiner Ansicht nach mit mir? Kannst du mir das mal freundlicher Weise erklären?!“, fordere ich sie schließlich auf. Langsam habe ich endgültig genug und ich frage mich, ob Bernadette bei der ganzen Sache überhaupt wirklich dabei gewesen ist, oder ob sie sich einfach Augenklappen auf die Augen geklatscht hat. Denn so blind kann keiner sein, dass das nicht auf meinen Mist gewachsen ist! Ihr scheint es allerdings nicht viel anders zu ergehen. Denn ich sehe, wie die Wut in ihr wächst und ihr Gesicht allmählich eine dunkelrote Farbe annimmt. „Wenn ich das wüsste, würde ich dich nicht fragen und mir nicht ständig den Kopf darüber zermartern! Glaubst du etwa, ich habe nicht gemerkt, dass dich irgendetwas bedrückt?! Die ganze Zeit über verhältst du dich komisch und ich habe keine Ahnung warum!“, wirft sie mir nun vor, als hätte ich mich ständig vor ihren Augen zum Gespött gemacht. „Wovon redest du bitte?!“, kommt von mir nur empört die Gegenfrage, weil ich einfach nicht begreife, was sie von mir will, geschweige, was sie von mir hören will. Zudem lenkt ausgerechnet sie alles auf mich. Es sind doch meine Brüder, die mich nicht einfach in Ruhe lassen und mich mit ihren Faxen auf die Palme bringen! Ständig mischen die sich in Sachen ein, die ihnen nichts angehen, nerven mich bis aufs Blut und da darf ich mich nicht einmal aufregen?! Was soll der Mist?! Meine Frage scheint Bernadette nur noch mehr aufzuregen, denn schon geht ihr Gezeter weiter: „Wovon ich rede?! Ich rede von dem Problem, was du hast! Seit deine Familie von mir Bescheid weiß, bist du so drauf! Ich habe mir zuerst gedacht, ich würde mir das einbilden, oder dass sich das schon mit der Zeit legen wird, aber von Mal zu Mal wurde es immer schlimmer! Warum glaubst du, habe ich dich ständig gefragt, ob alles in Ordnung mit dir ist?! Nicht aus Spaß, sondern weil ich mich um dich sorge! Du bist vollkommen anders, auch wenn du versuchst es zu verstecken! Ich habe es aber immer wieder mitgekriegt und trotzdem verschweigst du es weiterhin! Wenn ich dich darauf angesprochen habe, hast du alles Mögliche versucht, es zu vertuschen, oder du gehst grundlos auf deine Brüder los! Anstatt, dass du endlich einmal den Mund aufmachst und mit der Sprache rausrückst, ziehst du dich immer mehr zurück oder rastest völlig aus, so wie gerade eben! … Manchmal frage ich mich, ob du mir überhaupt vertraust.“ Ich schlucke. Nicht nur, dass ihre Worte mich treffen, sie zweifelt an mein Vertrauen. Was hätte ich aber sonst tun sollen? Glaubt sie etwa, die ganze Scharade hier habe ich zum Spaß gemacht?! Jedes Mal wenn ich sie gesehen, oder wenn ich auch nur an sie gedacht habe, war es wie ein Stich in mein Herz. Wie könnte ich mich ihr anvertrauen, wenn es genau um sie geht?! Ich hätte es weder umschreiben können, noch etwas anderes tun können, ohne dass sie den wahren Grund dafür erfährt und wenn mir meine Brüder noch dazu auf die Palme gehen, muss ich ja irgendwann explodieren! Ich habe es doch versucht mich zu beherrschen! Ich habe es wirklich versucht! Noch dazu habe ich so sehnlichst gehofft, dass sie glaubt, ich hätte nur den alltäglichen Zoff mit der Familie. Zum Teil stimmt das ja auch. Dass sie aber davon wirklich windbekommen hat und dass noch mehr dahinterstecken könnte, habe ich nicht realisiert. Immer noch wütend steht Bernadette da und wartet darauf, dass ich etwas dagegen erwidere, ich aber sage nichts. Ich muss ihre Worte erst einmal sacken lassen, aber sie gibt mir nicht die Zeit dafür. Stattdessen fordert sie mich auf, endlich mit der Sprache rauszurücken. „Ich … ich … ähm …“, kann ich nur stotternd von mir geben, breche aber sofort wieder ab. Ich kann es ihr einfach nicht sagen, ich kann es einfach nicht! Mit der Situation völlig überfordert stehe ich einfach da. Ich spüre nur, wie diese verdammte Angst in mir weiter anschwillt. Mein Hals wirkt wie zu geschnürt, als wenn ich keine Luft mehr bekommen würde. Dieser innerliche Druck raubt mir völlig den Verstand. Wie ein Vollidiot komme ich mir, der zu allem noch dazu schwächelt, aber ich bin verdammt noch mal nicht schwach! Das war ich noch nie und das werde ich auch in Zukunft nicht sein! Das lasse ich nicht zu, aber was soll ich nun tun?! „Raphael, jetzt spuck´s endlich aus! Was zum Henker ist mit dir los?!“, drängt sie mich weiter und nun reißt mir endgültig der Geduldsfaden. Zornig packe ich sie bei den Schultern, woraufhin sie zunächst erschrocken zusammenzuckt, aber ihren wütenden Blick beibehält. Ich weiß nicht, was da gerade über mich kommt, aber ich halte sie immer noch fest im Griff, schaue ihr in meinem Gefühlschaos in die Augen und brülle: „Verdammt noch mal Bernadette! … Ich liebe dich!“ Kaum habe ich das aus meiner Seele geschrien, sehe ich, wie sich ihre Mimik verändert. Ihre Augen weiten sich, sie öffnet stumm etwas ihren Mund und blinzelt ein paar Male. Erst jetzt wird mir gerade bewusst, was ich da eben getan habe. Ich habe Bernadette meine Liebe gestanden und das nicht gerade auf einer romantischen Art. Nein, ich habe sie in wahrsten Sinne des Wortes aus mir herausgeschrien und sie Bernadette direkt ins Gesicht gepfeffert und nun starrt sie mich wortlos an! Immer wieder hallen mir meine eigenen Worte durch den Kopf und klingen dabei wie ein unaufhörliches Echo. Als wenn dieses mir nur unter die Nase reiben will, was ich da eben getan habe und dabei wollte ich das gar nicht! Nicht so und auch jetzt nicht wollte ich es ihr sagen! Erschrocken und leicht panisch über meine Tat wird mein Griff nun lockerer und ich lasse meine Arme sogar einfach sinken. Was habe ich nur getan?! Wieso habe ich das gesagt?! Wie konnte ich es nur soweit kommen lassen?! Wie wird sie nun darauf reagieren?! Was wird sie nun sagen?! Wird sie mich nun dafür hassen?! Wo noch für einen kurzen Augenblich die Wut aus mir gesprochen hat, erwacht nun in mir die Angst, die ich ihr nie zeigen wollte. Denn da nun alles raus ist, weiß ich nicht, wie Bernadette nun darauf reagieren wird. Ich rechne aber mit dem Schlimmsten und je mehr mir das bewusst wird, desto sicherer bin ich, dass sie mich abweisen wird, sodass ich meinen Kopf zunächst beschämt senke und dann anschließend leicht zur Seite schaue. Ich kann ihr jetzt einfach nicht in die Augen sehen. Zu sehr fürchte ich mich davor, was nun geschehen wird. Obgleich mir die Furcht früher ein Fremdwort war, so spüre ich ihn nun dennoch und das passiert mir nicht zum ersten Mal. Immer wieder habe ich in meinen Albträumen dieses Szenario durchleben müssen und immer wieder bin ich auf dasselbe schreckliche Ergebnis gekommen: Bernadette wird mich abweisen. Sie kann und wird mich nicht lieben. Sie ist ein Mensch und ich ein Mutant. Das kann einfach nicht gut gehen. Abgesehen davon würde sie niemals solche Gefühle für mich hegen, wie ich es tue. Da bin ich mir sicher und ich Idiot lasse es auch noch so weit kommen. Niemals wird es je wie vorher sein und das Schlimmste daran ist, dass ich Bernadette nun verlieren könnte und es hängt nur davon ab, wie sie nun reagieren wird. Unfähig irgendetwas zu tun, stehe ich wie ein Trottel da und kann jetzt nur noch abwarten, was als Nächstes passiert. Ich muss es über mich ergehen lassen. Ob ich will oder nicht, spielt keine Rolle mehr. Es ist bereits zu spät. Sie weiß nun, welche Gefühle ich für sie hege und nun liegt es an ihr, wie es nun weitergeht. Jedoch schwindet meine Hoffnung, dass zwischen uns vielleicht doch etwas werden könnte. Denn warum sollte sie auch etwas mit einem Mutanten anfangen? Ich will mich nun langsam ganz von ihr abwenden, um sie nicht anschauen zu müssen, als ich plötzlich etwas spüre und daraufhin erschrocken aufsehe. Bernadette hat ihre rechte Hand auf meine linke Wange gelegt und drückt mein Gesicht nun so zu sich, sodass ich gezwungen bin, sie anzusehen. Dabei fühle ich mich komplett paralysiert. Ich kann mich einfach nicht dagegen wehren, ich lasse es einfach geschehen. Erstaunt merke ich nun, dass sie lächelt. Ihre Mimik hat nichts mehr Erschrockenes oder dergleichen an sich, was ich überhaupt nicht begreifen kann. Sie müsste mich doch jetzt hassen, oder zumindest versuchen mich behutsam abzuweisen. Denn genauso habe ich das immer befürchtet, oder kommt das erst noch? Verwirrt und überfordert schaue ich sie einfach nur an und warte. Bernadette aber tut nichts dergleichen. Sie hat einfach dieses liebevolle Lächeln im Gesicht und ihre graugrünen Augen scheinen wie kleine helle Smaragde zu funkeln. Momentan bin ich aber überhaupt nicht in der Lage, auch nur irgendetwas zu sagen, oder sonst irgendwie zu reagieren. Stattdessen fühle ich, wie sie nun ihre zweite Hand auf meine andere Wange legt. Sanft spüre ich sie auf meiner Haut und ich warte einfach nur darauf, dass Bernadette mich nun endlich mit den Tatsachen konfrontiert. Was hat sie vor? Warum sagt sie einfach nicht, dass sie nicht dasselbe empfindet? Dann hätte ich es endlich hinter mir und ich mich nicht mehr mit diesem beschissenen Gefühl abgeben. Will sie mich damit etwa quälen? Ich verstehe das nicht! Immer mehr Fragen türmen sich in mir auf und erst spät bekomme ich mit, dass Bernadette mich nun mit einem sanften Druck zu sich sieht. Unsere Gesichter nähern sich. Was passiert hier gerade?! Ehe ich aber auch nur verstehen kann, was da in Moment vor sich geht, ist es schon geschehen, unsere Lippen berühren aneinander. Wie ein Blitz durchfährt etwas meinen Körper. Es ist wie eine Art sprudelnde Energie, die vom Kuss aus durch meinen Kopf bis hin zur letzten Spitze meines Körpers zischt und dabei dieses berauschende Gefühl hinterlässt, welches mich nicht mehr loslässt. Es ist einfach unglaublich! Von der Lust getrieben, kann ich endlich meine Glieder bewegen. So gleite ich mit meiner rechten Hand durch ihr glattes Haar, während ich mit meiner Linken um ihre Hüften fasse und sie dabei sachte etwas hochhebe. Ohne dass Bernadette von mir ablässt, reagiert sie auf meine Bewegungen. Zärtlich gleitet sie mit ihren Händen weiter an meinen Wangen voran, bis sie mit beiden Armen meinen Nacken umschlungen hat. Unsere beiden Gesichter sind nun dichter beieinander und unsere Lippen scheinen miteinander versiegelt zu sein. Ich kann gar nicht glauben, was da eben passiert! Das muss ein Traum sein und wenn es einer ist, so will ich nie mehr wieder aufwachen! Da möchte ich doch bis ans Ende meines Lebens träumen. Es ist einfach zu schön. Von Adrenalin und einem Gemisch aus verschiedenen Gefühlen gepackt, stehen wir noch eine Weile so und ich wünsche mir nur, dass das niemals aufhört. Es ist wie ein unwiderstehlicher Rausch, der einen packt und in eine völlig neue Welt entführt. Ich kann gar nicht beschreiben, wie traumhaftschön das ist und doch müssen sich unsere Lippen nach einiger Zeit wieder lösen. Der Kuss raubt einem nicht nur den Verstand, sondern auch den Atem. Tief ringen wir beide nach Luft. Vermutlich ergeht es Bernadette so ähnlich. Zumindest höre ich, wie stark sie atmet. Während mich der Kuss so übermannt hatte, hatte ich die Augen geschlossen. Doch nun öffne ich sie wieder. Flehend dass das alles doch nicht nur ein Hirngespinst war, blicke ich in ihre Augen. Immer noch leicht keuchend schaut Bernadette mich an. Sie lächelt liebevoll und flüstert dann die drei kleinen Worte, die mich endgültig um den Verstand bringen: „Ich liebe dich.“ Meine Augen weiten sich und ich habe immer noch das Gefühl, als würde ich noch tief in diesem Traum feststecken. Beinahe flüsternd kommt nun aus meinen Mund geschossen: „Meinst du das wirklich ernst?“ Bernadette strahlt, während sie nickt und schließlich ihre Stirn sanft an meine legt. „Mir war nie etwas so ernst wie das hier Raphael.“, antwortet sie mir nun und küsst mich schließlich ein weiteres Mal. Auch wenn dieser Kuss nun eher kurz gewesen ist, so könnte ich freudestrahlend die ganze Welt umarmen. Ein befreiendes Gefühl umgibt mich. Die Angst, sie könnte mich von sich stoßen, weil ich diese Gefühle für sie hege, ist wie weggeblasen. Sie liebt mich und hat mir das auf zwei Arten gezeigt. Wild und mit unendlicher Freude drehe ich mich mit Bernadette in den Armen und lache, als könnte es für mich nichts Schöneres geben. Dabei tanze ich mit ihr auf dem mit bereits Pfützen übersäten Dach, wodurch das Wasser unter meinen Füßen nur so spritzt. Wie kleine Fontänen wirbelt diese Flüssigkeit in der Luft, bis die einzelnen Tropfen wieder auf dem Beton landen, ehe sie aufs Neue von meinen rasanten Bewegungen herumgewirbelt werden. Mir ist es aber völlig egal und Bernadette ergeht es nicht viel anders. Denn auch sie ist vom Glück erfüllt und lacht mit mir, als würde es kein Morgen mehr geben und während ich mit ihr so auf dem Dacht tanze, genießt sie mit mir gemeinsam diesen Moment. Immer noch die Hände an meinen Nacken haltend, lehnt sie sich bei dem ganzen Gewirbel mit dem Kopf etwas zurück und lässt sich mit mir herumwirbeln. Wie in einem Karussell für zwei Personen geht es bei uns zu und ich hätte noch ewig damit weitergemacht, hätte ich schließlich nach etlichen Umdrehungen nicht doch aufhören müssen. Mir ist schon etwas leicht schwindlig, weswegen ich am Ende wie ein Betrunkener etwas taumle, meine Geliebte aber immer noch festhalte. Wieder schaue ich ihr in die Augen. Sie weiß ja gar nicht, was für ein Stein mir von Herzen gefallen ist. Denn nie habe ich es auch nur zu träumen gewagt, dass sie meine Liebe erwidern könnte. Ich bin jetzt einfach so glücklich und momentan wünsche ich mir nur eines: Diese Nacht soll niemals enden. Liebevoll streiche ich mit einer Hand wieder durch ihr Haar und ich will ihr schon den nächsten Kuss einhauchen, als sie plötzlich ihren Kopf ruckartig zur Seite reißt und heftig niest. Kapitel 22: Herz über Kopf -------------------------- Aus Raphaels Sicht: Kurz erschrocken halte ich inne. Bernadettes Niesen hat mich aus meinen berauschenden „Traum“ wachgerüttelt. Dabei hätte ich noch viel länger geträumt, wäre da uns beide nicht eine Sache entgangen. Den erst jetzt wird besonders mir wieder bewusst, dass wir beide immer noch mitten auf dem Dach stehen, während um uns herum das Gewitter im vollen Gange ist. Zwar haben der Blitz und der Donner etwas nachgelassen und sind sogar einige Kilometer weitergezogen, aber es schüttet immer noch ununterbrochen und die Tropfen scheinen nicht gerade sehr klein zu sein. Wie aus Eimern schüttet es, so könnte man diese ungewollte „Dusche“ bezeichnen. Doch dabei bleibt es nicht. Zur Krönung heult der Wind, als wenn der Teufel höchst persönlich hinter ihm her wäre und während wir nun das Ausmaß davon ertragen müssen. Gerade in diesem Moment durchfährt uns beide eine starke Böe und ich kneife dabei automatisch die Augen zu. Was für ein Scheißwetter! Dieses „Schauspiel“ von Sturm und Gewitter hätte auch ruhig ein anderes Mal stattfinden können! Als ich wenige Sekunden später meine Lider wieder öffne und darauf zu Bernadette schaue, bemerke ich, wie sie zu zittern beginnt. Wie Espenlaub schlottert ihr gesamter Körper, während sie ihre Arme immer noch fest um meinen Nacken geschlungen hat. Die Kälte muss sie völlig übermannt haben und das wäre auch kein Wunder. Sie ist völlig durchnässt. Ihre Kleidung klebt förmlich an ihrer Haut und dabei ist es völlig egal, ob es sich um ihr schwarzweiß gestreiftes Shirt mit dem bläulichen Blumenmuster auf der Vorderseite handelt, oder um ihre dunkle Jeans. Selbst einige Strähnen von ihrem bereits vom Wind zerzausten Haar hängen ihr wild im Gesicht, dich ich nun mit einem Finger sanft wegschiebe und hinter ihr Ohr klemme. Ich will einfach ihr Gesicht sehen, habe aber immer noch im Hinterkopf, dass mein Mädchen so schnell wie möglich aus die Scheißwetter raus muss. Bernadette wiederum versucht zu lächeln, aber ich sehe ihr an, dass die Kälte es nicht wirklich zulassen will. Scheinbar war auch ihr dies zuvor egal gewesen, hätte die Realität uns beide nicht wieder eingeholt. Ein wenig zittern sogar ihre Lippen und sie murmelt ein leises „Sorry“. Vermutlich glaubt sie, die romantische Stimmung kaputt gemacht zu haben. „Nicht doch, lass uns einfach gehen, bevor du dir noch den Tod holst.“, antworte ich darauf und drücke sie nun etwas an mich, was Bernadette auch wohlwollend zulässt und sich nun dichter an mich schmiegt. Ihr Kopf liegt nun wieder an meiner Brust und mit beiden Armen habe ich ihren Körper umschlungen, damit ich sie ein wenig wärmen kann. Doch ich spüre immer noch, wie stark sie zittert. Das Unwetter hat ihr ganz schön zugesetzt und das eines von vielen Unterschieden, was Bernadette und mich betrifft. Dass ich wechselwarm bin, macht die Sache nicht gerade einfacher für sie, denn während sie nun bis auf die Knochen friert, kann ich mich ziemlich schnell an die Außentemperatur anpassen. Da muss es schon einen gewaltigen Temperaturumschwung geben, damit ich nicht schnell genug darauf reagieren kann. So ist es aber ein Kinderspiel für mich und selbst ein tosender Sturm kann nichts so schnell etwas daran ändern. Bernadette aber kann nicht länger hier draußen bleiben. Ihr ganzer Körper bebt vor Kälte und die nasse Kleidung trägt neben dem Unwetter ordentlich dazu bei, dass ihr Körper immer mehr abkühlt. Kein Wunder also, dass sie zuvor geniest hat. Sie holt sich hier draußen noch den Tod. Hätte sie das aber nicht getan, so wären wir beide noch immer in unserem „Rausch der Leidenschaft gefangen“ und ich würde mich jetzt nicht mit ihr in Bewegung setzen. Bernadette muss sofort wieder in die Wärme. Da darf ich keine Zeit verlieren! Ich will nicht, dass sie krank wird und noch länger dieser Kälte ausgesetzt ist. Nur meinetwegen ist heute das alles passiert. Erst der Zoff mit meinen Brüdern und dann kam das. Nur wegen mir, war sie zuerst sauer auf mich und hat mich hier draußen zur Rede gestellt. Wäre das aber alles nicht geschehen, so würde ich bis jetzt nicht wissen, was sie wirklich für mich empfindet und ich würde mir wahrscheinlich deswegen noch immer meinen Kopf darüber zerbrechen. Zuerst der Zorn und dann diese Euphorie, wie es Donnie wohl bezeichnen würde, um unsere Liebe haben uns beide unsere Umgebung völlig vergessen lassen. Abgesehen davon, dass Hitze bzw. Kälte mir wenig ausmachen, habe ich alles um mich herum nicht mehr beachtet. So ähnlich muss es auch ihr ergangen sein, wobei bei ihr sicherlich andere Gründer dahinter steckten. Sonst hätte sie vermutlich schon etwas früher darauf reagiert. Im Grunde hätte ich nicht gedacht, was Gefühle so alles anrichten können. Sei es im Positiven, wie auch im Negativen. Mit schnellen und großen Schritten eile ich mit ihr über die Dächer und währenddessen versuche ich mein Tempo stätig zu steigern. Auch bei jedem Sprung versuche ich keine Zeit zu verlieren, sondern stattdessen so rasch wie möglich mein Ziel zu erreichen. Bernadette ist währenddessen so ungewöhnlich ruhig geworden und das macht mir Sorgen. Ich spüre nur, wie sehr sie immer noch zittert. Immer wieder schaue ich für einen kurzen Moment zu ihr nach unten. Ganz an mich gekuschelt, hält sie ihre Augen geschlossen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie bei diesem Unwetter schläft, aber die Kälte raubt ihr vermutlich die Kräfte, weswegen ich mein Tempo noch mehr beschleunige, während meine Sorge um sie von Mal zu Mal größer wird. „Wir sind bald da, hörst du?“, versuche ich sie damit anzusprechen, aber wie es schon die ganze Zeit der Fall gewesen ist, reagiert sie nicht darauf, sondern bleibt weiterhin in ihrer momentanen Position. Verdammt, sie muss ganz schnell in die Wärme! Aus Bernadettes Sicht: Als ich meine Augen erschöpft wieder öffne, merke ich, dass wir gerade bei mir zu Hause angekommen sind. Keine Ahnung warum ich diese geschlossen hielt. Ich habe es nicht einmal mitbekommen, nachdem ich mich an Raphael gekuschelt habe. Ich bin einfach weggetreten und habe mich von ihn, ohne es zu merken, durch die Gegend tragen lassen. Vermutlich war das aus Erschöpfung, denn ich fühle mich auch jetzt noch ziemlich kaputt und ausgelaugt. Auch wenn ich keine Ahnung habe warum. Denn davor brannte in mir solch eine Energie, als könnte ich damit Bäume ausreißen. Jetzt merke ich allerdings, wie die beißende Kälte an mir emporkriecht, während der starke Regen weiterhin an mir herunterprasselt und der Wind nebenbei sein „Konzert“ vorführt. Raphael ist in diesem Moment damit beschäftigt, das Fenster zu öffnen. Zum Glück habe ich beim Rahmen einen Keil angebracht, so dass es für meinen Freund kein Problem sein sollte hineinzukommen. Wegen dem Sturm, den ich bereits vor unserem Aufbruch von weitem gesehen hatte, wollte ich mein Fenster nicht einfach offenlassen. Dennoch war es für mich dafür sorgen, dass ich ohne Probleme wieder hineinkann und das funktioniert auch zu unserem Glück. Wenig später klettert er auch schon mit mir hinein und erst jetzt scheint er bemerkt zu haben, dass ich ihn die ganze Zeit still beobachtet habe. Voller Sorge lässt er mich kurz runter, wobei mir dabei etwas schwindelig wird. Er umarmt mich aber gleich und gibt mir damit wieder Stabilität, aber es wirkt auf mich, als wenn gerade irgendetwas Schreckliches passiert wäre. So überraschend ist dies gewesen. Warum macht er sich solche Sorgen, es geht mir doch gut. Mir ist nur kalt und ich fühle mich halt von dem Ganzen etwas erschöpft. Wahrscheinlich habe mir sogar eine kleine Erkältung eingefangen, aber daran ist nicht wirklich was Schlimmes. „Alles ok bei dir?“, fragt er mich schon, wobei ich glaube eine leichte Panik aus seiner Stimme zu hören. „Hey, es geht mir gut. Schieb nicht gleich Panik, nur weil ich etwas müde bin.“, antworte ich ihm schon darauf, während ich mich zum Aufwärmen mich noch dichter an ihn kuschle. Im Gegensatz zu ihm, klinge ich allerdings dabei viel entspannter, auch wenn man mir zur großer Wahrscheinlichkeit die Müdigkeit nur allzu deutlich ansehen kann. „Du hast gut reden. Du hast die ganze Zeit kein Piep von dir gegeben. …“ beschwert er sich schon und will auch schon weiter was dazu sagen, seufzt aber stattdessen. Als er endlich die Umarmung löst, sieht er mich immer noch besorgt an. Noch dazu betrachtet er mich ganz genau, als würde er versuchen wollen, meinen Worten einem „Lügendetektor“ zu unterziehen. Dabei bin ich doch ok. Mir ist nur kalt und ich bin halt müde, mehr ist da nicht. Also braucht er nicht so viel Wind darum machen, aber ich weiß es dennoch zu schätzen. Dass er sich um mich sorgt, beweist nur wieder, dass er es mit seiner Liebe zu mir ernst meint. Dabei hätte ich es, um ehrlich zu sein, nicht wirklich für möglich gehalten, dass er tatsächlich solche Gefühle für mich hegen könnte. Ich meine, dass er mir in dieser kurzen Zeit so wichtig und so vertraut wurde, bleibt ohne Frage. Dass sich aber daraus mehr ergeben könnte, hätte ich nicht zu träumen gewagt. Denn an die Liebe auf dem ersten Blick habe ich nie wirklich geglaubt. In dieser Hinsicht bin ich eher skeptisch und achte daher eher wenig auf irgendwelche „Zeichen“. Dass mich dieses wundervolle Gefühl aber so schnell und gerade während meines miesen Alltag passieren könnte, hätte ich ebenfalls nicht für möglich gehalten. Zwar habe ich bereits schon zu oft zwischen mir und Raphael eine enge Bindung gespürt, dass es aber noch weitergehen könnte, daran habe ich nicht gedacht. Seltsamerweise zweifle ich nicht an diesen Gefühlen. Vielmehr ließen mich Raphaels Worte, seien sie auch eher von ihm herausgebrüllt worden, irgendwie wachrütteln. So dumm es auch klingen mag. Liebevoll streiche ich ihm nun über den rechten Arm, welchen er immer noch um meine Hüfte gelegt hat. Irgendwie ist es schon süß, dass er sich solche Sorgen um mich macht, aber ich bin hart in Nehmen. Daher braucht er sich keine weiteren Gedanken darüber zu machen. Wenn er nur wüsste, wie viele schlaflose Nächte ich wegen ihm gehabt habe, weil er nämlich in letzter Zeit so seltsam drauf war, war das weit schlimmer war. Ach was, daran will ich jetzt gar nicht denken. Besser ist es die Vergangenheit ruhen zu lassen, zumindest für diesen Moment. Jetzt bin ich außerdem viel zu müde, um noch weiter darüber zu diskutieren und kalt ist mir immer noch. Mein Shirt und mein Jeans kleben sogar so sehr an meinem Körper, so dass man glauben könnte, sie hätten sich mit meiner Haut verschmolzen. Ich komme mir irgendwie vor wie vollgesogener Schwamm und ich will mir am liebsten meine Sachen vom Leib reißen und sofort ins warme Bett springen, um mich dort gleich zu verkriechen. Auch eine heiße Dusche könnte nicht schaden. Wenn ich genau darüber nachdenke, ist dies sogar sehr verlockend. Nicht nur meine Kleidung, sondern auch meine Haare triefen vor Nässe und würde ich mich nicht so fühlen, könnte ich schwören, dass mir bereits Eiszapfen an den Haarspitzen herunterhängen. Da heißt es nur: Nächster Halt für heißes Wasser! Raphael hat währenddessen immer noch diesen besorgten Ausdruck im Gesicht, aber ich lächle ihn an. Da sieht man wieder, dass hinter so einem hitzköpfigen Muskelprotz eine liebevolle Seele steckt. Wenn er will, kann er auch seine sensible Seite zeigen. Auch wenn er das sicherlich nicht gerne hören, geschweige dies bejahen würde. Dafür ist er viel zu stolz, was aber auch ok ist. Harte Schale und weicher Kern, so wie ich meinen Raphael kenne und am liebsten habe. „Wie du siehst, geht es mir gut. Ich bin nur etwas angeschlagen, also kein Stress.“, entgegne ich ihn schließlich und lächle sogar dabei, um meine Worte noch zu verdeutlichen, aber Raphael bleibt dabei immer noch etwas skeptisch, worauf ich einfach noch hinzufüge: „Hör mal, ich bin einfach nur müde. … Ich gehe einfach jetzt mal unter die Dusche und dann passt das schon wieder. Glaub mir, ich habe sowieso jetzt keinen Bock, auch noch krank zu werden.“ Nach meinen Worten löse mich nun ganz von ihm und drehe mich anschließend um, um das Gesagte in die Tat umzusetzen. Raphael nickt nur, ehe er dann vor sich hinmurmelt: „Gut, dann mache ich mich besser mal aus dem Staub, damit du dich endlich hinlegen kannst. … Sehen wir uns morgen?“ Überrascht halte ich inne. Wieso will er jetzt gehen? Habe ich gerade was Falsches gesagt? Dabei wollte ich ihn doch gar nicht vergraulen. Er kann ruhig noch hierbleiben. Jedoch ist mein Freund schon am Fenster und wartet vermutlich noch auf eine Antwort von mir, bevor er dann seinen Abgang macht. Scheinbar ist er selbst ausgelaugt und wollte nur sichergehen, dass er mir auch wirklich gut geht. Abgesehen von meiner Müdigkeit und der höllischen Kälte, könnte es mir momentan nicht bessergehen. Ich meine, wir beide haben uns immerhin gegenseitig unsere Liebe gestanden. Auch wenn dies zunächst eher „holprig“ verlief, aber anders möchte ich mir es trotzdem nicht wünschen. Dafür bin ich einfach zu überglücklich. Somit gehe ich für heute ein letztes Mal auf meinem Freund zu, stelle mich auf meine Zehenspitzen und flüstere: „Ich warte morgen auf dich, aber bevor du gehst, wie wäre es mit einem kleinen Abschiedskuss?“ Raphael wirkt nun auf mich, als wenn er dies nicht erwartet hätte. Etwas verdutzt und überrascht blickt er zu mir herunter, aber glaubt er wirklich, dass ich ihn jetzt einfach so gehen lasse, ohne dabei einen Kuss von ihm zu erwarten? Schließlich sind wir nun zusammen, auch wenn dies nicht mit Worten bestätigt wurde, aber manchmal sagt ein Kuss einfach mehr als tausend Worte und ich hoffe auch, dass er nun das auch sieht. Gerade wo er noch fragend seinen Kopf für einen kurzen Moment etwas schief gelegt hat, so beugt Raphael sich nun zu mir herunter. Mit seiner rechten Hand hebt er nun lächelnd mein Kinn etwas an, bis er mir schließlich einen zarten Kuss auf die Lippen drückt und mir anschließend eine gute Nacht wünscht. Diesmal spüre ich, dass nun er die Oberhand hat und ich könnte bei seiner liebevollen, zarten Art dahinschmelzen. Der Kuss hätte aus meiner Sicht noch länger sein können, so angenehm und berauschend war. Umso mehr enttäuscht es mich, dass er wieder wegmuss und sich unsere Lippen wieder trennen müssen. Jedoch sage ich nichts. Stattdessen sehe ich einfach stumm zu, wie mein fester Freund aus dem Fenster klettert und sich anschließend, mit einem verträumten Lächeln im Gesicht, auf dem Weg macht. Für einen Augenblick stehe ich noch an derselben Stelle und warte, bis er dann ganz verschwunden ist und ich mich nun endlich wieder in die Realität zurückholen kann. Wieso müssen gerade die schönen Dinge so kurz sein? Leicht seufzend, aber dennoch glücklich stehe ich da. Mit meinen Fingern von meiner rechten Hand streiche über meine Lippen und stelle mir noch einmal diesen Kuss vor, der so herrlich war, sodass ich diesen kaum beschreiben kann. Hätte ich ihn doch bitten sollen, hierzubleiben? Ich genieße einfach seine Nähe, aber andererseits war heute einfach viel los. Vielleicht ist es sogar besser so und schließlich ist er ja nicht aus der Welt. Schon morgen werde ich ihn wiedersehen und allein der Gedanke daran lässt die Vorfreude darauf erwachen. Doch plötzlich holt mich eine weitere Niesattacke aus meinen kleinen „Traum“, weswegen ich nun schniefend das Fenster schließe und in Richtung Badezimmer marschiere, wo eine angenehme, heiße Dusche auf mich wartet. Ich hoffe nur, dass es zumindest bei einer Erkältung bleibt und dass dieses nervende Niesen schon bald wieder verschwindet. Aus Raphael Sicht: Gedankenverloren springe ich über die Dächer. Der Regen ist immer noch im vollen Gange. Ich stürme aber weiterhin hindurch, als wenn er gar nicht da wäre. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass mir das Wetter völlig egal ist. Viel weniger noch, es ist mir komplett schnuppe! Es könnte meinetwegen jetzt auch noch schneien, es würde mich nicht kümmern. Stattdessen schwirren mir in Moment andere Dinge durch den Kopf und nicht nur mein Hirn scheint dabei völlig überfordert zu sein, sondern auch meine Gefühle. Ständig frage ich mich, ob das alles wirklich passiert ist, was ich da gerade erlebt habe. So richtig glauben kann ich immer noch nicht, denn es ist einfach zu schön, um wahr zu sein. So sehr hoffe ich einfach, dass das nicht nur ein Hirngespinst war, aber es kann nicht sein. Ich fühlte doch, wie sie mich an den Wangen berührend zu sich zog und mich küsste. Ich hörte doch, wie sie diesen einen Satz sagte. Warum also weigert sich mein Verstand daran zu glauben? Kurz bleibe ich stehen und neige mein Gesicht dem Himmel entgegen. Wie aus Eimern schüttet es und ich fühle, wie jeder der einzelnen Tropfen auf mich niederprasselt. Es ist Realität, es kann also keine Einbildung gewesen sein. Jeden einzelnen kostbaren Moment mit ihr habe ich noch vor kurzem erlebt. Ich lächle. Nicht nur aus Stolz und Glück, sondern auch, weil ich die Liebe meines Lebens vor meinen geistigen Augen sehe. Kaum, dass ich an sie denke, spiegelt sich diese wunderbare Szene wider. Wie sehr sie mich um den Verstand gebracht hat. Ich war wie paralysiert und selbst jetzt glaube ich, noch immer ihre sanften Lippen auf meine zu fühlen. Am liebsten würde ich sofort wieder umkehren, Bernadette in den Armen halten und nie mehr wieder loslassen. Ich hätte sogar die ganze Nacht bei ihr verbracht, hätte mich da aber eine Sache nicht zurückgehalten. Sie sah so erschöpft aus, als könnte sie im nächsten Augenblick umfallen und wenn dieser verdammte kalte Regen nicht gewesen wäre, wäre ich jetzt immer noch bei ihr. In Moment aber braucht sie Ruhe und die will ich ihr einfach gönnen. So gern ich auch die nächsten Stunden an ihrer Seite verbracht hätte, ich will einfach, dass es ihr gut geht. Dass wir beide vielleicht auch wegen ihrer Tante hätten in Gefahr laufen können, erwischt zu werden, war in diesem Fall für mich eher zweitrangig. Ich habe nicht einmal wirklich darüber nachgedacht und erst jetzt wird es mir wieder bewusst. Das Einzige, was nun gefährlich sein könnte, wäre, dass die Olle nachhaken würde, was Bernadettes nasse Klamotten und die kleinen Pfützen unterm Fenster angehen, sollte sie demnächst in ihr Zimmer hereinsparzieren, aber das glaube ich nicht. Dafür ist es einfach zu spät. Da hätte es schon ein Gepolter unsererseits geben müssen, damit es wirklich passieren würde, aber dem war nicht so. Stattdessen überkommt mich wieder verstärkt das Gefühl, einfach umzukehren. Automatisch drehe ich mich in die Richtung, aus der ich gekommen war und flüstere in die Dunkelheit, als würde sie selbst vor mir stehen: „Morgen komme ich und hole dich und dieses Mal werde ich garantiert nicht so schnell wieder abhauen. Darauf kannst du dich verlassen.“ Mit diesem Beschluss setze ich meinen Weg fort, kann es aber nicht lassen weiterhin an Bernadette zu denken. So komme ich nach einiger Zeit zu Hause an, ohne auch nur meine Familie zu beachten. Stattdessen gehe ich einfach weiter und will mich schon in mein Zimmer zurückziehen, als Leo sich mir in den Weg stellt. Er sieht mich so prüfend an, gar nicht mal so sauer, wie ich es eigentlich erwartet hätte. Normalerweise kommt er nach solch einer Aktion immer mit einer Standpauke daher. Stattdessen mustert er mich von oben bis unten. „Alles ok bei dir?“, fragt er mich nach dieser beinah unerträglichen „Schweigeminute“. Ich zucke nur mit den Achseln. So richtig nach Reden ist mir gerade nicht zu Mute, aber in diesem Fall ist der Grund ein völlig anderer und seltsamerweise fühle ich mich gerade so gelassen, als hätte es den Zoff von vorhin gar nicht gegeben. Am liebsten wäre ich nun weitermarschiert und hätte den Anführer einfach so stehen lassen, jedoch dauert es nicht lange und meine anderen Brüder gesellen sich nun auch noch dazu. Wie Leo vorhin, sehen mich die beiden mit großen Augen an. Als wäre irgendetwas anders an mir, mit dem sie jetzt nun nicht wirklich klarkommen, oder hängt das doch mit unserem Streit zusammen? Gibt es nun etwa einen Nachschlag, oder darf ich mich nun endlich verziehen? „Spinn ich, oder hat der Regen unseren Bro noch mehr abgekühlt, als was es wegen vorhin mehr als nur notwendig war?“, meldet sich mal Mikey als Nächstes zu Wort und beäugt mich von oben bis unten, als könnte er nicht glauben, wen er gerade da vor sich hat und bevor ich auch nur den Mund aufmachen kann, um etwas zu erwidern, widmet sich nun Donnie mir zu: „Gut möglich Mikey, aber sag Raphi, was war denn nun, als du oben warst? Nur von „Abkühlen“ kann bei dir ja nicht die Rede sein, so wie du jetzt drauf bist.“ Wartend darauf, dass ich mit der Sprache rausrücke, spielt er nun auch mit seiner Brille herum. Als könnte er so seine Neugier „überlisten“. Ich hingegen zucke allerdings nur stumm mit den Achseln und hätte mich am liebsten an meinen Brüdern vorbeigedrängt, aber dies scheint ihre Neugier nur noch weiter angestachelt zu haben, weswegen sie mich dazu drängen, mich gemeinsam mit ihnen auf der Couch nieder zu lassen. Was soll´s, ich bin momentan zu gut gelaunt, als dass ich jetzt wieder mit ihnen gestritten hätte. Selbst wenn sie jetzt ihre Beharrlichkeit um ein paar Etappen weiter hinaufschrauben würden, würde es mich momentan kaum jucken. Gerade das stachelt sie weiter an, mich auszufragen, was Donnie in erster Linie übernimmt: „Jetzt komm schon mal in die Gänge und erzähl endlich, was passiert ist? Wo warst du die ganze Zeit? Habt ihr euch etwa gestritten, oder was war nun los?“ „Komm schon Bro, jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Es ist schon spannend genug!“, klinkt sich Mikey dabei ein und wirkt dabei noch alberner, als was er ohnehin schon ist. Diesmal hat er nur Glück, dass ich gerade so gut gelaunt bin. Ich hätte ihm sonst zur großer Wahrscheinlichkeit schon längst eine verpasst, wäre dem nicht so. Seltsamerweise bestätigt sich das noch einmal, dass meine Wut auf allem und jeden scheinbar abgestellt ist. Wenn ich daran denke, dass ich noch davor so zornig auf sich alle war, ist das mit jetzt überhaupt kein Vergleich. Ich hätte sie alle am liebsten verdrescht und mit ihnen den Boden aufgewischt, aber jetzt ist dieser Zorn wie weggefegt. Als wenn der Sturm, der dort oben herrscht, ihn fortgetragen hätte. Ihnen scheint es wohl ähnlich zu ergehen. Zumindest sie müssten noch sauer sein, aber es nicht so. Stattdessen hat sie alle die Neugier gepackt. „Nur am Anfang.“, antworte ich schließlich etwas murmelnd auf eine von Donnies Fragen, sage aber dann nichts weiter darauf. Mikey versteht wieder einmal nur Bahnhof: „Wie jetzt? Das war´s?! … Komm schon Bro, wie wäre es mit ein paar mehr Infos!“ „Mickey hat recht, was war nun zwischen euch beiden, sodass du erst jetzt auftauchst?“, setzt nun Leo an, der sich bisher rausgehalten und vielmehr still das Geschehen beobachtet hat. Dabei klingt er, als müsse er mir alles aus der Nase ziehen, wobei er eigentlich damit recht hätte. Denn so richtig will nicht darüber sprechen. Vielmehr würde ich mich jetzt gerne zurückziehen und die letzten Momente noch einmal durch meinen Kopf durchgehen lassen, aber ich bin einfach zu k.o. um mich auch nur irgendwie gegen dieses „Verhör“ zu wehren. Seufzend lasse ich meinen Nacken in der Rückenlehne sinken und setze meine widerwillige Erzählung fort: „Sie hat mir ganz schön den Kopf gewaschen. So wütend habe ich sie noch nie erlebt.“ „Und dann?“, hakt Donnie nach, der wohl diese Spannung nicht gerade gut verträgt, aber da ist er von meinen Brüdern nicht der Einzige. Doch ich kann nur abgehakt weitermachen: „Ich … ich war auch so sauer und dann … Dann ist es einfach passiert.“ „Was?!“, fragen alle drei erschrocken und das auch noch gleichzeitig. Vermutlich befürchten sie das Schlimmste, aber wenn die wüssten. Ich dagegen lächele, denn ich denke an den Moment, als Bernadette und ich uns küssten. Dieses Gefühl, dass in mir so brannte, ist jetzt immer noch spürbar, als wenn es nie mehr verglühen würde. So stark sitzt es tief in mir drinnen. Meine Brüder dagegen können die Spannung kaum noch aushalten. Dicht gedrängt schauen sie mich mit großen Augen an. Ich habe echt keine Ahnung, was ihnen gerade durch die Köpfe schwirrt. Ehrlich gesagt, will ich es auch gar nicht wissen. Zum einen bewirkt das nur unnötige Kopfschmerzen und zum anderen interessiert es mich nicht einmal. Es ist nur beinahe amüsant, was meine Brüder gerade für Gesichter ziehen. Wäre ich nicht zu sehr erschöpft, hätte ich gelacht und das wäre für heute nicht das erste Mal. Vielleicht sollte ich doch jetzt schön langsam die Spannung lösen, denn sonst explodieren die mir noch. Es ist aber nicht so einfach die Sache hinter mich zu bringen. Warum auch immer mir das gerade so „schwer“ fällt, wenn man das so sagen kann. „Wir … wir haben …“, fange ich schließlich an, kann aber den Satz nicht vollenden. Als würden die Worte einfach nicht aus mir herauswollen, doch anscheinend hat selbst das Wenige, was ich gerade „preisgegeben“ habe, gereicht. Denn Ich merke gerade, wie Mikeys Augen vor Staunen zu funkeln beginnen. Er scheint genau zu begreifen, was ich eigentlich sagen will, während die anderen beiden immer noch Bahnhof verstehen und mit den paar Wörtern vermutlich kaum etwas damit anfangen können. Jetzt ist einmal der Spieß umgedreht worden und die momentane Situation ist ziemlich komisch. „Das gibt´s doch nicht! … Voll krass!“, lacht mein Bruder mit der orangen Maske und klatscht sich schmunzelnd die linke Hand gegen die Stirn. Das hat er anscheinend nicht erwartet. „Was jetzt?! Klärt uns mal einer mal langsam auf!“, giftet Donnie nun uns beide an. Langsam scheint er etwas sauer zu werden und für mich ist das schon beinahe zum Totlachen. Endlich gibt es mal etwas, was unser Genie nicht begreift. Wäre ich nicht so geschafft, hätte ich das jetzt irgendwie festgehalten, aber vielleicht übernimmt Mikey das ja noch für mich. Zumindest ist er jetzt super drauf, was er auch mit voller Begeisterung klarlegt: „Kapiert ihr es denn nicht?! Die zwei haben sich endlich geküsst! … War ja auch schon höchste Eisenbahn, wenn ihr mich fragt.“ Leo und Donnie, die nun total sprachlos sind, schauen zuerst zu Mikey und dann zu mir. Scheinbar können, oder wollen einfach nicht daran glauben, was unser Bruder angedeutet hat. Um dies aber wirklich zu bestätigen, nicke ich einfach. Was dann allerdings folgt, ist zwiegespalten. Zwischen Donnie und Mikey bricht auf einmal ein Jubel aus und sie gratulieren mir sogar. Dabei argumentieren sie, dass sie schon die ganze Zeit schon darauf gewartet und sogar gewettet haben, wann es endlich passieren würde. Das mit der Wette überhöre ich mal fürs Erste. Zumal ich endlich wieder gut gelaunt bin und ich habe für heute einfach keine Lust mehr, mich noch ein weiteres Mal zu zanken. Da ist mir zurzeit der Jubel der beiden lieber. Nur Leo schaut mich immer noch skeptisch an. Als wenn er immer noch kaum begreifen würde, was er da eben gehört hat. Ist er jetzt wirklich schwer von Begriff, oder passt ihm irgendetwas nicht? Leo sagt aber nichts in dieser Richtung. Vielmehr wirkt er auf mich nachdenklich. Mehr noch, er scheint sogar beunruhigt zu sein, bis der Anführer auf einmal „seine Meinung ändert“ und schließlich doch lächelt, ehe er dann anschließend seine Hand auf meine linke Schulter legt. „War wohl nicht einfach, oder?“, fragt er und ich meine nur: „Du hast ja keine Ahnung.“ Mehr brauchte ich nicht sagen, damit er versteht, dass der Tag im Gesamten mich ganz schön geschafft hat. Eines ist mir allerdings nicht entgangen und zwar, dass Leo irgendetwas im Kopf herumspukt. Auch wenn er es gerade nicht zugeben würde und ich momentan garantiert keine Anstalten machen werde, ihn darauf anzusprechen, so ganz geheuer ist mir das nicht. Kapitel 23: Krank sein? Nein danke. ----------------------------------- Erzählersicht: Dass Raphael für heute die Nase voll hat, ist ihm deutlich anzusehen. Allein schon, wie er dasitzt und seinen Kopf weiterhin in den Nacken gelegt hat, ist seine Erschöpfung deutlich spürbar. Teilweise ist er bereits mit seinen Gedanken woanders, weswegen Leo diesem nur verständnisvoll zunickt, ehe er seine Hand von dessen Schulter nimmt und sich den anderen Brüdern widmet, welche von ihrer Begeisterung darüber, dass Raphael der Erste von ihnen ist, der offiziell eine Freundin hat, kaum abzubringen sind. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich ein Mutant und ein Mensch zusammengefunden haben und gerade das sieht man, ihrer Meinung nach, nicht alle Tage. Am liebsten hätten Mikey und Donnie mit dem Glückspilz noch ordentlich gefeiert, sodass die Bude wackelt, aber zu ihrem Pech lehnt der Geschaffte dies, mehr als nur deutlich, ab: „Kein Interesse, ich mach mal ´nen Abgang.“ Mit diesen Worten erhebt sich Raphael, wenn auch etwas schwerfällig, von der Couch und schlurft in sein Zimmer. Dass er seine Brüder einfach so im Regen stehenlässt, von denen zwei ihm auch noch verdattert hinterherstarren, ist ihm im Moment vollkommen egal. Er will einfach nur seine Ruhe haben. „Muss er ausgerechnet jetzt den Partymuffel spielen? Dabei gibt es doch etwas zu feiern! Voll öde!“, meckert Mikey leicht beleidigt, wagt es aber nicht, seinen Bruder mit der roten Maske hinterherzueilen und diesen zu seinem Glück zu „zwingen“. Zudem hätte Donnie den Witzbold so und so aufgehalten. Bemühend dessen Reaktion nachzuvollziehen, belehrt er Mikey: „Gönn ihm doch die Ruhe. Du wärst auch ziemlich ko, wenn dir das passiert wäre.“ „Wenn mir das passiert wäre, wären meine Batterien immer noch aufgeladen und bereit für weitere Action.“, widerspricht dieser dem Technikgenie, während er zusätzlich noch grinsend seine Arme verschränkt und sich mit einer angeberischen Pose vor Donnie positioniert. Der Angesprochene hingegen lacht nur spöttisch: „„Klar doch“, die Wahrscheinlichkeit, dass du nach sowas noch top fit bist, liegt bei 25:1000, also plustere dich nicht so auf.“ „Mach mal halblang, Technikguru. Das hast du dir gerade aus den Fingern gesaugt, aber selbst, wenn deine „Theorie“ stimmen sollte, Bruderherz, besteht bei mir dennoch eine gute Chance.“, kontert der Orangemaskierte und lacht, während er ein weiteres Mal seine Pose zum Besten gibt. Selbst Donnie muss sich diesmal kugeln, auch wenn er dies mehr wegen der albernen Art seines Bruders tut. Dennoch haben die beiden gerade viel Spaß. Im Vergleich zu ihnen wirkt Leo dagegen viel mehr angespannt und auch beunruhigt. Auch wenn er damit gewartet, bis Raphael sich zurückgezogen hat, so kann und will er es jetzt nicht weiter vor den anderen verbergen. Doch die beiden sind gerade zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie ihren Anführer wahrnehmen, geschweige ihm zuhören würden. Viel zu sehr sind sie in ihren Albernheiten vertieft. Dass es sich im Grunde um dasselbe Thema handelt, scheint in diesem Fall irgendwie bei keinem sichtbar zu ein. Zwar haben alle es schon geahnt, dass sich zwischen Bernadette und Raphael etwas anbahnen könnte, dafür waren die „Zeichen“ für sie alle zu offensichtlich, aber es gab auch die Befürchtung, dass es vielleicht eher eine einseitige Sache bleiben könnte. Während Donnie und Mikey mehr gehofft haben, dass das Paar zueinanderfindet, wünschte sich der Blaumaskierte hingegen, dass es bei einer einfachen Freundschaft bleibt. Mit dem heutigen Abend aber muss er sich nun selbst eingestehen, dass seine „Befürchtung“ wahrgeworden ist. Wie er nun damit umgehen soll, bleibt ihm selbst allerdings ein Rätsel, denn er hat das Gefühl, dass er der Einzige ist, welcher an der heutigen Neuigkeit eher weniger Positives daran erkennt. Seufzend und wissend darüber, dass es momentan keinen Sinn machen würde, irgendwie an die beiden heranzukommen, wendet Leo sich von seinen Brüdern ab und marschiert geradewegs in den Trainingsraum. Dort will er trainieren, oder vielleicht sogar meditieren, um einfach allmählich wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Denn je mehr er darüber nachdenkt, dass sein hitzköpfiger, sturer Bruder sich in ein Menschenmädchen verliebt hat und die beiden sogar zusammengefunden haben, desto absurder und widersprüchlicher kommt ihm diese Tatsache vor. Er kann sich nun mal nicht vorstellen, dass dies gut gehen würde. Zu viele Verschiedenheiten glaubt er in dieser „Beziehung“ zu sehen, was zur großer Wahrscheinlichkeit zu massiven Problemen führen könnte und diese würden seiner Meinung nach nicht nur die zwei Liebenden betreffen, sondern auch die Familie. Doch das ist nicht das Einzige, was den Anführer bekümmert und zum Grübeln bringt, aber am liebsten würde er diesen Gedanken vollkommen aus seinem Verstand verbannen und nicht mehr wieder hineinlassen. Denn allein darüber nachzudenken, lässt seinen Wunsch, dass das Ganze irgendwie verhindern zu können, weiteranwachsen. Dennoch mischt sich immer wieder sein Ehrgefühl ein, welches sein mögliches Vorhaben wieder zum Wanken bringt. Wenig später betritt der Turtle den Raum. Die Atmosphäre hier lässt schon erahnen, dass seine Familie und er sich nicht nur einmal hier zusammengefunden haben. Allein schon die Waffen, die einen Teil der Mauer schmücken, zeigen jeden, der diesen Bereich des Zuhauses betritt, dass an diesem Ort kein „Kaffeekränzchen“ veranstaltet wird. Zumal auch die vergitterte, sechseckige Plattform in der Mitte, welchen den Brüdern in erster Linie als „Kampfarena“ dient, dieses Gefühl verstärkt. Auch sind überall Spuren von mehreren Kämpfen sichtbar. Seien es mehrere Einkerbungen von verschiedenster Tiefe an den Oberflächen, oder so mancher zerstörte Gegenstand, welcher nun „fein säuberlich“ in die vorgesehene Ecke abgelagert worden ist. Selbst einige, wenn auch eher beschädigte Trainingspuppen, sind hier auffindbar. Doch anstatt sich einen von ihnen zu widmen, damit der Anführer der Truppe sich daran austoben kann, geht jener einfach stumm an ihnen vor und beachtet diese Holzgestelle nicht weiter. Stattdessen marschiert Leo auf die Kampfarena zu, springt mit einem Satz darauf und zieht schon seine Schwerter aus der Verankerungen, welche sich gleich zu seiner Rechten befinden. Als würde er vor sich einen Gegner haben, geht er in Position. Dabei verlagert er sein Gewicht auf die linke Seite. Kaum dass sein Standbein fixiert ist, zieht er sein rechtes Bein noch etwas nach hinten. Die Finger um die Griffe seiner Katanas fixiert, atmet er tief durch, während er auch für einige Sekunden seine Augen schließt und auf den richtigen Moment wartet. Bildlich stellt er sich eine schattenartige Gestalt als Gegner vor, reißt nun seine Lider wieder auf und bewegt sich nun blitzartig, sodass ein Zuschauer Mühe hätte, jeden seiner Bewegungen zu folgen. Springend und mit vielen Drehungen versetzt, schwingt der gut ausgebildete Krieger seine Katanas, verfolgt seinen vermeintlichen Gegner und setzt seine Waffen gezielt ein. Als gäbe es kein Halten mehr, vollführt Leo eine Technik nach der anderen und spürt in sich eine brodelnde Energie, als müsse er diese mit Hilfe seiner Schwertkunst aus seinem Körper treiben. Dabei wendet er selbst so viel Kraft an, sodass er nach einiger Zeit wieder innehalten muss, während er keuchend und mit Schweißperlen an der Stirn auf seine Hände starrt. Seufzend steckt er die Schwerter zurück an ihrem Platz und setzt sich anschließend hin. Denn um wieder innerliche Ruhe zu finden, will er nun meditieren und dafür braucht er seine Waffen nicht. Er hat sich aber kaum in der Mitte der sechseckigen Plattform niedergelassen, als der Turtle bekannte Schritte wahrnimmt und folglich weiß, dass er jetzt nicht mehr allein ist. Die Ruhe ist somit dahin, aber aus seinem Mund kommt keine Beschwerde. Stattdessen neigt er kurz und respektvoll sein Haupt, während Meister Splinter immer näher zu seinem Sohn schreitet. Bereits am Eingang hat die mutierte Ratte Geräusche vernommen und folglich seinen Sohn bei seinem Training beobachtet. Dass es aber vermutlich nicht darum geht, ahnt Leo bereits, während er stumm und ruhig darauf wartet, dass sein Vater ihn anspricht. „Der Sturm, der so lange gewütet hat, hat sich anscheinend endlich gelegt.“, meint Meister Splinter und bleibt, mit seinem Stab in seinen Händen, ein paar Schritte vor Leo stehen. Auch wenn sein Vater oft gerne in Rätseln redet, weiß der Blaumaskierte meist, was dieser damit meint. So ist es auch diesmal, als er sein Gesicht zu ihm wendet und diesen leicht besorgt ansieht. „Ihr wisst also bereits Bescheid Meister Splinter?“, fragt er dennoch nach und sein Vater nickt. In Gegensatz zu Leo strahlt die mutierte Ratte eine Ruhe aus. Wie es auch die anderen beiden Turtles tun, so scheint auch er keine Probleme mit dieser Beziehung zu haben. Doch ob er sich tatsächlich darüber freut und ohne Bedenken damit einverstanden ist, ist trotz allem nicht klar erkennbar. Dies kann der Vormund der Turtles gut verschleiern. Dass Leo allerdings Probleme mit Raphael und Bernadette zu haben scheint, ist für diesem unbestreitbar. „Die Wände hier unten haben Ohren mein Sohn. Auch wenn ihr immer noch glaubt, ich würde so manches nicht mitbekommen.“, fügt Meister Splinter hinzu und Leo wirft nur murmelnd ein „Ich verstehe.“ in den Raum. Die mutierte Ratte zwirbelt nun wieder an ihrem Bart, während der Meister seinen gelehrigen Schüler skeptisch ansieht und da dieser nichts weitersagt, beharrt er nun auf eine Erklärung, was dessen Unruhe betrifft: „Mir ist allerdings nicht entgangen, dass du mit der Beziehung deines Bruders mit diesem Menschenmädchen alles andere als einverstanden bist! Was bedrückt dich?“ Leonardo sieht auf, wo er noch zwischendurch mit den Gedanken woanders war und demnach seinen Blick zunächst in die Leere gerichtet hatte. Doch da er nun direkt auf dieses Thema angesprochen wird, steht er nun auf und während er leicht nachdenklich auf der Plattform umherwandert, klagt er nun seinem Vater sein Leid: „Es ist nicht so, als würde ich mich nicht für ihn freuen. Raphi ist schließlich der Erste von uns, der das geschafft hat, von dem wir anderen bis jetzt nur „geträumt“ haben. Auch wenn ich immer noch nicht ganz nachvollziehen kann, was er da verzapft hat, aber … ich bin mir einfach nicht sicher, ob das richtig ist. Ich meine, was ist, wenn etwas dabei schiefgehen sollte? Wenn …“ Auf einmal bricht der Anführer mitten in seinem Redeschwall ab und bleibt im selben Augenblick stehen. Als wäre gerade die nächste Befürchtung wie ein Kopfkino in sein Gehirn gesaust, ist er nun still. Doch sein Vater unterbricht ihn dabei und holt ihn aus seinen Gedanken wieder heraus, als er ihn mit einer väterlichen Stränge fragt: „Woran zweifelt dein Vertrauen Leonardo? Liegt es an Bernadette, oder ist es doch dein Bruder, weswegen deine Bedenken so stark sind?“ Bei dieser Frage wird der Turtle unschlüssig. Für ihn ist klar, dass er Raphael vertraut, auch wenn dieser sich öfters wie ein hitzköpfiger Bulle aufführt und dabei alles in den Boden rammt, was ihm in die Quere kommt. Auch Bernadette hat bereits sein Vertrauen gewonnen, weswegen es auch nicht direkt an ihr liegt. Dennoch hat der Turtle Zweifel. Freundschaft ist für den Blaumaskierten kein Problem. Auch wenn er am Anfang etwas skeptisch über die neue Freundin war, welche auch noch zunächst verheimlicht wurde, so tat er dies nur, um seine Brüder zu schützen. Würde es nach Leo gehen, würde er höchstpersönlich Freundschaften mit anderen Menschen schließen. Allein die Neugier und der Wunsch danach sind genauso groß, wie bei den anderen drein und dies war bereits, als sie alle noch Kinder war. Sein Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein gegenüber seiner Familie allerdings hindern ihn daran. Was die Liebe angeht, zweifelt Leo und dies kann er nicht einfach so abstellen. „Es liegt nicht wirklich an den beiden. Es ist nur … Ich weiß auch nicht.“, meint Leo etwas unbeholfen, kann aber dennoch nicht die passenden Worte finden. Er gesteht somit, dass er selbst keine Ahnung hat, was ihn wirklich daran stört. Viel eher hat er Angst, dass es mit den beiden womöglich nicht gut gehen könnte. Dass sie vielleicht zu verschieden sind, als dass solch eine Beziehung wirklich möglich wäre. Währenddessen hat Meister Splinter seinen Sohn die ganze Zeit beobachtet. Zum einen versteht er dessen Kummer, jedoch versucht er ihm nun väterlich Mut zu zusprechen: „Ich verstehe deine Sorge mein Sohn. Du willst einfach nicht, dass Raphael das Herz gebrochen wird. Doch was das Leben für uns bereithält, können wir nie wirklich voraussehen. Wie können es nur erahnen und selbst dann kann sich wieder alles ändern. Wichtig ist, dass du für deine Familie da bist und dein Vertrauen zu ihnen nicht verlierst. Du und deine Brüder seid ein Team, ein zusammengeschweißtes Band. Zweifelst du, wird sich dieses Band nach und nach lösen, bis es endgültig zerreißt.“ Leo hört seinem Vater aufmerksam zu. Auch wenn dieser wieder einmal etwas in Rätseln spricht, weiß er, was er zu tun hat. Aus Bernadettes Sicht: Müde und erschöpft öffne ich am nächsten Morgen ruckartig meine Augen, nachdem mich plötzlich ein schrillendes Geräusch aus dem Schlaf gerissen hat. Als würde etwas in einem rasanten Tempo auf mein Hirn einschlagen, während meine Ohren dabei beinahe explodieren, ist es nun mit der Ruhe dahin. Was soll die Scheiße?! Kann man mich nicht einmal in Frieden lassen und wo kommt das verdammt noch mal her?! Normalerweise ist es ja meine Tante, die mich jeden Morgen mit ihrer „süßlichen“ Stimme weckt und mich so wieder auf dem Boden der Tatsachen bringt. Sei es auch meist durch geschlossener Tür, aber diesmal ist es vollkommen anders. Mal abgesehen davon, dass ich wieder einmal voll verpennt habe, zuzusperren, müsste sie vermutlich schon eine Weile weg sein. Schließlich wusste ich bereits gestern, dass heute ihr großer Tag ist und sie daher sicherlich schon früh aufgebrochen ist. Wie spät es tatsächlich ist, weiß ich nicht und es interessiert mich auch nicht die Bohne! Dieser Lärm allerdings rauft mir momentan jeden letzten Nerv! Irritiert, wütend und erschrocken zugleich blicke ich hastig um mich. Doch ich kann gerade kaum etwas sehen, denn alles wirkt für mich noch so verschwommen. Ich bin immerhin gerade erst, wenn auch ungewollt, aufgewacht. Da kann von „Muntersein“ kaum die Rede sein, aber dieses bohrende Geräusch macht mich noch ganz wahnsinnig, weswegen ich nun hastig meine Hände gegen mein Gesicht reibe. Irgendwie muss ich ja „wach werden“. Erst als ich wieder halbwegs sehen kann, bemerke ich auf mein Nachttischschränkchen einen altmodischen, goldenen Wecker, der noch immer keine Ruhe gibt und stattdessen immer noch sein ohrenbetäubendes „Konzert“ gibt. Grummelnd erhebe ich mich etwas, damit ich das blöde Ding endlich erreichen kann und ihn mit einem ordentlichen Schlag zum Schweigen bringe. Endlich, es ist still! Mein Gott, wie erholsam das ist. Das war ja schon höchste Eisenbahn! „Was soll dieses Theater bei dieser Herrgottsfrühe?“, frage ich noch immer empört und reibe mir dann ein weiteres Mal die Hände gegen mein Gesicht. Denn die Müdigkeit habe ich noch immer nicht ganz abgeschüttelt. Was macht dieses Ding überhaupt in meinem Zimmer?! Ich seufze, denn ich bin mir jetzt schon sicher, dass meine Tante wieder einmal etwas damit zu tun hat, weswegen ich genervt und ruckartig die Bettdecke von mir ziehe. Nie hat man seine Ruhe und gerade die hätte ich bitter nötig! Ich fühle mich seit letzter Nacht immer noch kaputt und ich weiß nicht, ob das an gestern liegt, oder an den furchtbaren Wecker. Was es auch ist, ich bin einfach angepisst. Wütend schaue ich zu dem Ding herunter und bemerke erst jetzt, dass eine Notiz beigelegt worden ist. Ich rolle allerdings nur mit den Augen. Denn eigentlich befinden wir uns im Zeitalter des Handys, da hätte man mir auch ´ne WhatsApp oder zumindest eine SMS schreiben können. Ach, was soll´s. Noch immer genervt nehme ich das Stück Papier schließlich in die Hand und lese die kurze Nachricht: « Guten Morgen Bernadettchen. Ich bin schon unterwegs, aber ich dachte mir, dass du meinen kleinen Helfer gut gebrauchen kannst. Wir wissen ja beide, dass du gerne mal verschläfst. Daher habe ich ihn schon mal für die passende Uhrzeit eingestellt. Gehe ja liebevoll mit ihm um! Nicht, dass du meine Uhr in die nächste Ecke wirfst. Wir sehen uns übrigens erst in einer Woche. Ich weiß nicht, ob es vielleicht länger dauern könnte, aber sollte ich schon früher zurückkommen, werde ich dir auf jeden Fall noch rechtzeitig Bescheid geben. Ich will aber, dass du dich jeden Tag bei mir meldest. DAS IST MIR WICHTIG, also VERGISS es bitte NICHT! Sobald ich angekommen bin, werde ich dir eine Nachricht schicken, um welche Uhrzeit es bei mir am besten geht. Also mach´s gut und sei ja artig. Liebe Grüße, deine Tante» Kopfschüttelnd rolle ich noch einmal mit den Augen und lasse sogar einen genervten Seufzer von mir geben. Diese Nachricht ist einfach nur lächerlich! Sie tut ja so, als würde ich sie nicht kennen. Dabei weiß ich ja, was für Macken sie hat und nicht selten habe ich bei ihr den Eindruck, dass sie nicht mehr alle beisammenhätte. Es bringt sich aber eh nichts, sich aufzuregen. Erstens ist sie nicht da und zweitens würde sie mir, so wie immer, sowie so nicht zuhören. Moment, ich bin allein! Das heißt: Keine Kontrolle, freier Durchgang, was das Haus betrifft und keine Geheimniskrämereien, was meine nächtlichen Ausflüge angehen! Super! Allmählich weicht meine schlechte Stimmung von mir und ein kleines Lächeln zeigt sich in meinem Gesicht. Auch wenn der Morgen nicht gerade rosig angefangen hat, so ist die Erkenntnis, dass ich zumindest eine Woche meine Ruhe von meiner Tante habe, einfach nur wohltuend und das brauch ich einfach. Sorgen habe ich zwar auch so, aber ich kann mich zumindest zuhause ohne jegliche Probleme zurückziehen. So stehe ich schließlich vom Bett auf. Ich wäre auch weiterhin zufrieden meinen Alltag nachgegangen, hätte mich da dieses plötzliche, beklommene Gefühl nicht „wachgerüttelt“. Ich muss mich sogar am Nachttisch festhalten. Irgendwie ist mir etwas schwindlig und müde bin ich auch immer noch. Als würde etwas an meinen Kräften zerren, was ich gerade noch nicht wirklich bemerkt hatte. Nur warum? Liegt es womöglich daran, dass ich so lieblos aus dem Schlaf gerissen wurde? Vielleicht sollte ich erst einmal Energie tanken, dann wird es mir sicherlich bessergehen. Mein erstes Ziel ist somit die Küche. Weiterhin begleitet von diesem seltsamen Gefühl, gehe ich die Treppen hinunter. Allerdings stolpere ich bei den letzten Stufen. Gerade noch habe ich mich am Geländer festhalten können. Das hätte schiefgehen können. Kopfschüttelnd setze ich mich wieder in Bewegung. Ich lasse mich doch von der Müdigkeit nicht einfach so ins Bockshorn jagen. Auch wenn die letzte Nacht ganz schön an meinen Kräften gezerrt hat und ich mich auch heute wieder mit meiner Erkältung durchschlagen muss, will ich mich einfach nicht davon unterkriegen lassen. Dennoch, es lässt sich nicht so einfach abschütteln und immer wieder muss ich niesen. Ständig überkommt mich diese Müdigkeit, mir ist kalt und ich habe sogar einen ständigen Drang etwas zu trinken. Meine Kehle fühlt sich total trocken und rau an. Als wäre sie ein ausgetrockneter Brunnen, während ich immer wieder nach einem Taschentuch greife. Um ehrlich zu sein, fühle ich mich überhaupt nicht wohl. Viel eher würde der Begriff „scheiße“ besser dazu passen. Denn nach meinem Frühstück habe ich mich, so wie immer, in die Schule begeben und ich fühle mich keine Sekunde besser. Im Gegenteil, mir kommt es sogar vor, dass die Erkältung nur stärker werden würde. Vielleicht hätte ich doch zuhause bleiben sollen, aber jetzt bin ich nun mal hier und muss meinen Alltag durchziehen. Allerdings weiß ich nicht, ob ich meine momentane Lage vielleicht doch nicht nur als Pech sehen soll. Denn egal wohin ich auch gehe, überall ernte diese angewiderten Gesichter und sogar noch mehr. Meine Klassenkameraden ekeln sich sogar so sehr vor mir, sodass sie mir im Großen und Ganzen aus dem Weg gehen. Zumindest werde ich für heute nicht angerempelt und selbst das Beschießen mit den Papierkügelchen fällt heute aus. Vermutlich wird befürchtet, dass ich mit meinen „Niesattacken“ zum Gegenschlag aushole, würde sie mir wieder auf dem Wecker fallen. Dabei will ich einfach nur meine Ruhe habe. Ich komme allerdings nicht drum herum, dass ich Kommentare wie Schnodderkanone, oder Bazillenschleuder ernte. Als hätten sie alle nicht selbst mal eine Erkältung gehabt und dieses beschissene Gefühl durchmachen müssen. Naja, immerhin werden meine Nerven diesmal nicht zu sehr strapaziert. Mir geht es zwar gesundheitlich immer noch nicht gut, aber ich bin sogar mit dem Wenigen zufrieden, was mir zugeschmissen wird und selbst Lucinda gehört zu den Kandidaten, die lieber Abstand von mir halten. Sie geht sogar so weit, sodass sie immer darauf achtet, mehrere Meter von mir entfernt zu bleiben. Dabei hält sie sich auch die Hand vors Gesicht. Als wäre die Luft allein schon von meiner Anwesenheit verpestet worden. Wäre ich nicht so ausgelaugt, so hätte ich absichtlich mehr ihre Nähe gesucht, nur damit sie mal etwas „leidet“. Stattdessen kämpfe ich immer wieder gegen meine Müdigkeit, so wie auch gegen dieses Schwindelgefühl. Ich muss mich ständig zusammenreißen, dass ich nicht umkippe. Weswegen ich öfters wo länger sitzen bleibe und stur in die Leere starre. Am besten ist es wenn ich mich nach der Schule gleich wieder ins Bett verkrieche und dabei etliche Taschentücher bereithalte. Gerade haben wir Sportunterricht. In meinem Zustand weiß ich selbst, dass das nicht gerade klug ist, jetzt mitzumachen. Ich fühle ja, wie erschöpft ich bin, aber für meine Sportlehrerin ist sowas nur eine faule Ausrede, um sich vor dem Sportunterricht zu drücken. Eigentlich bin ich ja keine schlechte Sportlerin. Ich bin zwar keine Übereifrige, die fast schon süchtig nach Herumgerenne, etc. ist, aber ich bin auch keine Niete. Sozusagen schwimme ich da irgendwo in der Mitte herum, was für mich auch ok ist, aber heute scheint irgendwie nichts zu klappen. Neben dem Aufwärmtraining ist heute Laufen angesagt. Da ich aber weiß, dass eine Diskussion mit Mrs. Hobbs nicht viel bringen wird, reiße ich mich zusammen und mache einfach mit. Natürlich bin ich heute nicht in Bestform, weswegen ich die Letze bin. Ich bin sogar so weit hinten, sodass ich von der Trainerin ständig angestachelt und angepöbelt werde, endlich einmal mein Tempo zu beschleunigen. Ich kann aber nicht und kann für heute nicht mehr geben, was ich es eh schon tue. Zu meinem Übel wird mir nach einiger Zeit so schwindelig, sodass ich kaum etwas erkennen kann. Selbst die Worte der Sportlehrerin kann ich nur noch gedämpft hören und schon ist es geschehen. Ich stolpere über meine eigenen Füße und stürze zu Boden. Anstatt, dass mir aber irgendjemand zur Hilfe eilt, laufen die anderen einfach weiter oder lachen mich aus. Ich höre nur dumpf das Gelächter, während ich mühselig versuche, mich wieder aufzurappeln. Wieder muss ich heftig niesen und ich spüre, dass das Schwindelgefühl immer stärker wird. Ich bin einfach nur erschöpft. Nach kurzer Zeit ist meine Sportlehrerin zu mir geeilt und reißt mich mit einem Ruck vom Boden. Enttäuscht und belehrend muss ich mir jetzt ihre Vorwürfe anhören: „Schwach, das ist einfach nur schwach! Was ist nur los mit dir?! Das ist das Schlechteste, was ich je gesehen habe und ich habe schon einiges hinnehmen müssen, aber das ist ja lächerlich! … Nimm dir ein Beispiel an deinen Mitschülerinnen! Lucinda, Mona und Phoebe sind heute in Bestform. …“ Noch weiter geht das Gezeter weiter und dass Lucinda dabei wieder einmal ins Rampenlicht gestellt worden ist, war ja nur zu erwarten, aber ich bin nicht gerade in der Verfassung, meiner Lehrerin bis zum Ende zuzuhören. Selbst, wenn ich es gewollt hätte, ich fühle mich einfach nur scheiße. Während ich darauf bedacht bin, mich auf mein Gleichwicht zu konzentrieren, fällt der dürren Frauen doch mal auf, dass es mir alles Andere als gut geht. Sie legt ihre Hand auf meine Stirn und meint entsetzt: „Du brennst ja förmlich.“ Die Erkenntnis darüber, dass ich anscheinend Fieber habe, gefällt mir ganz und gar nicht. Ich habe immerhin heute noch etwas vor, da kann ich das absolut nicht gebrauchen. Gerade weil ich mich am Abend wieder mit Raphael treffen will, ist das einfach nur schlecht und dass mir meine gestrige Dusche wohl nicht geholfen hat, ärgert mich umso mehr. Ich will nicht krank sein! Ich hasse es einfach! „Es geht mir gut.“, behaupte ich und versuche das Ganze irgendwie runterzuspielen. Doch es scheint nichts zu nützen, ich werde einfach zur Schulschwester geschickt. Ob ich will oder nicht spielt keine Rolle. Während die anderen ihr Lauftraining fortsetzen, zerrt mich Mrs. Hobbs in ihr Büro. Vielmehr ist es eine kleine Kammer neben der Garderobe und von hier aus ruft sie beim Telefon die Schulschwester an. Bis sie kommt, soll ich hier sitzen bleiben, denn meine Lehrerin scheut keine Zeit mehr, ihren Sportunterricht weiter hinauszuzögen. Zumindest waren das ihre Worte, bis sie die Tür hinter sich zugeknallt hat. Ich seufze nur und warte auf die Schulschwester. Was bleibt mir auch anderes übrig? Es dauert auch nicht lange, bis die pummelige und etwas kleinere Dame im weißen Outfit und mit der dunklen Haut mich abholt und ins Krankenzimmer zerrt. Schon nach kurzem Hinsehen murmelt sie vor sich hin, dass ich gar nicht gut aussehe und ich denke mir nur, dass sie das sowieso immer zu jedem sagt. Mrs. Brown ist nämlich einer der wenigen Angestellten in diesem Irrenhaus, die immer freundlich ist. Selbst wenn einer simuliert, drückt sie ein Auge zu. Denn auch wenn sie es nicht sagt, bekommt sie es immer mit und sie hat viel Verständnis für uns Schüler. Außer es kommt zu häufig vor, dann kann selbst diese gutmütige Person zu einer Furie werden. Einmal habe ich das sogar erlebt und da war ich noch nicht lange an dieser Schule. Damals war es einer meiner Klassenkameraden, der es ein bisschen übertrieb. Als ich dann zu Mrs. Brown kam und um ein Pflaster bat, war sie gerade dabei, dem Jungen eine lange Standpauke zu erteilen. Das war kein schöner Anblick und seit diesem Tag habe ich sehr viel Respekt vor ihr. Heute sitze ich aber ungewollt im Krankenzimmer und muss mich untersuchen lassen. Ich hasse es einfach krank zu sein. Abgesehen von den Symptomen geht mir die Untersuchung mächtig auf dem Zeiger. „Kindchen, ich fürchte dich hat es ordentlich erwischt. Vermutlich ist es nur eine harmlose Grippe, aber du darfst auf keinen Fall Sport machen, wenn du Fieber. Das ist gefährlich und kann alles noch schlimmer machen. Am besten gehst du jetzt nach Hause, trinkst viel Tee. Wenn es dir ein bisschen besser geht, gehst du auf der Stelle zum Arzt, damit er dir etwas Ordentliches verschreiben kann. … Was die Schule angeht, wirst du erst einmal den der Woche zu Hause bleiben.“, klärt mich die dunkelhäutige Frau auf und sieht mich dabei besorgt, wie auch streng an. Dass ich in meinem Zustand Sport betrieben habe, scheint ihr überhaupt nicht zu gefallen, aber mir gefällt nicht, dass ich krank bin. Wenn das außerdem meine Tante erfährt, werde ich womöglich wieder mit Sorge überschüttet, sodass ich darin zu ertrinken drohe. Sie traut mir ja jetzt kaum was zu. Weil ich krank bin, wird sie mich wieder behandeln wollen wie ein kleines Kind. Ich kann nur hoffen, dass die Schule Tante Tina nicht Bescheid geben wird, aber vermutlich stehen meine Chancen dafür eher schlecht. Mrs. Brown fügt schließlich hinzu, dass sie meinem Klassenlehrer eine Nachricht für das Klassenbuch schreiben wird. So erspar ich es mir extra einen Beleg von meinem Hausarzt zu organisieren und kann somit dem Ärger ein wenig entgehen. Glücklich bin ich trotzdem nicht und das liegt nicht nur daran, dass es mir nicht gut geht. Wenn es aber bis heute Abend nicht besser wird, muss ich es absagen. Ob ich will oder nicht, spielt keine Rolle. Daher bleibt mir nichts Anderes übrig, als weniger später meinen Rucksack zu nehmen und mich auf dem Heimweg zu machen. Doch zunächst torkle ich in die Apotheke, wo ich mir etwas gegen die Symptome hole. Dass ich nebenbei auch noch einen Husten dazubekommen habe, erschwert die Sache. Ich fühle mich einfach nur mies und auch wenn ich es zunächst nicht wollte, so sehne ich mich umso mehr nach meinem Bett. Kapitel 24: Eine liebevolle Pflege ---------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Als ich schließlich nach Hause komme, schmeiße ich mich als Erstes ins Bett. Meinen Rucksack habe ich dabei achtlos auf dem Boden geworfen. Mir ist einfach wieder zu schwindlig gewesen, als dass ich es, wie normalerweise, einfach neben meinen Schreibtischsessel abgestellt hätte. Ich bin einfach nur froh, daheim zu sein, während ich liegend und ohne Hände meine Schuhe von meinen Füßen abstreife und mich unter meine geliebte Bettdecke verkrieche. Dass ich eigentlich noch normal angezogen bin, ist mir sowas von egal. Ich sehne mich einfach nur nach Wärme, weswegen ich mich völlig darin einwickle. Nur mein Gesicht ist von ihr nicht verhüllt und zufrieden schließe die Augen. Endlich habe ich wieder meinen Frieden und ein klein wenig spüre ich etwas Wärme. Doch irgendwie habe ich nicht genug. Mir ist einfach kalt und so krümme ich mich noch mehr zusammen, damit dieses wohltuende Empfinden noch schneller meinen Körper umschließt. Ich huste und auch der Schnupfen machen mir einen Strich durch die Rechnung, obwohl ich mich einfach nur nach Ruhe sehne. Stattdessen greife ich etwas unbeholfen in meine Hosentasche und fische eine kleine Packung mit Taschentüchern heraus. Kaum, dass ich eines davon an meine Nase angesetzt habe, schnäuze ich mich. Dabei klinge ich schon fast wie ein Elefant, der ein Trompetenkonzert gibt und genau das wird noch weiter so bleiben, selbst wenn mir die Taschentücher ausgehen. Erschöpft kuschle ich mich noch mehr in meine Decke. Ich versuche zu schlafen, aber obwohl ich meine Augen verbissen geschlossen halte, finde ich dennoch keine Ruhe. Abgesehen von den ständigen Hustenanfällen und den Schnäuzattacken plagen mich nun auch Kopfschmerzen. Als würde jemand meinen Schädel als Bongotrommel missbrauchen und ich fühle mich einfach nur angepisst. Wo es letzte Nacht nur mit einem harmlosen Schnupfen angefangen hat, bekomme ich nun die volle Breite zu spüren. Ich war schon lange nicht mehr so krank. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte ich selbst im letzten Winter nur eine kleine Erkältung und die war im Vergleich dazu harmlos. Wie lange wohl Raphael und ich in diesem stürmischen Regenguss waren? Irgendwie kann ich das gar nicht so abschätzen, aber es muss lange genug gewesen sein, damit es mich volle Kanne erwischt. Anders könnte ich es mir momentan einfach nicht erklären und das ist einfach nur scheiße. Denn egal was ich auch mache, ich kann mich einfach nicht entspannen, geschweige vollkommen in meine Traumwelt abdriften. Seufzend liege ich nun so da und starre wortlos in die Leere. Vielleicht sollte ich mich ein wenig ablenken und wenn ich Glück habe, ist dieses Schwindelgefühl etwas besser geworden. Da meine Bemühungen, zu schlafen, zwecklos erscheinen, beschließe ich meine Zeit nun etwas anders zu gestalten. Zuerst mache ich mir in der Küche eine volle Kanne mit Kräutertee und setze mich damit anschließend im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Ich habe mir auch eine von den weichen Decken aus dem Kasten genommen, die wir normalerweise gerne bei Filmeabende nutzen. Dorian und ich haben uns bereits als Kinder gerne darin hineingekuschelt, während wir uns eine DVD nach der anderen reingezogen haben. Auch jetzt schmiege ich mich an den angenehmen Stoff, welches mich sogar an einem Stofftier erinnert. Doch diesmal nippe ich nur lustlos an der Tasse, während ich durch die einzelnen Kanäle zappe. Heute spielt es einfach nur Schrott und sämtliche Filme in diesem Haus habe ich mir bereits etliche Male angesehen. Ich kenne jede DVD in den Regalen, weswegen es wohl schwieriger werden dürfte, mich abzulenken. Ein Buch lesen, kann ich auch ziemlich vergessen. Durch dass die Schwindelattacken immer wieder auftauchen, kann ich mich kaum auf das Geschriebene konzentrieren. Selbst, wenn ich es mir dabei gemütlich mache. Mir ist es schon in der Schule schwergefallen, dann wird es auch jetzt keinen Sinn machen. Davon bin ich überzeugt, weswegen mir der Gedanke, mich wieder ins Bett zu quälen, viel sinnvoller erscheint und vielleicht schaffe ich es diesmal zu schlafen. Natürlich gelingt es mir nicht wirklich. Obwohl ich einfach nur müde bin, kann ich meine Augen nicht geschlossen halten. Immer wieder blinzle ich zur Decke empor und versuche an etwas Schönes zu denken. Als ich meinen Blick durch mein Zimmer schweife, bleiben meine Augen bei einem roten Buch hängen, welches mitten im Bücherregal steht. An sich ist dieses Ding nichts Besonderes. Ich wüsste nicht einmal, um was für einen Roman es sich dabei handelt. Vielmehr ist es die Farbe, die mich so fasziniert, denn sie erinnert mich an Raphael und seine Maske. In Gedanken versunken sehe ich sein Gesicht vor mir. Wie er mich vor Freude strahlend angesehen hat, als er mit mir auf dem Dach tanzte. Wir beide haben aus tiefsten Herzen gelacht und diesen einen Augenblick genossen. Nichts anderes existierte für uns und ich war so glücklich. Doch auch das, was zuvor passierte, wird wohl ewig in meinem Kopf bleiben. Ich werde niemals vergessen, wie er mir seine Liebe gestanden hatte und mir geht es nicht einmal darum, dass er mich dabei angeschrien hat. Vielmehr seine eigene Reaktion darauf, hat sich in mein Hirn eingebrannt. Als wollte er dieses Geheimnis bis in alle Ewigkeit von mir fernhalten, hatte er dies aber nicht geschafft und ich bin sogar glücklich darüber. Denn für mich war es einfach wie ein Weckruf, der mich dazu veranlasste, meine eigenen Gefühle zu ihm zu hinterfragen. Nie hätte ich es wirklich für möglich gehalten, dass er dasselbe empfindet wie ich. Ich wollte mir ja nicht einmal selbst eingestehen, dass bei unserer Freundschaft noch mehr dahintersteckt. Wenn ich so darüber nachdenke, war dies für mich irgendwie unvorstellbar und ich genoss einfach die Tatsache, dass ich nun nicht mehr allein bin. Ich habe auch geglaubt, ich wäre für ihn einfach die erste richtige menschliche Freundin und nichts weiter. Mir fiel es nie wirklich schwer mit ihm zu reden. Besonders seit er mir gezeigt hatte, dass er mir zuhört und dass ich ihm nicht egal bin. Schon von Anfang an hatte ich dieses Vertrauen zu ihm. Manchmal wünschte ich nur, dass ich damals meinen Verstand mal kurz abgeschaltet hätte, als ich ihm das alle erste Mal sah. Diese verdammten Vorurteile wegen seines Aussehens ließen zunächst die Angst in mir wachsen, bis ich mich selber dazu zwang, mich dagegen zu wehren, um Neues zuzulassen und ich bereue es nicht. Raphael wurde in Laufe der Zeit mein bester Freund. Nach dem Verrat meine damaligen Freunde hätte ich es niemals für möglich gehalten, irgendwann doch noch Vertrauen zu jemandem zu haben und dann kam er. Er bewies mir das Gegenteil und ist mir nun näher, als was ich mir je erträumt hätte. Manchmal glaube ich, dass es doch Schicksal war, dass wir uns kennenlernten. Es mag absurd klingen, aber es gibt nun mal Dinge, die kann man nicht so einfach erklären und außerdem darf man eines nicht außer Acht lassen: Hätte ich nicht solche Probleme zu Hause und in der Schule, so wäre ich an jenen Abend nicht ziellos herumgeirrt und wäre dann von ihm gerettet worden. Ich wäre vermutlich zuhause gewesen und hätte ich noch meine damaligen Freunde, so wäre ich mit ihnen gemeinsam durch die Häuser gezogen, oder hätten sonst irgendetwas gemacht. Selbst wenn ich einen anderen Freundeskreis hätte, wäre ich womöglich nie an dieser Straße entlanggegangen. Jetzt dagegen genieße ich es umso mehr, dass ich ihn kenne und wenn er mal nicht seine „Phasen“ hat, an dem ich ihm einfach nicht verstehe, so gibt er mir das Gefühl, dass ich nicht mehr alleine bin. Meine Probleme scheinen in seiner Gegenwart sogar zu schrumpfen. Er fühlt mit mir mit und kann auf seine Weise irgendwie nachvollziehen, wie mir zu mute ist und genau das ist es, was ich an ihm so schätze. Er ist einfach für mich da und genauso möchte ich das auch für ihn. Besonders, seit seine Familie von mir Wind bekommen hat, ist mir dies umso wichtiger geworden. Nur, dass er selbst ihnen nicht gestanden hat, dass er mehr als nur Freundschaft für mich empfindet, ist trotz allem seltsam und ich bin mir sicher, dass auch seine Brüder nicht wirklich davon gewusst haben. Vielleicht hatten sie eine Ahnung, aber mehr war da sicher nicht. Sonst Hätte Raphael nicht so ein Geheimnis daraus gemacht und zweitens wäre das Ganze wohl etwas anders verlaufen. Besonders was der Streit zwischen den vieren letzte Nacht angeht, gibt es für mich keinen Zweifel. Nur, wie wird es jetzt weitergehen? Wenn ich so darüber nachdenke, war es schon schwierig genau, diese Familie zu überzeugen, dass man mir als gute Freundin vertrauen kann. Am Schwersten war es, Leo davon überzeugen und das gelang mir auch nur, weil der Anführer der Truppe mir hinterherspioniert hatte und der Grund dafür war Raphael. Au Mann, irgendwie dreht sich da alles und das liegt nicht nur daran, weil mir wieder etwas schwindelig ist. Allein der Gedanke daran ist einfach nur verwirrend und kompliziert. Dass die anderen beiden Brüder wohl eher weniger damit ein Problem hätten, steht außer Frage, nur was ist mit Leo? Ich seufze, denn gerade war ich noch so verträumt und nun bin ich nur noch nachdenklich. Was meinem Kopf alles andere als guttut. Die Kopfschmerzen sind kein bisschen besser geworden. Es ist zwar auch nicht schlimmer geworden, aber dieses Hämmern auf meiner Birne reicht auch so. Trotzdem, ich kann es einfach nicht leugnen, dass alles im Nachhinein einfach nur kompliziert ist. Dabei wollte ich eigentlich nur seine Familie besser kennen lernen. Ich wollte nur ihre Welt besser verstehen und auch dabei zeigen, dass ich nicht davon abgeneigt bin, zu lernen. Auch hatte ich gehofft, dass besonders Leo noch mehr auftaut, aber jetzt befürchte ich, dass er wiederum wieder Abstand von mir nimmt. Mann, das ist einfach nur scheiße! Hat es denn nicht schon gereicht, dass ich mit Raphaels seltsamen Verhalten von letzter Zeit fertigwerden muss?! Seine Schweigsamkeit und seine angestaute Aggressivität hat mir eigentlich gereicht, aber wenn ich so darüber nachdenke, wird wohl noch etwas auf mich zukommen. Davon bin ich einfach überzeugt. Ich habe allerdings keine Ahnung, wie es nun weitergehen wird und ich möchte auch nicht weiter darüber nachdenken. Das macht mich einfach nur depressiv, weswegen ich nach einer anderen Ablenkung suche. Mühselig richte ich mich wieder auf und hole den MP3-Player aus meiner Tasche. Anstatt das Ding aber direkt mit den Kopfhörern zu aktivieren, torkle ich zu meiner Dockingstation und setze es dort ein. Erst als ich mich wieder in mein Bett verkrochen habe, nutze ich die dazugehörige Fernbedienung und lasse meinen Kopf wieder zurückfallen. Schon erreichen mich die ersten Klänge. Zwar sind meine Kopfschmerzen immer noch im vollen Gange, aber schon kurz darauf merke ich, wie ich mich allmählich entspanne. Schniefend schließe ich meine Augen und höre einfach der Melodie zu. Irgendwie hoffe ich, dass es mir in den kommenden Stunden bessergehen wird. Dass Raphael mich heute Abend abholen will, habe ich nicht vergessen. Ob es allerdings gehen wird, weiß ich nicht. Dennoch freue ich mich auf ihn. Auch wenn er ein hitzköpfiger Dickschädel ist, ist er doch jemand mit einer liebevollen Seele und anders soll er auch gar nicht sein. Aus Raphaels Sicht: Letzte Nacht hatte ich so gut geschlafen, wie schon lange nicht mehr. Ich hatte mich nicht einmal lange aufs Ohr gehauen, schon war ich von der Realität abgedriftet und stattdessen in die Traumwelt gewandert. Schon eine Weile sehnte ich mich nach einem erholsamen Schlaf. Konnte diesen aber nicht bekommen, weil mich diese Zweifel so sehr plagten. Wer hätte schon damit rechnen können, dass Bernadette tatsächlich dasselbe für mich empfindet, wie ich für sie. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ich jemals irgendwelche Andeutungen oder Zeichen bei ihr gesehen hätte. Vielmehr glaubte ich, sie würde mich als eine Art Bruder, oder „normalen“ Freund sehen. Doch hätte ich diese Scheiße schon viel eher aus meinem Hirn verbannt, so hätte ich mich vielleicht zusammenreißen können und mit ihr auf eine andere Weise darüber gesprochen. Auch jetzt noch könnte ich mich für diese Peinlichkeit ohrfeigen. Viel bescheuerter hätte ich es wohl nicht anstellen können, aber dafür ist mir das Endergebnis umso wichtiger. Sie liebt mich und ich liebe sie. Daran gibt es nun keine Zweifel mehr und ich werde den Teufel tun, als dass ich sowas noch einmal zulassen werde! Darauf kann Bernadette Gift nehmen! Der neue Tag dagegen beginnt fast so wie immer. Der Morgen startet mit dem normalen Alltagsgeschehen. Als wäre eigentlich nichts passiert, geht jeder von uns seinen Pflichten nach, bis unser Vater vor mir tritt und mich streng ansieht. Mit etwas anderem hätte ich nicht gerechnet. Vielmehr habe ich schon auf die nächste Standpauke gewartet, mit dem sich alle irgendwie Zeit gelassen haben. Mich hat es bereits gewundert, dass nicht schon beim Frühstück irgendetwas dergleichen erwähnt worden ist und ich selbst habe ebenfalls keine Lust gehabt, davon anzufangen. Dass das Thema aber auf keinen Fall unter dem Teppich gekehrt werden kann, davon war ich bereits schon vorher überzeugt und so folge ich meinem Meister in den Hashi, während meine Brüder mir stumm hinterherstarren und schließlich weiter ihren Pflichten nachgingen. Stumm und ohne Gemecker warte ich nur darauf, dass nun die nächste Standpauke, sowie auch die Strafaufgabe über mich herfallen wird. Doch zu meiner Überraschung fordert Meister Splinter mich zu einem Sparring-Kampf heraus. Er zögert nicht einmal und springt augenblicklich auf die Kampfarena, wo er mit seinem Stab in Position geht. Verwirrt folge ich seinem Beispiel, ziehe meine Sais von der Wandverankerung und mache mich ebenfalls bereit. Ohne jede weitere Verzögerung greife ich an. Mein Vater pariert aber, klemmt seinen Stock sogar zwischen einer meiner Sais, dreht ihn und schleudert meine Waffe zur Seite, welche anschließend am Gitterboden herumschrammt. Perplex aber auch sauer kneife ich meine Augen etwas zusammen und gehe knurrend auf Meister Splinter zu. Eine Waffe habe ich ja noch und noch einmal lasse ich mich nicht entwaffnen. Doch kaum habe ich mich in Bewegung gesetzt, dreht er sich und im selben Augenblick kreist sein Schweif um meine Beine. Mit diesen packt er mich und zerrt mich schon zu Boden. Der Kampf ist vorbei, obgleich er kaum angefangen hat. Wie mir das stinkt! Ich hasse es, zu verlieren! „Du bist nicht ganz bei der Sache Raphael.“, meint mein Vater nur, nachdem er sich mir genähert hat mich nun streng beäugt. „Und ob ich das bin.“, entgegne ich ihm und will schon aufstehen, aber mein Vater drückt mich mit seinem Stab wieder zurück und widerspricht mir: „Nein, das bist du nicht. Deine Gedanken schwirren irgendwo in den Wolken. Hole sie zurück, ansonsten wird dir noch mehr entgehen, als was du jemals befürchten könntest.“ „Was meint Ihr damit?“, frage ich ihn nun verwirrt und endlich lässt er mich aufstehen. Doch er antwortet mir nicht darauf, aber das braucht er nicht. Denn ich glaube langsam zu wissen, was der alte Herr von mir will: „Ist es etwa wieder wegen Bernadette?“ Meister Splinter nickt stumm, behält aber weiterhin sein ernstes Gesicht. Ich dagegen spüre schon, wie sich meine Wut wieder einmal anbahnt. Das kann doch echt nicht wahr sein?! Wo liegt hier das Problem?! Hat etwa Leo wieder seine Finger im Spiel?! Er war immerhin schon gestern so komisch. „Du wandelst auf einem gefährlichen Pfad mein Sohn und ich meine jetzt nicht deine Kampfeslust, oder deine impulsive Aggression.“ „Ist es etwa ein Problem, dass ich etwas für sie empfinde?!“, fauche ich ihn nun. Ich leugne nicht, dass ich viel Respekt vor ihm habe, aber dass mir anscheinend verboten wird, dass ich mich verliebt habe, geht für mich einfach zu weit! Mein Vater aber beschwichtigt dies: „Nicht deine Zuneigung zu ihr an sich, aber bedenke, welche Folgen jeder deiner Handlungen mit sich bringen. Du hast schon gesehen, was jetzt passiert ist und da war es noch nicht bestätigt, dass ihr beide ein Paar werdet.“ Verwirrt und nachdenklich zugleich, erwidere ich nichts darauf. Denn er hat Recht. Allein schon die letzten Tage sprechen für sich und das kann ich nicht einmal abstreiten, aber so leichtfertig, wie alle glauben, nehme ich das auch nicht. Ich habe mir bereits schon Gedanken darübergemacht, was ich dem Alten auch an den Kopf werfe. Er aber bleibt dabei ganz ruhig und meint nur: „Gut, dann können wir ja weitermachen.“ Den Rest des Tages verbrachte ich hauptsächlich im Hashi. Meister Splinter hat mich dabei ordentlich in die Mangel genommen und mir eine saftige Strafaufgabe aufgebrummt. Zwar bin ich diesmal vom Stricken mit inklusive Balancieren auf einem Dreirad verschont worden, aber der alte Herr ist sehr kreativ, was die Bestrafungen angehen. Meine Brüder dagegen habe ich heute kaum gesehen und selbst bei der Abenddämmerung bin ich vor ihnen aufgebrochen. Eines aber hat mir Donnie noch zugesteckt, ehe ich mich verdünnisiert habe: eine „Handykreation“. Zumindest hat er es so bezeichnet, nachdem er es mir in die Hand gedrückt hat. Vermutlich war der das Ding nur entworfen, damit jeder von jederzeit erreichbar ist und kann mir sogar vorstellen, was der eigentliche Auslöser dafür war: Nämlich die Sache mit dem Peilsender. Grummelnd habe ich das Ding halt eingesteckt. Dass man damit sicherlich geortet werden kann, brauche ich erst gar nicht nachzufragen. Denn selbst mit normalen Smartphones, gibt es Apps dafür, aber vielleicht ist das Ding ja doch zu etwas zu gebrauchen. Mir bleibt aber nicht mehr viel Zeit weiter darüber nachzudenken. Denn ich befinde mich nur noch wenige Meter vor Bernadettes Haus. Meine Augen leuchten auf und ich spüre förmlich, wie mein Herz vor Freude Luftsprünge macht. Bald kann ich mein Mädel wieder in die Arme schließen, wodurch ich mein Tempo umso mehr beschleunige und wenige Sekunden darauf an ihrer Hausmauer herumkletterte. Kaum, dass ich das richtige Fenster erreicht habe, klopfe ich gegen die Scheibe, aber es passiert nichts. Es vergehen sogar weitere Sekunden, in der sich nichts tut. So ungeduldig wie ich jetzt wieder bin, starre ich nervös auf das Glas und versuche durch die zugezogenen Vorhänge zu spähen. Ich bleibe aber erfolglos. Wieso macht sie nicht auf? Drinnen brennt doch Licht. Als ich schon etwas ungeduldig wieder klopfen will, werden endlich die grünen Stoffe mit den weißen Streifen am unteren Ende zur Seite gezogen. Hervor erscheint sie, aber meine Freude hält sich in Grenzen. Kränklich und mit halboffenen Augen öffnet sie mir das Fenster. Zwar lächelt Bernadette, als sie mich sieht, aber sie wirkt so erschöpft, als würde sie im nächsten Moment umkippen. Ich klettere hinein und kaum, dass ich auch nur den Fußboden berührt habe, greift Bernadette hustend in die Tasche ihres dunkelblauen Bademantels, den sie gerade trägt, und fischt eine Packung mit Taschentüchern heraus. Nicht nur, dass ihr Schnupfen von letzter Nacht hartnäckig geblieben ist, nach dem, was ich gerade beobachte, scheint es Bernadette in Moment alles andere als rosig zu ergehen. Damit sie mir nicht wirklich umkippt, hole ich sie mit der rechten Hand zu mir und drücke sie sachte an mich. Bernadette scheint sich aus irgendeinen Grund etwas dagegen wehren zu wollen, aber sie lässt es dann doch einfach geschehen. Dabei habe ich das Gefühl, dass sie kaum Kraft in sich hat, weswegen ich versuche, ihr ein wenig Halt zu geben. „Mach nur weiter so und ich stecke dich erfolgreich an.“, murmelt Bernadette vor sich hin und das erklärt nun auch ihre „abweisende“ Art, aber ich erwidere nur: „Hast du schon vergessen, dass mich nichts so leicht umhauen kann?“ Sanft streiche ich ihr mit der freien Hand über ihre Haare, welche teilweise willkürlich von ihrem Kopf wegstehen. Wäre es gerade nicht der beste Zeitpunkt, hätte ich sogar meine Witze darübergemacht. Stattdessen werde ich von ihr getadelt: „Als wenn du unverwundbar wärst, sag aber nicht, ich hätte dich vorher nicht gewarnt, wenn du morgen Früh nicht aus dem Federn kommst.“ Wie so daher redet, könnte ich glatt lachen, denn durch ihre verstopfte Nase klingt sie so niedlich, sodass ich ihre kleine „Warnung“ einfach nicht ernst nehmen kann. Stattdessen hebe ich so hoch und trage sie in ihr Bett, wobei ich mich mit ihr auf die Matratze setze und sie dann bis zu ihren Schultern zudecke. Ohne jeglichen Kommentar hat sie das mit sich gefallen lassen und sie scheint es sogar zu genießen, sich einfach fallen lassen zu können. Ruhig atmend ruht ihr Kopf nun auf meinem Schoß, während ich an der Wand lehnend auf ihrem Bett sitze und sie beobachte. Ihre Augen hält Bernadette weiterhin nur halb geschlossen, sieht dabei aber ständig zu mir hoch. „Du bist schuld.“, murmelt sie, schmunzelt aber dabei, weswegen ich weiß, dass sie wieder einmal die Tür zum Sarkasmus aufgemacht hat. So kommt aus meinem Mund nur ein „Ach, wirklich?“ Bernadette setzt sich nun auf und dreht sich zu mir, als sie erwidert: „Ja, wegen dir standen wir gestern in diesem Sauwetter.“ „He, du wolltest ja, dass ich dich runterlasse.“, versuche ich mich zu verteidigen. Langsam habe ich den Eindruck, dass ihr Sarkasmus nur für den „Einstieg“ gedacht war. Will sie jetzt etwa mit mir streiten? Bernadette seufzt aber dann und meint, während sie die Decke noch dichter um sich wickelt: „Ja, aber nur weil ich so sauer auf dich war und endlich mal wissen wollte, was eigentlich in deinem Schädel vor sich geht.“ Ganz anders als vorher, klingt ihre Stimme nun wieder etwas sanfter. Ich dagegen schüttle einfach nur den Kopf. Manchmal ist Bernadette alles andere als einfach, aber so unrecht hat sie dabei nicht, weswegen ich mit einer ruhigen Stimme zu ihr sage: „Jetzt weißt du, warum ich so drauf war. … Schwamm drüber?“ Sie nickt und kuschelt sich nun an mich, was ich voll und ganz genieße. Endlich bin ich wieder bei ihr, dass sie aber doch krank geworden ist, gefällt mir überhaupt nicht. Dabei hatte ich gehofft, es würde zumindest bei einer einfachen Erkältung bleiben, aber es hat Bernadette voll und ganz erwischt. Ich spüre sogar, dass sie, ähnlich wie gestern, zittert und nun auch hustet. Ohne wirklich nachzudenken, lege ich vorsichtig meine rechte Hand auf ihre Stirn. Diese glüht und da braucht man kein Arzt zu sein, um zu wissen, dass sie Fieber hat. Langsam breitet sich in mir die Sorge aus, dass es schlimmer werden könnte. Nur was kann ich machen? Als Bernadette wieder zu niesen beginnt, was so nebenbei klingt, wie eine kleine Maus, frage ich sie, ob sie schon irgendein Medikament genommen hat. Schnäuzend deutet sie auf ihren Schreibtisch, wo einige kleine Verpackungen stehen. „Ich habe mir was, aus der Apotheke geholt.“, murmelt sie zusätzlich. Verstehend stehe ich schließlich auf und schaue mir genau an, was sich Bernadette da organisiert hat. Was ich da so sehen kann, hat sie einige Pillen und Hustensaft bekommen. „Warst du schon beim Arzt?“, frage ich nun nach, aber sie schüttelt nur mit dem Kopf, was ich hingegen nicht wirklich für gutheiße: „Meinst du nicht, dass es besser gewesen wäre, vorher hinzugehen?“ „Mir geht es zwar scheiße, aber so mies geht es mir auch wieder nicht, sodass ich beim nächsten Doktor aufkreuzen muss. Ich brauche einfach nur Ruhe, das ist alles.“, versucht Bernadette dies zu beschwichtigen, wobei sie schon langsam sehr genervt wirkt. Mir hingegen ist das egal. Denn mit ihrer Gesundheit braucht sie nicht spielen und wenn es sein muss, bin ich dahinter. „Wehe du marschierst nicht zum Arzt, sollte schlimmer werden.“, ermahne ich sie und ich meine das auch ernst, aber sie seufzt nur: „Wenn´s dich glücklich macht.“ Will sie mich jetzt damit ärgern, oder warum verhält sie sich so?! „Hör mal, damit ist nicht zu spaßen! …“, betone ich es noch einmal, werde aber dann von ihr unterbrochen: „Ich sagte doch, dass ich hingehen werde, wenn´s sein muss, also reg dich ab. … Mann Raphael, du brauchst dir echt keine Sorgen zu machen. Ich bin immerhin nicht zum ersten Mal krank.“ „Na gut, hast du zumindest schon was gegessen, oder Tee getrunken?“, frage ich sie schließlich. Diese Diskussion hat ja ohnehin keinen Sinn. Sie nickt, während sie antwortet, dass sie sich vorhin wieder eine Kanne mit Kräutertee gemacht hat. „Mehr nicht?“, hake ich überrascht nach, doch Bernadette zuckt dabei nur mit den Achseln und meint: „Ich hatte halt nicht wirklich Hunger, weswegen ich mir nur eine Kleinigkeit genommen habe. Außerdem füllt der Tee sowieso den Magen.“ Was frage ich auch. Sie ist ja die ganze Zeit schon so stur. Nur, was mache ich jetzt? Meine Brüder und ich waren nur selten krank und wenn, verlief das zwar oft heftig, aber ging auch wieder rasch vorbei. Als wenn nichts dabei wäre. Bei Menschen wird das wohl anders sein. Zumindest würde das Donnie jetzt behaupten und auch ich kann mir das gut vorstellen. Das sie jetzt etwas essen muss, steht außer Frage. Doch ich habe keine Ahnung, was jetzt wirklich ihn ihrem Fall gut wäre und fürs Kochen bin ich auch nicht wirklich geschaffen. Damit ich habe noch nicht lange dastehe, wie ein begossener Pudel, krame ich im meinen Gürtel herum. Donnie hat mir doch dieses „Handy“, wenn man das Ding überhaupt so nennen kann, noch vor meinem Abgang in die Hand gedrückt. Vielmehr ist es ein Gerät, was unser Genie irgendwie zusammengebastelt hat. Vermutlich besteht das Ding aus mehreren Teilen von verschiedenen Handys und vielleicht sogar aus anderem Kram. Es wirkt nämlich auf mich wie etwas, was Dr. Frankenstein höchst persönlich gebaut haben könnte. Solange ich aber etwas damit anfangen kann, ist alles andere scheißegal. So tippe ich an dem Display herum, bis ich die gewünschte Nummer erreicht habe und das komische Ding schließlich an meinem Kopf halte. Eine Weile muss ich warten, bis der Herr sich endlich mal dazu bequemt, ranzugehen: „Hey Raphi! Wusste gar nicht, dass meine neueste Schöpfung schon so schnell benutzt wird. Ich dachte eigentlich, dass du jetzt vermutlich keine Zeit haben wirst. Also …“ Bevor jetzt noch ein Schwall an Wörtern auf mich niederprasselt, unterbreche ich ihn. Sein Geschwafel brauche ich jetzt überhaupt nicht, stattdessen fordere ich ihn auf, mir zu helfen: „Jetzt halt mal die Luft an, da kommt man ja gar nicht zum Reden. Ich will nur Folgendes von dir wissen: Was sollte man am ehesten zu sich nehmen, wenn jemand Fieber hat und sonst stark erkältet ist?“ „Sag jetzt bloß nicht, dass ihr eure gestrige Diskussion im strömenden Regen verbracht habt und Bernadette nun krank ist! Denn das hast du uns verschwiegen Bruderherz.“, blafft Donnie leicht empört zurück, als hätte ich die nächste Dummheit begangen. Vermutlich glaubt er sogar, dass ich Bernadette dazu getrieben habe, dabei wollte sie doch letzte Nacht plötzlich runter! Was rege ich mich jetzt eigentlich auf? Es gibt Wichtigeres zu tun. So fordere ich meinen Bruder auf, endlich mit den Infos rüberzukommen: „Deine Moralpredigt kannst du dir sonst wo hinstecken Donnie! Dafür ist normalerweise Leo zuständig. Also sag schon, was ich bei so was machen kann und zwar zackig!“ Ein genervte Stöhnen ist auf der anderen Seite hörbar und Donnie meint nur, dass mal kurz warten soll, denn er würde das jetzt mal nachchecken. Ich rolle ein wenig mit den Augen, während ich warte und schaue schließlich wieder zu Bernadette hinüber. Ruhig liegt sie da, ihre Augen sind geschlossen und ich habe den Eindruck, als wenn sie eingeschlafen wäre. In der Tat hat sie die Ruhe bitter nötig, das sieht man ja jetzt schon. Plötzlich meldet sich mein Bruder wieder und teilt mir mit, dass meine Freundin neben Ruhe unbedingt viel Flüssigkeit braucht. Am besten geeignet wären da Tee, oder sogar Suppe. Dass viel Schlaf und fiebersenkende Medikamente ebenfalls helfen würden, blende ich mal von seinem Geschwafel aus. Erstens ist Bernadette sowieso schon eingenickt und zweitens hat sie sich schon was aus der Apotheke geholt. Was mir mehr Kopfzerbrechen bereitet, ist, wie sich das Genie die Sache mit dem Essen vorstellt. Ich kann schließlich nicht einfach durch das Haus spazieren und das Nötige organisieren, während Bernadettes Tante womöglich hier irgendwo in der Gegend herumlungert. Im Grunde ist es jetzt schon verdammt gefährlich für uns und ich Idiot habe das auch noch erfolgreich verdrängt. Für meine späte Einsicht könnte ich mir jetzt wieder in den Arsch treten, aber andererseits war ich mir noch nie für eine Herausforderung zu schade. Weswegen ich mich nur knapp bei Donnie bedanke und auflege. Möglichst leise nähere ich mich der Tür. Bernadette regt sich nicht, als ich diese öffne und vorsichtig hinausspähe. Am Gang ist es dunkel und es ist auch nichts zu hören. Wenn ich Glück habe, schläft die Alte tief und fest. Trotzdem darf ich nicht zu viel Lärm machen. „Sie ist nicht da.“, höre ich plötzlich meine Freundin hinter mir. Hat sie denn nicht gerade eben noch geschlafen? Ich schaue zu ihr. Noch immer dicht in ihre Decke gekuschelt, beobachtet sie mich und lächelt, während sie hinzufügt: „Sie ist seit heute Morgen weg und kommt nicht vor Ende dieser Woche zurück.“ „Und ausgerechnet jetzt bist du krank geworden.“, kann ich nur darauf sagen, wobei das kein Vorwurf sein soll. Bescheuert ist es dennoch! Bernadette schüttelt etwas augenrollend den Kopf, lächelt aber dabei, als sie meint: „Als wenn ich mir das ausgesucht hätte.“ Dann sieht sie mich mit einem Blick, als wenn sie sagen wollte: „Du weißt ja warum.“ Jaja, ich weiß, dass ich da Mitschuld habe. „Na dann, mache ich mich mal ans Werk.“, sage ich schließlich und ernte dabei einen skeptischen und fragenden Gesichtsausdruck. Ich aber fordere Bernadette auf, dass sie sich lieber wieder eine Tasse Tee genehmigen soll, während ich weg bin. Neugierig gehe ich schließlich durch das Haus. Immerhin kenne ich Bernadettes Zuhause nur von außen und auch nur ihr Zimmer. Die Küche ist schnell gefunden. Trotzdem stehe ich etwas ratlos da, denn ein „Meisterkoch“ bin ich wahrlich nicht. Das übernehmen meist die anderen, worüber ich auch immer heilfroh bin, aber jetzt stehe ich alleine da. Dabei sagte Donnie, dass eine heiße Suppe Bernadette helfen könnte. Wenn ich Glück habe, ist hier irgendwo vielleicht eine Packung mit einer Fertigsuppe. Die würde ich noch ohne größeren Schwierigkeiten hinbekommen. So stöbere ich in den Kästen herum und werde sogar fündig. Tatsächlich finde ich solch ein Päckchen für eine Nudelsuppe. Alles, was ich nur noch dafür brauche ist ein Topf und heißes Wasser. Siegessicher suche noch nach den restlichen Dingen, die ich dafür brauche und mache mich ran ans Werk. Es dauert eine Weile, bis ich wieder ins Bernadettes Zimmer zurückkehre und mit einer vollen Schüssel und einem Löffel in den Händen hereinspaziert komme. „Du hast doch jetzt wirklich nicht gekocht, oder?“, fragt sie mich verblüfft, während sie die Tasse am Nachtkästchen abstellt. Ich grinse nur schief, setze mich zu ihr und reiche ihr das Mitgebrachte. „Zu deinem Glück hast du ja deinen persönlichen Onkel Doktor im Haus, der sich um alles kümmert.“, entgegne ich ihr etwas keck und Bernadette schmiegt sich etwas an mich, während sie einige Löffel zu sich nimmt. „Ja, Glück habe ich wirklich.“, antwortet sie darauf und isst gemütlich weiter. Kapitel 25: Die zweite Warnung ------------------------------ Aus Bernadettes Sicht: Noch einige Tage musste ich im Bett bleiben, bis ich schließlich das Gröbste überstanden hatte. Anscheinend habe ich mir von der Apotheke das Richtige organisiert. Denn das Fieber war das Erste, was allmählich zurückging und das schloss auch dieses Kältegefühl mit ein. Daher musste ich auch nicht mal zum Arzt, so wie mich Raphael eigentlich darum gedrängt hatte. Mir ging es von Tag zu Tag besser. Die Kopfschmerzen, der Husten und selbst das ständige Naseputzen sind nun kaum mehr vorhanden. Zwar gibt es immer noch Momente, an denen ich mich etwas schwächer fühle, aber dafür wurde ich von meinem Freund liebevoll umsorgt. Jede Nacht kam Raphael zur selben Stunde und blieb solange, wie es ihm möglich war. Meist bis Sonnenaufgang saß er an meinem Bett, machte mir Tee, oder sogar etwas zu essen. Auch wenn die Vielfältigkeit eher dürftig war, so gab es keine Beschwerden meinerseits. Ich genoss einfach jeden Moment mit ihm, während ich von ihm wie eine „kleine Prinzessin“ verwöhnt wurde. Dass er einfach an meiner Seite war, war mir umso wichtiger und dabei war es mir egal, was wir machten. Sei es, dass wir uns gemeinsam einen Film auf meinem Laptop reingezogen haben, oder einfach nur redeten. Stets schmiegte ich mich an seinem Körper und kostete jede Sekunde aus, in der er bei mir auftauchte. Das Einzige, was mich jetzt noch stört, ist die Tatsache, dass ich krank bin. Gut, Raphael kümmert sich um mich, aber viel lieber wäre es mir gewesen, dass wir uns beide das erspart hätten. Nicht selten sehnte ich mich danach, während ich an seiner Seite in die Leere starrte, dass wir unsere gemeinsame Zeit doch außerhalb meines Zimmers verbringen könnten. Viel zu sehr bin ich es schon gewöhnt, dass ich mit ihm gemeinsam draußen „die Welt unsicher mache“. Nicht nur, dass er mir sonst neue Orte, oder einfach neue Perspektiven von bekannten Orten gezeigt hatte, ich konnte einfach mal raus aus „meiner schützenden Hülle“, in der ich mich normalerweise nur dann zurückziehe, wenn ich einfach vom Rest der Welt die Nase voll habe. Jetzt, wo ich es nicht kann, drängt es mich umso mehr ins Freie. Klingt irgendwie, als wenn ich in diesem Punkt verwöhnt wäre, aber selbst, wenn es tatsächlich so ist, mir ist das scheißegal. Allerdings, wenn ich Raphael mal darauf angesprochen habe, hat er stets darauf bestanden, dass ich mich erst auskurieren soll, bevor ich mich mit ihm wieder nach draußen wage. So wie ich zum Thema „Arztbesuch“ stur sein kann, so ist mein Freund es in diesem Punkt und es lässt sich auch nichts daran rütteln. Egal, wie oft ich ihn schon darum gebeten, bzw. bezirzt habe, er ging keinen Millimeter von seinem Standpunkt weg. So ein Sturschädel! Immerhin geht das ja nicht nur auf meine Kappe! Auch wenn ich es war, die unbedingt von ihm runter wollte, während wir die ganze Zeit in diesem tosenden Regen standen, ich wollte einfach mal Klarheit. Da war mir das Wetter überhaupt nicht wichtig. Viel mehr noch, meine Wut auf meinen Freund war an jener Nacht so groß, sodass ich alles andere um mich herum vollkommen ausgeblendet hatte. So bescheuert das auch eigentlich klingt, aber hätte er mal vorher seinen Mund aufgemacht, dann hätten wir uns das beide ersparen können. Sowohl den Streit bei diesem Regenguss, der Zoff zwischen seinen Brüdern und auch mein Fieber hätten nicht sein müssen. Ok, der Grund an sich ist irgendwie nachvollziehbar. Das muss sogar ich mir eingestehen und hätte ich ihn auf diesem Dach nicht in die Mangel genommen, so wüsste ich bis heute nicht, was in diesem Dickschädel so vor sich geht. Allein schon, wenn ich an dieses Wort denke, könnte ich lachen. Denn eigentlich war mir das Thema „Liebe“, und damit meine ich Liebe in Bezug auf einen möglichen festen Freund, eher schnuppe. Ich suchte nicht einmal danach und wollte auch nicht wirklich darüber nachdenken. Das Einzige, was mich in diesem Bereich bisher „interessiert hat“, waren gutgeschrieben Gedichte, oder so manche Romane und selbst diese habe ich nur gelesen, weil man ohnehin nicht um diesen Themabereich drum herumkommt. Jetzt dagegen ist es irgendwie anders. Wenn ich mich sogar an die eine oder andere Phrase erinnere, verstehe ich diese nun umso mehr. Ich fühle sie sogar. Sonst hat stets meine Einsamkeit einen hohen Stellenwert in mir gehabt. Das Gefühl, geliebt zu werden, und zwar so wie ich bin, ist stets im Hintergrund gewesen. Ich weiß zwar, dass ich von meiner Familie geliebt werde, aber werde ich wirklich von ihr gesehen? „Nein“ wäre da wohl die erste Antwort, was ich darauf geben würde. Wir haben uns zu sehr voneinander entfernt und das hinterlässt nicht selten einen bitteren Beigeschmack. Dafür genieße ich es nun umso mehr, dass sich doch jemand um mich sorgt. Raphael beweist so ziemlich den Spruch, den jeder kennt: Harte Schale und weicher Kern. Dass er das eigentlich mehr als Schwäche bezeichnen würde, würde ich ihn darauf ansprechen, ist totaler Schwachsinn. Schließlich macht ihn diese Eigenschaft nicht weniger wert. Viel mehr noch, in ihm steckt weit mehr, als was man vom ersten Blick an vermuten würde. Selbst innerhalb seiner Familie beweist er das und da ist er nicht einmal der Einzige. Das, was ich bisher bei diesem „Clan“ so mitbekommen habe, sind die anderen nicht viel anders. Nicht nur das, Raphael hat es sogar geschafft, dass in mir diese Gefühle hochkommen. Jegliche Romanze habe ich sonst immer als schnulzigen Abklatsch aus einem Liebesfilm abgetan und nun stecke ich scheinbar selbst in einem. Ich habe mich verliebt und das noch in jemandem, welcher zunächst für mich „nur“ mein bester Freund war. Eigentlich schreit das so ziemlich nach einer Variation von „Die Schöne und das Biest“, aber in meinem Fall gibt es keine Rose, keine Magie und auch keinen Fluch, welcher durch die wahre Liebe gebrochen werden müsste. Ich liebe Raphael, so wie er ist und anders würde ich ihn mir gar nicht vorstellen wollen. Allein der Gedanke daran lässt mein Wunsch, endlich wieder gesund zu werden, noch weiter anwachsen. Ich will einfach wieder die gemeinsamen Nächte mit ihm draußen verbringen. Unter dem Sternenhimmel möchte ich die Stadt aus einem anderen Blickwinkel sehen, während ich alles andere vergessen kann. Tagsüber habe ich manchmal sogar das Gefühl, dass mir noch die Decke auf dem Kopf fallen würde, so eingesperrt fühle ich mich. Selbst, wenn es sich „nur“ um lausige vier Tage handelt, in der ich besonders am Anfang mein Bett kaum verlassen konnte, reicht mir dies durchaus aus. Raphael sorgte sogar auf seine Weise dafür, dass ich mich ja nicht überanstrengte. Doch tagsüber bin ich allein und kann daher selbst mein Ding durchziehen, so wie ich es für richtig halte. Allerdings bestanden die Stunden meist aus Schlafen. Schließlich verbrachte ich meine aktive Zeit mehr in der Nacht und das kostet nun mal Energie. Dass ich demnach noch nicht ganz fit bin, habe ich in diesem Punkt immer wieder zu spüren bekommen. Allerdings ist für mich jeder noch so kleine Fortschritt, welcher mich aus meinem Bett bringt, ein Segen. Manchmal ist es schon schade, wenn Raphael so plötzlich aufbrechen muss, so wie es auch letzte Nacht der Fall war. Irgendwo wurde eine Bank überfallen und es gab somit wieder Arbeit für meinen Freund. Das hatte ich mitbekommen, als er mit Leo sprach und es dürfte etwas Größeres sein, sonst hätte Raphael nicht sofort nachkommen müssen. Dabei zögerte er sogar. Auf der einen Seite liebt er es einfach, seine Kampfkünste einsetzen zu können, aber genauso gern ist er bei mir. Es ist aber seine Aufgabe, die Stadt „aufzuräumen“ und das wissen wir beide, weswegen ich gestern einfach zu ihm sagte: „Jetzt trete ihnen schon in den Arsch.“ Auch heute Nacht bin ich wieder alleine. Raphael ist nicht zu seiner üblichen Zeit gekommen. Vermutlich sind die vier an etwas Größeres dran, was nicht in einer Nacht zu schaffen ist. Viel Glück Jungs. Hoffentlich findet ihr bald diese Idioten, damit wieder etwas „Ruhe“ einkehrt, wenn es dieses Wort in New York überhaupt gibt. Im Nachhinein gesehen war es im gesamten eine „dürftige“ Woche. Nicht nur, dass ich die meiste Zeit krank im Bett lag, der Scheiß zog sich einfach lange hin. Zwar war ich am Wochenende öfters auf, aber ich hatte seltsame Weise nicht wirklich das Bedürfnis, nach draußen zu gehen. Es ist einfach nicht dasselbe. Diese „Freiheit“ kann ich einfach nur mit Raphael genießen. Doch der hatte die letzten Nächte kaum Zeit für mich gehabt und heute muss ich wieder in das Haus der Irren zurückkehren, um mich dort wieder aufs Neue durchschlagen zu müssen. Innerlich sehne ich mich schon nach den nächsten Ferien, in der ich einfach diese Schwachköpfe und Arschlöcher mal vergessen kann. Das Einzige, was mich heute etwas aufmuntert, ist, dass Tante Tina noch etwas länger wegbleiben wird. Bereits am Samstag hatte sie mich angerufen und mir mitgeteilt, dass sie noch einige Tage dranhängen müsste. Wie lange diese Geschäftsreise noch dauern würde, konnte sie mir nicht klar sagen. Worum es wohl dabei gehen würde? Meine Tante redet kaum über ihre Arbeit. Besonders, wenn es um dessen Inhalte geht. Ich weiß ja nicht einmal, was genau sie in der Firma macht. Nur von Terminen und wichtigen Gesprächen habe ich mitbekommen. Alles Andere ist mir unbekannt. Ich habe früher sogar geglaubt, dass sie als Sekretärin ist. Deswegen hat es mich auch nie wirklich interessiert, aber dann würde sie nicht durch die Weltgeschichte fliegen. Tante Tina hat mit Sicherheit eine viel höhere Position, davon bin ich überzeugt. Noch immer leicht in Gedanken versunken, schlendere ich nun durch den Flur meiner Schule. Die erste Hälfte meines heutigen Stundenplans habe ich bereits hinter mich gebracht. Das heißt, dass ich für diesen Tag nur noch den Rest überstehen muss, damit ich endlich aus diesem Irrenhaus wieder rauskomme. Gerade eben seufze ich, als ich im selben Augenblick von einer Kugel aus Alufolie getroffen werde. Dabei wurde ich genau auf der linken Schläfe erwischt und durch die Wucht und durch die Größe der Kugel hat es mich ordentlich erwischt. Es ist tut verdammt noch mal weh! Bei meiner Reaktion halte ich sofort meine linke Hand auf die wunde Stelle und schaue in die Richtung, aus der der Schütze gerade geschossen hat. Kurz nehme ich einen Jungen mit einer kurzen Igelfrisur wahr und mein Blick verfinstert sich. Doch er gibt nur lachend ein „Yes! Volltreffer!“ von sich und macht sich dann mit seinen zwei Kumpanen, die einfach danebengestanden haben, aus dem Staub. „Idioten!“ murmle ich und reibe etwas gegen meine Schläfe, bis ich meinen Weg wieder fortsetze. Wie mir diese Schule stinkt! Nur Waschlappen und Volldeppen sind hier zu finden! In den alten Geschichten heißt es, dass die Hölle das Schlimmste sein, was einem Menschen am Ende seines Lebens passieren könnte. Doch ich sehe das anders! Das hier ist die Hölle und da muss man nicht einmal sterben, um hierherzukommen! Einige Minuten später erreiche ich endlich meinen Spind. Eigentlich hatte ich vor, zwei Bücher zu holen. Doch als ich einen Blick darauf werfe, bleibt mir, wenige Schritte von dem Ding entfernt, vor Schreck kurz der Mund offenstehen. Er wurde aufgebrochen! Das Schloss baumelt schräg von seiner Halterung und sieht aus, als hätte sich jemand mit einem Brecheisen daran zu schaffen gemacht. Die Spindtür sieht auch nicht viel besser aus. Dies wurde deutlich sichtbar brutal aus den Angeln gerissen und dann irgendwie in die Öffnung wieder hineingepresst. Als hätte derjenige auf einmal den Hulk spielen müssen. Was zum Teufel geht denn hier ab?! Sind denn alle jetzt völlig verrückt geworden?! Was soll der Scheiß?! Unglaubwürdig und erschrocken starre ich auf den eisernen Kasten, in dem ich all meine persönlichen Sachen aufbewahre. Von oben bis unten gibt es nichts außer Schrammen. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Die haben doch glatt mein Spind aufgebrochen und randaliert! Das muss doch jemand bemerkt! Es kann doch den Lehrern nicht entgangen sein, dass sich jemand daran zu schaffen gemacht hat, oder?! Unglaubwürdig nähere ich mich dem Spind. Ich spüre in mir die kochende Wut. Dass ich nicht gerade in der Beliebtheitsskale in dem Top 5 herumirre, ist mir ja klar, aber das geht doch wirklich zu weit! Wann ist das überhaupt passiert?! Das kann doch nicht so lange her sein! Die ganze letzte Woche lag ich doch krank im Bett und selbst heute Morgen war überhaupt noch nicht die Rede davon, dass irgendetwas in der Schule zerstört worden wäre. Gerade sowas macht hier schnell die Runde und ist vom Tratsch nicht zu fernzuhalten. Hinzu kommt, dass der Hausmeister, welcher ein eher schnellreizbarer Geselle ist, allein schon bei Kleinigkeiten an die Decke geht. Wie würde er da wohl bei sowas reagieren?! Ist er etwa auch schon von dieser „Scheuklappen-Krankheit“ infiziert worden?! Wurde er sogar bestochen, damit er dazu schweigt?! Vieles ist denkbar und eines weiß ich gewiss, Lucinda und ihren Handlangern würde ich alles zutrauen. Ich hingegen wäre jetzt gerne ausgeflippt. Immerhin hat sich jemand unbefugt an meine Sachen rangemacht und den Spind so massakriert, dass ich ihn vermutlich nie mehr wieder benutzen kann. Irgendwie wünschte ich mir jetzt, ich könnten den Verantwortlichen augenblicklich an die Gurgel packen und so festzudrücken, sodass derjenige blau anläuft. Mehr noch, ich hätte ihn am liebsten auf frischer Tat ertappt und dann meine Show bei ihm abgezogen. Durch dass ich aber für die ersten drei Stunden meine benötigten Sachen für den Unterricht bereits in meinen Rucksack hatte, musste ich erst gar nicht diesen Kasten aufsuchen und nun stehe ich wieder da, wie der Depp des Tages, währen alles in mir kocht. Ich könnte sogar explodieren! Mühselig schlucke ich meinen Zorn etwas runter. Denn dieser würde mich momentan mehr behindern, als was gut für mich wäre. Doch was mache ich jetzt? Ich habe keine Ahnung, wie es drinnen aussieht. Will ich überhaupt wissen, wie groß der eigentliche Schaden wirklich ist? Widerwillig greife ich schließlich nach dem Griff, um im inneren das Ausmaß der Zerstörung zu sehen. Ich muss ja schließlich wissen, ob ich überhaupt noch irgendetwas retten kann. So wie es aber von außen aussieht, glaube ich kaum, dass eine „Rettungsaktion“ noch viel Sinn machen wird. Wer weiß, was für eine „Überraschung“ auf mich wartet. Allein schon, dass ich direkt davorstehe, lässt mich Böses erahnen. Ich glaube sogar etwas zu riechen und schon meldet sich mein Magen. Der Ekel wird in meinem Körper deutlich spürbar und trotzdem rüttle ich leicht an dem Griff. Es klemmt und nach zwei Versuchen halte ich schließlich die gesamte Spindtür in der Hand. Angewidert sehe ich, dass der komplette Rand vollkommen mit gekautem Kaugummi zugekleistert ist. Vermutlich konnte die Tür nur so daran haften bleiben. Doch das Innere meines Spindes macht mir nun mehr Sorgen. Sämtliche Notizen wurden zerrissen und meine Bücher und Hefte wurden mit einem Sud aus einer widerlich stinkenden Flüssigkeit ertränkt. Nach dem Geruch zu urteilen, ist es vermutlich irgendein Energiedrink gewesen, dessen „Aroma“ sich in Laufe der Stunden im gesamten Spind ausgebreitet hat und nun bestialisch stinkt. Ich spüre förmlich, wie mein Körper bebt. Zorn, Ekel, aber auch die Angst spiegeln sich gleichzeitig wieder. Von Kopf bis Fuß bin ich angespannt, meine Hände sind zu Fäusten geballt und am liebsten hätte ich alles niedergemetzelt, was mir nur in die Quere gekommen wäre. Ist das etwa die Rache dafür, dass ich für mich selbst einstehe, ehe ich anderen zu Kreuze krieche?! Mir reicht es jetzt endgültig! Ich habe die Schnauze endgültig voll und dass soll der verdammte Direktor endlich sehen! Wenn das kein Beweis ist, dass ich hier schikaniert werde, dann ist er noch blinder als ein blindes Huhn, welches auf der Straße nach Futter sucht! Beide Hände zu Fäusten geballt, stampfe ich durch den Flur und marschiere geradewegs in Richtung Rektorat. Jetzt soll der „verehrte“ Herr Direktor selbst ein Bild davon machen und dann kann er nicht sagen, dass ich mir die ganzen Mobbingattacken ausdenke. Denn das ist bis jetzt immer seine Aussage gewesen, was ich von diesem alten Knacker mit der Glatze zu hören bekommen habe. Selbst die „Argumentation“, dass es vermutlich nur ein Versehen, bzw. ein kleiner Streich unter Schüler gewesen sein muss, war schon mal dabei, aber das kann er sich diesmal an den Hut stecken! Das hier ist das reinste Mobbing! Ohne jeglichen Gedanken an Höflichkeit zu verschwenden, poltere ich kurz gegen die Tür und gehe, ohne auf eine Antwort zu warten, einfach hinein. Der Direktor ist zunächst überrascht, als er mich plötzlich in sein Büro stapfen sieht. Verwirrt sitzt er an seinem Schreibtisch. Eigentlich war er mit etwas Anderem beschäftigt, wurde aber dann von meinem plötzlichen Erscheinen gestört. Ich zögere nicht lange und komme gleich zum Punkt. Aufgebracht und mit knirschenden Zähnen erzähle ich ihm von meinem Problem: „Ich will nicht unhöflich sein Sir, aber kommen Sie sofort mit! Jemand hat mein Spind aufgebrochen und ihn komplett verwüstet!“ „Sprich mit dem Hausmeister. Er wird sich darum kümmern.“, erwidert der Mann mit der Glatze seelenruhig, als hätte sich ein Schüler einfach nur übergeben müssen, aber die Sache, die der Kerl wohl unterschätzt, ist weit schlimmer! „Sie müssen sich das selbst ansehen! Ich bin wieder Opfer einer Mobbingattacke geworden! All meine Sachen sind komplett hinüber!“, schreie ich nun, was dem Direktor überhaupt nicht gefällt. Belehrend „bittet“ er mich, die Ruhe zu bewahren und fügt noch hinzu: „Das hatten wird doch schon alles. … Ich glaube eher, dass du nach Aufmerksamkeit suchst. Soweit ich informiert bin, bist du normalerweise eher eine Einzelgängerin.“ „Bei allem Respekt Sir, ich bin weder eine Einzelgängerin, noch bilde ich mir das Ganze ein. Das Einzige, was ich von Ihnen will, ist, dass Sie sich das selbst ansehen und mir helfen.“, erwidere ich. Meine Stimme wirkt dabei stark, aber wer genau hinhört, weiß, dass dahinter Wut und Angst stecken. Ich will doch einfach nur, dass dieser Mistkerl endlich mal seinen Job macht und sich um die Schüler kümmert. In diesem Fall bin es nun mal ich, welche Hilfe braucht. Am liebsten hätte der Direktor aber nach einer weiteren Ausrede gesucht, oder einfach jemand anderes mit mir geschickt, damit er mich endlich loswird. Da ich aber so sehr darauf beharre und mich keinen Millimeter von der Stelle bewege, erhebt er sich seufzend von seinem Sessel und folgt mir schließlich. Vermutlich gehe ich ihm gerade einfach nur gehörig auf dem Geist, aber das ist mir egal! Er soll einfach nur seinen Scheißjob machen! Mehr verlange ich ja gar nicht! Wie vorhin stampfe ich mit schnellen Schritten durch den Flur. Doch diesmal habe ich den Direktor am Schlepptau. Kaum, dass wir endlich vor dem Ding, welches eigentlich mein Spind sein sollte stehen, deute ich mit meiner rechten Hand auf dem Schlamassel hin. „Hier, bitte schön, brauchen Sie noch mehr Beweise?!“, fauche ich dabei und warte auf eine Reaktion. Doch der Herr betrachtet zunächst nur stumm und mit leicht offenen Mund das Ausmaß dieser Schandtat. Ihm ist deutlich anzusehen, dass er mir vorhin nicht geglaubt hat. Vermutlich hat er sich etwas viel Harmloseres vorgestellt, aber da hat er sich mächtig geirrt. Das Einzige, was ich nun befürchte ist, dass er vielleicht behaupten könnte, ich hätte es selbst getan, weil ich ja angeblich nach Aufmerksamkeit schreie. So, wie er meinen Spind ansieht und von oben bis und alles genau unter die Lupe nimmt, deutet es sogar darauf hin. Ich hätte in diesem Augenblick so gern das erste Wort ergriffen, um gleich einmal die ersten möglichen Missverständnisse zu verhindern, aber stattdessen beiße ich mir auf die Zunge und warte ab. Schließlich habe ich den Direktor hierhergebracht, damit er sich endlich einmal selbst ein Bild von der Sache machen kann, ohne, dass jemand anderes dazwischenfunkt. Wenn ich nun zur falschen Zeit den Mund aufmache, könnte es in die falsche Richtung gehen und wer weiß, was er wirklich von dem Ganzen hält? „Seit wann ist das so?“, fragt er mich nachdenklich und ich antworte ihm möglichst ruhig: „Ich habe den Spind erst seit kurzem so aufgefunden. Ich weiß nicht, wie lange das schon ist. Dass mich aber wer hasst, ist unbestreitbar.“ Noch einmal versuche dem Direktor so zu verklickern, dass mein Problem nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist. Jedoch murmelt er nur etwas Unverständliches vor sich hin, als wenn er mir nicht richtig zugehört hätte. Sein Blick verfinstert sich und er verschränkt die Arme, während er nun endlich seine Aufmerksamkeit auf mich richtet. „Suche den Hausmeister, damit er das beseitigt. Ich werde mich wieder um meine Arbeit kümmern.“, befiehlt er mir nun, was mich aber verwirrt. Ich dachte, er würde mir nun endlich helfen. Stattdessen lässt er mich eiskalt im Regen stehen. „Moment, wollen Sie nichts dagegen unternehmen?“, erwidere ich, anstatt seinem Befehl Folge zu leisten, aber anstatt sich zu überlegen, welche Schritte mir bei dieser Situation weiterhelfen könnten, meint er: „Und was soll ich jetzt, deiner Meinung nach, tun? Hast du etwa gesehen, wer das getan hat? Soweit ich weiß, nicht. Daher kann ich nichts für dich tun.“ „Ja, aber…“, versuche ich einzuwenden, aber der Direktor schneidet mir mittendrin das Wort ab: „Junge Dame, wie stellst du dir das vor? Diese High-School ist viel zu groß, als dass ich so einfach den Schuldigen „herbeizaubern“ könnte. Selbst wenn du mir einen Verdächtigen nennen könntest, gibt es keine Beweise, ob es der- bzw. diejenige tatsächlich gewesen sein könnte. Reine Spekulation, oder falsche Anschuldigungen bringen nur Chaos. Damit also endlich wieder Ruhe einkehrt, werde ich dir einen neuen Spind zuweisen. Also achte besser darauf und nun gehe ich wieder an die Arbeit.“ Mit diesen Worten wendet sich der beleibte Mann von mir ab und kehrt wieder in sein Büro zurück. Da steh ich nun, wütend, verwirrt und verzweifelt. Mir will es immer noch nicht in den Kopf, was dieser Kerl da gerade gesagt hat. Ausgerechnet von ihm hätte ich etwas Anderes erwartet. Ich meine, er ist doch der Leiter dieser Schule. Ist es denn nicht seine Aufgabe, dass hier alles in gerechten Bahnen verläuft und Unruhestifter bestraft werden?! Er versucht es ja nicht einmal, als wäre das ein Ding der Unmöglichkeit. Ich fasse es nicht! Jetzt zeige ich dem Kerl schon Beweise, dass ich gemobbt werde und er hat dann auch noch die Frechheit besessen, die Sache gleichgültig zu betrachten! Gibt es hier wirklich nur Irre?! Am liebsten hätte ich geschrien. Es brennt förmlich in meiner Kehle, doch stattdessen schlucke ich dieses Gefühl hinunter, als wäre es eine bittere Medizin. Momentan fühle ich mich, als hätte man mir den Boden von den Füßen weggerissen, weswegen ich mich bei dem benachbarten Spind anlehne, die Arme nun locker runterbaumeln lasse, während ich seufzend den Kopf hängen lasse. Was mache ich mir auch die Mühe? Hätte ich nichts gesagt, wäre es genauso gut gewesen. Der einzige Unterschied wäre nur, dass ich dann keinen neuen Spind zugewiesen bekommen hätte. Doch viel lieber wäre es mir gewesen, wenn der Direktor diesmal ernst genommen hätte und zumindest versucht hätte, etwas dagegen zu unternehmen. Stattdessen kehrt er lieber alles unter dem Teppich, damit ja „Ruhe“ herrscht. Doch diese ist genauso verlogen, wie alles andere hier. Was mache ich jetzt? Ich bin ja wieder auf mich alleingestellt. Mein Blick fällt wieder auf meinem Spind, der so stinkt, dass ich eigentlich kotzen müsste. Angewidert blicke ich auf die „Bescherung“, die mir einer von Lucindas Untergebenen hinterlassen hat. Der kann nur froh sein, dass ich nicht blassesten Schimmer habe, wer es war, sonst hätte ich, wer weiß was, mit ihm angestellt. Stattdessen stoße ich mich von dem fremden Spind weg, fische ein Taschentuch aus meinem Rucksack und versuche damit noch irgendetwas zu retten. Es ist wirklich ekelhaft und der Geruch macht es nicht gerade besser. Zwischendurch muss ich sogar ein neues Taschentuch nehmen, weil es mit der Zeit die klebrige Substanz etwas aufsaugt. Die Bücher kann ich mal vergessen und was die Notizen angeht, kann ich die nur in die Tonne werfen. Dennoch suche ich weiter. Ich kann nur von Glück reden, dass ich das meiste bereits abgetippt habe und die Zettel hauptsächlich zum Lernen in der Schule gedacht sind. Dennoch muss ich mir neue Schulbücher organisieren. Soviel steht schon mal fest. Eine Weile durchforste ich noch nach rettbaren Überresten, als sich von der Decke des Spindes ein graues Stück Papier löst. Bis jetzt ist mir das Ding auch gar nicht aufgefallen, was vielleicht an dem Schlammassel liegt. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass jemals daran befestigt, oder gar zunächst bemerkt zu haben. Neugierig und fragend schaue ich es mir genauer an. Es ist ein zusammengefaltetes graues Blatt in A5 Größe. Ich falte es auf und erblicke ein Wirrwarr an Buchstaben. Was hat das zu bedeuten? Moment, kann das sein, dass … aber wie?! Fragen über Fragen türmen sich bei mir auf und ich befürchte, dass es sich hierbei wieder um eine Warnung handelt. Dabei habe ich das alles schon fast wieder vergessen gehabt, aber was soll das alles heißen?! Für mich sieht das einfach aus wie ein Buchstabensalat und egal wie ich das Blatt drehe und wende, es ergibt keinen Sinn. Spiegelschrift kann es diesmal nicht sein. Die Buchstaben sehen hier völlig normal aus, aber trotzdem kann ich es nicht entziffern. Wobei, will ich überhaupt wissen, was da steht? Immerhin bin ich jetzt eh schon wieder auf 180. Will ich denn noch mit weiteren schlechten Nachrichten bombardiert werden? Genervt und etwas frustriert klatsche ich das Papier gegen den danebenfindenden Spind. Dabei habe ich es fast vollständig mit meiner rechten Hand abgedeckt. Nur die ersten Buchstaben pro Zeile sind gerade lesbar und als ich darauf schaue, geht mir plötzlich ein Licht auf. Die Worte wurden untereinander geschrieben. Jetzt ergibt es alles einen Sinn, aber ich bin immer noch unschlüssig, ob ich es wirklich lesen will. Vermutlich steht etwas darauf, was der ersten Drohung ähnelt. Ich seufze kurz, denn meine Neugier hat gesiegt. So halte ich meine Hand immer so über den Zettel, sodass ich die Nachricht Spalte für Spalte entziffern kann: « Du magst zwar vielleicht jetzt eine Gnadenfrist gehabt haben, aber die ist nun vorbei. Hier ist nun ein kleiner Vorgeschmack auf das, was dich noch erwarten wird. Nach der letzten Warnung, wirst du nie wieder das Schulgebäude betreten können. Bereue deine Taten, sonst wird es dir schlecht ergehen! Je mehr du es herauszögerst, desto schlimmer wird es für dich werden. P.S.: Vergiss es jemanden zu erzählen. Dir wird eh keiner helfen können. » Erzählersicht: Nachdem Bernadette die letzte Zeile entziffert hat, lässt sie sich langsam und wortlos auf ihre Knie fallen. Sie starrt einfach zu Boden und schweigt, während sie das Papier leicht zerknüllt in ihrer Hand hält. Beobachtet wird dies von zwei Schülern, die hinter einer Ecke das ganze Geschehen erspähen konnten. Einer der beiden, ein Junge mit einem dunklen Outfit, hellbraunen Haaren und einer schwarzen, eckigen Brille auf der Nase, ist der Erste, der sich nach diesem Anblick wieder zurückzieht. Bei dem Anderen handelt es sich um ein Mädchen mit kurzen blonden Haaren, einem lila Rock und einen schwarzweiß gestreiften Top. Wie der Brillenträgt selbst, zieht auch die Blondine sich wieder zurück und fragt jenen in einer Flüsterstimme: „Was meinst du Benny, glaubst du, Bernadette wird jetzt endlich nachgeben? Müsste sie nicht endlich genug haben?“ Der Angesprochene aber zuckt nur leicht mit den Schultern, als er darauf antwortet: „Keine Ahnung Cary. Ich hoffe es für sie. Wie ich sie aber kenne, wird sie noch eine Weile stur bleiben, bis sie mal endlich zur Besinnung kommt. Denn so war sie doch schon immer. … Das aber, was Martin und Amy für sie als Nächstes vorbereiten müssen, wird ganz schön heftig werden.“ „Ich weiß. Es wäre besser für sie, wenn sie endlich aufgeben würde. Als würde das noch einen Sinn machen, so wie sie sich aufführt. An ihrer Stelle hätte ich schon längst alles hingeschmissen, anstatt wie ein „Superheld“ den Alleinkämpfer zu spielen. Warum muss Bernadette nur so engstirnig sein? Dabei könnte sie sich das Leben so viel einfacher machen. … Manchmal muss man sich eben der Masse anpassen und im Strom mitschwimmen. Es ist nun mal so, aber wenn sie so weitermacht, wird sie nicht nur für immer allein bleiben, sie wird immer leiden müssen. … Das ist einfach nur dumm.“, fügt Cary hinzu und schüttelt wegen Bernadette bedauernd den Kopf. Sie versteht ihre ehemalige Freundin einfach nicht und hat daher auch kein Mitleid für sie übrig. Sie fragt sich sogar, wie es sein konnte, dass sie jemals mit dieser Person befreundet sein konnte. Kapitel 26: Raus mit der Sprache! --------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Die nächsten verbleibenden Stunden verbringe ich damit, über die bisherigen Geschehnisse nachzudenken. Es fällt mir schwer, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, was man mir vermutlich auch ansehen kann, würde irgendwer von meinen Mitmenschen Notiz nehmen. Die meisten meiner Mitschüler sind allerdings mit ihrem eigenen Kram beschäftigt und ich bin einfach nur in Gedanken versunken, während der Unterricht an mir vorbeigeht, als wäre ich gar nicht da. Was mache ich nur? Nicht, dass ich mich noch nicht schon daran „gewöhnt“ hätte, mit Mobbingattacken irgendwie fertig zu werden, aber schön langsam wird mir das Alles zu viel. Mit manchen Sachen komme ich klar, aber das von vorhin war einfach krass und das im negativen Sinne. Ich fühle mich so allein und schwach, als würde ich einsam durch einen dunklen Tunnel wandern, aus dem es kein Entrinnen gibt. Irgendwo in der Ferne ist ein kleines Licht, welches mir den Weg zu zeigen scheint, doch am Ende komme ich erst gar nicht an. Brauche ich Hilfe, so werde ich ignoriert oder sogar weggestoßen. Wer es von meinen Mitmenschen dabei macht, ist völlig egal. Sie treten sogar drauf, wenn es sein muss. Mann Bernadette, reiß dich um Himmels Willen zusammen! Du kennst doch dieses Gefühl! Es ist nicht neu und immer wieder hast du hinter dir gelassen! Nein, hinter mir gelassen habe ich es eigentlich nicht. Vielmehr habe ich verdrängt, ausgeblendet, oder wie man es sonst noch bezeichnen kann und es hat auch bis jetzt geklappt. Doch nun ist ein gewisser Punkt erreicht, der noch mehr trifft, als bloß die harte Schale, die ich mir aufgebaut habe. Lucinda muss das ja gerade zu genießen, wie ich mich jetzt mit meinen Gedanken plage. Ich spüre sogar förmlich, wie sie mich grinsend ansieht und vermutlich schon innerlich feiert. Auch wenn ich mich bemühe, meinen Blick nur zwischen meinen Professor und dem Buch zu schweifen, so entgeht es mir nicht, dass ich die ganze Zeit beobachtet werde. Als würden tausend Augen auf einmal mich niederstarren, so komme ich mir. Für Lucinda muss mein Leid wohl sowas wie eine Droge sein, mit dem sie einfach nicht aufhören kann. Sie liebt es einfach andere zu quälen und ich scheine dabei die Hauptrolle zu spielen. Ob ich will oder nicht, spielt keine Rolle, ich stecke einfach in diesem Scheiß fest und muss selbst zusehen, wie ich damit zurechtkomme. Hilfe bekomme ich ja keine. Ich warte nur darauf, dass der nächste Nachschlag kommt. Wenn nicht in Moment Unterricht wäre, würde dieses Biest wahrscheinlich einfach aufstehen, zu mir hingehen und mir alles schön unter die Nase reiben. Wobei, warum tut sie es nicht einfach? Dann hätte ich es zumindest hinter mich gebracht und unsere Schlaftablette Professor Johnson würde es ohnehin nicht wirklich mitbekommen. Der macht doch ohne Ausschweife seinen Vortrag und checkt nicht einmal, dass die gesamte Klasse mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist. Selbst ich kann mich heute überhaupt nicht auf sein Gerede konzentrieren. Es ist, als würden seine Worte in Watte gepackt werden und bei jeder neuen Schicht würde seine Stimme immer weiter verstummen. Es klingelt plötzlich. Verwirrt blicke ich zur Uhr. Sind tatsächlich wieder 50 Minuten vergangen? Ich dachte, ich müsste noch länger hier verharren. Für heute habe ich einfach kein Zeitgefühl mehr und würde es nach mir gehen, so hätte ich meine Sachen einfach gepackt und wäre jetzt schon nach Hause gegangen. Doch noch habe meinen Kunstunterricht vor mir, welche mich alles andere als motiviert. Innerlich bemühe ich mich, mich zusammenzureißen. Immer wieder rede ich mir ein, dass alles nicht so schlimm ist, wie es den Anschein hat. Hilfreich ist es trotz allem nicht. Ich bin einfach nur angepisst und ausgelaugt. Ich möchte einfach nur meine Ruhe haben und trotzdem zwinge ich mich selbst, meine Gefühle zur Seite zu schieben. Ich knicke noch völlig ein, wenn ich mich weiterhin so gehen lasse und darauf wartet nur der Teufel höchst persönlich. Also reiß dich endlich am Riemen! Das Leben ist nun mal kein Zuckerschlecken, also finde dich damit ab! Gedanklich fordere ich mich selbst immer weiter auf, endlich mal einen Strich zu ziehen. Ich atme sogar bewusst tief durch, um dies noch zu verstärken, bis ich schließlich von ein paar Mitschülerinnen belästigt werde, die belustigt scherzen: „Na, sind wir etwa eingeschlafen? … He, nur zur Info: Dabei macht man die Augen zu und starrt nicht wie dumme Kuh auf die Uhr.“ Wie Hühner gackern sie vor lauter Lachen, ziehen aber Gott sei Dank von dannen. Dabei schwenken sie ihre Hüften, als hätten sie links und rechts ein paar Glocken umgebunden, die geläutet werden müssen. Wer ist wohl hier ´ne „blöde Kuh“? Ich rolle nur genervt mit den Augen und seufze, bis ich mich schließlich von meinen Sessel erhebe und mich mit meinen Sachen auf dem Weg zum nächsten Unterricht mache. Mein Tag scheint für heute echt zum Vergessen zu sein. Denn als ich während des Kunstunterrichts verzweifelt versuche Musik zu hören, muss ich erst lange suchen, bis ich meinen MP3-Player endlich gefunden habe und dann funktionieren die Kopfhörer nicht mehr richtig. Auf der rechten Seite höre ich ständig ein Rauschen, als wenn die Drähte im inneren nicht mehr richtig miteinander verbunden wären. So vergeht es mir richtig den entspannenden Klängen zu lauschen und einseitig hören ist auch bescheuert. Leicht knurrend reiße ich mir die Stöpsel aus den Ohren und starre wutentbrannt auf mein Bild. Irgendwie habe ich das Gefühl, als wenn heute einfach nicht mein Tag wäre. Egal wohin ich auch gehe, meine Nerven werden jedes Mal überstrapaziert. Es mag vielleicht jetzt gerade eine Kleinigkeit gewesen sein, aber für heute habe ich einfach keine Geduld mehr. So arbeite ich widerwillig an meinem Bild weiter, obwohl mir eigentlich die Lust an Malen vollkommen vergangen ist. Erzählersicht: Genüsslich schaut Lucinda immer wieder nach hinten und beobachtet Bernadette, wie diese gerade mit den Nerven kämpft. Ein bösartiges Lächeln umschmeichelt ihre mit rosa Glitzerlipgloss geschminkten Lippen und sie genießt jeden Augenblick dabei. Am liebsten wäre sie jetzt aufgestanden und zu ihrer Feindin hingegangen. Nur damit sie Bernadette noch etwas mehr provozieren kann, bis diese endgültig überschnappt. So einige Sprüche hätte sie bereits auf Lager und für die Blondine wäre das sogar der Höhepunkt des heutigen Tages, doch sie hält sich zurück. „Rache ist etwas, was man nicht nur eiskalt serviert, sondern auch langsam und in stillen Schweigen auf der Zunge zergehen lässt.“, murmelt Lucinda gehässig vor sich hin, während sie der Betroffenen mit einer boshaften Schadenfreude beobachtet. Sie konzentriert sich nicht einmal auf ihre Arbeit, die sie eigentlich tun sollte, aber das kümmert sie keines Weges. Sie hat sich noch nie wirklich Sorgen darübergemacht und gerade bei der Kunstlehrerin ist es für sie ein Leichtes, um sich aus möglichen Problemen zu winden. Doch die Blondine weiß, dass es hierbei niemals vorkommen wird, egal, was sie auch anstellen würde. Heute hat sie allerdings keine Lust auf die Kunst. Zumindest nicht jene, welche den Unterricht betreffen. Vielmehr lobt sie sich im Stillen selbst über ihr Talent, andere für ihre Zwecke zu missbrauchen. Allein der Gedanke an ihrem letzten Befehl erheitert sie. Somit nutzt sie die Zeit viel lieber mit ihren Gedanken, anstatt sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Als sie aber zwischendurch auf ihre Uhr blickt, steht sie auf und geht fünfzehn Minuten vor Unterrichtsschluss zu ihrer Lehrerin. Mit einer gespielten zuckersüßen Art kann sie die Frau umwickeln und bittet sie sie etwas früher gehen zu lassen: „Mrs. Foster, wären Sie so gütig und würden mich etwas früher gehen lassen. Ich scheine mich einfach nicht mehr konzentrieren zu können und glaube, dass mir frische Luft ganz guttun würde. Währen Sie damit einverstanden, wenn ich meine Arbeit zuhause beenden würde?“ So manch eine Lehrperson hätte in diesem Fall wohl eher „Nein“ gesagt. Doch Mrs. Foster kann ihr diese Bitte nicht abschlagen. Obwohl es, von außen betrachtet, absurd klingt, ist die Frau von Lucinda begeistert und glaubt ihr jedes einzelne Wort. So ist es auch dieses Mal, als die Lehrerin ihrer Lieblingsschülerin antwortet: „Geh ruhig, meine Liebe und frische deine Quelle deiner Kreativität und Inspiration auf. Deine Arbeit kannst du ruhig beim nächsten Mal fertig stellen.“ „Vielen Dank, Mrs. Foster.“, bedankt sich die Blondine mit einem falschen Lächeln, schnappt sich anschließend ihre Sachen und wirft Bernadette noch einen höhnischen Blick zu, ehe sie anschließend mit stolzierenden Schritten das Klassenzimmer verlässt. Draußen am Gang hallen ihre Stöckelschuhe. Jeder einzelne Schritt ist so laut, sodass man sie bis ans andere Ende des Schulgebäudes hören könnte. Immerhin ist sonst niemand in der Nähe und das lässt die Atmosphäre leicht gruselig erscheinen. Lucinda steuert ihren Weg zielgerecht auf die nächste Mädchentoilette zu. Die Tür reißt sie mit einem Schwung auf und stolziert sofort zum Spiegel, wo sie ihr Makeup-Täschchen herauskramt und zu schminken beginnt. Ihr Aussehen ist ihr nun mal sehr wichtig und dazu stets sie auch. Nie würde sie ungeschminkt das Haus verlassen. So viel ist für sie sicher. Gerade ist sie dabei, etwas Wimperntusche nachzutragen, als das Mädchen schon Besuch erhält. Die Tür geht langsam auf und Benny und Cary schauen in den Raum hinein. Sie betreten diesen aber nicht, sondern warten einfach an der Türschwelle. Mit Hilfe des Spiegels kann Lucinda ihre Besucher ansehen, ohne dabei mit dem Schminken aufzuhören. Grinsend betrachtet sie zu den beiden, die wie die Soldaten stumm an ihrer jetzigen Position verweilen und scheinbar stumm auf die nächsten Befehle warten. Keiner der beiden rührt sich auch nur einen Millimeter, bis von der Anführerin die nächste Reaktion kommt. Das Mädchen mit den langen blonden Haaren muss schmunzeln: „Endlich mal jemand, der halbwegs pünktlich ist. Es ist so schwer gutes Personal zu bekommen. … Naja, zumindest kann ich mich auf euch verlassen. Gute Arbeit übrigens.“, schmunzelt das Mädchen mit den langen blonden Haaren. Cary und Benny nicken nur und warten weiterhin. Als wenn man ihnen den Mund zugekleistert hätte, schweigen sie, bis Lucinda die beiden darauf anspricht, was genau diese heute beobachtet haben. Ohne eine Sekunde zu warten berichten die zwei, was Lucinda nur dazu verleitet höhnisch und schadenfroh zu lachen. „Selbst der Direktor hat sie eiskalt stehen lassen. Bernadette hat nicht einmal die Chance gehabt, auch nur eine Vermutung aufzustellen, wer es vielleicht gewesen sein könnte. Wie ein begossener Pudel stand sie vor ihrem Spind.“, fügt Benny hinzu, was seine „Königin“ nur umso mehr freut: „Ausgezeichnet! Ich bin einmal gespannt, wie lange das unsere Möchtegernfranzösin noch mit sich machen lässt, bis sie uns endgültig umkippt. Ich sehne mich schon nach dem Tag, an dem sie vor mir auf dem Boden kriecht und um Gnade winselt. … Ach, wie herrlich doch dieser Gedanke ist und das Beste ist, dass es ihre ehemaligen Freude sind, die ihr das antun. Wenn sie das wüsste, würde sie einfach nur im Boden versinken. Ich freue mich schon auf diesem Moment, an sie es endlich erfährt.“ Wieder muss sie kichern, doch dies wandelt sich schnell in ein lautes Lachen um, was von zwei weiteren Stimmen begleitet wird und wie ein Echo in diesem Raum verhallt. Aus Raphaels Sicht: Sehnsüchtig habe ich wieder auf die Abenddämmerung gewartet. Den ganzen Tag über war ich schon etwas ungeduldig, weswegen ich mir von meiner Familie wieder einmal etwas anhören musste. Leo ermahnte mich sogar, dass ich meinen Kopf nicht zu sehr in den Wolken stecken sollte. Als Team haben wir schließlich die Aufgabe New York zu beschützen und das weiß ich auch. Ich habe es nicht vergessen und niemals würde ich dies außen vorlassen. Allein schon dieses Gefühl, diesen Pappnasen mal ordentlich die Suppe zu versalzen, ist einfach nur prickelnd und erweckt in mir den Kampfgeist. Jede noch so kleine Prügelei ist für mich einfach etwas Amüsantes. Vielleicht sollte ich Bernadette mal bei so etwas mitnehmen. Schließlich hat sie mich noch nie bei einer Liveaktion gesehen und es wäre für sie mal etwas Anderes. Gerade weil sie in letzter Zeit hauptsächlich in ihrem Zimmer war. Wie es ihr wohl geht? Die letzten Nächte habe hauptsächliche bei meinen Einsätzen verbringen müssen. Diese Typen waren in diesem Fall nicht leicht zu erwischen, weswegen wir mehr Zeit als sonst dafür brauchten. Selbst Donnie hat zugeben müssen, dass das eine oder andere Genie unter dieser Truppe dabei sein musste. Jede noch so winzige Kleinigkeit haben sie bis ins letzte Detail vorbereitet. Als wäre diesmal jemand dabei, welcher alles überwachen und demnach gut organisiert hätte. Mich ärgert es immer noch, dass wir nur ein paar schlappe Hampelmänner erwischen konnten, aber die werden schon wiederkommen, davon bin ich felsenfest überzeugt. Bei sowas müsste mir Bernadette wirklich mal zusehen. Am liebsten hätte ich sie letzte Nacht schon dabeigehabt. Diese Aktion hätte sie in ihrem ganzen Leben nicht mehr vergessen können. Allein schon die Verfolgungsjagd war Adrenalin pur. Ich hätte es am liebsten schon getan und hätte sie zwischendurch sogar abgeholt, wenn unser Vater mich nicht dazu aufgefordert hätte, dies nicht zu tun. Schließlich darf ich keine Unschuldigen unnötig in Gefahr bringen. Dabei hätte ich doch dafür gesorgt, dass mein Mädchen aus sicherem Abstand das ganze Geschehen beobachten könnte. Mehr wäre ja nicht drin gewesen und außerdem würde ich es niemals zulassen, dass ihr etwas passiert. Ich weiß ja, dass es nicht ungefährlich ist und die meisten dieser Idioten Waffen bei sich tragen. Ich bin daher nicht bescheuert, aber was spricht schon dagegen, wenn sie etwas mehr von meinem Alltag teilhat? Wer mir jetzt mit der Ausrede „Du bringst sie damit ja nur in Gefahr“ in die Quere kommt, der kann schon mal mit meiner Donnerfaust rechnen! In diesem Punkt haben sich meine Brüder aber zum Glück eher rausgehalten. Vielmehr haben die drei gefragt, wann Bernadette mal wieder bei uns zuhause vorbeischauen würde. Die sollen ruhig warten, denn da habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden. Ich komme gerade bei ihr an und will schon an der Fensterscheibe klopfen, als ich merke, dass das Fenster bereits einen Spalt offensteht. Anscheinend bin ich nicht der Einzige, der die Dunkelheit schon so sehnsüchtig erwartet hat. Ein schmunzelndes Lächeln breitet sich in meinem Gesicht aus und erweckt die Freude, meine feste Freundin wieder in die Arme zu schließen, umso mehr. So drücke ich die Scheibe weiter weg, damit ich in das Zimmer einsteigen kann. Doch kaum bin ich drinnen angelangt, habe ich den Eindruck, dass irgendetwas nicht stimmt. Hier herrscht eine beklemmende Stille. Ist hier etwa jemand gestorben? Bernadette liegt kerzengerade in ihrem Bett und sieht gedankenverloren zur Decke hinauf. Ihre Arme hat sie hinter ihren Kopf verschränkt, während ihr Blick so bedrückt wirkt, als wäre heute etwas Schreckliches passiert. Meine Freude auf das Wiedersehen ist nun in den Hintergrund gedrückt. Stattdessen breitet sich in mir die Sorge aus, während ich immer noch beim Fensterbrett stehe. Bemerkt hat sich mich anscheinend noch nicht, denn sie bewegt sich keinen Millimeter und macht auch so keine Andeutungen, dass sie von meiner Anwesenheit Bescheid wüsste. Sie starrt einfach weiterhin stumm die Decke an. Um Bernadettes Aufmerksamkeit zu bekommen, klopfe ich schließlich gegen die Scheibe. Als wäre ich noch draußen und würde darauf warten, dass sie mich hereinlassen würde. Vielleicht bringt das ja was und tatsächlich, ich kann sie damit aus ihren Gedanken herausbringen. Kurz überrascht blinzelt sie, ehe sie ihr Gesicht zu mir wendet. Sie lächelt leicht, als sie mich sieht, aber dieses Lächeln wirkt so matt, sodass mein erster Gedanke, dass etwas nicht stimmt, nur bestärkt wird. Schließlich erhebt Bernadette sich von ihrem Bett und kommt gleich auf mich zu. „Hallo Raphael.“, ist das Erste, was sie zu mir sagt, während ich sie in die Arme schließe und wir uns dann zur Begrüßung einen sanften Kuss auf die Lippen drücken. Es ist irgendetwas, das spüre ich förmlich. Allein an ihrer Stimme ist es gut herauszuhören. Sie wirkt müde und auch angespannt. Was kann es aber sein? Ihrer Tante kann ich diesmal nicht den schwarzen Peter zuschieben. Diese ist ja nicht einmal zu Hause und kommt erst in Laufe der Woche. Es muss daher etwas mit der Schule zu tun haben. Wer weiß, was diese Lucinda, oder wie auch immer die heißt, schon wieder mit meinem Mädchen angestellt hat. Es muss aber etwas Größeres sein. Denn so wie Bernadette auf mich wirkt, muss sie heute einen schweren und langen Tag gehabt haben. Liebevoll streiche ich ihr sanft über die linke Wange und sie sieht zu mir hinauf. Innerlich fordere ich sie schon auf, mit mir zu reden. Mit diesen Gedanken schaue ich ihr in die Augen, aber schon vergräbt sie ihr Gesicht in meine Brust. Komm schon Bernadette! Wie soll ich dir helfen, wenn ich doch keine Ahnung habe, worum es eigentlich geht? Eine Weile verharren wir so und so sehr ich auch hoffe, dass meine Freundin von sich aus mit der Sprache rausrückt, ich warte vergebens. „Hey, alles in Ordnung? Du bist so still.“, frage ich sie schließlich und spüre, dass sich meine Ungeduld wieder bemerkbar macht. Für sowas habe ich nun mal nicht so viel Geduld. Ich bin zwar nicht das beste Beispiel dafür, was das Reden über Gefühle angeht, aber sie ist doch anders, was das betrifft. Also hoffe ich doch, dass sie doch schneller mit der Sprache herausrückt, damit ich endlich mal mehr weiß. Allein schon, wenn ich sie so sehe, regt mich das innerlich auf. Mein Mädchen ist keine von der Sorte, die eher Trübsal bläst, oder sich gar wie ein kleines Mäuschen in eine Ecke verkriecht. Vielmehr versucht sie standhaft zu bleiben, aber das kann ich gerade nicht an ihr sehen. Bernadette ist momentan viel mehr das Gegenteil davon, was ich sonst so von ihr kenne und das gefällt mir überhaupt nicht. Schließlich löst sie sich wieder von mir, lächelt sogleich und antwortet endlich auf meine Frage: „Jaja, es ist nichts. Ich … war nur in Gedanken.“ Anders, als vorhin gedacht, versucht sie ihre „Gedanken“ für sich zu behalten. Was sie da aber gesagt hat, ist gelogen. Selbst wenn ich sie nicht vorhin so seltsam in ihrem Bett gesehen hätte, so hätte ich auch so geahnt, dass sie mir nun etwas vorgaukeln will. Auf dieses „Spiel“ gehe ich aber nicht ein! „Bist du dir da sicher? Du wirkst mir nicht so, ob wirklich alles in Ordnung wäre.“, hake ich nach, aber Bernadette erwidert nur: „Ja klar bin ich mir sicher. Ich … ich hatte einfach nur einen langen Tag und bin nur am Grübeln. Das ist alles.“ „Und würdest du mich dann auch an deinen Gedanken teilhaben lassen, oder bin ich da überflüssig?“, setzte ich mit meiner Fragerei fort, aber Bernadette meint nur mit einem vorgetäuschten Kichern: „Ach, es ist nicht so wichtig. Lassen wir das einfach, ok?“ Wenn es also nicht so wichtig wäre, würde sie ja nicht ständig an Grübeln sein und so ein Gesicht ziehen. Also da stimmt doch etwas nicht! Warum sagt sie mir das nicht einfach und verheimlicht mir, was sie so sehr bekümmert? Besonders sie müsste mit den Infos als Erste herausrücken. Immerhin war sie diejenige, die mich belehrt hatte, offen über schwierige Themen zu reden. Gerade wenn es sich dabei um etwas Vertrauliches handelt und sie weiß doch, dass ich ihr zuhöre, also warum sträubt sie sich sehr dagegen? Als wenn sie gerade meine Gedanken gelesen hätte, verschränkt sie die Arme und weicht meinen Blicken aus. Ich aber lege nun beide Hände auf ihre Schultern und drehe sie so zu mir, sodass sie mich ansehen muss. „Hey, mir kannst du nichts vormachen, dafür kenne ich dich schon zu gut. … Also, was war heute wieder los?“, fordere ich sie nun ein weiteres Mal auf und Bernadette murmelt ein „Also gut.“, ehe sie mir dann seufzend ihrer Story schildert. Wenigstens ist sie nicht so störrisch wie ich, was das Verschweigen angeht. Bei mir hätte das vermutlich wieder einmal etwas länger gedauert. Denn wenn ich mal was nicht will, dann kann ich unerbittlich sein. Meine Freundin erzählt mir nun, dass ihr Spind aufgebrochen und völlig verwüstet wurde. Dabei scheint es kein Schwein zu interessieren, den Täter zu überführen und zur Rechenschaft zu ziehen. Selbst der Direktor hat sie eiskalt stehen lassen und ihr höchstens einen neuen Spind versprochen. Nur was bringt sich das?! Das heißt ja noch lange nicht, dass der-, oder diejenigen damit aufhören! Irgendwann wird wieder etwas passieren, wenn nicht herausgefunden wird, wer wirklich dahintersteckt. Bernadette in diesem Punkt Lucinda im Visier, aber sie vermutet auch, dass es jemand dies auf für diese Schnepfe ausgeführt hätte und dafür würden viele in Frage kommen. Jetzt verstehe ich, warum mein Mädchen bei meiner Ankunft in Bett gelegen und trübselig auf die Decke gestarrt hat. Bernadette hat sich vermutlich selbst gefragt, was sie jetzt machen soll. Um ehrlich zu sein, wundert es mich nicht, dass sie die ihre Schule als Irrenhaus bezeichnet. Die haben sie doch nicht mehr alle! Jedoch scheint das nicht einmal das Einzige gewesen zu sein, was meine Freundin bedrückt. Denn sie wendet sich schließlich von mir ab und geht schließlich zu ihrem Bett. Dort kniet sie sich auf dem Boden und wühlt so lange zwischen den Pfosten herum, bis sie eine kleine Kiste hervorgeholt hat und sogleich öffnet. Zwei Zettel in unterschiedlichen Farben kommen zum Vorschein. Sie sind aber beide stark zerknittert und als ich sie mir näher betrachtet, schaue Bernadette verwirrt an. Was soll dieses Krickelkrakel?! Diesen Buchstabensalat kann doch weder ein Mensch, noch ein Turtle lesen und was hat es damit auf sich?! Egal wie ich es drehe und wende, es ergibt keinen Sinn und was hat das jetzt mit ihrer Schule zu tun? Irgendwie ahne ich Schlimmes, auch wenn ich nicht die leiseste Ahnung habe, was es damit auf sich hat. „Bernadette, was ist das?“, frage ich sie und halte ihr diese Zettel hin, aber sie zögert kurz, bis sie das Wort „Drohbriefe“ murmelt. „Was?! Was zum Henker geht da vor und wer in drei Teufelsnamen schickt dir Drohbriefe?!“, keife ich nun. Mein Gebrüll gilt aber nicht ihr. Es viel mehr das Entsetzen, was aus mir herausschreit und alle Alarmglocken in mir zum Läuten bringt. Wie versteinert und aufgebracht starre ich Bernadette an, während ich meine Hände zu Fäuste balle und das Papier zugleich etwas zerdrücke. Sie hingegen, nimmt mir diese stumm wieder ab und erklärt mir anschließend, was auf den beiden Papierfetzen steht. Dabei lässt sie die Schultern sinken, als wenn sie sich dafür schämen müsste. Ich spüre förmlich, wie der Zorn sich in mir breitmacht und meinen gesamten Körper anspannen lässt. Was soll dieser Scheiß?! Was hat Bernadette getan, dass man ihr so etwas antut? Ich kapier sowieso nicht, warum sie überhaupt gemobbt wird! Mein Mädchen ist doch die liebste Person der Welt und hat niemandem etwas getan, also warum gehen alle auf sie los, als wenn sie ein Schwerverbrecher wäre?! Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich gleich morgen Früh direkt in dieses Gebäude marschieren und jeden Einzelnen eine Backpfeife verpassen, der auch nur daran denkt meinem Engel irgendetwas anzutun! Die Erste, die gleich ganz oben auf meiner Liste steht, ist dieses Miststück namens Lucinda. Auch wenn sie ein Mädchen ist und ich normalerweise keine Girls schlage, abgesehen von dieser Karai, werde dieser Wahnsinnigen einen Schrecken einjagen, sodass ihr Hören und Sehen vergeht! Nie wieder soll sie es wagen, oder auch nur daran denken, irgendjemanden zu schikanieren! Darauf kann sie Gift nehmen! Ich bin schon in Begriff, wie ein Tornado zu wüten. Manche meiner Gedanken habe ich sogar bereits aus mir herausgebrüllt und ich hätte noch lange so weitergemacht und mich über diese Schweinerei aufgeregt, hätte ich nicht zwischendurch wieder einen Blick auf Bernadette riskiert. Sie hat in der Zwischenzeit die Zettel wieder zurück in die Box geschmissen und nun steht sie beschämt mit verschränkten Armen da und schweigt. Mein Gott, wie elend sie sich gerade fühlen muss! Das geht doch echt auf keine Kuhhaut, was sie alles ertragen muss, aber warum hat sie mir nicht zumindest von der ersten Drohung erzählt! Wann war das überhaupt und warum habe ich nicht schon etwas geahnt? Dass es ihr in der Schule nicht gerade rosig geht, weiß ich ja. „Gibt es noch etwas, von dem ich nichts weiß?“, will ich noch von ihr wissen. Ich spreche dabei möglichst ruhig, aber sie schüttelt bei meiner Frage einfach nur den Kopf. Ich seufze und drücke sie nun an mich, um ihr ein bisschen Halt zu geben. Etwas Anderes kann ich momentan nicht tun. Zärtlich habe ich meine Arme um sie geschlungen. Jedoch beschäftigt mich noch etwas: „Warum hast du mir nicht schon eher was gesagt? Ich weiß doch, dass es dir in der Schule nicht besonders gut geht.“ Bernadette versucht gerade ihre Tränen zurückzuhalten und antwortet mir daher leicht schluchzend: „Weil es mir bis jetzt noch nie so schlimm ergangen ist und ich immer mit allem irgendwie fertig geworden bin.“ Mehr sagt sie nicht und es gibt auch nichts weiter zu sagen. Sie drückt sich einfach an mich und versucht ihren Frust irgendwie zu abzuwürgen. Sie will einfach nicht weinen und ich bin der Letzte, der ihr vorschreibt, was sie machen müsste und was nicht. Eine Weile ist es zwischen uns beiden ziemlich ruhig. Nachdenklich versuche ich die Sache zu verstehen und irgendwie eine Lösung dafür zu finden. Es fällt mir aber ziemlich schwer, denn das Alles ist doch wirklich idiotisch und leiden muss sie. Dafür, dass sie es eh schon schwer hat, tritt man auch noch mit Füßen auf sie ein. Ich verstehe es einfach nicht und ich würde alles für sie machen, nur damit es ihr zumindest ein bisschen besser geht. Als ich schließlich wieder zu ihr hinuntersehe, merke ich gerade, wie eine kleine Träne still an ihrer rechten Wange hinuntergleitet. Ganz hat sie dieses beschissene Gefühl wohl nicht aufhalten können. Sanft hebe ich ihr Kinn an, wische den kleinen salzigen Wassertropfen weg und versuche meine Freundin wieder aufzumuntern: „Keine Sorge, die Schnepfe kriegt schon ihr Fett ab. Das versichere ich dir.“ Meine Stimme klingt dabei so entschlossen, sodass ich ein kleines Lächeln in ihrem traurigen Gesicht erspähen kann. Zumindest das ist ihr momentan möglich. Wenn ich nur wüsste, wie ich ihr helfen könnte. Kapitel 27: Komm, lach wieder! ------------------------------ Aus Raphaels Sicht: Liebevoll drücke ich ihr nun einen sanften Kuss auf die Stirn, bis ich Bernadette mit einem schnellen Ruck hochhebe und sie nun wieder wie in eine Braut in meinen Armen liegt. Zunächst überrascht von meinem plötzlichen Handeln schaut sie mich mit großen Augen an und fragt mich erstaunt: „Was hast du jetzt schon wieder vor?“ So leicht werde ich ihr es aber nicht machen. Schließlich soll es eine kleine Überraschung werden und ein bisschen Spannung schadet ihr in Moment nicht. Dann kommt Bernadette zumindest mal auf andere Gedanken und lässt sich von dieser Schnepfe nicht weiter unterkriegen. „Das wirst du schon sehen. Lass dich einfach überraschen.“, antworte ich einfach nur grinsend und klettere schon mit ihr aus dem Fenster, ohne auch nur auf einen Kommentar von ihr zu warten. Mit schnellen Schritten und geschickten Sprüngen, eile ich mit meiner Liebsten von Dach zu Dach. Bernadette hat sich in der Zwischenzeit wieder in meinem Armen bequem gemacht und schmiegt ihren Kopf gegen meine Brust. Ich spüre förmlich, wie sehr sie meine Nähe geniest. Auch wenn sie vermutlich mit ihren Gedanken noch woanders ist, aber das wird sich bald ändern. Denn das, was ich mit ihr vorhabe, wird sie wiederaufbauen. Daran besteht für mich keinen Zweifel. Allein schon nach den vielen Nächten, in denen ich sie hauptsächlich nur in ihrem Zimmer besucht habe, hat Bernadette einen Tapetenwechsel bitternötig und auch das, was bald kommen wird, wird sie bald wieder zum Lachen bringen. Siegessicher, dass mein Plan aufgehen wird, folge ich weiter meinen Weg und kann nach einiger Zeit schon das Ziel von weitem sehen: der Central Park. Eine riesiger, künstlich angelegter Stadtpark, der inmitten der Metropole angelegt wurde. Als meine Brüder und ich noch Kinder waren, hatte Donnie mir mal erzählt, dass dies alles hier mal ein Sumpfgebiet war. Irgendwie war das für mich kaum vorstellbar, da doch nichts darauf hindeutete. Ich glaubte sogar, dass er sich das damals nur ausgedacht hatte, damit er einfach nur etwas zu erzählen hatte. Doch ob das stimmt, oder nicht, war mir nie wirklich wichtig. Ich hatte ohnehin schon meine eigene Meinung dazu gebildet und die hält auch heute noch an. Allein die Landschaft ist es, weswegen ich mit Bernadette hierherkomme. Vermutlich war sie schon mal hier, aber bestimmt hat sie noch nicht alles von dem Park gesehen, was mir recht wäre. Kaum, dass wir die Nähe des Parks erreicht haben, bitte ich Bernadette die Augen zu schließen. „Also langsam machst du mich echt neugierig Raphael.“, meint sie dazu und schaut mich dabei etwas skeptisch an. „Vertrau mir einfach.“, ist das Einzige, was ich dazu erwidere. Schließlich tut sie es einfach achselzuckend, auch wenn ich mir sicher bin, dass ihr nicht so ganz wohl bei der Sache ist. So mache ich mich lächelnd wieder auf dem Weg und betrete wenig später den Central Park. Ich muss aber noch eine Weile laufen, bis ich dann endlich den Ort erreicht habe, nach dem ich gesucht habe. Das Gelände erstreckt sich über mehrere Kilometer. Für die Bewohner von New York gibt es hier viel zu sehen und ich spreche hier nicht von den unzähligen Bäumen. Neben einem Zoo und den Gebieten für Sportaktivitäten oder Picknicks, gibt es hier einen kleinen Teich, welcher sich der Turtle Pond nennt. Wenn ich nicht wüsste, dass einige meiner Artgenossen dort hausen, könnte man fast schon glauben, die Menschen hätten den hier für meine Brüder und mich angelegt. Direkt an diesem kreuzen sich mehrere Dinge, sowie auch der Belvedere Castle. Eine alte Burg im mittelalterlichen Stil ist genau das, was ich Bernadette zeigen wollte. Das Gebäude befindet sich auf einer Anhöhe aus Gestein und ist auch deswegen das zweitgrößte Gebäude in diesem Park. Geschickt laufe ich auf den Felsen entlang und klettere schließlich auf der Mauer hoch, bis ich den höchstmöglichsten Teil, der von außen betretbar ist, erreicht habe. Diesmal war die Kletteraktion etwas schwieriger, weswegen ich Bernadette bat, sich an mir festzuhalten. Natürlich wurde ihre Neugier größer und sie wollte sogar schon die Augen öffnen, aber ich konnte sie noch rechtzeitig erwischen und meinte: „Nicht die Überraschung verderben.“ „Weißt du, dass du manchmal echt fies sein kannst.“, war natürlich gleich ihre Antwort darauf, aber ich schmunzelte nur. Endlich habe ich den einen Turm erreicht und setze nun Bernadette vorsichtig ab. Für mich ist das schon amüsant, wie sehr sich meine Freundin das alles gefallen lässt, obwohl sie ständig den Drang verspürt, ihrer Neugier freien Lauf zu lassen. Auch wenn sie bis jetzt nichts gesagt hat, merkt man ihr das an und sie ist ständig in Versuchung, ihre Lider zu öffnen, was sie aber dann wieder brav seinlässt. Dass sie einfach mitspielt, ist einfach unbezahlbar und dafür liebe ich sie auch, aber ich sollte sie nicht zu sehr auf die Folter spannen. Aus Bernadettes Sicht: Ohne einen blassen Schimmer zu haben, was Raphael mit mir vorhat, schiebt er mich hin und her. Ich habe keine Ahnung, wo wir sind und was wir eigentlich hier machen. Eigentlich habe keine Lust auf irgendwelche Scherze, oder Überraschungen. Die letzte „Sensation“, die ich mir heute bereits in der Schule antun musste, hat mir gereicht. Ich habe daher keinen Nerv für weitere solcher Aktionen. Doch Raphael besteht darauf: „Sei nicht so ungeduldig.“ „Du hast gut reden. Immerhin bin ich es ja, die von dir wie eine Marionette herumgeschubst wird.“, nörgle ich, bis mein Freund dann doch mit meiner momentanen Position zufrieden zu sein scheint: „Lass dich einfach überraschen. … Also gut, du kannst die Augen nun aufmachen.“ „Was hast du dir jetzt schon wieder einfallen lassen? …“, ist das Erste, was ich mein Freund frage, während ich seiner Bitte nachkomme. Doch kaum habe ich meine Frage gestellt, schon halte im nächsten Augenblick inne. Staunend sehe ich von dem Platz herab, an dem er mich gebracht hat und erblicke eine wunderschöne Landschaft mit einem großen Teich. Wo in aller Welt sind wir? Es unbeschreiblich schön hier. Als ich dann um mich herumsehe, merke ich, dass ich mich auf einer Burg befinde. Ein Licht geht bei mir auf. Denn kann es tatsächlich sein, dass das hier das Belvedere Castle ist? Ich habe schon einiges davon gehört und im Internet sogar Bilder davon gesehen. Ich war aber noch nie in diesem Teil des Central Parks, weswegen mich meine Umgebung umso mehr fasziniert. So stütze ich meine Hände bei den Zinnen ab und schweife weiterhin meinen Blick umher. Es ist einfach wunderschön hier und obwohl es Nacht ist, spenden die vielen Laternen des Parks genügend Licht, sodass man hier einiges erkennen kann. Vielleicht aber ist es genau das, was die Umgebung umso faszinierender macht. Es wirkt beinahe schon mystisch. Als wäre ich inmitten eines Märchens aufgewacht, welches nun zu erkunden gilt. So viele Wege kreuzen hier. Wie in „Alice in Wunderland“ ziehen sie ihre Bahnen und laden einem ein, ihnen zu folgen. Es ist kaum vorstellbar, dass Raphael und ich uns eigentlich inmitten der Metropole befinden. Der sonst so lärmende Verkehr ist hier kaum hörbar. Als wäre in die weite Ferne gewandert, damit alles andere hier in der Nacht zu Ruhe kommt und seine eigene Welt offenbart. Es ist so friedlich hier und je genauer ich alles betrachte, desto mehr Details fallen mir auf. Egal ob es die Glühwürmchen sind, die am Teichrand umherschwirren und ihre Tänze vollziehen, oder ob es die Bäume sind, welche sich sanft beim leichten Wind hin und her bewegen. Es ist einfach eine romantische Atmosphäre und durch das ich mit meinem Liebsten auf einer Burg stehe, macht es die Sache umso schöner. „Du steckst voller Überraschungen. Weißt du das?“, sage ich schließlich zu ihm und lehne mich genüsslich an ihm an, als er sich mir von hinten nähert. Ich spüre schon, wie er einen Arm um mich legt. Seine Wärme, die er ausstrahlt, ist etwas, was ich kaum beschreiben kann. In seiner Nähe fühle ich mich einfach geborgen und selbst wenn er einfach nur dasteht, ist es, als wenn ich mich bei ihm einfach fallen lassen könnte. Er würde stets da sein und mich auffangen. Raphael hat so eine liebevolle Seite an sich, was man sich von außen hin gar nicht vorstellen kann. Besonders, wenn er sich bei seiner Familie aufhält, zeigt er den starken, eher groben und sarkastischen Kämpfer, der sich von niemandem etwas so leicht sagen lässt. Auch seine Dickköpfigkeit und seine Wutausbrüche können ihn manchmal zum Verhängnis werden, aber dann ist er wieder so fürsorglich und einfühlsam, sodass man fast glauben könnte, er wäre eine völlig andere Person. Unterschiedlicher geht es kaum noch und doch liebe ich ihn dafür. So stimmt der Spruch, der besagt: Beurteile ein Buch nie nach seinem Einband. Es steckt einfach mehr dahinter und das gilt auch für meinen lieben Raphael. Allein mit dieser Geste macht er mir eine große Freude, obgleich er mich einfach nur an einem anderen Ort gebracht hat, aber es hat geholfen. Ich fühle mich leichter und genieße jeden Augenblick davon. Eine Weile stehen wir noch so da, bis ich aber meinen Blick zu ihn wende und mit meinen Händen an seinem Kopftuch ziehe, dessen Enden links und rechts an seinem Kopf herunterhängen. Wortlos versteht der große, grüne Kerl, was ich von ihm will und beugt sich dabei wortlos etwas runter, bis ich ihm einen sanften Kuss auf die Lippen drücke. Er wiederum erwidert dies und legt seine Arme dabei dichter um mich, während wir uns immer noch küssen. Es ist einfach so berauschend. An meinem ganzen Körper fühle ich dieses Prickeln auf meiner Haut. Es gleicht schon fast einer Gänsehaut, die aber einen romantischen Zweck erfüllt. Jede einzelne zarte Berührung von meinem Liebsten lässt eine Art angenehmen Schauer über meinen Rücken laufen, welcher für mich Freiheit und Geborgenheit in einem symbolisiert. Ich kann mir nicht erklären, warum ich das so empfinde und würde man das logisch betrachten, klingt es eher irrational und auch ironisch. Es ist einfach ein eigenes Gefühl, das kaum zu beschreiben ist und doch ist es etwas, was ich niemals mehr missen möchte, egal was auch noch kommen mag. In meinem ganzen Leben war ich noch nie so glücklich wie jetzt. In seiner Nähe bin ich nicht mehr allein. Raphael ist einfach wie ein Fels in der Brandung, der nicht so leicht nachgibt und sich auch nicht scheut, seine Meinung zu sagen. Auch wenn das manchmal in die falsche Richtung gehen kann, aber er hatte schon von Anfang an etwas an sich, was mein Vertrauen zu ihm nur bestärkt hat. Wenn ich so zurückdenke, fühlte ich das bereits, bevor ich auch nur wusste wer und was er war. Allein seine Stimme, die ich aus diesem Schatten wahrnahm, war ganz anders. Sie klang damals so stark, als könnte man ihn ohne Bedenken vertrauen, weil er es ehrlich mit einem meint. Könnte ich meinem damaligen „Ich“ mitteilen, dass sich aus diesem „blinden“ Vertrauen etwas entwickeln würde, was mehr in die Tiefe geht, so würde sie mir es niemals glauben. Allein schon die Tatsache, dass die Liebe für mich nichts weiter war, die man höchstens in der eigenen Familie wahrlich fühlen kann, spricht schon für sich und doch wurde ich eines Besseren belehrt. Ich habe es geschafft, zu jemandem eine Bindung aufzubauen, der mich so liebt, wie ich nun mal bin. Früher hätte ich es nicht mal für möglich gehalten, dass sowas wirklich funktionieren würde. Ich bin und war noch nie ein Mauerblümchen. Ich konnte schon damals mit den Jungs quatschen, ohne dabei schüchtern zu werden, oder gar rot anzulaufen und das war noch so, als meine Welt noch in Ordnung war. Bei meinen damaligen Freundinnen war es nicht selten der Fall, dass selbst das ein Thema bei unseren Gesprächen war. Wir malten uns aus, wie es wohl wäre, würde eine von uns einen festen Freund haben. Jetzt weiß ich es, wie es ist und es ist einfach nur schön. Ich möchte es mir gar nicht anders vorstellen. Allerdings habe ich mir gerade selbst wieder ein Bein gestellt. Ich habe an diese Schlampen gedacht, die sich für viele Jahre als meine Freundinnen ausgegeben haben und nun, wo ich gerade noch so glücklich gewesen bin, kann ich dieses verdammte Bild nicht mehr aus meinen Kopf verbannen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich sie. Alle zusammen, selbst die Jungs, stehen nun als Gruppe vor mir. Wie sie lachen und fröhlich sind und es ist noch nicht einmal lange her, da war ich noch ein Teil von ihnen. Damals glaubte ich, wir wären ein zusammengeschweißtes Band, was niemand zerstören könnte. Doch wo stehe ich jetzt? Allein haben sie mich gelassen, lachen gehässig über mich und tun sogar so, als hätte es mich in dieser Clique nie gegeben. Als wäre ich ein Eindringling, welche alles und jeden zerstört, würde man sich mit mir abgeben. Allein dieses Gefühl schnürt meine Kehle zu und ich wünschte mir, ich hätte meine Gedanken niemals darauf gelenkt. Doch nun ist es zu spät. Die Schule, meine Probleme, alles erwacht wieder in mir. Ich kann nicht anders, als daran zu denken. So sehr ich mir auch wünsche, es einfach aus meinem Gedächtnis verbannen zu können. Warum kann es nicht einfach schön bleiben, wenn ich mich mal gut fühle? Warum muss mir sowas überhaupt wiederfahren? Am liebsten wäre es mir, ich könnte Raphael an meiner Seite haben, wenn ich dieses verfluchte Gebäude wieder betrete. Nur in diesem Fall wäre es mir lieber, mein Liebster wäre ein Mensch und kein Mutant. Dann könnte er mich begleiten und mir helfen, das Ganze besser zu überstehen. Doch Tagsüber bin ich allein. Er kann nicht bei mir sein, so sehr ich mir das auch wünschen würde. Dabei würde ich mich in seiner Nähe wohler fühlen. Egal ob ich mich dabei durch dieses Irrenhaus durchschlagen müsste, oder ob ich eine direkte Konfrontation mit dieser Bitch ertragen müsste. Ich wäre nicht allein und vielleicht wäre manches sogar anders. Wer weiß, vielleicht wäre ich für andere dann nicht so eine große Zielscheibe. Warum denke ich das nur? Klar wäre das super, aber ich kann doch meinen Freund nicht einfach als „Bodyguard“ abstempeln. Für mich ist er weit mehr, als nur ein Fels in der Brandung, der „nur“ gebraucht wird, sollte man seine „Dienste“ beanspruchen. Ich fühle mich schlecht und komme mir sogar egoistisch vor. Da zeigt mir mein Freund, wie sehr er mich liebt und dass er zu mir steht und dann kommt mir sowas in den Sinn. Ich schäme mich einfach für diese Gedanken. Das Einzige, was ich zum Glück nicht getan habe, ist, dass ich das auch noch laut ausgesprochen habe. Denn dann würde ich erst recht in den Boden versinken. Ich kann Raphael schließlich nicht meine Probleme aufbürden. Er hat ja mit der Sache überhaupt nicht zu tun. Im Grunde geht es nur mich und Lucinda etwas an. Auch wenn sie immer ihre Gefolgsleute um sich geschart hat und ich stets alleine vor dem Haufen Ignoranten stehe. Ohne, dass es mir wirklich bewusst gewesen ist, habe ich mich, während ich so sehr in meine Gedanken versunken war, von seiner Umarmung gelöst. Anstatt diesen Frieden in mir aufrecht zu erhalten, habe ich es geschafft, dass mich wieder Angst, Wut und diese Kälte an mir emporkriechen. Dass Raphael mir eigentlich vorhin eine Freude gemacht hat, ist bereits wieder in den Hintergrund verschwunden. Allerdings kann ich nicht mehr lange über meine missliche Lage nachgrübeln. Denn ein schwerer Seufzer von meinem Freund holt mich wieder heraus und lässt mich zu ihm raufsehen. „Denkst du gerade wieder an die Schule?“, fragt er mich wenige Sekunden später und seine Stimme hat dabei solch einen besorgten Unterton. Als kenne er bereits in die Antwort. Am liebsten hätte ich darauf erwidert, dass alles in Ordnung sei und das hätte ich auch noch mit einem Lächeln untermalt. Allerdings ist nichts in Ordnung und ich kann es ihm auch nicht vormachen. Nicht nur, dass ich ohnehin keine Kraft mehr für dieses Schauspiel hätte, ich will ihn einfach nicht anlügen. „Ja, tut mir leid, dass ich die Stimmung vermiese, aber ich kann das nicht einfach so vergessen.“, entschuldige ich mich und verschränke dabei beschämt die Arme. Ich kann ihn dabei nicht einmal in die Augen. Es ist einfach zu viel passiert und es macht mir Angst. Mit dem „normalen“ Mobbing bin ich bis jetzt auch irgendwie klargekommen. Irgendwie habe ich mich zurechtgefunden, auch wenn es Tage gab, an denen ich mich gerne verkrochen hätte. Doch je mehr Zeit verstrich, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich das langsam nicht mehr aushalten werde und diese Drohungen belasten mich ebenfalls. Dieses Gefühl, von allen anderen isoliert zu sein und niemanden in der Schule zu haben, der einem genau in solch einer Situation unterstützt oder zumindest zuhört, macht mich langsam krank. In Grunde weiß ich, dass ich mich damit nicht alleine durschlagen muss. Ich habe immerhin Raphael und seine Familie, die mir den Rücken stärken, aber in der High-School selbst bin ich auf mich selbst gestellt. Da ist niemand, der zumindest hinter mir steht und mir unter die Arme greift. Ich weiß nicht, was mir heute mehr Angst gemacht hat. Der aufgebrochene Spind, oder die Tatsache, dass weder die Lehrer, noch der Direktor selbst einen Kehricht für mich scheren. Dabei komme ich mir vor wie der letzte Dreck und hätte ich Raphael nicht, so wäre ich irgendwann mal nicht aus meinem Zimmer gekommen. Vielleicht hätte ich sogar mehr gemacht. „Komm, jetzt lach mal wieder. So kenne ich dich ja gar nicht.“, meint er auf einmal. Vermutlich war ich jetzt wieder zu sehr in meinen Gedanken vertieft, sodass ich gar nicht mitbekommen habe, wie sehr mein Freund mich besorgt angesehen hat. Ihm scheint jetzt auch der Trübsal allmählich auf die Nerven zu gehen, denn schon nimmt er mich bei den Schultern und fordert mich auf, nicht mehr daran zu denken. Es ist aber leichter gesagt als getan. Das kann man nicht einfach so vergessen, doch er erwidert nur darauf: „Dann sehen wir mal zu, ob wir das nicht irgendwie ändern können.“ Verwirrt schaue ich ihn an. Wie meint er das und was hat er jetzt schon wieder vor? Doch ehe ich etwas sagen kann, liege ich schon wieder in seinen Armen und wir verlassen die Burg. Geschickt springt er hinunter und landet sicher auf seinen Füßen. Wie macht er das immer? Allein schon der Höhe wegen hätte ich mich persönlich nie getraut, aber ihm sieht das so einfach aus, als würde er nicht groß darüber nachdenken. Ich weiß, dass Raphael dafür ausgebildet ist und sogar mehr draufhat, als was ich bis jetzt bei ihm sehen konnte und trotzdem ist es für mich immer wieder erstaunlich, was er so kann. Nachdem wir unten angelangt sind, setzt er mich überraschender Weise nicht wieder ab, sondern läuft mit mir weiter, als wenn der Teufel hinter ihm her wäre. „Raphael, wo willst du mit mir hin?“, frage ich ihn verwirrt, doch er murmelt nur irgendetwas vor sich hin, was ich überhaupt nicht verstehen kann. Also manchmal ist mir der Kerl echt ein Rätsel und meine Fragen lösen sich auch nicht auf, als er endlich stehen bleibt. Ich schaue mich um und merke, dass wir uns in mitten eines offenen Theaters befinden. Vermutlich ist es das Delacorte Theater. Es hat auf jeden Fall einen griechischen Scharm und ist auch demnach für Auftritte im Freien konstruiert worden. Ich verstehe aber nur nicht, was wir hier sollen. Zuerst die Burg und dann ein Theater, will er etwa mit mir sämtliche Sehenswürdigkeiten durchgehen, damit ich mal meinen Kopf freibekomme? Kaum, dass ich mich das gefragt habe, geht mein Freund nun näher auf die Bühne zu und setzt mich auch dort ab. Gleich darauf macht er eine Kehrtwende, marschiert einfach auf die andere Seite und macht es sich in der ersten Reihe der Sitze bequem. Stumm schaut zu mir und ich frage mich, was er jetzt von mir will und warum wir hier sind. „Raphael, was soll das? Was machen wir hier und was soll ich bitte auf der Bühne?“, will ich von ihm wissen und wäre am liebsten sogar schon von der Plattform wieder heruntergesprungen, als Raphael mich etwas energisch aufhält und meint: „Hey, jetzt bleib doch. Es hat schon alles seinen Sinn.“ „Und welchen bitte? Ich komm mir hier vor, wie der Depp von Dienst. Kannst du mich mal bitte aufklären, was ich hier oben soll?“, erwidere ich und werde allmählich sauer. Ich komme mir momentan einfach nur bescheuert vor, während er dort dahockt und mich beobachtet, aber nach kurzer Zeit erfahre ich den Grund dafür: „Kannst du es dir nicht denken? Du sollst deinen Frust rauslassen und das genau hier und jetzt.“ „Bitte was?! Das kann doch nicht dein Ernst sein und was soll ich außerdem deiner Meinung nach jetzt tun, vielleicht schreien oder was?“, kommt es schon sarkastisch aus meinen Mund, aber im Gegensatz zu meiner Erwartung, nickt er darauf. Verwirrt und skeptisch zugleich schaue ich ihn einfach nur an. Das kann er doch jetzt nicht wirklich von mir erwarten, das ist doch sinnlos! Nicht nur das, ich kann doch nicht einfach mitten im Central Park schreien. „Und da sagt noch einer, ich wäre stur. … Komm schon Bernadette, lass alles raus und vergiss einmal, was du sollst und was nicht. Hier ist kein Mensch da, den das stören könnte oder auch nur auffallen würde. Wir sind Kilometerweit von denen entfernt und nachts treibt sich ohnehin keine Sau durch diese Gegend. Also schrei dir einfach mal deinen Frust aus deiner Seele. Glaub mir, du wirst dich danach besser fühlen.“, nörgelt er schließlich, versucht mir aber damit einen Ruck zu geben. Ich seufze und schüttle genervt den Kopf. Ich sehe einfach nicht ein, was das bezwecken soll. Mir geht es scheiße, na und? Da hilft auch kein Schreien, auch wenn sich mein Freund das einbildet. Raphael wird allerdings nicht eher Ruhe geben, bis ich es einfach gemacht habe. Irgendwie komme ich mir komisch vor und mein Verstand, oder wohl eher meine Vernunft schimpft in mir die ganze Zeit, dass das vollkommen schwachsinnig ist. Raphael durchbohrt mich aber schon fast mit seinem Blick, weswegen ich noch kurz die Augen rolle und schließlich doch tief Luft hole. Was man nicht alles machen muss! Kaum dass sich genug Sauerstoff in meine Lungenflügel angesammelt hat, kneife ich meine Augen fest zusammen und schreie so laut ich nur kann. Es ist für mich fast schon ohrenbetäubend, wie schrill meine Stimme sein kann. Wie muss es sich dann für jemand anderes anhören? Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder, der das hört, glaubt, ich würde in massiven Schwierigkeiten stecken. Wobei das gar nicht einmal so weit hergeholt wäre, wenn man das von der Schule her betrachten würde. So presse ich meinen Schrei so sehr aus mir heraus, sodass ich glaube, ich könnte in jeden Augenblick zerspringen. Mein gesamter Körper bebt, während meine Hände zu Fäusten geballt sind und meine Stimmbänder überstrapaziert werden. Doch zum Glück hält das Ganze nicht lange an und sämtliche Luft ist aus meinem Körper gedrungen. Keuchend atme ich mehrere Male tief durch und schaue dann wieder zu Raphael, der in der Zwischenzeit seine Hände gegen seinen Kopf gedrückt hat, ehe er wieder aufsteht und schließlich mit einigen Schritten auf mich zugeht. „Na, war das so schlimm?“, fragt er mich, während ich immer noch mit Durchatmen beschäftigt bin. Als ich daraufhin den Kopf schüttle, will er schon von mir wissen, wie ich mich jetzt fühle. Überlegend horche ich mich hinein und seltsamer Weise habe ich den Eindruck, dass es mir jetzt etwas besser geht. Der Druck in mir hat etwas nachgelassen und ich fühle mich etwas freier und sogar leichter. „Ich glaube … besser.“, antworte ich ihm, bin aber immer noch irritiert. So ganz kann ich immer noch nicht nachvollziehen, was das sollte und warum ich mich jetzt so seltsam fühle. Raphael dagegen ist zufrieden. Schmunzelnd nimmt er mich schließlich in seine Arme, hebt mich dabei etwas hoch und wirbelt mich kurz in der Luft. Vermutlich will er diesen „Sieg“ mit mir feiern, auch wenn mir noch nicht so wirklich danach ist. Dafür bin ich einfach viel zu sehr kaputt. Raphael aber amüsiert sich und dreht weiter seine Kreise mit mir. Doch plötzlich scheint er kurz eine falsche Bewegung gemacht zu haben, denn schon stolpert er über seine eigenen Füße und kippt mir gemeinsam nach hinten. So schnell haben wir beide nicht schauen können und schon landen wir auf dem harten Betonboden. Wobei hauptsächlich Raphael, mit dem Panzer voraus, nach hinten geknallt ist, während ich nun auf seinem Bauch liege und ihn zunächst überrascht und leicht geschockt anstarre. „Alles ok?“, fragt er mich schon leicht hysterisch, doch ich fange einfach an zu lachen. Sein verdutztes Gesicht ist einfach zu komisch und ich kann mich einfach nicht halten. Ich muss einfach lachen und ich werde dabei immer lauter, weil mein Freund auch noch weiterhin diese „Grimasse“ zieht und zu seinem Pech überhaupt nicht rafft, was in mich gefahren ist. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was ihm gerade durch den Kopf geht, aber mein Lachen scheint ansteckend zu sein. Denn nun stimmt er auch mit ein. Als wäre das geplant gewesen und das war es mit Sicherheit nicht. Trotzdem, ich genieße es in vollen Zügen. Allein dieses befreiende Gefühl, was ich mit Raphael erleben darf, ist einfach herrlich und ich danke dem Herrgott, dass er mir diesen albernen Kerl geschickt hat. Was würde ich nur ohne ihn machen? Vermutlich wäre ich schon lange in Selbstmitleid versunken und hätte niemals die Liebe meines Lebens erfahren dürfen. Ich wäre weiterhin stumm meinen Weg gegangen und vielleicht wäre ich sogar davon abgekommen. Umso mehr bin ich dafür dankbar, dass ich Raphael habe und ich hoffe, er weiß das auch. Allmählich beruhigen wir uns beide wieder. Unser Lachen wird immer mehr zu einem Kichern, bis es schließlich ganz verstummt und wir uns einfach nur grinsend ansehen. Noch immer liegen wir so da, wie wir gefallen sind, aber nach weiteren gefühlten Minuten, scheint es meinen Freund nun allmählich zu reichen. „Wollen wir nicht mal langsam aufstehen? Der Boden ist nicht gerade angenehm.“, schlägt er mir vor, doch ich so schnell lasse ich ihn nicht mehr wiederaufrichten. Grinsend schüttle nur leicht den Kopf und drücke sogleich meinen Zeigefinger auf seine Lippen, weil er darauf was erwidern will. „So leicht kommst du mir nicht davon.“, flüstere ich kichernd und leicht verführerisch, bis ich dann meinen Finger wieder wegnehme und ihn zärtlich küsse. Kapitel 28: Eine schöne Zeit im Park ------------------------------------ Aus Raphaels Sicht: Zärtlich spüre ich ihre Lippen auf meine. Leicht kitzelnd und doch mit einem verführerischen Druck scheinen sie sich miteinander verschmelzen zu wollen. Ich fühle in mir, wie dieses berauschende Gefühl anwächst und allmählich die Oberhand über meinen Körper übernimmt. Mein Verstand sagt mir, dass es nicht gerade der richtige Augenblick für das Alles wäre. Immerhin wirkt es fast so, als wenn ich Bernadettes Not irgendwie ausnutzen würde. Dabei habe ich sie eigentlich nur dazu gebracht, mal ihre Probleme für einen Moment zu vergessen und den Druck in ihr herauszuschreien. Sie hat das mehr als nur bitter nötig gehabt. Allein schon wie ich sie am Belvedere Castle erlebt habe, wie sie mit sich selbst rang und versuchte, das Geschehene zu vergessen, wollte ich einfach nicht mehr lange dastehen und nichts tun. Sie so zu sehen, nagte an mir und ich erkannte einfach keinen Sinn mehr daran, das Ganze „unter dem Teppich zu kehren“, oder gar zu „beschönigen“. Es musste raus und wenn, dann mit Nachdruck. Sodass Bernadette selbst fühlen musste, wie es ist, einmal so richtig alles aus sich herauszuschreien. Genau dieser Gedanke brachte mich auf diese Idee. Warum sollte dies nicht auch wortwörtlich genommen werden? Jeder andere schwammige Einfall hätte Bernadette nur noch tiefer in den Sumpf der Traurigkeit und des Selbstzweifels befördert und wenn sie glaubt, dass ich das zulasse, dann irrt sie sich! Sie ist stark, das weiß ich. Allein schon, was sie bisher geschafft hat, ist eine Wahnsinnsleistung und trotzdem sieht sie es nicht mehr. Nur weil keiner mal die Glubscher aufmachen und hinter der Fassade dieser Intrige blicken will. Allein der Gedanke an ihrer Familie führt schon zu Kopfschmerzen. Dabei kann ich mir nicht vorstellen, dass sie tatsächlich so „schlimm“ ist, wie es den Anschein hat. Viel mehr sind Bernadettes Verwandten zu sehr mit sich und ihren eigenen Problemen beschäftigt, als dass sie überhaupt mal etwas mitkriegen würden. Dabei sollten sie das und wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich denen das auch mal verklickern und das höchst persönlich! Da es mir nun mal nicht möglich ist, muss ich nun auf anderen Wegen meiner Freundin zeigen, dass sie das nicht alleine durchstehen muss und dass sie aufhören soll, sich komplett zu verkriechen. Erstens passt es mal schon gar nicht zu ihr und zweitens wird diese Schlampe namens Lucinda irgendwann mal die Retourkutsche zu spüren bekommen. Da werden wir ja sehen, ob die dann immer noch so große Töne spucken kann, oder ob sie doch mal von ihrem hohen Ross herunterkracht. Ob sie dann aber mal zur Besinnung kommt und mal nachdenkt, was sie da überhaupt angerichtet hat, wage ich stark zu bezweifeln. Die hat doch so viel Ehrgefühl und Verstand, wie ein anderer Dreck unter dem Fingernagel. Dass Bernadette und ich nun auf dem Boden liegen und unseren Gefühlen hingeben, hatte ich nach meinem erfolgreichen Plan nicht bedacht. Ich weiß nicht einmal, was ich mir im Nachhinein vorgestellt hätte. Soweit ging mein Plan im Grunde nicht. Viel mehr war es mir wichtig, mein Mädchen wieder lachen zu sehen und ich habe es auch geschafft. Bernadette strahlt wieder übers ganze Gesicht und sie küsst mich, als gäbe es kein Morgen mehr. Wäre da nur nicht gerade mein Kopf im Weg, welcher diesen schönen Moment zu zerstören droht. Mein Herz sagt mir ständig, dass ich es einfach zulassen soll. Es ist ja nicht gerade so, als wolle Bernadette es nicht, also warum schaltet sich mein Verstand ausgerechnet jetzt ein, wo ich ihn am wenigsten gebrauchen kann? Ich will nur sie und trotzdem zwingt mich etwas mich zu zügeln. Als wäre es falsch. Ach was, scheiß drauf! Ich will mich nicht mehr zurückhalten. Sie will es doch auch. Wieso mache ich mir also solch einen Stress, wenn er doch nur unbegründet ist? Es ist ja nicht so, als hätte sie nicht jederzeit von mir runtergehen können. Zumal auch sie damit angefangen hat, unsere momentane Lage für sich auszukosten. Da steige ich nur allzu gerne mit ein. So strecke ich meine Hände nach Bernadette aus. Während ich mit der Einen um ihren zarten Rücken fasse, greife ich mit der Anderen um ihre Hüfte. Meine Liebste hat derweil ihre Hände auf meine Brust gelegt. Durch dass ich sie aber nun dichter an mich drücke, rutscht sie mit ihnen nun zu meinen Schultern. Doch irgendwie ist es für mich auf der Rückenposition etwas unangenehm und das wird vermutlich an den harten Betonboden liegen. Auch wenn mein Panzer mich schützt, ist meine derzeitige Lage einfach nicht sehr bequem, weswegen ich mich vorsichtig zur Seite rolle und dabei stets darauf achte Bernadette nicht fallen zu lassen. Nun liegen wir beide auf dem Boden, wobei Bernadette nun ihren Kopf auf meinen ausgestreckten Arm gelegt hat, nachdem unsere Lippen sich wieder voneinander gelöst haben. Verführerisch schaut sie mich nun mit halboffenen Augen an, während sie immer noch ruhig daliegt. Wie ein Engel sieht sie aus. Es fehlen eigentlich nur noch die Flügel, aber die braucht sie nicht. Schließlich ist sie bei mir und ich will sie einfach nur näher bei mir haben. Mit meiner freien Hand gleite ich nun um ihren Körper und schiebe sie etwas dichter zu mir, woraufhin sie auf einmal ein wenig kichert. Ist sie etwa dort kitzlig? Bis jetzt ist mir das noch nie aufgefallen und ich wusste bis dahin auch nichts davon. Da bin ich wohl nicht der Einzige, der voller Überraschungen ist. Bernadette hat anscheinend auch das eine oder andere Geheimnis, von dem ich noch nichts weiß und diese Tatsache macht die Situation umso reizvoller. Ich will sie einfach ergründen. Verspielt wandere ich nun mit den Fingern zärtlich an ihrem Körper entlang und ernte dafür wieder ein etwas zurückhaltendes Lachen. „Sind wir etwa kitzlig?“, frage ich sie flüstern und grinse dabei schelmisch. „Wer weiß? Vielleicht ein wenig.“, bekomme ich in derselben Lautstärke von ihr als Antwort zu hören, sowie auch ein keckes Schmunzeln. Während nun meine Hand auf ihrem Körper ruht, ist sie nun diejenige, die mit den Fingern weitermacht. Doch sie gleitet damit an meiner Brust entlang, bis sie nun an mein Gesicht angekommen ist und sanft über meine Narbe streicht, die eine Seite meiner Oberlippe ziert. Eigentlich warte ich nun darauf, dass sie mich darauf anspricht. Denn sie betrachtet es nachdenklich. Bis jetzt hat sie nämlich nie ein Wort über meine Narbe verloren und mich auch nicht mal danach gefragt. Am Anfang war mir das nie so bewusst gewesen, doch seitdem ich mit ihr zusammen bin und wir nun viel öfters Körperkontakt haben, dachte ich, sie würde es eines Tages tun. Auch jetzt wäre wieder so ein Moment da, an dem sie mich einfach fragen könnte und doch sagt sie nichts. Vielleicht ist es ihr auch egal. Immerhin gehört das nun mal zum Kämpfen dazu. Meine Brüder und ich haben allesamt Schrammen von irgendwelchen Abenteuern davongetragen und eigentlich ist dieses Thema auch nicht mal so wichtig. Was zählt, ist, dass Bernadette und ich zusammen sind. Alles andere ist mir so was von schnuppe. Nun gleitet sie mit ihrer Hand an meiner Wange entlang. Ich fühle förmlich die Wärme, die daraus ausgeht und auch wie dieses prickelnde Gefühl tief in mir wieder stärker wird. Ich genieße förmlich ihre zärtliche Art und schließe für einen Moment die Augen. Es ist einfach so berauschend und meiner Meinung nach könnte es ewig so weitergehen. In meinen ganzen Leben hätte ich es nie für möglich gehalten körperlich jemanden so nah zu sein, dass es einem auch die Sinne vernebelt. Stets war mir nur Kämpfen oder grobe Gewalt wichtig. Es gibt mir nun mal Kraft und ich liebes einfach, jemandem zu verdreschen. Jegliche Zärtlichkeit war für mich früher einfach nur sinnlos und teilweise sogar ein Fremdwort. Doch jetzt sehe ich das anders und ich genieße es in vollen Zügen. Bewusst atme ich nun tief durch und halte mein Gesicht ihrer Hand entgegen. Besonders, wenn ich meine Lider geschlossen halte, habe ich den Eindruck, als wenn ich dieses prickelnde Gefühl so deutlicher spüren könnte. Umso schöner ist es dann wieder, wenn ich meine Liebste wiederansehe und mir klar wird, dass das eben kein Traum gewesen ist. So ist es auch jetzt wieder, als ich schließlich meine Augen wieder öffne und in die wunderschönen graugrünen Augen sehe. Wie helle Smaragde schimmern diese und ich könnte mich darin verlieren. „Ich liebe dich.“, flüstert Bernadette nun mit einem lieblichen Lächeln und kuschelt sich dichter an mich. Liebevoll küsse ich sie zart auf der Stirn und entgegne ihr, dass ich sie ebenfalls liebe. Ich weiß nicht wie lange wir schon so dagelegen haben, aber irgendwann scheinen wir beide schon etwas steif von unserer Position zu sein, weswegen wir uns allmählich wieder aufrappeln. Aus Bernadettes Sicht: „Irgendwie fühle ich mich jetzt ein bisschen steif.“, muss ich Raphael gestehen, nachdem ich mich etwas gestreckt habe. Doch er schmunzelt darüber, meint aber dann: „Mir geht es nicht viel anders, aber du hast zumindest keinen „harten Rucksack“ bei dir, den du ständig tragen müsstest.“ Dabei knackt er etwas mit seinen Gelenken, was hauptsächlich seinen Nacken und seine Handgelenke betrifft. Er hat es wohl nicht immer leicht, was seinen Panzer angeht. Was aber nicht heißen soll, dass ihm das Ding nicht schon das eine oder andere Mal den Arsch gerettet, beziehungsweise nützlich gewesen ist. Ob er vielleicht damit sogar kugelsicher ist? Irgendwie kann ich es mir nicht so richtig vorstellen, aber weiß, was noch so alles in ihm steckt. Raphael ist ja immerhin gut darin, mich zu überraschen und das hat er auch heute wieder geschafft, sogar zweimal. Lächelnd blicke zum Himmel empor. Es ist immer noch finstere Nacht und ich denke auch gar nicht daran, es für heute gut sein zu lassen. Ich möchte auch jetzt noch die Zeit mit ihm verbringen. Wäre da nicht dieses steife Gefühl in meinem Nacken, so wäre ich noch gerne mit ihm liegen geblieben und hätte ihn dort unten noch weiter liebkost. Stattdessen reibe ich nun meiner rechten Hand gegen meinen Hals, als Raphael nun an meine Seite tritt und vorsichtig diese Stelle zu massieren beginnt. Zärtlich drückt er mit zwei Fingern dagegen, während ich mich wohlwollend an ihm angelehnt habe und es einfach genieße. „Deine Hände sind anscheinend nicht nur fürs Raufen gut.“, murmle ich vor mich hin, während mir nun eine angenehme Gänsehaut dem Rücken emporsteigt. Er erwidert nur ein „Ich weiß.“ und küsst schließlich die Stelle, die er gerade so schön massiert hat. „Hättest ruhig weitermachen können.“, gestehe ich ihm und tue dabei so, als würde ich schmollen. Raphael aber lacht nur und versichert mir: „Glaub mir, dass ist bestimmt nicht das letzte Mal gewesen.“ Mit diesen Worten dreht er mich zu sich, beugt sich zur mir runter und küsst mir nun auf dem Mund. „Es ist einfach schön mit dir.“, sage ich schließlich mit einer sanften Stimme zu ihm, nachdem sich unsere Gesichter wieder voneinander gelöst haben. Er wiederum meint, dass die Nacht noch jung wäre und dass wir unsere gemeinsame Zeit auskosten sollten. Genau dasselbe habe ich mir auch gedacht und gerade weil wir beide uns in diesem riesigen Park befinden, würde ich dies nur allzu gern hier ausnutzen. So schlage ich etwas vor, was mir gerade in den Sinn gekommen ist: „Wenn wir schon mal hier sind, was hältst du davon, wenn wir einen kleinen Spaziergang machen?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, hake mich schon zu seiner Rechten ein. Er wiederum nickt einfach zustimmend. Wobei ich einfach glaube, dass es ihm ohnehin egal ist. Denn solange wir gemeinsam unterwegs sind, ist ihm zur großen Wahrscheinlichkeit alles recht und so schlendern wir in einem gemütlichen Tempo durch den Central Park. Uns beiden ist es dabei völlig gleich, welchen Weg wir einschlagen. Wir gehen einfach darauf los und nehmen ohne lange zu überlegen eine von den vielen Möglichkeiten, die uns gerade geboten wird. Durch dass wir den Park ganz für uns allein haben, werden wir weder gestört, noch könnte uns irgendetwas diesen Moment vermiesen. So folgen wir den ersten Pfad, der uns gerade sympathisch erscheint. Dieser führt uns durch einen Teil des Parks, der rundherum mit Pflanzen überseht ist. Verschiedene Blumen und Büsche, sowie Bäume und Sträucher bilden eine Art Labyrinth und der Weg an sich ist gekrümmt und verläuft in langen Kurven. An manchen Stellen erhebt sich eine leichte Steigung, die zu hügeligen Teilen des Parks hinweist. Steinerne Stufen führen zu dem gepflasterten Weg hinauf und auch hinab und gemeinsam mit den hölzernen Brücken bilden sie wieder neue Pfade. Als würde es niemals aufhören wollen, um etwas Neues zu entdecken. Eine Weile gehen Raphael und ich weiter. Meinen Kopf an seinem Arm gelegt, kuschle ich mich dicht an ihm. Es ist einfach schön und am liebsten wäre es mir, wenn die Nacht niemals enden würde. Mir ist jedoch bewusst, dass dieser Wunsch niemals in Erfüllung gehen wird, weswegen ich den Augenblick umso mehr genießen möchte. Nachdem wir eine Strecke hinter uns gelegt haben, setzen wir uns auf eine Bank. Rund um uns herum gibt es nichts außer Pflanzen und Gestein und niemand ist da, der diesen Augenblick stören könnte. Wir sehen uns an und in diesem Augenblick scheinen wir genau dasselbe zu denken. So beugt er sich zu mir hinunter, während ich mich im selben Tempo zu ihm emporstrecke. Als unsere Gesichter schon ganz nah sind, hält Raphael plötzlich inne. Als wenn ihm gerade etwas beunruhigen würde, so angespannt sieht er in diesem Augenblick zur Seite. „Was ist?“, frage ich ihn verwirrt, doch er deutet mir nur, dass er etwas gehört hat und ich daher auch leise sein soll. Weiterhin schaut er in die Richtung, aus der er etwas vernommen hat, während ich nun still versuche zu verstehen, was hier jetzt eigentlich abgeht. Was hat er denn gehört? Ich lausche und plötzlich höre ich ein Geräusch. Das muss es gewesen sein, was ihm so aufgeschreckt hat! Auch bei mir sind nun alle Sinne in Alarmbereitschaft, auch wenn mir vorhin nichts Besonderes aufgefallen war. Auch jetzt habe ich keine Ahnung, mit wem wir es nun zu tun haben könnte. Bei Nacht könnte es sich um alles Mögliche handeln. Von einem kleinen Eichhörnchen bis hin zu einem gefährlichen Schläger kann alles dabei sein. Doch, was machen wir jetzt? Am liebsten hätte ich ihn das schon in einem Flüsterton gefragt, aber Raphael erhebt sich nun langsam von der Bank, ohne dabei die Richtung, aus dem das Geräusch gekommen war, aus den Augen zu verlieren. Ich will schon aufstehen und Raphael folgen, aber er dreht sich kurz zu mir um und schüttelt ernst den Kopf. Das Geräusch wiederholt sich und es scheint sogar immer näher zu kommen. Je mehr ich hinhöre, desto mehr wird mir klar, dass es sich um Schritte handelt. Irgendwer streunt hier durch die Gegend. Gleichmäßig marschiert die unbekannte Person über den steinernen Boden und ich habe sogar den Eindruck, als würde diese in unsere Richtung kommen. Gespannt und mit einem fragenden Blick schaue ich zu meinem Liebsten. Er deutet mir nur mit seinen Händen, dass ich möglichst ruhig bleiben soll und springt schließlich auf dem nächsten Baum. Wo er noch gerade vor mir gestanden hat, ist er nun irgendwo in der Baumkrone verschwunden. Das Einzige, was hindeuten könnte, wo Raphael nun genau ist, ist das kurze Rascheln, was nun auch verstummt. Was hat er denn vor!? Doch bevor ich schon verstehen kann, was das werden soll, höre ich im selben Augenblick eine fremde Männerstimme, welche in die Dunkelheit ruft: „Hallo, ist da wer?“ Plötzlich erkenne ich zwischen den ganzen Pflanzen, wie eine kleine Lichtquelle hin und herschwingt. Wieder schaue ich in die Richtung, in der mein Freund verschwunden ist, aber dort regt sich nichts und von außen hin scheint es so, als wäre ich allein. Vermutlich will er sich jetzt vor dem Fremden verbergen und wartet nun zwischen den Ästen ab, bis der Kerl wieder verschwunden ist. Ein mulmiges Gefühl überkommt mich. So ganz geheuer ist mir das nicht und Raphael hätte mich ruhig mit sich auf dem Baum nehmen können, oder glaubt er, ich könnte mich nicht ruhig verhalten? Ich weiß zwar, dass ich nicht alleine hier bin und dass er rechtzeitig eingreifen würde, wäre es notwendig, aber anders wäre es mir trotzdem lieber gewesen. Stumm warte ich nun ab, was als Nächstes passiert, bis ich allmählich erkenne, wer da gerade auf mich zukommt. Ein dürrer und eher älterer Herr mit grauen Stoppeln am Kinn leuchtet mit seiner Taschenlampe umher. Obwohl die Laternen hier gerade noch genug Licht spenden, aber vermutlich handelt es sich um einen Parkwächter, der gerade seine Runden macht. Zumindest schreit seine Uniform förmlich danach, die ich gerade noch kann. Ich bleibe weiterhin noch auf der Parkbank sitzen und versuche mir nichts anmerken zu lassen, als der Mann mich nun entdeckt und seine Taschenlampe genau auf mich richtet. Mit meinen linken Arm versuche ich mich vor dem direkten Schein zu schützen und kneife dabei etwas die Augen zu. „Nanu? Haben wir etwa einen Mitternachtsbesucher? … Was machst du denn hier um diese Uhrzeit? Kinder wie du gehören ins Bett.“, fragt der Kerl etwas spöttisch, während er weiterhin die Taschenlampe auf mich gerichtet hält. Die Bezeichnung, ich sei noch ein Kind, gefällt mir überhaupt nicht und dementsprechend verziehe ich auch ein Gesicht. Schroff lasse ich mir von ihm nicht sagen, was ich zu und zu lassen habe: „Erstens bin ich kein Kind mehr und zweitens geht es Sie nichts an, was ich in der Nacht mache, oder wo ich meine Spaziergänge mache. Würden Sie jetzt endlich einmal die Taschenlampe weglegen, damit ich wieder was sehen kann? Das Ding tut in den Augen weh!“ Ich weiß, dass das nicht gerade höflich von mir gewesen ist, aber warum sollte ich auch vor jemanden wie ihm Respekt haben, wenn er mich doch glatt als Kind abstempelt. Bei sowas habe ich nun mal schnell beleidigt. Der Kerl aber lacht nur über meine nicht gerade diskrete Bemerkung und zielt glücklicherweise mit seiner Taschenlampe nun woanders hin. Die direkte Beleuchtung hat schon beinahe in den Augen gebrannt. Doch er verlangt schließlich von mir, dass ich mich gefälligst auf dem Weg nach Hause machen soll: „Nachts ist es gefährlich hier draußen. Da sollte ein Mädchen wie du nicht hier alleine herumlungern. Nicht dass du auch noch von einem Verrückten überfallen wirst. In dieser Stadt gibt es genug von dieser Sorte und ich muss es ja wissen. Schließlich begegnen mir als Parkwächter die seltsamsten Leute. … Also mach dich besser auf dem Heimweg, bevor deine Eltern noch eine Vermisstenanzeige wegen dir aufgeben müssen.“ Als wenn er nicht merkwürdig wäre. Am liebsten hätte ich diesen Gedanken laut ausgesprochen, aber ich lasse es lieber sein. Bevor er mir noch weiter auf dem Geist geht, gehe ich lieber. Zumal er ohnehin keinen blassen Schimmer hat, was merkwürdig wirklich bedeutet. Schließlich kenne ich einige, die wirklich nicht der Norm entsprechen und da meine ich meine Mutantenfreunde, von dem einer sogar irgendwo auf dem Baum hockt. Vermutlich beobachtet er alles, was hier unten passiert und das gibt mir sogar ein bisschen ein sicheres Gefühl. Denn sollte der Kerl auf falsche Gedanken kommen, so wird er dies schneller bereuen, bevor er auch nur um Hilfe schreien kann. Irgendwie ist es schon praktisch, einen Freund zu haben, der ein gut ausgebildeter Kämpfer ist und Fähigkeiten wie der eines Ninjas besitzt. Auch wenn ich ihn in diesem Augenblick lieber gerne direkt bei mir gehabt hätte. „Allein“ in einem Park zu sein sieht doch wirklich etwas merkwürdig aus und auf seine Weise hat der Parkwächter doch recht: Es gibt genug verrückte Menschen, von denen man sich besser in Acht nehmen sollte und da bietet gerade ein Park bei Nacht nicht gerade den besten Schutz. Im meinen Fall allerdings bin ich nicht allein. Das weiß der Kerl mit dem Stoppeln im Gesicht allerdings nicht, weswegen ich seiner „Bitte“ nachgehe. Ich habe mich schon von der Parkbank erhoben und will schon losmarschieren, als der Parkwächter auf einmal meint, er würde mich begleiten: „Damit dir nichts passiert, führe ich dich zum nächsten Ausgang.“ Skeptisch schaue ich ihn an und er scheint meinen Blick sofort verstanden zu haben. Denn schon lacht er, während er sich mit der freien Hand am Kopf kratzt: „Ach keine Sorge! Ich würde niemals auf solche Gedanken kommen. Immerhin bin ich hier, um nach dem Rechten zu sehen. Du kannst mir also in Ruhe vertrauen.“ Na das glaube ich erst, wenn ich es sehe. Etwas unsicher folge ich schließlich dem Mann in Uniform und Taschenlampe, welcher nun einige Schritte vorausgeht. Noch einmal schaue ich noch zurück um Raphael erspähen zu können. Jedoch ist er immer noch versteckt und länger kann ich hier nicht stehen bleiben, sonst würde der Parkwächter noch Verdacht schöpfen. Schleunigst eile ich ihm hinterher. Die Sache ist mir nicht so wirklich geheuer, weswegen ich aus Schutzreaktion meine Arme verschränke und etwas Abstand von ihm halte. Hoffentlich gelangen wir schnell zum nächsten Ausgang. Auch wenn der Kerl ein Parkwächter ist, traue ich ihm nicht. Eine Weile folgen wir dem Weg, bis ich schließlich von weitem das Tor sehe, die zur Straße führt. Schnell versuche ich den Kerl abzuwimmeln: „Gut, danke für Ihre Begleitung, aber den Rest schaffe ich schon alleine. … Ich wünsche Ihnen noch eine angenehme Nacht.“ Ohne auf eine Antwort seitens des Fremden abzuwarten, laufe ich einfach an ihm vorbei, bis ich mich nach dem Durchgang hinter der nächsten Mauer anlehne und erleichtert aufatme. Ich bin schon so oft in der Nacht unterwegs gewesen, aber noch nie war mir jemand so zu wider wie dieser Mann. Während des Weges spürte ich seinen Blick und er hatte auch etwas an seinen Augen, was mir gar nicht gefiel. Deswegen versuchte ich stets einen Abstand zu halten und holte sogar sicherheitshalber mein Handy aus der Hosentasche. Das wollte ich ihm als Warnung signalisieren und ich war sogar froh, dass ich das gemacht habe. Denn zuvor war er mir etwas zu nahe gewesen und ich glaubte auch kurz seine Hand an meinen Po gespürt zu haben, als er zwischendurch langsamer geworden ist. Doch als ich darauf reagierte zog er diese schnell zurück und tat so, als wenn nichts passiert wäre. Erst als ich das mit meinem Handy gemacht habe und etwas schneller ging, ließ er weitere solcher Aktionen bleiben. So bin ich froh, dass ich ihn wieder los bin und kann nun erleichtert aufatmen. Wo Raphael nun ist? Ich glaube kaum, dass er immer noch im Baum hockt, nachdem mich der Parkwächter „rausgeschmissen“ hat. Vermutlich ist er uns heimlich gefolgt und wartet schon irgendwo auf mich. Ich muss ihn suchen gehen. Nur wo fange ich an? Kaum, dass ich mich wieder von der Wand abgestoßen habe und mich schon umsehen will, taucht mein Freund wie aus dem Nichts vor mir auf. Ich kann mir gerade noch einen kurzen Schrei verkneifen. Verdammt, wie ich es hasse, wenn er mich so erschreckt! „Hey, ich bin´s.“, versucht mich zu beruhigen, blickt aber sicherheitshalbe um sich, um sicher zu gehen, dass ihn niemand sieht. „Mensch Raphael, mach das nie wieder! … Mir war schon dieser Kerl so unangenehm, da brauch ich sowas nicht auch noch!“, schimpfe ich. Ich versuche aber dabei nicht allzu laut zu sein, damit der Typ nicht wieder aufkreuzt. Wenn der mich hört, sieht er mit Sicherheit nach, was da los ist und auf dem habe ich momentan keinen Bock. Gerade in diesem Punkt scheinen Raphael und ich uns einig zu sein. Denn auch er war von diesem Kerl nicht gerade begeistert. Abgesehen davon, dass jener uns gestört hat, ist mein Freund ebenfalls nicht von ihm begeistert: „Das ist mir nicht entgangen. Ich habe nur darauf gewartet, dass er eine falsche Bewegung macht. Hätte ich es doch gemacht, als er deinen Arsch begrapscht hat. Ich ..!“ „Vielleicht war es auch besser so. Mir hat es war auch nicht gepasst, aber zumindest hat er mich danach in Ruhe gelassen. Ich glaube nicht, dass er wirklich ein Perverser ist, sonst hätte er es schon längst zu weit getrieben. Schließlich wusste er ja nicht, dass du uns gefolgt bist.“, meine ich und versuche Raphael dabei etwas zu beruhigen. Es ist immerhin nichts passiert und dafür bin ich auch dankbar. Raphael dagegen scheint immer noch auf 200 zu sein. Mit verschränkten Armen steht er da und lässt seine aufgestaute Wut freien Lauf: „Kommt gar nicht in Frage, dass ich dich mit DEM alleine lasse! Da hätte sonst noch was passieren können! … Der hat nur Glück, dass er nicht einer von diesen typischen Verbrechern ist, dann hätte ich ihn schon längst zusammengefaltet!“ „Nun komm wieder runter Raphael, lass uns einfach gehen, bevor er wiederauftaucht.“, schlage ich ihm schließlich kichernd vor und knuffe ihm dabei in den Arm. Bevor das Ganze noch ausartet, ziehe da mal sicherheitshalber einen Strich, worauf Raphael sich murrend einlässt. Kurz schnauft er, ehe er mich schließlich wieder hochhebt. Sein Gesicht aber verrät mir, dass er zu überlegen scheint. „Was ist?“, frage ich ihn, aber er schüttelt nur kurz den Kopf und meint: „Ach nichts weiter. Bevor wir hier noch Wurzel schlagen, was hältst du davon, wenn wir zu mir gehen?“ „Bist du krank?“, kommt es mir wie aus der Pistole geschossen, was den Mutanten aber nur verwirrt: „Wie kommst du denn darauf?“ „Na, weil du sonst nie willst, dass ich zu dir nach Hause komme. Normalerweise bist du mit mir lieber allein und das geht nun mal besser, wenn du bei mir daheim bist, oder wenn du mit mir durch die Gegend streifst.“, argumentiere ich und bin weiterhin verblüfft. Schließlich kann er schnell eifersüchtig werden, wenn sich seine Brüder um mich scharen. Dabei bräuchte er das nicht einmal. Der Einzige, für dem ich mich interessiere, ist nun mal er und daran wird sich nie etwas ändern. Auch wenn er sich manchmal aufführt, wie ein kleiner Junge, der sein geliebtes Spielzeug beschützen muss. Dass er aber diesen Vorschlag wirklich ernst meint, überrascht mich, aber ich willige ein. Erstens habe ich die Bande schon eine Weile nicht gesehen und zweitens wäre ich doch blöd, wenn ich ihm das ausreden würde. Also ist es beschlossene Sache und wir machen uns auf dem Weg in die Kanalisation. Kapitel 29: Was sollen wir tun? ------------------------------- Aus Erzählersicht: Gerade öffnet sich das Tor zum Versteck der Turtles. Die drei Brüder springen schnurstracks durch die Öffnung und landen sicher auf dem Boden der Kanalisation. Das Erste, was sie tun, ist, dass sie ihre Waffen an der Wandhalterung ablegen und sich dann ordentlich strecken. „Na, das war vielleicht eine Nacht.“, murmelt Leo vor sich hin, während er noch seine Arme von sich zieht und schließlich seine Gelenke zum Knacken bringt. Donnie muss ihn da zustimmen und zählt anschließend auf, was die drei so erlebt haben. Neben ein paar Kleinkriminellen, denen sie ordentlich die Suppe versalzen haben, haben sie es auch noch geschafft, einen perversen Typen daran zu hindern, dass er auf ein paar Teenager losgeht und zum Randalieren beginnt. Zufrieden über die heutige Leistung geben sich die Brüder ein High-Three und Mikey kann es einfach nicht lassen, dementsprechend zu jubeln. Doch diese tolle Stimmung hält nicht lange an. Denn schon wirft der Orangemaskierte in die Runde ein, dass das dem fehlenden Bruder ebenfalls Spaß gemacht hätte: „Mann, das war vielleicht ´ne Party! Und Raphi hat das beste wieder einmal verpasst!“ „Das stimmt, aber er braucht sich nicht beschweren, dass er nichts abbekommen hat. Immerhin hätte er ja mit uns durch die Gegend ziehen können.“, meint Leo dazu und klopft seinem Bruder auf die rechte Schulter. Für den Anführer ist es nichts Neues, dass Raphael wieder einmal darauf bestanden hat, sich wieder mit seiner Freundin zu treffen. Dadurch, dass er in letzter Zeit mit seinen Brüdern abgehangen hatte und auch seiner „Arbeit“ nachgegangen war, hatte der Blaumaskierte keine Einwände. Insgeheim gefällt ihm diese Veränderung immer noch nicht ganz. Nicht nur, dass die Patrouillen nun anders verlaufen als früher. Raphael nimmt sich nun immer mehr das Recht heraus, sein eigenes Ding durchzuziehen. Als Anführer dieses Brüderteams muss Leo nun neue Entscheidungen treffen, die alle betreffen. Jedoch versucht Leo dies als Herausforderung zu sehen, an dem nicht nur er, sondern alle in dieser Familie an Stärke gewinnen sollen. Solange alles glatt läuft und keine unnötigen Situationen auftauchen, so ist der Blaumaskierte gewillt, auf Raphael und seine Beziehung zu Bernadette einzugehen. Andernfalls müsste es sich was ändern, doch daran will er erst gar nicht denken. Seiner Meinung nach reicht es, wenn er dies tut, sollte es tatsächlich notwendig sein. Stattdessen widmet er sich den anderen beiden, die auch weiterhin über die heute Patrouille diskutieren. Über sich alle einige sind, ist, dass ohne dem vierten Bruder in der Runde einfach anders ist. „Ihr könnt sagen, was ihr wollt. Ohne Raphi ist es irgendwie nicht dasselbe. Allein seine Sprüche, die er doch so gerne von den Filmen abkupfert, gehen mir ab.“, meckert Mickey und verschränkt dabei seine Arme, um so seine Worte zu verdeutlichen. „Mag sein, aber du weißt auch, dass er zurzeit mit dem Kopf ganz woanders ist.“, wirft Donnie ein, woraufhin Mickey mit einer vorgetäuschten, „süßlichen“ Stimme erwidert: „Ja, ich weiß, unser Herzblatt schwebt auf Wolke 7.“ Während er das sagt, formt er mit seinen Händen ein Herz und positioniert diesen über seinen Kopf, was wohl die besagte Wolke symbolisieren soll. Leo und Donnie lachen. Wenn es um Scherze geht, ist Mickey eben der Beste, aber der Anführer besteht darauf, dass sein Bruder mit der orangen Maske es ja nicht übertreiben soll: „Sei froh, dass er nicht hier ist. Sonst müsstest du das mit ihm persönlich klären und da würde ich nicht gerne in deiner Haut stecken.“ Mickey allerdings lacht nur darauf. Immerhin ist dies keine besondere Neuigkeit. Dass Raphael ein Hitzkopf ist und demnach schnell an die Decke gehen kann, hat er schon oft genug bewiesen. Nicht selten spielte Mickey dabei eine Rolle und musste dies demnach ausbaden. Seit es aber offiziell ist, dass Bernadette und Raphael nun ein Paar sind, haben alle drei ihren Bruder zum Narren gehalten und manchmal sogar abwechselnd aufgezogen. Gerade bei dem Rotmaskierten ist es bis jetzt unvorstellbar gewesen, dass er jemals eine Freundin finden würde. Nicht nur, dass jener selbst behauptet hatte, dass sowas niemals stattfinden würde, er war nie ein Fan davon, wenn es um Romantik oder dergleichen ging. Jetzt aber, wo er nun Bernadette hat, ist er zu seinem Leidwesen oft das Gesprächsthema. Wird es ihm zu bunt, so lässt er seine Wut direkt an seine Brüder aus, kühlt sich aber danach schnell wieder ab. Er kann sogar wieder über Mickeys Späße lachen, solange der Bogen dabei nicht überspannt wurde. Anders war es ja, als er noch daraus eine Geheimniskrämerei gemacht hatte. Wie bei einem Vulkan staute sich sein ganzer Frust zusammen, bis eine Kleinigkeit genügte und ihm zum Ausbrechen brachte. Dass die Sache nun endlich raus ist, ist für alle Beteiligten das Beste, was passieren konnte. Jedoch hofft Leo, dass sein Bruder sich nicht all zu sehr von seiner Verantwortung als Beschützer von New York entzieht. Allein deswegen weiß der Blaumaskierte, dass es zu diesem Punkt noch einige Reibereien geben wird. Auch vor kurzen hat es diese Streitereien gegeben. Meistens endeten diese aber in einer offenen „Diskussion“, bei der man als Außenstehender nicht immer genau erkennen kann, wer gerade gewonnen hat. Leo ist es aber wichtig, dass er versucht Bernadette soweit es geht nicht zu erwähnen und dennoch kommen die beiden immer wieder auf dieses Thema. Es ist nun mal nicht zu leugnen, dass der Anführer sich immer noch Gedanken darübermacht, ob diese Beziehung wirklich gut gehen wird. Allein wegen der Familie und der Tatsache, dass es sich um einen Mutanten und ein Menschenmädchen handelt, die zueinandergefunden habe, ist die Sache seiner Meinung nach knifflig und er zweifelt sogar. Jedoch behält er dies noch für sich und außerdem will er den beiden eine Chance geben. Das, so denkt er, ist er ihnen schuldig. „Hey sagt mal Leute, glaubt ihr, dass Bernadette schon wieder auf den Beinen ist?“, wechselt Mikey auf einmal das Thema. Durch dass ihre Freundin krank war, musste sie ja zu Hause bleiben, weswegen Raphael, abgesehen von den letzten Nächten, viele Male bei ihr war. „Laut Raphi ist es ihr in letzter Zeit schon besser gegangen. Vermutlich war sie auch heute wieder in der Schule, aber das werden wir eh sehen, wenn die beiden endlich mal wieder hier aufkreuzen.“, schmunzelt Donnie, der sich genau vorstellen kann, wie sich sein Bruder um seine „Patientin“ gekümmert hat und er ist sich sicher, dass sie heute das Resultat sehen werden. Immerhin haben sie Raphael ständig danach ausgefragt, wie es ihr denn gehen würde und wann sie mal wieder hier vorbeischauen würde. Natürlich hat dies dem Rotmaskierten nicht immer gepasst, aber zumindest ist seine Laune besser, seitdem er und Bernadette nun offiziell zusammen sind. Davor war er für die drei einfach nur anstrengend und man wusste bei Raphael nie, wann er wieder einmal wie ein Vulkan explodieren würde. Dafür war einfach zu unberechenbar. Während Mikey und Donnie sich in ihrer Unterhaltung über die zwei Turteltauben amüsieren, ist Leo wieder in seinen Gedanken versunken. Dass es wieder einmal dasselbe Thema ist, ist unbestreitbar. Der Blaumaskierte weiß nicht warum, aber er hat einfach ständig das Gefühl, dass er wachsam sein muss. Für ihn ist diese Beziehung einfach etwas, mit dem er noch nicht wirklich klar kommt. In Gegensatz zu den anderen beiden, die das eher wie eine reale Filmkomödie auffassen, bleibt er skeptisch. Donnie geht nun wieder zu seinen Computern, um an seiner neuen Apparatur zu basteln. Mikey dagegen will sich schon wieder seinem Skateboard widmen und damit einige Runden drehen, als er Leos ernstes Gesicht wahrnimmt und erkennt, dass mit ihm irgendetwas ist. „Jo Leo, was verziehst du wieder für ein Gesicht? Ist alles klar bei dir Mann?“, fragt er den Blaumaskierten schon, worauf dieser aus seinen Gedanken gerissen wird. „Ähm … klar doch, es ist nichts. Ich war nur mit den Gedanken woanders.“, antwortet Leo gleich darauf, setzt ein Lächeln auf und schubst seinen Bruder etwas schelmisch gegen die Schulter. Mikey schaut ihn daraufhin etwas verwirrt an, zuckt aber dann mit den Achseln und denkt sich nichts weiter dabei. Immerhin weiß er, dass man Leo nicht immer verstehen kann. Seiner Meinung nach ist sein Bruder wie das Universum, welches immer neue Überraschungen bereithält. Als er diesen Satz einmal sogar laut ausgesprochen hatte, erwiderten die anderen nur darauf, dass Mikey wieder einmal zu viele Comics schmökern würde. Deswegen behält der Orangemaskierte diesen Gedanken auch diesmal für sich und schmunzelt einfach darüber. Er nimmt schließlich sein Skateboard und stellt es vor sich auf dem Boden. Als er schon damit losfahren will, merkt er gerade, wie Raphael mit einem ordentlichen Satz auf dem Boden landet. Doch er ist nicht allein gekommen. In seinen Armen hält er Bernadette, die er nun vorsichtig wieder absetzt. Aus Raphaels Sicht: Wie es natürlich zu erwarten war, stürmt Mikey gleich auf uns zu, kaum dass wir endlich angekommen sind. Auf seine stürmische Art und Weise begrüßt er sie und scheint nicht einmal mitzubekommen, dass ich auch noch da bin, aber ich schüttle nur unbekümmert mit dem Kopf, während ich ihm dabei zusehe, wie er Bernadette umarmt. „Jetzt lass sie los. Sie kriegt ja kaum noch Luft.“, melde ich mich nun dazwischen, da es mir langsam reicht. Er wird es wohl nie schaffen, mal einen Gang runterzuschalten, ohne dass ich ihn ständig darum „bitten“ muss. Etwas grimmig schaue ich ihn an und lasse dabei ein genervtes Stöhnen aus meiner Kehle gelangen. Doch Mikey lacht nur darüber: „Ach, die überlebt das schon. Wenn sie schon mit dir zurechtkommt, kann sie alles schaffen! … Hey Bernadette, soll ich dir mal was Cooles zeigen?“ Ohne auf eine Antwort meiner Freundin zu warten, nimmt er sie einfach bei der Hand und krallt sich auch sein Skateboard, mit dem er ihr ein paar Kunststücke zeigen will. Schon ist er mit ihr auf und davon und ich sehe zu, wie mein aufgeweckter und kindischen Bruder sie in den nächsten Teil unseres Zuhauses zerrt, wo unsere „Skaterampe“ steht. Theoretisch könnten meine Brüder und ich uns in der gesamten Kanalisation austoben, aber bestimme Moves gehen auf dieser Rampe am besten. Obwohl es mir im ersten Moment nicht so wirklich recht gewesen ist, dass Bernadette wieder einmal in Beschlag genommen worden ist, nutze ich dennoch die Chance, um mit Donnie alleine reden zu können. Der Grund dafür sind die Drohbriefe, die mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf gegangen sind. Ohne dass es Bernadette bemerkt hatte, hatte ich sie heimlich eingesteckt. Vermutlich werde ich mir wieder etwas anhören können, sollte sie das herausfinden, aber ich wollte sie nicht wieder mit dem nervenzerreißenden Thema belasten. Es war schon schwierig genug, sie wieder zu beruhigen und sie auf andere Gedanken zu bringen. Dass sie am Ende sogar die Möglichkeit hatte, wieder aus Leibeskräften zu lachen, hat mir die Hoffnung gegeben, dass mein Mädchen nicht so schnell aufgibt und sich weiterhin durchbeißt. Nun sind wir wieder hier unten. Das war sogar der eigentliche Grund, warum ich vorgeschlagen hatte, zu mir nachhause zu gehen. Dass Bernadette meine Familie wiedersehen konnte, war da eher zweitranging und ihr würde es nicht wirklich auffallen, wenn ich bezüglich der Drohungen Nachforschungen anstelle. Ich bin mir sicher, dass sie nicht einverstanden gewesen wäre, hätte ich sie darauf angesprochen. Zumal sie nicht gewollt hätte, dass ich ihr Problem weitererzählen würde. Erstens hätte sie womöglich nach Ausreden gesucht und zweitens hätte sie womöglich vor meinen Brüdern eine abgeschwächte Version davon erzählt. Dieses „Herunterspielen“ hat sie ja schon gemacht, bevor wir offiziell zusammenkamen und auch jetzt glaubt sie, es irgendwie alleine durchstehen zu müssen. Das hat sie vielleicht vorher müssen, als ich sie noch nicht kannte. Da hatte sie ja niemandem, mit dem sie über ihre Probleme reden konnte. Doch nun ist es anders. Ich will ihr helfen und es wird mit Sicherheit ein Weg geben. Davon bin ich überzeugt. Leider muss man ihr, was die Mobbingsache angeht, alles aus der Nase ziehen. Dabei frage ich mich, warum sie so stur ist. Dass sie bereits schon mit den Tränen gekämpft hat, war nicht zu übersehen. Genauso darf man diese Drohungen nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wenn diese hinterlistigen Feiglinge schon ihren Spind aufbrechen, was wird dann als Nächstes passieren? Am liebsten würde ich mir jeden Einzelnen von ihnen vorknöpfen und ihre hirnrissigen Ideen aus den Schädeln schleudern. Vielleicht können sie dann für eine Sekunde klar denken und machen nicht immer das, was dieses kommandierende Miststück von sich gibt. Allerdings gibt es da ein Problem: Ich bin ein Mutant und kann daher nicht einfach beim helllichten Tag in ihre Schule spazieren und dem nachgehen. Ich muss daher einen anderen Weg finden und dafür brauche ich die anderen. Einfach nur rumstehen und dabei zusehen, wie Bernadette sich immer mehr quält, mache ich mit Sicherheit nicht! Ich muss irgendetwas tun können. Ich lasse sie nicht allein! Schließlich kann das nicht mehr so weitergehen und ich bin mir sicher, dass bei der nächsten Warnung etwas Schlimmeres passieren wird. Da wird die Sache mit dem Spind lächerlich im Vergleich dazu sein. Bei Drohungen gibt es immer eine Steigerung. Fürs Erste wäre es mir lieber, wenn Bernadette vorerst nichts von meinem Vorhaben erfährt. Allein schon sie auf andere Gedanken zu bringen, die nichts mit ihren Problemen mit dieser Lucinda haben, war schon schwierig genug. Da kommt mir Mikey sogar gerade Recht, auch wenn ihm das eigentlich noch gar nicht bewusst ist. Er mag zwar eine richtige Nervensäge sein und er raubt mir mit seinem Geschwafel oft genug den letzten Nerv, aber seine „Ablenkungen“ sind für Bernadette momentan das Beste, was ihr passieren kann. Auch wenn mir seine stürmische Art ihr gegenüber nicht wirklich recht ist, aber momentan gibt es für mich Wichtigeres zu tun. Augenrollend sehe ich den beiden hinterher, wie sie gerade in Richtung Rampe laufen. Ich seufze kurz und setze mich schließlich selbst in Bewegung. Irgendwo müssen ja die anderen beiden sein. Wie ich Donnie kenne, wird er wieder an irgendetwas basteln. Da ist es vielleicht ratsamer, ihn in seinem „Labor“ aufzusuchen, wenn man diese zusammengewürfelte Konstruktion überhaupt so nennen kann. Auf dem Weg zu ihm, entdecke ich Leo, wie er sich gerade auf der Couch niederlässt. Er nickt mir kurz zu, als er mich sieht und meint: „Wie ich sehe, hast du dir es doch anders überlegt und hast sie mitgenommen. … Schön zu sehen, dass sie wieder gesund ist und dass es ihr wieder gut geht.“ Anscheinend hat er uns schon von weitem gesehen. Das mit der Gesundheit stimmt ja, das andere wiederum weniger. Er hat nun mal keine Ahnung, was heute mit Bernadette passiert ist und momentan ist es ihr selbst auch nicht wirklich anzumerken, aber erst einmal brauche Donnie. „Sie wollte halt wieder mal wieder hier vorbeischauen.“, erkläre ich ihm, was Leo allerdings überrascht: „Hat sie dich etwa um den Finger gewickelt?“ „Ach was, sie war halt schon ´ne Weile nicht mehr hier und ein Tapetenwechsel schadet ihr nicht. … Hey, sag mal, ist unser Genie an seinem angestammten Platz?“, wechsle ich das Thema, aber mein Bruder sieht mich nur skeptisch an und meint: „Ähm, ja, was brauchst du von ihm?“ „Ich muss nur mal kurz mit ihm reden. Das ist alles.“, antworte ich ihm schnell und will mich auch schon aus dem Staub machen, aber Leos skeptischer Blick bleibt und er hakt sogar nach: „Ist irgendetwas vorgefallen?“ Seine Stimmung wirkt nun ernster. Er ist jetzt nicht nur skeptisch, nach seinem Blick zu urteilen, wirkt er sogar leicht besorgt. Da ich ohnehin was von meinen Brüdern will und Leo es spätestens nach Donnie erfahren hätte, was eigentlich los ist, nicke ich darauf. Ja es ist etwas passiert, aber erst einmal brauche ich meinen anderen Bruder. Wenn Leo dabei mitkommen will, kann er es gerne machen. Ich mache mich mal erst auf dem Weg ins „Labor“. Ohne irgendeinen Kommentar springt Leo von seiner Position auf und folgt mir sogleich. Eigentlich wollte ich mit dem Hirn dieses Teams zuerst allein reden, aber wenn es unbedingt sein muss, kann er gleich mit von der Partie sein. Dann muss ich es zumindest für ihn nicht noch einmal extravorkauen. Donnie hat sich gerade seiner Bastelei gewidmet, als ich schon mit meinem anderen Bruder bei ihm antanze. Er schaut auf und schiebt sogleich auch seine Brille etwas zurück, die ihm während seines Treibens etwas nach vorn gerutscht war. Er hat mich kaum begrüßt, als ich schon die zerknüllten Papierfetzen aus meinem Gürtel hervorhole und ihm entgegenreiche. Donnie nimmt diese zunächst entgegen, doch sowohl er, als auch Leo fragen mich, was es damit auf sich hat: „Ähm, kannst du uns mal verraten, was damit ist und warum du es mit dir schleppst?“ „Es geht dabei um Bernadette.“, leite ich meine Erklärung ein. Kurz und bündig versuche ich die Sache zu schildern und schaue stets um mich. Ich habe nämlich keinen Bock, dass Mikey mit Bernadette plötzlich hinter mir steht. Das Mädel hat für heute schon genug durchgemacht und da will ich die Sache nicht schon wieder aufwärmen, geschweige für sie verschlimmern. Donnie dreht die beiden Papierstücke in alle Richtungen, um sie sich besser ansehen zu können. Etwas unbeeindruckt über die Machart, lacht er etwas darüber: „Also was die Art der Drohungen angeht, kann ich nur sagen, dass die lasch ist. Jeder der einen Laptop hat und sich ein wenig mit dem Schreibprogramm auskennt, kann leicht so was ausdrucken. … Naja, wenigstens ist es nicht diese typische Art, die man sonst kennt. Allein das mit den Zeitungsausschnitten wäre ein alter Hut.“ Über diese Auskunft verdrehe ich die Augen, denn das interessiert mich momentan überhaupt nicht: „Das ist jetzt nicht der springende Punkt Donnie. Tatsache ist, dass Bernadette bedroht wurde und das auch noch weiterhin wird.“ Meine beiden Brüder schauen sich zunächst gegenseitig an, bis sie ihren Blick wieder senken und zu überlegen scheinen. Eine Zeit lang passiert nichts und ständig warte ich darauf, dass von ihrer Seite endlich was kommt. Es bleibt aber weiterhin still. Langsam werde ich ziemlich ungeduldig. Anstatt, dass die beiden Löcher in die Luft starren, sollen sie mir lieber helfen, einen Ausweg für Bernadettes misslige Lage zu finden und das pronto! „Hey, kann mal einer von euch den Mund aufmachen, oder muss ich noch bis in alle Ewigkeit auf eine Antwort von euch warten! Legt einmal einen Gang zu!“, schimpfe ich schließlich, denn mir reicht es! Jedoch ernte ich von Donnie nur die Antwort, dass das nicht so leicht wäre: „Sorry Raphi, ich weiß, dass du Bernadette helfen willst, aber stell dir das nicht so leicht vor.“ „Irgendetwas müssen wir doch tun können. Wir können nicht einfach so rumstehen und sie in Stich lassen.“, füge ich schließlich hinzu, wobei mir selbst nichts Passendes einfallen will. Wie sehr ich mir auch den Kopf darüber zermartere, ich habe einfach das Gefühl, dass ich nichts unternehmen kann. Es ist wirklich zum Verrücktwerden! Am liebsten würde ich mir ja die Drahtzieherin persönlich zur Brust nehmen. Ich habe aber weder eine Ahnung, wer diese Lucy, Lucinda, oder wie die auch immer heißt, ist, noch weiß ich, wie sie die Leute überhaupt dazu bringt, die Drecksarbeit für sie zu erledigen. Denn das mit den Drohbriefen ist mit Sicherheit auf ihrem Mist gewachsen. Da gibt es keinen Zweifel. Bernadette hat mir schon oft genug erzählt, dass dieses Biest heimtückisch ist und vor nichts zurückschreckt. Hinzu kommt, dass meine Brüder und ich die Kanalisation tagsüber nicht verlassen dürfen. Es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Wenn ich aber Meister Splinter in Kenntnis setze, dass wir Bernadettes Schule observieren, oder sonst etwas dergleichen tun, wird er uns das mit Sicherheit nicht erlauben. Dafür kenne ich meinen Vater zu gut und vermutlich wird Leo, unser „allwissender“ Anführer, auch noch etwas dagegen haben. Oh Mann, mir raucht schon der Schädel! Wenn uns nicht bald etwas einfällt, kriege ich die Krise! Dass ich meine Brüder deswegen antreibe, scheint den beiden überhaupt nicht zu gefallen. Missmutig schauen die mich an, als wenn ich der Übeltäter wäre. Die sollten sich lieber Gedanken um Bernadette machen, anstatt auf mich wieder sauer zu sein. Mit verschränkten Armen steht Leo nun da und fragt mich auf einmal: „Sag mal, was erwartest du von uns?“ Ich glaube ich spinne! Das hat der doch wohl nicht wirklich gesagt?! „Wie sollen wir ihr bitte helfen? Wir können nicht einfach so in ihre Schule stürmen und jeden verprügeln, der Bernadette schief anschaut.“, fügt er noch hinzu, wobei seine Stimme schon sehr gereizt wirkt, was aber nicht nur bei ihm der Fall ist: „Wenn ich das wüsste, wäre ich wohl kaum hier und hätte die Sache schon allein geregelt!“ „Na das glaube ich dir aufs Wort.“, meint der Anführer, der wie er das gesagt hat, spricht schon Bände. Er ist angepisst, aber ich bin das genauso und ich steht mit Sicherheit nicht nur rum und drehe Däumchen. Ich will und werde Bernadette helfen, auch wenn mir noch etwas einfallen muss! Tief in mir spüre ich diesen Frust. Es ist auch wieder solch ein Moment, an dem ich mir wünsche, dass ich ein Mensch wäre. Denn so könnte ich einfach als ihr Bodyguard an ihrer Seite sein und niemand könnte ihr etwas anhaben. Es wäre auch so leichter, herauszufinden, wie man mit dieser Schnepfe umgehen könnte. Als Mutant ist es dagegen viel schwieriger. Ich fühle mich, als wären mir die Hände gebunden und das ist einfach nur ätzend! Noch sehen Leo und ich uns an, als wenn zwischen uns beiden gleich ein Kampf stattfinden würde. Da komme ich einmal her und bitte um Hilfe und dann macht es mir der „großartige“ Anführer umso schwerer. Noch dazu frage ich mich, ob er Bernadette überhaupt unterstützen will. Schon die ganze Zeit habe ich das Gefühl, dass ihm meine Beziehung zu ihr noch immer nicht in den Kram passt, obwohl meine Liebste sich schon mehr als nur einmal bewiesen hat. Was will er denn noch?! „Wir müssen vorsichtig sein Raphi. Jede Handlung hat seine Konsequenzen. Wer weiß, ob wir es nicht noch schlimmer machen werden, wenn wir uns nun einmischen. Will Bernadette das überhaupt, oder besser gesagt, weiß sie überhaupt davon?“, klinkt sich nun Donnie mit einer eher ruhigen und vernünftigen Stimme ein. Während Leo und ich uns eher wütend angegiftet haben, hat er anscheinend weiterüberlegt. An das, dass es genau in die verkehrte Richtung gehen könnte, habe ich noch gar nicht bedacht. Dennoch kann ich nicht einfach nur dastehen und zusehen. Was wäre ich denn für ein Freund, wenn ich das machen würde? Es muss also etwas geben, was wir tun können. Auf Donnies Frage hin, antworte ich seufzend mit einem „Nein“, füge aber noch hinzu: „Sie weiß nicht einmal, dass ich die Drohbriefe mitgenommen habe. Ich wollte es ihr nicht sagen, weil es schon schwierig genug war, sie mal auf andere Gedanken zu bringen. Ihr habt ja keine Ahnung, wie sie davor drauf war. Allein schon, als ich bei ihr zuhause angekommen bin, lag sie verstört in ihrem Bett und dachte nur an die Drohungen.“ Leo schweigt, als er das hört. Er wirkt nicht einmal mehr sauer, sondern mehr nachdenklich. Auch Donnie scheint etwas durch den Kopf zu gehen. Er dreht sich sogar von uns weg und scheint bei seinem Schreibtisch etwas zu suchen. Als ich ihn schon fragen will, was er denn jetzt schon wieder vorhat, gesellen sich Mikey und Bernadette zu uns. Scheiße, was machen die beiden nun hier?! Hätte er ihr nicht noch länger etwas auf dem Skateboard zeigen können?! Dass Mikey ausgerechnet jetzt mit Bernadette bei uns auftaucht, ist einfach nur beschissen! Ich hoffe nur, dass sie ihre Drohbriefe nicht sofort sieht. Als ich mich gerade zu meiner Liebsten umdrehe und versuche, vom eigentlichen Thema abzulenken, entdeckt sie schon die beiden Zettel, die noch auf der Tischplatte liegen. Zunächst überrascht starrt sie darauf, bis sie ihren Blick zu mir wendet und mich dabei fragend ansieht. „Warum ist das hier?“, fragt sie mich. Innerlich stelle ich mich schon darauf ein, dass von ihrer Seite nun ein Donnerwetter geben wird. Immerhin habe ich, ohne dass sie es gewusst hat, einfach die Drohbriefe mitgehen lassen. Jetzt kann ich zusehen, wie ich das wieder ausbade, aber von ihrer Seite kommt nichts weiter. Sie wartet einfach. Ohne um den heißen Brei herumzureden, sage ich einfach klipp und klar, was Sache ist: „Sorry Bernadette, dass ich nichts gesagt habe, aber ich wollte einfach nicht, dass du dich deswegen wieder aufregst. Ich dachte, wenn Mikey dich etwas ablenkt, kann ich derweil einen Weg finden, mit dem ich dir helfen kann. Ich kann ja schließlich nicht einfach tatenlos zusehen.“ Bernadette seufzt überraschenderweise. Anstatt, dass sie mich nun anschreit, kommt sie auf mich zu und lehnt sich, mit der Stirn voraus, an mich an. „Das war zwar nicht wirklich ok von dir, aber was soll´s. … Du hast es ja nur gut gemeint.“ Leicht lächelnd sie mich nun an. Ihre Stimme klingt aber merkwürdigerweise erschöpft. Als wolle sie einfach nicht länger darüber nachdenken. Eigentlich hätte ich jetzt mehr mit etwas Anderem gerechnet, aber vielleicht liege ich mit meiner Vermutung richtig und Bernadette hat für heute einfach keinen Bock mehr auf diesem Mist. Dass ich ihr nur helfen will, sieht sie zumindest und das beruhigt mich. Mikey hingegen steht währenddessen verwirrt da und will schon wissen, was hier eigentlich los ist: „Kann mir mal einer erklären, was Sache ist? Ich blicke mich jetzt überhaupt nicht durch.“ „Lass mal, ich erklär´s dir nachher.“, meint Leo nur darauf, aber mein Bruder mit orangen Maske will sich mit dieser Antwort nicht zufriedengeben: „Moment mal, ich will es jetzt wissen und was meinte Raphi mit „Mikey soll Bernadette ablenken“? Was habe ich denn verpasst?“ Anstatt eine Antwort auf seine Fragen zu erhalten, deutet Leo ihm auf Donnie. Dieser hat sich zwischendurch wieder auf seine Suche begeben, bis er uns endlich wieder seine Aufmerksamkeit schenkt und Bernadette eines seiner selbstgebauten Handys überreicht. Unser Genie hat einige dieser komischen Dinger gebaut, damit jeder von uns immer erreichbar ist. Wir vier und selbst Meister Splinter haben bereits eines von diesen Dingern. Auch wenn das eigentlich einen anderen Grund dafür hat, aber was soll Bernadette nun damit? Auch meine Freundin scheint sich dies zu fragen, als sie Donnie dementsprechend ansieht. Er wiederum klärt sie auf: „Leider können wir dir nicht in der Schule helfen. So sehr ich auch alles theoretisch berechnet habe. Sollte aber etwas sein, dann kannst du jeden von uns auf diesem Handy erreichen. Vielleicht hilft es dir ja, auch wenn ich sehr hoffe, dass du es nicht wirklich brauchen wirst.“ Kapitel 30: Die letzte Warnung und ihre Folgen ---------------------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Eigentlich hätte ich es ja wissen müssen, dass es Raphael keine Ruhe lassen wird, wenn ich ihm von meinen Problemen erzähle. Er war schon bei mir zu Hause knapp dran, die betreffenden Personen aufzusuchen und sie aufzumischen. Jedoch hatte er keine Ahnung, wo er sie finden soll und ich bin auch ehrlich gesagt froh darüber. Zwar habe ich mir schon die ganze Zeit gewünscht, dass er mich in die Schule begleiten könnte, aber es geht nun mal nicht. Das ist mir klar und Raphael weiß das. Auch wenn mein Liebster mit dem großen Dickschädel es nicht akzeptieren wollte und es vermutlich auch jetzt noch nicht kann. Es schien mir aber, als wenn ihm seine Brüder diese Tatsache noch einmal verklickert hätten. Zumindest hätte die Situation demnach ausgesehen, obgleich Mikey als Einziger davon noch nichts gewusst hatte. Wie hätte er auch? Wir beide waren ja zunächst bei der „Skateboardrampe“, wo er mir etliche seiner Kunststücke gezeigt hatte. Daher wussten wir zunächst nichts von dem Gespräch der anderen drei. Hätte Mikey nicht die Idee gehabt, dass wir die anderen auch dazu holen könnten, wären wir beide nicht wieder ins Wohnzimmer zurückgegangen und hätten dann nicht mitbekommen, dass keiner von den anderen in der Nähe war. Ich hätte es am Anfang nicht für möglich gehalten, dass Raphael gemeinsam mit Leo und Donnie bereits an einem Plan schmiedete. Auch wenn im Grunde nicht wirklich etwas dabei rauskam. Die Tatsache aber, dass es einige Personen in meinem Leben gibt, denen ich nicht egal bin, hat mich doch sehr berührt. Ich konnte es zwar bei ihnen nicht wirklich zeigen, da ich bereits schon mit dem Nerven erledigt war, aber dennoch weiß ich das sehr zu schätzen. Sie alle machen sich Sorgen um mich und nehmen sowohl mich, als auch meine Probleme ernst. Das finde ich ja nicht einmal in meiner eigenen Familie, weil jeder von ihnen mit sich selbst beschäftigt ist. Da konnte ich Raphael nicht lange böse sein, auch wenn mir seine Aktion nicht wirklich gepasst hat. Er hätte nicht einfach die Zettel mitnehmen sollen, ohne mir zumindest etwas zu sagen. Ich weiß zwar nicht, wie ich dann reagiert hätte, aber ich möchte das einfach nicht. Zumindest hatte er es mir dann ehrlich gestanden, ohne dass er sich dabei in irgendeine Lügenfalle verstrickt hätte. Es hätte zwar ohnehin nichts mehr geholfen, aber wegen der Tatsache, dass er mich mit meinen Problemen nicht alleine lassen will, kann ich ihm ohne Bedenken verzeihen. Dass aber weder er, noch seine Brüder wirklich etwas ausrichten können, bedrückt mich schon etwas. Wahrscheinlich wäre es etwas anderes, würde ich in der Nacht mitten auf der Straße von Lucinda höchst persönlich bedrängt werden. Doch da mein Problem in der Schule liegt, sieht die Sache ganz anders aus. Wenn ich aber daran denke, dass sie mir trotzdem irgendwie helfen wollten, muss ich wieder ein wenig lächeln. Allein die Geste mit diesem seltsamen „Handy“ war wirklich lieb von ihnen. Nur ob ich wirklich etwas mit diesem Ding anfangen kann, weiß ich im Moment nicht. Es ist immerhin nichts weiter als ein mobiles Gerät, mit dem ich die anderen kontaktieren kann. Auch für die Jungs bin ich nun direkt erreichbar, aber selbst, wenn ich sie mal mitten am Tag anrufen sollte, was mache ich dann? Leo meinte nur, als ich dies nachher in die Runde einwarf, dass ich das Ding auch nutzen könnte, wenn ich einfach jemandem zum Reden bräuchte. Ich könnte dies jederzeit tun. Allerdings fühle ich mich nicht wohl bei dieser Sache. Es ist ja nicht so, als würde ich diesen Vorschlag ausschlagen, aber allein der Gedanke daran, dass ich vielleicht verkrampft in irgendeiner Ecke hocken könnte und sie mit dem Ding anrufen würde, macht mir irgendwie Angst. Ich weiß einfach nicht, was Lucinda nun wieder vorhat. Es wird mit Sicherheit bald wieder etwas auf mich zukommen, das weiß ich. Wann, wie und wo genau es passieren wird, bleibt allerdings im Dunkeln. Ich könnte noch Tage wie am Fisch am Haken herumzappeln, bis es endlich geschieht. Genauso gut, könnte es mich auch in einigen Minuten treffen. Dass ich nun in der Schule wieder auf der Hut sein muss, war mir schon heute Morgen klar, als ich ungewollt und deprimiert das Bett verlassen hatte. Während ich in nun meine Gedanken wieder umherschweifen lasse, marschiere ich niedergeschlagen durch die Flure meiner High-School. Mit Rucksack und Sporttasche ausgestattet, wusle ich mich bei den anderen Schülern hindurch. Dass ich auch weiterhin absichtlich angerempelt werde, versuche ich einfach zu ignorieren und ich nutze meine große Tasche, um so den einen oder anderen Schlag etwas abzufedern. Eigentlich sollte ich das schon gar nicht mehr spüren, sooft mir das schon passiert ist, aber wer kann wirklich von sich behaupten, sich an sowas ganz gewöhnen zu können? Der- oder diejenige müsste dann eine Haut aus Stahl haben, aber davon bin ich meilenweit entfernt. Ich würde das nicht mal nach einem jahrelangen Training schaffen. Da hätte Raphael mit seinem Panzer wohl bessere Karten. Davon bin ich überzeugt. Ich will schon das nächste Klassenzimmer aufsuchen, als ich plötzlich von einer kräftigen Hand unsanft an der Schulter gepackt und im selben Augenblick zurückgerissen werde. Es geht so schnell, sodass ich zunächst nicht weiß, wie mir geschieht. Ich werde einfach gegen den nächsten Spind geschleudert und lande dabei so unsanft gegen den Haufen von Blech, sodass mir kurz die Luft wegbleibt. Nicht einmal mein Rucksack hat diesen „Schleuderwurf“ abgebremst. Im Gegenteil, ich spüre die dicken Bücher, welche sich in mein Kreuz bohren und würde mich nicht jemand dabei auch noch so fest gegen den Spind drücken, so hätte ich mich bereits von diesem Schmerz befreit. Stattdessen habe ich für einige Millisekunden die Augen fest zusammengepresst und nach Luft geschnappt. Doch als ich wieder hinsehe, wer mich da gerade eben überfallen hat, erkenne ich einen rothaarigen Teenager, mit Sommersprossen und einem ziemlich stark beleibten Körper. Weiterhin seine rechte Hand grob gegen meine Schulter drückt, straft mich dieser Mistkerl mit einem vorwurfsvollen Blick. Als würde er tief in mir den Teufel sehen und diesen aus mir heraustreiben wollen. Mein Gesicht verfinstert sich, denn derjenige, der mir gerade so rabiat gegenübersteht, ist niemand Geringeres als einer dieser Verräter. Genauer gesagt, ist es Martin und wäre ich momentan imstande, so würde ich auf der Stelle kotzen! Es ist einfach kaum zu glauben, wie stark man sich verändern kann und in Martins Fall könnte sein voriges Ich mit seinem jetzigen Ich nicht unterschiedlicher sein. Er war doch so ein freundlicher, gutmütiger und gemütlicher Typ. Hatte das Herz am richtigen Fleck, zumindest glaubte ich das damals. Denn früher konnte man einfach zu ihm gehen, wenn man was brauchte. Egal zu welcher Tageszeit hatte er für seine Freunde ein offenes Ohr und selbst wenn er selbst nicht wusste, wie er einem helfen konnte, so lud er einem einfach zum Zocken ein. Das ließ nicht nur den Frust verrauchen, man konnte sich einfach ablenken und dann sah die Welt wieder vollkommen anders aus. Doch nun steht ein völlig anderer Mensch vor mir. Nicht nur, dass der Rotschopf nun einige Kilos mehr auf den Rippen hat, sein fröhliches, beinahe kindliches Lächeln ist vollkommen verschwunden. Allein seine Augen drücken so viel Hass und Frustration aus, sodass man glauben könnte, er würde demnächst wie eine Bombe explodieren. Er knirscht sogar mit den Zähnen, als wolle er dabei etwas sagen. Allerdings kommt nichts weiter dabei heraus, als ein schnaubendes und knurrendes Geräusch. Jetzt würden nur noch die Reißzähne fehlen, dann würde er mit diesen sogar fletschen. Jedoch ist mir momentan alles andere als zum Scherzen zumute. Selbst wenn es sich gerade in meinem Kopf abspielt und eher zum schwarzen Humor zählt. Das ist einfach nicht zum Lachen und ich warte nur darauf, dass aus seinem verlogenen Maul mal etwas Anderes als dieses Knurren kommt. Denn dass er wie Madison von Lucinda geschickt worden ist, ist unbestreitbar. Da lege ich sogar meine Hand ins Feuer! Allein schon die Tatsache, dass die letzte Warnung noch gar nicht mal so lange her ist, spricht Bände dafür, dass nun die Fortsetzung folgt. Nicht nur das, es wird wieder einmal Salz in die Wunde gestreut und egal wie sehr ich das auch abstreite, es tut verdammt noch mal weh! Früher waren wir sechs ein Team, die besten Freunde und jetzt ist alles zunichtegemacht. Als hätte jemand einfach auf LÖSCHEN gedrückt. Der Martin, den ich früher so sehr mochte, ist nun nichts weiter, als eine weitere Marionette in Lucindas Atelier. Wie Madison wird er mich nun dazu bringen wollen, meine Sturheit aufzugeben und wenn es sein muss, wird er mit Sicherheit nicht zögern und seine Faust für sich sprechen lassen. Im Gegensatz zu dem Rothaarigen hier ist aus Madison ein schüchternes und zurückgezogenes Mädchen geworden. Ständig hat sie ein trauriges Gesicht und ich konnte auch nicht mehr an sie rankommen, nachdem sie sich von mir abgewandt hatte. Sie hatte sich einfach eines Tages verschlossen und ich hatte keine Chance was dagegen zu tun. Auch sie tat nichts. Stattdessen lässt sie sich heute herumkommandieren, hat keinen eigenen freien Willen mehr und hat sogar mitgeholfen mir das Leben schwer zu machen. Dabei war sie früher so fröhlich, verspielt, hilfsbereit und manchmal sogar sehr lebhaft. Doch nun ist alles anders. Egal wen auch Lucinda mir weggenommen hat, jeder von ihnen hat seit dem einen völlig anderen Charakter. Das, was sie eigentlich ausmachten, ist wie weggeblasen. Stattdessen sind sie alle geblendet davon, dass die Art dieses Miststücks seine Richtigkeit hat und seitdem wollten sie auch mich auf diese Seite ziehen, was ihnen aber nie geglückt ist. Martins Blick genau auf meine Augen fixiert, warte ich nur darauf, dass er etwas sagt, aber er tut nichts dergleichen. Er schaut mich einfach nur an. Doch egal wie strafend er mich ansieht, ich bin ihm keine Rechenschaft schuldig und so versuche ich mich nach einigen Atemzügen aus seinem festen Griff zu befreien. Es ist aber leichter gesagt, als getan. Denn dadurch drückt er nur noch weiter zu und nimmt sogar seine zweite Hand dafür. Schimpfend wehre ich mich dagegen: „Verdammt noch mal, lass mich los, du Arschloch!“ Am liebsten hätte ich ihn jetzt gerne gegen das Schienbein getreten, aber als ich es versuche, geht der Tritt nicht nur ins Leere, der Mistkerl stemmt sich nun mit seiner ganzen linken Seite gegen mich, wodurch ich wieder nach Luft schnappen muss. „Verpiss dich!“, schimpfe ich mit gequetschter Stimme. Ich bin so sauer, ich könnte ihm dabei den Hals umdrehen, aber während Martin noch immer kein Stück von mir ablässt, werde ich auch noch von einer zweiten Person verbal angegriffen: „Ach hör doch auf Bernadette! Es hat keinen Sinn sich zu wehren! Warum gibst du nicht endlich auf und ersparst uns das? Dann können wir gleich zu Lucinda gehen und die Sache ein für alle Mal beenden. Denn das, was du machst, ist echt lächerlich und ich habe es langsam satt, dass wir dir das ständig aufs Neue beweisen müssen!“ Mein Blick ist nun überrascht dem Mädchen mit der gebräunten Haut gerichtet, welche plötzlich auf der Bildfläche erschienen ist und sich einfach neben Martin dazugesellt hat. Während sie so mit mir gesprochen hat, spielt sie wie Lucinda höchst persönlich mit ihren dunklen Locken und sieht mich dabei noch so herablassend an. Innerlich spüre ich, wie der Zorn in mir keimt. Dass Amy schon immer eine leicht gehobene Art gehabt hat, ist mir damals schon bewusstgeworden. Es war ok, sie übertrieb es nicht und hatte zudem auch eine andere, sogar sensible Seite an sich, aber nun ist sie hochnäsig, arrogant und engstirnig. Das heißt, sie ist mindestens dreimal so schlimm wie früher und dass sie mich als „lächerlich“ hinstellt, macht mich rasend. So keife ich sie an: „Das trifft wohl eher auf euch zu! Lächerlich und dumm ist, dass ihr unsere Freundschaft in die Tonne geschmissen habt, nur damit ihr bei dieser blöden Sau ein ruhiges Leben führen könnt! …“ Plötzlich wird mir quasi die Luft weggeschnitten. Mit meinen Worten habe ich Martin anscheinend zur Weißglut gebracht. Denn schon zieht er mich ruckartig zu sich und schleudert mich gleich wieder gegen das Metall, sodass mir nichts anderes übrigbleibt, als mühselig nach Luft zur ringen. Dabei schreit er mich an: „Halt dein verlogenes Maul! Wer gibt dir das Recht so über uns zu reden! Wer dumm ist, bist wohl du und wenn du nicht gleich mitkommst, dann wirst du dein blaues Wunder erleben! Kapiert?!“ Ich weiß nicht, was gerade mehr wehtut. Mein Körper, oder doch die Tatsache, dass ich mich in einem wahrgewordenen Albtraum befinde. Wie konnte ich nur mit diesem verlogenen Pack überhaupt befreundet sein?! Allein die Erinnerung daran lässt mich erschaudern. Gemeinsam hatten wir so viel durchgemacht, gelacht und waren stets für einander da. Nun aber haben sie sich alle gegen mich gestellt und machen mich in Auftrag ihrer „Majestät“ fertig. Zorn, Wut, Verzweiflung, all jene Gefühle durchfluten gemeinsam mit der Angst meinen Körper. Eigentlich hätte so manch einer den Kopf hängenlassen. Allein schon wegen den Drohbriefen und dem Spind hätte ich allen Grund dazu, es wirklich zu tun. Doch alles in mir wehrt sich dagegen und das aus Leibeskräften. Neben dieser Flut aus Gefühlen will ich nur eines und zwar weg von hier! Amy und Martin warten nun darauf, dass ich endlich nachgebe, doch stattdessen spucke ich Martin einfach ins Gesicht. Überrascht und angewidert zugleich, lockert der Fass von einem Kerl seinen Griff und taumelt sogar ein Stück zurück. Selbst Amy ist von der ganzen Aktion abgelenkt und erschrocken zur Seite gesprungen, während ich die Situation ausnutze. So schnell ich nur kann, rutsche ich beim Spind entlang, drücke meine Sachen umso fester an meinen Körper und laufe so schnell, wie ich nur kann. Ich höre aber hinter mir, wie sie beide mir nachschreien: „Verdammt Bernadette! Das wirst du bereuen, hörst du?! Das wirst du noch bitter bereuen!“ Ohne auch nur für eine Sekunde zurückzusehen, renne ich einfach weiter. Dass ich den beiden nicht endgültig entkommen kann, ist mir leider klar. Nicht nur, dass wir einen ähnlichen Stundenplan haben, sie werden auch so einen Weg finden, um mich zu erwischen. Denn das schaffen sie immer, aber ich wollte einfach nur weg. Allein die Tatsache, dass die beiden mich direkt zu Lucinda schleppen und mich ihr quasi zum Fraß vorwerfen wollten, hatte gereicht. Amy, die Kopie von dieser Tussi höchstpersönlich, und Martin, ein aggressiver Fleischberg mit ungebändigter Kraft, hätten mich beinahe im Schlepptau gehabt. Es ist einfach nur beängstigend, wie eine einzelne Person so stark seine Mitmenschen unter Kontrolle hat. Martins Blick geht immer noch nicht aus dem Kopf. Wie er mich angesehen hat, so voller Hass. Als hätte ich ihm etwas angetan, wofür er mich nun büßen lassen wollte. Genauso stark hat er mich auch festgehalten. Bei Amy ist es nicht viel anders gewesen. Innerlich spüre ich noch, wie der Rothaarige mich gegen den Spind gedrückt hat. Als wäre ich immer noch dort und er würde mir ein weiteres Mal die Luft aus den Lungen quetschen wollen. Mein Herz bebt. Es ist einfach nicht zu leugnen, ich habe Angst, große sogar, aber was verdammt noch mal soll ich machen?! Allein habe ich gegen sie doch keine Chance! Ich bin ihnen zwar fürs Erste entkommen, aber wie lange wird das wohl anhalten? Für den heutigen Tag bin ich nur froh, dass wir wieder einmal Sport haben. Auch wenn ich das System und die Methode meiner Sportlehrerin nicht begreife, kommt mir das Lauftraining gerade recht. Ich muss mich irgendwie abreagieren und etwas auspowern, sonst werde ich noch in diesem Haus verrückt! Diese Anspannung und dieses beschissene Gefühl, ständig auf der Hut zu sein, macht mich noch ganz krank! Als hätte das von letzten Mal nicht gereicht, treten sie alle noch auf mich ein! Nein, irgendwie werde ich auch diesen Tag überstehen. Ich habe es schon vorher mehr oder weniger geschafft, so werde ich auch das über die Bühne bringen. Zumindest hoffe ich das, aber bemühend, mich von meiner Angst nicht überwältigen zu lassen, konzentriere ich mich einfach nur aufs Laufen. Egal wie sehr es bereits in meinen Lungen brennt, ich quäle mich durch die Bahn. Selbst von der Professorin bekomme ich diesmal ein Lob zu hören, was allerdings nicht wirklich bei mir ankommt. Ihre Worte prallen einfach an mir ab, als müsste ich mich von allmöglichen äußeren Einflüssen schützen. Ich komme erst dann allmählich zur „Ruhe“, las mir bewusstwird, dass der Unterricht wieder vorbei ist und meine Mitschülerinnen und ich anschließend unter die Dusche gehen können. Dabei warte ich absichtlich, bis die meisten schon die Umkleide verlassen haben, denn ich will mit niemanden reden, oder gar direkt begegnen. Erst als die Letzen gerade dabei sind, sich ihre Alltagskleidung anzulegen, verschwinde ich vorbereitet hinter dem nächsten Duschvorhang. Die ganze Zeit über habe ich mich unwohl gefühlt und auch jetzt stehe ich auf Nadeln. Erst als ich die ersten Tropfen vom Duschkopf spüre, lässt diese Anspannung ein wenig nach. Als wolle mich das Wasser absichtlich ablenken. Schon drehe ich den Wasserstrahl stärker auf und verliere mich allmählich mehr in die Entspannung. Dieses Element scheint neben meinem Liebsten wohl wirklich das Einzige zu sein, was mich runterbringen kann und das brauche ich jetzt wirklich. Genüsslich hebe ich mein Gesicht dem Wasserstrahl entgegen. Ich wäre vermutlich noch länger so gestanden, hätte mich aber nicht ein seltsames Geräusch aufschreckt und so in die Realität zurückgeholt. Habe ich mir das gerade eingebildet? Unsicher drehe ich das Wasser ab und horche. Ich höre Stimmen, oder vielmehr ein seltsames Kichern. Die Sorge und die Angst, welche ich kurz zuvor für einen kurzen Augenblick abstreifen konnte, keimen nun von neuem auf. So greife ich nach dem Handtuch, wickle es um meinen Körper und verlasse die Dusche. Ich habe kaum die Umkleidekabine erreicht, schon sehe ich, wie sich die Tür auf der anderen Seite schließt. Fragend laufe ich zunächst zu meinen Sachen, nur um feststellen, dass sie weg sind. Das kann doch wohl nicht wahr sein?! Es ist alles weg! Wie von einer Tarantel gestochen, nehme ich ohne lange zu überlegen meine Beine in die Hand, laufe zur Tür und reiße sie auf. Das kann nicht wahr sein! Bitte lass es nicht wahr sein! Das ist das Einzige, an das ich gerade denken kann, als ich so losrenne und schließlich mitten im Gang stehen bleibe. Dass ich die Dusche nur mit einem weißen Badetuch um meinen Leib gewickelt verlassen habe, bereue ich jetzt. Denn vor mir ist eine ganze Schar an Schüler, die mich nun mit großen Augen anstarrt. Sie kommen näher und automatisch gehe ich ein paar Schritte zurück. Doch als ich meinen Blick nach hinten wende, merke ich, dass hier ein weiterer Haufen an Teenager steht und mich belustigt begutachtet. Verzweifelt blicke ich mich um mich und schlinge schützend meine Arme um meinen Körper, auch wenn das jetzt nicht wirklich was hilft. Was soll ich aber jetzt sonst machen?! Ich will einfach nur umkehren, doch egal wohin ich mich drehe und wende, ich sehe keinen Ausgang oder eine andere Fluchtmöglichkeit. Das Einzige, das sich vor mir abspielt, sind diese hämische Blicke, die mich zu verfolgen scheinen. Wie in einem Albtraum, aus dem ich nicht erwachen kann. Was ist hier eigentlich los? Warum sind diese Schüler hier und wo sind verdammt noch mal meine Sachen?! Genau diese Fragen und noch einige mehr schwirren durch meinen Schädel. Ich bin total überfordert. Die Ruhe, die für einen Augenblick beim Duschen gefühlt hatte, ist nun endgültig weg. Stattdessen haben sich in mir Angst und auch Scharm breitgemacht und die Tatsache, dass ich fast nackt bin, ist einfach nur peinlich! Ich spüre förmlich, wie sich mein Hals immer mehr zuschnürt und wie mein Herzschlag immer schneller wird. Mein Körper verkrampft sich und ich habe das Gefühl fast keine Luft zu bekommen, während mich diese Blicke keine Sekunde aus den Augen lassen. Ich will hier weg, aber ich kann nicht. Sie lassen mich nicht gehen, stattdessen fängt jemand zu lachen an und es bleibt nicht bei einem. Es wird immer lauter, bis alle um mich herum diesem tosenden Gelächter verfallen. Durcheinander, gemischt, all diese Stimmen dringen in mich hinein und egal wohin ich auch blicke, überall sehe ich diese Fratzen, die sich über meine missliche Situation amüsieren. Als wäre ich eine Attraktion in einem Zirkus, zeigen sie mit den Fingern auf mich und ich glaube sogar, dass einige von ihnen ihre Handys hervorholen und sich für irgendetwas bereitmachen. Ich verstehe das alles nicht, aber ich ahne Schlimmes. Doch ehe ich mich selbst fragen kann, was nun auf mich zukommt, merke ich, wie sich Martin und Amy aus der Gruppe hervorwagen. Jeder von den beiden hält eine meiner Taschen in den Händen und wedelt damit vor meinen Augen. Als wäre ich ein Hund, der gerade sehnsüchtig auf sein Leckerli wartet. Provozierend fordern sie mich dann auf mir meine Habseligkeiten zu holen und schon werfen sie sie in die Runde. Wie beim Spiel „Affenreizen“ muss ich nun nach meiner Sporttasche und nach meinem Rucksack greifen. Als wenn das Spielbälle wären, aber das ist kein Spiel und das ist verdammt noch mal nicht Lustig! Es ist peinlich und erniedrigend zugleich! Ich habe aber keine andere Wahl, als mich in dieser aussichtlosen Situation zum Deppen zu machen. Es gibt keinen Ausweg. Ich kann einfach nicht von hier weg und außerdem brauche ich unbedingt die Sporttasche, in der meine Kleidung drin ist. Doch das scheint den Schaulustigen und den beiden Sklaven der Möchtegernkönigin egal zu sein. Dafür amüsieren sie sich zu sehr, während ich mich von einem Ende bis zum anderen hin und her quäle und mühselig versuche die Henkel der Taschen zu erwischen. Doch ich greife ständig ins Leere und hinzukommt, dass ich ständig aufpassen muss, dass das Handtuch um meinen Körper nicht auch noch verliere. Bei der ganzen Sache habe ich ständig das Gefühl, als wenn sie alle nur darauf warten würden und so halte ich meine linke Hand ständig um meinen Körper. Es ist echt zum Verzweifeln! Das Gelächter wird immer lauter und ich merke immer mehr, wie sie alle mich tatsächlich mit ihren Handys filmen, oder Fotos von mir machen. Dabei rufen sie böse Kommentare hinein und machen sich über meine aussichtslose Situation lustig. Wie schlimm wird es denn noch?! Ich will hier einfach nur raus! Am liebsten wäre ich in diesem Augenblick im Boden versunken. Ich halte es nicht mehr aus! Doch als ich schließlich merke, wie Amy nun mit meiner Sporttasche grinsend zwischen der Meute verschwindet, breitet sich in mir erst Recht die Panik aus. Schnell versuche ich ihr hinterher zu eilen und ich hätte sie sogar fast erreicht, wenn mich da nicht eine Hand gepackt und brutal zu Boden gerissen hätte. Wie auf Knopfdruck krümme ich mich schützend zusammen und starre in die lachende Menge. Ich bin schon völlig den Tränen nah, aber meine Angst überwiegt so sehr, sodass noch keine einzige Träne aus meinen Augen kullert. Ich warte einfach nur, während sie sich alle amüsieren, bis uns plötzlich eine tobende Stimme aufhorchen lässt: „Was ist hier los?! Was soll dieser Aufruhr?!“ Ein Lehrer zwängt sich zwischen den Schülern und sieht mich schließlich auf dem Boden liegen. Zornig starrt er mich an, als wenn ich dafür verantwortlich wäre. „Steh auf und ihr, begebt euch sofort in eure Klassen! Abmarsch, hier gibt es nichts zu sehen!“, fordert er mich und die anderen auf. Von überall kann ich ein Murren hören, als hätte man ihnen den Spaß verdorben. Das war aber nicht amüsant und ich selbst bin mit der Sache einfach nur überfordert. Sieht denn dieser Lehrer etwa nicht, wie sehr ich schikaniert worden bin?! Hat der Kerl nicht gesehen, wie ich gemobbt worden bin?! Fassungslos starre ich den grauhaarigen Mann an, während ich mich mühselig aufrapple. Flehend gehe ich schließlich auf ihn zu und bitte ich ihn mir zu helfen: „Sir, bitte, ich …“ Ich kann jedoch nicht einmal meinen Satz beenden, denn er meint nur abwertend: „Ich will das erst gar nicht hören! Ich will nur, dass hier wieder Ruhe und Ordnung einkehrt, verstanden?!“ „Sie reden hier von Ruhe und Ordnung?! Dann sorgen Sie dafür, dass ich meine Sachen wiederbekomme! Ich wurde gerade zum Gespött der Schule und der da ist einer von ihnen, der für diese „Unruhe“ verantwortlich ist!“, schreie ich schließlich hilflos und zeige dabei auf Martin, der gerade dabei gewesen ist, sich aus dem Staub zu machen. Gerade noch habe ich ihn entdecken können, bevor er sein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte. So bleibt ihm nichts anderes übrig als zu mir zu gehen und mit leicht gesenktem Kopf die Tasche zu reichen. Doch leider hilft die mir nicht viel. Schließlich brauche ich die andere viel dringender. In meinem Rucksack ist kein einziges Kleidungsstück, in der Sporttasche schon. Als ich dies sagen will, hält mich der Lehrer davon ab und meint: „Du hast jetzt deine Tasche. Also gib endlich Ruhe und veranstalte nie mehr wieder so ein Theater.“ Habe ich mich da gerade verhört, oder hat er das wirklich zu mir gesagt?! Hat er immer noch nicht begriffen, was sich vor seinen Augen abgespielt hat?! Sieht er nicht, dass ich das Opfer bin, oder ist ihm das schlicht und einfach scheißegal?! Genau diesen Eindruck macht dieser Mann im Moment auf mich und ich kann das einfach nicht begreifen. Mit offenen Mund und dem Rucksack an meiner Brust geklammert, stehe ich da und sehe stumm zu, wie sowohl der Lehrer, wie auch Martin mich einfach stehen lassen. Von Amy und meiner Sporttasche fehlt jede Spur. Sie ist in der Menge verschwunden und ich habe keine Ahnung, was ich jetzt tun soll. Ich fühle mich so hilflos, als würde ich gerade ertrinken und könnte mich selbst nicht retten. Ein völliges Chaos herrscht in mir und diesmal kullert mir sogar eine Träne an meinem Gesicht herunter. Als wäre das eine Art Startschuss, setze ich mich in Bewegung. Ohne auch nur für eine Sekunde zu halten, laufe ich, was das Zeug hält. Ich will einfach nur noch weg von hier! Kapitel 31: Ich komme! ---------------------- Aus Bernadettes Sicht: Mein Blick nur noch geradeaus gerichtet und den Rucksack fest an meiner Brust gedrückt, hetze ich durch die Gänge. Auch wenn ich nicht wirklich hinsehe, spüre ich, wie jegliche Aufmerksamkeit auf mich gerichtet ist, während ich vor der Schmach weglaufe. Sie alle, die verteilt im Flur stehen, starren mich an. Geschockt und gleichzeitig belustigt schauen sie mir hinterher, während ich tränenüberströmt vor all dem hier fliehe. Manchmal stolpere ich etwas über meine nackten Füße. Ich kann mich aber noch selbst daran hindern zu fallen. Zu groß ist bereits der Schmerz, der meinen ganzen Körper befallen hat. Ich will einfach nur noch von hier weg und jeder Fall verzögert das Ganze nur noch weiter. So stürme ich schließlich durch die Eingangstür, laufe die große Steintreppe hinunter und will schon am anderen Ende des Grundstückes durch das große Tor eilen, als ich plötzlich stehen bleibe. Ich sehe zur Straße hin. Meinen Blick, von Angst und Scham erfüllt, wende ich hektisch hin und her. Überall sehe ich Menschen, die unbeirrt ihren Alltag folgen, und wie ständig Autos über den Asphalt rattern. Automatisch weiche ich einige Schritte zurück, bis ich mich seitlich zur Mauer flüchte und mich dahinter verstecke. Nein, das kann ich nicht! Ich kann da nicht raus, ich kann aber auch nicht hierbleiben! In meinem Kopf spuken sämtliche Vorstellungen und Gedanken, die meinen Verstand zu rauben scheinen. Innerlich höre ich wieder dieses Gelächter, welcher in allen Überfluss auch noch lauter wird. Es verfolgt mich! Langsam krümme ich mich zusammen und rutsche dabei weiter an der Mauer entlang, wodurch ich nach und nach von dem umgebenen Gestrüpp verborgen werde. Ich knie mich sogar hin und krieche noch weiter durch das dichte Laub, bis ich schließlich inmitten anhalte und mich dort zusammenkaure. Ich will einfach von niemandem mehr gesehen werden und wenn ich mich schon nicht ins Bodenlose verschwinden kann, so will ich zumindest durch das Blätterdach von ihnen verschont werden. Ich kann einfach nicht mehr und trotzdem sehe ich vor geistigen Auge diese Menge an Menschen. Wie sie da alle stehen, lachen und mit ihren Handys Fotos von mir schießen. Ich will nur noch vergessen, aber dieses Lachen hallt noch so sehr in meinem Kopf, sodass man glaube könnte, mein ganze Körper wieder wie Glas zerspringen. Die Arme um meine Beine geschlungen, kullert eine Träne nach der anderen an meinen Wangen herab. Beinahe wie kleine Wasserfälle bahnen sie sich nach und nach immer mehr ihren Weg und scheinen dabei nicht mehr zu versiegen wollen. Stumm sitze ich da und starre in die Leere. Meine Gedanken sind nur noch auf das Geschehen gerichtet. So sehr ich mir auch wünsche, ich könnte mal an etwas Anderes denken und wäre das auch nur für eine Minute möglich. Jedoch fühle ich mich alles andere als im Stande dies zu tun. Könnte ich doch in ein schwarzes Loch fallen. Ich würde nie mehr wieder herauskommen. Dann gibt es mich nicht mehr und dieser Scheiß würde endlich mal ein Ende finden, aber ich kann nicht einmal nach Hause. Es wäre zwar nicht weit, bis ich endlich in meinem Zimmer wäre, aber es geht nicht. Ohne meine Kleidung ist es mir unmöglich, dieses Grundstück zu verlassen und diese befindet sich leider in meiner Sporttasche. Egal wie sehr ich es auch will, aber allein der Gedanke daran, noch einmal vor Augen anderer dieser Schmach ausgesetzt zu sein, macht mich fertig. Ich möchte es mir nicht einmal vorstellen, was sonst noch auf mich zukommen könnte. Vielleicht wartet Lucinda sogar irgendwo in der Nähe, lässt mich suchen, oder hat noch etwas für mich vorbereitet, sodass ich endgültig ausraste. Ich hoffe nur, sie finden mich nicht. Noch einmal schaffe ich das nicht. Dabei sehne ich mich einfach nur nach jemandem, der mir seine helfende Hand reicht und mich endlich von hier wegbringt. Ach Raphael, wärst du doch hier. Du bist der Einzige, dem ich vertraue, aber es ist Tag. Da kannst du nicht einmal in der Nähe sein und wie soll ich dich überhaupt erreichen? Wenn du nur wüsstest, was mir gerade passiert ist und wie viel Angst ich im Moment habe. Als würde jemand meine Kehle zuschnüren und ich könnte demjenigen nicht entkommen. Ich kann ja nicht einmal das Schulgelände verlassen, ich kann rein gar nichts machen. Mein Blick fällt nun auf meinen Rucksack. Ganz nah an meinem Körper habe ich ihn positioniert und würde mir gerade nicht dieser Gedankensprung in den Sinn kommen, so hätte ich das Ding nicht weiter beachtet, sondern wäre einfach weiterhin in Selbstmitleid versunken. Das, was ich aber befürchte, ist weit schlimmer und ich bete zum Himmel, dass ich mich doch irren könnte. Hastig krame ich in meinem Rucksack und ziehe schließlich mein Smartphone heraus. Zögerlich drücke ich auf dem Display, während ich mir unsicher auf der Unterlippe beiße. Als ich anschließend ins Internet gehe und dann in den gesuchten Webseiten nachsehe, ob meine Befürchtung wirklich stimmt, habe ich plötzlich das Gefühl, als wenn mich gerade der Schlag treffen würde. Die Leute haben tatsächlich Fotos und Videos von mir gemacht und in allen Überfluss haben sie diese hochgeladen und mit üblen Kommentaren bestückt. Ich scrolle herunter und je mehr ich davon sehe, desto mehr von diesem widerlichen Zeug kommt mir entgegen. « „Halbnackter Wahnsinn in der Schule“; „Gestörte Irre spielt „Ball“ mit einer Sporttasche“; „Verrückte Bitch hat sich wohl in der Tür verirrt“ „Handtuch-Dance am Flur“ » und noch mehr solcher „Titel“ überschwemmen die Seiten. Mir wird schlecht, aber ich kann mein Smartphone nicht wieder aus der Hand legen. Ich bin irgendwie gefangen und überfliege sogar einige Hate-Kommentare, die mir im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge stechen: « „Wohl nicht nur die Sachen daheim gelassen, ihr Hirn scheint auch dort zu sein“; „Wie dämlich kann man nur sein … ach so geht das, verstehe“; „Hat wer ´ne Zwangsjacke dabei? Der Olle ist doch kalt!“ » Ich bin in einem Albtraum, das muss ein beschissener Albtraum sein! Nie, in meinem ganzen Leben hätte ich es für möglich gehalten, dass mir jemals sowas passieren würde. Hat denn das vorhin nicht gereicht?! Müsst ihr denn auch noch auf mich drauftreten, wo ich doch schon am Boden liege?! Kopfschüttelnd und fassungslos starre ich auf dem Display. Was ich jetzt gerade fühle, ist momentan kaum in Worte zu fassen. Dass nichts mehr so ist wie vorher, ist das Einzige was klar ist. Wie kann ich jemals überhaupt wieder auf die Straße gehen? Selbst wenn ich nun von hier wegkomme, ich bin mein Leben lang gebrandmarkt. Das kann man niemals mehr wieder löschen. Mir kann keiner mehr helfen. Bestürzt und mit den Tränen kämpfend, stopfe ich mein Smartphone wieder zurück in den Rucksack und lege schließlich mein Gesicht auf meine Knie. Schluchzend umklammere ich diese mit beiden Armen und lasse die Tränen einfach fließen. Mein Kraft ist dahin, aber mir will es einfach nicht in den Kopf, warum ich so gepeinigt werde. Immer wieder frage ich mich das flüsternd, ohne auf eine Antwort zu erhoffen. Die kann mir ohnehin keiner geben. Noch lange hocke ich so da. Wie viel Zeit dabei verstreicht, weiß ich nicht und es interessiert mich auch nicht. Das Einzige, was ich mir sehnlichst wünsche, ist einfach davonlaufen zu können. Ich will einfach nur weit weg sein, alles hinter mir lassen und nie mehr wieder zurückschauen. Wenn es doch nur möglich wäre, ich würde alles dafür tun. Ohne mich von der Stelle zu rühren, höre ich aus der Ferne sämtliche Geräusche. Egal ob es die Schulglocke ist, die das Ende des letzten Unterrichts des Tages einläutet, die Autos auf der Straße, oder ob es die Menschen selbst sind, die ihren Alltag nachgehen, ich bin weiterhin hier und verstecke mich vor der Welt. Ich könnte mich ohnehin kaum fortbewegen. So sehr ich das auch will. Mein gesamter Körper ist wie gelähmt, als würde ich eine ganze Tonne auf meinen Schultern tragen. Raphael, bitte hole mich, ich brauche dich! Ach, denk nach Bernadette, wie soll er das machen!? Erst nach Sonnenuntergang, kann er die Kanalisation überhaupt verlassen und woher soll er überhaupt wissen, dass ich noch hier bin? Bis er das weiß, ist die Sonne vermutlich wieder aufgegangen. Ich seufze. Meine Tränen sind schon eine Weile versiegt. Obwohl ich allen Grund hätte, wie ein Schlosshund zu heulen, kommt nichts mehr. Stattdessen fühle ich mich einfach nur schwach und ausgelaugt, bis ich meinen Kopf wieder von meinen Knien hebe und schwerfällig in die Leere starre. Mein Blick fällt wieder auf dem Rucksack. Doch an mein Smartphone denke ich gerade nicht. Ich will es sogar nicht mehr wieder fassen, aber darin gibt es noch etwas, was ich trotz meiner Scheißlage nutzen kann. So greife ich wieder in meinem Rucksack und stöbere so lange, bis ich das schwarze, handyähnliche Ding herausgeholt habe, was Donnie mir mitgegeben hatte. Beinahe hätte ich vergessen, dass ich es heute mitgenommen habe und kaum, dass ich es wieder in der Hand halte, wird mein Wunsch, zumindest Raphaels Stimme zu hören, umso größer. Zögerlich klappe ich den Deckel auf, was wohl einst einem Handy aus der älteren Generation gehören musste. Die Innenseite gleicht aber mehr einem Smartphone, trotz dass es zusätzlich mit Tasten ausgestattet. Eine kurze Weile verharrt mein rechter Daumen in der Luft. Ob er wirklich rangehen wird? Ich hoffe es so sehr und drücke schließlich auf die Nummer meines Freundes. Bitte Raphael, geh ran. Aus Raphaels Sicht: „Wenn du glaubst, du könntest mich mit albernen Zahnstocher besiegen, dann hast du dich geschnitten.“, meine ich nur provokant, während ich zu meinem Bruder mit der lila Maske und der Brille im Gesicht hinsehe und dabei schelmisch grinse. Ich bin besser als er. Da kann er noch so lange üben, wie er will. Mit seinem Stöckchen kommt er da bei mir nicht weit und selbst mit dem eingebauten Trick kann ich immer wieder durschauen und seinen Bewegungen entgehen. Also warum fordert er mich ständig heraus, wenn er sowieso demnächst auf Maul fliegt? Wenn er es aber so will, dann werde ich eben nachhelfen. Mit beiden Sais in jeder Hand gehe ich auf der sechseckigen Plattform in Stellung, was Donnie ebenfalls tut. Leicht mit dem Oberkörper nach vorne gebeugt und mit seinem Bo in Bereitstellung entgegnet er mir nur und das auch noch mit einer ruhigen und selbstsicheren Stimme: „Warte es nur ab. Du wirst schon sehen, was du von deiner Großkotzigkeit hast. Mach dich lieber bereit!“ Darauf kann ich nur lachen: „Spitz schon mal deine Lippen, denn du wirst schon bald den Boden unter deinen Füßen küssen.“ Ein schelmisches Grinsen breitet sich in meinem Gesicht aus und ich kann es kaum erwarten, bis Donnie tatsächlich am Boden liegt. Er mag vielleicht mehr in der Birne haben, als so manch anderer hier in der Kanalisation, aber dennoch ist er meiner Kraft und meiner Überlegenheit nicht gewachsen. „Jo Leute, könnt ihr nicht endlich mal anfangen? Da stirbt man ja schon vor Langeweile, bis ihr euch mal in Bewegung setzt.“, mischt sich nun Mikey ein, der etwas abseits des Kampfringes steht und uns mit einem genervten Seufzer beobachtet. Er kann zwar ruhig zusehen, aber er soll gefälligst die Klappe halten. Meckernde Zuschauer sind hier nicht erwünscht! Ich rolle nun leicht grummelnd mit den Augen. Ohne meinen Blick von Donnie abzuwenden, antworte ich dem Dummschwätzer leicht gereizt: „Ruhe da auf dem billigen Plätzen!“ Schon habe ich meine Aufmerksamkeit wieder auf meinen Gegner gerichtet, der in diesem Augenblick auf mich losstürmt. Endlich geht es los. Begeistert grinse ich schief und starte ebenfalls einen Angriff. Meine Sais direkt auf Donnie gerichtet, renne auf ihn zu. Er wiederum wirbelt währenddessen mit seinen Holzstab und hofft wohl, dass er mich nach einer gezielten Attacke aus der Balance bringen kann. Er zielt sogar auf meine Knöchel. Auch wenn er unser Genie ist, so ist er doch so leicht zu durchschauen. Vielleicht sollte er mal eine Taktik anwenden, die nicht so offensichtlich ist. Ich lasse mich aber auf sein Spielchen ein. Was gibt es schöneres, als den bevorstehenden Sieg umso reizvoller zu machen. Auch wenn der Kampf erst begonnen hat, heißt das noch lange nicht, dass er nicht genauso gut wieder sofort beenden kann. Wenn man es halt draufhat, dann muss das auch gezeigt werden und in diesem Fall braucht mein Bruder mit der lila Maske diese Lektion. Somit täusche ich eine kleine Schwäche vor, gehe dabei aber noch rechtzeitig in Deckung, als Donnie schon zum nächsten Schlag ausholen will. „Ha, so leicht mache ich es dir nicht.“, murmle ich und nutze meine Chance. Gerade in diesem Augenblick ist sein Oberkörper ungeschützt, weswegen ich mein Gewicht verlagere und meine gesamte Kraft auf meinen linken Arm lege. Mit einem ordentlichen Kampfgebrüll stürme ich los und treffe ihn dabei gekonnt auf der Brust, wodurch er mit hohen Bogen nach hinten fällt. Gedanklich warte ich nur darauf, dass er mit einem ordentlichen Knall und mit dem Panzer voraus auf dem Boden landet. Das heißt, dass der Kampf wohl wieder vorbei ist. Schade eigentlich, aber man sollte sich nicht mit mir anlegen. Ich fühle mich schon als Sieger und drehe mich daher zur Seite, als ich im Augenwinkel merke, wie mein Bruder noch rechtzeitig auf dem Geheimkopf seines Stabes drückt. Der Schleudermechanismus wird ausgelöst und so wird das Genie mit Hilfe des Stück Holzes wieder zurück auf die Plattform katapultiert. Sicher landet er auf seinen Füßen, als wäre nichts gewesen. „So leicht wirst du mich nicht los Bruderherz. Ich würde dir also raten, mich zu unterschätzen.“, lacht Donnie und wirbelt gekonnt mit seinem Stab, eher er schließlich wieder in Stellung geht und seine nächste Chance wartet. Eines muss ich ihm lassen, mit seinem Bo kann er einiges anstellen. Er weiß damit umzugehen und mit dieser „Rettungsaktion“, mit dem er seinen Panzer noch rechtzeitig gerettet hat, hätte ich jetzt ehrlich gesagt nicht gerechnet. Mich stört das aber keineswegs, denn so kann es nun weitergehen, worauf ich mich schon freue. Ein längerer Kampf ist mir weit lieber, als wenn er schon nach kurzer Zeit wieder vorbei ist. Denn wo bleibt da der Spaß? Wenn mein Bruder aber glaubt, dass ich ihn mit Samthandschuhen anfasse, dann irrt er sich. Er wird schon sehen, was er davon hat, wenn er mich herausfordert. Kurz lasse ich meine Gelenke knacken, ehe ich nun selbst in Position gehe und Donnie fixiere. Der Kampf geht schließlich weiter und ich bin schon in Begriff, auf ihn loszustürmen und ihm einen ordentlichen Schlag zu verpassen, als plötzlich mein Handy zum Klingeln anfängt. Überrascht halte ich in meiner Bewegung inne, ehe ich einen meiner Sais wegstecke und dafür das noch immer klingende Ding aus meinem Gürtel ziehe. Eigentlich will ich Donnie noch verklickern, dass wir mal kurz eine Pause machen, als ich schon von seinem dämlichen Stab getroffen werde und zu Boden stürze. In Hitze des Gefechts, hat der Hirni zu spät realisiert, dass ich gerade etwas sagen wollte. Doch schon eilt er besorgt zu mir und hilft mir auf. „Hey sorry, ich habe nicht gesehen, dass …“, entschuldigt er sich, aber ich breche ich inmitten des Satzes ab, bevor es noch zu einem Endlosgeschwafel ausartet. Stattdessen hebe ich das Handy auf, was mir dabei aus der Hand geflutscht ist. Es klingelt immer noch, aber ich habe kein gutes Gefühl dabei. Als ich den Deckel aufklappe, sehe ich auf dem Display, dass es Bernadette ist. „Ist sie es?“, fragt Donnie besorgt, während nun auch er auf das Ding schielt. Dabei scheint er womöglich dasselbe zu denken wie ich und zwar, dass da irgendetwas nicht stimmt. Ich spüre das einfach. Was Donnies Frage betrifft, nicke ich nur und gehe schließlich ran: „Bernadette, hey, was gibt´s?“ Stille ist auf der anderen Seite zu hören. Nein, das stimmt nicht ganz. Vollkommen leise und kaum hörbar, nehme ich von der anderen Leitung ein leises Schluchzen wahr, was sämtliche Alarmglocken bei mir läuten lässt. Sofort fordere ich meine Freundin auf, mir zu erklären, was hier eigentlich abgeht: „Hey, was ist los?! Nun sag doch was!“ „Raphael? … Ich weiß … es ist zu viel verlangt, aber … aber bitte komm! … Bitte hol mich!“, stottert Bernadette ins Handy hinein und klingt dabei so verzweifelt, dass es einem ja bis auf Mark erschüttert. Was zum Henker ist passiert?! Sämtliche Befürchtungen schießen mir durch den Schädel, aber stattdessen will ich einfach nur wissen, was mit ihr ist: „Bernadette, was ist passiert?! …“ Eigentlich hätte ich sie noch gefragt, ob sie verletzt ist, aber sie fällt mir nur schluchzend ins Wort und fleht mich an, sieh zu holen. Weitere Fragen diesbezüglich bringen sich nichts, stattdessen will ich von ihr etwas anderes wissen: „Wo … wo bist du?!“ „Vor der Schule … ich kann nicht weg … bitte … bitte komm! ...“, antwortet sie mir und ich höre, wie sie am Ende weint. „Ich komme, ich bin bald da! Hörst du?!“, rufe ich noch am Ende ins Handy hinein, ehe ich dann auflege. Ich darf keine Zeit mehr verlieren, ich muss sofort zu ihr! Währenddessen ich so sehr mit Bernadette beschäftigt gewesen bin, haben sich meine beiden Brüder ganz dicht an mich gedrückt. Sie wollten mithören, was eigentlich los ist, aber ich habe jetzt keine Zeit, es ihnen zu erklären. Ich muss los, bevor ihr noch mehr passiert! Ohne jegliche Erklärung den anderen gegenüber, stürme ich einfach los. Allerdings mache ich beim Eingang kurz halt. Bevor ich aber das Versteck verlasse, rufe ich den anderen noch zu: „Sagt Leo und dem Sensei Bescheid, dass ich nach oben muss! Es ist ein Notfall!“ Normalerweise dürfen wir ja das Versteck bei Tageslicht nicht verlassen. Nur wenn es sich dabei um einen triftigen Grund handelt, können wir es und dieser ist gerade eingetroffen. Ich habe zwar keine Ahnung, was hier gespielt wird, aber so aufgelöst habe ich Bernadette, abgesehen von der Spind-Sache, noch nie erlebt. So laufe ich durch die Kanalisation und versuche den schnellmöglichsten Weg zu ihr zu finden. Das Einzige, worüber ich momentan froh bin, ist, dass ich weiß, wo sich ihre Schule befindet und das weiß ich nur deswegen, weil sie mir den gezeigt hatte, als wir mal zufällig daran vorbeigelaufen sind. Ich weiß noch, wie sie an jener Nacht zu mir sagte: „Das ist übrigens das Irrenhaus, von dem ich dir erzählt habe.“ Ich hoffe nur, ich finde diese Schule. Doch von hier unten sieht die Sache etwas anders aus, als wenn man von oben sämtliche Dächer im Blick hat. Wenn ich mich aber jetzt nicht irre, müsste ich eine gute Strecke noch geradeaus laufen und dann rechts abbiegen, ehe ich dann den nächsten Schacht nach oben nehmen kann. So richtig klar kann ich aber nicht in Moment nicht denken. Auch wenn mir deutlich bewusst ist, dass ich meinen Weg gut im Auge behalten muss. Viel zu sehr mache ich mir Sorgen um Bernadette. Allein ihre zittrige Stimme hat sich in mein Hirn eingebrannt. Was in drei Teufelsnamen ist passiert?! Ständig geht mir diese Frage, sowie auch sämtliche Befürchtungen durch den Kopf. Währenddessen hetze ich wie ein Irrer durch die Kanäle, nur damit ich endlich den gesuchten Schacht erreiche. Als ich allerdings nach einiger Zeit vor der Leiter stehe, halte ich kurz inne. Jetzt heißt es nämlich, vorsichtig sein. Auch wenn ich mich beeilen muss, darf ich von niemandem gesehen, geschweige in irgendetwas anderes verwickelt werden. Ich habe dafür einfach keine Zeit! Schließlich klettere ich die Leiter hinauf und drücke den Gullideckel zur Seite. Ich wage einen vorsichtigen Blick nach draußen. Gut, keiner ist in der Nähe, das heißt ich kann raus. So schleiche mich hinaus und drücke mich in der Gasse, in der ich gerade gelandet bin, an die nächste Wand. Geschützt vom Schatten, der mir gerade geboten wird, sehe ich mich um. Hoffentlich bin ich rechtzeitig abgebogen, sonst muss ich noch einmal hinunter. Mein Blick schweift in Richtung anderer Straßenseite und zeigt mir, dass ich doch richtig bin. Denn auf der anderen Seite sehe ich den hinteren Teil der High-School, sowie auch die Steinmauer, die das Grundstück umgibt. Weiterhin stehe ich unter Spannung, als ich mich von meiner Stellung löse und wie ein schneller Schatten weiterlaufe. Ich kann von Glück reden, dass gerade in diesem Augenblick nicht gerade sehr viel los ist, weswegen ich mich bei den parkenden Autos für kurze Zeit gut verstecken kann, bis ich schließlich über die Mauer klettere. Ich muss mich beeilen, aber zu meiner Erleichterung ist der Haufen aus Stein nicht gerade sehr hoch, weswegen ich mich nicht so wirklich bemühen muss, um hinüber zu kommen. Kaum habe ich mit meinen Füßen das Gras auf der anderen Seite berührt, gehe ich sofort wieder in Deckung. Zwischen den Bäumen und Sträuchern wage ich mich weiter voran und rufe ständig nach Bernadette, wobei ich mich bemühe nicht allzu laut zu sein. Noch bemerke ich nichts, wodurch sich die Spannung in mir verstärkt. Dabei sagte sie doch, sie wäre vor der Schule und sie könnte nicht weg. Das heißt, sie muss irgendwo auf dem Schulgelände sein, nur wo? Noch einmal rufe ich nach meiner Freundin, bis ich sie schließlich doch höre: „Raphael? … Ich … ich bin hier.“ Bewusst versuche ich herauszufinden, woher ihre Stimme gekommen ist und so suche ich die nächsten Büsche ab. Es dauert nicht lange, bis ich meine Freundin schließlich zusammengekauert im Gras hocken sehe. Jedoch verschlägt es mir bei diesem Anblick die Sprache. Bernadette hat nichts weiter am außer einem Handtuch, welches spärlich ihre Körper bedeckt. Ihre Haare sind zerzaust und hängen ihr teilweise wild im Gesicht. Ihre Augen sind vollkommen rot, während alles Andere so blass ist, als wenn sie gerade um ihr Leben gekämpft hätte und dabei noch mit dem Schrecken entkommen konnte. Mit einem verzweifelten Blick sieht sie mich leicht zitternd an, rührt sich aber nicht von der Stelle. Wie ein hilfloses Kaninchen, welches in die Falle getappt ist, blickt sie hilfesuchend zu mir empor, während sie zitternd ihren Rucksack umklammert. Scheinbar ist dies, das Einzige, was ihr, neben das Handtuch noch geblieben ist. Wie von einer Tarantel gestochen, eile ich zu ihr und lasse mich vor ihr auf die Knie fallen. Dabei nehme ich sie in den Arm und drücke sie behutsam an mich. An meiner Brust geklammert schluchzt sie. Ein weiteres Mal bricht sie in Tränen aus, als hätte sie sich vorhin nur zurückgehalten. Völlig überfordert mit der Situation bleibe ich einfach in meiner Stellung und sage nichts. Ich wüsste nicht einmal, was ich sagen sollte. Dafür schießen mir sämtliche Gedanken durch meinen Schädel, während sich auch Wut, Angst und Verwirrung zugleich in mir breitmachen. Was verdammt noch mal ist nur passiert?! Was haben sie meinem Engel nur angetan?! Wer allerdings dafür verantwortlich ist, weiß ich nur zu gut. Ich spüre schon, wie der Groll wegen Lucinda wieder in mir emporsteigt. Am liebsten würde ich momentan irgendetwas zerschmettern! Viel mehr noch, ich hätte dieses Miststück so gerne vor mir, damit ich ihr solch einen Schrecken einjagen kann, sodass sie nicht wieder mehr aufsteht! Allerdings ist Bernadette jetzt weit wichtiger. Zitternd krümmt sie sich in meinem Armen zusammen, als müsste sie befürchten, dass ich sie mit ihrem Schicksal alleine lasse könnte. Doch ich bleibe bei ihr und ich werde sie mit in die Kanalisation mitnehmen, wo sie sicher ist. „Bernadette, willst du mir nicht erzählen, was geschehen ist?“, spreche ich sie fragend an, aber meine Freundin drückt nur beschämt ihren Kopf in Richtung Erde und schweigt. Weitere Tränen folgen daraufhin und manche tropfen sogar direkt auf mich. Vorsichtig wische ich ihr die letzte Träne aus ihrem Gesicht und versuche ihr gut zu zureden: „Komm schon, dass kriegen wir wieder hin. Du wirst schon sehen, alles wird wieder gut.“ Auch wenn ich keine Ahnung habe, was vorgefallen war, irgendetwas musste ich ja zu ihr sagen. Obwohl es auch für meinen Geschmack wie aus dem schlechten Film geklungen hat, ist mir einfach nichts Besseres eingefallen und bevor ich nur stumm dastehe, war das schon ein Versuch wert. Allerdings schüttelt Bernadette bei meinen Worten nur heftig den Kopf, während sie ihren Blick weiterhin nach unten gerichtet hat. Irgendetwas sagen, kann sie gerade nicht und vermutlich kämpft sie gerade damit, kämpft nicht schon wieder in einer Heulattacke auszubrechen. Sie steht wieder kurz davor und ist mit ihren Nerven völlig am Ende. Es ist schon beinahe unerträglich, sie so zu sehen, weswegen ich sie schließlich wieder an mich drücke und sie beim Aufstehen behutsam hochnehme. Bernadette zuckt zusammen und verkrampft sich dabei, was in ihrem jetzigen Zustand gar nicht anders zu erwarten wäre. Jedoch sehnt sie sich nach meiner Nähe, weswegen sie ihren Kopf fest an meine Brust drückt und ihr Gesicht beinahe vollständig darin vergräbt. Leicht spüre ich, wie sie zittert und das liegt sicherlich nicht nur daran, dass sie kaum etwas anhat, oder dass ihre Haare sehr feucht sind. Vielmehr ist es ihr derzeitiger Zustand, welcher ihr zu schaffen macht und ich habe keine Ahnung, was ich nun machen kann. Das Einzige, was ich jetzt tun kann, ist sie von dieser Hölle wegzubringen und dies will ich sofort in die Tat umsetzen. Bevor ich jedoch wieder losstürmen kann, fällt mir noch ihr Rucksack auf, welcher noch mitten im Gras liegt. Ohne Bernadette fallen zu lassen, gehe ich etwas in die Knie, greife die Tasche mit der rechten Hand und mache mich schließlich auf dem Weg. So schnell ich nur kann, flitze ich über das Gelände, springe über die Mauer und eile in Richtung Gasse, wo ich mit meiner Liebsten durch den noch offenen Schacht in die Kanalisation flüchte. Kapitel 32: Hilfe ist da ------------------------ Aus Raphaels Sicht: Langsam schreite ich mit Bernadette durch die Kanalisation. Ich laufe absichtlich nicht, damit ich meinem Engel etwas Zeit geben kann, sich wieder etwas zu beruhigen. Ihr Körper ist bis auf dieses leichte Zittern völlig starr. Zumindest bewegt sie nicht einmal ihre Hände und sie bleibt auch so in ihrer jetzigen Position. Der Schock und besonders die Angst sind förmlich in ihren Augen zu sehen. Als würde sie das, was sie erlebt hat, wie eine Endlosschleife immer wieder erleben und sei es auch nur im Kopf. Was haben die mit ihr gemacht und was ist das bitteschön für eine Schule?! Das ist doch das reinste Irrenhaus! Wie können die Lehrer auch nur so etwas zulassen? Haben die keine Augen im Kopf, oder hat man bei denen einfach das Hirn vergessen, so wie auch bei sämtlichen Schülern! Ich begreife das einfach nicht! Ungewollt balle ich mit einer Hand eine Faust, ohne, dass ich Bernadette dabei fallen lasse. Ich bin so richtig in Stimmung auf etwas einzuschlagen. Wo ist ein Boxsack, oder irgendein Idiot, auf dem ich mal einprügeln kann? Nie ist sowas da, wenn man es mal braucht! Reiß dich zusammen Raphi! Sie braucht dich jetzt! Alles andere ist unwichtig! Tadelnd schimpfe ich innerlich mit mir selbst, da ich selbst weiß, dass für meinen Zorn momentan kein Platz ist. Es geht um Bernadette und ich werde ihr helfen. Auch wenn ich noch nicht weiß, wie ich das anstellen soll, aber mir wird noch etwas einfallen. Ich schaue nun zu ihr runter und merke, dass sie sich einfach nur verkriechen will. Wie auch vorhin hat sich nichts bei ihr verändert. Sie hat einfach Angst. Ich kann nachvollziehen, dass sie sich vor der ganzen Welt verstecken will. Auch wenn ich es nur erahnen kann, was vorgefallen sein muss. Das heißt aber noch lange nicht, dass es was bringt. Egal was war, sie wird es nicht einfach so verdrängen können. Am liebsten würde ich ihr wieder aufmunternde Worte zuflüstern. Dass wir einen Weg finden werden, egal was dafür notwendig ist, aber erstens habe ich keine Ahnung, was ich sagen soll und zweitens würde sie mir vermutlich nicht wirklich zuhören. Schon beim vorigen Mal hatte sie einfach nur mit dem Kopf geschüttelt, da sie es nicht glauben konnte, oder einfach nicht wollte. Das lag aber auch daran, dass sie vorhin viel aufgebrachter war und ständig damit kämpfte, nicht ständig in Tränen auszubrechen. Jetzt hingegen liegt sie einfach nur stumm in meinen Armen und starrt in die Leere. Ich hoffe nur, dass es daheim besser klappen wird, mit ihr zu reden. Auch wenn ich es gerade nicht wirklich glauben kann. Bernadette wird aber nicht drum herumkommen, es uns zu erzählen. Abgesehen davon, dass ich die Betreffenden mal ordentlich die Fresse polieren möchte, bin ich mir sicher, dass meine Familie sie ebenfalls ausfragen wird. In Moment geht es mir nicht viel anders. Es brennt mir förmlich schon unter den Fingernägeln, endlich einmal den Mund aufzumachen und die betreffenden Worte auszusprechen. Ich will und muss wissen, was diese Idioten mit ihr gemacht haben! Wer war dafür verantwortlich und wie konnte es überhaupt soweit kommen?! Am liebsten hätte ich diese Fragen sofort aus mir herausposaunt. Jedoch hat mir der vorherige Anblick gezeigt, dass es im Moment nicht möglich ist. Bernadette wird mir auf meine Fragen nicht antworten, zumindest noch nicht. Zu sehr ist sie noch in ihre Angst gefangen und ich werde ihr helfen, da irgendwie wieder herauszufinden. Es ist daher besser, wenn ich warte, bis wir wenigstens bei mir zu Hause sind. Denn dann ist meine Freundin in einem geschützten Bereich. Ihr kann dort nichts passieren. Vielleicht fühlt sich Bernadette dann etwas wohler und kann dann endlich mit mir reden. Derzeit habe ich aber eher den Eindruck, dass es gerade keinen Sinn hat, sie auszuquetschen, oder sie gar zu drängen. So muss ich mir schon beinahe auf der Zunge beißen, damit ich nicht sofort loslege und sie mit meinen Fragen durchlöchere. Also halte die Klappe Raphi! Mit diesem Befehl an mich selbst gerichtet, marschiere ich geradewegs weiter. Als ich schließlich mit ihr endlich daheim ankomme, werden wir schon, wie von mir bereits erwartet, von den anderen in Empfang genommen. „Hey, da seid ihr ja endlich!“, ruft Donnie uns entgegen. Er ist der Erste von ihnen, der uns sieht, während ich mit Bernadette in meinen Armen auf meine Brüder zugehe. Als ich näherkomme, bemerkt Mikey, dass meine Freundin nichts außer einem Handtuch um dem Leib trägt und fragt entsetzt: „Mensch, was ist passiert?! Wo sind denn ihre Sachen?!“ Ich antworte aber nicht darauf und reagiere auch auf sonst nichts, was die drei von sich geben. Stattdessen marschiere ich geradewegs in Richtung Couch, wo ich meine Liebste behutsam absetze. Die anderen drei sind uns gefolgt und setzen sich nun dazu. Alle, wie auch ich, sind gespannt darauf zu erfahren, was nun passiert ist. Doch Bernadette ist so still, sodass man glauben könnte, sie wäre bereits in ihrer eigenen Welt abgedriftet und würde uns gar nicht mal bemerken. Die Stille ist unerträglich, bis Leo diese bricht und ähnlich wie Mikey folgende Frage stellt: „Was ist passiert?“ Zunächst sieht meine Freundin an, eher er seinen Blick zu mir wendet. Ohne diese Frage zu wiederholen, antworte ich ihm mit der Geste, dass ich es selbst nicht weiß. Kopfschüttelnd und achselzuckend zeige ich ihm dies und er nickt nur verstehend. Das mich das außerdem frustriert, ist ebenfalls deutlich von meinem Gesicht abzulesen. Alle Aufmerksamkeit ist auf Bernadette gerichtet, aber anstatt den Mund aufzumachen, schweigt sie weiterhin. Sie sieht uns nicht einmal an. Stattdessen kramt sie auf einmal in ihrem Rucksack, den ich in der Zwischenzeit neben ihr abgestellt habe, herum, bis sie ihr Smartphone herauszieht. Verwirrt beobachten wir das Mädchen, wie es eine Weile herumdrückt, bis es uns dann das Mobilgerät entgegen reicht. Ich nehme es schließlich und meine Brüder und ich begutachten nun das, was Bernadette uns eingestellt hat. Mir wäre beinahe vor Schreck der Panzer abgefallen, nachdem ich schon die ersten Sekunden des Videoclips gesehen habe und dabei scheint es den anderen nicht viel besser zu ergehen. Umzingelt von anderen Teenagern läuft meine Liebste hin und her und versucht ihre Sachen zu erhaschen, während sie mit einem bösartigen Geplärre verspottet und zum Narren gehalten wird. Das Video endet erst, als eine wütende Männerstimme in die Menge hineinbrüllt und alle Anwesenden zwingt, sofort in die Klassen zurückzukehren. Fassungslos stehe ich und starre weiterhin auf das Handy meiner Freundin. Nun begreife ich, warum es ihr nicht möglich ist, davon zu erzählen. Sie bringt ja nicht einmal ihren Mund auf, weil sie sich deswegen so schämt. Mit einem miesen Trick wurde meine Liebste zum Gespött zur Schule und ich vermute, dass sie vorhin in der Dusche gewesen sein muss. Anders könnte ich es mir nicht erklären, dass sie bis jetzt nur mit einem Handtuch um Körper herumläuft. Selbst im Video sehe ich, dass hier Haare nass sind. Abwechselnd schaue ich zu ihr und dann wieder auf dem Display, bis Donnie mir das Ding schließlich aus der Hand nimmt. Ohne ein Wort scrollt er weiter und nach seinem Blick zu urteilen, scheint dies nicht das einzige Video zu sein, was im Netz herumkursiert. Hin und her wandern seine Augen und schließlich bestätigt er meine Vermutung: „Leute, dass ist nicht das Einzige. Es gibt noch mehr von dieser Sorte und auch einzelne Bilder. Einige Links weisen auf alles hin, was mit Bernadette zu tun hat. Von den Kommentaren dazu will ich erst gar nicht anfangen. Die erspare ich euch lieber.“ Sein Blick bestätigt nur das, was er da gerade eben gesagt hat und ich will auch erst gar nicht wissen, was so ein Vollkoffer über Bernadette geschrieben hat. Ich würde da nur explodieren, so wütend bin ich, aber vermutlich hat meine Freundin es bereits selbst gelesen. „Zeig her.“, bittet Mikey ihn und liest nun selbst, was er gerade findet. Allein diese Hate-Kommentare sind unbeschreiblich. Bernadette wird mit allmöglichen Schimpfwörtern bombardiert, verspottet und sogar einige Drohungen finden sich hi und da wieder. Manches liest mein Bruder mit der orangen Maske auf Bitten der anderen vor, doch bei jedem Mal zuckt meine Liebste zusammen. Als würde sie diese leibhaftig von jener Person hören. „Es reicht, hör auf Mikey!“, beende ich es schließlich. Auch wenn dies eher schroff aus meinem Mund gekommen ist, aber ich habe genug gehört und ich will davon auch nichts mehr wissen! Alles, was dort steht, ist erstunken und erlogen! Feige haben sich diese Mistkerle in Reihen aufgestellt und Bernadette dabei gefilmt, oder fotografiert. Anstatt, dass sich irgendeiner von ihnen traut, ihr zu helfen und diesen Scheiß zu beenden, haben sie alle „brav“ mitgemacht und sich über meine Freundin lustig gemacht. Auf ihre Kosten haben sich diese Idioten amüsiert und wenn ich könnte, wie ich wollte, ich würde sie allesamt noch einmal versammeln. Doch dieses Mal würden sie es mit mir zu tun bekommen! Sie würden meine Faust zu spüren bekommen, damit sie wissen, wie es sich anfühlt, wenn man bereits am Boden liegt und jemand anderes tritt noch einmal darauf! Ich wünschte, ich könnte es tun, allein wegen Bernadette. Meine Hände habe ich bereits zu Fäusten geballt, während ich mühselig versuche nicht auszuflippen. Es fällt mir aber schwer, da mir diese Bilder nicht mehr aus dem Kopf gehen und ich würde am liebsten jeden verprügeln, der mir über den Weg läuft. Nur so nebenbei kriege ich noch mit, wie Mikey besorgt in die Runde fragt: „Hat wer eine Ahnung, was wir jetzt machen können?“ Sein Blick ist abwechselnd auf uns gerichtet und besonders sieht er immer wieder zu Bernadette hin, die sich währenddessen auf der Couch leicht zusammengekauert hat. Ich merke gerade, wie Leos Gesicht immer ernster wird, bis er schließlich Donnie darum bittet, irgendetwas dagegen zu machen: „Meinst du, du könntest diese Videos und diese Bilder irgendwie vernichten?“ Das würde mich auch interessieren, ob dies wirklich möglich wäre. Denn wenn das wirklich geht, dann hätten wir zumindest ein Problem weniger. Der Angesprochene schüttelt aber mit leicht gehobenen Armen den Kopf: „Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Es wird schwer werden. Normalerweise bleibt alles, was im Netz ist, auch im Netz. Ich müsste da schon einige Viren miteinschleusen, damit es einen Effekt hat und selbst da ist es nicht gewiss, ob nicht doch die eine oder andere Lücke offenbleibt. Ich kann daher nichts versprechen.“ „Versuch, was du kannst.“, erwidert der Anführer darauf und Donnie macht sich mit einem ernsten Nicken auf dem Weg in sein „Labor“, nachdem er ihm das Smartphone in die Hand gedrückt hat. In Moment bin ich gerade unfähig irgendetwas zu sagen. Zu sehr hat mich schon die Wut gepackt. Ich will diese Lucinda und all jene, die das Bernadette angetan haben, finden und mit ihnen den Boden wischen! Am liebsten würde ich ja schon sofort losstürmen und die Betroffenen aufsuchen, wenn mich da Leo nicht gepackt und ein Stück von den anderen weggezerrt hätte. „Was zum Henker, soll das werden, wenn´s fertig ist?!“, beschwere ich mich, aber er deutet mir nur, dass er ich ihm noch ein Stück folgen soll. Scheinbar sollen die anderen nichts von unserem Gespräch mitbekommen, weswegen ich ihm widerwillig hinterhergehe. Erst außerhalb vom Wohnzimmer bleibt der Anführer stehen. Noch können wir die anderen gut sehen, aber es ist weit genug entfernt, sodass uns keiner so schnell hört. „Also was soll das jetzt Leo?“, frage ich nun noch einmal, der mein Bruder kontert: „Das sollte ich wohl eher dich fragen! Hast du etwa einen Knall?! Sollen wir jetzt wegen deiner Hirnlosigkeit Aufsehen erregen und entdeckt werden?! Denk gefälligst mal nach, bevor du irgendwelche hirnrissigen Aktionen durchführst!“ „Hätte ich sie etwa dort verrotten lassen sollen?!“, keine ich ihn an, aber er wiederum meint, bitterernst, dass er nicht das gemeint hat. „Und was bitte schön meinst du?!“, konfrontiere ich ihn damit und erhalte sofort die Antwort: „Ich meine das, was du jetzt abziehst! Beziehungsweise, was du gerade vorhast zu tun!“ Also ahnt Leo bereits, dass ich das Ganze nicht einfach so hinnehmen kann und nun auf eigenere Faust etwas unternehmen will. Jedoch hat er keine Ahnung und genau das werfe ich ihm ins Gesicht: „Dein bescheuertes „Anführergetue“ kannst du dir sonst wo hinstecken! Ich gehe da jetzt rauf und kralle mir mal die Verantwortlichen! Die werden mir nicht so schnell davonkommen!“ Schon will ich mich von meinem Bruder mit der blauen Maske wegdrehen und meine Worte in die Tat umsetzen, als er mich wieder packt. Er kann mir verdammt noch mal ganz schön auf den Wecker gehen! Doch bevor ich auch nur daran denken kann, mich wieder zu beschweren, folgt eine weitere Belehrung von ihm: „Und wo willst du die bitte finden?! Wir wissen nicht einmal wer alle da drin steckt und selbst wenn, müssten wir zuerst rausfinden, wo die sind. Und was willst du dann machen? Willst du sie so lange an den Beinen packen und schütteln, bis sie um Gnade winseln und schwören, dass sie so etwas nie mehr wieder machen?!“ In seinen Worten höre ich förmlich den Sarkasmus heraus, was mich noch mehr reizt. „Siehst du denn etwa nicht, wie sehr Bernadette unter all dem leidet?! Irgendetwas muss ich doch tun und außerdem haben die es verdient, mal in die Mangel genommen zu werden. Nie wieder sollen sie mein Mädchen verletzen!“, schnauze ich Leo an. Während ich ihm das an den Kopf werde, merke ich, dass ich immer lauter werde. Weswegen mein Bruder mich etwas weiter von den anderen wegschiebt. Anscheinend will er nicht, dass sie es hören, aber meinetwegen kann es die ganze Stadt mitbekommen! Ich bin auf zweihundert und jetzt lasse ich meine Fäuste sprechen! Doch Leo stellt sich mir zum dritten Mal in den Weg. Wenn er das noch einmal macht, dann kann er gleich meinen ersten Schlag ins Gesicht bekommen. Meine Finger brauchen eh schon eine kleine Aufwärmrunde. Doch schon packt der Blaumaskierte mich bei beiden Schultern, dreht mich mit einem Schwung um und deutet mit der rechten Hand auf Bernadette: „Und du glaubst in allen Ernst, dass ihr das jetzt was bringt?! Schau sie dir an! … Glaubst du wirklich, dass sie das will, oder dass sie das im Moment braucht? Ich glaube eher nicht, also überlege dir genau, was du jetzt tust.“ Ich sehe zu Bernadette, wie sie gerade ihren Kopf in Richtung Mikey gerichtet hat, der ihr ein altes, graues Sweatshirt reicht. Zögerlich nimmt sie es entgegen und streift es sich um den Körper. Das Kleidungsstück ist ihr jedoch viel zu groß. Es reicht ihr weit über ihre Knie und es wirkt beinahe schon wie ein verschlissenes Kleid mit viel zu langen Ärmeln. Dennoch ist es immer noch besser, als wenn sie sich schämend mit einem Handtuch um den Leib quälen muss. Für diese Idee bin ich meinem Bruder ehrlich gesagt sehr dankbar, auch wenn er es noch nicht weiß. Mikey grinst sie liebevoll an und hilft ihr beim Aufkrempeln für die Hände, was mein Mädchen mit einem schwachen und auch kurzen Lächeln dankt. Auch unser Vater gesellt sich zu den beiden und reicht Bernadette sogar eine Tasse Tee, was wohl die Nerven etwas beruhigen soll. Mit zittrigen Händen nimmt das Gefäß entgegen, trinkt aber nicht daraus, sondern blickt wieder beschämt zu Boden. Sprachlos sehe ich dem Treiben zu. Ein jeder tut etwas für sie. Selbst wenn es sich um Kleinigkeiten handelt, die meiner Liebsten vielleicht nur bedingt helfen können. Wenn ich aber sehe, wie sie sich trotz allem darauf einlässt, obwohl sie sich so sehr beschissen fühlt, wird mir anders. Während ich so sehr gegen meine Wut gekämpft habe und das auch weiterhin noch tue, derweil ich auch noch mit Leo über meine Freundin diskutiere, so frage ich mich, wo nun mein Platz liegt. Ich fühle mich so nutzlos, weil ich einfach den Eindruck habe, dass ich nichts außer das, was ich eigentlich vorgehabt hatte, tun kann. Doch braucht Bernadette das gerade wirklich? Will sie das denn? Allmählich begreife ich, was Leo vorhin gemeint hat und auch, dass meine plötzliche, nichtdurchdachte Idee schlimme Folgen haben könnte. Seien es nun wir selbst, oder meine Freundin, die es betreffen könnte. So sehr mich auch die Art des Anführers auf die Palme bringt, er hat Recht. So ungern ich das auch zugebe. „Was soll ich, deiner Meinung nach, machen?“, frage ich ihn das mit einer leisen Stimme, aber er meint nur darauf: „Geh zu ihr. Du bist immerhin ihr Freund, also unterstütze sie. Gib ihr das Gefühl, nicht allein zu sein. Sie braucht dich jetzt mehr denn je, also vergiss das nicht.“ „Und was soll ich zu ihr sagen? „Es wird alles wieder gut“, oder was? Das glaubt sie mir jetzt sowieso nicht.“, erwidere ich darauf, weil ich es mir einfach nicht vorstellen kann, dass das meiner Freundin wirklich hilft, aber selbst dazu hat mein Bruder einen Vorschlag parat: „Sag einfach nichts, wenn dir nichts Passendes einfällt. Sei einfach bei ihr. Ich glaube, dass hilft ihr mehr, als wenn du ihr was vormachst.“ Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen und seufze. Dabei löse ich meine Fäuste wieder und hake somit meine eigentliche Idee ab. Schließlich nicke ich meinem Bruder stumm zu, ich wieder ins Wohnzimmer zurückkehre und dabei direkt auf die Couch zugehe. Als Mikey mich da antraben sieht, steht er sofort auf und macht mir Platz. „Also, ich sehe dann mal, was die anderen so treiben. Vielleicht kann ich helfen.“, meint er, gibt mir aber mit seinem Kopf den Wink, dass ich mich sofort zu Bernadette gesellen, aber das braucht er mir nicht dreimal sagen. Das hatte ich ohnehin schon vorgehabt. Sowohl mein Bruder mit der orangen Maske, als auch unser Vater entfernen sich schließlich von uns beiden und geben uns somit die Chance, etwas allein zu sein. Ich setze mich neben Bernadette und nehme sie schließlich in die Arme. Ohne jegliches Zittern oder Gegenwehr lässt sie sich einfach fallen und schmiegt sich sogar gegen meine Brust. Als hätte sie schon darauf gewartet, dass ich mich endlich bei ihr blicken lasse. Am liebsten würde ich etwas sagen, aber jegliche Worte scheinen mir buchstäblich auf der Zunge zu liegen, weswegen ich es einfach seinlasse und stattdessen meinen rechten Daumen liebevoll auf ihre Wange streiche. Aus Erzählersicht: Etwas im Abseits beobachtet Leo die beiden. Auch wenn er deren Beziehung nicht gutheißen kann, ist er in Moment doch froh, dass sie aneinander haben. „Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn Bernadette uns nicht kennen würde.“, murmelt der Blaumaskierte mit einem Kopfschütteln und lässt schließlich die beiden alleine, während er zu Donnie geht. Er ist erleichtert, dass er Raphael davon abbringen konnte, eine Dummheit zu begehen, wobei er den Hitzköpfigen auf der einen Seite verstehen kann. Trotz allem muss man einen kühlen Kopf behalten, was wohl in diesem Fall gerade noch gut ausgegangen ist. Leo kommt gerade in das „Labor“ des Genies an und sieht zu, wie dieser auf der Tastatur herumhämmert, während er beschäftigt zwischen den einzelnen Monitoren hin und her sieht. „Glaubst du, du kannst was machen?“, fragt er schließlich den Lilamaskierten, kaum dass er sich diesem genähert hat. Ohne von seiner Arbeit aufzusehen, antwortet der Angesprochene: „Vielleicht, ich habe schon einige Programme dafür gestartet, aber da gibt es noch ein Problem: So oft ein Bild oder ein Video geteilt wird, so schnell wird sich dies im Netz ausbreiten. Ich weiß daher nicht, ob ich alles aufhalten kann. Dafür bräuchte ich schon Hilfe von außen, um die richtigen Algorithmen zu bestimmen.“ Das heißt, dass es weiterhin schwierig sein wird, wenn überhaupt viel verändert werden kann. Leo überlegt dabei. Er selbst wüsste zunächst nicht, an wen man sich in diesem Fall wenden könnte, bis ihm schließlich April einfällt. Immerhin hat sie als Reporterin für die Medien gearbeitet. In diesem Fall hofft der Anführer, dass sie hoffentlich jemanden kennen wird, der sich gut mit solchen Dingen auskennt. So nimmt er sein Handy aus dem Gürtel und ruft die Freundin der Turtles an. Kaum, dass sie rangegangen ist, klärt der Anführer sie ohne Ausschweife über die Fakten auf. April hat Bernadette bis jetzt nur einmal gesehen und kennt sie daher kaum. Doch wenn es um Mobbing geht, versteht sie keinen Spaß. So teilt sie Leo mit: „Keine Sorge Leo. Ich setze mich sofort mit Irma in Verbindung. Sie ist eine ehemalige Studienkollegin von mir und sie eine Spezialistin, was Computertechnik angeht. Sie wird uns sicher helfen. Ich setze mich auch mit der Online-Community der betreffenden Webseiten auseinander. Vielleicht können sie einige Bereiche sperren und noch Schlimmeres verhindern.“ Dankend legt Leo nach einer Weile auf und seufzt schließlich, denn mehr kann er in Moment nicht tun. Daher hofft er, dass sowohl Donnie, als auch April und diese Irma gemeinsam Erfolg haben werden. Aus Raphaels Sicht: Bis jetzt hat sich an der Stimmung kaum etwas geändert. Seitdem ich mit Bernadette bei uns zu Hause angekommen bin, sind bereits einige Stunden vergangen. Vermutlich wird in der nächsten Zeit die Sonne untergehen und wenn meine Liebste nicht bald nach Hause kommt, wird es vermutlich noch ein weiteres Problem mit ihrer Tante geben. Zwar ist diese seit den letzten Tagen etwas geschmeidiger geworden, wenn es um ihrer Nichte geht, aber dennoch würde ich es nicht mit ihr verscherzen. Besonders seit Bernadette nun dieses Mobbingproblem am Hals hat, blickt sich die Frau bei meiner Freundin überhaupt nicht mehr durch. Zumindest hat Bernadette sich seit unserer Ankunft etwas beruhigt und weint auch nicht mehr. Direkt an meiner Brust gekuschelt, halte ich sie in meinen Armen und versuche ihr soweit es geht eine Stütze zu sein. Wobei ich, ehrlich gesagt, keine Ahnung habe, ob dies überhaupt was hilft. Immerhin tue ich in Wirklichkeit nichts. Ich sitze einfach da und umarme sie. Irgendwie kommt mir das so wenig vor, aber etwas Anderes als Leos Vorschlag hätte ich nicht machen können. Wobei es mir ein Vergnügen gewesen wäre, die blonde Schnepfe und ihre Dienerschaft mal den Betonboden küssen zu lassen. Das hätten sie regelrecht verdient, aber andererseits hätte ich nicht nur riskiert die Existenz unserer Familie preiszugeben, ich hätte vermutlich einiges noch schlimmer gemacht. Ich sehe es ja irgendwie ein und doch spüre ich dieses Verlangen tief in mir drinnen. Die sollen nur abwarten. Irgendwann und irgendwie finde ich eine Möglichkeit, um Gerechtigkeit zu erlangen. Bis dahin bleibt mir nichts Anderes übrig, als mich zusammenzunehmen und für meinen Engel da zu sein. Manchmal streiche ich über ihr wildes Haar, was nun zumindest wieder trocken ist. Ich habe mich den ganzen Weg bis hier her gefragt, warum dieses eigentlich feucht war und wie sie überhaupt in diese misslige Lage geraten konnte. Sämtliche Vorstellungen schlichen sich dabei durch meinen Kopf, wobei ich einiges mit einer Überzeugung wieder aus meinem Hirn streichen konnte. Erst nach diesem Video wurde ich langsam aufgeklärt und selbst in Laufe der darauffolgenden Stunden sprach meine Freundin endlich zu mir. Nach diesem scheinbar endlosen Schweigen, begann sie mir von sich aus zu erzählen, wie es war. Es fing damit an, dass sie gerade unter der Dusche war, als es passierte. Das würde sowohl ihre feuchten Haare, sowie auch ihre sehr „dezente Kleidungswahl“ erklären. Unter anderen Umständen und wenn sie kein verweintes Gesicht gehabt hätte, hätte dies wohl seinen Reiz gehabt. Ich habe mich bisher aber gehütet, diese Eingebung laut auszusprechen. Bernadette hat im Moment andere Sorgen und Gedanken sind ja bekanntlich frei. Jetzt heißt es aber abwarten, bis sich etwas ergibt und es gibt immer noch Hoffnung, dass Donnie es vielleicht doch irgendwie deichseln kann. Wie er das machen will, kann ich mir nicht wirklich vorstellen, aber ich habe ja generell wenig Erfahrung, was Computer und Technik angeht. Solange ich es irgendwie bedienen kann, ist mir alles andere völlig egal. Nur aus einem werde nicht wirklich schlau. Wie hat Lucinda es geschafft das Ganze zu organisieren? Wie bringt sie überhaupt die Leute dazu, für sie die Drecksarbeit zu machen und was hat sie überhaupt gegen Bernadette? Diese und weitere ähnliche Fragen habe ich mir schon lange gestellt, doch bis jetzt konnte ich keine plausible Erklärung dazu finden. Auch jetzt kursieren mir diese Gedanken wieder durch den Kopf, als sich bei dem Smartphone meiner Liebsten etwas tut. Es vibriert und klingelt kurz. Bernadette sieht mich zunächst unsicher an, doch ich löse dann die Umarmung, damit sie nach dem Ding greifen kann. Schon drückt sie auf dem Display herum und ich kann sehen, dass sie eine Whatsapp erhalten hat. Auch wenn es mich in Grunde nichts angeht, kann ich es nicht lassen diese mitzulesen: « Hey Liebes. Es wird wohl, wie befürchtet, länger dauern. Ich werde daher nach der Arbeit bei einer Kollegin übernachten, die in der Nähe wohnt. Du brauchst somit nicht auf mich warten. Wie sehen uns morgen. Hab dich lieb. » Naja, zumindest haben wir für den Moment das Problem „Tante“ vom Hals. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass auf Bernadette noch einiges zukommen wird. Kapitel 33: Bis die Polizei kommt --------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Noch eine Weile starre ich auf mein Smartphone und überfliege noch einmal die Zeilen, die mir meine Tante getextet hat. Dass sie wieder einmal beschäftigt ist, ist ohnehin nichts Neues, aber irgendwie bin ich sogar etwas erleichtert und das sogar aus zwei Gründen. Erstens ist mir zunächst nicht klar gewesen, wer mich da gerade per Handy kontaktiert hat. Es hätte auch sonst noch wer sein können und mit Tante Tina habe ich nicht einmal gerechnet. Ich dachte sogar, dass sie bereits zu Hause wäre und ohnehin noch darauf warten würde, dass ich endlich einmal aufkreuzen würde. Stattdessen gibt sie mir einfach Bescheid, dass nicht einmal sie heimkommen wird. Seit den Drohungen habe ich zunächst befürchtet, dass jetzt eine weitere Nachricht in dieser Richtung auf mich warten würde, aber in dieser Hinsicht war es zum Glück ein Fehlalarm. Das ist aber nicht das Einzige, was mich etwas erleichtert. Denn zweitens erspar ich es mir für heute, meiner Tante Rede und Antwort zu stehen. Wenn sie mich so gesehen hätte, hätte es nicht lange gedauert, bis ich mit unzähligen Fragen bombardiert wäre. Ich wüsste aber nicht, wie ich dann damit umgegangen wäre. Tränen habe ich für heute bereits genug vergossen und ich fühle mich auch jetzt nicht imstande, mich zu rechtfertigen, geschweige mich irgendwie anders verbal zu verteidigen. In diesem Punkt bin ich einfach nur froh, dass ich nicht sofort wieder nach Hause muss und noch länger hierbleiben kann. Ich möchte einfach noch nicht gehen. Allein schon aus dem Grund, dass ich mich daheim wieder einsam fühle. Soweit es auch nur irgendwie möglich ist, will ich das hinauszögern, damit ich einfach bei Raphael bleiben kann. Ich weiß ja nicht einmal, wie spät es ist und die ganze Zeit über ist mir das sogar egal gewesen, aber im Moment hoffe ich nur, dass ich die kommenden Stunden ausnutzen kann. Was wohl meine Tante nun gerade macht? Mir ist zwar klar, dass sie noch auf der Arbeit sein muss und wieder einmal Überstunden macht, aber trotzdem hat das Ganze für mich doch einen bitteren Beigeschmack. Ich kann mir einfach nicht helfen. Auf der einen Seite bin ich so froh, dass ich bei meinem Freund und dessen Familie bin, aber andererseits steckt in mir der kleine Wunsch, meine Tante würde einmal zu mir stehen und sich um mich kümmern. Es ist töricht, schließlich habe ich mich nicht nur einmal über sie beschwert. Ehrlich gesagt, weiß ich überhaupt nicht, was ich davon halten soll. Auf der einen Seite kann mir diese Frau den letzten Nerv rauben, besonders wenn sie glaubt, mir ihre „Welt“ aufzwingen zu müssen und dennoch weiß ich, dass sie trotz allem gar kein so übler Mensch ist. Immerhin ist sie die Schwester meiner Mom und sie ist auch die Einzige in der Familie, die überhaupt in derselben Stadt ist wie ich. Daher ist sie daheim meine einzige Ansprechpartnerin und wäre es möglich, so würde ich nur einmal mit ihr reden wollen, ohne dabei wie bisher nur Niederlagen in punkto Kommunikation einstecken zu müssen. Normalerweise hätte ich mich eher davor gedrückt, aber ich möchte ihr einfach zeigen, dass ich anders bin, als was sie in mir sieht. Sie soll meine Schmerzen sehen, die mir Lucinda und die anderen zugefügt haben. Ich bin wirklich das Opfer und ich hoffe, dass dieses Miststück endlich einmal zur Rechenschaft gezogen wird, aber noch zweifle ich daran. Die Einzigen, die wirklich für mich da sind und mir auch glauben, sind meine Freunde. Raphael, seine Brüder und auch Meister Splinter kümmern sich rührend um mich. Sie sind einfach für mich da, obwohl sie mit der Sache überhaupt nichts zu tun haben. Sie sind ja die Beschützer der Stadt und haben wegen der Verbrechern genug um die Ohren. Trotzdem nehmen sie sich die Zeit und versuchen mir so weit es geht zu helfen. Selbst bei Leo, bei dem ich immer noch das Gefühl habe, dass er die Beziehung zwischen mir und seinem Bruder nicht wirklich gutheißt, habe ich in meinem Gefühlschaos mitbekommen, wie er kurz mit Raphael gesprochen hat. Worum es dabei ging, konnte ich nicht hören, aber im Augenwinkel konnte ich erkennen, dass er mit meinem Liebsten über irgendetwas diskutierte. Ich habe wirklich nicht viel dabei etwas herausfiltern können, da ich derweil auch mit Mikey beschäftigt war. Zum ersten Mal habe ich den Witzbold auf eine ganz anderen Weise gesehen. Anders als sonst, war er mir gegenüber nicht so stürmisch und achtete sogar stets darauf, dass ich mich, soweit es irgendwie möglich, wohlfühle. Selbst jeder seiner Überlegungen schienen genau überlegt zu sein, als er mir beim Anziehen half. Irgendwie hätte ich mich schon vorher bedanken sollen, aber ich fühle mich noch immer so sehr leer und kraftlos, als hätte ein Vampir meine ganze Energie ausgesaugt. Würde ich im Moment stehen, so wäre ich garantiert bereits umgekippt. Stattdessen liege ich nun in den Armen von Raphael, nachdem ich mein Smartphone wieder weggelegt habe. Nachdenklich starre ich einfach in die Leere. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll. Mit meinem Leben stehe ich momentan auf Kriegsfuß. Ich kann nicht einmal einen klaren Gedanken schaffen. Allein die Angst, die tief in mir sitzt, lässt mich nicht los und hilft weder eine Tasse Beruhigungstee, oder irgendwelche nett gemeinten Worte. Es ist alles einfach nur ein Scherbenmeer und am liebsten würde ich mich in der Dunkelheit verkriechen und nie mehr wieder rauskommen. Hätte ich die anderen nicht, so hätte ich das vermutlich bereits getan, so wie es schon auf dem Schulgelände war. Stattdessen schmiege ich mich an Raphael und versuche diesen beschissenen Tag irgendwie zu vergessen, aber so einfach ist das nicht. Die Angst lässt mich nicht in Ruhe und erinnert mich immer wieder daran, dass das noch lange nicht ausgestanden ist. Ich weiß es, verdammt noch mal! Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass ich mich fürchte. Schon seit langem kämpfe ich damit, aber leider hat sie von Tag zu Tag mehr die Oberhand bekommen. Dabei habe ich alles versucht, um dagegen anzukämpfen und ich habe sogar geglaubt, dass sie allmählich wieder verschwindet. Grund dafür ist Raphael. Er war der Erste, bei dem ich frei über meine Probleme sprechen konnte. Nie habe ich einen Vorwurf von ihm ertragen müssen und er quälte mich auch nie mit irgendwelchen Belehrungen. Stattdessen war er, wie auch jetzt, einfach für mich da. Meistens saß er nur neben mir und hörte mir zu. Erst wenn ich es quasi „provozierte“ und mich von der Welt verschließen wollte, versuchte er alles Mögliche, damit es nicht geschah. Mit Humor, Ablenkungen, oder mit einfachen Aufforderungen, es endlich rauszulassen, gab er mir stets den Wink, dass ich trotz meiner Probleme nicht ganz allein bin. Irgendwie bekam ich dadurch sogar neuen Mut, meinen Willen trotz allem durchzusetzen und schöpfte für jeden darauf folgenden Tag neue Kraft. Selbst wenn dies nur für einige Stunden anhielt, so war es besser, bevor ich ihn an jenem Abend kennenlernen durfte. Auch jetzt sitzt Raphael neben mir und ist für mich da. Keine unnötigen Predigten, oder Sonstiges kommt aus seinem Mund. Er ist einfach da, hält mich in seinen Armen und gibt mir das Gefühl, nicht allein zu sein. Könnte dieses Gefühl der Geborgenheit nur ewig anhalten, aber ständig hält mir mein Verstand die bittere Realität vor Augen und dieser kann ich anscheinend nicht entkommen. Zu viele Fragen sind einfach offen. Wie wird es nun weitergehen? Was wird aus den Videos und Fotos, die im Internet herumkursieren? Kann ich jemals überhaupt wieder auf die Straße gehen, ohne dabei wieder damit konfrontiert zu werden? Ich weiß, dass Donnie alles in seiner Macht Stehende tun wird, um das Schlimmste zu verhindern, aber so sehr die anderen mir auch Hoffnung machen, das Netz ist eine vollkommen andere Zone. Hier herrschen andere Regeln und was einmal gepostet wurde, wird für immer dortbleiben. Selbst wenn er alles löschen könnte, was ich mir allerdings nicht vorstellen kann, so wird der eine oder andere noch rechtzeitig etwas downloaden können und dann geht das Spiel wieder von vorne los. Denn dann folgen die nächsten Posts, die wie ein Lauffeuer ausarten. Daher müsste schon ein Wunder passieren, damit alles wirklich weg ist, aber ich glaube nicht daran. Das Einzige, was ich wirklich weiß, ist, dass ich diese Schule niemals mehr wieder betreten kann und es auch nicht möchte. Egal was auch demnächst passieren wird, ich werde dort für immer diejenige sein, die sich mit einem Handtuch um dem Leib zum Gespött gemacht hat. Allein das lässt sich nicht aus den Köpfen saugen. Daran wird auch das Löschen der Videos und der Bilder nichts ändern. Plötzlich fühle ich verstärkt Raphaels Hand auf meine Wange und ich sehe zu ihm auf. Seine goldgelben Augen, die sonst so wie die Sonne strahlen, zeigen nun diese Sorge. „Denk nicht dran. Donnie wird schon einen Weg finden.“, sagt er schließlich mit einer ruhigen aber dennoch auffordernden Stimme. Ich jedoch schüttle den Kopf und erwidere bedrückt: „Als wenn das mit dem Internet so einfach wäre. Alles, was mal dort ist, kann nicht so einfach wieder verschwinden.“ Davon bin ich nun mal überzeugt. Doch schon packt mich Raphael bei den Schultern. Er ist dabei nicht grob, aber die plötzliche Reaktion hat mich kurz erschreckt. Ich habe einfach nicht damit gerechnet. Mein Liebster versucht mir nun zu verklickern, dass alles wieder gut wird: „Lass jetzt den Kopf nicht hängen. Warte einfach ab und lass ihn machen. Mein Bruder weiß schon, was er tut.“ Ich jedoch schüttle wieder den Kopf und streiche seine Hände von meinem Körper. Ich glaube, er weiß einfach nicht, was das wirklich für mich bedeutet, aber nicht nur das macht mir Sorgen und genau das versuche ich meinem Liebsten zu erklären: „Nein und selbst wenn es Donnie wirklich schaffen sollte, was passiert dann? Lucinda wird wieder ungeschoren davon kommen und ich bleibe die Dumme. … Ich … ich kann nie wieder dieses Schulgebäude betreten Raphael! Ich kann mich weder dort wehren, noch die Geschehnisse verdrängen. Ich bin dort vollkommen auf mich allein gestellt und diese Scheiße wird mir garantiert wieder passieren! Allein das von heute hat nun endgültig das Fass zum Überlaufen gebracht. Ich schaffe das einfach nicht mehr Raphael! Ich kann einfach nicht mehr! … Ich habe einfach Angst.“ Ich fühle, wie mein gesamter Körper bebt und vor meinem geistigen Auge sehe ich die jüngsten Ereignisse wieder. Diese Anrempelei, diese Streiche, diese bösartigen Kommentare und diese Drohungen – das war nicht nur einfaches Lästern, das war Folter und das ist es bis heute noch. Ständig stand ich unter Spannung, versuchte keine Furcht oder Wut zu zeigen. Ich musste mich immer beherrschen und aufpassen, nicht ständig in Konflikt mit der Schule zu geraten, was dieses Miststück trotzdem immer wieder gut eingefädelt hatte. Diese permanente Angst macht mich einfach fertig und ich habe wirklich keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Eine weitere Träne kullert mir aus dem linken Auge, was Raphael aber wieder sofort wegwischt. Zärtlich hebt er mein Kinn an, damit ich ihn ansehen muss. Dabei schaut er mich auffordernd an und redet doch mit einer beruhigenden Stimme: „Ich verstehe dich und ich schwöre dir, wenn ich könnte, würde ich sie alle solange zusammenfalten, bis man sie nur noch als Origamifiguren verwenden kann. … Wichtiger ist aber, dass du wegen diesem Miststück und ihren Untertanen nicht die Flinte ins Korn wirfst. Dann erreicht sie genau das, was sie schon immer wollte. Willst du das wirklich Bernadette? Willst du sie gewinnen lassen, obwohl du so sehr dagegen gekämpft hast? … Ich glaube nicht, dafür kenne ich dich zu gut und du weißt das auch.“ Ich seufze, spüre aber gleich, wie er mich wieder behutsam an sich drückt. Trotz seiner liebevollen Art, kann ich mir nicht helfen, ich habe einfach so große Angst. Eigentlich hätte ich darauf gerne wieder etwas erwidert. Allein schon die Tatsache, dass ich weiterkämpfen soll, obwohl ich keine Kraft mehr dafür habe, liegt mir schwer auf der Seele. Das kann mein Freund einfach nicht von mir erwarten. „Raphael, das …“, fange ich schon mit dem Satz an, als uns beide plötzlich Donnies Stimme aufschreckt, der vor Freude: „Heureka!“ schreit. Skeptisch und überrascht zugleich schauen mein Liebster und ich uns gegenseitig an, bis Raphael mich an der Hand nimmt und mich zu seinem Bruder zerrt. „Komm, sehen wir nach, was lost ist.“, fordert er mich auf, während ich wie am Schlepptau hinter ihm herlaufe. Wir sind aber nicht die Einzigen, die diesem Jubelschrei gefolgt sind. Ein jeder eilt herbei und fragt sofort, was denn los sei. Noch ist der Turtle mit der Lilamaske mit sich selbst beschäftigt und er scheint auch noch mit jemanden zu telefonieren: „Wir haben´s geschafft April! … Ja, danke, ich werde es ihr auf jeden Fall ausrichten. … Sag deiner Freundin noch ein herzliches Danke. Bis dann!“ Kaum hat er aufgelegt, dreht er sich schon freudestrahlen zu uns, während wir alle schon langsam ungeduldig werden. Ich verstehe allerdings nur Bahnhof, denn was hat April und ihre Freundin mit der ganzen Sache zu tun? Wer ist diese Unbekannte überhaupt und was genau haben sie erreicht? Unsicher und verwirrt schaue ich nun zum Genie, der sogleich auf mich zustürmt und mich fest umarmt. „Wir haben´s geschafft Bernadette!“, jubelt er weiter, doch ich verstehe es immer noch ganz. Ein beinahe flüsterndes „Was?“ kommt über meine Lippen. Auch wenn ich weiß, was der Brillenträger vermutlich damit meint, kann ich es nicht glauben. Wie soll das überhaupt möglich gewesen sein, wie hat er das nur bewerkstelligt?! Kaum dass Donnie mich wieder losgelassen hat, tritt Leo nun an meine Seite und klärt mich schließlich auf: „Ich habe mich mit April in Verbindung gesetzt und ihr von deinem Mobbingproblem erzählt. Sie hat sich gleich darauf mit ihrer ehemaligen Studienkollegin Irma ausgetauscht und sie auch darum gebeten, Donnie bei dem Problem zu unterstützen.“ Kaum dass dessen Name erwähnt wird, fährt der Lilamaskierte schließlich aufgeregt mit der Erklärung fort: „Sämtliche Blogger und Seiten, die auch nur ansatzweise damit etwas zu tun hatten, sind gesperrt worden. Die Community ist ebenfalls informiert und setzt alles daran, dass die Verantwortlichen gemeldet und die Angelegenheit durch die Polizei geregelt wird. Das heißt, dass die Drahtzieher keine Möglichkeit haben, sich aus dieser Sache zu retten. Die werden höchstens ihr blaues Wunder erleben, wenn die Polizisten plötzlich vor der Haustür stehen.“ Unglaubwürdig höre ich zu. Ich kann es einfach nicht fassen, was die mir erzählen. Eigentlich habe ich es für unmöglich gehalten, dass überhaupt etwas passiert. Da wäre es wohl eher wahrscheinlicher gewesen, im Lotto zu gewinnen. Doch Donnie setzt noch einen oben drauf und erzählt uns, dass er noch etwas ausgeheckt hat: „Das Beste kommt ja noch! Ich habe zusätzlich einige Viren miteinprogrammiert, wodurch ich Lucindas Rechner ausfindig machen und nun für alle sichtbar machen konnte, dass sie die Drahtzieherin ist. Jede noch so kleine Einzelheit, die sie über dich geschrieben hat, ist ab jetzt für alle klar erkennbar diesmal kann sie nicht ungeschoren davonkommen.“ Je mehr ich davon höre, desto mehr glaube ich, dass das alles nur ein Traum ist. Ich bin einfach sprachlos. Wie kann das nur so schnell gehen? Das waren doch nur einige Stunden? Auch wenn ich mein Zeitgefühl verloren habe, ich kann es einfach kaum glauben. Es ist doch unmöglich diese Bilder und Videos einfach so aus dem Netz zu nehmen und trotzdem hat es Donnie mit ein paar helfenden Händen geschafft. Sie sind weg. Jede noch so kleine Datei ist futsch und damit ich es quasi glauben muss, zeigt mir das Genie direkt an seinem Computer die einzelnen Seiten. Dabei hatte ich noch selbst gesehen, dass dort was war. Doch nicht mal die Hate-Kommentare sind irgendwo zu entdecken. Egal was der Mutant auch anklickt, ich sehe nur rote Balken mit Warnhinweisen, dass diese Bereiche gesperrt sind. Ich kann mein Glück kaum fassen. Bitte lass es kein Traum sein, sonst halte ich es endgültig nicht mehr aus. Ein kleines Lächeln zeigt sich schließlich in meinem Gesicht und ich kann es nicht verhindern, dass mir wieder einige Tränen an den Wangen herunterkullern. Diesmal sind es aber Freudentränen und atme sogar erleichtert auf. Als würde eine schwere Last von meine Herzen fallen und sämtliche Ketten dabei sprengen. Genauso fühle ich mich und kann nicht anders, als meine Freunde abwechselnd zu umarmen und ihnen zu danken. Der Erste ist der Lilamaskierte, welcher gleich als Nächstes neben mir steht. Gefolgt von Mikey und Leo, bin ich schließlich bei Raphael, der nun liebevoll seine Arme um mich schlingt. „Habe ich es dir nicht gesagt?“, murmelt er grinsend, aber ich nicke nur stumm darauf, während ich mich einfach in diese Geborgenheit fallen lasse. Ich habe es einfach nicht für möglich gehalten. Meine Freunde haben Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit überhaupt etwas passiert und es ist sogar mehr geschehen, als was ich jemals erhofft hätte. Wenn ich daran denke, wie ich noch vorhin so unter Druck stand und mit der Angst rang, ist nun ein Teil davon wie weggeblasen. Ich sehe nun endlich, dass sich doch etwas ändern kann, aber ohne die Hilfe meiner Freunde wäre das wohl kaum möglich gewesen und dafür bin ich ihnen allen unendlich dankbar. Jetzt kann ich allmählich wieder nach vorn schauen und Raphael schwört, dass er mich auf gar keinen Fall alleine lassen wird, egal was noch auf mich zukommen mag. Dass es noch nicht ganz überstanden ist, weiß ich, aber es tut einfach gut, endlich ein bisschen Glück fühlen zu dürfen und genau das will ich gemeinsam mit meinen Freunden genießen. Da ich meine Tante erst am kommenden Tag wiedersehen würde, habe ich diesmal keinen Stress noch rechtzeitig nach Hause zu kommen. Ich konnte somit noch einige Zeit in der Kanalisation bleiben, ehe mich Raphael schließlich wieder in den Armen trägt und gemeinsam mit mir über die Dächer springt. Als wir schließlich bei mir daheim ankommen, lässt mich mein Freund in der Gasse zuvor hinunter, damit ich die Haustür aufschließen kann. Immerhin ist das Fenster geschlossen. Wäre heute das alles nicht passiert, so hätte ich das gleich nach der Schule gemacht und wie immer einen Spalt offengelassen. Doch diesmal ist es nicht so gekommen und ich kann von Glück reden, dass ich zumindest meinen Rucksack wiederhabe. Denn darin habe ich nicht nur die beiden Mobilgeräte verstaut, sondern neben meinen Schulsachen auch meine Hausschlüssel untergebracht. Zwar hätte ich mit Hilfe von meinem Liebsten selbst bei mir Zuhause „einbrechen“ können. Das wäre für ihn überhaupt kein Problem gewesen, aber so ist es mir lieber und wozu habe ich denn meine Schlüssel? Raphael wartet noch eine Weile versteckt, bis ich ihn schließlich durch das Fenster hereinbitten kann. Er hätte ja auch die Tür nehmen können, aber er meinte nur, dass es so besser wäre, von fremden Blicken ungesehen zu bleiben. Als er schließlich in mein Zimmer geklettert ist, sind wir nun endlich wieder für uns allein. Liebevoll nimmt er mich in den Arm, hebt mich dann hoch und gibt mir einen sanften Kuss, ehe er sich mit mir auf mein Bett setzt. Trotz dass der Tag so ziemlich für die Katz war und das ist noch milde ausgedrückt, kann ich mich etwas erleichtert an ihm schmiegen und seine Nähe genießen. Warum kann er nicht immer bei mir sein und warum frage ich mich das eigentlich ständig? Ich kenne doch die Antwort nur zu gut, was mich dann doch wieder etwas traurig stimmt. Ich seufze, woraufhin Raphael mich fragt, ob alles in Ordnung ist. „Ich habe mich nur gefragt, wie es weitergeht.“, antworte ich darauf, auch wenn das eigentlich nicht wirklich stimmt. Er aber lässt stöhnend seinen Kopf in den Nacken fallen. Irgendwie scheint er von dem Thema genervt zu sein, aber was soll ich dagegen machen? Ich kann das doch nicht ignorieren. Noch ist nicht ausgestanden und das weiß er auch. „Hey, das wird schon. Du hast doch selbst gehört, dass Lucinda diesmal nicht so schnell davonkommen wird. Jedes Foto und jedes Video von dir ist gelöscht und das mit der Schule bekommst du auch noch hin. Wenn du Hilfe brauchst, dann weißt du ja, wo du sie findest.“, versucht er mich aufzumuntern. Das mit der High-School sehe ich allerdings nicht so. Wie stellt er sich das vor? So einfach ist das nicht, aber damit ich die Nerven meines Liebsten nicht noch mehr strapaziere, nicke ich nur. Vielleicht hat er Recht, aber ich glaube das erst, wenn ich es sehe. Ich bin einfach schon viel zu oft mit der bitteren Realität konfrontiert worden, als dass ich mich blauäugig darauf verlasse. Um aber das Thema zu wechseln, bitte ich Raphael noch etwas bei mir zu bleiben, bis er wieder nach Hause muss. „Bleib bitte. Zumindest bis ich eingeschlafen bin.“, sage ich ihn sehe zu ihm empor. Er wiederum lächelt und entgegnet mir: „Kein Problem.“ Ich möchte jetzt nicht allein sein. Auch wenn es spät ist und er mit Sicherheit wieder in die Kanalisation zurück muss, kursieren in mir zurzeit noch zu viele Gedanken. Ich bin mir sicher, dass ich mich noch tiefer darin verlieren werde, wenn er nicht bei mir ist und wenn er zumindest solange da ist, bis ich eingeschlafen bin, wäre es für mich beruhigend. Raphael legt mich schließlich auf die Matratze und ich kuschle mich sofort unter die Decke, während er sich neben mich niederlässt. Zärtlich legt er seinen Arm um meine Hüfte und sieht mich an. Seine Augen zeigen immer noch diese Sorge, auch wenn ich glaube, auch etwas Wut darin zu erkennen. Vermutlich würde er gerne die Verantwortlichen verprügeln. Diesen Wunsch hat er heute nicht nur einmal geäußert. Wenn das nicht noch mehr Probleme verursachen würde, hätte ich auch nicht wirklich was dagegen. Ich hätte ihn sogar angefeuert und dabei zugesehen. Das Leben bereitet mir aber zurzeit nur Probleme. Umso schöner ist es einfach für mich, dass ich nicht allein bin. Raphael ist für mich da und ich wüsste wirklich nicht, was ich ohne ihn machen würde. Allmählich merke ich aber, wie die Müdigkeit immer mehr die Oberhand gewinnt. Dabei will ich noch nicht schlafen, auch wenn mein Körper etwas anderes sagt. Meine Lider werden immer schwerer, bis ich meine Augen nicht mehr offenhalten kann und schließlich doch nachgebe. Mein Schlaf ist aber diesmal traumlos gewesen. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern und ich erwache erst, als die Sonnenstrahlen mir direkt ins Gesicht scheinen. Im ersten Augenblick habe ich das Gefühl, dass der gestrige Tag einfach nur ein schlimmer Albtraum gewesen sein muss und ich mich deswegen so schwer fühle. Doch als ich die Decke von mir wegziehe und das graue Sweatshirt am meinem Leib sehe, muss ich bedrückt feststellen, dass es doch so passiert war. Ich seufze und lasse meinen Kopf wieder in den Polster zurückfallen. Lieber wäre es mir gewesen, wenn ich das nur in einem Albtraum erlebt hätte. Doch wie immer meldet sich die bittere Realität. Seufzend quäle ich mich erstmal aus meinem Bett und mache mich mal frisch. Selbst aber nach einer angenehmen Dusche und in meinen eigenen Sachen fühle ich mich nicht wirklich wohl. Die Situation mit der Schule hängt mir noch immer nach. Als hätte ich diesen Dreck nicht wegwaschen können und allein der Gedanke daran erschaudert mich. Auch wenn mir meiner Freunde gestern gut zugeredet hatten, kann ich dieses Gebäude nicht mehr betreten. Es ist einfach zu viel passiert. Eigentlich sollte ich wieder dort sein. Es ist erst Freitag und ich hätte vermutlich bereits Unterricht, aber ich bin immer noch zuhause. Wie spät es eigentlich schon ist? Mein Blick fällt nun auf die Uhr und ich sehe, dass es bereits elf ist. Ich habe daher nicht nur verschlafen, sondern durch das Frischmachen auch noch weitere Zeit verstreichen lassen. Wenn Tante Tina erfährt, dass ich quasi geschwänzt habe, werde ich Ärger bekommen, auch wenn ich dafür gute Gründe habe. Ich verschränke meine Arme. Was mache ich jetzt? Es hat keinen Sinn dorthin zugehen und ich will es auch nicht. Ich möchte niemals mehr einen von diesen Leuten sehen. Auch wenn ich mir sicher bin, dass Lucinda ihren Erfolg garantiert feiert. Doch laut Donnie kann sie sich diesmal nicht rausreden und wird wohl diesmal die Konsequenzen dafür tragen müssen. So richtig glaube ich aber daran nicht. Sie hat sich doch immer aus der Situation retten können. Vermutlich wird es auch dieses Mal sein und mit ihrem Geld kann sie sich ohnehin die besten Anwälte leisten. Wissen werde ich das auf jeden Fall erst in Laufe der Zeit. Auch wenn ich ehrlich gesagt alles vergessen möchte. Seufzend versuche ich die Situation für den Moment zur Seite zu schieben und verlasse mein Zimmer. Ich bin gerade auf dem Weg zur Küche, als es plötzlich an der Haustür klingelt. Wer kann das um diese Uhrzeit sein? Erwartet Tante Tina etwas oder vielleicht sogar jemanden? Das hätte sie mir aber per WhatsApp bereits mitgeteilt, oder könnte sie das vergessen haben? Als ich schließlich meine Schlüssel nehme und die Tür aufsperre, stehen zwei Polizisten vor der Türschwelle. Unsicher schaue ich die beiden Männer an. Was wollen die von hier? Einer der Beamten scheint meinen Blick verstanden zu haben und versucht mich zu beruhigen. Er klärt mich auf, dass sie wegen der Sache mit dem Cybermobbing hier sind: „Eigentlich hat das Revier bereit schon einige Male hier angerufen. Da keiner rangegangen ist, sind wir nun hier. Wir brauchen eine Aussage von dir. Du bist doch diese Bernadette, oder?“ Bei seiner Frage nicke ich stumm, kann mir aber nicht erklären, dass ich sämtliche Anrufe verpeilt hätte. Ich habe aber wirklich nichts davon mitbekommen. Das heißt, dass mein Schlaf tief genug gewesen sein muss, sodass ich deswegen nicht erwacht bin. Auch wenn ich die beiden Männer einfach so stehen lasse, gehe ich gedankenversunken zum Telefon. Normalerweise ist dieses Standgerät nur für Notfälle gedacht, oder wenn man uns über das Telefonbuch erreichen möchte. Dabei wäre dieses Ding eher unnötig. Dennoch hat meine Tante darauf bestanden, es trotz des Zeitalters der Handys weiterhin zu nutzen und anscheinend wurde unsere Festnetznummer nach langem tatsächlich wieder gebraucht. Als ich den Anrufbeantworter aktiviere, teilt dieser mir mit, dass auf diese Nummer bereits siebenmal angerufen wurde. Ich drehe mich schließlich wieder zu den Beamten, die mich nun darum bitten, aufs Revier mitzukommen. Unsicher schaue ich sie an und als ich meine, dass ich das gerne zuerst mit meiner Tante besprechen möchte, antworten sie nur darauf, dass ich sie während der Fahrt anrufen kann. Mir bleibt wohl keine andere Wahl. Kapitel 34: Aktion folgt auf Reaktion ------------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Was bleibt mir also anderes übrig, als mit den Beamten mitzugehen. Zuvor hole ich aber noch mein Handy und ziehe mir noch die Schuhe an, ehe ich dann die Haustür hinter mir abschließe und schließlich in das Polizeiauto einsteige. Obwohl ich nichts angestellt habe, komme ich mir trotzdem wie eine Schwerverbrecherin vor. Normalerweise nehmen die auch nur Straftäter mit und spielen nicht Taxi für jemanden wie mich. Vermutlich kommen sich die beiden Männer selbst komisch vor, was ich ihnen nicht einmal verübeln könnte. Schließlich haben sie ja Besseres zu tun, als mich herumzukutschieren und trotzdem muss ich mir im Klaren bleiben, dass das hier keine Spazierfahrt ist. Donnie hatte mir bereits gestern erklärt, dass das Cybermobbing bis hin zur Polizei weitergeleitet worden ist und vermutlich sind die bereits seit einigen Stunden damit beschäftigt, dem nachzugehen. Seit in den letzten Jahren das Internet immer mehr Einfluss auf das Leben der Menschen hat, ist es auch klar, dass nicht nur Positives bei der Sache rauskommt. Viele Teenager, Erwachsene und sogar Kinder wurden bereits vor mir über das Netz bloßgestellt und schikaniert. Die Folgen davon waren bei den meisten gravierend. Von Selbstmordgedanken bis hin zu Amokläufen, war alles dabei. Es gab daher schon viele Diskussionen darüber, wie nun dagegen angekämpft wird und was den Opfern als Hilfe angeboten werden kann. Die einfachste Lösung sei, sein Profil zu löschen. Jedoch erweist es sich als viel schwieriger, wenn nicht nur böse Texte gepostet werden, sondern auch Bilder und Videos durch sämtliche Webseiten kursieren, die dann ständig geteilt werden. Normalerweise kann nur der Betreiber der entsprechenden Plattform selbst direkt etwas dagegen tun. Für einen Außenstehenden wird die Sache komplizierter, weswegen bereits heutzutage zumindest kleine Möglichkeiten angeboten werden, selbst zu agieren. Doch dies ist nur ein kleiner Trost und es betrifft nicht jede Webseite gleich, weswegen nun auch die Polizei mehr ins Spiel gebracht wurde. Ich kann nur hoffen, dass ich die Angelegenheit schnell hinter mich bringen kann. Viel lieber wäre ich jetzt bei Raphael, oder zu Hause, aber anscheinend muss ich das nun durchziehen. So lehne ich mich bei der Rückbank etwas zurück, während ich unsicher auf mein Smartphone starre. Ich sollte Tante Tina Bescheid geben, aber was soll ich am besten sagen? Soll ich sie anrufen, oder doch nur eine SMS oder eine WhatsApp verschicken? So oder so, sie wird vermutlich ausrasten, wenn sie erfährt, dass ich aufs Polizeipräsidium gebracht werde. Die Tatsache lässt sich nicht leugnen und auch wenn ich mir sicher bin, dass meine Tante das Schlimmste befürchten könnte, bevor sie auch nur den wahren Grund weiß. Erzählersicht: Einige Kilometer weiter vom Geschehen entfernt, wird die Eingangstür zum Penthaus geöffnet und ein sechzehnjähriges Mädchen mit blonden Locken betritt diesen. Mit einer großen Umhängetasche bei der linken Schulter und ihr Handy an ihr rechtes Ohr haltend durchschreitet Lucinda die Wohnung, während sie gerade mit einer Klassenkameradin redet. Dabei lacht sie höhnisch, während sie durch den großen Flur marschiert und sogleich die eiserne Wendeltreppe emporsteigt, welche sie in ihr eigenes Reich führt. Kaum das die Blondine ihr Zimmer erreicht hat, schleudert sie die Tasche von sich und wirft sich sogleich in ihr großes Bett, während sie immer noch telefoniert: „Das war ja die Krönung und ihr Gesicht erst! Noch nie habe ich das bei ihr gesehen. Diese Hilflosigkeit, dieser Zorn und keiner hat ihr geholfen. Das war einfach herrlich und ich könnte mir ihre dämliche Fratze immer wieder aufs Neue ansehen. … Wie? Warum sollte das rauskommen? Rede keinen Unsinn! Es weißt doch keiner, dass ich die Fäden an dem Ganzen gezogen habe. Schließlich habe ich extra darauf geachtet, dass meine Nachricht über verschiedene Wege an die gesamte Schule weitergeleitet wird. Da wird man wohl kaum feststellen können, woher die eigentliche Quelle kommt. Außerdem gibt es zu viele Schüler, die man überprüfen müsste, damit man mich wieder in Verdacht haben könnte. Also wage es ja nie wieder mein Genie in Frage zu stellen, hast du mich verstanden?!“ Eine Weile herrscht auf der anderen Leitung Stille. Im Laufe des Gespräches ist die Stimme der Blondinen von Mal zu Mal zorniger und demnach auch lauter geworden. Denn niemand darf ihre Entscheidungen und ihre Pläne in Frage stellen, geschweige sich dagegen auflehnen. Das, was sie sagt, ist Gesetz und das ist jedem auf der High-School bewusst. Wer darauf nicht hört, wird bestraft und diese Bestrafung kann bis aufs Härteste hinausgehen. Spätestens seit diesem Tag, an dem Bernadette vor der gesamten High-School zum Gespött wurde, weiß jeder, welche Macht Lucinda in diesem Gebäude hat. Niemand würde auch nur daran denken, etwas gegen Lucindas Willen zu tun, wenn er nicht dasselbe Schicksal erleiden will. Allein der Gedanke daran, wie Bernadette in ihrem erbärmlichen Auftreten hin und her gescheucht wurde, lässt die Blondine zufrieden grinsen. Ja, sie hat es geschafft, ihre Widersacherin Staub schlucken zu lassen und das wurde auch noch auf verschiedener Art und Weise festgehalten. Selbst nach ihrem gelungenen Plan hat Lucinda sich noch einmal solch ein Video zu Gemüte geführt. Wie eine Gutenachtgeschichte hat sie sich einige von diesen Clips reingezogen und dabei so laut gelacht, sodass man meinen könnte, ihr Lachen noch kilometerweit zu hören. Allein deswegen ist es ihr wertgewesen, die eine oder andere Show abzuziehen, nur damit ihr Plan aufgehen konnte und es ihr auch geglückt. Weswegen sie nun zufrieden ist und dies noch einmal in ihr Smartphone lallt. Immer wieder betont sie, dass es keiner jemals wieder wagen wird, sich ihr in den Weg zu stellen. Wer würde sich auch dieser Erniedrigung hingeben, so wie es am vorigen Tag geschehen ist. Die Blondine weiß, dass diese Aktion noch ewig in den Köpfen der Leute bleiben wird und darüber freut sie sich und ist stolz auf ihren Erfolg. Dennoch kommt von der anderen Leitung wieder diese Sorge, dass es vielleicht doch auffliegen könnte: „Ja Lucinda, aber was ist mit dem Direktor? War es denn nicht komisch, dass er die gesamte Schülerschaft heute früher entlassen hat. Da stimmt doch etwas nicht.“ Auch wenn es Lucinda niemals zugeben würde, auch sie sich hat für einen Moment Gedanken darübergemacht, würde aber ihrer Mitschülerin dies niemals offengestehen. Eigentlich hätte sie selbst noch zwei Stunden gehabt, ehe der Unterricht für heute beendet wäre, aber über den Lautsprecher wurde die Mitteilung verkündet, dass der Unterricht für heute beendet wäre. Darüber war auch sie selbst etwas stutzig. Doch dies galt nur für den ersten Augenblick, denn dann zuckte sie nur mit den Achseln und dachte sich nichts mehr dabei. Nun ist aber dieses Thema wieder angesprochen worden und Lucinda kommt ins Grübeln. Dennoch schüttelt sie erbost den Kopf, denn sie will nichts weiter davon hören, was ihren Triumpf vermiesen könnte. So brüllt sie in das Smartphone hinein: „Deine lächerliche Angst interessiert mich nicht und hör auf, mich damit voll zu schwafeln! Es gibt keine Probleme! Der Plan ist bis ins letzte Detail aufgegangen und diese Möchtergernfranzösin wird es niemals mehr wieder wagen, sich auch nur in die Nähe des Schulgebäudes aufzuhalten, wenn sie ihre Bruchbude von Zuhause überhaupt jemals wieder verlässt!“ Mit diesen Worten legt sie schließlich auf und gibt dem anderen Mädchen nicht einmal die Chance, irgendetwas zu erwidern, oder ihr gar zu widersprechen. Denn dass will sie einfach nicht hören. Stattdessen lässt Lucinda das Gerät einfach auf der Matratze fallen. „Wie ich das hasse! Jetzt ist meine gute Laune für die Katz‘! Blödes Miststück!“, schimpft sie, während sie sich auf dem Rücken rollt, die Arme hinter ihrem Kopf verschränkt und auf die Decke starrt. Ein Schnauben entweicht aus ihrer Kehle und sie rollt sogar genervt mit ihren Augen, bis sie diese für einen Moment schließt. Doch lange kann Lucinda nicht so liegen bleiben, denn schon meldet sich gerade ihr Handy wieder. „Was denn jetzt?!“, knurrt sie und dreht sich mit einem Schwung um, damit sie das Gerät erhaschen kann. Wütend nimmt das Mädchen den Anruf entgegen, wobei es wohl eher nach einem Gebrüll klingt: „JA?!“ Doch das Gesicht wird in binnen von wenigen Sekunden blass, als die Blondine hört, wer gerade am anderen Hörer ist. Mit einer ruhigen und doch zugleich strengen Stimme spricht ein Mann zu ihr: „Lucinda, ich erwarte dich sofort in meinem Büro.“ Ohne, dass sie darauf antworten kann, ist das Gespräch schon wieder beendet und ihr bleibt nichts Anderes übrig, als dass ihr beim offenen Mund die Worte im Halse stecken bleiben, ehe sie sich auch nur fragen kann, worum es geht. Die Wut, die vorher so sehr in ihr gewütet hat, ist nun beinahe wie weggeblasen. Stattdessen fragt Lucinda sich, warum sie sofort ins Büro kommen soll. Meist bekommt sie dies nur zu hören, wenn es ein Problem gibt. Da aber die Blondine zunächst so überzeugt gewesen ist, dass alles wie ein Uhrwerk läuft, ist sie verwirrt. Schließlich rutscht das Mädchen von ihrem Bett herunter, verlässt, so schnell sie kann, ihr Zimmer und eilt die Wendeltreppe hinunter. Ihr Weg führt sie weiter durch die große Wohnung, bis sie am Ende des Ganges eine große Tür erreicht. Bevor sie diese jedoch öffnet und weitergeht, atmet sie bewusst durch und hebt ihren Kopf an. Dies soll ihr Selbstbewusstsein nun wieder verstärken, obgleich sie ihre Verwirrung nicht ganz abschütteln kann. Dennoch will Lucinda nicht lange zögern und betritt nun einen großen Raum. Alles darin ist mit dunkeln Möbeln ausgestattet und diese lassen schon erahnen, dass sie allesamt von großen Wert sind. Nur die Wände sind im Gegensatz zu der restlichen Einrichtung weiß, welche aber zusätzlich noch bis zur Mitte mit einer passenden Holzvertäfelung verkleidet sind. Die einzige Lichtquelle, die während des Tages gebraucht wird, ist das große Fenster auf der anderen Seite des Zimmers, in der nun die Mittagssonne scheint und genau davor steht ein massiver Schreibtisch. Der Mann, der davorsitzt, hat dem Mädchen noch den Rücken zugekehrt. Sein Blick ist zum Fenster gerichtet. Stumm hat er beide Arme auf den Lehnen gelegt und starrt in die Ferne hinaus. Zwar hat er mitbekommen, dass jemand bereits sein Büro betreten hat, jedoch macht er keine Anstalten, denjenigen direkt im Empfang zu nehmen, geschweige sich in seinem Drehsessel in dessen Richtung zu schwenken. Er verharrt in seiner momentanen Position und horcht in die noch andauernde Stille. „Du hast mit gerufen Dad?“, spricht Lucinda ihren Vater schließlich fragend an und nun wartet geduldig auf dessen Reaktion. Dabei versucht sie so selbstbewusst wie möglich zu wirken, doch in der Nähe dieses Mannes fühlt sie sich eher unwohl. Man könnte sogar sagen, dass sie bei ihm sogar unsicher wird, obwohl sie bei allen anderen, die ihr in die Quere kommen, ein stolzes Auftreten an dem Tag legt. Doch ohne es zu wollen, ist ihr ganze Körper angespannt. „Wie läuft es in der Schule? Hast du die Angelegenheit geregelt, von der du mir letztens erzählt hast?“, kommt nun seine Gegenfrage, ohne dass er dabei seine Tochter auch nur ansieht. Lucinda runzelt etwas Stirn. Sie fragt sich, warum auch noch er mit diesem Thema anfängt. Schließlich war heute in der Schule nichts Besonderes los, dass dies rechtfertigen könnte. Das Einzige, was bis jetzt seltsam gewesen ist, ist, dass der Direktor alle Klassen entlassen hat, ohne dabei eine Erklärung zu liefern. Auch der gestrige Tag kann ihrer Meinung nach nicht der Grund dafür sein, dass nun das Thema „Schule“ aufs Neue aufgerollt wird. Immerhin hat sie Bernadette das Handwerk gelegt und sogar dafür gesorgt, dass die Außenseiterin sich nie mehr wieder blicken lassen wird. Allein heute hat sie den Beweis dafür gesehen. Egal, wenn sie von den anderen Schülerinnen und Schülern befragt hat, alle haben bestätigt, dass Bernadette nicht in die Schule gekommen ist. Selbst einige der Lehrer haben sich von deren Abbleiben gewundert. Nach einer kurzen Pause geht Lucinda schließlich auf die Frage ihres Vaters ein: „Es hat alles wunderbar funktioniert. Das „Problem“ ist beseitigt und ich versichere dir, dass man von dieser Göre nichts mehr hören wird. Abgesehen von den Videos, versteht sich, aber die werden sie noch lange wie Albträume verfolgen.“ Lucinda fühlt sich wieder so siegessicher und glaubt fest daran, nun endlich ihr Ziel erreicht zu haben. Davon ist das Mädchen so sehr überzeugt, sodass es nicht lassen kann, gleich darauf über das beschämende Gesicht der Feindin zu schmunzeln: „Ihr Gesicht hättest du sehen müssen. Wie ein dummes Huhn ist sie durch die Gegend gerannt, während ihr alle dabei zugesehen haben! Die Krönung wäre noch gewesen, wenn sie auch noch das Handtuch verloren hätte, in dem sich eingehüllt hatte.“ Ihren Vater kann Lucinda allerdings nicht mit ihrer Fröhlichkeit anstecken. In Gegensatz zu ihr, hat er keine Mimik verzogen, sondern nur stumm und ausdruckslos zugehört. Wie eine steife Maske wirkt sein Gesicht. Doch kaum, dass sie ihren letzten Satz beendet hat, tut sich auf einmal doch etwas bei ihm. Langsam dreht sich der Bürosessel in die Richtung des Mädchens und der Mann mit den blonden Haaren und den grauen Strähnen an den Schläfen beugt sich etwas vor. Dabei beobachtet er seine Tochter aufs Genauste und erwidert schließlich: „Soso, ist das so? Wie kommt es dann, dass ich gerade einen Anruf von dem Polizeipräsidium erhalten habe, bei der ich erfahren musste, dass meine Tochter wegen Anstiftung zum Cybermobbing angeklagt ist?“ Als er das gerade sagt, wird seine Stimme von Mal zu Mal lauter. Am Ende knallt er sogar empört mit beiden Händen auf dem Tisch, wodurch seine Tochter zunächst erschrocken zusammenzuckt und ihren Vater dabei ängstlich ansieht. Doch als Lucinda dessen Worte bewusstwird, weiten sich nun ihre Augen. „Was, aber wie?!“, stammelt sie und kann nicht glauben, was sie da gerade eben gehört hat. In Gedanken geht die Blondine automatisch jeden Schritt ihres Planes durch, die sie seit dem ersten Drohbrief durchdacht hatte. Dabei schien alles perfekt zu sein und sie konnte ihre Marionetten so positionieren, wie sie diese gerade gebraucht hatte. Selbst wenn es Änderung während der Ausführung gegeben hätte, hätte sie diese miteinkalkuliert und notfalls Plan B ins Leben gerufen. Doch dies war nicht nötig und nun fragt sie sich panisch: „Wie kann das sein?! Ich habe doch alles mit eingeplant! Jede noch so kleine Einzelheit habe ich von meinen Spionen beobachten lassen! Wie kann Dad das nun behaupten?! Wie konnte das überhaupt so schnell in die Wege geleitet werden?! Das ist doch unmöglich! Das muss ein Trick sein!“ Egal wie Lucinda es dreht und wendet, es ergibt für sie einfach keinen Sinn. Abgesehen davon, dass sie ihren Plan erst gestern durchgeführt hat, es ist für unbegreiflich, wie dies überhaupt aufgedeckt werden konnte und das Mädchen redet sich immer wieder ein, dass das Bernadette unmöglich allein geschafft haben muss. Allein wie diese gestern vom Ort des Geschehens geflohen ist, spricht für die Blondine Bände. Dass das jetzt alles raus ist und die Polizei nun auch von ihr Wind bekommen hat, will einfach nicht in ihren Kopf. Doch dies scheint ihrem Vater nicht besonders zu überraschen. Zumindest weist seine Mimik daraufhin und ein enttäuschtes Seufzen entweicht schließlich aus seiner Kehle. Hinzu folgt eine Belehrung, bei der er nun aufsteht und seine Arme von seinem Schreibtisch abstützt, wodurch er bedrohlich wirkt: „Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du die Kontrolle über dein Handeln behalten sollst? Achte auf jeden Schritt, egal ob es sich um deine eigenen, oder um die der anderen handelt. Jeder noch so kleiner Fehler kann einen Plan wie ein Kartenhaus zusammenfallen lassen. Jede noch so kleine Lücke kann Informationen durchdringen lassen, die du nicht mehr aufhalten kannst, bis es am Ende zu spät ist. …“ Lucindas Vater will schon weiter mit seinem Tadeln fortfahren, doch sie unterbricht ihn. Egal wie viel Respekt sie vor ihm hat, sie will sich nicht unterstellen lassen, die High School nicht unter Kontrolle zu haben. Wo sie zuvor noch etwas Unsicherheit und sogar Panik, bezüglich der Aufdeckung ihres Plans, in seiner Anwesenheit gefühlt hat, so spricht aus ihr nun die Wut: „Und das habe ich Dad! Ich habe jeden einzelnen auf dieser verdammten Schule unter meine Kontrolle. Mir werden die Bücher hintergetragen, sämtliche Arbeiten werden für mich erledigt und selbst die bockigsten Lehrer lassen sich irgendwie um den Finger wickeln, wenn nicht sogar täuschen. Selbst beim letzten Test konnte ich bei einer nicht vorhergesehen Situation Profit schlagen, indem ich einen anderen Schüler dazu zwang die Professorin abzulenken, während ich von jemand anderes abschreiben konnte. Und dies gelang mir nur, weil ich eben mehrere Schritte bedacht hatte und schon damit gerechnet hatte, dass ich einen zweiten Plan brauchen werde. Ich bin immer vorbereitet, ich …“ Weiter kommt sie nicht. Denn nun ist sie es, die unterbrochen wird und ihr Vater weißt sie genau auf dieses eine Problem hin: „Jeden?! Oh nein meine Tochter, du hast nicht jeden unter deiner Kontrolle! Was ist mit dieser Bernadette? Genau wegen dieser einen Person, die du nicht „überzeugen“ konntest, werden deine Pläne immer wieder vereitelt und wie wir hier sehen können, hat sie es aufs Neue geschafft, sonst hättest du diese Anzeige nicht am Hals! Also behaupte nicht, dass du alles unter Kontrolle hättest, sonst hättest du nicht diese eine Spielkarte außer Acht gelassen! Dein Kartenhaus ist zusammengebrochen Lucinda!“ Mit diesen erbosten und zugleich enttäuschten Worten starrt er seine Tochter an, als wenn sie zu faul gewesen wäre, für eine Prüfung zu lernen, die nun gescheitert ist. „Du hast mich enttäuscht. Du hättest auch dieses Detail in deinem Plan bedenken müssen. So aber mein liebes Kind, hast du in deinem Tun versagt und nun wird erwartet, dass du nun die Konsequenzen dafür tragen wirst.“ Lucinda fühlt sich nun, als hätte ihr Vater ihr nun direkt ins Gesicht geschlagen, denn genauso hart empfindet sie dessen Worte. Dass er sie aber auf ihr Versagen deutlichgemacht hat, bringt den Teenager nur dazu, noch mehr in Rage zu verfallen. Wutentbrannt stampft Lucinda schließlich auf dem Schreibtisch zu und knallt beide Hände darauf, während sie den Mann zornig ansieht und sich rechtfertigt: „Dad, ich habe dafür sämtliche Techniknerds angesetzt! Jeder noch so kleiner Widerling hat meine Befehle befolgt. Nur so konnte ich fast die ganze Schule versammeln lassen. Wer hätte ahnen können, dass dieses Miststück es schafft, sich daraus zu winden? Ich habe sie doch von jedem, der sie kennt und auch nur irgendwie gemocht hat, isoliert und zum Gespött gemacht. Selbst ihre besten Freunde meiden sie wie die Pest und haben mir bei den Drohungen geholfen. Wie konnte …“ Und wieder folgt eine Unterbrechung von ihm: „Und genau das hättest du vorhersehen müssen! Es reicht nicht, denjenigen von allen anderen abzuschotten! Es muss in dessen Hirn eingebrannt werden, dass es für denjenigen keinen anderen Ausweg mehr gibt! … Doch, wenn ich sehe, wie du jetzt vor mir stehst, dann ist es offensichtlich, wie du auf unvorhersehbare Situationen reagierst. Daher kann ich es mir nicht einmal anders vorstellen. Der Plan musste ja scheitern.“ Bei diesem Worten wird er nur geschockt angestarrt. Lucinda fehlen einfach die Worte und sie fühlt sich gerade nicht im Stande, ihren Vater zu widersprechen, noch sonst irgendetwas zu erwidern. Seufzend lässt dieser sich wieder in seinem Bürosessel fallen und schließt für einen Moment die Augen, während er mit seiner rechten Hand auf der Lehne herumtippt. „Wie lautet unser Motto Lucinda?“, fragt er sie schließlich in einer ruhigen und doch strengen Art. Lucinda blickt leicht zu Boden und antwortet auf einer ähnlichen Weise: „Aktion folgt auf Reaktion und Reaktion folgt auf Aktion.“ Ihr Vater nickt zustimmend und meint: „So ist mein Kind. So habe ich es dir gelehrt und wenn du, so wie ich, eines Tages Anwalt werden willst, so musst du diesen Satz bis aufs Blut befolgen und keine Sekunde davon abweichen. Keine Tat erfolgt ohne eine Reaktion des Gegners und keine Handlung des anderen folgt ohne, dass nicht darauf reagiert wird. Wie das zustande kommt, ist die nächste Angelegenheit, um die wir uns kümmern müssen und in diesem Fall werde ich mir die Sache wegen des Cybermobbings annehmen. Wenn die glauben, sie können uns so leicht zu Fall bringen, dann haben sie sich getäuscht.“ „Wie meinst du das genau Dad? Was hast nun du vor?“, fragt Lucinda nach diesen Worten ihren Dad. Obwohl sie kurz zuvor von ihm getadelt worden ist, entfacht in ihr nun die Neugier, die se einfach nicht zügeln kann. Denn sie kennt ihren Vater. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf setzt, so kann es nichts Gutes bedeuten, was den Betroffenen betrifft. Jedoch antwortet er ihr nur darauf: „Das wirst du erfahren, wenn es soweit ist. Bis dahin warte ab und mach keine Dummheiten, die uns gefährden könnten. Hast du mich verstanden?“ Die Blondine nickt und verlässt schließlich sein Büro. Zwar hätte sie ihn noch mehr dazu befragt, aber sie weiß, dass er als Anwalt nun in die Trickkiste greifen wird und dazu braucht er jetzt jede ruhige Minute, die er haben kann. So durchschreitet sie wieder die Wohnung, bis sie ihr Zimmer erreicht hat. Doch sie kann währenddessen nicht aufhören, an die Tatsache zu denken, dass sie wegen ihrer Erzfeindin eine Anzeige am Hals hat. Wenn also nicht bald die Polizei direkt vor der Tür steht, wird sie Wohl oder Übel mit ihrem Vater direkt aufs Polizeipräsidium gehen müssen und ihre Aussage machen. Das wird ihr nicht erspart werden, davon ist die Blondine überzeugt. Jedoch will es nicht in ihrem Kopf, wie Bernadette es geschafft hat. Schließlich ist das Ganze erst am Vortrag passiert und normalerweise verstreicht bei solch etwas viel mehr Zeit, bis überhaupt etwas ans Tageslicht kommt und bis dahin ist es meistens zu spät. Auch verkriechen sich Mobbingopfer in ihre Schlupfwinkel und trauen sich nicht, überhaupt etwas zu sagen, weil sie sich dafür schämen und Angst haben. Doch bei Bernadette ist es anders und dabei hatte die Blondine ihre Feindin gestern genau beobachten können, wie angsterfüllt und verzweifelt sie war. Nie hätte sie es also für möglich gehalten, dass diese nun zum Gegenangriff übergeht, nachdem sie so sehr gedemütigt wurde. Sie war nur noch mehr ein Häufchen Elend und mit dem Handtuch um den nassen, nackten Körper war sie für Lucinda noch armseliger als sonst. Sämtliche Drohungen, die sich hat einfallen lassen, sollten sie schwächen und zur Verzweiflung bringen. Bernadette hätte sie am Ende am Boden kniend anflehen sollen, sie zu verschonen. Denn nichts hasste Lucinda mehr, als wenn man sie auf gleicher Augenhöhe ansieht und seinen eigenen Willen durchsetzt. So, wie es ihre Feindin bis jetzt immer getan hat und dafür wurde sie immer wieder bestraft. Doch egal was die Blondine sich auch immer ausgedacht hatte, nie kam der langersehnter Tag, an dem sich die Dunkelhaarige mit den rotgefärbten Strähnen ihr vor die Füße warf. Jeden Tag kam sie erneut in die Schule und ließ sich mit erneuter gesammelter Kraft nicht unterkriegen. Selbst als Lucinda für eine kurze Zeit lang glaubte, dass ihre Taten nun langsam endlich Wirkung zeigen würde, änderte sich nichts. Bernadette blieb stur und das macht sie bis heute noch rasend. „Wie hast du das geschafft, du Miststück?! Wie?! Wer hat dir geholfen?! … Das kann doch kein Mensch alleine schaffen und sie schon gar nicht! Das ist unmöglich! … Sie muss also jemanden haben, der sie unterstützt.“, schimpft sie während sie wutschnaufend ihr Zimmer betritt und dabei die Tür hinter sich zuschlägt. Für Lucinda ist ganz klar, dass Bernadette neue Freunde gefunden hat. Soweit sie ihre Familie aushorchen konnte, ist sich Lucinda sicher, dass ihre Feindin alleine dasteht. Daher ist für sie die einzige vernünftige Erklärung, dass Bernadette sich jemand Neues anvertrauen konnte. Doch so sicher ist die Blondine dabei nicht. Schließlich hat sie durch ihre Spione festgestellt, dass ihre Feindin stets alleine ist. Entweder ist diese zuhause, oder schlendert alleine durch die Gegend. Nie ist die Dunkelhaarige mit einer anderen Person gesehen worden, doch schon kommen in Lucindas Kopf die nächsten Vermutungen. Im Zeitalter des Handys und des Internets kann man Leute auch anders kennenlernen, doch dies zu überprüfen ist von außen schwer. Besonders, wenn man eine Schülerin ist und nur amateurhafte Techniknerds als Untertanen hat. Da bräuchte sie schon Spezialisten. Je mehr aber die Blondine darüber nachdenkt, desto mehr kommt sie zum Schluss, dass es sonst keine andere plausible Erklärung dafür gibt. Denn für sie findet man „Freundschaft“ nicht einfach so auf der Straße und im World Wide Web sieht die Sache wieder anders aus. Lucinda spürt, wie die Wut in ihr weiter anschwillt und um dieses wieder loszuwerden, stapft sie einfach auf ihren Schminktisch zu und fegt mit einem Schwung sämtliche Gegenstände vom Tisch. Schminkutensilien und kleine Parfümflaschen fliegen in hohen Bogen durch den Raum, bis sie hart auf dem Fußboden knallen. Ein kleines Fläschchen hat sogar einen leichten Riss davontragen müssen, doch das ist Lucinda in Moment vollkommen egal. Für einen kurzen Augenblick konnte sie sich austoben, doch nun heißt es für sie, auf Bernadettes Aktion zu reagieren. Ein böses Lächeln ziert nun ihr Gesicht und leise murmelt sie: „Warte es nur ab du Miststück. Ich werde schon dahinterkommen, wie du es geschafft hast und dann wirst du meine Rache spüren. Dafür sollst du bluten!“ Kapitel 35: Auf dem Polizeirevier --------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Nachdem mich die beiden Beamten in das Polizeipräsidium mitgezerrt hatten, musste ich mich in den Warteraum begeben. Seither warte ich darauf, dass es endlich mal weitergeht. Ich kann gar nicht beschreiben, was das für ein ungutes Gefühl für mich ist. Abgesehen davon, dass ich mich nun hier langweilen muss, geht mir der gestrige Tag nicht mehr aus dem Kopf. Seit der Autofahrt bin ich ständig am Grübeln und ich frage mich, wie es nun weitergehen wird. Die Beamten haben nicht wirklich viel zu mir gesagt. Sie meinten nur, ich müsste geduldig sein, bis ich dann meine Aussage machen werde. Selbst nach einem Anwalt haben sie mich gefragt, aber ich kenne doch keinen. Noch nie habe ich jemals einen gebraucht und wozu soll der auch notwendig sein, wenn ich doch selbst nichts verbrochen habe? Scheinbar ist dies aber notwendig. Vielleicht soll dieser mich auf meine Rechte und den bevorstehenden Prozess vorbereiten. Ich habe aber keine Ahnung, wie das mit Cyber-Mobbing gehandhabt wird. Wird es überhaupt einen Prozess geben, oder wird dies sogar außergerichtlich geregelt? Ich habe mich noch kein einziges Mal mit diesem Thema beschäftigt, abgesehen davon, dass ich ohnehin nicht die Nerven dafür hatte, mich überhaupt damit zu befassen. Ich hatte andere Sorgen und die habe ich jetzt auch noch. Keine Sekunde fühle ich mich wohl in meiner Haut. Während ich nun in diesem kahlem Raum warte, während sämtliche Polzisten und andere Menschen ihrer Arbeit nachgehen, kann ich nichts weiter tun. Wenn ich ehrlich sein soll, wäre ich am liebsten wieder sofort ausgestiegen, kaum dass ich im Polizeiwagen Platz gefunden hatte und stattdessen hätte ich mich in mein Zimmer verbarrikadiert. Ich wollte die Sache einfach vergessen, es aus meinem Schädel verbannen und wenn möglich, nicht mehr daran denken. Das von gestern hängt mir einfach immer noch nach. Ich hatte zwar irgendwie schlafen können, aber nicht ohne dabei feststellen zu müssen, dass das kein Albtraum war. Allein der Gedanke daran, lässt mich wieder in diesem Moment zurückversetzen, an dem ich beinahe nackt um meine Sachen kämpfen musste und es wäre sogar so weitergegangen, wäre dieser Lehrer nicht plötzlich aufgetaucht. Auch jetzt würde ich gerne im Boden versinken und nie mehr wieder rauskommen. Zwar hatten mir meine Freunde noch Mut gemacht, aber jetzt bin ich mir einfach unsicher. Wie in der Schule bin ich auch jetzt wieder auf mich alleingestellt und ich bin auch nicht wieder soweit, um per Knopfdruck gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Dafür sind meine Kraftreserven bereits aufgebraucht. Allerdings schäme ich auch für dieses Gefühl. Immerhin haben Raphael und die anderen alles darangesetzt, mir irgendwie zu helfen und nun wünschte ich mir, ich könnte mich einfach in mein Schneckenhaus verziehen. Damit ich ja nie wieder etwas davon hören muss. So sehr sich auch ein Teil von mir danach gesehnt hat, ich muss irgendwie neue Kraft schöpfen und mich zusammenreißen. Das bin ich meinen Freunden zumindest schuldig und irgendwie will ich es doch auch. Ich möchte nicht, dass alles, was ich durchmachen musste und die Hilfe, die mir gegeben wurde, umsonst war. Diesen Triumpf möchte ich dieser Schlange einfach nicht gönnen! Es muss endlich mal etwas geschehen, damit sie damit aufhört und wenn das bedeutet, dass ich mich noch einmal zusammenreißen muss, dann tue ich es auch. Auch wenn mir kein bisschen danach ist, aber so leicht will ich es ihr nicht machen. Lucinda soll endlich einmal die Quittung dafür bekommen und da ist mir jeder weitere Schmerz wert, welchen ich ihretwegen fühlen muss. Somit steht mein Entschluss fest. Dennoch begleitet mich diese Unruhe weiterhin. Ich kann sie nicht einfach abstellen, weswegen ich ständig auf dem Sessel hin und her rutsche. Auch meine Augen gleiten von der einen Ecke des Raumes bis hin zum Nächsten. Nichts tun zu können und sinnlos in einem Winkel hocken zu müssen, ist für meine Nerven nicht gerade ideal. Die Leute, die hier ein- und ausgehen, machen die Sache auch nicht wirklich viel besser. Entweder werde ich von den Vorbeigehenden seltsam gemustert, als wäre ich inmitten einer kuriosen Ausstellung gelandet, oder sie würdigen mich keines Blickes und zeigen mir die kalte Schulter. Ich wurde sogar einmal leicht angerempelt und der Typ hatte es nicht einmal für nötig gehalten, sich zu entschuldigen, kaum dass er mich beinahe von meinem Sitz weggerissen hätte. Nur weil er nicht imstande gewesen ist, geradeaus zu laufen, aber vermutlich hatte er es nicht einmal bemerkt und es würde mich nicht einmal wundern, wenn der Kerl bereits zu tief ins Glas geschaut hätte. Anstatt mich aber darüber aufzuregen, habe ich einfach nur verständnislos den Kopf geschüttelt und mich dann schließlich zurück in die Lehne fallenlassen. Immerhin habe ich in Moment andere Probleme, um die ich mich kümmern muss und da ist dieser kurze Zusammenstoß wirklich keine große Sache, geschweige auch nur ansatzweise von Bedeutung. Stattdessen versuche ich mir bewusst zu machen, dass ich demnächst meine Aussage machen muss. Ob ich will oder nicht, spielt keine Rolle und ich muss auf jeden Fall aufpassen, dass meine Gefühle nicht die Oberhand bekommen. Denn es besteht bei meinem momentanen emotionalen Zustand die Gefahr, dass ich mich verplappern könnte und das will ich auf keinen Fall riskieren. Ich kann niemandem erzählen, wer mich von diesem Horrorgebiet geholt hat, wer sich mit der Community auseinandergesetzt hat und wer sich so rührend um mich gekümmert hat, sodass ich trotz meiner Qualen ein kleines Bisschen Ruhe fand. Was also soll ich nur sagen? Nachdenklich reibe ich mir nun gegen meine Arme. Als wäre mir ein kalter Schauer über den Rücken gekommen, versuche ich mich selbst davor zu schützen. Dabei schließe ich sogar die Augen und atme tief durch. Ich sehne mich nach Ruhe und ich sehne mich nach Klarheit. Diese Ungewissheit und dieses momentane Nichtstun ziehen mich einfach nur tiefer in meinem Abgrund, in dem ich bereits stecke. Noch einmal versuche ich, diese innere Ruhe wiederzufinden, bis ich aber im selben Augenblick abrupt daraus gerissen werde. Schuld daran ist Tante Tina, die quasi mit „Donner und Krawall“ in den Warteraum hereingestürmt kommt und nach mir ruft: „Bernadette?! Kind, wo bist du?!“ Ich blicke auf und sehe, wie sie mit schnellen Schritten auf mich zueilt, nachdem sie mich kurz darauf entdeckt hat. Beinahe hysterisch steht sie nun vor mir. Kein Mitleid ist in ihren Augen zu sehen. Stattdessen zeigen sie Zorn, Verwirrung und sogar Sorge. Mit beiden Händen gegen ihre Hüften gestemmt, verharrt sie nun dort. Ihr Blick vorwurfsvoll auf mich gerichtet, verlangt sie nun endlich Antworten von mir: „Was hat das alles zu bedeuten Bernadette?! Warum sind wir hier?! Was hast du angestellt?!“ „Ich habe nichts angestellt.“, murmle ich, während ich meinen Kopf leicht zu Boden geneigt habe. Klar sieht es wahrscheinlich nun aus, als wäre das von mir eine Lüge gewesen. Doch das ist keine Lüge gewesen, ich kann ihr einfach nur nicht länger in die Augen schauen, da ich Angst habe, sofort wieder in Tränen auszubrechen. Obwohl ich ihr per WhatsApp geschrieben habe, dass ich nichts ausgefressen habe, scheint sie die Tatsachen aber wieder einmal zu verdrehen. Sie glaubt mir einfach nicht und die Tatsache, dass wir uns nun auf dem Polizeirevier befinden, wird sie darin nur noch verstärkt. Wie schon so oft werde ich als Täter hingestellt und habe auch hier keine Chance alles richtig zu stellen, wofür ich ohnehin nicht wirklich da Kraft dafür habe. Ich will einfach nur noch meine Aussage machen und dann wieder von hier verschwinden. Mit einem halben Ohr, bekomme ich ihre Predigt mehr oder weniger mit, wobei ich eher einzelne Wortfetzen daraus entnehme und besonders jenen Satz zu hören bekomme, welcher einfach nur ein weiterer Stich in meinem Herzen ist: „Ich bin enttäuscht von dir!“ Mein einziges Glück ist, dass ich mir das nicht noch länger antun muss, als gerade ein Polizist auf uns zukommt. Unerwartet stellt sich meine Tante aber auf einmal schützend vor mich. Als hätte das Auftreten dieses Mannes irgendetwas bei ihr ausgelöst und als wolle sie mich nun vor Schlimmeres bewahren, als was es bereits ohnehin schon ist. Doch wenn sie nur einmal zuhören würde, wüsste sie, dass ich das Opfer bin und dass es daher keinen Grund gibt, auf mich einen Groll zu haben. „Egal, was auch meine Nichte angestellt haben mag, ich bin mir sicher, dass es dafür eine plausible Erklärung gibt.“, beteuert Tante Tina, erntet aber sogleich einen verwirrten Blick, seitens des Mannes. Keine Ahnung davon, was sie damit meinen könnte, scheint er nun perplex zu überlegen, bis ihm aber schließlich ein Licht aufgeht und das Missverständnis aufklärt: „Nein, nein verehrte Dame, da liegt ein Missverständnis vor. Ihre Nichte ist bei diesem Cybermobbingfall nicht die Täterin, sondern das Opfer selbst, also beruhigen Sie sich bitte. Es besteht keinen Grund zur Aufregung, aber es wäre wohl besser, wenn wir das an einem anderen Ort näher besprechen. Dann kann sie uns allen selbst erzählen, was wirklich vorgefallen war.“ Bei seinen letzten Worten sieht der Mann mich mit einem aufmunternden Lächeln an, aber so sehr seine Worte nett gemeint waren, ich schaffe es in Moment nicht dies zu erwidern. Meine Tante dagegen bleibt sprachlos und zum ersten Mal nach langen scheint sie mich nun endlich aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Denn ihr momentanes Gesicht spricht Bände. Neben Verwirrung habe ich bei ihr den Eindruck, als sei ihr auch gleichzeitig ein Stein vom Herzen gefallen. Sie ist wirklich davon überzeugt gewesen, mich nun hinter Gitterstäbe zu sehen, aber trotzdem ist ihre Sorge um mich nicht weniger. Stumm folgen Tante Tina und ich dem Beamten durch den nächsten Gang, bis wir einen Verhörraum betreten. Wie man das normalerweise aus Filmen kennt, ist es ein karger, dunkler Raum, welcher nur von einer Deckenlampe beleuchtet wird. In der Mitte befindet sich ein schwarzer Tisch und rund um diesen sind vier Sessel aufgestellt. Eine Wand ist mit diesem seltsamen Fenster ausgestattet, welches auf der Innenseite wie ein Spiegel wirkt. Es ist vielleicht spannend solch eine Situation im Fernsehen zu sehen, aber es ist garantiert kein Spaß, selbst in solch einem Raum zu befinden. Zumindest ist mir nicht wohl bei der Sache, was der Polizeibeamte auch bereits bemerkt hat. Er reicht mir eine kleine Flasche mit Mineralwasser und bittet mich nun, mit meiner „Geschichte“ anzufangen: „Keine Sorge, wir sind hier, um dir zu helfen und du musst keine Angst haben. Alles, was du hier erzählst, wird nicht in die Außenwelt gebracht. Es geht allein um dich und wie wir dir helfen können.“ Ich schlucke, denn nun ist der Moment da, vor dem ich mich gefürchtet habe. Dabei spüre ich schon, wie sich meine Kehle zuschnürt und wie der Rest meines Körpers sich verkrampft. In meinen Gedanken glaube ich sogar, dieses Lachen wieder zuhören. Die Erinnerung daran, lässt mich aufs Neue diesen schrecklichen Tag vor mir sehen. Ich kann mich dabei förmlich selbst sehen, wie ich zunächst überrascht aus der Dusche steige, bis ich schließlich panisch die Verfolgung nach meinen Sachen aufnehme und schlussendlich von dieser Meute umringt werde. Ich fange an zittern, als müsste ich diese Scheiße wahrhaftig noch einmal ertragen, bis ich Tante Tinas Hand auf meiner spüre und ich so aus meinen Wachtraum rausgerissen werde. Überrascht sehe ich sie an. Sie sagt nichts, gibt mir aber mit ihrem Blick zu verstehen, dass „alles gut wäre“. Das ist es aber nicht! Nichts ist in Ordnung und selbst, wenn sie mir das erste Mal glaubt, so ändert sich nicht daran, dass ich mich so elend fühle! Nicht nur, dass ich mich dafür schäme, ich habe einfach Angst davor, was als Nächstes passieren wird. Ich weiß auf jeden Fall, dass ich nie mehr wieder einen Fuß in diese High School setzen werde. Keine zehn Pferde werden mich da jemals wieder hinbringen und ich hoffe auch, dass meine Tante das einsehen wird. Zögerlich fange ich nun an, meinen gestrigen Tag zu schildern. Bei jedem darauffolgenden Satz habe ich das Gefühl, als würde ich einen großen Steinbrocken auf meine Schultern tragen. Dennoch mache ich weiter und halte erst dann inne, als ich zwischendurch von den Polizisten um weitere Details gefragt werde. Unter anderem will er wissen, wie lange ich schon gemobbt werde. Ich nenne ihm den Zeitraum, so wie auch, wen ich direkt in Verdacht habe. Allerdings erwähne zusätzlich, dass nicht nur eine Person allein dafür verantwortlich ist, sondern, dass mehrere im Auftrag handeln. Für Außenstehende klingt das wie aus einem Krimi, jedoch erwähne ich zwei Beispiele, die meine Erzählung verstärken sollen. Skeptisch und nachdenklich zugleich, wendet sich der Beamte meiner Tante zu und fragt sie: „Wussten Sie eigentlich etwas darüber? Schließlich wohnen Sie beide in einem Haushalt? Hat Ihre Nichte dabei irgendetwas in dieser Richtung erwähnt?“ Bei dieser Frage wird ihr Gesicht sogleich bleich. Mit einem beschämenden Blick antwortet sie schließlich darauf: „Ja, ich habe davon gehört. Meine Nichte erzählte mir das eine oder andere, wenn ich sie auf die Schule ansprach. Doch ich glaubte nicht, dass es sich in ihrem Fall tatsächlich um Mobbing handeln würde. Schließlich ist es auf einer High-School nicht verwunderlich, dass die Schüler sich gegenseitig necken. Ich dachte, sie würde mir eine übertriebene Story auftischen, um vielleicht so Aufmerksamkeit zu bekommen. Denn seit sie ihre Freunde verloren hat, ist sie wie ausgewechselt. Nicht so wie andere in ihrem Alter, geht sie mit anderen aus, oder versucht, neue Bekanntschaften zu machen. Im Gegenteil, die meiste Zeit hat sie stets alleine verbracht, sei es durch ihre riskanten Spaziergänge, oder durch die Tatsache, dass sie ihr Zimmer sonst kaum verlässt. Ich dachte, sie würde sich selbst verlieren und habe auf meine Weise versucht, sie da wieder rauszuholen.“ „Wie meinen Sie das?“, hakt der Beamter nach und sie meint darauf: „Ich dachte zum Beispiel, dass ein neuer Look ihr mehr Weiblichkeit und auch mehr Selbstvertrauen geben würde, aber meine Bemühungen dazu hat sie stets abgelehnt. Manches Mal sogar verteufelt.“ Tante Tina blickt mich nun an. In ihren glasigen Augen sammeln sich Tränen, bis sie sich schließlich schluchzend um meinen Hals wirft und sich immer wieder bei mir entschuldigt: „Es tut mir leid so Bernadette! Hätte ich dir doch nur zugehört! Vielleicht hätte ich dir dann wirklich helfen können! … Aber glaub mir Liebes, ich bin für dich da! Ich lasse dich nicht im Stich!“ Ohne die Kraft zu haben, irgendetwas zu erwidern, bleibe ich einfach stumm und lasse mich von meiner Tante fest umarmen. Ich starre sogar einfach in die Leere, während mir die eine oder andere Träne an meinen Wangen herunterkullert. Zum ersten Mal in meinen Leben habe ich sie so erlebt. Sonst kenne ich sie als starrsinnige Frau und endlich hat sie gesehen, wie beschissen ich mich fühle und wie sehr ich mich Geborgenheit und nach der Familie sehne. Dennoch bin ich mit allem überfordert. Ich kann kaum äußern, was tief in mir vor sich geht. Allein der Gedanke daran, dass ich sonst immer als Teenager gehalten worden bin, welcher einfach vom Pfad abgekommen ist, ist nun endlich aufgeklärt worden. Diese Maske, die mir einfach so aufgesetzt worden war, gibt es nicht mehr und meine vergeblichen Bemühungen, sie und den Rest der Familie vom Gegenteil zu überzeugen, ist nun endlich nicht mehr notwendig. „Nun, ich möchte diesen Moment nur ungern stören, aber wir müssen weitermachen. Es gibt noch einige Fragen, die zu klären sind.“, unterbricht der Polizist uns nun, obwohl meine Tante nicht einmal daran denken will, ihre Umarmung jetzt zu lösen. Das zeigt sie, indem sie mich sogar kurz noch dichter zu sich drückt, aber dann höre ich sie, wie sie seufzt und schließlich ihre Arme um mich lockert. Sanft streicht sie dabei meine linke Wange und bemüht sich, zu lächeln. Dies sieht der Beamter wiederum als Aufforderung, mich nun zu fragen, wie sonst mein Alltag aussehen würde und in welcher Beziehung ich zu mancher meiner Klassenkammeraden stehe. Allerdings fühle ich mich gerade nicht wirklich imstande, noch irgendetwas von mir zu geben. Ich bin einfach nur überlastet. Meine Nerven fahren gerade Achterbahn und mein gesamter Körper ist immer noch verkrampft, sodass ich mich kaum bewegen kann. Ich habe einfach nur noch das Bedürfnis, in Ruhe gelassen zu werden. Wie lange sitzen wir eigentlich schon hier? Mir kommt es vor, als würde ich schon seit Stunden in diesem trostlosem Raum verbringen und ich sehne mich einfach nur noch danach, endlich wieder nach Hause gehen zu können. Mein Blick fällt auf die verschlossene Tür, während ich weiterhin stumm bleibe. Selbst eine weitere Aufforderung seitens des Mannes, dass ich quasi noch einige Informationen rausrücken soll, ändert nichts an meine momentane Lage. „Also gut, ich sehe keinen Sinn daran, dieses Gespräch jetzt noch fortzuführen. Ich bitte aber die Damen sich für weitere Fragen bereitzuhalten.“, sagt der Polizist schließlich und beendet somit das Gespräch. Ich hingegen atme erleichtert auf, dass wir nun entlassen werden und ich möchte einfach nur noch gehen. Erschöpft stehe ich schließlich auf und folge meiner Tante aus dem Verhörraum. Noch sprechen wir miteinander kein Wort und wir hätten in Moment auch nicht die Chance dazu gehabt, denn schon bleibt mir in diesem Augenblick die Luft weg. Als ich gerade zum anderen Ende des Ganges sehe, bemerke ich dieses Miststück, welches währenddessen mit einem seltsamen Mann an ihrer Seite auf mich zumarschiert. Wie auf dem Laufsteg stolziert sie mit ihren Stöckelschuhen umher, sodass jeder Schritt hallt und deutlich hörbar ist. Dabei wirkt diese fiese Schlange noch arroganter als sonst und sie hat noch die Frechheit mit erhobenen Haupt auf mich zuzugehen, als wenn sie das alles hier nicht betreffen würde und „nur zu Besuch“ wäre. Gerade wo in mir Angst, Scham und Erschöpfung mein Herz umschlungen haben, so hat sich nun in mir die Wut breitgemacht. Ich spüre förmlich, wie die Adern an meinen Händen anschwellen, während ich diese fest zu Fäusten zusammenballe. Am liebsten würde ich ihr sämtliche Worte an den Kopf werfen, bei der ihr Hören und Sehen vergehen würde. Vielleicht würde ich noch mehr tun und dennoch bleibe ich still. Selbst als sich mich bewusst anrempelt, reagiere ich nicht. Doch das hat einen anderen Grund. Denn für einige Sekunden, in der unsere Gesichter ganz nah beieinander waren, flüsterte sie mir in einem zischenden Ton zu: „Dafür wirst du bluten.“ Mehr sagte sie nicht, sondern schwenkt ihren blonden Lockenkopf wieder geradeaus und würdigt mir keines Blickes mehr. Sie marschiert einfach mit dem Anzugträger weiter, als wenn nichts passiert wäre. Ich dagegen schaue ihr nur hinterher und schüttle verständnislos und zornig zugleich leicht den Kopf. Sie hat mir tatsächlich gedroht. Obwohl sie nun selbst tief in der Tinte sitzt, bleibt sie dennoch selbstbewusst und wagt es diese Worte zu mir zu sagen! Ich kann es einfach nicht fassen und ich wäre noch länger so dagestanden, hätte Tante Tina mich nicht sanft an der Hand gepackt und leicht in die andere Richtung gezerrt. „War das diese Lucinda, von der du erzählt hast.“, fragt sie mich nach einer Weile des Schweigens und ich nicke nur darauf. Vermutlich hätte sie mich noch weiter etwas dazu befragt, aber als wir gerade das Gebäude verlassen, sehe ich April O'neil, wie sie ihr Fahrrad an einem Ständer festmacht. „April?“, kommt es mir geschossen aus dem Mund und die junge Frau dreht sie schlagartig zu mir um. Ihr Gesicht strahlt förmlich, als sie mich sieht und schon kommt sie auf mich zugestürmt. Dabei werde ich sofort fest umarmt und sie fragt mich sogleich, wie es mir denn gehen würde. Zunächst bin ich noch überrascht. Ich habe ehrlich gesagt auch nicht damit gerechnet sie hier zu sehen, weswegen ich ihr auch gleich diese Gegenfrage stelle: „Es geht so, aber was ... ?“ Die Frage an sich kann ich nicht zu Ende bringen, allerdings kommt mir April so und so zuvor und meint darauf: „Ach, ich bin wegen dir hier, um eine Aussage zu machen. Denn schließlich weiß ich ja von deinem Internetproblem und die da drin wollen halt mehr dazu wissen.“ April zwinkert mir nun zu und während ich ihr zuhöre, habe ich gar nicht bemerkt, wie Tante Tina verwirrt neben mir steht und mich schließlich leicht anstupst. „Woher kennst du bitte April O'neil?“, flüstert sie mir ins Ohr, was aber bei der ehemaligen Reporterin nicht unbemerkt bleibt. Ich habe nicht einmal den Mund öffnen können, schon übernimmt April schon das Reden für mich. Höflich gibt sie meiner Tante die Hand und klärt sie schließlich auf: „Ah, dann sind Sie wohl Bernadettes Tante. Freut mich Sie kennenzulernen. … Bernadette und ich sind seit einiger Zeit gute Freunde. Ich traf sie bei einem ihrer Spaziergänge, wo wir ins Gespräch kamen. Sie müssen wirklich stolz auf Ihre Nichte sein, denn schließlich hat sie wegen dieser Sache tapfer durchgehalten. … Apropos, ich sollte besser hineingehen. Die werden ja nicht ewig auf mich warten. Also dann … Ach ja Bernadette! Bevor ich es vergesse. Was hältst du davon, wenn wir uns ca. in zwei Stunden treffen? Dann kommst du mal auf andere Gedanken. Bis später!“ So schnell, wie sie gekommen ist, so schnell ist sie auch wieder verschwunden und auf ihre Frage hin konnte ich am Ende nur schnell nicken, bis sie dann die Tür wieder hinter sich geschlossen hat. April ist schon ein Kapitel für sich. Also manchmal ist sie wirklich wie ein Wirbelwind, aber vielleicht musste sie das ja in ihrem Beruf sein. Ich weiß zwar nicht, warum sie nicht mehr als Reporterin arbeitet, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass das mit den Jungs zu tun hat. Gefragt habe ich bisher noch nie danach, weil es mich im Grunde auch nichts angeht, aber für diesen einen Augenblick ist es für mich schon komisch, dass sie gerade in diesem Job nicht mehr tätig ist. Dabei scheint dieser genau zu ihr zu passen. Doch der Gedanke verschwindet schnell wieder, als mich Tante Tina wieder in das Hier und Jetzt zurückholt. Nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, ist sie nicht nur erstaunt, sondern auch verwirrt. Ok, Aprils Erklärung über unsere Bekanntschaft ist nicht der Realität entsprechend und dennoch wirkt sie realistischer als die Wahrheit. Denn erst durch die Brüder konnte ich auch April kennenlernen und ich bin ehrlich gesagt sogar sehr froh darüber. Sie mag zwar um einige Jahre älter sein als ich, aber sie hat mich, seit ich sie kenne, nie als Kind oder dergleichen behandelt. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich mich trotz der wenigen Male, in der wir uns gesehen haben, so gut mit ihr verstehe. So bin ich ihr wegen dieser Notlüge auch sehr dankbar. Auch dass sie mir wegen der Mobbingsache geholfen hat, schätze ich sehr und auch jetzt greift sie mir wieder unter die Arme. Vermutlich wird sie den Beamten sagen, dass ich sie angerufen und um Hilfe gebeten habe. Es würde Sinn machen und ich muss sie später unbedingt fragen, was sie bei ihrer Aussage gesagt hat. Jedes noch so kleine Detail ist wichtig. Schließlich ist bei mir das Gespräch abgebrochen worden und beim nächsten Mal werde ich mit Sicherheit auf April angesprochen. Daher muss ich alles von ihr wissen, um ja keinen Fehler zu machen, was unsere gemeinsamen Freunde betrifft, aber vielleicht ist das genau der Grund, wieso sie sich später mit mir treffen will. Allein schon wie sie das mit Donnie erklären will, der in meinem Fall auch seine Finger im Spiel hatte, interessiert mich. Ich weiß nicht einmal, ob das Genie nicht doch noch irgendetwas ausgetüftelt hat, damit man die Spur ja nicht zu ihm zurückverfolgt. Gestern konnte ich ihn nicht fragen, da ich ohnehin nicht einmal daran dachte. Jetzt aber interessiert es mich umso mehr. Herausfinden werde ich es aber wohl erst, wenn es soweit ist und bis dahin muss ich abwarten. Schließlich folge ich nun meiner Tante bis zum Auto und steige ein. Während der Fahrt über schweigen wir wieder und ich habe auch nicht das Bedürfnis zu reden. Für heute habe ich genug gesagt. Bereit, dass ich mich überwinden und denen den gestrigen Ablauf schildern musste, hat mir genug Kraft gekostet. Ich fühle mich so ausgelaugt, so leer und so müde. Als könnte ich wie Dornröschen höchst persönlich 100 Jahre schlafen. Gedankenversunken sehe ich aus dem Fenster, wobei ich kaum auf die Umgebung achte. Viel mehr starre ich durch sie hindurch, als wäre alles nicht wirklich da, während ich weiterhin über die letzten Stunden nachgrüble. Es gibt nun mal die eine Frage, die sich weiterhin hartnäckig an mich klammert und zwar: Was wird dann auf mich zukommen? Beantworten kann mir das keiner, das weiß ich und egal wie oft ich mir selbst gut zurede, oder mir von anderen Mut gemacht wird, allein dieser Gedanke bereitet mir Sorgen. Auf einmal hält das Auto an und überrascht bemerke ich, dass wir bereits das Ziel erreicht haben. Tante Tina und ich stehen vor unserem Haus. Ich bin so sehr in Gedanken gewesen, dass ich gar nichts mehr mitbekommen habe, aber irgendwie erscheint es mir nicht einmal wichtig. Ich will schon aussteigen, als ich plötzlich Tante Tinas Hand spüre. Augenblicklich sehe ich sie an und merke wie ihr Gesicht wieder diesen traurigen und besorgten Blick zeigt. Doch ihre Augen spiegeln neben den kommenden Tränen noch mehr und das ist Selbstvorwurf. „Es tut mir leid.“, flüstert sie, ich jedoch reagiere nicht darauf. Ich habe einfach das Gefühl, dass sie mir noch mehr sagen will, weswegen ich einfach abwarte und schon spricht sie weiter: „Es tut mir so leid Bernadettchen. Wie oft hast du mir schon gesagt, dass du dich in der Schule nicht wohlfühlst und ich habe dir jedes Mal Vorwürfe gemacht. … Ich dachte, dass wäre einfach eine Ausrede für dein Verhalten. Du wurdest immer verschlossener und bist, außer deinen einsamen Spaziergängen, immer in deinem Zimmer geblieben. Ich dachte, es wäre so eine Art Phase, vor der ich die beschützen muss, indem ich dich für das Leben ändere und doch habe ich es schlimmer gemacht. … Du musst mich wohl hassen.“ Ab hier schweigt sie wieder. Wo sie mich noch mit glasigen Augen angesehen hat, meidet sie nun meinen Blick und lässt mich auch schließlich los. Vermutlich wartet sie nun darauf, dass ich sie nun mit Vorwürfen strafe, sie beschimpfe, oder ihr sonst irgendwie meine Wut zum Ausdruck bringe. Eigentlich hätte ich auch allen Grund dazu. Immerhin zwang sie mich zu Dingen, die mich noch mehr einengten, als das ich mich schon bereits gefühlt hatte und so oft war ich sauer auf sie. Sie wollte mich einfach nicht verstehen und erst seit die Mobbingsache raus ist, sieht sie mich nun mit anderen Augen. Ich müsste ihr all dies an den Kopf werfen und doch tue ich es nicht. Irgendwie empfinde ich keinen Groll für sie, viel mehr Mitleid. Denn schließlich wollte sie mir nie etwas Böses. Wir waren einfach nie auf der gleichen Wellenlänge und lebten aneinander vorbei. Klar hätte sie mir mal zuhören sollen und demnach versuchen sollen, mich zu verstehen, aber ich kann mir einfach nicht helfen. Jegliche Wut ihr gegenüber ist kaum mehr wahrnehmbar, als wäre sie sogar unbegründet gewesen. Vielleicht, weil sie wirklich nur das Beste für mich wollte, es aber auf einen anderen Weg nicht konnte. Ich weiß es nicht und ich verstehe es auch nicht, aber eines weiß ich: Mein Zorn gilt viel mehr Lucinda, denn immerhin ist sie die Wurzel allen Übels. Anstatt also meine Tante anzukeifen, ergreife ich sanft ihre rechte Hand und meine schließlich: „Nein, ich hasse dich nicht. Das könnte ich nicht. … Aber vielleicht ist das nun eine Möglichkeit, in der wir die Seite umblättern und ein neues Kapitel aufschlagen.“ Kapitel 36: Viele Gespräche und ein bisschen Ablenkung ------------------------------------------------------ Aus Bernadettes Sicht: „Das … das willst du wirklich?“, fragt Tante Tina mich. Unglaubwürdig und verwirrt darüber, dass ich ein weiteres Mal anders, als erwartet, handle, starrt sie mir nun in die Augen. Als wolle sie es noch einmal aus meinem Mund hören. So nicke ich und erwidere ihr: „Ja, ich möchte das. … Ich will mich nicht mehr mit dir streiten. … Ich will einfach nur, dass du mich so akzeptierst, wie ich nun mal bin und dass da du zumindest versuchst, mich zu verstehen. … Das ist das Einzige, was ich jemals wollte. … Glaubst du, es wäre möglich?“ Bei jedem einzelnen Wort, was ich sage, empfinde ich auf einmal ein klein wenig Kraft. Denn diese wollte ich meiner Tante schon immer mitteilen, aber nie hatte ich diese Möglichkeit, geschweige den Mut oder das Vertrauen dafür. Ich habe mich in meiner eigenen Familie immer wieder alleine gefühlt. Warum also, soll ich eine Hand wegschlagen, die mir nun endlich entgegengereicht wird? Tante Tina will was verändern und ich will es auch. Am Ende erscheint sogar ein kleines Lächeln in meinem Gesicht, was von ihr selbst ebenfalls erwidert wird. Weinend, aber trotzdem auch lächelnd umarmt sie mich aufs Neue und meint: „Ja, Liebes. Ich will mein Bestes tun. Du bist mir wichtig, schließlich sind wir eine Familie. Auch wenn deine Brüder und deine Mutter ihr eigenes Ding durchziehen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht aufeinander aufpassen. … Verzeihst du mir?“ „Das habe ich schon, aber gib mir noch etwas Zeit, das Ganze zu verdauen.“, antworte ich, während sie immer noch ihre Arme um mich geschlungen hat. Ohne irgendwelche Bedingungen geht sie darauf ein. Noch eine ganze Weile sitze ich mit Tante Tina im Auto. Wir reden und reden. Es scheint beinahe kein Ende zu geben, aber vielleicht liegt es auch daran, dass wir beide sonst immer geschwiegen haben, oder zwischen uns flogen die Fetzen. Jetzt aber nutzen wir beide die Gelegenheit, um uns endlich aussprechen zu können. Als wäre der Nebel aus Missverständnis und Groll nun endlich gewichen und wir beide könnten uns nun endlich nähern. Denn nun sehe ich sie auch irgendwie anders. Ich dachte sonst, sie wäre wie eine kalte Wand, an der alles, was ich sagte, abprallen würde. Ich fühlte mich von ihr immer ungerecht behandelt und am Ende habe ich sogar gar kein Vertrauen zu ihr gehabt. Jedoch, als ich sie auf dem Revier gesehen habe, wie sie mir zum ersten Mal wieder richtig zugehört hat, kam endlich die Wende. Tante Tina mag mit Sicherheit keine einfache Person sein, das würde ich sogar unterschreiben, aber einfach bin ich auch irgendwie nicht. Das liegt wohl in der Familie, aber ich möchte mir keine andere vorstellen. Am Ende unseres Gesprächs, der ziemlich lang angedauert hat, können wir beide uns nun endlich anlächeln, ohne dass es in einen weiteren Streit zwischen ausarten könnte. Dennoch weiß jeder von uns, dass es Zeit braucht, bis es wirklich so wird, wie wir uns das vorstellen. Allein wegen dem Vertrauen gibt es viel zu tun. Nachdem meine Tante und ich schließlich aus dem Wagen gestiegen sind, machen wir uns gemeinsam auf dem Weg ins Haus. Kaum aber, dass wir nun den Flur betreten, fragt mich meine Tante auf einmal: „Sag, wirst du wieder deine Spaziergänge machen?“ Überrascht sehe ich sie an, denn lässt sie mich wirklich gehen, wenn ich das will? Ohne direkt darauf einzugehen, erwidere ich: „Ich würde es gerne wieder machen, denn so bekomme ich meinen Kopf frei.“ Verstehend nickt sie auf meine Antwort. Dass sie trotz allem nicht begeistert davon ist, kann man gut von ihrem Gesicht ablesen. Dennoch sieht sie es ein, dass mir das scheinbar wichtig ist und geht darauf ein: „Ich verstehe, mach es ruhig, aber ich hätte da eine Bitte an dich …“ „Und die wäre?“, will ich wissen und werde dabei etwas skeptisch. Doch im Gegensatz zu allmöglichen Erwartungen, die mir gerade durch den Kopf schwirren, legt sie nur lächelnd ihre Hände auf meine Schultern und bittet mich: „Pass einfach auf dich auf. Ich möchte nicht, dass dir was passiert.“ Ein weiterer Schritt, der nun unerwartet von ihr kommt. Gibt sie mir tatsächlich wieder mehr Freiheit, die ich sogar dringend brauche? Heißt das, dass ich nun weniger von ihr überwacht werde? Ohne auf eine Antwort von mir zu warten, nimmt Tante Tina nun ihre Hände von mir. Ich habe dabei den Eindruck, als wäre aus ihrer Sicht nun alles gesagt, was zum Sagen gibt. Jedoch gibt es für mich noch etwas, was mich bedrückt: „Tante Tina, was ich noch sagen will … ich hoffe du verstehst, aber ich möchte die Schule wechseln.“ Für einige Sekunden sieht sie mich sprachlos an, als hätte sie dieses Thema nicht allzu schnell erwartet, vielleicht hat sie sogar damit spekuliert, dass ich mir damit Zeit lasse. „Bist du sicher? Immerhin wird jetzt alles versucht, um dir da raus zu helfen. Außerdem ist es nicht mehr so lange hin, bis dieses Schuljahr endet.“, versucht sie mich nun dazu zu bewegen, dies noch zu überdenken, aber meine Entscheidung steht bereits fest: „Ich weiß, aber ich kann dieses Gebäude nicht mehr betreten.“ Ein bedrücktes Gesicht schleicht sich nun bei mir ein, woraufhin Tante Tina nachdenklich fragt: „Wegen dem, was dir gestern passiert ist?“ „Nicht nur, ich will einfach einen Neustart anfangen, das Ganze vergessen. … Selbst wenn das wegen dem Mobbing geregelt wird und Lucinda mal endlich die Quittung dafür bekommt, heißt es noch lange nicht, dass es nicht wieder passieren kann. Spätestens dann, wenn wieder Gras darüber gewachsen ist, wird es sich wiederholen. Du weißt, dass ich keine Freunde habe und ich kann mich auf niemandem dort verlassen, selbst wenn ich wollte. Außerdem … “, erkläre ich ihr, bis sie mich aber stoppt und meint: „Schon gut, ich weiß, was du meinst, aber denk jetzt nicht darüber nach. Ruh dich erst einmal aus und dann können wir immer noch darüber reden, ok?“ Nickend und mit ihrem letzten Argument, dass es mit Sicherheit bald wieder soweit ist, dass ich neue Kontakt knüpfen kann, gehe ich schließlich die Treppen hoch. Ich denke noch an ihre Worte nach und besonders jene, die sie im Auto gesagt hat, beschäftigen mich noch. Denn als meine fünf ehemaligen Freunde damit anfingen, mich zu meiden und auch nicht mehr hierherkamen, um mit mir die Zeit zu vertreiben, war das für sie ein Alarmsignal. Als müsste sie nun endlich etwas unternehmen, damit ich ja nicht alleine bleibe. Dass mich das allerdings nur eingeengt und mich umso mehr von ihr entfernt hat, hat sie erst jetzt so richtig begriffen. Ich bin nur froh, dass sie das eingesehen hat und hoffentlich hört es nun endlich auf, dass sie aus mir einen anderen Menschen machen will. Es bringt sich nichts und ich will es auch nicht. Ich will auf meine Weise neue Freunde finden. Dass ich es ja eigentlich bereits geschafft habe, wenn ich da an meine Mutantenfreunde denke, verstärkt nur diesen Wunsch und im Prinzip reicht es mir, wenn es sich dabei nur um eine neue Bekanntschaft handelt. Vermutlich denkt Tante Tina an etwas Ähnliches, aber eines weiß ich garantiert, was sie betrifft. Zwischen mir und ihr wird es noch eine Weile dauern, bis mein Vertrauen zu ihr wieder so stark ist, wie es einmal war. „Friede, Freude, Eierkuchen“ gibt es im wahren Leben nun mal nicht, aber es sind bereits die ersten Schritte dafür getan und momentan reicht mir das auch. Die nächsten drei Stunden verbringe ich damit, im Bett liegend die Decke anzustarren. Weder habe ich noch etwas schlafen könne, noch habe ich die Lust verspürt, irgendetwas Anderes zu machen. Ich fühle mich einfach, als würde ich von einer schweren Last erdrückt werden. Um aber nicht weiter über die letzten Momente nachzugrübeln, was ich ohnehin in letzter Zeit gemacht habe, lasse ich meine Fantasie spielen. Ich versuche mir Geschichten auszudenken, die mich von allen ablenken sollen. Egal ob es sich dabei um Märchen handelt, die ich besonders als Kind gerne verschlungen habe, oder ob es andere Fantastereien sind. Ich lasse mich einfach von ihnen treiben, bis ich schließlich eine Nachricht von April erhalte: « Bin jetzt endlich rausgekommen. Wir treffen uns beim Eissalon. Ich kenne da einen Guten. Ich schreibe dir noch die Adresse. Bis später. » Leicht lächelnd lese ich schließlich auch die nächste Nachricht, in der ich den Ort erfahre. So klappe ich das seltsame Handy, an dem mir die ehemalige Reporterin die beiden WhatApps geschickt hat, zu und rolle mich schließlich aus dem Bett. Scheinbar hat ihre Befragung doch etwas länger gedauert, als was sie zunächst angenommen hat, aber das verwundert mich keines Falls. Hätte der Polizist mich und meine Tante nicht gehen lassen, so würden wir beide auch noch auf dem Revier hocken. Wenig später sitze ich mit April im Eissalon. Tante Tina hat mich sogar persönlich hergebracht. Einerseits wollte sie mich nicht sofort wieder alleine durch die Gegend streifen lassen und andererseits wollte sie sich es nicht entgehen lassen. April O´Neil noch einmal zu sehen. Schließlich ist meine Tante ein großer Fan von der Reporterin und war demnach auch geschockt, als jene nicht mehr im Fernsehen auftrat. Dass sie aber jene sogar persönlich kennenlernen konnte und auch weiß, dass ich mit dieser Frau befreundet bin, erfüllt ihr Herz vor Glück. Zumindest hat sie das die ganze Fahrt behauptet und mich sogar darum gebeten, April um ein Autogramm zu bitten. Also manchmal glaube ich, meine eigene Tante nicht zu kennen, aber trotzdem ist das noch gerade das geringere Übel. Da habe ich sie sogar oft genug erlebt, an dem sie weit schlimmer war. Jetzt wo ich im Eissalon sitze, erzähle ich dies April, welche einfach nur lacht: „Ach, dieses „Frühstückfernsehen“ hat sie so aus den Socken gehauen? Ich weiß zwar nicht, was für einen Eindruck ich bei deiner Tante mache, aber das war doch wirklich nichts Besonders. Mit diesen „Geschichten“ konnte ich doch nichts Weltbewegendes erzählen. Das war doch nur total öder Kram, wofür man nur ein hübsches Gesicht braucht.“ „Ihr hat es aber scheinbar gereicht.“, schmunzle ich. Wenn sie nur wüsste, dass Tante Tina nicht die Einzige ist, die für diese junge Frau schwärmt. Wobei ich eher glaube, dass das mit Aprils Art und Ausdrucksweise zu tun hat, aber das ist nur eine Vermutung, die ich für mich behalte. Während ich mein gemischtes Eis mit Zitrone, Vanille und Himbeere löffle, erzählt mir die junge Frau nun, wie es ihr beim Polizeipräsidium ergangen ist. Eigentlich wollte ich das fürs Erste zur Seite schieben und an etwas Anderes denken. Schließlich war das nicht nur anstrengend für mich, sondern ich musste das gesamte Szenario bildlich noch einmal durchleben und das war alles andere als ein großes Vergnügen für mich. Ich habe auch keine Ahnung, wie es nun mit mir weitergehen wird und dennoch hat mich die Neugier gepackt. „Hast du auch heraushören können, was die nun machen werden?“, frage ich sie schließlich, doch April schüttelt den Kopf: „Leider nein, ich habe zwar einigen Beamten auf dem Zahn gefühlt, aber aus denen kam nicht wirklich was. Ich schätze mal, dass das jetzt einige Zeit dauern wird und irgendwann wird ein Gerichtstermin stattfinden, aber selbst das ist noch nicht zu 100% klar. Bis dahin musst du auf jeden Fall standhaft bleiben und jedem aus dem Weg gehen, der irgendwas mit dem Mobbing zu tun hatte. Das ist wichtig.“ Das dürfte so ziemlich die halbe High-School betreffen, wenn nicht schon mehr. Dabei kenne ich nicht einmal jeden und außerdem habe ich viele an diesem Tag das erste Mal gesehen. Somit ist das etwas schwierig, aber andererseits werde ich so und so die Schule wechseln. Daher dürfte das dann auch abgehakt sein. Zumindest hoffe ich das. „Danke übrigens noch einmal, dass du mir hilfst. Ich glaube kaum, dass es sonst so schnell in die Wege geleitet wäre. Vermutlich würde ich mich sonst noch wochen-, wenn nicht schon monatelang verstecken, während diese Bilder und Videos von mir im Netz herumkursieren.“, „wechsle“ ich schließlich das Thema. April sieht kurz von ihrem Eisbecher auf und lächelt mich an, während sie meint: „Kein Problem Bernadette, ich weiß ja, dass dich das sehr belastet, aber immerhin stehst du nicht allein da. Auch wenn das alle glauben mögen und außerdem helfen Freunde sich gegenseitig. Das weißt du hoffentlich.“ „Ja, aber auch nur, wenn es wirkliche Freunde sind.“, erwidere ich. Sie hat zwar Recht, aber Vertrauen ist etwas, wann man nicht von jeden erwarten kann, aber hier ist es anders. Denn obwohl April und ich uns kaum kennen, habe ich trotzdem den Eindruck, als wenn wir schon viel länger miteinander befreundet wären. Abgesehen vom Aussehen und dem Altersunterschied merke ich kaum einen Unterschied. April redet mit mir, als wäre ich sogar in ihrem Alter, lässt mich ausreden und sie behandelt mich auch nicht von oben herab. Vielleicht liegt es aber auch an unseren gemeinsamen Freunden, von dem niemand anderes etwas weiß. Es ist ein Geheimnis, welches ich mit jemandem teile, was wiederum auch zusammenschweißt. „Hey, was hältst du davon, wenn wir uns noch etwas in der Stadt umsehen.“, schlägt April vor, kaum, dass wir nach dem Eis bezahlt haben. Sie möchte mit mir einfach ein wenig Bummeln gehen. Ich habe das eigentlich schon lange nicht mehr gemeinsam mit jemandem gemacht, weswegen ich freudig zustimme. Gleich in der Nähe schlendern wir einfach von Laden zu Laden. Nicht, dass wir wirklich was kaufen würden, aber dafür lachen wir und erzählen uns sogar Geschichten, was unsere Jungs betrifft. Es ist kaum zu glauben, dass die Brüder und Meister Splinter einst Aprils Haustiere waren, wobei sie dann als Versuchsobjekte für das Projekt „Renaissance“ genutzt wurden. Dabei frage ich mich, woher Aprils Vater und die anderen Wissenschaftler diese seltsame Substanz hatten. Die junge Frau ist sich nämlich nicht ganz sicher, ob sie das Mutagen überhaupt selbst hergestellt hatten. Schließlich war sie damals noch ein Kind und vieles ist ihr dabei nicht bzw. falsch erzählt worden. Es gab einige Gerüchte und sämtliche Dokumente, die es belegt hätten, sind vernichtet worden, aber dies wurde April erst dann wieder bewusst, als sie ihre ehemaligen Schützlinge das erste Mal mutiert gesehen hatte und über sie nachforschte. Somit kamen einige Erinnerungen, so wie Hobbyaufzeichnungen ans Tageslicht. Auch jetzt ist noch einiges unklar, aber darüber scheint keiner der Betreffenden wirklich nachzudenken. Zumindest habe ich diesen Eindruck. Irgendwie bringt mich das ein wenig ins Grübeln. Schließlich hätte auch alles anders passieren können. Was ist, wenn statt unseren Freunden andere Tiere benutzt worden wären. Dann hätte ich weder Raphael noch den Rest seiner Familie kennenlernen können. In der Hinsicht bin ich einfach nur froh darüber, dass es nun so ist, wie es ist. Auch wenn diese Hintergrundstory einen bitteren Beigeschmack mitnimmt. Wie ich, so hat auch April ihren Vater in Kinderalter verloren und das ist wieder etwas, was uns beide miteinander verbindet. Auch sie vermisst sicherlich ihren Dad, lebt aber weiterhin ihr Leben. Eigentlich will ich nicht mehr darüber nachdenken. Es ist einfach traurig und niemandem ist geholfen, wenn man weiterhin in der Vergangenheit herumstochert, weswegen ich nun nach etwas Anderes suche, was interessant sein könnte. Aprils Aufmerksamkeit ist allerdings woanders. Nach ihrem Blick zu urteilen, scheint sie etwas entdeckt zu haben. Denn schon nimmt sie mich bei der Hand und zerrt mich in das nächste Geschäft für Accessoires, bei der sie anscheinend etwas Interessantes ins Auge gestochen sein muss. Kaum, dass wir den Laden betreten haben, stürmt sie schon los und ich schaue ihr kurz verdattert hinterher. Während sie schließlich bei den einzelnen Regalen herumstöbert, sehe ich mich auch ein wenig um. Für mich wäre es sonst bescheuert einfach so in der Gegend herumzustehen und da ich nicht weiß, wonach sie sucht, kann ich ihr auch nicht helfen. Ich schlendere also an den Objekten vorbei, bis ich schließlich an einem Tisch mit verschiedenen Ketten und Amuletten vorbeikomme. Die meisten sind dabei eher uninteressant für mich und ich mag es auch nicht, wenn es zu viel glitzert. Das erinnert mich einfach an Barbie und man sollte mich besser nicht fragen, warum ich diese Puppe hasse. Dann entdecke ich beim Schauen allerdings doch etwas, was mir beinahe entgangen wäre. Neben einigen Ketten mit unterschiedlichen Steinen, wie Achat, Rosenquarz und Obsidian, erblicke ich ein Amulett aus Karneol. Der rote Stein hat eine flache und ovale Form. Nur die Mitte zeigt sich eine kleine Schildkröte, die sich scheinbar aus dem Untergrund erhebt und nach oben schaut. Als wolle sie mich grüßen. Feine Linien zieren die Musterung des Panzers und das Schöne an dem Stein ist, dass er mehrere Schichten von verschiedenen Rottönen aufweist. Auch wenn das jetzt irgendwie bescheuert klingt, erinnert mich das an Raphael. So unterschiedlich auch diese einzelnen Farbschichten sind, so anders kann auch mein Liebster von seinem Wesen sein. Zwischen seiner Liebe und seiner aufbrausenden Art ist alles dabei und bei diesen Gedanken muss ich sogar schmunzeln. Ich sehe sein Gesicht förmlich vor mir, wie er mich anlächelt und mich sogar einlädt, mit ihm die Stadt in der Nacht zu erkunden. Ich habe sogar den Eindruck, als könne auch seine Nähe spüren, auch wenn ich weiß, dass er in diesem Augenblick bei sich zu Hause ist und mit seinen Brüdern trainiert, oder sogar etwas Anderes tut. „Na, hast du auch schon was gefunden?“, fragt mich auf einmal April, die plötzlich hinter mir erscheint und mir über die Schulter blickt. Bei ihrer unerwarteten Frage, schrecke ich zusammen, wodurch sie zu lachen beginnt. „Erschrecke mich ja nie wieder!“, schimpfe ich mit ihr, nachdem ich mich wieder gefangen habe. Es ist mir dabei egal, sollte uns gerade wer zusehen. Ich hasse es einfach, erschreckt zu werden. April jedoch lacht noch weiter und meint dabei: „Ach, kommt runter! … Du hättest dich aber so und so erschreckt. Selbst wenn ich mich dir von vorne genähert hätte. So wie du dreingeblickt hast und vollkommen in deinen Gedanken abgetaucht bist, kann man deine Liebe zu deinem Herzblatt ja förmlich an der Nasenspitze ablesen.“ Entgeistert sehe ich sie an. Auch wenn ich Raphael über alles liebe, heißt das noch lange nicht, dass man mich deswegen aufziehen kann. „He, jetzt schmoll nicht. Ich meine es doch gar nicht böse, aber du musst zugeben, dass du unserem Muskelprotz vollkommen den Kopf verdreht hast. Gerade er hat immer behauptet, dass Liebe Schwachsinn und reine Zeitverschwendung ist und dann erwischt es ausgerechnet ihn. Dabei frage ich mich schon, wie du das angestellt hast.“, grinst sie mich an, während sie dann einen Arm um meine Schulter legt. Was soll ich schon Großartiges gemacht haben? Gar nichts, wenn ich mir das so recht überlege. Schließlich bin ich kein Fan von Schnulzenfilmen und von Flirten konnte man von mir überhaupt nicht reden. Auch wenn ich ehrlicher Weise zugeben muss, dass ich von Mal zu Mal immer mehr die Zuneigung zu meinem Liebsten gespürt hatte und ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass er damals bereits dasselbe für mich empfunden hatte. Dass er sich deswegen so merkwürdig und so widersprüchlich aufführte, wurde mir erst später klar und anscheinend war ich genauso blind wie er. Raphael und ich haben irgendwie vieles gemein und wenn ich so darüber nachdenke, wird das immer mehr. Zumindest kommt es mir so vor und ich denke, dass vielleicht genau das der Grund war, warum wir zueinandergefunden hatten. Es hätte ja auch bei einer guten Freundschaft bleiben können und doch ist zwischen uns eine Beziehung entstanden, die ich auf keinen Fall missen möchte. Leicht genervt seufze ich und widme mich wieder dem Amulett. Sanft streiche ich mit dem Daumen darüber, wobei ich besonders über den Panzer der kleinen Schildkröte gleite. April holt mich lachend wieder in die Realität zurück: „Anscheinend bist du nicht die Einzige, die das kann. Raphael scheint auch dir ganz schön den Kopf verdreht zu haben.“ Bei dieser Aussage rolle ich mit den Augen und seufze wieder genervt. „Du kannst ganz schön anstrengend sein. Weißt du das?“, kommt es schließlich leicht provokant aus meinem Mund, doch die Angesprochene nimmt mir das überhaupt nicht krumm. Im Gegenteil, sie drückt mich nur schmunzelnd dichter an sich und meint: „Ich glaube, du solltest dieses Schmuckstück ruhig kaufen. Schließlich scheint es bei dir etwas ausgelöst zu haben.“ Sie hat ja keine Ahnung, wie Recht sie damit hat. Nachdem April mich nach einiger Zeit wieder nach Hause gebracht hat, muss ich bei meiner Tante feststellen, dass es ihr tatsächlich nicht leichtfällt, sich an den neuen Umständen zu gewöhnen. Es ist ja auch nicht so einfach sich „von heute auf morgen“ umzustellen. Somit mache ich ihr keine Vorwürfe, als sie mich etwas nervös fragt, warum ich so lange weggeblieben bin. Sie merkt zwar im nächsten Moment, was sie da gerade gesagt hat und entschuldigt sich sofort dafür, aber ich winke nur ab. Ich bin momentan einfach zu gut gelaunt, als dass ich es mir wegen sowas verderben lassen will und außerdem ist solch eine Umstellung kein Zuckerschlecken. Das könnte sie genauso wenig von mir erwarten, weswegen ich dann einfach in mein Zimmer gegangen bin, wo ich auch jetzt noch bin. Um ja nicht an die Sache wegen der Schule zu denken, was mich einfach nicht loslassen will, habe ich stetig darauf geachtet mich mit irgendetwas abzulenken. Im Moment bin ich gerade dabei in meinem Roman weiterzulesen, als ich dann ein vertrautes Klopfen höre und meinen Blick von den Seiten abwende. Ich brauche nicht lange zu überlegen, wer da gerade da draußen herumlungert, als ich meinem Liebsten das Fenster öffne und schon eine herzhafte Begrüßung bekomme. Denn kaum hat Raphael den Kopf zu mir hereingestreckt, schon hat er mich mit einem Arm zu sich herangezogen und einen langen und zarten Kuss auf die Lippen gedrückt. „Hey.“, sagt er schließlich, als wir uns wieder voneinander lösen und er mir nun zärtlich über die linke Wange streicht. Ich sehe in seinen Augen und merke, dass diese nicht nur Sehnsucht widerspiegeln, sondern auch Sorge, wodurch ich wieder an den heutigen Tag im Polizeirevier denken muss. Natürlich folgt sogleich die Frage, die ich eigentlich schon gar nicht mehr hören mag: „Wie geht es dir?“ Dabei habe ich gedacht, dass ich mir das noch ein wenig erspart bleiben könnte. Schließlich wollte ich es für heute gut sein lassen, aber anscheinend macht ihm die Sache noch mehr fertig, als was ich zunächst gedacht habe. „Den Umständen entsprechend gut.“, antworte ich schließlich darauf. Ich habe ja gemerkt, dass er schon etwas nervös darauf gewartet hat, aber meine Antwort scheint ihm nicht zu genügen. Glaubt er mir etwa nicht? Vermutlich ja, weswegen ich ihm kurz erzähle, dass April mich am Nachmittag in ihre Fittiche genommen hatte. Doch das überzeugt ihn anscheinend auch nicht so wirklich. Zumindest sieht er mich so skeptisch an. „Schau mich nicht so an, als wenn ich im nächsten Moment zusammenbrechen könnte. Es geht mir soweit gut, wirklich.“, füge ich schließlich hinzu. Doch er meint nur darauf: „Das hat gestern aber nicht danach ausgesehen. Wie kannst du nun so lächeln?“ Soll ich etwa wieder einen Heulkrampf bekommen? Jetzt habe ich mich so gefreut, ihn zu sehen und nun sinkt meine Stimmung in Richtung Keller. Ich seufze, doch schon hebt er mein Kinn etwas an, damit ich ihn ansehen muss. „Tut mir Leid, aber mich macht die Sache immer noch ganz krank und ich hatte einfach Angst, dass du mir meinetwegen nur was vorspielst. Schließlich hast du wegen deinen Problemen schon oft genug versucht, es vor mir zu verheimlichen und es war jedes Mal ein Kampf, es aus dir heraus zu kitzeln.“ Jetzt braucht er nicht so übertreiben! Wobei, ganz so Unrecht hat er dabei auch nicht. Ich muss aber auch betonen, dass ich ihm die meisten meiner Sorgen nur nicht aufbrummen wollte, weil es ihn ja in diesen Fällen nie betraf. Es war für mich auch eine schwere Umstellung jemand außerhalb der Familie anzuvertrauen, auch wenn ich von dieser Seite jedes Mal kaum Unterstützung bekommen hatte. Zwar mag er mir jetzt nicht wirklich glauben, aber ich könnte zurzeit niemandem etwas vormachen. Dafür sind meine Nerven zu verbraucht und auch wenn ich es nicht gerne zugebe, sitzt der Schock wegen gestern noch tief in mir drinnen. Das Einzige, was ich die ganze Zeit mache, ist es für den Moment zu vergessen und mich abzulenken. Vermutlich würde ich sonst noch durchdrehen, aber anscheinend schafft es jeder, mich wieder daran erinnern zu lassen. So wie es Raphael auch jetzt getan hat, doch nun scheint ihn im Moment etwas anderes zu beschäftigen. Sein Blick ist nicht mehr direkt auf mein Gesicht gerichtet sondern auf meinen Hals, woraufhin gleich die Frage kommt: „Was ist das?“ Kapitel 37: Von Namen und Symbolen ---------------------------------- Aus Raphaels Sicht: Dass Bernadette wieder einmal davon genervt ist, war mir ja schon in Vorhinein klar. Jedoch stimmt es, dass man ihr bei einigen Themen jedes Detail aus der Nase ziehen muss. Selbst die Sache mit den Drohbriefen hatte sie mir auch erst dann gesagt, nachdem das mit ihrem Spind passiert war. Damals war sie mit den Gedanken ständig woanders, wodurch ich erst recht stutzig wurde. Seitdem achte ich verstärkt darauf und gerade seit dem gestrigen Tag muss ich mehr auf meinen Engel aufpassen. Jedoch scheint sie das eher anders zu sehen und neigt ihren Kopf etwas genervt zu Seite. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie etwas um ihren Hals trägt und das hat sie bisher noch nie gemacht. Sie hält doch normalerweise nicht viel von Schmuck, abgesehen von den Kleinigkeiten an ihren Ohrläppchen und ihrem Handgelenk und selbst diese Dinge trägt sich nicht immer. „Was ist das?“, frage ich sie und deute auf den roten Stein, der an einem dunklen Lederband befestigt ist. Jetzt lächelt Bernadette, berührt mit ihrer rechten Hand ihre Kette und meint: „Ach das? Ich habe das heute beim Bummeln mit April gefunden. … Schau nicht so. Ich habe dir doch gesagt, dass ich heute mit ihr unterwegs war. Eigentlich wollte ich nach dem „Interview“ bei der Polizei einfach nur noch meine Ruhe haben und mich in mein Zimmer zurückziehen. … Hm, tja, das war wohl nix, aber dafür konnte ich endlich einmal mit meiner Tante reden, ohne, dass dabei wieder die Fetzen flogen.“ Lächelnd deutet sie auf den Stein und ich bemerke, dass sich in der Mitte eine kleine Schildkröte befindet, der meinen Engel scheinbar ansieht. Ich muss schmunzeln. Auch wenn ich diesen Weiberkram bisher nie verstanden habe, so schmeichelt mich ihr kleines Schmuckstück schon irgendwie und das liegt nicht nur daran, dass mein Mädchen meine Lieblingsfarbe um den Hals trägt. „Wie komme ich zu dieser Ehre?“, frage ich sie mit einem schiefen Lächeln und deute auf die kleine Schildkröte, die in der Mitte des Steins seinen Platz gefunden hat. Dass Bernadette diesen nicht ohne Grund gewählt hat, ist ihr deutlich vom Gesicht abzulesen. Allein wie sie lächelt, spricht Bände. Abgesehen davon, erkenne ich sofort, dass sowohl die Farbe des Steins, als auch die Schildkröte darauf etwas mit mir zu tun haben. Auf meine Frage antwortet sie schließlich mit einer verführerischen Stimme: „Wer weiß, es scheint fast so, als wenn sie auf mich gewartet hätte.“ Kurz herrscht zwischendurch Stille, aber sie ist weder drückend, sonst noch auf irgendeiner Art unangenehmen. Schließlich bricht Bernadette diese Stille und lacht, als hätte sie sich das, was sie vorhin gesagt hat, genauso vorgestellt. Doch ich achte weniger auf ihre Worte, sondern viel mehr darauf, dass sie unerwartet strahlt. Als wäre allein ihre letzte Behauptung Grund genug dafür. Allerdings sehe ich ihr an, wie sehr sie jeden noch so kleinen Moment auskostet, an dem ihr etwas Gutes widerfährt und das hat sie, meiner Meinung nach, mehr als nur verdient. Kaum zu glauben, dass dies irgendwie möglich ist. Allein der Gedanke an gestern widerspricht dem, was ich gerade sehe. Sie war so starr, verängstigt und voller Sorgen. Wie ein Kind, welches sich vor der Dunkelheit fürchtet auf eine Schattengestalt wartet, wirkte sie auf mich. Bernadette konnte einem kaum in die Augen sehen und ich dachte sogar, sie würde bald wie Glas zerbrechen. Jetzt allerdings scheint sie wie ausgewechselt zu sein. Als wäre dieser Tag niemals passiert, aber entweder überspielt sie wieder ihre Angst und ich bekomme ihre wahren Gefühle nur nicht wirklich mit, oder sie hat tatsächlich ihre Sorgen für einige Minuten „vergessen“. Was es auch ist, eines steht für mich auf jeden Fall fest: Es ist noch nicht ausgestanden und auf Bernadette wird noch einiges zukommen, bei der sie all ihre Kraft benötigt. Wenn diese Lucinda nicht irgendetwas plant, mit dem sie meinem Mädchen wieder ans Bein pinkelt, dann fresse ich einen Besen! Die wird garantiert nicht Ruhe geben und dieser Bitch ist alles zuzutrauen. Allerdings spreche dies vor meiner Freundin nichts aus. Ich möchte sie glücklich sehen und sie nicht wieder an diese Scheiße denken lassen. Allein das Verhör am Polizeirevier und das Gespräch mit ihrer Tante, von denen sie mir zuvor erzählt hat, hat gereicht und jetzt möchte ich einfach nur mit ihr eine schöne Zeit verbringen. Noch hänge ich teilweise an der Außenmauer, während ich mich mit Bernadette unterhalte. Allerdings ist meine momentane Stellung nicht gerade sehr bequem, weswegen ich nun weiter hineinklettere und mich gleich darauf aufs Fensterbrett setze. Bernadette gesellt sich zu mir und schmiegt sich an mich. Lächelnd nehme ich sie in meine Arme. Ich genieße einfach ihre Nähe und das scheint wohl auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Denn als ich nun mit meinen Fingern sanft durch ihr Haar fahre, hält sie ganz ruhig und neigt sogar den Kopf noch weiter zu meiner Hand, welche nun friedlich auf meiner Handfläche ruht. Für einen kurzen Augenblick schließt Bernadette die Augen, bis sie diese schließlich wieder öffnet und mich mit einem strahlenden und zugleich verträumten Gesicht ansieht. „Schön, dass du hier bist.“, murmelt sie, was ich mit einem „Ich bin immer gern bei dir.“ erwidere und dies mit einem sanften Kuss auf ihren Lippen verstärke. Mein Blick fällt allerdings wieder auf ihre Kette. Irgendwie lässt mich der Gedanke nicht los, dass sich meine Freundin bei diesem Stein vermutlich mehr sieht, als was ich mir vorstellen könnte. Es schmeichelt mich einfach, dass sie mich scheinbar Tag und Nacht bei sich haben will und dass ich das in Wirklichkeit leider nicht kann, berührt mich mit diesem Amulett umso mehr. Vorsichtig berühre ich es mit zwei Finger und hebe es sogar etwas an, ohne dabei meine Liebste zu strangulieren. Bernadette beobachtet mich stumm dabei und obwohl ich das zunächst nicht bedacht habe, kommt sie auf einmal wieder auf das Thema bezüglich des Steines zurück und fragt mich: „Weißt du eigentlich, dass für Amulette oft Tiere als Vorbilder genommen werden, die eine besondere Symbolik haben?“ Vermutlich war dies liebevoll gemeint, denn sie lächelt so verträumt, als sie mich darauf hingewiesen hat. Allerdings sehe ich darin nichts so Tolles, so wie sich meine Freundin das gerade vorstellt. Denn allein bei den Begriffen „Symbolik und Tiere“ kommt mir automatisch wieder die Galle hoch, weswegen ich einen genervten Seufze ausstoße und gleichzeitig meine Finger wieder von dem Ding nehme. Anschließend klatsche mir mit der anderen Hand ins Gesicht und verdrehe dabei die Augen. Jetzt kommt wieder diese Tatsache, dass meine Art nicht gerade zu den beliebtesten Kreaturen der Erde gehört. Schließlich haben wir nur Vorurteile am Nacken und die hasse ich wie die Pest. Schon oft habe ich sie in meiner Vergangenheit gehört, weswegen ich Bernadette gleich hier abbreche, da sie es vermutlich so oder so noch sagen wird: „Lass mich raten, die Schildkröte steht für Langsamkeit und für den Rückzug, weil sie ihren Kopf gerne mal hinter ihrem Panzer versteckt. Habe ich Recht, oder fehlt da noch ´ne Kleinigkeit, die ich von diesen Vorurteilen noch vergessen habe?“ Bernadette blickt verwirrt zu mir hinauf und runzelt sogar die Stirn. „Das … das habe ich doch gar nicht gemeint. …“, erwidert sie und hat gerade erst damit angefangen, mir ihre Sichtweise zu erklären, als wir plötzlich gestört werden und sie darauf sofort schweigt. Ihre Tante klopft gerade an ihre Zimmertür und wenn ich könnte, wie ich wollte, so hätte ich ohne zu zögern meine Wut freien Lauf lassen. Also einen mieseren Zeitpunkt hätte sich die Alte nicht aussuchen können! Hätte sie bei Bernadette nicht schon vorher reinschnallen können, bevor ich aufgetaucht bin? Als hätte sie ohnehin nicht den ganzen Tag dafür Zeit gehabt! So schnell ich nur kann, reagiere ich, wenn auch eher angepisst, darauf und klettere aus dem Fenster. Warum muss sie gerade jetzt auftauchen?! „Bernadettchen, kann ich kurz reinkommen?“, fragt die Frau, aber mein Engel versucht sie gerade abzuwimmeln. Sie behauptet einfach: „Ähm, können wir morgen reden? Ich wollte mich eigentlich gerade hinlegen. Ich bin schon ziemlich kaputt.“ Vorsichtig schiele ich in ihr Zimmer hinein und sehe meine Freundin, wie sie gerade leicht panisch zur Tür rennt. Allerdings ziehe ich den Kopf wieder ein und höre, wie sie die Tür aufschließt. Ein Gähnen kommt von ihr, als sie ihrer Tante fragt: „Ist es dringend?“ „Nein, ich wollte einfach noch nach dir sehen, bevor ich zu Bett gehe. Außerdem glaubte ich Stimmen aus deinem Zimmer zu hören.“, entgegnet die Frau ihrer Nichte und ich schlucke. Verdammt, stand sie etwa die ganze Zeit vor der Tür?! Eigentlich erwarte ich schon, dass Bernadettes Tante nun nach dem Rechten sieht und ich mich am besten aufs Dach verziehe. Ich bin schon Begriff, dies wirklich in die Tat umzusetzen, doch dann höre ich meinen Engel zu dieser Frau sprechen: „Ach, ich habe nur den Laptop am Laufen gehabt und dabei nur etwas vor mich hingemurmelt.“ „Verstehe, na dann leg dich hin, wenn du müde bist. Schlaf gut Bernadettchen.“, verabschiedet sich ihre Tante bei ihr und auch Bernadette wünscht ihr noch schnell eine gute Nacht, ehe sie die Tür wieder verschließt. Zum Glück zieht die Alte Leine, aber das war verdammt noch mal knapp. Gerade noch sind wir ihr von der Schippe gesprungen, ehe diese Frau noch Verdacht geschöpft hätte. Zum Glück hat Bernadette noch schnell geschaltet und diese noch rechtzeitig abgewimmelt. Ich spüre jetzt noch, wie angespannt ich mich gerade gegen die Hausmauer presse. Jede einzelne Sekunde hätte gezählt, wenn sich die Olle dem Fenster genähert hätte. Doch zum Glück lässt sie ihre Nichte und dem nach auch mich in Ruhe. Ich könnte mich noch weiter so sehr über diese plötzliche Störung ärgern, wäre da nicht etwas, was mir gerade in den Sinn kommt und mich wieder zum Grinsen bringt. Denn Bernadettes Tante hat nämlich einen Spitznamen herausposaunt, welches mich einfach zum Schmunzeln bringt. „Bernadettchen“ hat sie meine Freundin genannt und das klingt so lächerlich, sodass ich auf der Stelle loslachen könnte. Da glaubt man ja, wenn man das hört, die würde mit einem Kleinkind, oder mit einem Haustier reden und zusätzlich mit einem Spielzeug oder einem Leckerli bestechen wollen. Bernadette ist doch kein Welpe, oder ein Kätzchen, geschweige ist sie noch ein Kind, welches man mit diesem ranzig-süßen Wort rufen sollte. Dass meine Liebste derweil noch nicht explodiert ist, grenzt schon an ein Wunder, aber vielleicht muss sie sich dieses „süße Gelabere“ täglich anhören, weswegen sie sich dazu nicht äußert. Bisher hat sie sich immer geweigert, einen Kosenamen zu haben und selbst mich spricht sie mit meinem vollen Namen an. Ich habe mich zwar immer gefragt warum, da ich bis auf meinem Vater sonst immer Raphi genannt werde, aber ich habe es nie hinterfragt und mir war es bei ihr auch immer egal. Doch nun kenne ich ihren und da wird mir so einiges klar, warum meine Freundin solche eine Abneigung diesbezüglich hat. Selbst Mikey hat sie verboten, ihr einen Spitznamen zu verpassen und das hatte sie damals gerade noch verhindern können. Allein die Reaktion war göttlich. Daher kann ich es mir gerade noch verkneifen, dass ich nicht schon zum Lachen anfange und dennoch hallt der Klang immer noch in meinen Ohren. Es ist einfach zum Brüllen und ich versuche mich noch zu beherrschen, bevor die Nervensäge von Tante wieder hier antanzt. Denn noch kann ich entdeckt werden, wenn ich jetzt laut werde, weswegen ich mich irgendwie zusammenreiße und leicht ungeduldig abwarte. Erst als Bernadette sich aus dem Fenster lehnt, weiß ich, dass die „Gefahr“ gebannt ist und ich mich nun entspannen kann. Trotzdem hebe ich sie sicherheitshalber zu mir raus und wir klettern auf das nächste Dach, wo wir hoffentlich ungestört sind. Selbst wenn wir hier etwas „Radau“ machen, wird wohl die Alte nicht so schnell dahinterkommen, dass ihre Nichte da mitmischt. Noch sind wir beide ruhig, ehe ich ihr mit einem Handzeichen deute, dass alles ok ist. Kaum aber, dass wir nun gemütlich nebeneinandersitzen, schon kann ich mein Lachen nicht mehr zurückhalten. Ohne Vorwarnung pruste einfach los und ernte dabei seitens meiner Freundin ein skeptisches, so wie auch verwirrtes Gesicht. Es dauert nicht lange, bis ich darauf angesprochen werde. Allerdings meine ich nur achselzuckend: „Och nichts … Bernadettchen.“ Allein ihren Spitznamen betone ich stark und spreche ihn sogar langsam aus, sodass ich bei ihr nun ein leichtes, wenn auch erzürntes Funkeln in ihren Augen sehe. Doch dabei bleibt es nicht. Mit ihrem Handrücken verpasst sie mir einen leichten Schlag gegen die Brust und empört kommt es von ihr: „Hey, jetzt fang du nicht auch noch an! Mir reicht es, wenn das von ihr kommt. Ich sage ja auch nicht Raphi, oder Raphilein zu dir.“ Den zweiten „Spitznamen“ betont sie sogar langsamer und deutlicher, sodass es nicht nur kindlich, sondern sogar nervig und peinlich klingt. Sie will mich wohl damit aus der Fassung bringen und grinst dementsprechend schelmisch, während sie nun auch ihre Arme verschränkt. Mein Mädchen glaubt wohl, dass es die Oberhand gewonnen hat, aber da hat sich Bernadette total geirrt. Es reizt mich kein bisschen, nicht einmal ansatzweise. Viel mehr stachelt es mich nur dazu an, eine Stufe höher zu schalten, worauf ich gerne eingehe: „Wie wäre es dann mit Babe, oder Zuckerschnute, oder besser noch Püppchen. Wenn dir das lieber ist. Ich wüsste aber auch noch andere Sachen, die dich „interessieren“ könnten.“ Grinsend habe ich mich zu ihr leicht runtergebeugt und warte nun auf ihrem Konter. Bernadette nimmt die Herausforderung an und so geht unser „Kampf“ weiter: „Ach, kommen wir also auf die Tour? Wie wäre es, wenn ich dich ab sofort Muffin, Schnuckelchen, Honey, Grummelchen, oder Knuddelbär nenne?“ Gott, bei diesen Kosenamen könnte ich mich glatt übergeben. Aus welchem Schnulzenfilm hat sie die denn?! Nicht nur, dass diese Spitznamen widerlich sind, die sind bei ihr sogar wie aus der Pistole geschossen. Allein das Letzte klingt so unerträglich „süß“, sodass man glauben könnte, sie hätte diesen schon lange in Petto gehabt. „Das wagst du nicht!“, kommt es auffordernd und leicht lachend von mir. Doch meine Liebste beugt sich nur grinsend leicht nach vor und antwortet mit einer Art darauf, als würde sie dies tatsächlich durchziehen: „Das kannst du gerne herausfinden, wenn du dich das traust, aber sag ja nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte.“ Mit leicht geschlossenen Augen sieht sie mich an und allein ihr Blick verrät mir, dass sie das „bitterernst“ meint. So jetzt ist aber genug! Bevor das noch in eine Endlosschleife ausartet, beende ich das. Ohne jeglicher Vorwarnung, packe ich sie und drücke sie an mich, während ich mit ihr auf dem Dach herumrolle. Zunächst war Bernadette so erschrocken, sodass ihr kurz die Luft weggeblieben ist, aber schon lachen wird beide, als wäre dies von uns beiden so geplant gewesen. Bernadette scheut sich nicht dagegen, sondern macht einfach mit. Sie versucht sogar, mich auszutricksen, indem sie mich bewusst auf die Rückenposition drängt. Mein Engel weiß ganz genau, dass ich mich mit meinem Panzer leichte „Schwierigkeiten“ habe. Genauer gesagt, liegt es vielmehr daran, dass ich nicht gerne auf dem Rücken liege, aber dieses Spiel kann man auch zu zweit spielen. „Nicht mit mir!“, lache ich und rolle sogleich zur Seite, bei dem ich Bernadette in meinen Armen sogar „mitnehme“. Nun ist sie es, die unter mir ist, während ich beide Hände links und rechts von ihr abstütze und sie zufrieden angrinse. „Schon genug?“, fragt ich sie schelmisch, aber lächelt nur und schüttelt dabei den Kopf. Ehe ich es mich versehe, überrascht sie mich mit einem Kuss, woraufhin sie den Überraschungsmoment nutzt und mich wieder zur Seite drückt. Ich lasse mich einfach fallen und lache, während ich einfach so liegen bleibe und zu ihr sehe. Eigentlich hätte ich noch eine Weile so weitermachen können. Doch ich möchte einfach den Moment genießen, an dem ich sie an meiner Seite habe. So schiebe ich meinen rechten Arm unter meinen Nacken und drehe mich inzwischen etwas zu ihr, damit ich sie einfach besser anschauen kann. Bernadette legt sich daraufhin ganz dicht zu mir, wobei ihr Kopf auf meine Brust ruht. Sanft fasse ich mit meiner freien Hand um ihre Hüfte und drücke sie noch etwas an mich. Momentan gibt es für mich nichts Schöneres als das hier und ich muss sogar schmunzeln, weil unsere gemeinsame Zeit sowohl das Beisammensein, sowie auch etwas Spaß beinhaltet. „Ich habe dich eigentlich gewinnen lassen. Das ist dir klar, oder?“, weise ich Bernadette darauf hin, aber sie kichert nur: „Das hättest du wohl gerne. Als würde ich sowas so schnell zulassen.“ Anstatt darauf etwas zu erwidern und meine Freundin die Tatsachen klarzulegen, lasse ich es einfach dabeibleiben. Stattdessen kommt mir wieder die Sache mit dem Spitznamen in den Sinn. Eigentlich hätte ich sogar einen, den ich manchmal heimlich für sie benutze und der sogar zu ihr passt. Ich bin mal gespannt, wie sie darauf reagiert, wenn ich ihr den vorschlage. Selbst wenn sie ihn nicht mögen sollte, kann ich ihn trotzdem benutzen. Allein, um sie zu ärgern, wäre es mir wert. Schmunzelnd spreche ich dies nun laut aus und warte auf eine Reaktion: „Einen hätte ich da noch. … Wie wäre es mit Engel?“ Eine kurze Weile herrscht Stille. Anders, als zunächst erwartet, kommt von ihr zunächst keine Meldung. Denkt sie nun darüber nach? „Ich glaube, … ich kann damit leben.“, antwortet sie mir schließlich, allerdings werde ich stutzig. „Was heißt hier „eigentlich damit leben können“?“, kommt es nun von mir, was in Nachhinein gesehen sogar leicht empört geklungen hat. Ist dieser Spitzname doch irgendwie zu kitschig für sie? Dabei passt dieser noch am besten zu ihr und für mich ist sie einfach ein Engel. So bescheuert das auch für einen anderen klingen mag, aber für mich gibt es nun mal nichts Besseres. Bevor ich nun irgendetwas einwenden kann, kichert sie und meint schließlich: „Das wäre der einzige Name, bei dem ich es mir vorstellen könnte und er klingt nicht so sehr wie aus einem Schnulzenfilm, oder was meinst du, mein Schattenkrieger?“ Etwas verwundert über ihren letzten Satz, setze ich mit etwas auf drehe ich mich so zu ihr, sodass ich in ihre Augen sehen kann. Hat sie jetzt etwa nach etwas gesucht, dass zu mir passen könnte? Irgendwie klingt es nicht wirklich nach einem Kosenamen, der normalerweise bei Pärchen benutzt wird, aber andererseits sind wir beide auch kein „normales“ Paar und irgendwie gefällt er mir auch. „Damit könnte ich leben.“, antworte ich schließlich und versuche es so zu betonen, wie sie es zuvorgetan hat. Für einige Sekunden herrscht Stille, bis wir beide wieder zu lachen beginnen. Jeder einzelne Moment mit ihr ist einfach wunderbar. Allein schon, was unsere Albernheiten und unser Sarkasmus angehen, bleiben wir uns beide nichts schuldig, geschweige wird es jemals langweilig. Im Gegenteil, einmal überrascht sie mich und beim nächsten Mal kann ich gut kontern und die Situation für mich nutzen. Bernadette ist einfach einzigartig. Auch wenn ich manchmal bei ihr das Gefühl habe, ein Buch mit sieben Siegeln vor mich zu haben, kommt dann wieder ein Moment, in der wir uns so ähnlich sind, sodass wir eigentlich den Satz des jeweils anderen beenden könnten. Der Unterschied, dass sie ein Mensch und ich ein Schildkrötenmutant bin, spielt überhaupt keine Rolle. Als wäre dies überhaupt nicht vorhanden. Doch unsere beider Leben verläuft nicht ohne diese Erkenntnis. Sie ist da und keiner von uns beiden kann dies ganz verdrängen. Bernadette hat selbst mal gesagt, dass sie es schön finden würde, wenn wir uns auch so, am Tag und inmitten einer Menschenmenge treffen könnten. In diesem Fall wäre es mir sogar lieber, dass ich selbst ein Mensch wäre. Vielleicht wäre manches etwas anders gekommen, aber es wäre dann nicht so ein Geheimnis, mit dem mein Engel in „ihrer Welt“ eigentlich alleine klarkommen muss. Ich scheine wieder in meinen Gedanken abgedriftet zu sein, denn als Bernadette mich anspricht und ich mit einer kurzen Antwort darauf reagiere, bittet sie mich: „Lass es uns aber bitte nicht zur Gewohnheit werden, uns ständig mit diesen Kosenamen anzusprechen. Das wird mit der Zeit sonst anstrengend.“ „Geht klar.“, antworte ich nur darauf und eigentlich ist mir das auch recht. Wir müssen es schließlich nicht übertreiben, geschweige an die große Glocke hängen. Allerdings bin ich doch froh, dass ich der Kosename „Engel“ gefällt. Ich hätte sie zu gerne damit geärgert, aber so ist es mir trotzdem lieber und es gibt außerdem noch andere Dinge, mit denen ich sie ein wenig necken kann. Kurz seufze ich, während ich mich wieder in meine Ursprungsposition fallen lasse und den Blick dem Himmeln entgegenrichte. Heute sind die Sterne nicht so klar zu sehen. Einige Wolken haben sich davorgeschoben. Als würden sie Bernadettes Problem somit bildlich darstellen wollen, aber daran will ich einfach nicht denken, geschweige meine Freundin darauf ansprechen. Stattdessen kommt mir etwas anderes in den Sinn: „Sag mal, du wolltest doch noch was sagen, bevor deine Tante uns unterbrochen hat.“ Dem Anschein hatte sie dieses Thema schon fast wieder vergessen, aber schon erinnert sie sich wieder daran: „Stimmt ja. Ich wollte dir sagen, dass du wegen der Symbolik nur die negativen Eigenschaften aufgezählt hast, wenn auch nicht alle.“ Aufmerksam bleibe ich still, sowie auch skeptisch. Was gibt es denn noch zu erzählen? Jedem Tier wurden ein paar Eigenschaften zugeordnet und bei uns Schildkröten sind es nun mal der Rückzug und die Langsamkeit. Doch Bernadette belehrt mich eines Besseren, nachdem sie sich aufgesetzt hat: „Erstaunlich, dass du nicht weißt, welche positiven Eigenschaften der Schildkröte zugeordnet werden. Dabei gibt es so viele, wie Wissen, Ausdauer, Stabilität, Güte, Geduld, Stärke und man sagt ihr auch ewiges Leben und eine tiefe Verbundenheit mit Mutter Erde nach.“ Woher hat sie das denn bitte? Einiges mag vielleicht auf mich und meinen Brüdern zutreffen, aber das hat sie wohl schnell erfunden, um die Schildkröte im Allgemeinen in ein bessere Licht zu stellen. So setze ich mich schließlich ganz auf, worauf Bernadette reagiert und sich ebenfalls nun aufrecht hinsetzt. Skeptisch sehe ich sie an, was meine Freundin scheinbar ein wenig enttäuscht: „Du glaubst mir wohl nicht, oder? Na dann komm, ich zeig dir was.“ Sie steht auf und sieht mich dabei auffordernd an, als wolle sie ihr Vorhaben sofort in die Tat umsetzen. Da ich keine Ahnung habe, was jetzt kommt, mache ich es ihr gleich und hebe sie anschließend hoch. Ich klettere mit ihr wieder in ihr Zimmer und setze sie dort wieder ab. Bernadette geht sofort zu ihrem Bücherregal und stöbert ein wenig herum. Neugierig geselle ich mich zu ihr und überfliege kurz die Titelnamen, die auf den einzelnen Buchrücken zu sehen sind. Ich bin kein wirklicher Fan vom Lesen. Da mache ich lieber Sport, insbesondere Kampfsport, aber mein Engel scheint sich ja in die Welt der Literatur verloren zu haben, denn sämtliche Regale sind vollgestopft und ich finde hier die unterschiedlichsten Themenbereiche. Von Fantasy, über klassische Romane, Märchen und Sagen bis hin zu Sach- und Geschichtsbüchern, ist alles Mögliche dabei. Wie kann sie das alles nur lesen? Wobei, bisher hatte sie die meiste Zeit in ihrem Zimmer verbracht. Neben dem Internet und der Musik musste sie sich ja irgendwie beschäftigen, wenn sie mal nicht auch noch für die Schule pauken musste. Trotzdem wäre das nichts für mich. An manchen Tagen wäre das für mich kein Problem, aber wie es hier aussieht, werden die Bücher von Bernadette geradezu verschlungen und ihre Interessen sind bereitgefächert. Schließlich findet sie das gesuchte Exemplar. Es ist ein Buch über Traumsymbolik und Symbole im Allgemeinen und kaum dass sie es aus dem Regal genommen hat, schlägt sie es schon auf und sucht nach der entsprechenden Seite. „Hier!“, ruft sie auf einmal und deutet mit dem Zeigefinger auf eine bestimmte Stelle, wo ich genau die Begriffe lesen kann, die sie mir kurz zuvor genannt hat. Also werden uns Schildkröten doch positive Eigenschaften zugeschrieben. Doch warum werden die nie erwähnt? Zumindest kannte ich bis jetzt nur die negativen Sachen und doch gibt es mehr. Besonders die Worte, die ich bei einer anderen Zeile lese, lassen mich ein wenig schmunzeln: « … Siehst du in deinem Traum eine Schildkröte, so wirst du einen Fürsprecher, oder einen Beschützer an deiner Seite haben. » Wer weiß, vielleicht hatte Bernadette vor unserer ersten Begegnung solch einen Traum. Nur hätte sie früher vermutlich niemals damit gerechnet, ausgerechnet eine mutierte Version als Beschützer zu bekommen. Doch zum Glück bin ich für sie mehr als nur das. Auch sie ist mehr für mich als nur ein Mensch, den ich wie alle anderen in New York beschütze. Sie ist mein Leben, mein Engel und ich könnte mir mein Dasein ohne sie nicht mehr vorstellen. Liebevoll ziehe ich sie zu mir und schenke ihr einen zarten Kuss auf die Lippen. Als wir uns wieder voneinander lösen, fragt sie mich mit einer leisen Stimme: „Wofür war das jetzt?“ „Einfach dafür, dass ich ein Teil von deinem Leben sein darf.“, antworte ich in derselben Lautstärke und küsse sie ein weiteres Mal. Doch diesmal ist der Kuss inniger. Mit etwas mehr Druck sind unsere Lippen miteinander versiegelt. Ich spüre förmlich, wie der Wunsch sie zu liebkosen immer deutlicher wird und ich möchte mich auch wegen den Umständen nicht mehr zusammenreißen. Schon so lange kontrolliere ich mich. Ich dachte immer, dass es ein schlechter Zeitpunkt wäre, aber nun habe ich sie trotz ihrer Probleme so fröhlich gesehen und so kann ich mich nicht mehr zurückhalten. Zärtlich streiche ich durch ihr Haare, während ich sie mit der freien Hand zu mir ziehe. Ohne jegliche Gegenwehr lässt sich Bernadette das gefallen. Sie lässt sogar das Buch, welches sie noch in ihren Händen gehalten hat, einfach los und wir beide kümmern uns nicht darum, als es schließlich auf dem Boden aufschlägt. Viel zu sehr sind wir mit uns selbst beschäftigt. Als sich unsere Lippen wieder voneinander trennen, höre ich nicht auf. Ich küsse sie einfach weiter und dabei arbeite ich mich so zart wie möglich an ihrem Hals voran, während ich sie wieder hochhebe und sie in ihr Bett trage, wo ich mich gemeinsam mit ihr niederlasse. Es ist nicht gerade sehr viel Platz, aber das stört uns beide nicht. Bernadette kuschelt sich in meine Arme, während unsere Lippen wieder miteinander versiegelt sind. Es ist einfach so ein berauschendes Gefühl und in ihrer Nähe fühlt sich alles so leicht und unbeschwert an. „Ich liebe dich.“, flüstert sie schließlich und streicht mir sanft über die rechte Wange. Ich erwidere dies mit einer ähnlichen Geste, doch ich gleite mit meiner Hand an ihrem zarten Rücken entlang: „Ich liebe dich noch viel mehr.“ Kapitel 38: Vielleicht eine neue Freundin ----------------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Seit diesem anstrengenden Tag und der dennoch schönen Nacht sind bereits wieder zwei Wochen vergangen. Tante Tina ist auf meinem Wunsch eingegangen, dass ich nie mehr wieder diese verhasste High-School betrete. Zwar hat sie noch einmal versucht, mit mir in Ruhe darüber zu reden, aber ich habe ihr einfach klargemacht, dass es keinen Sinn hat. Selbst wenn ich es wieder versucht hätte, so wären allein die jüngsten Ereignisse mir immer ein Dorn gewesen. Sei es durch die Mitschüler, von denen einige schuld an meinem Schlamassel sind, oder sei es wegen den Erinnerungen, von denen ich auch jetzt noch Albträume habe. Beinahe jede Nacht geistert mir eine Mischung aus verschiedenen Erinnerungen durch den Kopf, welche mich von einem Horrorszenario in die nächste schleppt. Jeder noch so kleine Streich bis hin zu jenem Moment, an dem ich nur mit einem Badetuch um dem Körper gewickelt im Flur stand, verfolgt mich bis heute noch. Aus diesem Grund habe ich auf Bitten meiner Familie Hilfe geholt. Es ist zwar ein anonymes Treffen zwischen Mobbingopfern, welches einmal in der Woche stattfindet, aber ich bekomme dort die Chance, meine Sorgen von meiner Seele zu reden. Auch wenn es mich zum Teil widerstrebt, dies zu tun. Schließlich rede ich mit Fremden, von denen einige zwar ähnliche Erlebnisse mit mir teilen, aber es ist einfach ein eigenes Gefühl, welches mich eher einengt, als befreit. Dennoch werde ich wohl noch öfters hingehen. Bis jetzt bin ich erst einmal dort gewesen und kann daher noch nicht sagen, ob mir diese „Sitzungen“ wirklich helfen. Dafür hat Tante Tina ihr Wort gehalten und sie hat mich sogar von der Schule genommen. Natürlich folgte eine unangenehme Zeit und das galt nicht nur für mich. Meine Mom und meine Tante setzten alles daran, dass der Rektor meiner alten High-School ordentlich sein Fett abbekam. Somit hatte er von meiner Familie nicht nur einen saftigen Beschwerdebrief erhalten, selbst der Schulinspektor bekam davon Wind und machte dem Mann noch mehr Stress. Zusätzlich hatte er dann noch die Anordnung bekommen, ein Projekt zur Prävention gegen Mobbing beziehungsweise gegen Cybermobbing zu starten und dies gilt für sämtliche Klassen. Ob das jedoch etwas bringt, wage ich zu bezweifeln. Denn solange Lucinda immer noch ein Machtwort über andere aussprechen kann, so wird die ganze Aktion sinnlos sein. Erst wenn keiner nach ihrer Pfeife tanzt, wird sich etwas ändern. Nur, was kümmert es mich? Das betrifft mich nun nicht mehr und ich bin ehrlich gesagt froh darüber. Sie alle können mir gestohlen bleiben. Jedoch ist es für mich nicht einfach, einen Neustart zu wagen. Die Schule, in der ich nun bin, macht zwar auf dem ersten Blick einen guten Eindruck, nur hat sich das wegen dem Cybermobbing irgendwie herumgesprochen. Vermutlich hat es einer der betroffenen Mobber jemand anderes weitererzählt und dieser wiederum ist nun ein unbekannter Schulkollege von mir, der es dann wieder weitergesagt hat. Ich habe keine Ahnung. Es könnte auch anders gekommen sein, indem irgendwer im Internet davon Wind bekommen hat. Was auf jeden Fall klar ist, ist, dass sich dieses Thema wie ein Lauffeuer weiterverbreitet hat. Irgendwie wäre das auch kein Wunder. Immerhin waren zick Leute mit der Sache verwickelt und ich möchte erst gar nicht wissen, wie viele die Polizei über das Internet noch erwischt hat. Sowas wird nicht totgeschwiegen und bis da wirklich Gras drüber wachsen wird, wird wohl noch eine Ewigkeit vergehen. Zumindest befürchte ich das. Besonders wenn die Leute über irgendetwas reden, oder sogar über jemandem lästern können, so sind sie mit damit beschäftigt und von ihren eigenen Problemen abgelenkt. Allein am ersten Schultag habe ich das hautnah zu spüren bekommen. Egal ob von Nahen oder aus der Ferne, ich musste dieses Getuschel und diese seltsamen Blicke ertragen. Ungewollt wurde ich wieder ins Rampenlicht gedrängt, was ich im Moment überhaupt nicht gebrauchen kann, geschweige will. Doch wenn ich mich stattdessen jemandem genähert hatte, wurden sie sofort still und lächelten so scheinheilig, als wenn nichts wäre. Also entweder bedeutet das, dass sie wegen mir nicht auch noch in die Mangel genommen werden wollen, oder sie sind auf meiner Seite und wollen mich einfach nicht darauf ansprechen, weil Mobbing einfach scheiße ist. Ich kann es ehrlich gesagt nicht wirklich herausfiltern. Dafür sind mir die Leute zu unbekannt und außerdem will ich auch nicht mehr daran denken. Es reicht schon, dass Lucindas Anwalt dafür sorgen möchte, dass dieses Miststück nur mit einem blauen Auge davonkommt. Wie sich herausgestellt hat, handelt es sich hierbei um ihren Vater, der noch die Frechheit besitzt auf Teilschuld zu plädieren. Er behauptet, dass seine Tochter nicht die Drahtzieherin sei, sondern einfach nur aus „Gruppenzwang“ mitgemacht hätte. Das heißt für sie, dass sie nur eine geringere Geldstrafe zahlen muss, würde sie mit diesem Schwachsinn durchkommen. Ich hoffe nur, dass mein Anwalt, den Tante Tina mir besorgt hat, dafür sorgt, dass dies nicht geschieht, denn so hätte sie trotz Probleme irgendwie doch gewonnen. Leider kann ich nichts tun, außer auf dem bevorstehenden Prozess zu warten und mich auf die neue Situation auf meiner neuen Schule zu konzentrieren. Dies ist aber alles andere als einfach. Nicht nur, dass ich dort der Neuling bin, ich habe dieses „Brandmal“ von meiner alten Schule, welches sich leider nicht so einfach abschütteln lässt, wie gedacht. Zusätzlich haben Tante Tina und meine Mom mir das Versprechen abgenommen, dass ich mich bemühen soll, neue Kontakte zu knüpfen. Ohne es zu wollen, habe ich mich belabern lassen. Deren Grund ist, dass mir das für den Neuanfang helfen soll. Ich soll dadurch nicht nur meine Vergangenheit besser verarbeiten, ich könnte so mein Sozialleben wieder auf Vordermann bringen. Wenn die wüssten, dass ich bereits Freunde habe, würden die nicht so reden. Sie wissen es nun mal nicht besser, aber ich glaube, wenn ich nur eine neue Freundin finde, die es auch wirklich ernst mit mir meint, so wäre das ausreichend. Vielleicht ist es ja wirklich keine so schlechte Idee. Wenn ich zumindest eine Schulkameradin finde, mit der ich mich halbwegs gut verstehe, wäre ich schon glücklich. Jedoch habe ich bisher noch keinen Erfolg gehabt, was sich vermutlich noch eine Weile hinziehen wird, aber ich mache mir keinen Stress. Schließlich habe ich Freunde. Zwar sind es geheime Freunde, aber ich bin nicht vollkommen allein und das mit der neuen Schule werde ich auch noch irgendwie hinkriegen. Denn langsam steigt meine Hoffnung wieder und nach der Schmach, die ich bisher erlebt habe, hätte ich das eigentlich nicht für möglich gehalten und doch trage ich einen kleinen Hoffnungsschimmer in mir. Weder meine Albträume, noch die momentane Situation an meiner jetzigen High-Scholl wird daran etwas ändern. Dafür sorgen bereits meine Mutantenfreunde und April, welche auch weiterhin zu mir stehen, auch wenn niemand von ihnen was weiß. Wenn ich mal nicht mit ihr unterwegs bin, so verbringe ich meine Freizeit mit den Jungs. Die vier hatten mich sogar mal auf einer Rutschpartie in der Kanalisation eingeladen, bei der sie mit Hilfe von großen Leitungsrohren durch die Gegend gesaust waren und sogar einige Kunststücke in der Luft gemacht hatten, sobald sie genug Schwung gehabt hatten. Raphael hielt mich während der Fahrt die ganze Zeit in seinen Armen und obwohl ich zunächst Angst hatte, hatte es mir sehr viel Spaß gemacht. Ich hoffe nur, dass dies Wasser und kein Abwasser war, aber dazu hatten meine Freunde nichts gesagt, was ich also so hinnehmen muss. Vielleicht es sogar besser so. Man muss ja nicht alles wissen. Am besten ist es, wenn ich nicht daran denke, sonst bereue ich es einfach nur. Es gibt jedoch etwas, was noch weit schöner ist, als mit der ganzen Truppe die Zeit zu vertreiben und das ist nun mal, wenn ich mit Raphael alleine bin. Manchmal gönnen seine Brüder uns ein bisschen Zeit für uns allein, was wir auch wohlwollend genießen. Ich werde aber trotzdem das Gefühl nicht los, dass hier unten immer noch eine gewisse Spannung herrscht und damit meine ich Leo und meinen Schattenkrieger. Das fällt mir aber nur auf, wenn mein Liebster längerer Zeit bei mir und nicht mit den anderen auf Patrouille war. Allein seine Körpersprache sagt schon viel aus und manchmal erzählt er mir sogar von dem einen oder anderen Streit, bei der er sich von seinem Bruder total genervt fühlt. Ich kann es zwar irgendwie nachvollziehen, aber die beiden sollten besser zusehen, dass sie irgendwie zu einer Lösung kommen. Auch wenn es leichter gesagt, als getan ist, bringt es sich nun mal nicht, ständig in die Haare zu kriegen und ich spreche schließlich aus Erfahrung. Doch jedes Mal, wenn ich sowohl Leo, als auch Raphael darauf anspreche, haben sie meistens eine Ausrede parat und belächeln die Situation. Selbst Mikey und Donnie äußern sich dazu nicht und da sag noch einer, dass ich stur bin, wenn es mal Probleme gibt. Vielleicht müssen sie das einfach unter sich ausmachen, ohne dass ich meine Meinung dazu beisteuere. Manchmal sind sie allerdings schon komisch, aber trotzdem muss man diese Familie lieben. Trotz ihrer Unterschiede und kleinen Zankereien halten sie zusammen und Meister Splinter achtet stets darauf, dass das auch so bleibt. Theoretisch könnte ich bereits schon einige Geschichten über sie schreiben. Allein das, was sie mir allesamt erzählt haben, wäre ein wundervoller Schreibstoff, wäre da nicht dieses eine Problem. Denn würde das nicht möglicherweise dazu führen, dass sie dadurch vielleicht irgendwann mal entdeckt werden könnten, so hätte ich das bereits getan. Dafür lasse ich einfach meine Erlebnisse mit ihnen in meinen Tagträumen durch den Kopf gehen, sozusagen ein „Kopfkino“ und das gibt es auch manchmal in der Schule. So wie es ich jetzt wieder der Fall ist. Im Moment sitze ich in der Cafeteria und bin wieder ein wenig in meinen Gedanken versunken, als ich plötzlich von der Seite angesprochen werde: „Hallo, dein Name ist doch Bernadette, richtig?“ Als ich mich in diese Richtung drehe, sehe ich ein blondes Mädchen, mit blauen Augen und in einem sportlichen Outfit. Die Haare meiner Schulkameradin, die ihr vermutlich bis zur Schulter reichen, hat sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden und an ihrem Hals erkenne ich mehrere Ketten. Sie lächelt und scheint auf dem ersten Blick sehr freundlich zu sein, aber abgesehen davon, dass sie mich plötzlich aus meinen Tagträumen herausgerissen hat, bin ich gerade einfach nur verblüfft, dass ich von ihr angesprochen werden, während ich bis jetzt eher gemieden worden bin. Ohne eine Aufforderung meinerseits setzt sie sich einfach lächelnd neben mich und reicht mir ihre Hand zur Begrüßung: „Hi, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Ich bin Corinna, aber man kennt mich hier unter dem Namen Cori. Wir gehen ja nun in dieselbe Klasse und da dachte ich mir, es wird nach der Eingewöhnungszeit mal langsam Zeit, dass wir uns mal kennenlernen.“ Weiterhin überrascht über diese offene und auch schwungvolle Art, erwidere ich ihre Begrüßung und reiche ihr ebenfalls die Hand: „Hi, schön dich kennenzulernen Cori. Meinen Namen brauche ich ja nicht sagen, da du ihn ja schon kennst.“ Etwas unsicher sehe ich sie an, versuche aber freundlich zu sein. Doch schon plappert das Mädchen einfach weiter, als würden wir uns bereits schon lange kennen: „Sorry übrigens, dass ich das nicht schon eher gemacht habe. Immerhin bist du schon eine Weile hier, aber ich wollte erst einmal von außen ein Bild von dir machen, nachdem ich so einiges über dich gehört habe.“ Ich seufze. Irgendwie habe ich es ja gewusst. Umsonst haben sich ja meine Schulkollegen nicht so sonderbar und sehr distanziert verhalten. Das aber nun direkt aus dem Mund von jemandem zu hören, ist doch etwas anderes. Innerlich hoffte ich sogar, dieses Thema irgendwann mal abhaken zu können, aber scheinbar wird mich das noch ewig verfolgen. Um ehrlich zu sein, ist es ziemlich anstrengend, dass ich mir sowas immer wieder antun muss, aber dagegen kann ich scheinbar nichts ausrichten. Zumindest ist Cori soweit ehrlich zu mir, sodass sie gleich einmal auf dem Punkt kommt und mir die Tatsachen zeigt, anstatt mir was vorzugaukeln, oder mich noch dreist in irgendetwas hineinzuzerren. „Und was hast du von mir gehört? Sind es etwa eher „böse“ Gerüchte über mich, oder muss ich schon die Stadt verlassen?“, frage ich sie vorsichtig, wenn auch am Ende eher sarkastisch, was ich einfach nicht seinlassen kann, aber wie soll auch sonst darauf reagieren? Es reicht schon, dass ich mich jetzt schon wieder so angepisst fühle, obwohl ich zuvor mich noch in meinen Tagträumen retten konnte. Da Cori aber nun mal hier ist und mich auch noch die Neugier gepackt hat, will ich es auf der einen Seite wissen, worüber die Leute reden. Andererseits geht mir die Sache auch mächtig auf dem Zeiger. Denn was geht denen das an?! Sie haben nicht einmal das Recht, über mich zu urteilen, weil sie weder mich, noch die Hintergrundgeschichte kennen. Allein unter dem Begriff „Gerücht“ weiß man, dass das meiste, wenn nicht sogar alles, erstunken und erlogen ist. Will ich es denn nun wissen? Ja, auch wenn sich der Rest meines Inneres dagegen wehrt. Ich muss mich immerhin auf mögliche unangenehmen Situationen einstellen können. Wenn ich schon wieder kämpfen muss, dann will ich auch wissen, was Sache ist. Bevor es wieder schlimmer wird und ich die Kontrolle verliere, bevor es auch nur wirklich begonnen hat, möchte ich vorbereitet sein. Schließlich bin ich noch neu hier und ich kenne auch niemanden. Eigentlich hatte ich gehofft hier einen Neuanfang starten zu können, aber schon allein das Verhalten meiner Mitschüler mir gegenüber hat mich schon früh eines Besseren belehrt. Es wird auf gar keinen Fall leicht werden und Cori scheint meine Vermutung sogar zu bestätigen. Doch schon fuchtelt sie mit ihren Händen vor ihrem Körper und meint leicht aufgeregt: „Nein, nein, das hast du missverstanden! … Naja ok, ein paar reden wirklich nicht sehr nett über dich, aber das liegt an dem einen Video, was sie sich angesehen haben und welches dann nach kurzer Zeit gesperrt wurde.“ „Video? Es gibt noch ein Video von mir?!“, frage ich sie nun leicht panisch, während meine Augen weit aufgerissen sind. Das kann nicht sein?! Ich dachte, dass sämtliche Fotos und Videos über mich gesperrt und vom Netzt gestrichen wurden! Gibt es nun doch noch eines, was „überlebt“ hat?! Während ich das beinahe hysterisch von mir gegeben habe, hätte ich das Mädchen beinahe gepackt und kräftig bei den Schultern geschüttelt. Ich habe sogar bereits meine Hände leicht angehoben, mich aber selbst noch aufhalten können. Denn in mir drin brennt die Hoffnung, dass das gerade ein schlechter Scherz ist. Cori ist wegen meiner plötzlichen Aufregung derweil etwas zurückgewichen. Allerdings scheint sie meine Angst und meine Sorge bezüglich darauf zu sehen und erklärt mir: „Nein, das Video gibt es nicht mehr. Das habe ich doch gesagt, es ist gesperrt worden. … Aber sag, stimmt es, dass du über dreißig Schüler hast auffliegen lassen, nachdem diese Videos und Fotos ins Netz gestellt wurden?“ „Also erstens habe ich niemandem auffliegen lassen und zweitens habe ich mich nach dieser Demütigung an eine Freundin gewandt, die mir half die Fotos und Videos zu sperren. Da war es ja klar, dass alle, die es geteilt und weitergesendet haben, erwischt wurden. Wer also so dumm ist und sich auf Mobbing einlässt, der hat nichts Anderes verdient. Sorry, wenn ich das jetzt so sage, aber sowas ist wirklich menschenunwürdig.“, erwidere ich gleich darauf und das mit einem leicht gereizten Ton. Auch wenn mir vorhin ein Stein vom Herzen gefallen ist, dass dieses beschissene Video nicht mehr existiert, ärgert es mich einfach, dass ich wieder einmal damit konfrontiert werde. Werde ich dem etwa nie entkommen können und wie kommen diese Idioten überhaupt darauf, dass ich gleich wieder die Böse bin?! Die haben ja alle überhaupt keine Ahnung, was ich all die Zeit durchmachen musste! Die kennen nur dieses beschissene Video und selbst damit brauchen die sich kein Urteil über mich zu fällen! Sie wissen rein gar nichts und das Schlimmste daran ist, dass sie das auch noch in ihrem stillen Kämmerlein tun! Ich finde es einfach nur feige, dass sie nicht den Mut aufbringen, mich direkt darauf anzusprechen! Stattdessen tuscheln sie lieber in Gruppen über mich und gehen dabei den einfachsten Weg. Bloß nicht anecken, aber schön quatschen. – Arch, wie ich das hasse! Ich möchte gar nicht wissen, was für Gerüchte noch im Umlauf sind, die mich betreffen! Dabei habe ich bei dem Ganzen nichts falsch gemacht! Immerhin bin ich das Opfer gewesen und ich musste mich ja auch irgendwie wehren. Eigentlich hätte ich mich wohl eher von der ganzen Welt verkrochen, hätten mir da meine Freunde nicht wieder daraus geholt. Am liebsten hätte ich dies sogar aus mir herausposaunt, damit es alle hören können, wenn da nicht dieses Problem wäre. Ich muss bei meiner „Aussage“ bleiben. Jede noch so kleine „Veränderung“ daran bringt nur unnötig einen weiteren Stein ins Rollen. Deswegen seufze ich nur und lasse mich dabei wieder zurück in meinem Sessel fallen. Dass nun dieses dämliche „Gerede“ weitergeht, geht mir wirklich gegen den Strich. Besonders nervt es mich, dass bis auf Cori anscheinend keiner den Mut hat, mich das direkt zu fragen. Stattdessen halten sie sich bedeckt und tuscheln über mich, als wenn sie mich kennen würden und das Recht dazu hätten. Dies ist aber nicht so und ich hoffe, dass die Blondine neben mir das auch den anderen verklickert. Schließlich will ich sofort die Tatsachen festlegen, bevor noch mehr Unsinn über mich erzählt wird. Dabei könnte ich es eh nicht ändern oder gar verhindern, aber so habe ich zumindest die Chance, die Sache aus meiner Sicht zu schildern. „Hey sorry, ich wollte dich nicht aufregen oder so, aber ich wollte das halt aus deinem Mund hören. … Auch wenn mich das eigentlich nichts angeht.“, entschuldigt sich Cori bei mir und sieht leicht beschämt zu Boden. Ich seufze. Sie scheint es ja wirklich nicht böse zu meinen, weswegen ich dann leicht den Kopf schüttle und mit einer fröhlicheren Miene erwidere: „Ist ok. Ehrlich gesagt, geht mir die Sache noch sehr nahe. Es ist ja noch nicht vom Tisch. Mir steht noch einiges bevor und ich kann es nun mal nicht leiden, wenn man über mich redet, obwohl man von nichts eine Ahnung hat. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie scheiße das ist. Allein diese Blicke machen mich rasend.“ Sie nickt verstehend und meint: „Wahrscheinlich kann ich es nicht genauso nachempfinden wie du, aber ich vielleicht kann ich es erahnen. … Ok, ähm sorry nochmal. Was hältst du davon, wenn wir das Thema wechseln?“ „Warum nicht.“, antworte ich ihr und lächle leicht. Wenn es jemand ernst mit mir meint, dann bin ich offen für Neues und diese Cori scheint auf dem ersten Blick ganz in Ordnung zu sein. Erstens sagt sie gleich, was sie von mir will und zweitens wirkt sie auf mich weder überheblich noch falsch. Also warum sollte ich keinen Versuch wagen? Immerhin will ich ja neue Bekanntschaften machen, selbst, wenn es sich dabei nur um eine Person handelt. In Laufe unseres Gesprächs habe ich immer mehr den Eindruck, dass mir dieses Mädchen nichts vormacht. Egal ob es ihr Lachen ist, oder wie sie mit mir gerade redet, es wirkt nicht gekünstelt. Es hätte ja sein können, dass sie von irgendwem geschickt worden wäre, welcher irgendetwas mit Lucinda zu tun hat. Das mag vielleicht paranoid klingen, aber ich bin einfach schon vorsichtig geworden und so lange ich das nicht äußere, kann es mir auch egal sein, was andere davon halten. Viel wichtiger ist es mir, was für ein Mensch Cori ist und je mehr ich mich mit ihr unterhalte, desto stärker wird mein erster Eindruck. Vielleicht habe ich ja doch Glück und meine Menschenkenntnis ist nicht endgültig im Klo runtergespült worden. Denn die Blondine macht keine Anstalten, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Sie zeigt mir sogar später noch die Teile von der Schule, die ich während meiner eigenen Erkundungstour noch nicht entdeckt habe. Dazu zählen zum Beispiel die Räume, die für Nachmittagskurse gedacht sind. Unter anderem werden den Schülern neben dem klassischen Football und Cheerleading auch noch Kunst, Fotographie, die Schülerzeitung und das Theater angeboten. Cori erzählt mir, dass erst vor ein paar Monaten ein Musical aufgeführt wurde, bei der es anscheinend ziemlich drunter und drüber ging. So wie sie mir das kichernd geschildert hat, kann ich mir das gut vorstellen. Allein wie sie das erzählt, wirkt wie eine Geschichte aus einem Buch, die man sofort verschlingen möchte. Jede Einzelheit kann ich mir ziemlich genau vorstellen. Nebenbei erfahre ich auch noch, dass sie mit ihrer Freundin Mia in der Literatur-AG ist. Bei diesem Wort werde ich sofort hellhörig und das merkt auch die Blondine: „Ach, sag bloß, dich interessiert Literatur? Dabei hält das doch jeder für spießig und langweilig.“ „Machst du Witze? Ich lese für mein Leben gern und habe schon so manches verschlungen.“, entgegne ich ihr schon begeistert darauf, woraufhin Cori mich angrinst, als hätte sie im Lotto gewonnen. Ihre Augen funkeln vor Freude, als hätte sie gerade den Hauptpreis abgeräumt. „Dann musst du unbedingt bei uns mitmachen! Du kannst mit uns über literarische Texte diskutieren, Neues aus der Literatur kennenlernen und dich selbst beim Schreiben verbessern. Selbst Kalligraphie kannst du bei uns ausprobieren. Alles, was mit Schreiben und Texten jeglicher Art zu tun hat, kann man bei uns machen.“, versucht sie mich nun dafür zu begeistern. Interesse hätte ich ja bereits, aber ich habe noch nie daran gedacht, selbst etwas zu schreiben. Zwar habe ich schon mal kurze Geschichten und auch schon Gedichte verfasst, aber ich war noch nie in einer Literatur-AG. Vielmehr habe ich das einfach für mich getan, weil das nun mal neben Lesen und Musikhören mein Hobby ist. Auch wenn ich schon eine Weile kaum daran gedacht habe. Ich hatte aber dafür weder die Inspiration, noch die Zeit oder einen klaren Kopf. Weswegen ich mich vielmehr in bereits verfasste Texte stürzte und ein Buch nach dem anderen verschlang. Besonders wenn es ums Lesen geht, kann ich mich voll und ganz in eine andere Welt vertiefen. Ich fühle mich dabei so glücklich und vor Raphael war dies immer noch die beste Möglichkeit für mich, um abschalten zu können. Allerdings weiß ich nicht, ob es so klug ist, da einfach mitzumachen. Erstens bin ich hier noch der Neuling, zweitens kenne ich vieles in dieser Schule nicht und drittens habe ich noch andere Dinge um die Ohren. Schließlich muss ich neben der Schule auch noch zu diesem Treffen gehen. Er findet zwar nur einmal in der Woche statt, aber neben dem und dem Lernen will ich nun mal auch genug Zeit für Raphael und auch für mich allein. Ob ich das dann alles wirklich unter einem Hut bringen? Momentan wage ich es, daran zu zweifeln. „Ich weiß nicht …“, fange ich schon an vor mich her zu murmeln, während ich die Sache nochmal durch den Kopf gehen lasse, aber Cori besteht darauf: „Ach komm schon Bernadette. Was soll schon Großartiges passieren? Wir werden dich schon nicht fressen. Außerdem ist das die Chance für dich, neue Leute kennen zu lernen und vielleicht begreift der Rest dann auch noch, dass du gar keine so üble Person bist. Besonders wenn sie sehen, wie sehr du dich auf deine Weise in unsere Gesellschaft integrierst. Was meinst du? Willst du es nicht zumindest versuchen? Du kannst ja dann immer noch aussteigen, wenn es dir nicht zusagt.“ Am Ende klingt es schon fast bettelnd und ich sehe die Blondine etwas skeptisch an. Doch ihre blauen Augen wirken schon fast wie bei einem Hundeblick, weswegen ich seufzend nachgebe und zustimme. Es ist einfach zu verlockend und außerdem könnte ich dadurch vielleicht wirklich neue Freunde finden. Irgendeinen Schritt muss ich auch machen, sonst wird sich in meinem Leben nichts ändern und es wäre auch etwas, was mich interessieren könnte. Allein das Lesen an sich hat Etwas an sich, was nicht jeder schätzt und wenn ich demnach in einer Gruppe lande, die zumindest in diesem Bereich Gemeinsamkeiten mit mir teilt, so hätte ich vielleicht etwas, worauf ich mich freuen kann. Natürlich strahlt Cori vor Freude darüber und zerrt mich gleich zum Sekretariat, wo ich ein Formular ausfüllen muss. Das heißt, dass ich beim nächsten Treffen schon mitmachen kann. Zumindest hat mir das meine Klassenkameradin begeistert verkündet, woraufhin ich nur stumm nicken kann. Also ich habe schon lange nicht mehr so eine aufgeweckte Person wie sie gesehen, abgesehen von einem gewissen Turtle mit einer orangen Maske. Sie kommt mir beinahe so vor wie Mikey, wenn er von etwas Bestimmten begeistert ist. Das kann ja noch heiter werden, aber ich lasse es einfach auf mich zukommen. Denn ich habe ja wirklich nichts zu verlieren und wenn es mir tatsächlich nicht zusagt, dann steige ich einfach aus. Natürlich erzähle ich dies meinen Freunden, als ich noch in derselben Nacht wieder bei ihnen unten in der Kanalisation bin. Donnie ist dabei der Erste, der mir dazu gratuliert und meint, jetzt würde sich endlich mein Leben zum Guten wenden. „Wie ist diese Cori eigentlich?“, werde ich schon von Mikey gefragt, aber so gut kenne ich sie noch nicht, was ich ihm auch sage: „Ich kenne sie doch erst seit heute, aber sie scheint wirklich nett zu sein. Was ich auf jeden Fall weiß, ist, dass sie ein Wildfang ist. In ihr steckt ganz schön viel Energie.“ Mehr weiß ich nun mal nicht dafür kann ich den Jungs etwas anderes erzählen und zwar, dass ich mich in der Literatur-AG eingeschrieben habe. Als sie aber davon hören, ernte ich von den vieren nur ein belustigtes Gelächter, welches schnell an Lautstärke gewinnt. „Ernsthaft? Bei sowas Langweiligem machst du mit?“, fragt Mikey, während er sich lachend den Bauch hält. Selbst Raphael kann sich ein dämliches Grinsen nicht verkneifen, weswegen ich sie einen nach dem anderen zornig ansehe und sogar leicht beleidigt schnaube. Am liebsten hätte ich sie gefragt, was deren Problem wäre, doch schon spüre ich Leos Hand auf meiner linken Schulter. Immer noch schmunzelnd meint er: „Sei nicht böse auf uns. Auch ich lese ab und zu gerne, aber ich würde niemals im Traum daran denken, solch einer Gruppe beizutreten.“ Immer noch wütend reiße ich mich los und schnauze ihn an: „Liegt vielleicht daran, dass euch euer Ninja-Kram mehr interessiert und ihr auch deswegen euch so ins Zeug legt! Nur weil mir die Literatur am Herzen liegt, braucht ihr noch lange nicht darüber zu lachen.“ Armeverschränkend wende ich mich von den Brüdern ab und setze mich erst einmal auf die Couch, wo ich schmollend in die Leere starre. Auch wenn ich mir jetzt wie ein kleines Kind vorkomme, welches wegen jeder Kleinigkeit schmollt, so kann ich nicht anders. Es ist nun mal etwas, wofür ich mich nun mal interessiere, aber das verstehen sie ja nicht. Lange sitze ich aber nicht dort, denn schon gesellt sich Raphael zu mir, der mich sogleich zu sich zieht. „Ach, lass mich.“, murre ich, doch das hält ihn nicht davon ab, mich weiter an sich zu drücken und mich wieder aufzumuntern: „Komm schon, sei nicht sauer. Sowas ist nun mal nicht … unsere Welt. Mit Büchern und dem ganzen Kram haben wir es halt nicht so. Besonders ich meide das eher.“ Bei diesen Worten wende ich meinen Blick zu ihm und habe dabei eine Augenbraue leicht angehoben. „Würde dir aber nicht schaden, wenn du mal deine Nase in ein Buch stecken würdest.“, kommt es gleich mit einem sarkastischen Unterton von mir und mein Liebster grinst nur, was ich ihm gerade nicht verübeln kann. Schließlich zeige ich ihm durch meine Mimik, dass meine Wut auf ihn und seinen Brüdern schon wieder verraucht ist. Auch wenn ich mich kurz zuvor trotzig benommen habe, ist dieses Thema wirklich nicht wert, um sich deswegen darüber zu streiten. Da gibt es Schlimmeres. Außerdem ist das ja meine Sache und solange es mir gefällt, werde ich mich auch damit beschäftigen. Kapitel 39: Anders als zunächst gedacht --------------------------------------- Aus Erzählersicht: Wütend wird die Zimmertür zugeschlagen. Ein enormer Lärm hallt für kurze Zeit durch den Raum, wodurch auch einige Gegenstände betroffen sind. Wie von einer unsichtbaren Hand geführt, wackeln sie durch diesen Gewaltakt, können aber noch unbeschadet stehenbleiben, ehe sie durch die Schwerkraft zu Boden gestürzt wären. Aufgebracht und schnaufend schleudert Lucinda ihre Tasche von sich und schmeißt sich mit voller Wucht auf ihr Bett. Sofort greift sie nach einem Polster, drückt diesen fest auf ihr Gesicht und schreit, als wäre ihre gerade der Weltuntergang passiert. „Dieses verdammte Miststück! Das soll sie mir büßen! … Ich werde sie umbringen! Für jede weitere Sekunde, die ich mir wegen ihr antun muss, wird sie bluten! Ich werde ihr solange den Hals umdrehen, bis ihr Genick wie ein dürrer Zahnstocher zerbricht und sie keinen einzigen Ton mehr aus sich herausbringt!“, schreit und flucht sie, nachdem sie das weiche Ding wieder von sich gerissen hat. Doch obwohl der Polster, welchen sie zunächst als „Schalldämpfer“ missbraucht hat, nichts dafürkann, krallt das Mädchen nun mit den Fingernägeln tief hinein und schleudert den gefüllten Bezug von sich. Augenblicklich knallt er gegen die nächste Wand, ehe sich Lucinda wieder auf ihr Bett fallen lässt. Kurz liegt sie so da, bis sie sich wieder auf dem Rücken dreht und wutentbrannt zur Decke hinaufstarrt. Immer wieder entweicht aus ihrer Kehle ein Schnauben, als wäre sie selbst ein Stier, welches sich zum Kampf bereitmacht. Doch innerlich steckt sie bereits mittendrin. „Dieser Kampf mag vielleicht diesmal zu deinen Gunsten ausgefallen sein, doch der Krieg ist noch lange nicht vorbei. Ich kriege dich noch und wenn das das Letzte ist, was ich tue!“, murmelt sie, während sie ihren Blick keinen Moment lang davon abwendet. Stattdessen ist sie in ihren Gedanken versunken und lässt dabei sowohl den heutigen Tag, wie auch die vergangenen Wochen durch ihren Kopf gehen. Wie unerträglich diese für sie geworden sind. Nicht nur, dass nun sämtliche Lehrer in Alarmbereitschaft sind, auch die Schüler haben sich den neuen Bedingungen an der Schule anpassen müssen. Ein Gewaltpräventionskurs ist nun im Gange und jeder Einzelne ist dazu verpflichtet, an diesen Seminaren und dessen Übungen teilzunehmen. So betrifft dies auch Lucinda, die bis jetzt keine Möglichkeit gefunden hat, um sich davor zu drücken. Stattdessen muss sie nach dem Unterricht zwischen ihren Kameraden hocken und sich die Worte des Mentors antun, welcher für sie noch öder erscheint, wie so mancher Professor an dieser High-School. Dass sie aber eigentlich dabei lernen soll, wie sie auf ihre Mitmenschen zugeht und sogar auf sie eingeht, interessiert sie überhaupt nicht. Auch wenn sie sich den Willen ihres Vaters beugen muss, der ihr eingeschärft hat, momentan die Füße still zu halten, bis er einen neuen Plan entwickelt hat, sie will einfach nicht. Scheinbar alles in ihr weigert sich, auch nur für eine Millisekunde das zu verinnerlichen, was sie an jenen Stunden hat hören müssen. Es ist schwer für sie, diese Übungen aus ihrem Gedächtnis zu verbannen und trotzdem kämpft sie weiterhin dagegen an. Wie ein Ohrwurm geistern seine Sprüche durch ihren Verstand und allein der Gedanke an die Vertrauensübungen lassen ihr das Essen wieder hochkommen. Dafür gibt sie Bernadette die Schuld. Auch wenn die Blondine dieses Mädchen bloßgestellt hat, so wird sie selbst nicht nur bald vor Gericht gezerrt, sondern sie muss auch noch ihre kostbare Zeit mit diesem Unsinn verplempern. So sieht sie es und jede einzelne Sekunde davon lässt den Hasse ihrer Feindin gegenüber nur noch weiter anwachsen. Am liebsten hätte Lucinda neue Wege eingeleitet, um ihren Zorn freien Lauf zu lassen, doch seitdem Bernadette die Schule gewechselt hat und sie selbst sogar auf ihre Schritte aufpassen muss, kann sie nicht so einfach ihre Rache ausüben. Als würde sie das verhasste Mädchen von Weiten beobachten, während eine unsichtbare Wand sie beide voneinander trennt. Zwar könnte sie aufs Neue das Zuhause der Dunkelhaarigen aufsuchen, doch davor hat ihr Vater sie gewarnt. Würde auch nur einer mitbekommen, dass sie wieder etwas vorhat, so könnte er ihr nicht mehr helfen. „Sammle deine Gedanken, ehe du zur Tat schreitest. Deine Rachegelüste müssen warten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist.“, waren seine Worte und Lucinda verabscheut dieses unerträgliche Warten. Dabei stellt die Wütende schon seit ihrem letzten Treffen mit ihrer Feindin vor, wie sie diese bis aufs Blut quälen würde. „In der Hölle sollst du schmoren. Warte nur, du sollst meine Rache spüren. Denn niemand legt sich ungestraft mit Lucinda an! Das schwöre ich!“, murmelt Lucinda und seufzt schließlich genervt auf. Sie muss einen Plan schmieden, auch wenn es ihr Vater verboten hat. Zu viel Zorn steckt in der Seele dieses Mädchens, als dass sie sich davon abhalten lassen will und diesmal will sie dafür sorgen, dass keiner sie in Verdacht hat. Sie muss aber dabei jemanden finden, der nicht nur für sie die Drecksarbeit macht, es muss alles schnell und im richtigen Moment ablaufen. Nie wieder will sie es zulassen, dass ihr ein weiterer Fehler passiert. Lucinda will härtere Geschütze auffahren und diesmal will sie sich nicht mit Einfallspinseln und Möchtegern-Nerds abgeben. Sie braucht Profis für diesen Job und mit Hilfe des Familienmottos will sie ihren Plan in die Tat umsetzen. Denn wie heißt es so schön: „Aktion folgt auf Reaktion und Reaktion folgt auf Aktion.“ Genau das will sie auch befolgen und diesmal setzt sie alles daran, um es ihren Vater zu zeigen. Lucinda überlegt sich ganz genau, welche Schritte sie als Erstes befolgen muss. Schließlich muss sie besonders bis zum Prozess auf der Hut sein und sollte Bernadette davor etwas passieren, wird sie automatisch verdächtigt werden. Das heißt, dass sie neben den geeigneten Leuten ein wasserdichtes Alibi braucht. „Wie stelle ich das am geschicktesten an?“, fragt sich die Blondine und überlegt weiter: „Auf der einen Seite soll ich laut Dad dieses Miststück einschüchtern. Doch wie soll ich das anstellen, wenn er mir verbietet, auch nur einen Finger zu krümmen? Soll ich etwa warten, bis es zu spät ist? Nein, ganz gewiss nicht! Ich habe zwar ordentlich viel Druck am Nacken, aber so leicht werde ich nicht aufgeben. Irgendwie werde ich es vor dem Gerichtstermin schaffen, dass diese Bitch einknickt und erst gar nicht erscheint. Und wenn es mal soweit ist, dann … dann werde ich die Sache zu meinen Gunsten drehen. Du wirst schon sehen Möchtegern-Französin, dein „Sieg“ wird nicht lange von Dauer sein.“ Noch ist Lucinda nicht wirklich etwas eingefallen, was sie gegen ihre Feindin anwenden könnte. Bereits einige Tage hat sie Pläne gebrütet, doch ohne die richtigen Leute verliefen diese in der Theorie meist in einer Sackgasse und wurden daher wieder verworfen. Es muss schleunigst ein Plan her, mit dem die Blondine es Bernadette zeigen könnte. Die Zeit, die ihr dafür bleibt, ist allerdings kostbar, weswegen sie diese nicht mit absurden Ideen verschwenden will. Allerdings will ihr nichts einfallen, womit sie ihr Ziel erreichen könnte. Selbst ihr Dad ist momentan als Anwalt viel zu sehr mit einem Mitglied der Purple Dragons beschäftigt, als dass er eine große Stütze für sie wäre. Mit den Worten „Ich werde das schon regeln.“, hat er sie einfach aus dem Büro geworfen, während dort der Typ mit dem Tattoo am Hals saß und genervt wartete. „Moment!“, kommt es nun aus ihr, wie aus der Pistole geschossen. Ihre Augen weiten sich, bis sich ihr Mund nun zu einem boshaften Grinsen umwandelt. Ein leises Lachen löst sich aus ihrer Kehle, welches schließlich lauter wird und kurz darauf im ganzen Haus zu hören ist. Nun endlich hat sie einen Plan. Aus Raphaels Sicht: Am liebsten wäre es mir, wenn die Sache wegen dieser Lucinda endlich mal vom Tisch wäre. Soweit ich aber gehört habe, wird es noch einige Zeit dauern, bis diese Gerichtsverhandlung endlich stattfinden wird und das kapiere ich einfach nicht! Wieso brauchen die Menschen nur so lange? Es ist doch bereits bewiesen, dass das Miststück sowie auch noch ein paar Weitere von diesen Schwachmaten etwas damit zu tun haben. Was brauchen die da noch, damit endlich Gerechtigkeit herrscht? Es ist echt nicht zu fassen, dass selbst bei einem normalen Zivilgericht es mindestens drei bis vier Monate dauert, bis überhaupt solch eine Verhandlung stattfindet! Kann man das nicht irgendwie vorziehen und beschleunigen? Ich meine, es handelt sich hier schließlich nicht um eine lächerliche Angelegenheit, wie zum Beispiel um Ruhestörung oder so. Hier wurde das Leben eines Menschen terrorisiert und das noch mit verschiedenen Mitteln und auf längerer Zeit. Wie stellt sich das Rechtsystem das nur vor? Soll Bernadette etwa abwarten und Däumchen drehen, oder was glauben diese Anzugträger, die keine Ahnung vom Leben in dieser Stadt haben. Meine Brüder und ich sehen es ja, wie es wirklich auf den Straßen zu geht. Auch wenn wir hauptsächlich nachts agieren, so entgeht uns nicht, was über uns so alles abgeht. Sind wir etwa wirklich die Einzigen, die etwas unternehmen wollen, oder schlafen diese Pappnasen einfach in ihren Sesseln? Auch wenn wir nur nachts die Stadt von so manchen Idioten beschützen können, so unternehmen wir mehr, als was diese Sturböcke jemals getan haben. Am schlimmsten sind für mich aber diese Anwälte, die mich zur Weißglut bringen. Sie sind einfach nichts weiter als überteuerte Rechtsverdreher, die einfach nur die Kohle und die eigene Karriere im Kopf haben. Dass sie aber eigentlich eine Aufgabe haben und zwar meine ich, dem Recht zu unterstützen, so entgeht mir nicht, dass viele von ihnen eher auf der anderen Seite arbeiten. Auch wenn das nicht auf alle zutreffen sollte, so gibt es leider genug von dieser Sorte und diese sollten verdammt noch mal ihren Arsch hochkriegen und endlich einmal ihren Job richtigmachen. Allein der Gedanke daran, dass der Vater dieser Bitch auch noch zu denen gehört, bringt mich zum Überkochen. Donnie musste mich runterbringen, nachdem er mir davon erzählt hatte, aber da muss man doch verrückt werden! Denn hat Bernadette nicht schon genug um die Ohren?! Muss sie etwa in dem Punkt auch noch Pech haben?! Zwar meinten die anderen, dass es keinen Unterschied machen würde, ob der Anwalt in der eigenen Familie ist, oder nicht, da sich diese Lucinda ohnehin jede noch so teure Version davon leisten könnte, aber trotzdem ist es nicht fair! Ich habe mal das Genie darauf angesetzt, diesen Schlipsträger mal auf dem Zahn zu fühlen und tatsächlich hat der Schlauberger dabei etwas Interessantes herausgefunden. Zwar hat es meine Stimmung dazu keineswegs verbessert, aber ich habe nun ein klares Bild von diesem Idioten. Dank ihm sind bereits sämtliche Verbrecher wieder auf freiem Fuß und unter anderem sind sogar Handlanger der Purple Dragons aufzufinden. Wie schafft dieser Mistkerl das nur? Wie kann er den Richter, oder die Geschworenen so überzeugen, sodass seine Mandanten höchstens nur mit geringen Strafen davonkommen? Wo ist hier die Gerechtigkeit und das ist eines der Themen, mit denen ich auch mit meinen Brüdern ständig diskutiere. Wobei ich mit Leo dabei öfters ins Wortgefecht komme. Auch jetzt ist wieder solch eine Situation, bei der mir der Anführer gehörig auf die Nerven geht: „Du kannst jetzt nichts tun Raphi! Das müssen jetzt die Behörden klären.“ „Dafür scheinen die aber eine Ewigkeit zu brauchen!“, argumentiere ich darauf, doch Leo schüttelt dabei seinen Kopf, als er erwidert: „Das mag vielleicht sein, aber glaubst du in allen Ernst, dass sich was ändern wird, wenn du Tag für Tag herummeckerst?“ „Wie wäre es, wenn wir den Verantwortlichen mal ein bisschen „nachhelfen“, dann würden die vielleicht endlich mal in die Gänge kommen, anstatt auf der faulen Haut zu sitzen!“, knurre ich und halte dabei meinem Bruder drohend die Faust entgegen. Der hat doch keine Ahnung, wie schwer es für mich ist, dumm rumzustehen, während nichts weitergeht. Ich will verdammt noch mal, dass meiner Freundin endlich geholfen wird, anstatt dass sie mit Warten und irgendwelchen Versprechungen vertröstet wird und wenn diese Anzugträger mal nicht langsam in die Gänge kommen, dann werde ich nachhelfen! Sie sollen die Sache gefällig mal ernstnehmen. Ist denn das wirklich zu viel verlangt?! „Jungs, jetzt hört endlich auf! Es ist schon schwer genug, eure Streitereien vor Bernadette zu runterzuspielen. Sie fragt schon die ganze Zeit danach und wenn ihr so weitermacht, wird das wieder genauso eskalieren wie beim letzten Mal, wo sie und Raphi noch nicht einmal ein Paar waren.“, mischt sich nun Donnie von den billigen Plätzen aus ein. So ungern ich es auch zugebe, aber irgendwie hat er Recht. Ich habe nämlich genauso wenig Bock darauf, dass es so ähnlich kommt, wie es an diesem einen verregneten Tag war, an dem ich wegen Leo förmlich explodierte. Zwar ging es am Ende gut aus und mein Engel und ich kamen sogar nach dem „Missverständnis“ zusammen, aber diesmal ist die Situation etwas anders und wer weiß wie es diesmal ausgehen wird. Würde ich dabei nicht an Bernadette denken, so wäre mir das herzlichst egal und ich würde mich sofort auf den Dummschwätzer stürzen. Meine Freundin hat wegen dieser Sache schon genug Sorgen. Auch wenn zu ihrem Glück die neue Schule nun leichter verdaulich ist. Da will ich es nicht noch mehr verschlimmern. Dabei scheint das Genie des Teams selbst keine Lust auf unsere „Diskussion“ zu haben. Ihm reichen schon die ständigen Zankereien, die wegen der Beziehung immer noch ihre Runde machen und das betont er auch jetzt wieder: „Also fahrt endlich runter, bevor ihr den Mund aufmacht. Ich will nicht schon wieder „Scherbenaufsammeln“ gehen.“ Was er damit meint, ist ganz klar, auch wenn sein Sarkasmus eher dürftig ist. Dennoch gibt es nun mal Dinge, die keinem von ihnen etwas angeht und damit meine ich besonders meine Beziehung zu Bernadette. Leider muss sich unser Anführer pausendlos einmischen, was das betrifft und dabei sind es doch meine Angelegenheiten! Seine ständigen Befürchtungen, dass unser Verhältnis negative Folgen für allesamt haben könnten, ist nicht nur lächerlich, sondern auch völlig unbegründet. Wie will er das überhaupt wissen?! Hat er etwas schon mal eine Freundin gehabt?! Wohl kaum, aber er tut so, als wüsste er über alles Bescheid und könnte mir demnach seinen Stempel aufdrücken! Tja, da ist er wohl bei der falschen Adresse! Ich ziehe mein Ding durch und ich werde auch irgendwie einen Weg finden, Bernadette zu unterstützen. Ich werde meinen Engel auf gar keinen Fall im Stich lassen, auch wenn er weiterhin seine Bedenken hat. Seine Zweifel ihr gegenüber gehen mir sowas auf dem Keks. Als würde ich das Ganze auf die leichte Schulter nehmen. So ein Schwachsinn! Er hat keine Ahnung und trotzdem reibt er es mir ständig die Nase, dass ich blauäugig sei. Bernadette würde eines Tages ihre Meinung zu unserer Beziehung ändern, weil sie sich vielleicht eine Zukunft mit mir als Schildkrötenmutanten nicht vorstellen könnte. Als würde sie das jemals tun. Nein, sie liebt mich und ich liebe sie! Was gibt es da nicht zu verstehen?! Auch wenn ich ein Mutant bin und sie Mensch ist, ändert es nicht an der Tatsache, dass wir beide zusammenbleiben wollen! Was rege ich mich auf. Egal wie ich es drehe und wende, mein Bruder mit der blauen Maske wird es ohnehin nicht checken. Dafür ist er viel zu blind und er ist zudem noch eifersüchtig, dass er dieses Gefühl bisher noch nie erfahren durfte. Selbst die anderen beiden haben es geschnallt, auch wenn es bisher Tage gab, an denen ich nicht mehr so sicher war, aber daran möchte ich jetzt nicht denken. Wenn Leo nur wüsste, wie das wäre, würde er nicht so große Töne spucken und uns nicht ständig im Weg stehen. Apropos im Weg stehen, durch das mein verehrter Bruder mit der blauen Maske und ich uns schon wieder so nah sind, uns gegenseitig an die Gurgel zu gehen, geht Donnie schließlich zwischen uns und drängt uns mit einem scharfen Unterton auseinander: „Jetzt hört endlich auf! Ihr benehmt euch ja wie die kleinen Kinder!“ Leo murmelt irgendetwas Unverständliches vor sich hin und verzieht sich schließlich in sein Zimmer. Mir soll es reicht sein, sonst hätte er mir wahrscheinlich schon die nächste Predigt an den Kopf geworfen, oder mir sonst irgendetwas aufgetischt. Wenn da nicht zwischendurch vielleicht sogar die Fetzen geflogen wären. Auf einem Kampf bin ich immer vorbereitet und das weiß er auch. Am liebsten hätte ich Leo noch einiges in dieser Richtung nachgerufen, als Mikey auf einmal mit seinem Skateboard an mir vorbeirauscht. Gekonnt und mit einem ordentlichen Schwung kippt er das Board, wodurch er mit einer „akrobatischen“ Bewegung zum Stillstand kommt. Schon wendet er seinen Blick zu mir und grinst mich an: „Hey Bro, ich dachte, du wärst bereits weg. Wolltest du nicht deine Chika abholen? Oder hat sie heute wieder keine Zeit?“ Anstatt ihm darauf zu antworten, rümpfe ich nur meine Nase und knurre kurz. Für heute habe ich einfach genug und Mikey ist es momentan nicht wert, dass ich mal eine Abreibung verpasse. Da bin ich viel zu sehr auf unseren anderen Bruder sauer und außerdem habe ich es ohnehin vorgehabt, demnächst die Biege zu machen. Bernadette wartet sicher schon auf mich und bevor ich mir auch nur weiter Gedanken darübermache, dass ich es eigentlich hasse, wenn er mein Mädchen als „Chika“ bezeichnet, verschwinde ich lieber. Soll er doch vor den anderen seine Sprüche klopfen, ich habe was Besseres zu tun. Auch wenn es mir manchmal lieber wäre, man könnte seine große Klappe einfach zukleistern. Wahrscheinlich wird er es aber trotzdem in kürzeste Zeit schaffen, diesen wieder aufzureißen und dann geht die ganze Scharade wieder von vorne los. Das Schlimmste ist, dass er es trotz seiner bescheuerten Sprüche immer wieder schafft, einen bestimmten Punkt anzusprechen und ich glaube, dass er das nicht einmal merkt. In letzter Zeit hatte Bernadette tatsächlich weniger Zeit für mich. Seit sie diesem komischen Club beigetreten ist und sogar diesem „Seelsorgerverein“ einen Besuch abstatten muss, hat sie nicht nur neue Bekanntschaften gemacht, sondern blüht bei diesem Unsinn bezüglich ihrer Bücher auch richtig auf. Immer mehr ist sie mit Schreiben beschäftigt und sooft ich sie auch besuche, sitzt sie meistens an ihrem Schreibtisch und kritzelt an irgendetwas herum. Wenn das mal nicht ist, hängt sie vor ihrem Laptop ab, oder schmökert in irgendeinem Buch. Das Letztere hat sie zwar schon vorher gemacht, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass sich das nun verstärkt hat. Es sind sogar Nächte dabei gewesen, an denen sie lieber in ihrem Zimmer bleiben wollte, anstatt mit mir die Stadt zu erkunden. Zwar verbrachten wir diese Zeit auch schön, aber es ist irgendwie nicht mehr so wie früher. Ach was, ich sollte mich besser für Bernadette freuen, dass es mal für sie ein bisschen bergauf geht, auch wenn es nicht alles betrifft, was ihr Leben angeht. Zumindest redet sie nicht mehr sooft von diesem Miststück namens Lucinda. Das Thema quält sie auch so weiter und da bin ich für jede Ablenkung dankbar, die ihr widerfährt. Dennoch lässt es sich nicht leugnen, dass mir an der Sache etwas nicht gefällt. Ich weiß nicht warum, aber auch jetzt habe ich wieder so ein komisches Gefühl, was ich nicht wirklich erklären kann. Es fühlt sich so an wie ein seltsames Ziehen, welches sich langsam in der Brust ausbreitet, aber vielleicht liegt es noch meinem Groll wegen Leo. Der Typ kann es nun mal nicht lassen, mir auf dem Wecker zu fallen. Ach, ich sollte schleunigst zusehen, dass ich endlich zu ihr komme. Gesagt, getan, ich beschleunige mein Tempo und angle mich nach der kurzen Tour innerhalb der Kanalisation an den Wänden, wo der Weg anschließend über den Dächern weitergeht. Schließlich komme ich wenig später an mein Ziel an und klopfe an die Fensterscheibe. Jedoch rührt sich nichts. Durch dass die Vorhänge wieder zugezogen sind, kann ich nichts erkennen. Hat sie etwa vergessen, dass ich komme? Um besser sehen zu können, drücke ich mich gegen die Scheibe, bis ich schließlich bemerke, dass das Fenster gar nicht geschlossen ist. Vielmehr ist der Rahmen nur mit einem Keil eingeklemmt. Ach, soll ich mich also selbst hereinbitten? Leicht verwirrt, aber auch schulterzuckend öffne ich mir selbst und klettere in das Zimmer. Kaum dass aber meine Füße den Boden berühren und ich zur Seite blicke, entdecke ich meine Liebste in ihrem Bett. Mit einem offenen Notizbuch auf ihrem Oberkörper und bei einer brennenden Lampe scheint sie wohl eingeschlafen zu sein. Ich muss in diesem Augenblick schmunzeln, als ich sie so sehe. Etwas verdreht liegt sie da, den Kopf auf einem Arm gelegt und die Beine leicht abgewinkelt. Hat sie es wieder einmal dem Schreiben übertrieben? Kopfschüttelnd grinse ich vor mich hin, während ich auf leisen Sohlen zu ihr hinschleiche und mich sachte auf die Bettkannte setze. Dabei stütze ich mich vorsichtig mit einer Hand bei der Matratze ab und beuge mich leicht zu ihr. Mein Blick ist immer noch auf ihr Gesicht gerichtet und ich genieße es förmlich, sie beim Schlafen zu beobachten. Es gibt keinen Zweifel, dass ihr Spitzname nur gerechtfertigt ist. Denn selbst beim Träumen sieht sie wie Engel aus. Ihre zärtlichen Lippen, ihre helle Haut, einfach alles an ihr lässt diesen Eindruck auf mich wirken. Es fehlen eigentlich nur noch die passenden Flügel dazu. Schnell kann ich mich noch kopfschüttelnd aus meinem „Wachtraum“ herausreißen, ehe ich sie noch länger angestarrt hätte. Wer hätte gedacht, dass ich jemals dazu fähig wäre, solche schnulzigen Momente zu erleben und diese auch irgendwie zu genießen. Ich verliere mich ja förmlich darin. Früher war es doch auch nicht so, aber es muss tatsächlich stimmen, dass die Liebe das Leben vollkommen auf dem Kopf stellt. Ich lächle bei diesem Gedanken und nehme vorsichtig das Notizbuch von ihrer Brust. Doch kaum habe ich das getan, schon fängt Bernadette an, sich zu bewegen. Anscheinend ist sie in einer Art Dämmerschlaf und meine Handlung scheint bei ihr irgendetwas ausgelöst zu haben. Nun wirkt sie etwas unruhig, öffnet aber nicht ihre Augen. Stattdessen tastet sie sich mit ihrer freien Hand herum, bis sie nach einer Weile meine Finger berührt. Wie auf Kommando verändert sich ihre Mimik. Sie lächelt und murmelt etwas Unverständliches vor sich hin, bis sie schließlich die Augen öffnet und Kopf etwas hebt. Blinzend sieht sie mich an und fragt: „Träume ich noch?“ Theoretisch hätte jetzt sagen können: „Dann träumen wir beide.“ Ich sage aber nichts dergleichen. Stattdessen beuge ich mich noch tiefer zu ihr runter, küsse sie und frage sie stattdessen: „Ist das auch nur geträumt?“ Bernadette grinst mich leicht kopfschüttelnd an, erhebt sich von ihrer jetzigen Position und schlingt ihre Arme um mich, während sie nun an der Reihe ist mich zu küssen. Schließlich löst sie sich wieder von mir und meint gähnend: „Tut mir leid, dass ich dir nicht geöffnet habe. Ich muss irgendwann eingenickt sein.“ Wenn sie ja ständig an diesem Literaturquatsch arbeitet, wäre das auch kein Wunder. Jedoch formuliere ich das etwas anders: „Warst wohl wieder mit Schreiben beschäftigt?“ Zu meiner Überraschung verneint sie meine Frage: „Nein eigentlich nicht. Ich musste für meinen morgigen Test lernen. Du weißt ja, dass die Sommerferien bald vor der Tür stehen und da bekommen manche Professoren die Panik. Sie glauben, dass sie uns unbedingt noch etwas ins Hirn reinquetschen müssen.“ Ich sehe sie skeptisch an. Zwar hat sie irgendwann mal in der nächsten Zeit Ruhe von der Schule, aber ich hatte eher erwartet, dass Bernadettes Müdigkeit mehr mit diesem Literaturclub zusammenhängt. Außerdem hatte ich eigentlich gedacht, dass sie derweil noch sowas wie eine Gnadenfrist auf ihrer neuen High School hat. Immerhin sollten die Lehrer wegen dem Grund des Schulwechsels Bescheid wissen und so lange ist dieser auch nicht her. Da können diese Pfeifen doch keine Bestnoten und supertolle Leistungen von ihr verlangen. Als ich meinen Engel darauf anspreche, erwidert sie nur: „Das mag auf die meisten der Professoren schon zutreffen, aber meinem Physiklehrer war das von Anfang an egal. Er hatte mir schon vom ersten Tag an mitgeteilt, dass ich keine Extrawurst von ihm zu erwarten habe und bei dem muss man wirklich pauken. … Wie ich sehe, hast du gerade meine Notizen.“ Sie zeigt auf das Notizbuch, welches ich noch in der Hand halte. Ich lege es jedoch zur Seite und will sie schon auffordern, mal die Schule kurz zu vergessen. Bernadette ist nicht dieser Meinung: „Sorry Raphael. Auch wenn ich jetzt wieder wach bin und mich wirklich freue dich zu sehen, bin ich doch ziemlich ausgelaugt. Ich würde mich jetzt lieber hinlegen, sonst schlafe ich beim morgigen Test noch ein.“ Enttäuscht sehe ich sie an. Das habe ich nämlich nicht erwartet. Eigentlich wollte ich mit ihr wieder etwas unternehmen. In letzter Zeit wurde das immer mehr vernachlässigt. Entweder konnte ich wegen der Patrouille nicht, oder Bernadette hatte aus irgendeinem Grund keine Zeit, oder war einfach zu müde. So wie es auch jetzt wieder einmal der Fall ist. „Es tut mir wirklich leid. Sei mir bitte nicht böse. Wir holen das auf jeden Fall nach, versprochen.“, fügt Bernadette schließlich entschuldigend hinzu, während ich kurz ihre rechte Hand auf meiner linken Wange spüre und anschließend einen flüchtigen Kuss auf die Lippen bekomme. Das heißt jetzt wohl „Gute Nacht“, was mich ein weiteres Mal enttäuscht. Um dies aber nicht zu zeigen, zwinge ich mich selbst zu lächeln, nicke und verabschiede mich anschließend. Nur ungern nähere ich mich dem Fenster und sehe noch einmal zurück, bevor ich seufzend hinausklettere und allein in die Dunkelheit verschwinde. Kapitel 40: Quälender Zweifel ----------------------------- Aus Raphaels Sicht: Ich kann es echt nicht fassen! Ich verbringe schon wieder eine Nacht ohne sie! Langsam scheint das echt zur Gewohnheit zu werden und das geht mir gehörig gegen Strich. Nicht nur, dass ich heute schon wieder Zoff mit dem Anführer hatte, jetzt lässt Bernadette mich auch noch hängen. Am liebsten hätte ich es ihr direkt ins Gesicht gesagt, aber irgendwie schien mein Mund in diesem Moment wie zugekleistert gewesen zu sein. Ich war von ihren Worten einfach nur perplex, dabei war die Begrüßung vollkommen anders. Sie freute sich mich zu sehen, das habe doch mitbekommen. Doch warum dann dieser Sinneswandel? Nur weil man müde ist, kann man trotzdem noch eine schöne Zeit verbringen, oder nicht? Die eine oder andere Stunde, an dem sie noch wach ist, hätten ihr auch nicht geschadet, aber anstatt sie damit gleich zu konfrontieren, habe ich mich wieder darauf eingelassen und geschwiegen. Wie mir das stink! Kann es denn nicht einmal so laufen, wie ich es mir gerade vorstelle? Eigentlich hätte ich sogar den Drang, mich einfach umzudrehen und meine Freundin wieder aufzusuchen. Wieso lasse ich mich überhaupt so schnell abspeisen? Liegt es etwa daran, dass sie bereits geschlafen hat und ich mich nun im Nachhinein wie ein Störenfried vorkomme? Dabei wusste sie doch, dass ich sie heute noch aufsuchen werde. Schließlich habe ich ihr eine Nachricht geschickt, oder ist dies bei ihr sogar untergegangen? Ich fühle mich momentan so richtig mies und würde ich mich gerade nicht über den Dächern einer im Moment stark befahrenden Gegend befinden, so würde ich aus Leibeskräften schreien. Dabei weiß ich nicht einmal, was mir davon am meisten am Geist geht: Die Tatsache, dass ich heute wieder einen Korb bekommen habe, oder dass mir so alles und jeder auf dem Wecker geht? Irgendwie scheint mich gerade das Pech zu verfolgen, oder wie soll ich mir sonst meinen derzeitigen Frust erklären? Dass dies vielleicht nur eine „Phase“ sein könnte, ist mir momentan scheißegal. Ich habe es nun mal satt zu warten und ständig auf andere Rücksichtnehmen zu müssen. Doch was bleibt mir nun anderes übrig? Ich könnte zwar wieder zu ihr gehen und sie sogar dazu drängen, noch etwas länger die Augen offenzuhalten, aber vermutlich würde dies nur in die entgegengesetzte Richtung führen. Was dann folgen würde, ist ganz klar: Ein unnötiger Streit und eine weitere Diskussion, welche nur ins Nirgendwo führt, kommt auf gar keinen Fall in Frage! Das ist doch echt zum Aus-der-Haut-Fahren! Noch immer von meiner Wut gepackt, bleibe ich schließlich auf einen der Dächer stehen und beobachte das nächtliche Treiben der Menschen, die wie Ameisen durch die Straßen herumwuseln. Genervt lasse ich meine Arme auf der Kannte der kleinen Dachmauer senken und lege meinen Kopf darauf. Ein langes Seufzen entgleitet aus meiner Kehle und hätte mich in diesem Augenblick nicht eine mir bekannte Stimme abgelenkt, so wäre ich schon in meine Gedanken versunken: „Hey Bro, was machst du denn hier? Ich dachte du wärst mit deiner Freundin unterwegs. Wieso hängst du dann hier alleine ab?“ „Halt´s Maul Mikey und rück mir nicht auf die Pelle. Ich bin gerade nicht in Stimmung.“, kommt es genervt von mir, wobei ich nicht einmal meinen Kopf zu ihm wende. Ich hoffe, dass er sich schleunigst wieder aus dem Staub macht, aber die Nervensäge hat nichts Besseres zu tun, als mir weiterhin auf dem Panzer zu gehen. Schon nach kurzer Zeit steht er neben mir und fragt mich weiter aus: „Hey, was ist dir denn über die Leber gelaufen? Was ist los und wo ist Bernadette?“ Während er mich das fragt, stupst er mir sogar leicht in die Seite. Als wolle er somit seine Aufforderung mir gegenüber nur noch damit bestärken. Ganz gechillt und grinsend steht er da neben mir, obwohl ich überhaupt keinen Bock auf ihn habe. Weder sein dämliches Grinsen, noch sein „Verhör“ machen meine Laune besser. Im Gegenteil, ich fühle mich nur umso mehr angepisst. Denn was geht es ihm an, was hier oben treibe?! Egal ob ich dabei mit Bernadette unterwegs bin, oder nicht, spielt keine Rolle, er soll sich gefälligst um seine eigene Angelegenheiten kümmern. Damit hat er schon genug zu tun. Doch daran denkt mein verehrter Bruder mit der orangen Maske nicht. Viel lieber stöbert er bei den anderen herum und hofft auf den gewissen „Tratsch und Klatsch“. Sind wir hier etwa beim Kaffeekränzchen?! Da ich keinen Bock darauf habe, mir das noch weiteranzutun, werfe ich Mikey schließlich an den Kopf, dass er hier nur stört: „Ich hab gesagt, du sollst dich verziehen! Was machst du eigentlich hier überhaupt?! Spionierst du mir etwa schon hinterher?!“ Wütend sehe ich ihn dabei an. Als könnte ich ihn allein durch meinen Blick ihn dazu bewegen, die Biege zu machen, ehe noch Schlimmeres kommt. Doch anders als gewollt, reagiert er auf seine typische Art darauf. Er hebt wie immer, wenn er auf „unschuldig“ macht, schlicht und einfach seine Hände und meint beinahe unbekümmert: „Hey Alter, jetzt komm mal wieder runter und wie kommst du überhaupt auf diesen Schwachsinn? Das ist meine normale Route während der Patrouille. Da kann doch ich nichts dafür, wenn du mir quasi über den Weg läufst.“ „Also Ausreden hast du wohl immer parat, wie?!“, keife ich ihn an. Wäre gerade entweder Leo, oder Donnie derjenige, welcher mir momentan so sehr auf dem Panzer geht, so würde dieses „Gespräch“ schnell in einem Streit, bzw. in einem Kampf enden. Bei Mikey sieht die Sache etwas anders aus. Denn abgesehen von seinem „normalen“ idiotischen Gefasel, kommt er zunächst mit irgendwelchen Sprüchen um die Ecke, welche er wohl irgendwo aus dem Müll „gefischt“ hat. Erst dann, wenn ich es geradezu herausfordere, geht er auf einen Kampf ein. Doch diesmal wäre es mir sogar lieber, ich könnte sofort meine Fäuste zum Einsatz bringen. Nicht nur, dass ich mal meinen Frust etwas abbauen könnte, mein Bruder mit der orangen Maske, würde mal für ein paar Sekunden die Klappe halten. Leider geht er nicht darauf ein. Stattdessen fragt er mich aus heiterem Himmel: „Sag mal, hängt deine schlechte Laune vielleicht damit zusammen, dass du und Bernadette womöglich gestritten haben könnt? Denn so wie du drauf bist, könnte man wirklich meinen, dass bei euch die Fetzen geflogen sind.“ „Nein, du Puddinghirn!“, schnauze ich ihn an, gehe aber nicht weiter darauf ein, weil es ihm so und so nichts angeht. Da Mikey aber eher zu jener Sorte gehört, welcher sich nicht so einfach abspeisen lässt, bohrt er natürlich nach und sieht mich dabei sogar skeptisch an: „Na klar, das kannst du vielleicht wem anderen erzählen Bro, aber mir kannst du nichts vormachen. Irgendwas ist doch hinterm Busch und so wie du gerade drauf bist, könnte man fast schon meinen, dass du froh bist, von ihr wegzukommen.“ „Einen größeren Dachschaden, hast du wohl nicht abgekriegt, wie?! Zu deiner Information, sie hatte einfach keine Lust und war zu müde für einen nächtlichen Ausflug! Nicht die Bohne ist irgendetwas davon dran, dass wir gestritten haben könnten! Ich war ja nicht einmal lang bei ihr, kapiert?! … War´s das jetzt?! Dann zieh endlich mal Leine und lass mich in Ruhe!“, schnauze ich ihn ein weiteres Mal an und hoffe, dass er mich nun endlich in Ruhe lässt. Eine kleine Prügelei würde zwar auch nicht schaden, aber viel wichtiger ist es mir, dass Mikey nun endlich sein vorlautes Maul hält. Genervt drehe ich mich nun wieder von ihm weg und starre wie vor hin nach unten, während die Menschenmenge unbeirrt ihren nächtlichen Tätigkeiten nachgehen. Was hier oben abspielt, bekommt keiner von denen mit und manchmal wäre es echt von Vorteil, mal mit einem von ihnen tauschen zu können. Stattdessen hänge ich ihr oben ab, während Mikey, zu meinem Übel, mir auch noch „Gesellschaft leistet“. Meinetwegen könnte er einen Abgang machen und weiter seine Patrouille durchziehen. Doch mein Bruder macht keine Anstalten, mir diese Ruhe zu gönnen. Stattdessen legt er nun seinen Arm um mich und meint dann noch grinsend: „Ach komm, das wird schon wieder. Bald sind ja Sommerferien und da wird dein Herzblatt schon bald mehr Zeit für dich haben. Warte es einfach ab. Auch wenn sich was geändert hat, ….“ Ich höre ihm ungewollt zu, aber bei seinen letzten Worten werde ich stutzig: „Moment mal! Was meinst du mit „Auch wenn sich was geändert hat“? Spuck´s schon aus, bevor ich noch nachhelfen muss!“ Nachdem ich ihn dazu aufgefordert habe, mir das mal zu erklären, erhalte ich plötzlich eine Reaktion, mit der ich zunächst überhaupt nicht gerechnet hat. Mein Bruder steht nun wie gelähmt vor mir. Sein Mund ist leicht offen, als hätte es im gerade die Sprache verschlagen, während er mich nun auch noch etwas unsicher ansieht. Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, könnte man meinen, dass er in meiner Gegenwart etwas Falsches gesagt hat. Doch jetzt ist es zu spät und allein seine absurde Reaktion bewirkt bei mir nur, dass ich allmählich die Geduld verliere. Wenn Mikey nicht gleich einmal sagt, was Sache ist, dann wird er sich gleich wünschen, mir nicht über den Weg gelaufen zu sein. Das garantiere ich ihm! „Nun, wird´s bald, oder muss ich auch noch nachhelfen?!“, dränge ich ihn, während ich weiterhin auf seine Erklärung warte. Die ist er mir verdammt noch mal schuldig! Unsicher kratzt er sich an dem Kopf und nur zögerlich fängt er an zu reden, was sich dann aber schnell in einer Art Redeschwall ausartet: „Naja, also … die Sache ist die Bro, uns ist schon eine Weile aufgefallen, dass ihr euch weniger besucht als sonst. In den vorigen Nächten wart ihr ja kaum voneinander zu trennen, wart entweder unterwegs, oder ihr habt euch mal bei ihr, oder bei uns zu Hause eure gemeinsame Zeit miteinander verbracht. … Jetzt aber wo, sagen wir mal, es etwas schwieriger für Bernadette geworden ist, sich in ihrer momentanen Situation zurechtzufinden, ist die Sache nun etwas anders. … Ich kann mir ja schon vorstellen, dass jetzt in ihrem Leben so einiges abgeht und das ist noch milde ausgedrückt. Bei ihr geht es sogar drunter und drüber. Erst der Stress wegen der Mobbingsache, dann die neue Schule, der Literatur-Club und nicht zuletzt die neue Freundin, mit der sie nun verstärkt abhängt. Von ihrer Familie möchte ich erst gar nicht anfangen. Wer weiß, was dem Mädchen sonst noch in die Quere kommt. – Kein Wunder also, dass sie öfters müde ist. Sie ist ja den ganzen Tag mit irgendetwas beschäftigt. Von der Schule mal abgesehen, muss sie sich in ihrem Leben nun neuzurechtfinden und da kannst du mir nicht sagen, dass das so einfach ist.“ Die ganze Zeit über, in der Mikey diesen Blödsinn daher gefaselt hat, habe ich geschwiegen und ihm zugehört. Doch je mehr er über den heißen Brei gequasselt hat und ich nun auf dem springenden Punkt warte, desto mehr habe ich meine Finger in das Gestein gekrallt. Denn die ganze Zeit redet er hauptsächlich von ihr. Als wüsste er zu hundert Prozent, wie es um sie steht, während ich immer mehr den Eindruck bekomme, dass ich nun überflüssig geworden bin und genau das macht mich gerade so wütend. Um daher endlich mal klare Antworten zu erhalten, spreche ich ihn plötzlich direkt darauf an: „Willst du mir etwa damit sagen, dass für mich dabei kein Platz mehr ist?!“ Zornig funkle ich ihn nun, während sich dabei ein wildes Schnauben aus meiner Kehle bahnt. Ich warte nur darauf, dass er mir meine Vermutung, welche sich bereits tief in mir verankert hat, bestätigt, aber dann werde ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich werde ihn dann wie eine wilde Hyäne anspringen und ihn auf meine Weise vom Gegenteil überzeugen. Erschrocken auf meiner Frage und meine Reaktion, schüttelt er aber heftig den Kopf. „Nein … ich … das verstehst du völlig falsch! Was ich sagen will, ist, dass ihr Leben nun mal jetzt neu aufgeteilt ist. Mit dem muss sie jetzt erst einmal selbst zurechtkommen und wer weiß, was sich bei ihr noch ändern wird. Die Kleine hat es momentan nicht leicht und muss sich wahrscheinlich erst einmal selbst darin zurechtfinden. Wer weiß, was bei ihr sonst noch auf dem Tagesprogramm steht.“, versucht er sich herauszureden. Je länger ich aber dem Witzbold zuhöre, desto mehr dämmert es mir langsam, dass hinter seinem Gefasel noch mehr dahinterstecken könnte. Denn was ist, wenn Mikey und die anderen beiden schon darüber diskutiert haben, wie es mit Bernadette und mit mir weitergehen würde? Glauben die tatsächlich, dass sie mich verlassen wird, dass sie durch die neue Schule nicht nur eine neue Freundin, sondern vielleicht sogar einen neuen Typen anschleppen wird?! Allein der Gedanke daran, von meinem Engel womöglich abserviert zu werden, lässt das Blut in mir kochen. Allein Leo hat mich schon mal darauf angesprochen, dass das passieren könnte. Das nun aber aus Mund von Mikey zu hören, macht mich einfach nur rasend, weswegen ich ihn diesbezüglich anschnauze: „Bist du jetzt etwa genauso wie Leo der Meinung, dass Bernadette mich eines Tages verlassen wird?! Bin ich etwa nicht gut genug für sie?!“ „Hey, jetzt hör mir doch mal zu und leg mir nicht irgendwelche Worte in den Mund! So habe ich das doch gar nicht gesagt!“, verteidigt er sich, doch ich habe ihn bereits durchschaut. Mir kann er nichts vormachen. Er und meine anderen beiden Brüder haben mit Sicherheit bereits darüber diskutiert, weswegen ich mich auch nicht auf irgendetwas anderes einlasse: „Aber du hast es so gemeint! … Jetzt fällt mir schon der nächste Bruder in den Rücken!“ Ich fasse es einfach nicht, was ich mir da anhören lassen muss. Erst der Zoff mit Leo, dann Bernadettes Abweisung und dann auch noch der Möchtegernscherzkeks, der mit dieser Story um die Ecke kommt! Ich habe es einfach so satt! Ohne Mikey die Chance zu geben, es mir zu erklären, drücke ich mich nun knurrend von der Mauer und auch von ihm weg. Bevor ich allerdings loslaufe, sehe ich ihn nur zornig und verachtend an. Vielleicht hätte ich ihn doch eine verpassen sollen, aber ich will einfach nichts mehr hören. Weder von ihm, noch von sonst irgendjemandem, weswegen ich einfach abhaue. Mikey schaut mir nur verdattert hinterher, als ich noch einmal einen Blick zu ihm zurückwerfe. Er versucht es nicht einmal, mich aufzuholen, was mir nur recht ist. Denn seine Ausreden kann er sich sparen! Ich habe ihn schon verstanden und bevor ich mir das noch weiter unter die Nase reiben lassen muss, so verschwinde ich lieber. Wie vom Teufel getrieben, hetze ich durch die Stadt. Von Dach zu Dach springe ich und beschleunige immer weiter mein Tempo, bis ich nur noch meinen schweren Atem und meinen Herzschlag hören kann. Ein Gefühl von Schwermut und Orientierungslosigkeit überkommt mich und ich habe keine Ahnung, wohin es mich verschlägt. Ich laufe einfach darauf los, ohne dabei auf meine Umgebung zu achten. Erst als ich vom nächsten Dach in einer kleinen Gasse herunterspringe, bleibe ich endlich stehen. Erschöpft lasse ich mich bei der Mauer zurückfallen und sinke sogar ein Stück zu Boden. Was hat mich da nur wieder geritten? Diese Nacht ist einfach nur beschissen. Sie hat bereits schon so angefangen und vermutlich wird es munter so weitergehen. Eigentlich wollte ich nur mit meiner Freundin wieder etwas Zeit verbringen und wo bin ich nun? Ich bin allein und das auch noch in irgendeiner Gasse. Rund um mich herum ist nichts als Müll. Es stinkt bestialisch und zu meiner Linken steht noch dazu ein großer Container, der zu meinem Übel prall gefüllt ist. Ich bin zwar schon einiges gewohnt, was widerliche Gerüche betrifft, aber bei diesem Gestank kommt selbst mir alles hoch. Angeekelt rapple ich mich wieder hoch und will gerade die kleine Gasse auf demselben Weg wieder verlassen, aus der ich gerade gekommen bin, als ich plötzlich seltsame Geräusche höre. Es klingt wie das Scheppern einer verbeulten Dose, sowie nach noch etwas Anderem. Bedacht darauf im Schatten zu bleiben, zücke ich meine Sais und nähere mich vorsichtig und leise der Geräuschquelle. Doch dabei bleibt es nicht. Es sind auch Stimmen dabei, wobei eine von einem alten Mann stammt. Als ich schließlich fest an der Mauer gepresst um die Ecke schaue, bemerke ich eine zwielichtige Gestalt. Gehüllt in einem altmodischen, rockigen Outfit, bedroht der Schwachmat den alten Knacker mit Krückstock. Dieser kann sich gerade noch irgendwie davon abstützen, denn so sehr, wie der zittert, könnte man meinen, er kippt gleich aus den Latschen. Wäre aber auch kein Wunder. Immerhin wird ihm gerade eine Waffe auf die Stirn gezielt. Selbst wenn er von diesem Ding nicht abhängig wäre, hätte er wohl kaum genug Kraft, noch rechtzeitig ausweichen und fliehen zu können. Dafür steht der Mistkerl zu nahe. Am liebsten würde ich mich sofort auf ihn stürzen. Das Problem ist nur, dass die beiden direkt unter einer Laterne stehen und auch die nahegelegenen Häuser sind stark beleuchtet. Das heißt, dass ich mich wohl oder übel sehen lassen muss, wenn ich den Mann retten will. Unruhig hadere ich noch auf derselben Stelle und blicke wild um mich. Vielleicht schaffe ich es ja doch ungesehen zu bleiben, nur wie stelle ich das an? Mir bleiben nicht einmal mehr ein paar Sekunden, denn schon stößt dieser feige Wicht den Alten den Stock weg, wodurch dieser zu Boden knallt. Jetzt heißt es handeln! Wenn ich jetzt nichts tue, wird es zu spät sein! Ohne weiter zu überlegen, schleudere ich einen meiner Sais von mir weg. Zielgerichtet wird die Hand des Schützen zur Seite geschlagen und der daraufhin ertönende Schuss geht ins Leere. Die Waffe fällt zu Boden. Geschockt sehen sich beide zunächst nur an, bis aber der Mistkerl zu seiner Pistole hinrennt und nach dieser greifen will. Doch soweit kommt es nicht. Denn schon stehe ich Vorort, packe diesen bei seinem Shirt und hebe ihn knurrend zu mir hoch. „Wage es und ich schwöre dir, du wirst den nächsten Sonnenaufgang nicht mehr erleben!“, fauche ich diesen an. Der Kerl starrt mich mit großen Augen an. War ja klar, dass wieder solch eine Szene kommt, denn wenig später stottert er fragend: „Was … Was bist du?“ „Dein schlimmster Albtraum!“, murmle ich nur und schleudere den Mistkerl von mir weg. Ohne sein Blick von mir zu nehmen, steht er mühselig auf und läuft humpelnd, wie auch schreiend davon. Dabei rufe ich ihm noch hinterher: „Verpiss dich und lass dich nie mehr wieder hier blicken! Wenn ich dich nochmal hier erwischen sollte, wirst du dein blaues Wunder erleben! Also verzieh dich!“ Siegessicher grinse ich. Das habe ich echt gebraucht. Ich spüre förmlich, wie sich ein Teil meiner Wut verflüchtigt hat. Auch wenn ich ihn ruhig länger hätte quälen können. Ein kleines Veilchen hätte den Typen sicherlich nicht geschadet, aber ich glaube, er wird auch so Albträume von mir haben. Ein keckes Auflachen entweicht aus meiner Kehle und ich drehe mich schon um, um wieder zu verschwinden. Doch als ich den alten Mann noch so hilflos auf dem Boden liegen sehe, vergeht mir das Grinsen. Mit verängstigten Augen sieht er mich an und versucht mühevoll und zitternd seinen Gehstock zu erreichen. Doch er ist vor Angst zu sehr gelähmt, als dass er wirklich handeln kann. Vermutlich wartet er darauf, dass ich ihm als Nächstes etwas antue, aber ich gehöre doch zu den Guten. Auch wenn ich anders bin, ich beschütze die Bewohner dieser Stadt. „Warten Sie, ich helfe Ihnen.“, sage ich möglichst ruhig und leise, damit ich ihn nicht noch mehr verängstige, aber das scheint keine Wirkung zu zeigen. Zwar nimmt er seinen Stab entgegen, als ich diesen aufgehoben habe und ihm nun hinreiche, jedoch rutscht er sogleich von mir weg, rappelt sich hoch und humpelt so schnell wie möglich davon. Dabei murmelt er hysterisch immer wieder: „Ein Monster hat mich gerettet. … Ein Monster hat mich gerettet!“ Sprachlos sehe dem alten Mann hinterher. Das bin ich wohl für Menschen. Ich bin für sie nichts weiter als ein Monster. Ein Wesen, welches einfach nicht in ihre Welt passt. Ich seufze, drehe mich schließlich weg und springe bei der nächsten Möglichkeit auf die erste Etage einer Feuerleiter. Ich sollte besser weg von hier. Es reicht schon wenn mich ein Unschuldiger gesehen hat. Zwar muss ich nicht befürchten, dass dem alten Mann Glauben geschenkt wird, aber dennoch braucht das niemand Weiteres zu erfahren. Erstens habe ich keine Lust auf eine weitere Konfrontation mit einem Menschen und zweitens will ich mir für heute nicht schon wieder von Leo etwas anhören müssen. Einmal hat mir gereicht und doch geht mir der Blick von dem Alten nicht mehr aus dem Kopf. Er war erfüllt von Angst. Eigentlich müsste ich schon längst darauf eingestellt und sogar gewohnt sein. Immerhin ist es nicht das erste Mal, dass ein Mensch, sei es Mann oder Frau, sich vor mir und meinen Brüdern fürchtet. Schließlich hat Dad uns immer wieder darüber aufgeklärt und uns eingebläut, dass die Oberwelt nicht einfach ist. Wir sind nicht normal und die Menschen werden uns niemals akzeptieren. Was ist aber mit Bernadette, April und diesem komischen Kerl namens Vern? Sie sind doch auch Menschen und haben kein Problem damit wer und was wir sind. Wieso ist das bei anderen Leuten nur so schwierig? Dabei beschäftigen sich die Menschen doch ständig mit Kreaturen, die anders sind als sie selbst. Wie soll ich mir sonst die ganzen Filme und Videospiele erklären und manchmal sind dabei echt Sachen dabei, bei der ich mich wirklich frage: Was für einen Stoff ziehen die sich rein, damit solch ein Mist rauskommt! Die scheinen solche Sachen echt herbeizuwünschen, aber wehe sie begegnen wirklich einer mutierten Schildkröte, dann verkrümeln sie sich wimmernd in irgendein Loch. Ich verstehe die Menschen nicht und ich verstehe dieses verdammte Leben nicht! Alles ist einfach so kompliziert und wenn ich mal glaube, endlich glücklich zu sein, so macht mir das Schicksal ein Strich durch die Rechnung! Wie soll es nun zwischen mir und meinem Engel weitergehen? Was wird sich sonst noch ändern? Es steht jetzt schon ziemlich alles auf dem Kopf und dabei scheine ich von uns beiden der Einzige zu sein, der es mitbekommt und meine Familie ist mir auch keine große Hilfe. Im Gegenteil: Bei ihnen habe ich ständig das Gefühl, als wenn sie zwischen mir und Bernadette keine Zukunft sehen würden. Als wäre unsere Beziehung sogar nur eine Art „Phase“ und dann geht jeder wieder seiner Wege. Bei Leo wusste ich das ja von Anfang an. Es war sogar offensichtlich. Er machte sich nicht einmal wirklich die Mühe, um es zu verbergen. Der konnte sich ja schwer damit abfinden, dass ich einen Menschen als Partnerin gefunden habe, aber nun zweifeln auch Donnie und Mikey an uns. Gerade bei den beiden hätte ich gedacht, dass sie mir den Rücken stärken würden, aber sowohl Mikey wie auch Donnie scheinen dieselbe Meinung zu teilen wie unser Anführer. Und was ist, wenn mein Engel mich wirklich eines Tages verlassen sollte? Was ist, wenn wir uns auseinanderleben? Was ist, wenn sie auf ihrer neuen High School jemanden kennenlernt, bei dem es einfacher ist? Ich weiß, dass ich mit ihr niemals Dinge machen und unternehmen kann, wie es normale Pärchen tun? Ich kann nicht einmal mit ihr ins Kino gehen? Ich könnte mich zwar verkleiden, aber dennoch würde ich in der Masse auffallen. Allein meine Größe würde aus der Menge herausstechen. Irgendwie komme ich mir beinahe so vor wie damals, an dem ich zum ersten Mal meine Gefühle bewusst zu Bernadette entdeckt hatte. Auch an dieser Nacht kamen mir Zweifel auf. Besonders weil wir damals nur befreundet waren und jetzt sind wir zusammen – jedenfalls noch. Doch so, wie die Lage jetzt aussieht, könnte man meinen, dass unsere Beziehung auf der Kippe steht. Ob sie das auch so sieht? Nein, das kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. Sonst hätte sie heute anders reagiert, oder nicht? Oh Mann, ich weiß es nicht! Diese ganze Beziehungssache, diese Veränderungen, sie bringen nichts als nur Ärger! Knurrend schleudere ich bei der nächstbesten Möglichkeit eine alte Dose, oder etwas Anderes von mir, damit ich diesen Frust irgendwie besänftigen kann. Oh Gott, wie sehr ich mir nach einer Prügelei sehne. Hätte ich doch nur gegen Mikey gekämpft, oder diesen Spinner zusammengefaltet. Ich muss irgendwie Dampf ablassen, sonst explodiere ich noch. Vielleicht habe ich doch ein bisschen Glück. Schließlich bin ich ja in New York, in der Stadt, die niemals schläft und für heute wäre der Abend so und so für mich gelaufen. Nur ein kleines Training könnte es für mich etwas erträglicher machen. Fest entschlossen, mich nach einer Beschäftigung umzusehen, nehme ich meine Beine in die Hand und durchstreife die Dächer. Ich brauche nicht einmal lange zu suchen, schon bemerke ich die nächsten Übeltäter, die gerade eben in ein Juweliergeschäft einbrechen wollen. Doch nicht mit mir. Die können sich schon mal warm anziehen, denn das werden sie mit Sicherheit nicht mehr vergessen. Allein die Tatsache, dass ich jemandem zum Verprügeln brauche, spricht bereits für sich. Schon lasse ich meine Finger knacken, ehe ich mich bereitmache und mich an die Fersen dieser Idioten hefte. Die werden den Tag verfluchen, an denen sie es gewagt haben, in diesem Gebäude einzusteigen und zur ihren Pech ist meine Laune total im Keller. Die können von Glück reden, wenn sie noch atmen können. Kapitel 41: Absturz von Wolke 7 ------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Obwohl ich letzte Nacht doch noch so müde, konnte ich nach Raphaels Besuch erst nach einiger Zeit wieder einschlafen. Ich ging sogar zwischendurch ans Fenster und starrte in die Dunkelheit raus, nachdem mich dieses beklemmende Gefühl stärker an sich zog. Als könnte ich erwarten, dass er irgendwo in der Nähe wäre, aber er bereits weg und so ging ich wieder ins Bett. Dass mein Schattenkrieger nicht gerade begeistert darüber war, dass ich unsere gemeinsame Nacht absagt hatte, war ihm buchstäblich vom Gesicht abzulesen. Er war enttäuscht, wo doch noch kurz zuvor ein liebliches Lächeln sein Gesicht zierte, als wir küssten und dann ging er. Was hätte ich aber machen sollen? Hätte ich mich etwa verstellen sollen, nur damit ich die eine oder andere Stunde noch durchalten kann? Das hätte vermutlich nichts gebracht. Ich war einfach schon so müde und schlief sogar beim Lernen ein. Dabei wollte ich eigentlich noch meine Notizen durchgehen und die letzten Formeln widerholen. Jedoch verschwammen vor meinen Augen die Buchstaben, während die Müdigkeit immer mehr an meinen Körper zerrte und meine Lider schwerer wurden. Es war daher wirklich keine Absicht, meinen Freund sozusagen einen „Korb zu geben“. Viel lieber hätte ich meine Zeit mit ihm verbracht, anstatt den Physikstoff durchzupauken, aber das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert und manche Dinge muss man leider etwas vorschieben, bevor man seine Ruhe haben kann. Die Schule ist da keine Ausnahme. Ich hoffe nur, Raphael versteht das, aber nach seinem gestrigen Gesichtsausdruck zu urteilen, zweifle ich etwas daran. Dabei müsste er doch wissen, dass auch mir unsere gemeinsamen Abende wichtig sind. Ich zeige ihm doch immer wieder, wie sehr ich jede Sekunde, die ich gemeinsam mit ihm verbringe, schätze und auch genieße, aber manchmal geht es einfach nicht und das habe ich ja gestern wiedergesehen. Hoffentlich glaubt er jetzt nicht, dass ich ihm eine billige Ausrede aufgetischt habe. Dabei war ich wirklich ausgelaugt und vermutlich wäre ich bei der nächsten Gelegenheit wieder eingeschlafen, hätte ich versucht, noch länger durchzuhalten. Somit hätten weder Raphael noch ich etwas davon gehabt. Zur großen Wahrscheinlichkeit wäre dann die Stimmung mies gewesen und das wollte ich auf gar keinen Fall riskieren. Andererseits, wenn ich es richtig bedenke, war die gestrige Stimmung kurz vor seinem Abgang auch nicht wirklich das Gelbe vom Ei. Nur, was mache ich jetzt? Dass er deswegen vielleicht sauer auf mich ist, kann ich ihm weder verübeln, noch ignorieren. Immerhin ist mir schon aufgefallen, dass wir uns in letzter Zeit immer weniger gesehen haben. Wenn es mal nicht wegen mir und der Schule war, so hatte mein Schattenkrieger seine Gründe, nicht zur normalen Zeit an mein Fenster zu erscheinen und wenn wir uns mal doch trafen, so war es meistens eher kurz. Genauso wie es gestern zum Beispiel der Fall war. Wobei es dieses Mal noch kürzer verlief als sonst. Es war ja schließlich nur eine kurze Begrüßung, eher er wieder das Weite suchte. Im Nachhinein wäre es schön gewesen, wenn wir zumindest miteinander gekuschelt hätten, aber daran habe ich erst dann gedacht, als es bereits zu spät war. Vielleicht sollte ich meinen Liebsten mit etwas überraschen. Damit er weiß, dass ich auch weiterhin an ihm denke, auch wenn es vielleicht vom ersten Blick aus nicht so sehr danach aussieht. Doch womit könnte ich ihm eine Freude machen? Es ist ja nicht so, als wenn Raphael einfach wäre. Er interessiert sich im Gegensatz zu mir eher fürs Kämpfen und davon habe ich nun wirklich keine Ahnung. Mit seinen Techniken ist er mir meilenweit voraus. Da könnte ich nicht einmal ansatzweise mithalten, geschweige etwas finden, was zu ihm passt. Er hat mir zwar vieles erzählt und ich konnte ihn sogar schon mal beim Training zusehen, aber diese Kenntnisse sind meiner Ansicht nach viel zu wenig, als dass man etwas damit anfangen könnte. Nicht einmal seine Geschichten über seine Patrouillen konnten mir da irgendwie weiterhelfen. Es muss mir noch etwas anderes einfallen, nur was? Mit dem rechten Arm meinen Kopf stützend, sehe ich in die Leere, während ich mit meinen Gedanken beschäftigt bin. Doch schon werde ich wieder in die Realität zurückgeholt: „Erde an Bernadette. Bitte kommen Bernadette. … Hallo, irgendjemand Zuhause?“ Cori fuchtelt mit einer Hand vor meinem Gesicht und sieht mich dabei auffordernd an, als könnte sie mich allein durch ihren Blick in das Hier und Jetzt rufen. „Jaja, ich bin eh da.“, antworte ich schnell, erhalte aber von meiner Schulkameradin einen skeptischen Blick: „Wer’s glaubt, wird selig. Sag mal, wo bist du schon wieder mit deinen Gedanken? Ich hoffe mal nicht wegen diesem bescheuerten Test. Der ist nun geschrieben und was liegt, das pickt.“ Lächelnd schüttle ich den Kopf und behaupte einfach, dass es um etwas Anderes gehen würde: „Ach, ich habe nur ein bisschen nachgegrübelt. Es ist nichts weiter und mit diesem Test hat es schon nichts zu tun.“ Während mir meine Freundin so zuhört, grinst Cori auf einmal und stupst mich schließlich leicht in die Seite. „Oh, geht es vielleicht dabei um einen Jungen?“, fragt sie schelmisch und betont dies sogar so sehr, sodass ich kurz aufschrecke. Ich habe sogar das Gefühl, als würde ich in diesem Moment rote Wangen bekommen, was ich auf gar keinen Fall zeigen will. Eigentlich hat sie ja damit den Nagel auf dem Kopf getroffen. Wenn sie wüsste, dass sie mit ihrer Behauptung gar nicht mal so falsch liegt, aber das kann ich doch nicht sagen. Immerhin steht Raphaels Identität auf dem Spiel und ich kann nicht zulassen, dass auch nur eine einzige Person etwas von meinem Liebsten und seiner Familie erfährt. Wenn ich jetzt aber schweige, mache ich mich nur umso verdächtiger und Cori ist keineswegs jemand, welche naiv genug ist, um etwas Verdächtiges zu ignorieren. Dafür ist sie viel zu aufgeweckt und neugierig, weswegen ich mir auf die Schnelle etwas einfallen lassen muss. So schüttle ich abermals den Kopf und suche geschwind nach einer plausiblen Erklärung: „Ach nein. Es geht um meine Familie. Schließlich ist meine Mom noch immer mit dem Flieger unterwegs und von meinen Brüdern habe ich auch schon lange nichts gehört. Manchmal frage ich mich, was sie so treiben.“ Hoffentlich kauft Cori mir das ab. Zwar sieht sie mich kurz noch skeptisch an, zuckt aber dann mit den Schultern und lacht: „Hey, die sind ja nicht alle auf irgendeinen anderen Kontinent und außerdem befinden wird uns zum Glück im Zeitalter des Internets. Vielleicht meldet sich ja demnächst einer von ihnen und notfalls kannst du ihnen auch ´ne Nachricht schicken. … Bevor ich es übrigens vergesse: Sag, hast du vielleicht Lust mit mir und Mia etwas zu unternehmen? Wir würden gerne am Wochenende nach Coney Island fahren. Wir wollen nämlich mit dem Cyclone fahren. Der soll hammermäßig sein, außer du traust dich nicht.“ Bei ihren letzten Worten blinzelt sie mir komisch und neckend zu, als könnte ich so keiner Aufforderung widerstehen. Allerdings bleibe ich still und sehe sie einfach lächelnd an. Denn meistens, wenn sie wie ein freches Kind redet, so kommt stets noch etwas dazu. Ich warte allerdings vergebens darauf, denn Cori will einfach nur eine Antwort von mir hören. Eigentlich klingt ihre Idee sogar cool und ich könnte nach langer Zeit endlich wieder etwas Verrücktes mit Freunden unternehmen, was sogar außerhalb der Schule passiert. Irgendwie reizt mich der Gedanke. Allerdings hatte ich mir schon etwas anderes für das Wochenende überlegt. Schließlich habe ich die Jungs schon eine Weile nicht mehr gesehen und besonders mit Raphael will ich verstärkt etwas unternehmen. Schließlich haben wir uns ja in letzter Zeit kaum gesehen. Gerade wegen der Sache von gestern ist mir das ein Anliegen geworden und das möchte ich einfach nicht ignorieren. Andererseits war ich schon lange nicht mehr in Coney Island. Das letzte Mal war ich als Kind dort und das ist auch schon wieder ein paar Jahre her. Vermutlich ist seitdem schon einiges verändert worden und es wäre einfach interessant zu wissen, was es für „neue“ Attraktionen es dort zu entdecken gibt. Irgendwie erwacht da „das innere Kind“ in mir, welches einfach nur Spaß haben möchte. Trotzdem geht mir Raphael nicht einfach aus dem Kopf und bevor ich mich, wie aus dem Nichts, einfach so entscheide, wäre es da vielleicht besser, wenn ich mir das nochmal durch den Kopf gehen lasse. Vielleicht wäre es sogar besser, wenn ich diesen Ausflug sogar auf das Wochenende darauf verschiebe. Allein schon die Tatsache, dass dann nicht mehr so viel zum Lernen ist, spricht dafür. „Ich weiß noch nicht, eigentlich wollte ich dieses Wochenende mal chillen. Das war ja wegen diesem Test kaum möglich.“, behaupte ich nun, aber Cori lässt sich nicht so einfach abspeisen: „Ach komm schon Bernadette. Chillen kannst du auch ein anderes Mal. Da ist es doch lustiger etwas mit Freunden zu unternehmen und die Sommerferien sind ja auch bald da. Da hast du genug Zeit auf der faulen Haut liegen, außer ich zerre dich mal aus dem Haus. Das Leben ist viel zu kurz, um alleine die Stunden zu verbringen. … Ich verspreche dir, es wird auf jeden Fall lustig werden. Also sag schon ja.“ Während mich die Blondine dabei so bittet, spricht sie am Ende sogar wie ein Kind, welches unbedingt etwas Bestimmtes haben möchte. Ob ihr das sogar bewusst ist? Eines weiß ich garantiert und zwar, Cori ganz schön aufdringlich sein kann und dabei macht sie das mit einer Art, die gar nicht einmal so nervig und oder zwingend wirkt. Viel mehr wirkt es motivierend und auffordernd, als wolle sie mich einfach in ein Abenteuer ziehen, damit ich auch mal etwas anderes erlebe und das nicht nur hier so. Seitdem ich bei ihr im Literaturclub bin, habe ich einfach viel mehr Spaß. Irgendwie genieße ich jetzt mein Leben mehr als zuvor und da sind Cori und Mia nicht ganz unschuldig. Dennoch möchte ich Raphael nicht schon wieder hängen lassen. Ich vermisse seine Nähe, unsere Ausflüge und einfach die gemeinsame Zeit, die ich wegen den verlorenen Nächten unbedingt wieder nachholen will. Irgendwie ist es nicht einfach, sich zu entscheiden, weswegen ich meine Freundin einfach darum bitte, dass ich mir das noch überlegen kann: „Leider kann ich dir noch nichts Fixes sagen. Ich gebe dir aber noch rechtzeitig Bescheid, ok?“ Das ist wohl nicht die Antwort gewesen, welche sich Cori erhofft hat, aber anstatt mir Enttäuschung oder irgendetwas Dergleichen zu zeigen, gibt sie sich damit zufrieden und nickt verstehend. Das ist wieder etwas, was ich an ihr mag. Sie versucht mich zwar zu neuen Dingen zu motivieren, aber wenn ich ihr zeige, dass ich das aus bestimmten Grund nicht will, dann bedrängt sie mich nicht und zwingt mich auch nicht, dies zu tun, was sie unbedingt will. Nachdem Cori und ich das Thema gewechselt haben, hat sich Mia auch noch zu uns gesellt. Auch sie hat nun den Test hinter sich gebracht, sieht allerdings nicht wirklich glücklich aus. Vielleicht liegt es aber nur daran, dass sie erschöpft ist. Mir geht es nicht viel anders. Der war ja auch alles andere als einfach, aber es ist geschafft und nun müssen wir drei auch noch den Rest des Tages hinter uns bringen. Meine Konzentration habe ich allerdings bereits für diesen Test verbraucht, weswegen mir die nächsten Stunden eher egal sind. Ich bin somit nur körperlich anwesend und versuche so zu tun, als würde ich mehr oder weniger am Unterricht teilnehmen. In Gedanken dagegen suche ich nach einer Möglichkeit, meinem Liebsten eine kleine Freude zu machen. Noch heute würde ich dies gerne tun, weswegen verschiedene Ideen in meinem Kopf umherkreisen. Schließlich kommt mir doch noch die entzündende Idee und ich freue mich schon darauf, dies in die Tat umzusetzen. Kaum, dass ich nach dem Unterricht schließlich nach Hause eintreffe, setze ich mich sofort an meinen Schreibtisch und beginne ein kleines Gedicht zu verfassen. Normalerweise machen das eigentlich eher die Männer, um die Frauen zu imponieren und sie für sich zu gewinnen, aber da Raphael und ich so und so kein „normales“ Pärchen sind, ist diese „Tatsache“ wieder überflüssig. Außerdem leben wir hier im 21. Jahrhundert. Da muss man es nicht so machen, wie es früher mal war und wie heißt es so schön: Selbst ist die Frau. Im Grunde ist hier auch ein kleiner Hintergedanke dabei. Denn selbst wenn Raphael nicht viel von literarischen Texten hält, so kann ich ihn ein wenig in meine Welt ziehen. Vielleicht versteht er es dann besser. Selbst wenn nicht, so soll er sich daran erfreuen und spüren, dass er mir sehr wichtig ist und dass ich immer an ihn denke. Da ist es mir sogar egal, sollte mein Gedicht etwas kitschig rüberkommen. Ein bisschen Kitsch hat noch niemandem geschadet und in der Liebe kann man ihm so oder so nicht ganz entkommen. Seit ich mit meinem Schattenkrieger zusammen bin, habe ich das begriffen und irgendwie stört es mich auch nicht mehr so sehr wie früher. Stattdessen schreibe ich, was das Zeug hält. Als hätten die Phrasen nur darauf gewartet, wandern sie von meinem Gehirn, über die Hand aufs Papier. Es geht beinahe wie von selbst und ich muss nicht einmal viel ausbessern, oder herumprobieren, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden bin. Bin mal gespannt, was mein Schattenkrieger dazu sagt. Vermutlich wird er das nicht erwarten, aber genau das macht die Überraschung umso größer. Ich stelle mir diese Szene sogar bildlich vor, weswegen ich umso mehr die Abenddämmerung sehnlichst erwarte. Meiner Tante habe ich per WhatsApp Bescheid gegeben, dass ich heute wieder unterwegs sein werde. Das heißt, dass ich nun ungestört meine Zeit mit Raphael verbringen kann, ohne dabei ständig vorsichtig sein zu müssen. Das Schöne daran ist, dass sie mir sogar als Rückmeldung viel Spaß gewünscht hat. Sie ist jetzt viel relaxter, was mich betrifft und sie hat sich sehr für mich gefreut, als sie von meinen neunen Freundinnen erfahren hat. Zwar kenne ich Cori und Mia noch nicht so lange, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich diese Freundschaft nicht bereuen werde. Zumindest haben die beiden mir bisher keinen Anlass dazu gegeben und warum sollte ich unnötig zweifeln, wenn es keinen Grund dafür gibt. Ich möchte das einfach nur genießen und solange es so ist, kann und will ich mich nicht beschweren. Draußen dämmert es bereits und bald wird mein Freund kommen und mich abholen. Innerlich freue ich mich schon auf dem Moment, an dem ich ihm das Gedicht überreichen kann. Damit wird er mit Sicherheit nicht rechnen. Doch bis dahin muss ich noch warten, aber das wird sich sicherlich lohnen. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Ich habe mich gerade fertiggemacht, als ich schließlich Raphael kommen höre. Diesmal habe ich das Fenster offengelassen, wodurch er nun einfach hereinklettert und ich mich wenig später in seine Arme wiederfinde. Ein kleiner Kuss dient als Begrüßung. Worte sind nicht einmal notwendig und diesmal möchte ich meine gemeinsame Zeit mit ihm in vollen Maßen genießen. Schon klettert er mit mir wieder nach draußen und weiterer nächtliche Ausflug wartet nur darauf, dass wir zu ihm kommen. Geschickt springt er mit mir von Dach zu Dach, während ich mich wieder an seine Brust schmiege und seine Nähe genießen möchte. Doch dieses besinnliche Gefühl will einfach nicht erwachen und ich habe sogar den Eindruck, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich kann es mir nicht genau erklären, aber mein Instinkt sagt mir, dass heute etwas anders ist, was mich sogar beunruhigt. Normalerweise gibt mir mein Schattenkrieger das Gefühl der Geborgenheit und dass ich mich in seinen Armen einfach fallen lassen kann. Doch diesmal ist es anders. Als würde zwischen uns eine unangenehme Spannung herrschen, die die Nähe einfach nicht zulassen will. Was ist denn hier los? Raphael kommt mir so unruhig vor und auch als ich meinen Blick zu seinem Gesicht hochwende, wird der Eindruck nicht anders. Viel mehr noch, bestätigt sich das, was ich da gerade sehe. Seine Augen wirken bedrückt und müde, als hätte er kaum geschlafen. Hat es denn etwa wieder ein Problem bei ihm zuhause gegeben, oder liegt es doch an mir, dass ich das so empfinde? Gesagt hat er bisher noch nichts, aber wie ich ihn kenne, muss ich ihm das mal wieder aus der Nase ziehen. Als wäre das etwas Neues, aber wenn ich wissen will, was ihn bedrückt, so muss ich wohl selbst ran. Ich möchte aber auf den richtigen Augenblick warten und nicht einfach so mit der Tür ins Haus fallen. Vielleicht erklärt mein Liebster es mir doch von selbst und wartet nur auf die richtige Gelegenheit. Noch ist er damit beschäftigt, das Ziel für den heutigen Abend aufzusuchen. Weswegen ich schweige und es einfach auf mich zukommen lasse. Es dauert eine Weile, bis er schließlich mit mir auf einem Gebäude anhält, dessen Aussicht auf einen kleinen Park hindeutet. Im Gegensatz zum Central Park ist das hier eine Miniversion, aber die Gegend ist hier ruhig und ein angenehmer kühler Wind weht mir um die Nase. Gemütlich setzen wir uns auf dem Rand und lassen die Beine herunterbaumeln. Bis jetzt sind wir beide noch still gewesen und ich frage mich, ob ich vielleicht doch mit meinem kleinen Geschenk beginnen sollte, den ich zusammengefaltet in meiner Jackentasche trage. Allerdings komme ich erst gar nicht dazu. Denn schon fängt er mit einer unangenehm monotonen Stimme ein Gespräch an: „Wie war dein Tag?“ „Naja, die Prüfung war ziemlich schwierig, aber ich glaube, ich dürfte diesen trotzdem bestanden haben. Sonst war es ziemlich normal – Schule eben. Und, wie war’s bei dir?“, entgegne ich ihm, obgleich ich von seiner abwesenden Art verwirrt bin. Ich versuche mir allerdings nichts anmerken zu lassen und warte nun darauf, was mein Freund mir nun zu erzählen hat, aber er zuckt nur mit den Achseln und sagt nichts weiter darauf. Also langsam wird er mir unheimlich. Ob es wohl doch an mir liegt? Vielleicht wäre es besser, wenn ich die Sache wegen gestern Nacht sofort aus der Welt schaffe. Ich werde so und so nicht drum herumkommen und ob sein seltsames Verhalten tatsächlich damit zusammenhängt, wovon ich immer mehr überzeugt bin, wird nicht so einfach von selbst verschwinden. Weswegen ich ihn nun direkt darauf anspreche und versuche, die Sache aus meiner Sicht zu erklären: „Wegen gestern: Ich wollte dir nochmals sagen, dass mir das leidtut. Ich wollte dich wirklich nicht hängen lassen. Ich war einfach zu müde und vermutlich hätte keiner von uns etwas davon gehabt, wenn ich versucht hätte, wachzubleiben.“ „Als wenn das, das einzige Mal gewesen wäre.“, kommt es, anders als von ihm erwartet, kalt und murrend aus seinem Mund. Er hat mich dabei nicht einmal angesehen, sondern stur in eine Richtung geschaut. Verwundert sehe ich ihn an. Hat ihn das etwa doch mehr gekränkt, als was ich zunächst angenommen habe? Nachdenklich wende ich meinen Blick wieder von ihm ab. Natürlich tut es mir leid, aber trotzdem kann ich nicht verstehen, warum er trotzdem so komisch ist. Mir ist schon klar, dass es in letzter Zeit nicht so einfach war. Wir haben uns kaum gesehen und das von gestern war zugegeben nicht „die feine Art“, aber das ist doch trotzdem wirklich kein Grund zu schmollen. Es ist ja nicht so, als würde ich nicht an ihn denken, wenn wir mal nicht beieinander sind. Ob er das nun wirklich von mir glaubt? Ich seufze kurz und versuche anstatt weiter darüber nachzugrübeln, die Stimmung wieder etwas zu heben: „Hör mal, können wir das nicht einfach hinter uns lassen und versuchen das Beste daraus zu machen? Es ist doch so ein schöner Abend.“ Hoffend darauf, dass er das genauso sieht, werde ich aber vom Gegenteil überrascht. Er sieht mich auf einmal wütend an und fragt mich angepisst: „Die Sache also einfach unter dem Teppich kehren, als wenn nie etwas gewesen wäre und dann geht der ganze Zirkus munter so weiter, oder wie stellst du dir das vor?“ Von seiner Reaktion kurz geschockt, weiten sich meine Augen. Ich habe alles Mögliche erwartet, dass Raphael nun aber so reagiert, hätte ich nicht gedacht. Allerdings heißt das nicht, dass ich das auf mir sitzen lasse, weswegen ich mich nun verteidige: „Glaubst du etwa, mir gefällt es, dass wir uns in letzter Zeit kaum gesehen haben? Ich wollte doch auch immer bei dir sein, aber es ging nun mal nicht. Ich musste mich erst einmal in meiner neuen Schule zurechtfinden, oder glaubst du wirklich, dass das so einfach ist? Es braucht nun mal etwas Zeit …“ Ich will eigentlich noch weiterreden und ihm erklären, wie es wirklich ist, aber Raphael unterbricht mich empört und wird dabei sogar laut: „Zeit?! Wie viel Zeit brauchst du denn noch?! Soll ich denn weiterhin in der Dunkelheit schmoren, damit du so einfach dein neues Leben mit deinen neuen Freunden genießen kannst, bis du dich mal kurz an mich erinnerst?!“ Ich kann nicht fassen, was er da behauptet. Wie kommt er nur auf solch einen Schwachsinn?! Ich denke doch immer an ihn? Um an etwas Stärke für meine Stimme zu gewinnen, stehe ich mit einem Ruck von meinem Platz auf und schnauze ihn an: „Das ist nicht fair Raphael! Du weißt ganz genau, wie es mir auf der alten Schule ergangen ist und dass ich nicht so einfach Vertrauen zu neuen Leuten aufbauen kann! Ich kann außerdem nichts dafür, dass wir uns nur zu bestimmten Zeiten sehen können.“ „Ach, stört es dich auf einmal, dass ich ein Mutant bin und dass ich mich nur bei Nacht bei dir blicken lassen kann?!“, fragt er mich wütend, während er mich so vorwurfsvoll ansieht, als hätte ich das schlimmste Verbrechen auf Erden begannen. Dabei steht er ebenfalls auf und ist mir so nahe. Doch diese Nähe hat nichts mehr mit Geborgenheit, geschweige mit Romantik zu tun. Vielmehr ist sie kalt, beängstigend und sogar bedrohlich. Niemals hätte ich gedacht, dass es heute zu einem Streit zwischen uns kommen könnte. Dabei habe ich mir den Abend vollkommen anders vorgestellt. Ich wollte mit Raphael eine romantische Zeit genießen, doch davon sind wir meilenweit entfernt. Nein, ich möchte mich nicht mit ihm streiten. Da muss es doch eine Lösung dafür geben. Tief amte ich durch und versuche mit einer möglichst ruhigen Stimme die Situation irgendwie zu wieder kitten: „Das habe ich doch gar nicht gesagt. Es ist nun mal nicht so wie bei normalen Pärchen und das habe ich von Anfang an gewusst, du etwa nicht? Was ist nur los mit dir?“ Behutsam will ich ihm am Arm berühren und ihm zeigen, dass ich mich mit ihn nicht länger streiten will, aber er reißt diesen sofort zurück und keift mich sogleich an: „Was los mit mir ist?! Was ist eigentlich mit dir los?! Merkst du gar nicht, wie sehr wir uns schon voneinander entfernt haben?! Anscheinend ist dir unsere Beziehung völlig egal! Leo, sie alle haben vermutlich Recht: Ein Mensch und ein Mutant können nicht zusammen sein! Zumindest nicht so!“ „Was redest du da und was hat das jetzt mit deiner Familie zu tun?! Was soll das überhaupt?! Die Sache geht doch nur dich und mich etwas an und seit wann schert es dich, was deine Brüder davon halten?!“, schreie ich zurück und starre ihn verwirrt an. Ich fühle mich völlig überfordert. Dass unsere Beziehung jetzt nicht mehr so rosig ist wie am Anfang, war mir schon vorher klar. Dass es aber so ausartet, hätte ich nie gedacht. Er schreit mich einfach an, ohne mit mir vorher in Ruhe über die Probleme geredet zu haben. Warum hat er das nicht schon vorher oder zumindest gestern mit mir geklärt, anstatt seine Wut so lange anstauen zu lassen. Noch dazu gibt er mir für alles Schuld, doch er ist auch kein Unschuldslamm, was ich ihm nun an den Kopf werfe: „Und außerdem Freundchen hast du dich auch oft nicht bei mir blicken lassen, wenn ich mal Zeit hatte! Wie oft habe ich schon auf dich warten müssen und du bist nicht gekommen. Ich habe mich aber nie beschwert, weil ich genau gewusst habe, dass du auf Patrouille bist und dass das einfach ein Teil von deinem Leben ist! Also hör auf, mir den schwarzen Peter zuzuschieben!“ „Niemals hätte ich gedacht, dass eine Beziehung so schwer sein könnte. Ich habe alles für dich getan, doch du lässt mich einfach im Stich!“, wirft er mir vor und nun reicht es mir endgültig. Ich sehe nur noch rot. „Wenn du wirklich so von mir denkst, dann sollten wir es vielleicht besser sein lassen!“, brülle ich zurück, ohne dass ich auch nur eine Sekunde gezögert hätte. Ich bin einfach nur noch wütend auf ihn und ich denke auch gar nicht mehr daran, mich zu beruhigen, während ich ihm aufgebracht in die Augen blicke. Doch was ich dafür bekomme, erschüttert mich im nächsten Augenblick. Raphael sieht mich nun sprachlos an. Als wäre gerade sein Herz in tausend Stücke zersprungen und erst jetzt realisiere ich, was da gerade eben gesagt habe. Doch nun ist es zu spät und genau das zeigt mir seine Mimik. Schließlich verfinstert sich Raphaels Blick. Ich warte nur noch darauf, dass er etwas erwidert. Jedoch bleibt sein Mund geschlossen. Stattdessen ballt er seine Hände zu Fäusten, dreht sich mit einem Schwung von mir weg und läuft schnaufend los. Mich dagegen hat nun die Panik gepackt. „Raphael! Warte!“, flehe ich ihn, damit er stehen bleibt, aber er ist schon so weit weg. Ich weiß nicht einmal, ob er mich noch gehört hat. Er ist einfach auf und davon und so stehe ich allein auf dem Dach und sehe verzweifelt meinen Liebsten hinterher, bis er nun endgültig in den nächsten Gebäuden verschwunden ist. Was habe ich nur getan? Ich habe das doch so nicht gemeint. Es ist mir einfach so rausgerutscht. Ich war so wütend, sodass ich nicht wusste, was ich da sagte. Niemals wollte ich ihn verletzen, oder gar unsere Beziehung beenden. Ich liebe ihn doch und nun ist es zu spät. Die ersten Tränen kullern mir über die Wangen und ich wische sie mir sofort weg. Nein, so schnell gebe ich nicht auf. Das will ich einfach nicht! Schon zücke ich das schwarze handyähnliche Teil aus meiner Jackentasche und versuche ihn zu erreichen. Ich muss ihm erklären, dass ich das nicht so gemeint habe und dass ich unsere Beziehung nicht einfach so aufgeben will. Jedoch geht er nicht ran. Er drückt mich sogar weg. Egal wie oft ich es versuche, ich komme nicht zu ihm durch. Ich spreche sogar auf seine Mailbox und schreibe ihm zusätzlich noch eine Nachricht. Vielleicht erreicht ihn das, aber momentan bin ich einfach nur zu aufgewühlt, als dass ich wirklich klar denken kann. Ungeduldig gehe ich sogar auf dem Dach auf und ab. Immer wieder sehe ich auf den Bildschirm und warte auf eine Reaktion. Jeder Moment kommt mir dabei wie eine Ewigkeit vor und ich werde immer unruhiger. Doch als nach einer halben Stunde immer noch keine Antwort von ihm kommt, versuche ich es ein weiteres Mal. Doch wieder kann ich nur die Mailbox erwischen. Mehrere SMS schreibe ich ihm und versuche mich für mein Verhalten zu entschuldigen, aber es nützt alles nichts. Raphael ist einfach weg und ich stehe hier alleine da. Was mache ich nur? Ich wollte doch nicht, dass es soweit kommt und nun stehe ich inmitten im Scherbenmeer. Weitere Tränen kommen zum Vorschein und diesmal kann ich sie nicht mehr unterdrücken. Kapitel 42: Im Stich gelassen ----------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Es ist einfach nur zum Verzweifeln und so sehr ich auch dagegen ankämpfen will, meine Tränen bahnen sich ins Freie. Sie tropfen sogar auf mein Handy, welches ich noch immer in der Hand halte. Ständig starre ich auf dem Bildschirm und wische die salzigen Wassertropfen zur Seite. „Bitte Raphael, melde dich doch.“, murmle ich, während mein Blick weiterhin auf das schwarze Ding gerichtet bleibt. In stiller Hoffnung, dass Raphael doch wieder zur Besinnung kommt und umkehrt, warte ich eine weitere Stunde. Jedoch zeigt er sich nicht. Mit jeder Minute, die verstreicht und die ich hier verharre, wird mein Herz schwerer. Wie konnte es überhaupt soweit kommen? Immer wieder stelle ich mir diese Frage, erhalte aber doch keine passende Antwort. Denn selbst jede noch so kleine Möglichkeit, die dies erklären könnte, verläuft im Sande. In letzter Zeit haben wir uns nicht einmal gestritten. Es hat keine gröbere Meinungsverschiedenheit, oder sonst irgendetwas dergleichen gegeben. Das Einzige, was war, ist, dass wir oft voneinander getrennt waren, während sich mein alltägliches Leben endlich mal langsam zum Guten gewendet hat. Muss aber deswegen meine Beziehung zu Raphael darunter leiden? Kann ich denn nicht beides haben, meinen Schattenkrieger und ein halbwegs angenehmes Leben am Tag? Ich verstehe das einfach nicht. Ich habe gedacht, dass wir beide eigentlich glücklich sind und dass wir diese „Phase“ gemeinsam hinter uns bringen können. Doch nun bin ich allein und ich habe Dinge gesagt, die ich am liebsten wieder rückgängig machen möchte. Raphael ist nun nicht nur gekränkt, was unsere magere Zweisamkeit angeht, jetzt ist auch noch unsere Beziehung Geschichte. Mit gesenktem Kopf beschließe ich schließlich, alleine nach Hause zurückzukehren. Es hat anscheinend keinen Sinn, wenn ich noch länger hierbleibe. So sehr ich auch daran festhalten will, Raphael wird nicht zu mir zurückkommen. Allein dieser Gedanke ist ein Stich ins Herz. Nur was soll ich tun? Er reagiert auf nichts und ich kann auch nicht ewig hier oben bleiben. Vielleicht ist es besser, wenn ich einfach nach Hause gehe. Es wird zwar eine ordentliche Strecke auf mich zukommen, aber etwas anderes kann ich nun mal nicht tun. Mit schweren Herzen such ich nach einer Möglichkeit, um nach unten zu gelangen. Als ich mich aber auf dem Dach umsehe, muss ich mit Schrecken feststellen, dass dies wohl schwieriger sein dürfte, als zunächst gedacht. Abgesehen davon, dass ich mich hier überhaupt nicht auskenne, ist zwischen diesem Gebäude und dem Nächsten ein weiter Spalt. Es gibt auch nur eine Feuertreppe, welche direkt in einer engen Gasse führt. Jedoch sieht dieses Gerüst keineswegs sicher aus. Allein der starke Rost auf dem Metall lässt für sich sprechen, dass man sich schon lange nicht darum gekümmert hat. Unsicher kaue ich auf meiner Unterlippe. Was soll ich jetzt machen? Ich kann doch hier nicht versauern, aber ich kann da auch nicht runterklettern. Ich habe zwar keine Höhenangst, ich habe aber dennoch keine Lust mir das Genick zu brechen, nur weil das Gerüst der reinste Schrott ist. Ich bin hin- und hergerissen und laufe noch einmal das gesamte Dach ab. Nur um festzustellen, dass es nur eine einzige sichtbare Möglichkeit gibt, um von hier runterzukommen. Wieso musste er mich ausgerechnet dort absetzen, von wo ich so gut wie gar nicht wegkomme?! Am liebsten hätte ich das Handy noch einmal ergriffen, ihn angerufen und gefragt, wie er sich das bitte vorstellt. Allerdings kann ich mir das getrost abschminken. Nicht nur, dass der feine Herr sowieso nicht rangehen wird, er wird heute Nacht nicht mehr zurückkommen. Ich bin vollkommen auf mich allein gestellt. Was ist aber mit Donnie, Mikey, oder Leo? Einer von ihnen könnte mich abholen! Das ist die Idee, wieso ist mir das nicht schon viel früher eingefallen?! Schon zücke ich hastig das schwarze Gerät aus meiner Tasche und will eine der Nummern wählen, aber dann kommen mir Raphaels Worte wieder in den Sinn: „… Leo, sie alle haben vermutlich Recht: Ein Mensch und ein Mutant können nicht zusammen sein. Zumindest nicht so!“ Mitten in der Bewegung habe ich innegehalten, während ich nun stumm in die Leere starre. Nein, das tue ich jetzt gewiss nicht! Auf gar keinen Fall werde ich einen von ihnen anrufen! Ich weiß zwar nicht, was sie ihrem Bruder eingeredet haben, aber ich werde mit Sicherheit nicht auf ihre Hilfe warten. Unsere Beziehung geht denen nichts an und doch müssen sie Raphael irgendwelche Flausen in den Kopf gesetzt haben! Sonst hätte er niemals etwas in diese Richtung gesagt. Nur warum? Ich verstehe mich doch gut mit ihnen. Selbst mit Leo klappt es jetzt besser und seit wann sind die anderen beiden auch dagegen? Ich dachte, dass zumindest Donnie und Mikey hinter uns stehen würden. Kein einziges Mal habe ich den Eindruck gehabt, dass sie zwischen mir und Raphael ein Problem sehen würden. Warum also jetzt? Ich bin verwirrt, wütend und ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht! Alles scheint irgendwie drunter und drüber zu gehen. Ich habe einfach genug! Für heute und für die nächste Zeit soll mir keiner von ihnen in die Quere kommen! So viel ist sicher! Was mache ich aber jetzt? Mir bleibt wohl wirklich nichts Anderes übrig, als diese waghalsige Kletterei zu wagen. Ich schlucke, während ich das Handy wieder zurückstecke. Vorsichtig greife ich nach der Halterung der ersten Leiter. „Bitte lieber Gott lass mich für heute zumindest das hier heil überstehen.“, flehe ich und sehe sogar kurz nach oben. Ob es den nun gibt, interessiert mich keineswegs. Ich weiß nur, dass ich irgendwie heil von diesem Dach herunterkommen will und da ist mir jede noch so kleine Hilfe recht. Selbst wenn es sich dabei um etwas Übernatürlichen handelt, was man nicht mit dem Verstand erklären kann. Langsam steige ich auf die erste Sprosse. Ein Knarren ist zu hören. Ich kann nur hoffen, dass dieses Ding zumindest solange hält, bis ich unten angekommen bin. Dieses Geräusch ist nicht gerade sehr einladen, geschweige ermutigend, aber ich muss weiter. Noch einmal tief durchatmend wage ich die nächsten Schritte. Jedes darauffolgende Geräusch lässt mich aufschrecken. Es gibt keine Garantie dafür, dass das Ganze nicht doch zusammenkracht, während ich hier noch „herumklettere“. Allerdings ist bis jetzt noch nichts passiert, aber das ist nur ein kleiner Trost. Ich bleibe weiterhin angespannt und das ändert sich erst, als ich bei der letzten Leiter angelangt bin. Das Ende ist nicht mehr weit. Bald habe ich es geschafft und ich feiere das schon innerlich, als ich plötzlich wieder etwas höre. Dieses letzte Knarren verheißt diesmal nichts Gutes. Es klingt viel lauter und bedrohlicher. Als wolle es mich daran erinnern, dass ich das noch lange nicht ausgestanden habe und dass ich mich zu früh gefreut habe. Wieso werde ich so sehr damit gestraft? Reicht es denn nicht, dass ich mich bereits beschissen fühle? Die Antwort darauf ist „Nein“ und als wenn ich es vorhin vorausgesehen hätte, passiert schon das nächste Unglück. Wie auf Kommando knarrt es ein weiteres Mal. Das Geräusch wird lauter und ehe ich mich versehe, zerbricht das Stück Metall über meinem Kopf. Ich verliere den Halt und falle in die Tiefe. Ich schreie, als könnte mir das helfen, verstumme aber sofort, als ich auf einem Berg mit Müllsäcken lande und beinahe von diesen Dingern vergraben werde. Mein Sturz wurde von diesem Haufen abgebremst und ich kann von Glück reden, dass ich noch lebe. Mühselig befreie ich mich davon. Wohin ich auch meinen Kopf wende, es stinkt, aber wenigstens handelt es sich hierbei nicht um Biomüll. Das hätte vermutlich noch mehr gestunken und mich sogar zum Würgen gebracht. Meine Freude hält sich aber in Grenzen, denn diesen Sturz habe ich nicht ohne Verletzungen überstanden. Mein rechter Knöchel tut weh, aber das nichts im Vergleich zu dem stechenden Schmerz bei meiner linken Hand. Ein großer Schnitt ziert die Innenfläche und etwas Blut bahnt sich seinen Weg ins Freie. Es brennt höllisch und ich verziehe dabei mein Gesicht. Bei jeder Bewegung, die ich mache, schmerzt es mehr. Damit aber nicht noch mehr Blut meinen Körper verlässt, versuche ich mit Hilfe meiner heilen Hand und meinen Zähnen ein Stück von meinem Shirt abzureißen. Nur mühselig gelingt es mir und dabei sieht das im Fernsehen immer so leicht aus. Wie machen die das, dass das bei denen so schnell geht, oder liegt es vielleicht doch an dem Stoff? Es kann aber genauso sein, dass ich mich momentan ungeschickt anstelle, aber kann man dabei etwas anderes erwarten? Ich bin gerade gestürzt und habe momentan nicht wirklich viel Geduld, während ich mir einen provisorischen Verband herstelle. Meine Finger zittern immer noch, während mein Puls sich aufgeregt zu Wort meldet. Nach einer gefühlten Ewigkeit halte ich schließlich einen langen Streifen in meiner Hand und wickle mir das Stück Stoff über die Wunde. Allerdings muss ich bei jedem weiteren Stich, den ich dabei spüre, zusammenzucken. Es tut einfach höllisch weh, aber zumindest ist die Hand nun gut eingewickelt und ich kann endlich von hier verschwinden. Nur mit Mühe und mit weiteren Schmerzen kann ich nach einer Weile von den Plastiksäcken herunterklettern und diese Gasse humpelnd verlassen. Jeden Schritt, den ich mache, ist die Hölle und ich muss sogar einige Male stehen bleiben, damit ich mich bei der nächsten Wand, die sich mir gerade bietet, ein wenig ausruhen kann. Diese Nacht ist echt zum Vergessen und ich wünschte mir, es wäre niemals soweit gekommen. Weitere Tränen kullern mir nacheinander an den Wangen herunter. Ich fühle mich, als würde ich inmitten eines Albtraumes feststecken. Doch leider ist dies die bittere Realität. Ich bin hier, irgendwo im New York und habe keine Ahnung, wo es mich verschlagen hat. Nichts kommt mir hier irgendwie bekannt vor. Ich bin noch nie in dieser Gegend gewesen und nun muss ich zusehen, dass ich irgendwie wieder von hier wegkomme. Raphael hat mich einfach hier sitzen lassen. Er ist weg und ich habe keine Ahnung, wie ich nach Hause kommen soll. Würde es jetzt auch noch wie aus Eimern schütten, so wäre das die Krönung des heutigen Abends. Doch anscheinend bleibt mir zumindest das erspart. Ich sehe zum Himmel empor. Es ist eine klare Nacht, eine Nacht, in der ich eigentlich eine romantische Zeit mit Raphael verbringen wollte. Doch stattdessen bin ich mutterseelenallein und irre umher, während ich einen Weg nach Hause suche. Hätte ich doch auch mein Smartphone mitgenommen. Dann könnte ich wenigstens ins Internet gehen und eine Karte öffnen. Doch das schwarze Handy, was ich dafür eingesteckt habe, hilft mir momentan überhaupt nicht. Donnie hat mir eine ältere Version von seinen Kreationen gegeben, weswegen ich nicht auf den heutigen Standard bauen kann. Mit dem blöden Ding kann ich nur jemanden anrufen, oder eine Textnachricht verschicken. Das Einzige, was es noch hat, ist eine GPS-Funktion, mit der ich geortet werden kann, aber das ist scheinbar auch nur der erste Versuch. Es ist einfach zum Verzweifeln und ich würde am liebsten schreien! Jedoch bringt mir das nichts und ich will einfach nur noch nach Hause, egal wie lange ich dafür brauchen werde. Sauer auf die ganze Welt versuche ich leicht humpelnd den bestmöglichen Weg zu finden. Doch ich muss erst einmal wissen, wo ich mich überhaupt befinde und da ich ja kein Internet zur Verfügung habe, muss ich es auf altmodische Art herausfinden. Dafür quäle ich mich die nächsten Treppen zur nahegelegenen U-Bahnstation hinunter, die ich glücklicherweise entdeckt habe. Normalerweise befindet sich dort immer eine Karte an der Wand, was auch diesmal der Fall ist. Lieber wäre es mir gewesen, wenn es auch weiter oben eine geben würde. Dann ich hätte mich nicht mit diesem Knöchel nicht so sehr herumplagen müssen, aber vielleicht komme ich mit der U-Bahn ein gutes Stück in Richtung Ziel. Müde und gereizt überfliege ich die gesamte Karte. Dabei stelle ich fest, dass bis zu mir nach Hause noch eine große Strecke vor mir liegt. Na toll, das hat mir gerade noch gefehlt! Hätte Raphael mich vielleicht noch weiter wegbringen können, dann hätte ich eine noch größere Herausforderung. Er hat mich einfach im Nirgendwo im Stich gelassen und nun muss ich selbst zusehen, wie ich von da wieder wegkomme! Das verzeihe ich ihm nicht! Das schwöre ich und wenn er mir nur einmal vor die Augen tritt, dann bekommt er von mir was zu hören, sodass ihm Hören und Sehen vergeht! Schnaubend drehe ich mich nun um und besorge mir beim nächsten Automaten ein Ticket. Zu meinem Glück, wenn man das überhaupt so nennen kann, habe ich immer meine Geldbörse dabei, sobald ich das Haus verlasse. Sonst könnte ich nicht einmal mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Was wäre gewesen, wenn das nicht so wäre? Hätte ich dann etwa dort, wo er mich hängen hat lassen, versauern sollen?! Ich könnte vor Wut noch explodieren! Was hat er sich nur dabei gedacht?! Vermutlich gar nichts, sonst wäre er nicht einfach so abgehauen und hätte mich mit meinem Schicksal allein gelassen! Während ich ungeduldig auf die nächste U-Bahn warte, koche ich immer noch vor Wut. Es ist schon ein Wunder, dass ich nicht bereits explodiert bin, aber vielleicht kommt das noch. Denn dieses Gefühl lässt sich nicht so einfach abschütteln, selbst als ich mich murrend einen Platz in den nächsten Wagon gesucht habe. Ich starre einfach aus dem Fenster und beachte die wenigen Leute nicht, die ebenfalls die U-Bahn nutzen. Was sie machen, ist mir scheißegal, ich will nur meine Ruhe haben und möglichst bald wieder zu Hause sein. Wenn ich doch nur aus Leibeskräften schreien könnte. Mir brennt es förmlich unter den Fingernägeln meine Wut freien Lauf zu lassen, aber hier dürfte das wohl etwas schwierig werden. Auch wenn ich am liebsten alles zunichtemachen würde, was mir gerade in die Quere kommt, habe trotz allem keinen Bock darauf, noch mehr in Schwierigkeiten zu geraten. Meine Verletzungen und damit meine ich nicht nur die körperlichen reichen für heute. Um aber dennoch etwas Dampf ablassen zu können, zücke ich noch einmal das schwarze Handy aus meiner Tasche und schreibe einhändig eine letzte Nachricht an Raphael: « Nur zu deiner Information: Vielen Dank auch, dass du mich auf dem Dach hast hängen lassen! Das werde ich dir NIE vergessen! » Damit klappe ich das Ding wieder zu und verstaue es. Seufzend lehne ich mich zurück und starre wieder aus dem Fenster. Wie konnte er mir nur das antun? Aus Raphaels Sicht: Wie konnte sie nur?! Bei allem, was ich für sie getan habe, wie konnte sie nur die Beziehung beenden? Liebt sie mich etwa nicht mehr? Bin ich ihr schon so egal, dass sie alles über Bord wirft? Ihre Worte, sie schmerzen einfach. Wie in meinen Albträumen ist genau das eingetroffen, vor dem ich mich die ganze Zeit gefürchtet habe. Ungewollt kullert mir eine Träne an der linken Wange herunter, die ich aber sofort wieder wegwische und einfach weiterlaufe. Dass sie versucht hat mich telefonisch zu erreichen, ändert nichts an der Tatsache, dass sie unsere Beziehung beendet hat. Ich will einfach nichts mehr von ihr hören. Den ersten Anruf habe ich sogar wegdrückt, doch schon bald folgten die nächsten Versuche, die ich einfach ignorierte. Ich habe es einfach klingen lassen und bin sogar schon soweit gewesen, das verfluchte Ding von mir zu werfen und zu zerschmettern, aber aus irgendeinem Grund konnte ich es nicht. Stattdessen hetze ich über die Dächer und bei jeder Gelegenheit, die sich mir bietet, zerstöre ich etwas und schlage alles um mich herum kurz und klein. Mir ist es im Moment egal, ob ich dabei von Menschen gesehen werde, oder nicht. Ich will einfach diesen Schmerz aus meinen Herzen verbannen, der mich beinahe auffrisst. Dabei verlasse ich sogar die schützenden Dächer und wage mich durch die Gassen und Straßen. Schließlich bleibe ich verdutzt stehen, als ich vor mir den Rand des Central Parks sehe. Genau dort wollte ich eigentlich nicht hin, denn dies war eines der schönsten Orte, die ich mit ihr besucht hatte. Ich will mich schon umdrehen und einen anderen Weg einschlagen, aber mein Körper scheint mir nicht mehr gehorchen zu wollen. Ich betrete den Park und suche sogar einen ganz bestimmten Bereich auf, das Delacorte Theater. Ich erinnere mich noch genau an diese eine Nacht, an der ich es schaffte, Bernadette wieder zum Lachen zu bringen, nachdem mein Engel für einen kurzen Moment ihren Frust losschreien konnte. So wie sie es damals tat, so positioniere ich mich nun auf dieselbe Stelle, blicke zum Nachthimmel hinauf und schreie mir die Seele aus dem Leib. Keiner ist da und genau das nutze ich in vollen Zügen aus. Die Dunkelheit soll meinen Schmerz hören. Es tut so gut, es endlich rauszulassen. Doch leider hält dieses befreiende Gefühl nicht so lange an, wie ich es mir erhofft habe. Ich muss immer noch an sie denken und anstatt den Zorn und die Verzweiflung zu vergessen, hat sich nun zusätzlich die Traurigkeit in meiner Brust breitgemacht. Vielleicht war es doch so keine gute Idee, diesen Ort aufzusuchen. Daran hängen zu viele schöne Erinnerungen, die jetzt einfach nur schmerzen. Ich kann es nun mal nicht ignorieren. Bernadette hat zwar unsere Beziehung in den Dreck geschmissen und trotzdem liebe ich sie immer noch. Als ich gerade im Begriff bin, mir zu überlegen, was ich jetzt machen soll, ertönt auf einmal mein Handy. Ich habe schon gar nicht mehr mitgezählt, wie oft dies bereits schon vorgekommen ist. Doch im Gegensatz zu den vorigen Malen, nehme ich diesmal das Ding heraus und klappe es auf. Siebenmal hat sie mich angerufen und fünf SMS hat sie mir geschickt. Ob ich zumindest diese lesen sollte? Unschlüssig öffne ich doch die Ersten, bei der sie sich entschuldigt: «Raphael, bitte lass uns reden.»; «Ich weiß, dass das nicht richtig war, aber bitte komm zurück.»; «Bitte melde dich, ich möchte nicht, dass es aus ist.»; «Ich bitte dich, es tut mir so leid. Komm bitte zurück. Ich liebe dich doch.» Bei jeder SMS wirkt das Geschriebene verzweifelter, als müsste sie befürchten, mich nicht mehr wiederzusehen und irgendwie komme ich ins Grübeln. Habe ich etwa überstürzt gehandelt? Ich kann aber meine Wut auf sie nicht einfach ignorieren. Immerhin hat sie unsere Beziehung beendet, was also soll ich davon halten? Seufzend öffne ich schließlich die letzte Nachricht, die gerade eben gekommen ist, aber diese ist vollkommen anders. Hass spiegelt sich hier wider und eines wird mir nun bewusst, was ich während meiner rasenden Wut vollkommen verdrängt hatte: Ich habe sie mutterseelenallein auf dem Dach stehen lassen und sie weiß nicht einmal wo sie ist. Verdammt, sie ist immer noch dort oben! Ich muss sofort zu ihr! Panik breitet sich in mir aus und so schnell ich nur kann, hetze ich durch den Park, springe bei der nächsten Gelegenheit aufs Dach und versuche so schnell wie möglich zu Bernadette zu gelangen. Doch als ich nach einiger Zeit dort endlich ankomme, ist niemand zu sehen. Das ist aber doch das Dach, auf dem ich sie zurückgelassen habe! Wo verdammt noch mal ist sie?! Von Panik zerfressen suche ich alles ab. Jedoch fehlt von ihr jede Spur. Die Angst, dass sie sich etwas getan haben könnte, lässt mich das Schlimmste befürchten. Wieder nehme ich das Handy zur Hand und versuche sie anzurufen. Bitte heb ab! Bitte heb ab! Ungeduldig gehe ich auf und ab. Warum hebt sie nicht ab?! Auf einmal wird mein Anruf weggedrückt. Was soll das?! Ein weiteres Mal versuche ich es, ernte aber nur dasselbe Ergebnis. Doch wenig später erhalte ich eine SMS. Was ich aber lese, lässt mich noch mehr unruhig werden: « Ach, meldet sich der Herr auch einmal? Pech, ich will nicht mit dir reden. Lass mich einfach in Ruhe! » Ich brauche einen Moment, bis ich mich etwas wieder fangen kann und ihr zurückschreibe: « Wo bist du?! Ich suche dich schon überall! » Ich mache mir große Sorgen um sie. Schließlich ist es ein weiter Weg bis zu ihr nach Hause und ich habe keine Ahnung, wo sie jetzt steckt. Wenn ihr dabei etwas passiert, werde ich mir das nie verzeihen. Doch sie antwortet mir nicht. So bleibt mir nichts Anderes übrig, als sie zu suchen. Aus Bernadettes Sicht: Tränenüberströmt klappe ich das Handy zu und stecke es in die Jackentasche. Jetzt erst kommt er auf die Idee sich zu melden! Da kommt er aber reichlich spät und seine „große Sorge“ um mich kann er wen anderem erzählen. Er hat mich im Stich gelassen! Er hat mich einfach alleine auf dem Dach gelassen und das werde ich ihm nie verzeihen! Streit hin oder her, aber das hätte er nicht tun sollen! Immer noch schmerzt mich dieser Kummer und meine Tränen scheinen nicht versiegen zu wollen. Erst als ich die U-Bahn verlasse, versuche ich mich zu beruhigen, aber als ich vom Untergrund humpelnd die Treppen emporsteige, höre ich plötzlich eine schmierige Stimme, die nach mir ruft: „Hey Süße! Lass dich doch mal ans Herz drücken. Bei mir kannst du deine Sorgen vergessen. Ich werde dir sogar die Tränen trocknen.“ Ich drehe mich nicht zu den Typen um, sondern gehe einfach stumm weiter. Oh bitte, das kann ich jetzt nicht auch noch gebrauchen! Wenn ich ihn ignoriere, verschwindet er vielleicht. Dies scheint ihm aber provoziert zu haben. Denn schon eilt er zu mir, drückt mich an die nächste Mauer und versperrt mir den Weg. Sein widerlicher Atem lässt schnell darauf schließen, dass er getrunken hat. Das ist so ekelhaft! Angewidert meide ich den Blickkontakt und versuche an dem Typen vorbeizukommen, aber er hat andere Pläne mit mir: „Hey Schnecke, wo wollen wir so schnell hin? Der Spaß fängt doch erst jetzt an. Komm näher, dann zeige ich dir, was ich meine.“ Immer dichter drückt er sich lüstern an mich heran, leckt seine Lippen und will schon bei der nächsten Gelegenheit seine Hand unter mein zerrissenes Shirt schieben, als ich ihm ins Gesicht spucke und ihm mit dem gesunden Fuß zwischen die Beine trete. Schmerzerfüllt krümmt er sich fluchend zusammen und beschimpft mich als Schlampe. Doch ich sehe zu, dass ich so schnell wie möglich wegkomme, was mit dem verletzten Knöchel aber nicht einfach ist. Anscheinend habe ich auch noch nicht fest genug getreten, denn kurzer Zeit später habe ich diesen Mistkerl wieder an der Backe. Drohend schleudert er mich zu Boden, beschimpft mich aufs Neue: „Du Miststück! Dabei wollte ich mit dir ein bisschen Spaß haben, aber jetzt wirst du für deine Tat bezahlen!“ Schon will er sich auf mich stürzen, als er plötzlich einen Schlag von hinten bekommt. Wie erstarrt kann ich nur zusehen, wie der Kerl zusammenklappt und eine Gestalt sich uns nähert. Ich will schon wegrutschen und irgendwie flüchten, aber dann gibt sich mein Retter zu erkennen: „Hey, keine Angst! Ich bin’s, Donnie!“ Der Turtle mit der lila Maske und der Brille im Gesicht tritt ans Licht und hilft mir schließlich auf. „Das ist noch einmal gut gegangen, … aber sag mal, was machst du hier Bernadette und wo ist Raphi?“, fragt er mich leicht perplex. Ich habe aber keine Lust ihm Rede und Antwort zu stehen, was ich auch möglichst monoton von mir gebe: „Keine Ahnung. Das ist mir egal, ich will nur nach Hause.“ Doch Donnie lässt mich nicht einfach so gehen. Verwundert hat er bemerkt, dass etwas nicht stimmt und so fragt er mich besorgt, was passiert ist: „Hey, was ist los?“ Ich habe aber weder Lust auf seine Anwesenheit, noch will ich es ihm erklären. „Das geht dich nichts an und jetzt lass mich in Ruhe!“, schnauze ich ihn an und will endlich gehen, aber dann packt er mich an der linken Hand, wodurch ich vor Schmerz zusammenzucke und aufschreie. Geschockt lässt er mich kurz los und will mir aber sogleich zu Hilfe eilen: „Du bist verletzt! Lass mich das ansehen.“ Ohne das ich das will, öffnet er meinen provisorischen Verband und murmelt: „Das muss so schnell wie möglich desinfiziert werden, sonst entzündet sich das. Wie ist denn das passiert?“ „Ich sagte doch, dass dich das nichts angeht und jetzt lass mich los.“, erwidere ich genervt und ziehe meine Hand zu mir zurück. Der Lilamaskierte seufzt: „Also gut. Ich habe zwar keine Ahnung, was los ist, aber lass mich dich zumindest nach Hause bringen. Bis du dort ankommst, steht die Sonne bereits wieder hoch am Himmel. Außerdem ist es hier alleine für dich viel zu gefährlich.“ Ich will schon protestieren, aber schon hebt er mich hoch und springt mit mir aufs nächste Dach. Es hilft alles nichts. Ob ich will oder nicht, Donnie trägt mich nach Hause. Es hilft kein Strampeln und keine Beschwerden, weswegen ich schließlich aufgebe. Es hat ja eh keinen Sinn. Er lässt mich erst wieder los, als wir bei meinem Fenster angekommen sind. Zum Glück lasse ich immer einen Keil im Rahmen stecken. So erspar ich es mir Tante Tina über den Weg zu laufen. Ich muss mir noch früh genug eine Ausrede einfallen lassen, denn meine Verletzungen werden nicht so einfach zu vertuschen sein. Doch bevor ich mich in endgültig in mein Zimmer verziehen kann, bittet mich Donnie, ihm die Sache zu schildern: „Jetzt sag bitte, was war da vorher los? So aufgewühlt habe ich dich schon lange nicht mehr gesehen.“ Wütend sehe ich ihn an. Zwar bin ich ihm dankbar, dass er mich vorhin gerettet hat, aber das wäre niemals passiert, wenn seine Brüder und er sich nicht in meine Beziehung zu Raphael eingemischt hätten! „Habt ihr euch nicht genug eingemischt? Frag Raphael und lasst mich alle einfach in Ruhe!“, ist das Letzte, was ich zu ihm schroff sage. Ohne auf eine Reaktion abzuwarten, knalle ich das Fenster zu und ziehe sogleich die Vorhänge mit einem Ruck zu. Was Donnie nun macht, ist mir egal. Ich will von ihnen nichts mehr wissen. Erneut kommen mir die Tränen und hätte ich in diesem Augenblick nicht beide Hände gegen mein Gesicht gedrückt, so wäre mir die kleine rote Schildkröte nicht kurz aufgefallen, die immer noch an meinem Hals hängt. Dieses erdrückende Gefühl in mir wird immer schlimmer und ich halte das nicht mehr aus! Wütend rüttle an dem Verschluss herum, bis ich das Ding endlich abbekomme. Unter meinem Bett reiße ich die nächstbeste Schachtel auf, in der ich das Amulett hineinschmeiße. Gefolgt von dem schwarzen Handy und dem Gedicht, knalle ich den Deckel wieder zu und schleudere die Kiste in den hintersten Winkel meines Zimmers. Eine weitere Heulattacke überkommt mich, weswegen ich mich schluchzend auf meine Matratze fallen lasse und mein Gesicht in die Decke vergrabe. Obwohl die Wunde immer noch höllisch schmerzt, kralle ich mit beiden Händen in den Stoff. Ich wünsche mir nichts Sehnlicheres, als das alles nur ein verdammter Albtraum ist. Ich will, dass das endlich aufhört! Kapitel 43: Alles nur eingebildet? ---------------------------------- Aus Raphaels Sicht: Wo ist sie?! Bitte lass ihr nichts zugestoßen sein! Sie wird sich noch verlaufen und wer weiß, was dann passieren könnte. Ein weiteres Mal habe ich versucht Bernadette zu erreichen, aber sie hat sich bisher nicht gemeldet. Bei jeder Minute, die vergeht, mache ich mir umso mehr Sorgen um sie. Ich hätte nicht weggehen dürfen! Ich hätte sie nicht allein lassen dürfen! Wieso konnte ich nicht zumindest in der Nähe bleiben? Wie konnte sie das Dach überhaupt verlassen? All jeglicher Zorn, den ich zuvor gespürt hatte, ist so stark in die Enge gedrängt worden, wodurch ich diesen kaum mehr fühlen kann. Das Einzige, was ich jetzt nur noch wahrnehme ist Angst – Angst um Bernadette. Doch egal wohin ich auch laufe und wo ich sie auch suche, sie ist wie vom Erdboden verschluckt. Sie kann aber noch nicht soweit gekommen sein! Mit ihren Möglichkeiten braucht sie vermutlich einige Stunden, bis sie vor ihrer Haustür steht. Wo verdammt noch mal steckt sie nur?! Als ich gerade dabei bin, die nächste Straße abzusuchen, erhalte ich plötzlich eine Nachricht. Ob es endlich von ihr ist?! Aufgeregt hole ich das Handy heraus. Doch als ich es aufklappe, merke ich enttäuscht, dass es nur von Donnie ist, der mich gerade nervt. Was will der Heini jetzt von mir?! Ich habe andere Sorgen, um die ich mich jetzt kümmern muss. Doch anstatt die SMS zu ignorieren, öffne ich sie und darin steht: « Bernadette geht es der Situation entsprechend gut. Sie ist zu Hause. Ich bin derweil dort. Komm dazu, ich muss dringend mit dir reden. » Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Hat Bernadette meinen Bruder etwa angerufen, dass er sie abholen soll? Ist sie etwa so verzweifelt gewesen, sodass sie sich einfach einen meiner Brüder anvertraut hat, während ich wie ein Trottel die ganze Gegend nach ihr absuche und was zum Kuckuck macht er noch dort?! Warum hat sie sich nicht bei mir gemeldet? Soll ich etwa vor lauter Sorge einen Herzinfarkt bekommen?! Um nicht weiter unnötig in der Gegend herumzustehen, antworte ich Donnie mit den Worten «Bin unterwegs» und mache mich so schnell wie möglich auf dem Weg. Mein Bruder mit der lila Maske befindet sich auf dem gegenüberliegenden Haus. Armeverschränkend wartet er dort auf mich. Doch kaum, dass ich mich ihm nähere, verfinstert sich sein Gesicht. Sein Blick zeigt sowohl Vorwurf, wie auch Sorge und ich weiß nicht, an wen die gerichtet ist. Vermutlich werde ich mir nun etwas anhören könne, dass ich Bernadette alleine gelassen habe, aber was mischt er sich schon wieder ein und was macht er hier überhaupt?! Er sollte besser die Fliege machen. Ich muss zu Bernadette und sehen, ob es ihr wirklich gut geht. Kaum aber, dass ich vor ihm stehe, fängt schon seine Predigt an: „Sag mal, was ist passiert?“ „Das geht dich nichts an Donnie!“, schnauze ich ihn an, aber er lacht nur sarkastisch, bis er angefressen meint: „Genau dasselbe hat sie auch zu mir gesagt und das auch noch im selben Ton. Wo warst du überhaupt?! Warum streifte sie alleine durch die Gegend? Ich dachte, du wärst bei ihr!“ „Wenn du mich provozieren willst, bist du auf dem besten Weg dorthin. Ich sage es dir noch einmal: Das geht dich nichts an und jetzt lass mich vorbei. Ich muss zu ihr.“, blaffe ich zurück und hoffe, dass er jetzt endlich die Klappe hält. Ich habe nämlich keine Zeit für sein Gequatsche, aber Donnie hält mich auf. Mit einem einzigen Seitschritt versperrt er mir den Weg. Er drückt mich sogar mit einem Schwung zurück, als ich ihn gerade zur Seite stoßen wollte. Verwirrt, wütend und mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihn. Ich verstehe gerade nicht, wieso er mich nicht vorbeilassen will. Doch kaum, dass ich wutentbrannt in sein Gesicht sehe, erkenne ich den Beschützerinstinkt in seinen Augen. Will er mir jetzt ernsthaft weismachen, dass mein eigener Bruder Bernadette vor mir beschützen muss?! Empört über diese Erkenntnis, will ich ihn nun zurechtweisen, denn es besteht kein Grund dafür. Jedoch will er mich nicht vorbeilassen und keift mich stattdessen an: „Ich glaube kaum, dass sie dich sehen will! Denn kaum habe ich sie beim Fenster abgesetzt, hat sie mir dieses quasi vor der Nase zugseschlagen. Übrigens geht es mich sehr wohl etwas an! Schließlich war ich es, der sie an deiner Stelle von einem Penner gerettet hat, der sie gerade vergewaltigen wollte!“ Erschrocken darüber, was ich da gerade eben gehört habe, starre ihn sprachlos an. Das hat er jetzt nicht gerade gesagt oder? Das kann einfach nicht wahr sein! Was um Himmels Willen ist passiert, nachdem ich sie auf dem Dach zurückgelassen habe?! Aufgrund meiner geschockten Reaktion seufzt mein Bruder, bis er dann weiterredet und mir dabei noch weitere Vorwürfe macht: „Du hast mich schon richtig verstanden Raphi! Genau das ist vor kurzem passiert und wäre ich nicht dank der Patrouille zufällig in der Nähe gewesen, so wäre sie von diesem besoffenen Irren nicht so schnell weggekommen! … Ich weiß zwar nicht, was genau davor gewesen ist, aber eines ist mal klar: Sie hat sich verletzt. Irgendwo muss sie heruntergefallen sein und jetzt schleift sie ihren rechten Fuß hinter sich her, aber nicht nur, dass sie humpelt, sie hat außerdem noch eine große Schnittwunde auf der Innenseite ihrer linken Hand. … Mein Gott Raphi, jetzt rede schon! Was ist zum Henker ist zwischen euch vorgefallen und wo warst du überhaupt?!“ Geschockt über diese erschreckenden Infos, die mich wie eine Flutwelle überrollt haben, muss ich mich erst einmal an einer nahgelegenen Mauer abstützen. Gedanklich bin ich wieder auf dem Dach, wo ich Bernadette zurückgelassen hatte. Sie musste diese wohl mit Hilfe der Feuerleiter verlassen haben, aber die war doch am unteren Ende zerstört. Ich habe das gesehen, als ich anfing, nach ihr zu suchen. Doch was ist, wenn sie dieses rostige Ding doch benutzt hat? Dann muss sie am Ende runtergefallen sein. Anders könnte ich mir ihre Verletzungen nicht erklären. Wenn das wahr ist, wie lebensmüde muss man da sein?! Sie hätte sich dabei auch das Genick brechen können und wenn es nicht schlimm genug gewesen wäre, jetzt muss ich auch noch hören, dass ein Vergewaltiger hinter ihr her war! Wäre Donnie nicht da gewesen, dann … nein, ich will mir das gar nicht ausmalen, was dann hätte passieren können und ich Idiot habe es auch noch soweit kommenlassen! Momentan habe ich einfach nur das Gefühl, als würde mir jemand gerade den Boden unter den Füßen wegreißen. Könnte ich mich in diesen Augenblick nicht an der Wand anlehnen, so hätte mir dieses erdrückende Gefühl vermutlich bereits den letzten Rest gegeben. Während ich nun so dastehe, fordert mich Donnie nun ein weiters Mal auf, endlich mit der Sprache rauszurücken. Doch diesmal klingt er anders, als würde versuchen wollen, sich in mich hineinzuversetzen, „Es … es ist alles aus dem Ruder gelaufen.“, stammle ich, nachdem ich endlich meine Stimme wiedergefunden habe. Donnies Mimik, der mich zunächst so zornig angesehen hatte, wird etwas milder. Anstatt mir eine weitere Predigt an den Kopf zu werfen, berührt er mich vorsichtig an der rechten Schulter und sagt ganz ruhig: „Komm, lass uns nach Hause gehen und dann erzählst du mir alles.“ Ich dagegen erwidere nichts darauf, aber dafür werfe ich ein Blick auf Bernadettes Fenster. Es ist verschlossen und noch dazu sind die Vorhänge zugezogen. Als würde sie damit signalisieren wollen, dass nun niemand zu ihr darf. „Sie wird dir jetzt nicht öffnen Raphi. Lass sie jetzt, vielleicht besteht morgen die Möglichkeit, mit ihr zu reden. Also komm jetzt.“, fordert mein Bruder mich auf. Ich dagegen nicke ich nur und folge ihm schließlich. Der Gedanke daran, was ihr passiert ist und was beinahe geschehen wäre, während ich nicht da war, spukt mir immer noch im Kopf und eines weiß ich, ich werde mir niemals verzeihen. Aus Bernadettes Sicht: Letzte Nacht konnte ich kaum schlafen und das lag nicht nur daran, dass mir sowohl der Fuß, wie auch die Hand höllisch wehtat. Es ist einfach zu viel passiert und ich kann einfach nicht glauben, dass es zwischen mir und Raphael nun aus ist. Wegen eines sinnlosen Streites verlor ich mit einem Schlag das Vertrauen zu der Liebe meines Lebens. Bei ihm hatte ich mich doch immer so sicher und geborgen gefühlt. Bei ihm konnte ich so sein, wie ich nun mal bin und doch war trotz allem dieses Mistrauen – nur warum? Warum quälte es ihm so sehr, dass wir uns öfters nicht sehen konnten? Er war doch nicht der Einzige, der dies aushalten musste. Wie oft habe ich schon mit den Gedanken gespielt, bereits am Tag bei den Jungs aufzutauchen. Wäre da nicht die Tatsache, dass sie in der Kanalisation schwer zu finden sind und ich noch mein eigenes Leben in die Reihe bringen muss. Immer wieder gingen mir seine Worte durch den Kopf, die er mir vorwarf. Hatten seine Brüder wirklich so viel Einfluss darauf, sodass er nun selbst an unserer Beziehung zu zweifeln begann? Jedoch ergibt dies keinen Sinn! Ihm war es doch stets egal, was die anderen von ihm und seine Angelegenheiten dachten. Warum also ist es ihm jetzt so wichtig und warum denke ich überhaupt an ihn? Ich müsste ihn hassen, ihn verachten, oder sonst irgendetwas tun. Er hat mich verletzt und im Stich gelassen. Also warum stelle ich mir all diese Fragen? Ich spüre doch diesen Zorn in mir und doch kann ich einfach nicht anders. Ich will es verstehen und ich will wissen, warum es nur so weit kommen konnte. Die ganze Nacht über hatte ich bitterlich geweint. Ich fühlte mich so fertig und alleingelassen, sodass ich es nur spärlich übers Herz brachte, mich nach einer Weile April anzuvertrauen. Schluchzend erzählte ich ihr mit meinem eigenen Handy, was passiert war. Irgendwie musste ich meinen Frust loswerden und nur ihr konnte ich mich irgendwie öffnen. Ich brauchte einfach jemanden zum Reden und dem ich noch vertrauen kann. Es ist einfach beschissen, dass ich mich nicht an jeden wenden kann, den ich möchte. Denn nicht nur, dass ich vor meiner eigenen Familie meinen Kummer nun verbergen muss, ich kann mich nicht einmal bei meinen Freundinnen aus der Schule ausheulen. Die Einzige, die noch in Frage kommt, ist nun mal April und ich war einfach nur froh, als ich endlich ihre Stimme hörte. Zunächst war die ehemalige Reporterin einfach nur überrascht, dass ich sie so spät noch anrief, aber sie merkte sofort, dass ich jemanden brauchte und so hörte sie mir zu. Einen Rat konnte sie mir jedoch nicht wirklich geben. Sie meinte nur, dass ich mich jetzt beruhigen sollte, bevor ich die nächste Entscheidung treffen würde, die ich nachher vielleicht bereuen könnte. Es war nicht viel, aber zumindest konnte ich mit jemanden reden. Mehr kann ich wohl nicht verlangen und ich muss nun selbst zusehen, wie es weitergehen wird, aber momentan weiß ich es einfach nicht. Es steht sozusagen in den Sternen und es gibt für mich derzeit nur eines, von dem ich wirklich sicher bin: Ich will für die nächste Zeit weder Raphael, noch jemand anderes von seiner Familie sehen. Der Zorn in mir ist viel zu groß, als dass ich es ertragen könnte, wenn einer von ihnen plötzlich vor meinem Fenster auftaucht. Jetzt aber heißt es für mich, eine möglichst reale Fröhlichkeit heraufzubeschwören, damit mir niemand Fragen stellt und das wird schwierig werden. Denn mein Herz ist einfach zerbrochen. Wenn ich könnte, so wie ich wollte, so wäre ich nicht einmal aus meinem Bett gekrochen. Doch wenn ich nicht will, dass jemand meine wahren Gefühle bemerkt, so muss ich wieder einmal gute Miene zum bösen Spiel machen. Zu meinem „Glück“ musste Tante Tina heute Morgen wieder früh raus, weswegen sie erst am Nachmittag meine Verletzungen bemerkte. Ich dachte mir einfach eine möglichst logische Story aus und log ihr vor, dass mir das beim Spaziergang passiert wäre. Irgendein Spinner hätte mich zu Boden gestoßen und beim Fallen hätte ich mich halt verletzt. Ich betonte sogar, dass ich schlicht und einfach unglücklich gefallen wäre, weswegen ich mir nicht nur überknöchelt, sondern mich auch noch wo geschnitten hätte. Dabei wäre alles so schnell gegangen, sodass ich nicht wusste, wie mir geschah. Etwas Besseres wollte mir einfach nicht einfallen und irgendwie klang das neben anderen Geschichten, die ich mir sicherheitshalber zurechtgelegt hatte, noch am logischsten. Tante Tina glaubte mir sogar und sie bekam nicht einmal mit, dass ich in Wirklichkeit eine schwere Last in meinem Herzen trage. Dieselbe Ausrede nutzte ich auch bei Cori und Mia, als sie mich in der Schule danach befragten. Dabei versuchte ich sie zu überzeugen, dass ich mich körperlich nicht so wohl fühlte und für den Rest der Woche nicht zum Treffen wegen der Literatur-AG kommen konnte. Zum einen stimmte dies ja auch, aber andererseits wollte ich erst einmal für mich allein sein. Es war ja schon schwierig genug, im normalen Unterricht gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Denn seelisch fühlte ich mich einfach grottenschlecht und konnte mich daher kaum konzentrieren. So wollte ich am Nachmittag meine Ruhe haben und mich nicht auch noch mit der Literatur-AG beschäftigen. Ich hatte einfach Angst, dass man mir schnell draufkommen würde, würde ich ständig unter Leute sein. Denn wie lange kann ich den anderen noch etwas vormachen? Mir geht es nicht gut und am liebsten würde ich diesen Schmerz einfach nur vergessen. Wenn ich könnte, würde ich dies auf der Stelle tun. An den ersten Tagen der Woche verbrachte ich meine meiste Zeit im Zimmer. Lange blieb es aber nicht dabei, denn ich hatte allmählich das Gefühl, mir würde so langsam die Decke auf dem Kopf fallen, weswegen ich mich, soweit es irgendwie möglich war, mit April traf. Jedoch wollte ich nicht über das eine bestimmte Thema sprechen, auch wenn meine Freundin das anders sah. Im Gegensatz zu mir traf sie sich ja auch weiterhin mit den Turtles in der Kanalisation und horchte die Truppe sogar aus. Ich wollte aber nie etwas von ihnen hören, geschweige an einen von ihnen denken. So wie es auch jetzt wieder der Fall ist, als wir neben einander spazieren gehen. „Meinst du nicht, dass wir mal langsam Licht in die Sache bringen sollten? Ich sehe doch, dass dich das quält.“, meint sie, aber ich schüttle nur den Kopf. Nein, ich habe einfach keine Lust dazu und das kann April meinetwegen einen Handstand machen, ich würde meine Meinung nicht ändern. Am liebsten hätte ich dies sogar laut ausgesprochen, als ich plötzlich stutzig werde. Gebannt sehe ich in eine bestimmte Richtung. Im Moment ist eine große Menschenmenge unterwegs und doch hat ein Mann stark aus ihnen herausgestochen. Das kann doch nicht sein, ich bilde mir das sicherlich nur ein! Verwirrt fragt mich April: „Hey, was ist los? Was siehst du denn?“ Sie sieht mich besorgt an, aber was soll ich schon darauf erwidern? Das, was ich da gerade gesehen habe, kann unmöglich sein, weswegen ich ihr einfach nur schnell darauf antworte: „Ach nichts. Ich dachte nur, ich hätte da was gesehen. War sicher nur eine Einbildung.“ Ich hoffe es zumindest und gehe schließlich weiter. Zu meiner Überraschung fragt sie diesbezüglich nicht weiter nach. Stattdessen bittet sie mich, mir das noch wegen Raphael zu überlegen. Jedoch habe ich dazu nur geschwiegen. Was soll ich auch dazu sagen? Irgendwie kommt mir jedes Wort wie eine Verschwendung vor und dafür ernte ich nichts weiter als Frust und Wut. Ich bin daher nur froh, dass mich die junge Frau allmählich damit in Ruhe lässt, aber vermutlich gilt dies nur für heute und sie wird mich beim nächsten Mal wieder darauf ansprechen. Doch dann werde ich ihr dieselbe Antwort geben. Absichtlich habe ich für den Rest Woche wenig Zeit mit Cori und Mia verbracht. Abgesehen davon, dass ich mit ihnen nicht über meine derzeitigen Probleme reden kann, kenne ich sie noch nicht so lange und auch noch nicht so gut. Vertrauen muss man sich erst verdienen. Das habe ich in meinem Leben bereits gelernt und um das zu schaffen, braucht es Zeit. Dank April bin ich nun wieder soweit aufgebaut, wodurch ich mit den beiden nun doch nach Coney Island fahren kann. Eigentlich wollte ich das wegen Raphael auf das nächste Wochenende verschieben, aber dadurch, dass sich die Umstände geändert haben, habe ich es mir anders überlegt. Ich hätte aber wahrscheinlich so oder so keine Chance gehabt, da sie unbedingt mit mir diesen Samstag dort verbringen wollen. So sicher bin ich mir aber immer noch nicht, ob es eine gute Idee ist. Einerseits will ich keine Spaßbremse sein und ihnen den Tag vermiesen, aber ich brauche doch Ablenkung und zwar etwas, womit ich mit meinen Gedanken vollkommen woanders sein kann. An der rechten Hand gepackt, zerrt mich Cori nun durch die Gegend. Zu meiner Linken marschiert Mia, die sich bereits etwas Zuckerwatte besorgt hat. Die Blondine sieht diese etwas skeptisch an und meint: „An deiner Stelle würde ich lieber nach den Attraktionen etwas essen.“ „Das ist doch nur Zuckerwatte und kein Hotdog, also mach keinen Stress.“, grinst die Angesprochene und verputzt genüsslich denn Rest des rosa Zuckers. „Ich hoffe auch, du bereust es dann nachher nicht. Du weißt ja, was passieren kann.“, klinke ich mich schmunzelnd ein und wir drei lachen. Obwohl mir immer noch nicht danach ist, aber ich hoffe, das lässt sich für ein paar Stunden ändern. Das Erste, was wir besuchen, sind die kleinen Schießbuden, bei denen wir unser Geschick unter Beweis stellen. Einem Clown aber mit Hilfe einer Wasserpistole eine aufgepumpte Ballonnase zu verpassen, ist ja keine große Kunst für mich. Dennoch ist es so richtig amüsant mitanzusehen, wie Cori ein wenig damit kämpft und versucht, einen Konkurrenzkampf daraus zu veranstalten. Ich habe aber schon bereits nach wenigen Sekunden die Nase vorn, weswegen sie und Mia um den zweiten Platz ringen. Ich stehe einfach daneben und sehe ihnen grinsend dabei zu. Es ist einfach zum Totlachen. Was für mich aber schon die ganze Zeit komisch ist, ist, dass ich das Gefühl habe beobachtet zu werden. Das kann aber nicht sein. Ich bin wahrscheinlich schon paranoid, oder es liegt einfach daran, dass ich immer noch in meine Gedanken abschweifen, wenn ich es am wenigsten will. Besser ist es wohl, ich denke nicht daran und genieße einfach den Tag. Das habe ich mir auch verdient. Somit schlendere ich mit den beiden weiter und probiere mit ihnen eine Möglichkeit nach der anderen aus. Wie am Anfang der Woche angekündigt, sitzen wir wenig später in einem Wagon von dem Cyclone und diese Attraktion macht ihren Namen wirklich alle Ehre. Die Kurven sind wirklich nichts für schwache Nerven und allein die Höhe ist beachtlich. Was ich aber bei den Achterbahnen so schade finde, ist, dass sie schnell wieder vorbei sein können, was ich auch hier wieder erlebe. Dennoch war die Fahrt cool und ich wäre gerne noch eine Runde gefahren, aber das wird wohl nichts werden. Obwohl ich zuvor nichts gegessen habe, ist selbst mir etwas flau im Magen geworden. Bei Mia ist die Sache etwas schlimmer, weswegen sie bei der nächsten Gelegenheit eine Toilette aufsucht. „Wir haben dich gewarnt.“, rufe ich ihr noch zu, doch sie hat dabei nur die Augen verdreht, ehe sie hinter der Tür verschwunden ist. „Ich glaube, wir sollten als Nächstes etwas Ruhiges wählen, oder zumindest etwas, was auf dem Boden stattfindet.“, kichert Cori und ich stimme ihr lachend zu. Doch als ich zur Seite blicke, werde ich wieder still. Einige Meter weiter sehe ich wieder diesen Mann, den ich schon mal gesehen habe. Dunkle Haare, helle Haut, einen Schnauzbart im Gesicht und diese Nase … er sieht doch aus wie … nein, das ist unmöglich! Das kann nicht sein! Völlig vergessen, dass ich eigentlich nicht alleine hier bin, folge ich den seltsamen Fremden und lasse Cori einfach stehen. Dieser ist gerade dabei wieder bei der nächsten Ecke zu verschwinden, als ich von meiner Freundin wieder „wachgerüttelt“ werde, welche mich überaschenderweise eingeholt hat: „Hey Bernadette, was ist mit dir? Du bist auf einmal so blass. Geht es dir nicht gut?“ Bei ihren Fragen schüttle ich nur den Kopf und antworte ihr: „Ja, ich glaube schon. Ich dachte nur, dass ich jemandem gesehen habe, den ich von früher kenne.“ Natürlich hakt sie gleich nach, woraufhin ich unschlüssig meine vorige Antwort wiederhole: „Ich weiß nicht. Ich kann das nicht wirklich erklären, aber er sieht jemanden sehr ähnlich, den ich mal kannte.“ „Wen meinst du? Vielleicht jemand aus deiner alten Schule?“, fragt die Blondine weiter, aber ich schüttle darauf den Kopf und erwidere: „Nein, das war niemand von der Schule. … Ich dachte, ich hätte meinen Dad gesehen, aber das kann nicht sein. Er ist seit zehn Jahren tot.“ „Ach, das ist sicherlich nur ein Zufall gewesen. Soweit ich weiß, hat jeder Mensch auf der ganzen Welt einen „Klon“, also jemanden, der einem sehr ähnlichsieht. Vielleicht war das auch so einer, oder es ist nur ein Zufall gewesen, dass er deinem Vater ähnelt.“, behauptet Cori, ich dagegen bin mir da nicht so sicher. Ich habe einfach kein gutes Gefühl bei der Sache, was ich auch laut ausspreche: „Das mag vielleicht sein, aber das glaube ich irgendwie nicht. Irgendetwas stimmt da nicht.“ Ich kann mir selbst nicht erklären warum, aber ich habe solch ein unangenehmes Gefühl bei der Sache. Außerdem habe ich ihn schon einmal gesehen, als ich mit April unterwegs war und es kann auf gar keinen Fall sein, dass es in New York noch einen gibt, der meinem verstorbenen Vater so ähnlich sieht. Es kann also kein Zufall gewesen sein. Verunsichert folge ich Cori schließlich zurück zu den Toiletten, wo wir Mia abholen und weiter durch die Gegend schlendern. Die nächste Attraktion ist das Spiegelkabinett. Wir teilen uns auf und jede von uns versucht als Erste dieses zu verlassen. Es ist aber leichter gesagt, als getan und die Spiegel sind sehr raffiniert aufgestellt worden. Nicht nur einmal bin ich dagegen gerannt. Es macht aber Spaß. Ich habe sogar den Vorfall von vorhin schon fast wieder vergessen, als ich ihn plötzlich wiedersehe. Das kann jetzt nicht wahr sein?! Nicht schon wieder! Er steht einfach da und sieht mich sogar kurz an, bis er wieder abhaut. Jetzt reicht es mir! Das kann doch wirklich kein Zufall sein, dass ich ihn sehe und weil ich keine Lust mehr auf diese Scharade habe, will ich mir den Kerl schnappen. Ich habe einfach keine Lust mehr, von ihm weiter aufgelauert werden. So schnell ich nur kann, folge ich ihm. Jedoch ist er immer schneller als ich. Kaum, dass ich um die Ecke gebogen bin und glaube diesen Kerl gleich erwischen zu können, ist er schon wieder woanders und diese Spiegel machen es noch schwieriger. Was wird hier nur gespielt?! Immer weiter hetze ich mich durch das Labyrinth. An Mia und Cori denke ich schon gar nicht mehr. Vermutlich sind sie bereits wieder draußen, aber das interessiert mich im Moment nicht. Ich will endlich diesen Kerl zur Rede stellen. Warum verfolgt er mich?! Er muss mich von irgendwo kennen, sonst würde er ja nicht dieses Spiel mit mir treiben und ein Zufall ist das auf gar keinen Fall, genauso wenig ist das eine Einbildung. So laufe ich durch die Gänge. Ich habe schon völlig den Überblick verloren, als ich schließlich wieder nach draußen gelange. Wie bereits erwartet, haben die beiden auf mich gewartet und sprechen mich besorgt an: „Alles in Ordnung bei dir? Wir glaubten schon, du kommst gar nicht mehr raus.“ Ich jedoch ignoriere das und frage sie stattdessen, ob sie einen Mann gesehen hätten. Ich bekomme jedoch nur als Antwort, dass niemand vor mir das Kabinett verlassen hätte. „Sag bloß, du hast diesen Kerl da drin wiedergesehen?“, fragt Cori und ich nicke. Doch weder sie noch Mia haben eine weitere Person in diesem Kabinett gesehen, aber das kann nicht sein! Ich habe mir das nicht eingebildet! Da war ein Typ, der sah genauso aus wie mein Vater, bevor er starb. Ich bin völlig verwirrt und trotzdem bin ich felsenfest davon überzeugt, was ich gesehen habe. Da gibt es keinen Zweifel. Für Cori und Mia muss das aber aussehen, als hätte ich den Verstand verloren. Sie sagen es zwar nicht, aber ihre Blicke sprechen Bände. Aus Erzählersicht: In einem gewissen Abstand von dem Geschehen entfernt, beobachtet Lucinda gemeinsam mit Amy, wie Bernadette ihre Beobachtung beteuert, bis die drei schließlich den Ort verlassen. Lachend und siegessicher genießt die Blondine diesen Moment. Die Dunkelhaarige jedoch bleibt ernst und meidet den Blick in diese Richtung. „Das klappt ja wie am Schnürchen.“, murmelt sie voller Freunde, wird aber dann von Amy unterbrochen: „Lucinda, ich glaube, wir sollten damit aufhören. Das geht jetzt endgültig zu weit.“ „Sind wir etwa weich geworden Amy? Hat dich etwa dieser bescheuerte Mentor auch noch um die Finger gewickelt? Dabei warst es doch du, die bei dieser Internetsache mitgemacht hatte, wenn ich dich daran erinnern darf.“, kontert die Blondine feindselig, was Amy etwas einschüchtert. Es hindert sie aber nicht daran weiterzureden: „Ich weiß und ich bereue es auch. Wir sind damals schon viel zu weit gegangen und das …“ „Und das hier ist meine Rache und du pass besser auf, was du sagst! Schließlich warst du es, die mir einst die Sache wegen ihrem Vater erzählt hat und genau das werde ich mir zu Nutze machen.“ unterbricht Lucinda die Dunkelhaarige mit einem scharfen Ton. Dennoch will Amy mit der Sache aufhören und das will die Hasserfüllte verhindern: „Ist das etwa der Dank dafür, was ich alles für dich getan habe? Wer hat denn dafür gesorgt, dass du und dein Schwarm zusammengekommen seid? Richtig, das war ich und nicht diese Möchtegernfranzösin, mit der du einst befreundet warst! Sie hat ja nicht einmal gewusst, dass du schon immer in diesen Typen verknallt warst und warum? Weil sie sich nie um dich geschert hat, also warum tust du das jetzt für sie?! Sei jetzt nicht schwach, hast du mich verstanden?!“ Zögerlich nickt Amy und sagt nichts weiter darauf. Stattdessen sieht sie Bernadette nach und hofft, dass es niemals zu dem kommen wird, was Lucinda noch geplant hat. Kapitel 44: Bitte rede mit mir ------------------------------ Aus Bernadettes Sicht: Was in aller Welt geht hier nur vor? Warum sehe ich einen Typen, der meinen verstorbenen Vater ähnelt? Ich will einfach nicht glauben, dass das ein Zufall sein könnte. Dafür spricht vieles dagegen. Erstens ist es doch seltsam, dass nur ich diesen Kerl sehe. Weder bei beim Spaziergang mit April, noch die Momente auf Coney Island können ein Zufall gewesen sein. Einmal oder zweimal lasse ich es ja noch irgendwie durchgehen, aber ein weiteres Mal am selben Tag ist unmöglich. Zweitens taucht er immer dann auf, wenn ich mit anderen Leuten unterwegs bin. Als würde er nur auf den richtigen Moment warten, um sich mir zu zeigen und jedes Mal verschwand er spurlos. Als wäre er ein Geist. Sowohl bei April, wie auch die Situation nach den Schießbuden tauchte der Kerl einfach im Schutz der Masse unter. Doch wie konnte er nur im Spiegelkabinett einfach so verschwinden? Ich verstehe bis jetzt noch nicht, wie Cori und Mia ihn nicht sehen konnten. Dabei müsste er doch vor mir rausgekommen sein, oder ist er in diesem Irrgarten gar zurückgegangen, sodass ich buchstäblich an ihm vorbeigelaufen bin? Fakt ist, dass jeder, mit dem ich dies erlebt habe, mich angesehen hat, als hätte ich den Verstand verloren. Ich habe diesen Typen aber wirklich gesehen und an Zufälle will ich einfach nicht glauben. Selbst wenn ich mir anhören musste, dass jeder Mensch angeblich einen „Zwilling“ auf der Welt hat. Meinetwegen kann das ja sein, aber auf gar keinen Fall hat das mit meinem Vater zu tun. Viel eher vermute ich da, dass mit mir ein abgekartetes Spiel getrieben wird. Denn warum zum Henker bin ich die Einzige, die davon mitbekommt? Beweisen kann ich dies allerdings nicht und von außen muss es ja aussehen, als wäre ich nicht mehr ganz dicht. Auch heute musste ich mir diesen Blick wieder antun und die Mädels mussten dabei nicht einmal den Mund dazu aufmachen. Ich habe schon verstanden, was in ihren Köpfen vor sich gehen musste. Ich lasse es mir aber nicht nehmen, dass hier irgendetwas faul ist. Auch wenn mir keiner glaubt, irgendwie werde ich herausfinden, was da wirklich abgeht. Allerdings habe ich keine Ahnung, wie ich das anstellen soll. Die Mädels waren mir jedenfalls keine große Hilfe. Sie glaubten sogar, dass ich mit ihnen scherzen würde, auch wenn ich sie eigentlich vom Gegenteil überzeugen wollte. Wenn sie diesen Kerl doch auch gesehen hätten. Dann wäre vielleicht so manches einfacher. Zumindest hätte ich dann nicht das Gefühl bekommen, ich wäre völlig von der Rolle. Mia fragte mich sogar, ob das vielleicht eine lebensechte und provisorische Idee für eines meiner neuen Geschichten gewesen wäre. Als hätte ich versucht, sowas persönlich nachzustellen, nur um dies selbst auf direkte Weise fühlen und später niederschreiben zu können. So ein Schwachsinn! Warum hätte ich das aus heiteren Himmel machen sollen? Erstens würde das überhaupt nicht zu mir passen, weil ich mir sämtliche Szenen lieber im Kopf vorstelle und zweitens hätte ich die beiden wohl eingeweiht. Doch meine Freundinnen wollten mir einfach nicht glauben. Auch als ich darauf beharrte, habe ich dabei nur skeptische Blicke, sowie amüsiertes Lachen geerntet. Wäre ich in diesem Augenblick nicht so aufgeregt gewesen, so hätte mich das wahrscheinlich noch mehr gekränkt. Schließlich bin ich weder eine Irre, noch lasse ich mich als solch eine abstempeln. Cori bemerkte es und versuchte dies dann mit einer Kugel Eis wieder gut zu machen. Dass sie mir weiterhin nicht glauben wird, ist mir bewusst, aber zumindest konnte ich sehen, dass weder sie noch Mia mir etwas Böses wollen. Da hätten sie wohl anders reagiert. Ich bin zwar nicht wirklich sauer auf sie, aber ich werde beweisen, dass ich keine Hirngespinste gesehen habe und wenn ich das alleine herausfinden muss. Noch lange grüble ich zu Hause darüber nach, aber ich kann einfach nicht verstehen, was es damit auf sich hat und warum ich auf einmal damit konfrontiert werde. Es ergibt einfach keinen Sinn. Egal wie ich es drehe und wende. Ich weiß nur, dass irgendetwas dahinterstecken muss. Vielleicht kann mir April dabei helfen. Auch wenn sie mir nicht glaubt, so schadet es nicht, einige Nachforschungen anzustellen und dafür ist sie genau die Richtige. Momentan kann ich nur im Bett liegen und diesen seltsamen Tag gedanklich noch einmal vor meinen Augen vorbeiziehen lassen. Ich habe einfach das Gefühl, dass ich was übersehen, nur was? Es bereits spät am Abend, als ein Klopfen mich aus meinen Gedanken aufschreckt. Es kam vom Fenster und ich ahne schon, wer das sein könnte. Ich weigere mich aber hinzugehen, denn ich will weder ihn, noch sonst jemanden von ihnen sehen. Das Klopfen meldet sich nun ein weiteres Mal. Es hört nicht auf und selbst als ich meine Ohren genervt zwischen dem Polster quetsche, endet es nicht. Wenn er es aber so haben will, dann bekommt er nun etwas von mir zu hören! Geplant hätte ich das ohnehin. So stehe ich schließlich verärgert auf, ziehe die Vorhänge zur Seite und reiße anschließend das Fenster auf. Zu meiner Überraschung ist es jedoch Donnie, der mich gerade beehrt. Dabei hätte ich eher mit seinem Bruder mit der roten Maske gerechnet. Besorgt sieht er mich an und fragt, ob er kurz reinkommen könnte: „Können wir reden? Wenn möglich, nicht hier draußen?“ „Was willst du Donnie?“, kommt als Gegenfrage zurück, bei er nun geknickt mir als Antwort gibt: „Ich glaube, du weißt, worum es geht.“ „Sorry, ich weiß es sehr wohl zu schätzen, dass du nur helfen willst und danke, dass du mich vor diesem Penner gerettet hast, aber für mich ist die Sache gelaufen. Also geh jetzt bitte.“, entgegne ich ihm. Ich will mich schon das Fenster schließen und auch die Vorhänge wieder zuziehen, aber der Lilamaskierte lässt nicht locker und drückt sogar seine Hand gegen die Fensterscheibe: „Bitte Bernadette, komm mit in die Kanalisation. Dann können wir alles klären.“ Entgeistert sehe ich ihn an und ich weigere mich, auch nur irgendetwas dergleichen zu tun: „Was gibt es da noch zu klären? Ich habe dir doch gesagt, die Sache ist gelaufen. Ich will einfach nicht. … Also nein danke, ohne mich und jetzt lass mich bitte in Ruhe und dasselbe gilt auch für den Rest von euch! Also erspart mir bitte weitere Besuche.“ Wie beim letzten Mal auch lasse ich Donnie einfach so stehen und schließe das Fenster wieder, während ich von dem Überrumpelten dabei beobachtet werde. Diesmal lässt er es schweigend zu und ich sehe noch diese Sorge in seinen Augen, bis diese hinter den Vorhangstoff verschwindet. Ich will einfach nichts davon hören. Er hat sogar ein verdammtes Glück gehabt, dass ich ihn nicht wieder so angeschnauzt habe, wie es beim letzten Mal der Fall gewesen ist. Denn ich habe die ganze Zeit über gespürt, wie sehr es in mir gebrodelt hat. Ich wollte ihn aber nicht anschreien, weswegen ich mich zusammenriss und das war nicht gerade einfach für mich. Ich weiß, dass Donnie es nur gut gemeint hat und helfen will, aber ich will es nicht. Es schmerzt zu sehr und ich möchte einfach nichts mehr davon hören. Ich glaube außerdem, dass ich mich in Raphaels Nähe mich nicht mehr beherrschen könnte und dann würde ich mich noch mieser fühlen. Hoffentlich lassen sie mich in Ruhe und hören endlich damit auf, mich aufzusuchen. Aus Raphaels Sicht: In einem sicheren Abstand habe ich von meinem Versteck aus alles beobachtet. Das Gespräch zwischen Bernadette und Donnie schien nicht gerade sehr gut gelaufen zu sein. Denn schon dreht sich mein Bruder kopfschüttelnd zu mir um. Mit etwas anderem habe ich nicht gerechnet. Sie wird wohl kaum ihre Fenster für einen von uns offenlassen. Nicht nachdem unser Streit so ausarten musste. Eigentlich müsste ich dort sein und selbst versuchen mit ihr zu sprechen. Niemals wollte ich, dass ihr etwas zustößt. Dass sie verletzt und dann noch bedrängt wurde, schmerzt in meine Seele und das muss ich ihr sagen. Streit hin oder her, aber das durfte nicht passieren und ich liebe sie doch! Tage und Nächte habe ich verstreichen lassen, um uns beiden etwas Zeit zu geben. Mir ist aber klargeworden, dass ich nicht ohne sie sein kann. Ich muss zu ihr, aber jedes Mal, wenn ich auf dem gegenüberliegenden Dach gestanden und sie aus der Ferne beobachtet habe, wusste ich nicht mehr, wie ich es ihr erklären sollte. All jegliche Worte verschwanden aus meinen Verstand und das macht mich noch ganz krank! Wie konnte ich es nur soweit kommen lassen?! Ich hätte nicht einfach so verschwinden sollen! Stattdessen wäre es besser gewesen, wenn ich sie einfach nach Hause gebracht hätte. Dann wäre sie niemals in diesem Schlamassel geraten, der durch meine Schuld verursacht wurde. Donnies Plan, an meiner Stelle bei ihr vorbeizuschauen und sein Glück zu versuchen, ist nun gescheitert. An sich hat seine Idee nicht einmal so dumm geklungen. Er meinte, dass Bernadette mich vermutlich nicht sehen will und dass er noch eher mehr Glück haben dürfte mit ihr zu sprechen. Damit wird er wohl recht haben und es hat am Anfang sogar danach ausgesehen, als könnte er es das auch schaffen. Doch wie das Ende dieses Gesprächs gerade ausgesehen hat, hatte sich das Genie der Familie anscheinend doch geirrt. Selbst er kommt nicht an sie ran, auch wenn sie es ihm zu verdanken hat, dass sie noch in derselben Nacht nach Hause kommen konnte. Ich hätte es wissen müssen, dass Bernadette auf stur stellt und niemanden an sich ranlässt. Doch noch mehr interessiert es mich, was sie nun zu meinem Bruder gesagt hat. Kurze Zeit später ist Donnie schließlich bei mir und berichtet mir: „Sie will nicht. Sie sagt, aus ihrer Sicht gäbe es nichts zu erklären und wir sollen sie alle in Ruhe lassen.“ Verstehend nicke ich nur zu seiner Zusammenfassung. Irgendwie war mir schon vorher klar, dass das nicht einfach werden dürfte. Ich muss es selbst versuchen. Es hilft nichts, wenn ich einen meiner Brüder vorschicke, auch wenn es Donnie gut gemeint hat. Ich habe diese Schuld auf mich geladen, also muss ich das auch wieder hinbiegen. „Geh du schon nach Hause, ich komme dann nach.“, sage ich zu ihm. Mein Bruder nickt, meint aber noch, bevor er verschwindet: „Ich weiß, du willst es wahrscheinlich nicht hören, aber … gib sowohl ihr als auch dir noch etwas Zeit.“ Zeit, das ist genau der Punkt, an dem ich schon einmal gescheitert bin. Selbst Dad hatte das gesagt, als ich ihn letztens um Rat gebeten hatte. Jedoch meinte er auch, dass er ein besserer Sensei für die Kampfkünste wäre, als für die Liebe und ich müsste selbst herausfinden, was mein Weg ist. Wenn ich da wohl mit der Wand geredet hätte, wäre ich vermutlich genauso schlau wie jetzt. Wie soll ich das bitte anstellen? Sie will ja nicht einmal mit Donnie reden und mit den hatte sie, bis auf seinen Technikfirlefanz, eigentlich keine Probleme gehabt. Doch nun kehrt sie auch ihm den Rücken zu und das zeigt mir nur, wie viel Wut in diesem Mädchen steckt. Ich seufze. Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was ich nun machen soll und ich weiß nicht, ob es wirklich was bringt, wenn ich noch mehr Zeit verstreichen lasse. So wie es mir mein Bruder mit der lila Maske geraten hat. Ich muss mit ihr reden, so viel steht fest. Wenn Bernadette es nur zulassen würde. Sie will mich ja nicht sehen, aber an ihr Handy geht sie auch nicht. Es wirkt sogar so, als hätte sie das Ding absichtlich abgeschaltet, nur damit ich sie nicht erreichen kann. Ich muss also persönlich zu ihr, es hilft alles nichts. Auch wenn es Donnie gerade vor mir versucht hat und selbst an sein Vorhaben gescheitert es, werde ich trotzdem nichts unversucht lassen. Ich muss mit ihr sprechen und selbst wenn sie mit Donner und Krawall ihre Wut auf mich niederprasseln lässt, so will ich es durchziehen. Vielleicht habe ich danach bessere Chancen, mich für mein Verhalten zu entschuldigen. Somit nehme ich Anlauf und springe auf das gegenüberliegende Dach. Geschickt klettere ich schließlich bis zum ersten Stock hinunter und klopfe etwas zaghaft an die Fensterscheibe. Etwas dumpf bekomme ich gerade mit, wie Bernadette sich darüber beschwert: „Das gibt’s doch nicht?! Haben die es immer noch nicht verstanden?! Ich will niemanden sehen!“ Wohl bewusst, was auf mich zukommen wird, verharre ich auf der Stelle und klopfe ein weiteres Mal. Ich will sie sehen und ich will mit ihre sprechen. Es gibt kein Weg zurück. Schließlich kommt doch eine Reaktion von ihr, nachdem ich schon beinahe geglaubt habe, dass ich mich „im Regen stehen lässt“. Bernadette reißt, nachdem sie den Vorhang ein weiteres Mal weggezogen hat, wutentbrannt das Fenster auf und starrt mich an. Zunächst kann ich nichts sagen. Mein Mund ist wie zugekleistert. Ich sehe sie einfach an, bis ich schließlich erschrocken bemerke, dass sie ihr Amulett nicht mehr trägt. Das sichtbare Symbol unserer Liebe, mit dem sie mir mal eine Freude gemacht hatte, ziert nicht mehr ihren schönen Hals. Habe ich es nun endgültig vermasselt? Liebt sie mich tatsächlich nicht mehr und verliere ich sie nun für immer? Verzweifelt suche innerlich nach meiner Stimme und bitte sie schließlich mit mir zu reden: „Ich weiß, dass du mich nicht sehen willst, aber ich muss mit dir reden Bernadette.“ In ihrem Gesicht kann ich förmlich sehen, was sie sich gerade denken muss: Wie kann er hier nur aufkreuzen?! Der hat sie doch nicht mehr alle, er soll verschwinden! Doch ich werde nicht so schnell wieder abhauen. Ich muss und werde auch mit ihr reden. Sie muss wissen, dass es mir wirklich leidtut. Ich will, dass sie das von mir hört. Bernadette hat jegliches Recht auf mich sauer zu sein. Schließlich habe ich sie allein zurückgelassen und ich kann mir das nicht einmal selbst verzeihen. Dennoch flehe ich innerlich, dass sie mir noch eine Chance gibt und wenn ich es nur irgendwie schaffen kann, dass ich sie nicht ganz verliere, wäre es für mich mehr als genug. Noch immer wütend hält sie ihre Arme verschränkt. Ich kann dabei ihre verbundene Hand sehen, von dem mein Bruder mir erzählt hat und das lässt mein Hals noch etwas enger zusammenschnüren. So warte ich nur, bis sie mich dann anbrüllt: „Du hast echt Nerven hierher zu kommen! Am liebsten würde ich dir so sehr eine scheuern, sodass sich dein Schädel um 180° dreht! … Und ein für alle Mal: Ich will nicht reden, weder mit dir, noch mit Donnie, oder mit sonst irgendjemandem aus deiner Familie! Verstanden?! Lasst mich endlich in Ruhe!“ „Bernadette, es tut …“, versuche ich ihr zu sagen, aber sie schneidet mir in dieser Sekunde das Wort ab: „Deine Entschuldigung kannst du dir sonst wo hinstecken! Verdammt noch mal, du hast mich im Stich gelassen! Ich hatte eine Mordsangst! … Aber wozu sage ich das? Es ist doch eh egal.“ Niedergeschlagen seufzt Bernadette und macht sogar für einen Moment die Augen zu, als würde sie versuchen, sich zu beruhigen. Doch dann sieht sie mich wieder an. Enttäuschung, Schmerz und Wut spiegeln sich darin wieder und mit den Worten „Geh jetzt einfach.“ schließt sie das Fenster und geht. Aus Erzählersicht: Nachdem Donnie ins Versteck zurückgekehrt ist, erzählt er dem ungeduldigen Mikey von seiner Begegnung mit Bernadette, die leider nicht sehr positiv war. „Soll ich es versuchen? Bis jetzt habe ich es immer geschafft, sie zum Lachen zu bringen.“, meint der Orangemaskierte und ist sofort bereit, seinen Plan in die Tat umzusetzen, aber der Turtle mit der Brille erwidert nur: „Ich glaube kaum, dass es was bringt, wenn einer von uns das macht. Ich fürchte, dass Raphi das alleine irgendwie regeln muss. Jedoch liegen seine Chancen eher bei 1:1000.000, wenn ich mir die momentane Lage vor Augen halte.“ „Ist sie etwa so angepisst?“, will Mikey von ihm wissen, da er sich versucht, dieses kurze Treffen vorzustellen, aber da lacht Donnie sarkastisch: „Ha, „angepisst“ ist noch milde ausgedrückt. Wenn sie unseren Bruder statt meiner Wenigkeit in Empfang genommen hätte, wäre das der Besuch wohl schlimmer ausgefallen. Wobei ich mir jetzt vorstellen könnte, dass Raphi in diesem Augenblick bei ihr ist. Sonst hätte er mich nicht vorrausgeschickt.“ „Eijeijei, dabei dachte ich immer, dass der Liebeskummer vor ihrer Beziehung schon furchtbar genug gewesen wäre, aber das ist ja noch schlimmer. … Er hat einen gravierenden Fehler gemacht, das ist nicht zu leugnen, aber ihn so zu sehen …“, meint Mikey, beendet seinen Satz aber nicht. Der Lilamaskierte hingegen kann sich schon denken, was sein Bruder damit meint. Er nickt zustimmend, fügt aber noch hinzu: „Ich glaube aber, dass wir auch nicht gerade ganz unschuldig sind.“ Im Abseits von den beiden entfernt, lehnt Leo gerade armeverschränkend an einer Mauer. Von dem Gespräch hat er alles mitbekommen. Jedoch hat er sich davor gehütet da mitzureden, um ja keinen weiteren Streit heraufzubeschwören. Davon gab es in letzter Zeit viel zu viele in der Kanalisation, aber viel mehr beschäftigt ihn etwas Anderes. Während er seinen Brüdern zugehört hat, hat er sich auch mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Vieles geht ihm durch den Kopf, so wie zum Beispiel auch Was-wäre-wenn-Fragen. Zum einen fragt er sich, was passiert wäre, wenn er nichts zu der Beziehung zwischen seinen hitzköpfigen Bruder und Bernadette gesagt hätte. Zum anderen grübelt er darüber nach, was passieren würde, wenn die beiden nicht mehr zueinanderfinden werden. Denn auch er hat Raphaels Trübsal mitbekommen. Wenn sie sich nicht gerade über das eine bestimmte Thema gestritten haben, so ist zwischen ihnen ständig diese Funkstille. Dabei beschäftigt sich Raphael kaum mehr mit seinem Training. Er macht nur noch mehr das Nötigste und dann auch nur, wenn es ihm befohlen wird. Ansonsten weigert er sich, den Boxsack oder ein anderes Gerät für seine Freizeit zu nutzen, was er sonst immer gern getan hat. Mit seinen Brüdern redet er auch nur, wenn es wirklich notwendig ist. Besonders bei Leo ist er abseits der vorkommenden Zankereien still geworden und selbst diese sind von Tag zu Tag weniger geworden, was die Brüder sehr beunruhigt. Die meiste Zeit verbringt er in seinem Zimmer, oder er schleicht wie ein Geist durch das Zuhause der Mutanten. Aufheitern lässt er sich von niemandem. Er regt sich sogar nicht auf, wenn Mikey ihm aus Spaß wieder einen kleinen Streich gespielt hat. Der Rotmaskierte merkt es nicht einmal. Zu sehr ist er in seinem Trübsal gefangen und dies konnte Leo Tag für Tag beobachten. Der Anführer macht sich Sorgen um ihn und er fragt sich auch, wie es Bernadette in diesem Moment gehen würde. Auch wenn er die Beziehung der beiden nie verstanden hat, so sieht er in ihr eine gute Freundin, die er wie seinen Bruder ungewollt geschadet hat. Leo ist sich genau bewusst, dass er nicht nur eine kleine Teilschuld zu dieser Angelegenheit beiträgt, weswegen er etwas dagegen unternehmen will. Doch für heute möchte er die Situation ruhen lassen, da er bei diesem Gefühlsstau nichts erreichen würde. Allein schon, wie er bald darauf Raphael nach Hause kommen sieht, erkennt er an dessen Stimmung. Weswegen sein Vorhaben gleich am nächsten Morgen beginnt. Draußen ist es noch dunkel und dies nutzt er, um sein Heim verlassen zu können. Unter dem Vorwand, er würde in der Kanalisation ein stundenlanges Einzeltraining absolvieren, verlässt der Blaumaskierte mit Meister Splinters Einverständnis das Zuhause. Sein Ziel ist jedoch die Oberwelt. Nachdem er den Schacht verlassen hat, folgt er den Weg zu Bernadettes Haus, wo er von einem sicheren Versteck aus wartet. Lange muss er nicht dort verharren. Obwohl es Sonntag ist, verlässt Bernadettes Tante bei Sonnenaufgang das Gebäude. Mit einer großen und länglichen Tasche in der einen Hand und ihrem Handy an ihr rechtes Ohr gedrückt, redet sie gerade mit einer Freundin: „ … Ich kann es kaum erwarten, dass ich zu dir komme. … Natürlich habe ich alles für unseren Thementag mit. Das habe ich alles noch gestern besorgt. Du weißt ja, dass ich während der Woche kaum Zeit dafür habe. … Mein Bernadettchen? Nein, sie schläft heute mal aus. Sie war gestern mit ihren neuen Freundinnen in Coney Island unterwegs. Du glaubst ja gar nicht, wie froh ich bin, dass sie endlich mal wieder unter die Leute geht, aber alles Weitere erzähle ich dir dann nachher, bis dann.“ Schon legt sie auf, verstaut die Tasche in ihrem Auto und steigt schließlich selbst ein. Leo wartet noch einen Moment, bis die Frau losgefahren und dann um die Ecke gebogen ist. Erst dann wagt er sich aus seinem Versteck. Während sie mit sich selbst beschäftigt war, hat der Blaumaskierte das Haus abgecheckt. Im zweiten Stock hat er schließlich ein Fenster bemerkt, welches um einen Spalt offen steht und genau dieses sucht er nun auf. Kaum dass er nach einer kurzen Kletteraktion dort angekommen ist, nutzt er eines seiner Katanas, um die Fensterverriegelung von außen zu lösen. Diese schnappt auf, wodurch der Turtle das Fenster nun ganz öffnen und schließlich hineinklettern kann. Er landet in ein Schlafzimmer, verlässt dieses jedoch sofort wieder, um Bernadettes Zimmer aufzusuchen. Für ihn ist es ein Glück, dass nicht noch mehr Personen in diesem Haus wohnen. Sonst könnte er sein Vorhaben nicht durchsetzen, geschweige sich einfach so hier zu dieser Tageszeit aufhalten. Als er schließlich die Treppe zum ersten Stock heruntergeht, sucht er nach der richtigen Zimmertür. Erst beim Übernächsten wird er fündig, wo er das Mädchen noch in seinem Bett schlafen sieht. Der Schlaf ist jedoch alles andere als ruhig. Vielmehr wirkt es, als ob Bernadette einen Albtraum haben würde, bei der sie etwas Unverständliches vor sich her murmelt. Vorsichtig nähert Leo sich der Schlafenden und rüttelt sie sanft bei der Schulter, um sie zu wecken: „Hey, wach auf. Es ist alles gut. Es ist nur ein Traum, dir passiert nichts.“ Aus Bernadettes Sicht: Mit einem Schlag öffne ich erschrocken die Augen und schnappe nach Luft, während ich mich wie ein Klappmesser von meinem Bett erhebe. Oh Gott, das war nur ein Traum, oder wohl eher ein verfluchter Albtraum. Ich dachte schon, ich würde da niemals mehr rauskommen. Mich schaudert es, wenn ich nur daran denke. Weswegen ich nun mit meinen Händen gegen mein Gesicht reibe, damit diese Müdigkeit von mir abperlt. Doch kaum dass ich diese wieder wegnehme, erblicke ich Leo, der mich mit einer besorgten Miene anstarrt. Nicht damit gerechnet, dass er genau vor mir ist, schreie ich kurz auf, was auch ihm etwas zusammenzucken lässt: „Ah! … Sag mal spinnst du Leo?! Was ist in aller Welt machst du hier?! … Wie … Wie bist überhaupt hier reingekommen?!“ „Ich bin ein Ninja und Ninjas finden immer einen Weg, aber beruhige dich erst einmal.“, erklärt er mir, aber das macht mich noch wütender: „Ich soll mich beruhigen?! Hast du sie nicht mehr alle?! Du spazierst einfach in aller Herrgottsfrühe in mein Zimmer und du sagst mir, dass ich mich beruhigen soll?! … Wieso bist überhaupt hier?!“ Die letzte Frage hätte ich mir sparen können, aber durch meine Hysterie ist das einfach aus mir herausgeplatzt. Die eigentliche Frage wäre wohl eher, was er ca. um sechs Uhr morgens bei mir zu suchen hat. Wo er und seine Brüder normalerweise erst in der Dunkelheit die Kanalisation verlassen. Doch ich komme erst gar nicht dazu ihn das ergänzend zu fragen, denn schon geht das Geleier von gestern Abend munter weiter. Der einzige Unterschied ist, dass es sich merkwürdiger Weise diesmal um Leo handelt, der mich nervt. Gerade er sollte sich doch am meisten freuen, dass es zwischen mir und Raphael aus ist. Es hat ihn ja noch nie gepasst. Doch anscheinend ist es nicht so, denn er bittet mich, mit ihm zu reden: „Bernadette, ich bin hier, weil ich mit dir sprechen will und du kennst mich gut genug, um zu wissen, dass ich das nicht ohne Grund mache.“ Auffordernd, wie auch weiterhin besorgt, sitzt der Blaumaskierte an meinem Bett. Doch ich habe keine Lust, ihm Rede und Antwort zu stehen. Was glaubt er eigentlich, wer er ist, dass er einfach so in mein Zuhause hineinspazieren kann? Ich bin fertig mit dieser Familie und ich will, dass Leo sofort wieder geht und damit er das checkt, sage ich ihm genau das, was ich auch den anderen beiden an die Birne geknallt habe: „Ich habe es deinen Brüdern bereits gesagt und ich werde es auch dir jetzt sagen: NEIN, ich will nicht! Ich will einfach meine Ruhe von euch haben und dabei bleibt es!“ Wäre Leo vor meinem Fenster, so hätte ich dieses eiskalt vor seiner Nase zugeknallt. Dadurch aber, dass er in meinem Zimmer ist, sieht die Sache schon wieder anders aus. Leo geht nicht und er lässt auch nicht locker: „Ich werde aber im Gegensatz zu den anderen nicht so einfach gehen, bis du mit mir geredet hast.“ „Und warum glaubst du, sollte ich das machen?“, frage ich ihn empört, doch er verschränkt leicht schälmisch die Arme, als er mir antwortet: „Weil ich, wie du sicherlich weißt, mich bei Tageslicht nicht auf der Straße blicken lassen kann. Erst bei der Abenddämmerung kann und werde ich gehen. Bis dahin werde ich hierbleiben und ich hoffe inständig, dass du dann endlich bereit bist mit mir zu reden, oder mir zumindest zuhörst.“ Am liebsten würde ich den Blaumaskierten hochkantig rausschmeißen. Er weiß aber genauso gut wie ich, dass ich das niemals machen werde, solange draußen die Sonne scheint und bis diese wieder untergeht, habe ich noch viele Stunden vor mir. Leo kann von Glück reden, dass ich auch nach all dem es niemals zulassen werde, dass einer von ihnen entdeckt wird und genau hier liegt ja das Problem, oder wohl eher die Erpressung. Wieso macht er das? Erstens sieht das dem großen Anführer überhaupt nicht ähnlich und zweitens: Was hat er davon? Es wird sich nichts ändern! Auch wenn er mich dazu zwingt, mit ihm zu reden. Meine Entscheidung steht fest: Zwischen mir und Raphael ist es aus. Da fährt die Eisenbahn drüber. Was mich jetzt allerdings ärgert, ist, dass er geplant haben muss, in der Morgendämmerung zu mir zu kommen. Denn so hat er mich am Haken. Vermutlich werden die anderen auch noch eingeweiht sein. Anders könnte ich es mir nicht erklären. „Von mir aus bleib hier. Du kannst wirklich von Glück reden, dass ich niemanden hintergehe und dass meine Tante heute den ganzen Tag außer Haus ist. Sonst hättest du ganz schöne Schwierigkeiten.“, füge ich noch hinzu und ziehe schließlich die Bettdecke von mir weg. „Hör mal, ich will dich weder quälen, noch sonst irgendetwas in dieser Richtung. Ich will nur mit dir reden. Also bitte tue mir diesen einen Gefallen und ich werde dich dann nicht mehr belästigen, in Ordnung?“, versucht es Leo erneut, aber anscheinend habe ich eh keine andere Wahl. Kapitel 45: Ein Funken Hoffnung? -------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Im Nachhinein betrachtet, hätte auch ich einfach das Haus verlassen können, damit mir dieses Gespräch erspart bleibt. Jedoch ist es noch früh am Morgen und ich denke gar nicht daran, wegen einem ungebetenen Gast das Weite zu suchen. Immerhin bin ich bereits gestern unterwegs gewesen und jetzt bin ich müde. Ich lasse mich außerdem nicht aus meinem eigenen Heim „vertreiben“, nur weil der feine Herr sich einbilden muss, mir jetzt schon auf dem Wecker zu fallen. Das ist aber nicht das Einzige, was mich daran hindert. Erstens würde Leo es nicht zulassen, dass ich einfach so abhaue und zweitens würde er einen neuen Plan entwickeln, damit er mich zu einem Gespräch zwingen kann. Dabei hatte ich bereits gestern „das Vergnügen“ und zwar mit Donnie und mit Raphael. Jetzt beehrt mich der Anführer der Truppe und eigentlich würde da nur noch Mikey in der Runde fehlen. Dann hätten wir alle beisammen. Leo und seine Brüder sind leider sehr hartnäckig und wenn ich nicht will, dass demnächst der Vierte der Brüder hier antanzt, so werde ich Wohl oder Übel mitspielen müssen. Mann, hoffentlich ist ihm bewusst, dass er und seine Familie ganz schön meine Nerven strapazieren. Was tut man nicht alles, um endlich seine Ruhe haben zu können. Wenn Leo aber glaubt, dass er mich so einfach umstimmen kann, dann irrt er sich. Mein Entschluss steht fest, aber das werde ich ihn wohl noch solange verklickern müssen, bis es endlich in sein Hirn angekommen ist. Seufzend schicke ich Leo erst einmal aus meinem Zimmer: „Wenn es sein muss, dann geh bitte mal runter in die Küche. Ich komme dann nach, aber erst möchte ich mich mal anziehen.“ Verstehend nickt der Schildkrötenmutant mit der blauen Maske, steht auf und verlässt mein Zimmer. Ich sehe ihm noch kurz hinterher, bis ich augenrollend die Bettdecke von mir ziehe und mich schließlich frisch mache. Ich bin immer noch angepisst von seinem Besuch, was ich auch immer wieder grummelnd vor mich her murmle, aber vielleicht kann ich es schnell hinter mich bringen. Zumindest hoffe ich das. Als ich später nachkomme, hat sich Leo an dem kleinen Küchentisch bequem gemacht. Geduldig beobachtet er mich, wie ich durch den Raum streife. Ich genehmige mir aber erst einen Apfel aus der Obstschüssel, ehe ich mich ihm gegenübersetze. „Also? Ich höre.“, fordere ich den Schildkrötenmutanten auf und beiße in die Frucht. Ich versuche dabei so kalt wie möglich zu wirken. Er braucht nicht glauben, dass er mich komplett in der Hand hat. Außerdem soll er nicht sehen, wie aufgewühlt ich momentan bin. Dass ich neben Raphael noch ein weiteres Problem am Hals habe, geht ihm nichts an. Ich will es ihm einfach nicht zeigen. Stattdessen soll er meine kalte Schulter zu spüren bekommen und sehen, wie sehr mir das hier gerade missfällt. Jedoch hält dies Leo nicht davon ab, mir seinen Standpunkt zu schildern: „Hör mal, ich weiß, dass Raphi ganz schön Mist gebaut hat, aber es tut ihm wirklich leid. Er wollte dich nie dort auf dem Dach sitzen lassen.“ „Er hat es aber getan.“, erwidere ich trocken und beiße ein weiteres Stück von dem Apfel ab. Leo seufzt und meint: „Ich weiß und ich will das auch nicht schönreden, aber versteh bitte doch, dass es in letzter Zeit nicht einfach für ihn war. …“ „Tja, einfach war das für mich auch nicht und ist es auch jetzt nicht Leo. Ich habe mit meinem Leben genug zu tun und habe eigentlich gedacht, dass er mich dabei unterstützen würde. Doch stattdessen habe ich mir anhören müssen, dass ich ihn „in der Dunkelheit versauern lassen würde“ und ihn nicht mehr an mein Leben teilhaben lassen will.“, falle ich dem Blaumaskierten ins Wort ein und funkle ihn dabei böse an. Allein die Erinnerung an Raphaels Worte lassen jene Nacht noch einmal erwachen. Als müsste ich mir diese Situation ein weiteres Mal antun. Es hat sich einfach zu sehr in mein Herz hineingebrannt. Leo scheint es nachvollziehen zu wollen, aber das kann er nicht. Er war nicht dabei und trotzdem meint er: „Glaub mir, er hat das nicht so gemeint. Mein Bruder war frustriert und hat befürchtet, dass ihr euch immer mehr auseinanderleben werdet. Raphael wollte dich einfach nicht verlieren und jetzt sieht er, dass er genau das Gegenteil davon erreicht hat. Allein wie ich ihn in den letzten Tagen erlebt habe, ist er nun ein Schatten seiner selbst. Er denkt ständig an dich und auch an den letzten Nächten verbrachte er seine meiste Zeit in der Nähe deines Hauses. Es tut ihn wirklich leid und ich bin mir sicher, wenn er es rückgängig machen könnte, so würde er es tun.“ Ich sehe nun weg und starre stattdessen in die Leere, während ich den angebissenen Apfel noch immer in der Hand halte. Was erwartet Leo nun von mir? Soll ich etwa die Sache vergessen, auf „Friede-Freude-Eierkuchen“ machen und meinen Exfreund einfach so verzeihen? Das kann ich nicht. So sehr ich es mir auch vorstellen kann, dass Raphael nun mehr ein Schatten seiner selbst ist. Dafür hat er mich zu sehr verletzt. Er hat mich im Stich gelassen und kam erst dann auf die Idee zurückzukehren, nachdem ich schon aufgegeben hatte, auf ihn zu warten. Dennoch, wenn ich daran denke, wie er mich letzte Nacht angesehen hatte, komme ich ins Grübeln. Es war so viel Verzweiflung in seinen goldgelben Augen, aber ich war einfach zu wütend, um sie wirklich realisieren zu wollen. Nach der ersten Ladung gab es noch ein paar weitere Wortgefechte meinerseits. Zu groß war einfach der Schmerz, der mich auch jetzt noch quält. Allein der Gedanke, wie er mich bei unserem Streit behandelt hatte und wie er nun drauf ist, lässt mich irgendwie in eine Zwickmühle stecken. Ob ich es wahrhaben will oder nicht, aber trotz allem empfinde ich immer noch etwas für diesen störrischen Hitzkopf. Meine Liebe zu ihm kann ich nun mal nicht abstreiten, so sehr ich es auch versucht habe. Was mache ich nur? Ich kann ihm doch so einfach nicht verzeihen. Er hat mein Vertrauen zu ihm zerstört, indem er mir misstraute und mir sogar Dinge vorwarf, von denen das Meiste nicht einmal stimmte. Das Einzige, was wahr ist, ist, dass ich in letzter Zeit kaum Zeit für ihn gehabt habe, aber das hatte nichts mit ihm zu tun. Momentan fühle ich mich einfach hin- und hergerissen. Dennoch will ich es Leo nicht zeigen und versuche darauf so neutral wie möglich zu wirken. Der Blaumaskierte jedoch redet einfach weiter: „Bernadette, glaube mir, er hat das niemals gewollt. Er hat dich sehr verletzt, aber er liebt dich. Mehr als du denkst. Ich weiß, dass Raphi nicht einfach ist. Er ist mein Bruder und macht manchmal Sachen, die einfach unbegreiflich sind. Doch diesmal trägt er nicht allein die Schuld. Auch wenn er Mist gebaut hat, so geht das eigentlich mehr auf meine Kappe. Hätte ich nichts gesagt, so wäre es vielleicht nicht dazu gekommen.“ In diesem Augenblick werde ich hellhörig und sehe den Mutanten mit der blauen Maske an. Das ist genau der Punkt, den ich bei ihm bis heute nicht verstanden habe und genau darauf spreche ich den Anführer nun an: „Leo, ich habe mich ständig gefragt, was du gegen mich hast? Ich dachte eigentlich, dass wir Freunde sind. …“ Weiter komme ich nicht. Leo muss genau gewusst haben, dass ich das irgendwann mal sagen werde. So erwidert er sofort: „Das sind wir auch. Ich habe dich niemals als Feindin oder Eindringling gesehen, aber ich hatte einfach ständig diese Angst.“ „Angst, wovor bitte? Leo, du tust ja so, als würde ich euch im nächsten Augenblick an die Wissenschaft verkaufen wollen.“, melde ich mich nun dazwischen. Mir ist einfach schleierhaft, wie ich einem Mutanten wie Leo Angst machen könnte und gerade ihm musste ich immer wieder beweisen, dass man mir trauen kann. Jedoch scheint Leo das nicht zu meinen, denn er schüttelt augenblicklich den Kopf, als er weiterredet: „Das ist es nicht. … Ich konnte, oder wollte mir einfach nicht vorstellen, dass so eine Beziehung tatsächlich klappen könnte. Ich meine: Hast du dir schon mal überlegt, wie es nach der Schule weitergehen wird? Hast du wirklich vor, dein ganzes Leben mit jemandem zu verbringen, der sich eigentlich vor der Welt verbergen muss, weil er kein Mensch ist und daher nur im Geheimen agieren kann? Willst du nicht auch irgendeinmal eine Familie gründen? … Versteh mich bitte nicht falsch. Ich habe ja sehen können, dass ihr euch gegenseitig glücklich machen könnt, aber ich hatte Angst, dass du eines Tages deine Meinung zu ihm und zu eurer Beziehung ändern könntest. Ich fragte mich, wann es passieren würde, wenn du ihn abservierst und ihm so das Herz brichst, nur weil du dich vielleicht nach einem normalen Leben sehnst, welches er dir niemals bieten kann. … Bernadette, wir sind Mutanten. Wir können uns leider nicht auf etwas einlassen, was wir gerne hätten, ohne die möglichen Konsequenzen dafür zu betrachten. Ich dachte, wenn ich Raphi zum Nachdenken bringen könnte, würde er meine Bedenken verstehen und sich nicht einfach blind in etwas hineinstürzen, von dem wir alle kaum eine Ahnung haben. Davon bin ich die ganze Zeit überzeugt gewesen. Doch nun habe ich eingesehen, dass ich durch mein Einmischen etwas ins Rollen gebracht habe, was ich eigentlich niemals wollte. Es tut mir wirklich leid. Wenn du wütend auf Raphi bist, dann sei auch bitte wütend auf mich.“ Bei seinen letzten Worten sieht Leo bedrückt zu Boden und ich weiß nicht wirklich, was ich davon halten soll. Nicht nur, dass er bei mir für sein Verhalten um Verzeihung bittet, er scheint sich tatsächlich ständig Gedanken darüber gemacht zu haben, was meine Beziehung zu Raphael betrifft. Ich muss zugeben, dass ich früher eher geglaubt habe, dass er nur eifersüchtig ist, weil er sowas selbst noch nicht erleben durfte. Dass er sich aber so große Sorgen um die Zukunft macht, lässt einem schon zu denken geben. Ich glaube sogar, dass ich ihn nun ein Stück besser verstehen kann. Dennoch gibt es eine Sache, die ich nicht außer Acht lassen will und den Anführer auch mitteile: Auch wenn Leo seinen Bruder mit seiner Befürchtung verwirrt und irgendwie beeinflusst hat, so ist doch jeder selbst für seine Entscheidungen und Handlungen verantwortlich. Schließlich hätte Raphael jederzeit mit mir reden können. Dass er wegen der neuen Situation angepisst war, war unverkennbar, aber er teilte mir nie mit, wie schlimm es aus seiner Sicht war. Ich hatte daher keine Ahnung und genau dieses Problem hatten wir schon einmal. Da waren wir noch nicht einmal zusammen und nun passierte es wieder, dass Raphael nicht mit mir redete. An seiner Liebe zweifle ich nicht, so wie Leo es vermutlich glaubt. Vielmehr ist es dieses Vertrauen, was nun zerstört ist. Nicht nur, dass er mich im Nirgendwo hat einfach stehen lassen, er reagierte erst, als ich nach vergeblichem Bitten aufgegeben hatte und das kann ich nun mal nicht ignorieren. Wie soll ich mit jemandem eine Beziehung führen, wenn diese Vertrauensbasis in kürzester Zeit kippen kann. Ich wollte das auch verhindern, indem ich Raphael wieder sichtbar zeige, wie viel er mir bedeutet. Dabei denke ich an das Gedicht, was ich für ihn geschrieben habe und kaum, dass mir das wieder einfällt, so sehe ich Raphael vor mir. Seine warmen Augen, sein Lächeln, diese Geborgenheit in seiner Nähe, als das fehlt mir und ich muss sogar zugeben, dass ich ihn sehr vermisse. Ich sehne mich nach der Freude, die ich jedes Mal gespürt habe, wenn ich auf ihn gewartet habe, oder wenn er mit mir in der Nacht unterwegs war. Jedes noch so kleine „Abenteuer“ war mit ihm, als könnte ich mit ihm die ganze Welt bereisen und das in nur eine Nacht. Doch jetzt scheint es vorbei zu sein und wäre dieser unerträgliche Schmerz nicht in mir, so hätte ich sofort alles über Bord geworfen und wäre zu ihm gerannt. Ich liebe ihn, mehr als mein Leben, aber so einfach ist das nicht. Ich brauche einfach noch Zeit, damit ich das Geschehen irgendwie verarbeiten kann. Ich muss darüber nachdenken, was ich nun wirklich will und ob es mir möglich ist, Raphael so schnell eine zweite Chance zu geben. Auf der einen Seite schreit mein Herz, dass ich mich von meinen Ängsten nicht beirren lassen soll. Doch auf der anderen Seite stehe ich den Schmerzen gegenüber, die ich seinetwegen ertragen musste. Daher kann ich mich einfach nicht sofort entscheiden und diese Zeit muss man mir auch zugestehen können. Im Moment schweigen sowohl Leo als auch ich. Zu meiner Überraschung habe ich eigentlich etwas Anderes erwartet. Wie zum Beispiel, dass er mich nun mit etwas Nachdruck bittet, mit seinem Bruder zu reden und mich mit ihm zu versöhnen. Jedoch scheint er mich zu nichts zwingen zu wollen, sondern wollte mir nur die jetzige Situation aus seiner Sicht schildern, die ich nun kenne. Dass er sich die Schuld für diese Probleme zwischen mir und Raphael gibt, ist zwar irgendwie lobenswert und ich kann ihn nun ein Stück besser verstehen, aber mir ist nun eher wichtig, wie es jetzt weitergeht. Noch kann und will ich keine sichere Entscheidung treffen, aber was mache ich jetzt. Irgendwie bin ich mir unschlüssig, denn Leo hat nun „seinen Teil gemacht“, aber wie gehe ich nun damit um? Dass ich Zeit brauchen werde, soll mein Gegenüber Raphael auf jeden Fall ausrichten. So viel ist klar, aber irgendwie will ich den Sturkopf auch mitteilen, dass ich nie an seiner Liebe gezweifelt habe. Moment, was ist mit dem Gedicht? Vielleicht kann es mir doch noch zu Nutze sein, obwohl ich es eigentlich anders verwenden wollte. Etwas Besseres fällt mir momentan nicht ein und ich so darüber nachdenke, erfüllt es so, wenn auch auf einer anderen Weise, seinen Zweck. Seufzend lege ich den angebissenen Apfel zur Seite und sage Leo kurz, dass ich gleich wiederkomme. Ich gehe in mein Zimmer, wo ich nach der Kiste suche. Ich stöbere solange, bis ich die Richtige gefunden habe und das zusammengefaltete Blatt Papier herausnehme. Damit kehre ich nun zum Blaumaskierten zurück, der mich sowohl fragend, wie auch leicht verwirrt ansieht. Jedoch sagt er nichts und wartet sogar, bis ich mich wieder an den Tisch gesetzt habe. Schließlich überreiche ich ihm das Gedicht und erkläre ihm, was es damit auf sich hat: „Das ist etwas, mit dem ich Raphael an jenen Abend eine kleine Freude machen wollte. Ich wusste, dass er in letzter Zeit nicht sehr glücklich darüber war, dass wir uns nur wenig sehen konnten, weswegen ich mir was überlegt hatte. Gib es ihm, wenn du bei der Abenddämmerung heimkehrst und sage ihm bitte genau das. … Und auch Folgendes: Wenn er mich wirklich liebt, hoffe ich, dass er auf mich wartet. Derweil weiß ich einfach nicht, wie es nun weitergehen wird. Ich brauche nun mal Zeit und die muss er mir geben. Wenn ich bereit bin, werde ich ihm ein deutlich sichtbares Zeichen geben. Wenn es soweit ist, wird er es verstehen.“ Aus Raphaels Sicht: Demotiviert und desinteressiert sitze ich mit Mikey auf der Couch und sehe fern. Mein nerviger Bruder hat mich nach langem Bitten und Betteln dazu getrieben, endlich mein Zimmer zu verlassen. Zunächst wollte er unbedingt mit mir Skateboard fahren, aber dazu hatte ich weder Lust noch Laune gehabt, weswegen er sich dann für den Flimmerkasten entschieden hat. Das war immer noch „besser“, als mit ihm durch die Kanalisation herumzugeistern. Wenn er unbedingt fahren will, kann er das meinetwegen machen, aber ohne mich. Mir ist das einfach zu blöd und bei seinem kindischen Gegrinse wird mir auch nur schlecht. Doch dabei scheint er sich gerade etwas zurückzunehmen. Ach, das kann mir egal sein. Mikey werde ich sowieso nicht verstehen. Da friert wohl eher noch die Hölle zu, bis das mal passiert. So zappe ich also lustlos durch die einzelnen Kanäle und lasse mich zwischendurch berieseln. Jedoch höre ich nicht wirklich zu und ich starre viel mehr Löcher in die Luft als auf dem Fernseher. Meine Gedanken sind nun mal ständig auf ein Thema fokussiert und das ist Bernadette. Niemals werde ich diesen Blick vergessen. Ihre graugrünen Augen, die ich immer so sehr an ihr geliebt habe, spiegelten Hass und Zorn wieder, als wären sie beinahe in Brand gesteckt worden. Ihre Worte, so scharf wie Klingen, versetzten mir Stück für Stück einen Stich ins Herz. Dennoch ertrug ich dies ohne zu klagen, denn sie hatte jedes Recht dazu. Ich hatte sie im Stich gelassen und als sie mich am meisten brauchte, war ich nicht für sie da. Stattdessen hatte ich ihr Dinge an den Kopf geworfen, die ich nun bitterlich bereue. Wenn ich nur die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich es auf der Stelle tun. Ich kann es aber nicht und nichts wird jemals wieder so sein wie vorher. Ich habe sie verloren und das nur, weil ich mir die ganze Zeit einen Schwachsinn eingeredet habe. Doch nun ist es zu spät. Ich will mich gerade von der Couch erheben und mich wieder in mein Zimmer verziehen, als Leo auf einmal auftaucht. Mikey ist sogleich der Erste, der aufspringt und unserem Anführer hysterisch fragt, wo er den ganzen Tag gewesen ist. „Ich hatte etwas Wichtiges zu erledigen, aber jetzt muss ich erst einmal mit Raphi sprechen und das alleine.“, erklärt er kurz und knapp. Doch ich habe keine Lust mit ihm zu reden, weswegen ich einfach ohne ein Wort das Weite suche, aber Leo rennt mir hinterher. „Lass mich in Ruhe.“, murmle ich bedrückt, aber der Anführer gibt nicht nach: „Ich war bei ihr!“ Mehr braucht er gar nicht sagen, denn schon bin ich hellhörig geworden. Als ich ihn fragend ansehe, gibt er mir mit einem Nicken zu verstehen, dass er tatsächlich bei Bernadette war. Worte brauchten wir beide in diesem Moment nicht dafür und obwohl sich alles in mir sträubt, will ich jede Einzelheit von meinem Bruder wissen. So gehen wir schließlich in mein Zimmer, wo wir unsere Ruhe haben. Vermutlich werden Donnie und Mikey schon bald lauschen kommen, aber das ist mir im Moment egal. Mich interessiert nur eines und zwar Bernadette. „Sag schon, wie geht es ihr?“, frage ich ihn schon ungeduldig, als hätte ich sie eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Dabei war ich erst letzte Nacht bei ihr und die ist alles andere als gut verlaufen. Leo bleibt im Gegensatz zu mir ganz ruhig, als er zu erzählen beginnt: „Ihr geht es nicht viel besser als dir. … Sie wollte am Anfang gar nicht mit mir reden und hätte mich am liebsten sogar wieder fortgeschickt. Da ich aber schon in der Morgendämmerung bei ihr aufgetaucht war, wusste sie, dass ich mich bei helllichtem Tag nicht auf der Straße blicken lassen konnte. Somit musste sie mir zuhören.“ Deswegen war er also stundenlang nicht hier. Dabei sagte unser Vater, dass er den ganzen Tag in der Kanalisation trainieren würde und erst nach vielen Stunden wieder heimkehren würde. Nicht, dass es mich interessieren würde, aber hatte er etwa unseren Sensei angelogen und das wegen Bernadette und mir? Gerade er befolgt doch meistens die Regeln. Unschlüssig darüber, was ich darauf erwidern soll, frage ich Leo stattdessen einfach weiter nach Bernadette: „Was hast du zu ihr gesagt?“ „Ich habe ihr gesagt, dass es dir nicht gut geht, dass du dein Handeln bereust und dass du sie aus tiefsten Herzen liebst. Ich habe versucht ihr klar zu machen, dass das vielleicht nicht passiert wäre, hätte ich mich nicht in eure Beziehung eingemischt. Hätte ich nicht ständig mit dir darüber gezankt, wäre es vielleicht anders gekommen. Ich habe ihr erklärt, warum ich so gegen eure Beziehung war und später meinte sie, sie würde das irgendwie verstehen, aber für sie rechtfertigt das nicht, dass du sie allein gelassen hattest.“ Nach Leos Grund frage ich erst gar und irgendwie will ich das auch gar nicht mehr wissen. Nicht einmal wie er es überhaupt geschafft, sie zum Reden zu bringen, hat für mich eine Bedeutung. Obgleich sie ihn auch hätte ignorieren, als er bei ihr aufgekreuzt ist. Viel mehr interessiert es mich, was bei diesem Gespräch herausgekommen ist. Ich will alles von ihm erfahren und irgendetwas muss Bernadette noch gesagt haben, oder? Das kann es nicht schon gewesen sein! In diesem Augenblick überreicht Leo mir einen Zettel. Er ist zusammengefaltet und ich habe im ersten Augenblick keine Ahnung, was ich damit anfangen soll. Ist das vielleicht eine Nachricht vor ihr? Ich spüre förmlich, wie mein Herz heftiger zu schlagen beginnt. Man könnte sogar meinen, dass es sich gerade aus mir herauskämpfen will, so stark fühle ich ihn. Als ich das Papier entgegennehme und meinen Bruder gerade fragen will, was das jetzt genau ist, nimmt er mir dies zu meiner Erleichterung ab. Ohne Umschweife klärt er mich auf: „Bernadette hat mir erzählt, dass auch sie sich in letzter Zeit Gedanken gemacht hatte. Ihr war aufgefallen, dass du wegen der Veränderung mit der Schule unglücklich warst. Ihr hattet euch ja immer weniger sehen können und bei dem einen Mal war sie so müde gewesen, sodass du wieder gehen musstest. Um dies wieder gut zu machen und um dir eine Freude zu bereiten, hat sie das für dich geschrieben gehabt. Bernadette hatte eigentlich vorgehabt, dir dies vor eurem Streit zu überreichen, aber es kam ja leider anders.“ Mein Blick schweift wieder auf das Stück Papier. Wie einen Schatz halte ich es vorsichtig mit beiden Händen. Unschlüssig darüber, ob ich es mir genauer ansehen soll, starre ich es einfach an. Sie wollte mir damit eine Freude machen? Ihr war wirklich aufgefallen, dass ich nicht glücklich war? Bei diesem Gedanken kommt mir der Vorwurf wieder in den Sinn, den ich Bernadette an jener Nacht an den Kopf geworfen hatte. Dass ihr unsere Beziehung egal geworden wäre und dass sie sich nur noch für ihr neues Leben mit ihren neuen Freunden interessieren würde. All das hatte ich mir nur eingeredet und den Beweis halte ich nun in meinen Händen. Mehr als je zuvor will ich nun den Inhalt wissen und so falte ich das Papier vorsichtig auseinander. Was ich da erblicke, lässt mich gerührt schmunzeln. Bernadette hatte für mich ein Gedicht verfasst. Dabei habe ich gar nichts mit Literatur am Hut und doch hatte sie sich die Mühe gemacht. Ohne länger zu zögern, lese ich schließlich, was sie mit einer schönen Handschrift geschrieben hat: « Für meinen geliebten Schattenkrieger. Ich hoffe du freust dich darüber: Wenn ich nachts aus dem Fenster sehe, so weiß ich, du bist da. Als Beschützer, überzeugt mit Leib und Seele, tust du deine Pflicht. So wie ich es immer sah. Doch für mich bist du mehr als nur ein Wächter der Nacht, der über die Dächer New Yorks streift. Bei dem es auch mal ordentlich kracht und der diese Diebe und andere Halunken ergreift. Als Fremder kamst du in mein Leben und gewannst mein Vertrauen. Du wurdest mein bester Freund, es ergab sich eben. Ich konnte stets auf dich bauen. Dass wir zusammen kamen, du und ich, war wie ein sehnlichst erfüllter Traum. Ich sage es dir immer wieder gern, ich liebe dich, so sehr, man glaubt es kaum. Auch wenn es jemand anders sieht, ich liebe dich so, wie du bist. Es gibt so vieles, was mich zu dir zieht. Ich will, dass du das niemals vergisst. Ich bewundere deine Stärke und damit meine ich nicht nur Muskelkraft. Ich sehe dich an und merke, dass man mit dir so vieles schafft. In deine goldgelben Augen ich mich gerne verlier, was Schöneres kann`s für mich nicht geben. In deinem Armen im Jetzt und Hier, ich weiß, wir werden noch viel erleben. Dein Herz gleicht dem Meere, hat manchmal Sturm, Ebbe und auch Flut. Doch darin versteckt sich manch eine Perle. Ein Schatz, den ich seh` und der dort friedlich ruht. An deiner Seite möchte ich sein, egal was auch kommen mag. Mein Herz gehört nur dir allein, zu jederzeit, egal ob Nacht oder Tag. Ich hoffe, du weißt, dass ich stets an dich denke. Dein Engel » Nachdem ich die letzten Worte gelesen habe, halte ich noch inne. Während des Lesens hätte ich schwören können, dass Bernadette mir genau in diesem Moment diese Zeilen vorliest. Wie in einem Traum glaubte ich ihre Stimme in meinem Kopf zu hören und wie sehr würde ich sie mir jetzt an meiner Seite wünschen. Doch sie ist nicht hier und nach allem was passiert ist, kann ich mir kaum vorstellen, dass es je wieder so sein wird. So wie sie mich gestern angeschrien hatte, war nur Hass und Zorn zu sehen. Nur warum hat sie Leo dieses Gedicht mitgegeben, wenn es doch zwischen uns aus ist? Hat er doch noch irgendetwas zu ihr gesagt, wodurch sie sich umstimmen ließ? Gibt es da etwa doch noch eine Chance für mich, einen kleinen Funken Hoffnung? Oder ist das nur ein Zeichen dafür, dass ich es vermasselt habe und das hier ist somit das Letzte, was ich von ihr noch zu Gesicht bekomme? Ich bin verwirrt. Unzählige Gedanken und Möglichkeiten schwirren mir durch den Kopf. Alles scheint in mir durcheinanderzuschreien. Denn ich will die Hoffnung irgendwie nicht aufgeben, dass es doch noch nicht alles verloren ist. Eigentlich hatte ich Leo durch meine Gedanken völlig ausgeblendet, bis ich plötzlich seine Hand auf meiner linken Schulter spüre. Als ich ihn daraufhin ansehe, lächelt er leicht und meint, dass er noch eine Nachricht für mich hat: „Bernadette hat mir noch Folgendes gesagt: Sie braucht jetzt noch Zeit, um über alles nachdenken zu können. Sie hofft darauf, dass du ihr diese auch gibst und solange auf sie wartest. Wenn sie soweit ist, wird sie dir ein deutlich sichtbares Zeichen geben. Sie hat gemeint, du wirst es verstehen, wenn du es siehst.“ Sprachlos weiten sich meine Augen. Nie und nimmer habe ich mit sowas gerechnet und doch habe ich es gehört. Ist das jetzt wirklich kein Scherz? Ich nicke einfach nur, um zu zeigen, dass ich ihn verstanden habe. Worte finde ich jedoch keine dafür. Leo dreht sich schließlich um und will mich schon alleine lassen. Doch bevor er geht, sage ich noch schnell ein flüchtiges „Danke“ zu ihm. Er wiederum meint nur, ehe er verschwindet: „Das war ich dir und Bernadette mehr als nur schuldig.“ Kapitel 46: Meine Entscheidung ------------------------------ Aus Bernadettes Sicht: Mit Leo beinahe einen ganzen Tag zu verbringen, war einer der erdrückendsten Momente, die ich jemals erlebt habe. Ich war nur irgendwie froh, dass er mich nach dem Gespräch so ziemlich in Ruhe ließ. Dennoch nagte dies noch weiter an mir. Nicht nur, dass er mich „gezwungen“ hat, mich aufs Neue direkt mit dem Thema zu befassen, ich habe nun mitbekommen, wie es Raphael geht. Dabei wollte ich einfach nichts mehr mit ihm und seiner Familie zu tun haben. Ich wollte einfach alles von mir fernhalten, damit ich nicht einfach schon wieder mit diesen Schmerzen konfrontiert werde und doch hat Leo es geschafft, seinen „Plan“ durchzuziehen. Er hat mich zum Nachdenken gebracht und mich wieder in mich hineinhorchen lassen, welche Gefühle ich für diesen Dickkopf hege. Ich wollte es ignorieren und ich wollte es nicht mehr wahrhaben, dass meine Liebe zu ihm stark genug ist, um über die Wut hinüberblicken zu können. Was mache ich nur? Lasse ich mich ein weiteres Mal darauf ein, oder setze ich diesen Gefühlen ein Ende? Es ist das erste Mal, dass ich mich verliebt habe und ich irgendwie will auch nicht so schnell aufgeben, dass es zwischen mir und Raphael doch wieder etwas werden könnte. Dennoch schreit etwas in mir, dass ich diese innerlichen Wunden nicht ignorieren kann und genau hier liegt der Hund begraben. Manchmal frage ich mich, was das Schicksal mir noch bereithält, bis das Maß endgültig voll ist. Ich habe schon vieles durchmachen müssen und bin nicht nur einmal auf die Schnauze gefallen. Ich musste immer wieder aufstehen, nur um festzustellen, dass schon bald die nächsten Stürze folgen würden und dass vielleicht sogar jemand darauf tritt. Die Stimmung selbst blieb heute weiterhin angespannt und das obwohl Leo und ich uns ab dem Vormittag aus dem Weg gingen. Ich muss aber ehrlicherweise zugeben, dass es einfach die momentane Situation ausmachte. Ich fühle mich einfach mies und das sogar aus mehreren Gründen, wodurch ich schon längst hätte zerspringen müssen. Wo ich doch zunächst die Mobbingsache mehr oder weniger hinter mich gebracht habe, so werde ich nun von einem Unbekannten, der wie mein Dad aussieht, verfolgt. Wie ein Geist könnte er jederzeit vor mir auftauchen und dann ist da auch noch Raphael, der mir nicht einfach aus meinem Kopf will, geschweige aus meinem Herzen. Momentan fühle ich mich wieder so allein. Beinahe ist es wie früher, bevor ich Raphael das erste Mal begegnet war. Nur diesmal geht es nicht um Mobbing, oder um die Familie, sondern um meine große Liebe, die mein Vertrauen zunichtegemacht hat. Im Grunde meines Herzen will ich ja wieder mit ihm zusammen sein. Trotz dem ganzen Mist liebe ich Raphael immer noch. Daran hat sich nichts geändert. So sehr ich das zunächst verdrängen wollte. Doch je mehr ich darüber nachdenke, desto bewusster wird es mir. Wäre es mir doch möglich, einen einfachen Weg zu finden. Verdient hätte ich ihn allemal. Doch ich sehe diesen leider nicht und zu meinem Übel plagen mich seit einigen Nächten diese Albträume. Dabei sehe ich diesen besoffenen Typen vor mir, wie er sich auf mich stürzt und mein Shirt von mir reißt. Doch bevor es dann wirklich passiert, wache ich jedes Mal noch rechtzeitig auf. Schweißgebadet sitze ich meistens dann aufrecht in meinem Bett und brauche wieder eine Ewigkeit, bis ich wieder einschlafen kann. Träume ich mal nicht von ihm, so ist es eine Verfolgungsjagd mit diesem seltsamen Mann, der wie mein Dad aussieht. Meist ist es dabei mit dem Streit mit Raphael gekoppelt, der mich wegen dem Kerl auslacht und mich schließlich allein zurücklässt. Als könnte er mich nicht ernstnehmen. So wie es Mia und Cori tun. Ich weiß, dass sind nur Träume, aber wenn ich da mittendrinstecke, kommt es mir beinahe so real vor. Allein die Vorstellung ist schon bizarr genug, weswegen ich nächtelang schlecht schlafe. Normalerweise hätte ich ja mit Raphael darüber geredet. Wäre da nicht unser Beziehungsproblem in die Quere gekommen, so hätte ich dies bereits getan. Langsam glaube ich schon wirklich verrückt zu werden. Besonders was diesen Fremden angeht, der meinem verstorbenen Vater gleicht, bin ich kein Stück weitergekommen. April hat extra für mich recherchiert, hat aber bisher auch keinen Erfolg gehabt. Das Schlimmste daran ist, dass ich die Einzige bin, die diesen Typen gesehen hat und bei den Momenten darauf, die in Laufe der nächsten zwei Wochen geschehen sind, bin ich wiederum die einzige Augenzeugin gewesen. Um nicht gänzlich für verrückt erklärt zu werden, erzähle ich immer weniger davon und versuche es auch irgendwie zu vergessen und zu verdrängen. Doch selbst an meinen letzten Schultag kommt mir der Kerl wieder in die Quere. Kaum, dass ich fast den Block erreicht habe, in der sich mein Haus befindet, sehe ich diesen schon bei einer Seitenstraße herumgehen. Das könnte meine Chance sein, ihn diesmal zu erwischen. Diese Gegend kenne ich nur zu gut. Ich bin schließlich hier aufgewachsen, weswegen ich ihm folge. Zunächst möglichst unauffällig nähere ich mich ihm, aber kaum dass ich ein paar Meter von ihm entfernt stehe, tritt er schleunigst den Rückzug an. „Warten Sie! Bleiben Sie stehen!“, rufen ich dem Mann zu und beschleunige mein Tempo. Der Kerl denkt jedoch nicht daran und läuft in eine Seitenstraße hinein. Als ich ebenfalls dort abbiege, bleibe ich verdutzt stehen. Er ist nämlich schon wieder verschwunden. Verdammt, das gibt es doch nicht! Wie oft soll das denn noch passieren, bis ich endlich einmal herausfinde, was hier gespielt wird?! Es ist echt nicht zu fassen! Wütend verlasse ich schließlich den Ort und gehe nach Hause. Es hat ja ohnehin keinen Zweck, ihn zu suchen. Er ist weg. Irgendwann aber wird dieser Kerl wiederauftauchen und dann fängt dieses „Spiel“ wieder von vorne an. Wie mir das stinkt! Wenig später stehe ich schließlich vor der Haustür. Meine Laune hat sich aber kein Stück verbessert, aber wenn er glaubt, dass ich weiterhin so ärgern lasse, dann hat er sich genschnitten. Irgendwann werde ich herausfinden, was dieser Scheiß zu bedeuten hat. Ich bin noch völlig in meine Gedanken versunken, doch als ich die Tür öffne, werde ich schon von einer stürmischen Umarmung begrüßt: „Überraschung!“ Im ersten Moment bleibt mir die Luft weg, als ich jedoch sehe, wer mich da gerade fast zerquetscht, verändert sie schlagartig mein Gemüt. „Mom! Du bist hier!“, rufe ich begeistert und erwidere schließlich die Umarmung. „Damit hast du wohl nicht gerechnet, wie?“, fragt sie und ich schüttle grinsend den Kopf: „Wo denkst du hin? Ich dachte, du wärst unterwegs. … Ich freue mich so dich zu sehen.“ „Ach, mir ergeht es nicht viel anders und ich freue mich zu sehen, dass du Sache wegen der Schule endlich hinter dich gebracht hast.“, meint sie darauf. Naja, den Unterricht selbst habe ich mal für dieses Schuljahr hinter mich gebracht und ich bin heilfroh darüber, dass ich mich endlich entspannen kann. In letzter Zeit hatte ich soviel zu pauken, sodass es eigentlich für ein ganzes Leben reichen könnte. Ob übertrieben oder nicht, ich sehne mich einfach nur nach Erholung und dass meine Mom hier ist, macht die Sache umso schöner für mich. Schließlich erzählt sie mir, wie dazu kommt, dass sie gerade nicht irgendwo in der Weltgeschichte herumirrt: „Endlich konnte ich mir Urlaub nehmen. Ich wollte dich und meine Schwester unbedingt wiedersehen und da dachte ich, dass es doch am geschicktesten wäre, wenn ich dafür deinen letzten Schultag als ersten Urlaubstag nehmen würde. Und überrascht?“ „Auf jeden Fall.“, erwidere ich und umarme sie ein weiters Mal. Diese Überraschung ist ihr wirklich gelungen und mit einem Schlag ist meine Trübsinnigkeit wie weggeblasen. Ich freue mich einfach so sehr, meine Mutter wieder bei mir haben zu können, wodurch ich fürs Erste meine Probleme zur Seite schieben kann. Ich hätte so und so keine Möglichkeit, daran zu denken, denn meine Mom hat so viel zu erzählen, sodass es für ein ganzes Buch reichen könnte. Augenblicklich nimmt sie mich bei der Hand und zieht mich ins Wohnzimmer, wo wir uns auf der Couch niederlassen. Stundenlang sind wir beide am Quatschen und als noch meine Tante von der Arbeit nach Hause kommt, ist die Freude um ein Weiteres gestiegen. Grinsend sehe ich zu, wie sich zwei Schwestern in die Arme nehmen, von denen eine ständig auf Weltreise, während die andere in einer großen Firma tätig sind. Eigentlich sind sie beide von Grund auf verschieden und trotzdem herzen sich die beiden, als könnten sie Zwillinge sein. Vielleicht ist einfach nur etwas, was man sofort als Familie bezeichnen könnte. Bei jeder sieht es anders aus und bei mir ist es nun mal so. Von da an wächst der Gesprächsstoff. Fotos werden gezeigt, manche Geschichten werden neu erzählt und zwischendurch genehmigen wir uns sogar eine Pizza, die wir uns nebenbei bestellt haben. Durch dass wir so viel nachzuholen haben, war ans Kochen gar nicht zu denken und warum sollte man sich nicht auch mal etwas gönnen, ohne dabei in der Küche stehen zu müssen? Wir drei verbringen noch viel Zeit miteinander und hören erst auf, als es langsam schon dämmert. Dabei ist mir gar nicht aufgefallen, dass der Tag so schnell wieder vergangen ist, aber dafür habe ich diesen umso mehr genossen. Am folgenden Morgen bin ich die Erste, die auf den Beinen ist. Zumindest habe ich das zunächst geglaubt, bis ich meine Mutter im Wohnzimmer entdecke. Ohne dass sie mich bemerkt hat, sitzt sie gemütlich auf der Couch und blättert im Familienalbum herum. „Mom, was machst du denn hier?“, frage ich sie neugierig und setze mich sogleich zu ihr. Sie lächelt mich an und meint, während sie eine weitere Seite umblättert: „Ach ich schwelge nur in Erinnerungen. Bei meinem Job hat man ja kaum Zeit dafür. Wenn man in andere Länder ist, hat man auch andere Gedanken, meistens zumindest.“ Sie klappt nun die nächste Seite auf und ein altes Familienfoto kommt zum Vorschein. Als dieses Bild gemacht wurde, war ich gerade mal fünf Jahre alt und so wie das aussieht, hatten wir damals einen Grillabend veranstaltet. Leider kann ich mich nicht mehr genau daran erinnern, aber als ich das Foto genauer betrachte, scheint das eine oder andere Fitzelchen doch wieder zum Vorschein zu kommen. Paul ist nämlich dabei, den Grill anzuzünden und scheint sich gerade über irgendetwas aufzuregen. Vermutlich wollte das Ding nicht so, wie er wollte. Ich muss grinsen, denn Geduld hatte mein ältester Bruder noch nie wirklich gehabt. Bis heute kann er leicht zornig werden und ist gleich eingeschnappt, wenn etwas nicht so gelingt, wie er sich das vorgestellt hat. Da ist Dorian schon etwas anders. Zwar kann auch er mal die Sau rauslassen, aber im Gegensatz zum Ältesten gleicht er mehr dem stillen Wasser, welches man nicht unterschätzen sollte. Besonders seine dummen Sprüche kommen immer dann zum Vorschein, wenn man es am wenigsten erwartet. Da einen passenden Konter zu finden, musste ich bei ihm erst einmal lernen. Meine Mom legt nun ihre Finger auf das Bild und streicht besonders über die Stelle, an der mein Vater abgebildet ist. Gerade als ich sein fröhliches Gesicht sehe, vergeht mir die Freude. Ich erinnere mich wieder an den Fremden, der mir in letzter Zeit das Leben schwermacht. Wie ein Geist taucht er plötzlich auf und verschwindet auf dieselbe Weise wieder. Als würde der Boden ihn verschlucken. Doch ich erwähne nichts und muss mir dabei sogar auf die Zunge beißen, bevor mir auch nur ein Wort dazu herausgekommen wäre. Keiner darf etwas davon wissen. Besonders meine Familie will ich nicht wieder in etwas hineinziehen, bei der ich noch nicht weiß, was da gespielt wird. Stattdessen beobachte ich still meine Mutter. Sie bleibt weiterhin bei dieser Stelle und ich könnte schwören, dass sich bei ihren Augen die ersten Tränen bilden. Sie vermisst Dad, doch da ist nicht allein. Auch ich muss immer wieder an ihn denken und bin traurig darüber, dass er nicht mehr bei uns ist. Allerdings ist das bei ihr etwas anders. Schließlich war Dad ihre große Liebe und soweit ich weiß, kannten sich die beiden bereits schon, als sie noch Kinder waren. Das ist nicht nur eine lange Zeit, es ist auch etwas Besonderes. „Ich vermisse Dad auch.“, sage ich schließlich leicht bedrückt und sie nickt, während sie ihren Blick noch weiterhin auf das Foto gerichtet hält. „Weißt du eigentlich, dass dein Vater mich manchmal so zur Weißglut bringen konnte, sodass ich ihn am liebsten Kopf abgerissen hätte?“, fragt sie mich auf einmal, behält aber immer noch ihr Lächeln auf den Lippen. Woran sie wohl gerade denkt? Ich grüble nach und irgendwie kann ich es nicht wirklich nachvollziehen, was meine Mutter damit genau meint. Denn mein Vater war die Ruhe in Person. Er war freundlich, zuvorkommend und hatte stets ein Lächeln im Gesicht. Wie soll er da meine Mom so zur Weißglut gebracht haben, sodass sie ihm am liebsten den Kopf abgerissen hätte? Ich kann mir das einfach kaum vorstellen. Ob meine Erinnerung an ihn doch allmählich verblasst, oder haben meine Eltern mir das nie offenbart, weil sie mich da raushalten wollten? In jeder Familie gibt es nun mal Streitereien und viele Erwachsene verbergen dies vor ihren Kindern. Trotzdem kann ich mir das irgendwie kaum vorstellen, so sehr ich auch in meinem Kopf herumkrame. Ob sie vielleicht seine Scherze meint? Mit mir hatte er zwar immer wieder so kleine Späße gemacht, aber ich glaube irgendwie kaum, dass meine Mom genau das damit gemeint hat. Schließlich offenbart sie mir, wovon sie redet: „Dein Vater hatte leider die Angewohnheit, gewisse Dinge nicht zu sagen. Zum Beispiel wenn er Hilfe brauchte. Ich musste immer stets die Augen und Ohren offenhalten, damit mir ja nichts entgeht. Was bei meinem Beruf allerdings alles andere als einfach war und trotzdem war mir das wichtig, dass wir so oft es eben ging, miteinander redeten.“ Als ob das etwas Neues in dieser Familie wäre, was ich auch laut ausspreche: „Ich glaube, was die Kommunikation angeht, muss die ganze Familie mal dringend einen Kurs belegen.“ Daraufhin lacht meine Mom kurz auf, meint aber dann: „Stimmt, da hast du nicht ganz Unrecht. Dennoch glaube ich, dass dein Vater uns trotz allem übertroffen hatte. Denn manchmal musste man ihn alles aus der Nase ziehen und dabei konnte er stur sein wie ein Esel. Egal welchen Grund er auch dafür hatte, es war einfach mühsam.“ Woher kenne ich das nur? Stimmt ja, Raphael ist da nicht viel anders. Ich glaube er und Dad hätten sich zu diesem Punkt wunderbar verstanden. Würde man die Tatsache, dass es sich bei den einen um einen Mutanten und bei den anderen um einen Toten handelt, außen vorlassen. Dennoch muss ich bei diesen Gedanken schmunzeln. Wäre echt interessant zu wissen, wie das wohl wirklich wäre. Leider ist mein Vater nicht mehr hier. Er ist seit vielen Jahren tot und ich vermisse ihn sehr. Doch zumindest habe ich noch meine Mutter, meine Tante und meine Brüder. Wenn ich es mir sogar richtig überlege, gibt es eigentlich sogar mehr, die in meinem Leben wichtig sind. Allerdings stimmt mich dieser Gedanke wieder traurig. Die Tatsache, dass es momentan nicht rund bei mir läuft, lässt sich nur mit Mühe verbergen. Vielleicht kann sie mir aber einen Rat geben, auch wenn ich nichts verraten darf. Um sie daher nicht direkt darauf anzusprechen, frage ich meine Mom anders: „Was hast du eigentlich immer dann gemacht? Ich meine, wenn Dad wieder mal so komisch drauf war und du ihn am liebsten gekillt hättest.“ „Das kam ganz darauf an, worum es ging. Im schlimmsten Fall zeigte ich ihm die eiskalte Schulter, bis wir uns erst nach einiger Zeit ausgesprochen hatten. Er hatte zwar einen ordentlichen Dickschädel, aber irgendwie liebte ich ihn dafür. Das und noch vieles mehr machten ihn einfach aus. Er war stolz, liebevoll und dachte stets zuerst an andere, bevor er sich selbst in den Mittelpunkt stellte. … Eines kann ich dir sagen Bernadettchen: Männer sind schwierig und eine Beziehung ist sowieso nicht immer leicht. Wenn man aber jemanden von ganzem Herzen liebt, so zahlt sich jeder Kampf aus. Vergiss das bitte nicht, solltest du mal einen Freund mit nach Hause bringen. … Lass dir aber bitte Zeit damit, ok?“, erklärt sie mir ausführlich. Ich nicke und denke dabei an das letzte Gespräch mit Leo. Wie er mich mit einer List dazu bewegte, ihm zuzuhören. Nur damit ich durch ihn erfuhr, wie es um Raphael stand, den ich eigentlich wie meine Mutter die kalte Schulter zeigte. Wie auch sie ließ ich einige Zeit verstreichen, damit ich über alles noch einmal nachdenken konnte. Mir kommen wieder die Zweifel in den Sinn, die ich bereits bei Leo gehabt habe und bis heute hat sich nichts daran geändert. Genauso wenig die Tatsache, dass ich meinen rotmaskierten Sturkopf noch immer liebe. Er mag zwar seine Fehler haben, aber eigentlich habe ich die ebenfalls. Auch wenn ich mir das nicht immer eingestehen will, aber ich weiß trotzdem nicht, was ich jetzt wegen ihm tun soll. Genau das beschäftigt mich gerade und ich spreche meine Mutter darauf an: „Mom, gab es mal etwas, wo es dir schwerfiel, zu verzeihen?“ Überrascht über diese Frage sieht sie mich verwundert an. Hoffentlich ahnt sie jetzt nichts Schlimmes, aber zum Glück kommt es doch nicht so, wie zunächst befürchtet: „Wie kommst du nun darauf? … Hm, sicher gab es solche Momente. Die erlebt jeder einmal. Es kommt aber darauf an, worum und um wen es dabei geht. Ich möchte aber ehrlich gesagt nicht weiter darüber nachdenken. Da sind mir die schönen Erinnerungen lieber, aber eines kann ich dir auf jeden Fall verraten: Überlege dir immer, was für dich wichtig ist und ob du dann auch wirklich glücklich sein kannst. Denn jede Entscheidung hat auch seine Konsequenzen, egal ob gute oder schlechte.“ Ohne zu wissen, dass ich bereits die Liebe meines Lebens getroffen habe, hat mir meine Mom gerade einige Ratschläge gegeben, die ich in diesem Moment mehr als nur brauchen kann. Die ganze Zeit über habe ich darüber nachgegrübelt, ob ich das wirklich will und ob die Sache mit dem Gedicht richtig gewesen war. Schließlich möchte ich niemals falsche Hoffnungen freisetzen und jemand anderes dabei quälen. Besonders nicht, wenn es sich dabei um Raphael handelt. Doch wenn ich so darüber nachdenke, bereue ich es nicht. Vielmehr hat er nun etwas in der Hand, was ich mit viel Herz geschrieben habe und jede einzelne Zeile meine ich auch so. Ich hoffe, dass ihm das auch bewusst ist, auch wenn er nicht viel von Gedichten oder von anderen literarischen Texten hält. Vielleicht findet er darin die Bestätigung, dass sich meine Gefühle zu ihm, trotz seines Handelns, nie verändert haben. Auch nach alldem liebe ich ihn von ganzem Herzen. Was mir aber Sorgen macht, ist, wie ich ihm wieder vertrauen kann. Ich will es ja, aber wahrscheinlich habe ich noch immer zu große Angst, dass er mich wieder im Stich lassen könnte. Davor fürchte ich mich am meisten und ich will das nie mehr wiedererleben. Doch andererseits: Wie soll er es mir beweisen, wenn ich ihm keine Chance gebe? Wir sind jetzt schon um die drei Wochen nicht mehr zusammen und das letzte Mal habe ich ihn vor ca. zwei Wochen gesehen. Bei dieser Nacht hatte er versucht mit mir zu reden, aber ich war einfach noch zu wütend auf ihn, als dass ich einen klaren Gedanken fassen konnte. Wie es ihm nun geht? Wahrscheinlich fragt er sich tagein, tagaus, wie es nun weitergehen wird. Schließlich liegt es nun in meiner Hand und ich hatte ja um Bedenkzeit gebeten. Jetzt muss ich über meinen Schatten springen und die Angst zurückstellen. Es wird sich sonst niemals etwas ändern und dann bereue ich es mein Leben lang. Überzeugt davon, was ich jetzt tun werde, kehre ich nach dem Gespräch mit meiner Mom in mein Zimmer zurück, wo ich nach der Kiste suche. Ich muss nicht lange stöbern, denn nach Leos Besuch habe ich diese ganz in der Nähe aufbewahrt und sie liegt nun griffbereit in der Ecke. Als ich sie öffne und das Amulett herausnehme, muss ich lächeln. So wie ich es damals beim Bummeln entdeckt hatte, so hat dieses Schmuckstück auch diesmal wieder eine Wirkung auf mich, als würde es zu mir gehören. Zwar mag das vielleicht an meiner zu großen Fantasie liegen, aber als ich es anlege, habe ich das Gefühl, als ob eine langersehnte Bindung wieder hergestellt ist. So als ob die Karneol-Schildkröte es die ganze Zeit gewusst und darauf gewartet hätte. Ich sollte vielleicht besser weniger Fantasy-Geschichten lesen. Zumindest wäre das für die nächste Zeit sinnvoller. Mein Kopf ist wegen meinen Träumen und Gefühlen so und so schon überfordert. Dennoch bleiben meine Gedanken verstärkt bei Raphael und je mehr ich darüber nachgrüble, desto mehr bin ich davon überzeugt das Richtige zu tun und dies hebt wiederum meine Laune weiter an. Am liebsten würde ich dies sofort mit jemandem teilen. Mia und Cori sind jedoch nicht da. Sie beide sind mit ihren Familien unterwegs. Während die eine bei Verwandten ist, ist die andere in Richtung Miami unterwegs, um dort Urlaub zu machen. Das hindert mich aber nicht, denn es gibt noch eine weitere Freundin in meinem Leben und das ist April. Mit ihr möchte ich, wenn möglich, den Tag verbringen, bis die sehnliche Nacht hereinbricht. Schon zücke ich mein Smartphone aus der Hosentasche und frage sie, ob sie sich mit mir etwas unternehmen würde. Leider kann sie nicht und außerdem hat sie in ca. einer Stunde ein Vorstellungsgespräch, wofür ich ihr nun viel Glück wünsche. Seit sie nicht mehr bei Channel 6 arbeitet, war es für sie nicht einfach eine neue Stelle zu finden. Noch dazu brauchte sie in erster Linie eine Pause, weswegen sie sich verstärkt mit den Jungs traf. Auch wenn dies Mikey ausnutze, um sie irgendwie zu umgarnen, brauchte sie diese Zeit, um etwas Abstand von ihrem Alltag zu bekommen. Doch nun will sie sich wieder verwirklichen und heute scheint sich für sie vielleicht eine Chance zu ergeben. Ich drücke ihr auf jeden Fall die Daumen, dass sie es bei diesem neuen Fernsehsender schafft und die Stelle bekommt. Doch bevor sie auflegt, fragt sie mich auf einmal, warum ich so gut gelaunt bin. Ich grinse und antworte: „Weil ich wieder Licht in der Dunkelheit sehe und mich entschieden habe.“ Wie von ihr erwartet, hat sie nun die Neugier ergriffen: „Du meinst, dass du Raphael eine zweite Chance gibst?“ Anscheinend brauchte April nicht lange zu überlegen, was ich damit gemeint habe. Somit bestätige ich es ihr: „Ja, ich habe lange genug darüber nachgedacht und ich will einfach mit ihm zusammen sein.“ Von der anderen Seite höre ich auf einmal einen Jubelschrei, wodurch ich das Smartphone kurz von meinem Ohr weghalte. Wie alt ist April noch einmal? Ich könnte schwören, dass sie älter ist als ich und doch benimmt sie sich momentan, als ob sie gerade mal 16 geworden wäre und nun in der tiefsten Pubertät steckt. „Menschenskind, das wurde auch schon langsam mal Zeit. Ich dachte schon, ich müsste mir bald etwas einfallen lassen müssen, bist du mal zur Vernunft kommst, aber das hat sich zum Glück erledigt.“, plappert April einfach darauf los und bei ihrem Gerede kommt mir schon langsam die Befürchtung, als hätte sie uns beide irgendwo einschließen lassen wollen, bis wir die Sache geregelt hätten. Zuzutrauen wäre es ihr, worüber ich mich vorsichtig vergewissere: „Wolltest du mich schon etwa dazu zwingen?“ Bei dieser Frage wird sie nun etwas ernster: „Nein … naja vielleicht, aber auch nur, weil ich weiß, dass ihr beide zusammengehört. Ich habe Raphael davor noch nie so glücklich gesehen und seit eurer Trennung ist er nicht mehr derselbe. Sooft ich die Jungs besucht habe, ist er trübsinnig. Wobei es in den letzten zwei Wochen etwas besser war. Leo erzählte mir bereits, dass du Raphi irgendwie einen Funken Hoffnung gegeben haben musst, auch wenn ich bis jetzt immer noch nicht weiß was es ist und wie du das gemacht hast.“ Für einen Moment herrscht bei diesem Telefonat Stille, doch dann meint April, ich könnte die Jungs ja sofort besuchen gehen. Sie würden sich sicher darüber freuen. Schließlich war ich fast einen Monat nicht mehr bei ihnen. Jedoch gibt es da ein Problem: Ich habe keine Ahnung, wie ich zu ihnen gelangen kann. Bisher hat mich Raphael immer hingebracht und die Kanalisation ist ein verstricktes System. Da würde ich mich nur verirren. „Und was ist, wenn du sie anrufst?“, fragt April mich nach meiner Erklärung, aber da habe ich schon etwas Anderes im Sinn: „Naja, ich will daraus eine Überraschung machen und du kennst ja seine Brüder. Zu bestimmten Punkten sind sie richtige Plaudertaschen. Außerdem soll Raphael es selbst erkennen.“ Als April mich fragt, wie der Rotmaskierte das machen soll, antworte ich darauf, dass ich ihm ein Zeichen geben werde. Es ist nämlich mein Amulett. Jedoch sage ich es April nicht, da auch sie sich verplappern könnte. So wie sich gerade gefreut hat, will ich es nicht übertreiben. Außerdem weiß Raphael ganz genau, was dieses Schmuckstück für mich symbolisiert und das soll ihm, wenn wir uns sehen, wieder bewusst werden. „Ok, dann stört es dich sicherlich nicht, wenn ich zu ihm sage, dass er heute Abend mal bei dir vorbeischauen soll.“, meint April auf einmal und mir war irgendwie klar, dass sie das jetzt sagen würde. Etwas Anderes war von ihr ja nicht zu erwarten, denn das ist nun mal typisch für sie. Von mir aus kann sie das gerne machen und vielleicht ist das auch keine so dumme Idee. Ich hoffe nur, sie übertreibt es nicht. Kapitel 47: Schon wieder die Purple Dragons ------------------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Tja, meine Entscheidung habe ich nun getroffen. Ich gebe Raphael eine zweite Chance. Nein, ich gebe uns beiden eine zweite Chance. Ich möchte mit ihm zusammen sein, das ist mir nun endlich klar und ich danke Mom, dass sie mir diesen Rat gegeben hat. Auch wenn sie keine Ahnung davon hat, dass es bei meinen Fragen mehr um mich gegangen ist, hat sie mir trotzdem helfen können. Zu hören, dass es selbst mit Dad nicht einfach war, der scheinbar sogar mit Raphael ähnliche Charaktereigenschaften teilt, gibt mir einfach ein sicheres Gefühl. Ich weiß nun, welchen Weg ich einschlagen werde und ich möchte mich nicht mehr von meinem Zweifel hindern lassen, die mich ständig davon abgehalten haben, meinem Herzen zu vertrauen. Es wird sicher nicht leicht werden, davon bin ich überzeugt, aber für mich gibt es einfach keinen anderen. Ich liebe nun mal diesen Hitzkopf mit der roten Maske und ich hoffe, dass wir heute Abend den Schmerz und das Vergangene hinter uns lassen können. Wie er wohl reagieren wird, wenn April ihn anruft? Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich das selbst in die Hand genommen hätte. Wäre es dann aber eine Überraschung geworden? Irgendwie glaube ich das nicht und außerdem will ich ja, dass er das mit seinen eigenen Augen sieht. Das Amulett mit der kleinen roten Schildkröte ziert nun wieder meinen Hals und daran soll er erkennen, dass ich endlich bereit bin, mit ihm einen Neustart zu wagen. Nicht umsonst möchte ich Leo diese Nachricht mitgegeben haben, aber dank April weiß ich, dass Raphael bereits darauf wartet. Sonst wäre wohl seine Laune in letzter Zeit nicht besser geworden. Allein der Gedanke daran, lässt mich schmunzeln. Ich kann es mir sogar vorstellen, dass mein Freund nun neue Energie gewonnen hat und ich habe ihn zudem lange genug warten lassen. Daher freue ich mich schon, ihn zu sehen. Bis dahin müssen aber erst noch einige Stunden vergehen. Ein Teil des Tages habe ich schon hinter mir, aber je mehr ich auf die Abenddämmerung warten muss, desto länger kommt es mir vor. Was bleibt mir also anderes übrig, als die Zeit irgendwie zu nutzen, bis die Sonne endlich untergeht. Mom ist in diesem Fall wieder eine große Hilfe für mich. Ohne es zu wissen, schenkt sie mir genau die Momente, in der ich mich nicht nur von meiner Ungeduld ablenken kann, verbringe eine schöne Zeit mit ihr. Für jemanden wie mich, welcher seine eigene Mutter nicht all zu oft im Jahr sieht, ist sowas das schönste Geschenk, was man einen geben kann. Sie nimmt mich mit in die Mall und dabei schlendern wir von einem Laden in den nächsten. Wenn wir nicht gerade ein paar Kleidungsstücke anprobieren, oder irgendwelche Spielereien ausprobieren, so sitzen wir einfach auf einer Bank und reden miteinander. Theoretisch müsste mir das eigentlich peinlich sein. Denn welcher Teenager geht gerne mit der eigenen Mutter shoppen? Tja, scheinbar bin ich nicht normal. Mir ist das scheißegal und wenn andere Mädels nicht mit ihren Müttern gesehen werden wollen, dann ist es ihre Sache. Ich dagegen nutze jede Gelegenheit, die mir geboten wird aus, bis ihr Urlaub vorbei ist. Bis dahin habe ich aber noch genug Zeit und so wie ich diese gemeinsamen Stunden mit ihr auskoste, so will ich das heute Abend tun. Als ich mit Mom schließlich nach Hause komme, neigt sich der Tag allmählich dem Ende zu. Ich lächle, als ich meinen Blick zum Himmel wende. Bald ist es soweit und ich muss nicht mehr lange warten, bis er zu mir kommt. Zwar ist die Sonne noch zu sehen, aber bald wird es dämmern und die Nacht wird hereinbrechen. Meine Mutter hat sich derweil in ihr Zimmer zurückgezogen, welches sie von Tante Tina bereitgestellt bekommen hat. Sie ist ziemlich kaputt und wird sich wohl demnächst aufs Ohr hauen, wenn sie nicht schon im Stehen einschläft. Tja, so ist es nun mal, wenn die gemeinsame Zeit nachholen will. Vielleicht sollte ich mich auch für eine Weile hinlegen. Bis Raphael kommen wird, wird es wohl noch eine Weile dauern und bis dahin kann ich mich noch etwas ausruhen. Zunächst wollte ich mich ins Bett legen. Da ich aber darin keine Ruhe finde, nehme ich stattdessen den Sessel und setze mich ans Fenster. Verträumt sehe ich nun hinaus. Die Ellbogen am Fensterrahmen anlehnend, stütze ich meinen Kopf darauf. Mein Blick schweift umher, es gibt zwar nicht viel zu sehen, weil die Gegend von unzähligen Gebäuden umgeben ist, aber das ist nicht wichtig. Ich bin ohnehin in meine Gedanken vertieft, sodass ich mich kaum auf die Aussicht konzentriere. Wie sehr ich ihn vermisse. Auch wenn ich am Anfang so sauer auf ihm gewesen war, als könnte ich ihm wie einem Truthahn den Hals umdrehen, so ist dieser Zorn wieder verflogen. Naja, ich hatte ja auch genug Zeit, um Dampf abzulassen und den Rest werden wir auch irgendwie hinbekommen. Da bin ich zuversichtlich. Besonders nach dem Gespräch mit meiner Mom bin ich mir sicher, dass es niemandem mehr auf der Welt wie Raphael geben wird und wie sie schon gesagt hat: Wenn man jemandem wirklich von ganzem Herzen liebt, so lohnt es sich zu kämpfen. Dies will ich auch tun. Ich will gemeinsam mit ihm an unserer Beziehung arbeiten und wenn wir offen miteinander reden, so werden wir das auch irgendwie hinbekommen. Doch zunächst muss mein Schattenkrieger erst einmal wissen, dass ich für einen Neuanfang bereit bin. So wie April es mir per Telefon angekündigt hat, wird sie mit Sicherheit etwas zu ihm und zu den Jungs sagen. Irgendwie wünsche ich mir es auch, denn so wird er mit einer ganz anderen Haltung hier auftauchen. Hoffentlich übertreibt sie es nur nicht. Irgendwie soll es ja doch eine Überraschung werden. Eine kleine Andeutung, dass Raphael heute Abend bei mir vorbeischauen soll, reicht vollkommen aus. Ich werde es aber dann eh sehen, wenn er hier auftaucht und darauf freue ich mich. Als ich gerade dabei bin, meine Position am Fensterbrett zu ändern, bemerke ich plötzlich etwas im Augenwinkel. Sofort fühle ich mich hellwache und sehe ich hinunter auf die Straße, aber ich kann nichts erkennen. Was war das gerade? Das kann wohl kaum Raphael gewesen sein. Erstens ist die Sonne noch zu sehen und zweitens, würde er sich auf dem gegenüberliegenden Dach aufhalten, wenn er kommen würde. Er würde niemals so unvorsichtig sein. Auch wenn das nur einmal wegen mir der Fall gewesen war, aber das war damals etwas völlig Anderes. Unsicher lehne ich mich etwas aus dem Fenster. Vielleicht kann ich so mehr sehen, aber da ist nichts. Ich will mich schon kopfschüttelnd wieder zurückziehen, als mir wieder etwas auffällt. Es war wie ein Schatten, das aus der kleinen Gasse kurz hervorlugte und dann wieder verschwunden ist. „Raphael?“, murmle ich fragend. Auch wenn man das nicht gut hören konnte, war diese Frage eher an mich selbst gerichtet. Denn das, was ich da dachte, konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Um dennoch sicher zu gehen, ob ich mich nicht vielleicht doch getäuscht haben könnte, beschließe ich der Sache auf den Grund zu gehen. Ich verlasse nach wenigen Augenblicken das Haus. Mom schläft gerade, so wie ich es mir zuvor gedacht habe und meine Tante ist nicht da, weswegen ich ohne großes Aufsehen das Gebäude hinter mir lassen kann. Ich steuere direkt auf die Gasse zu, aus der ich den Schatten vermute. Doch ganz wohl ist mir dabei nicht. Denn wenn es wirklich Raphael wäre, so würde dies anders laufen und trotzdem bin ich mir nicht sicher. Was wird hier gespielt? Kurz bevor ich mich hineinwage, bleibe ich stehen und rufe vorsichtig in die Dunkelheit: „Hallo? Ist da wer? … Raphael, bist du das?“ Stille herrscht, keiner antwortet mir und dieses ungute Gefühl in mir wird stärker. Was mache ich jetzt? Soll ich weitergehen, oder soll ich das lieber sein lassen und ins Haus zurückkehren? Unschlüssig, was ich jetzt tun soll, verharre ich immer noch auf der Stelle. Vielleicht bilde ich mir das Ganze auch nur ein und es war nur eine streunende Katze, die ich im Augenwinkel erkannt habe. Doch was ist, wenn dem nicht so ist? Ich habe bis jetzt noch keinen Anhaltspunkt dafür, dass es ein Tier gewesen sein könnte. Im Grund weiß ich nichts, aber ich habe dafür das seltsame Gefühl, als ob ich nicht allein hier wäre, als wäre noch jemand hier. Meine Beine sind wie festgewachsenen und mein Blick ist weiterhin auf die Dunkelheit gerichtet. So sehr ich auch versuche, etwas zu erkennen, ich sehe nichts und trotzdem bleibt der Eindruck, dass da noch jemand ist. Wenn ich weiterhin herumstehe, werde ich wohl nie erfahren, was hier los ist. Mir bleibt wohl nichts Anderes übrig, als dem nachzugehen. Tief einatmend zücke ich nun mein Smartphone aus der Hosentasche und wähle sicherheitshalber die Nummer der Polizei. Sollte jemand wirklich dort sein, der mich bedrohen könnte, so bin ich vorbereitet. Jetzt darf ich nur keine Angst zeigen. Egal was jetzt sein wird, ich muss schnell reagieren können. Mit dem Handy griffbereit mache ich nun die ersten Schritte in die Gasse hinein. Dabei rufe ich erneut in die Dunkelheit: „Hallo? Wer ist da? … Wenn das ein mieser Trick sein soll, werde ich schreien und ich werde nicht zögern die Polizei anzurufen. Die Nummer ist bereits gewählt.“ Hoffentlich schüchtert das denjenigen ein, sollte das eine Falle sein. Denn schön langsam bekomme ich immer mehr diesen Eindruck, weswegen ich nah einigen Schritten nicht weitergehe. Bis jetzt ist noch nichts passiert und ich bin auch niemanden begegnet. Noch kann ich umkehren und alles in mir schreit, dass ich sofort von hier wegsollte. Vielleicht war das doch keine gute Idee, ich gehe lieber zurück. Als ich dies schon machen will, zeigt sich die Gestalt. Langsam aber doch löst sie sich von dem Schatten, welcher den Großteil der Gasse bedeckt und kommt auf mich zu. Dabei grinst sie mich an und ich traue meinen Augen nicht. Nein, das kann nicht sein?! Einige Meter vor mir geht dieser Mann auf mich zu und es nicht einmal irgendein Penner, der sich hier „verirrt“ hat. Es ist wieder dieser Typ, der meinem verstorben Vater ähnelt und mir schon einige Male begegnet ist. Doch warum lauert er ausgerechnet hier auf? Woher weiß er, dass hier wohne? Momentan ist es mir unmöglich, meinen Blick von ihn abzuwenden. Ich starre einfach in sein Gesicht und kann einfach nicht glauben, wen ich da sehe. Kann es wirklich sein, dass er …? Ich wage es nicht einmal diese Frage auszusprechen, ich bin wie gelähmt. Doch je näher er kommt und je genauer ich ihn mir ansehe, desto mehr wird mir bewusst, dass mit mir ein falsches Spiel getrieben wird. Nein, das ist er nicht! Das ist nicht mein Dad! Dieses falsche und boshafte Lächeln, wie er geht, alles an ihm signalisiert mir, dass dieser Mensch unmöglich mein Vater sein kann. Doch wer ist er und warum sieht er Dad so ähnlich?! Was will er von mir?! Verdammt, wieso habe ich das nicht schon viel eher bemerkt?! Wie konnte ich nur auf diesen Trick hereinfallen?! Ich muss hier sofort weg! Wie von Donner gerührt, gehe ich ein paar Schritte zurück. Mit meinem Handy griffbereit und ohne den Kerl eine Sekunde aus den Augen zu lassen, weiche ich immer weiter zurück. Doch dem scheint das keineswegs aufzuregen, geschweige etwas auszumachen. Im Gegenteil, sein abscheuliches Grinsen wird immer breiter und ehe ich verstehen kann, was da vor sich geht, werde ich plötzlich an beiden Händen gepackt. Vor Schreck zucke ich zusammen und verliere dadurch mein Smartphone, welches nun irgendwo auf dem verdreckten Boden herumkullert. Was ist hier nur los und was wollen die von mir?! Ich versuche zu schreien und will meinen Kopf wenden, damit ich sehen kann, wer mich da gerade festhält, aber ich werde daran gehindert. Jemand presst mir in der selben Sekunde ein Stück Stoff ins Gesicht. Es ist feucht, der Geruch ist süßlich und ich kann kaum atmen. Sowohl mein Mund, wie auch meine Nase sind von diesen Lappen bedeckt und ich versuche mich zumindest von dem Ding in meinem Gesicht zu befreien. Wild reiße ich um mich. Ich will nach Luft schnappen, aber es gelingt mir nicht. Der Fetzen wird immer stärker gegen mein Gesicht gedrückt, als wolle der Angreifer mich um jeden Preis daran hindern, zu entkommen. Ich habe schreckliche Angst. Mein ganzer Körper ist voll und ganz der Hysterie verfallen und ich wünschte mir, ich wäre niemals auf die bescheuerte Idee gekommen, der Sache auf dem Grund zu gehen. Doch was hilft´s, ich stecke in diesem Schlamassel fest und kämpfe um mein Leben. Ich trete sogar um mich, weil ich meine Arme kaum bewegen kann, es hilft nichts. Nicht nur, dass ich ständig ins Leere trete, mir wird keine Möglichkeit gelassen, meinen Angreifern irgendwie zu entkommen. Nein, lasst mich los! Immer wieder versuche ich diese Worte aus mir herauszuschreien und mich von dem Fetzen zu befreien. Doch bis auf ein panisches und unverständliches Gebrabbel bewirkt es rein gar nichts. Ich werde von zwei Seiten festgehalten, während ich unfreiwillig diesen seltsamen Geruch inhaliere. Es gibt kein Entkommen und ich habe einfach nur noch Angst. Warum passiert hier das?! Wer sind die und was wollen die von mir?! Allmählich spüre ich, wie mich die Kraft allmählich verlässt und mir wird so schlecht. Warum dreht sich auf einmal alles vor meinen Augen und warum werde ich so müde? Immer mehr spüre ich, wie der Schwindel mich befällt und die Müdigkeit immer stärker an mir emporkriecht, als wolle sie mich langsam mit Haar verschlingen. Ich muss dagegen ankämpfen und ich versuche es auch weiterhin. Jedoch schaffe ich es nicht. Meine Beine, sie werden schwächer und auch mein gesamter Körper fühlt sich so matt und schwer an, als hätte ich heute einen Felsbrocken kilometerweit getragen. Ich kann kaum mehr einen Körperteil richtig wahrnehmen. Ich schaffe es ja nicht einmal, meine Augen offen zu halten. Zwar versuche mein Bewusstsein durch Blinzeln aufrechtzuerhalten, aber mit jeder Minute, die vergeht, fällt es mir immer schwerer. Ich sehe nur noch verschwommen, bis mich schließlich die Dunkelheit übermannt. Aus Raphaels Sicht: „Ist das schon etwa alles?“, frage ich Mikey neckend, der gerade seinen Schlag mit seinem Nunchaku verfehlt hat. Doch darauf antwortet mein Bruder nur, während er mich so keck ansieht: „Warte es ab Bro, dies hier war nur die Aufwärmphase. Also mache dich lieber bereit, denn nun werde ich ernst machen.“ Das glaubt er wohl selbst nicht, aber dennoch lasse ich es gerne darauf ankommen. Wenn er schon so überheblich daher quasseln muss, dann werde ich ihn wohl von seinem hohen Ross herunterholen. Mal sehen, ob er danach auch noch so eine große Klappe hat. Ich sehe ihn schon vor mir, wie er später ein verdutztes Gesicht machen wird, wenn ich ihm seine Stöckchen aus den Händen schlagen werde. Somit gehe ich in Stellung und nehme Anlauf. Wenn er schon so darauf erpicht ist, eine ordentliche Tracht Prügel von mir zu bekommen, so kann er sie gerne haben. Ich bin bereit. Mit meinen Sais griffbereit, laufe ich auf Mikey zu. Gerade ist er dabei, von seiner Position wegzuspringen. Vermutlich will mein Bruder mit orangen Maske ausweichen, in dem er über mich hinwegsegelt und mir dann bei der nächsten Gelegenheit einen Schlag verpasst. Das kann er sich aber getrost abschminken. Nicht nur, dass ich diese Nummer bereits kenne, es ist einfach so offensichtlich. Schließlich springe ich ebenfalls vom Boden weg, um ihn so aus seiner Bahn zu werfen. Im Binnen von wenigen Sekunden scheinen wir beide in der Luft zu schweben und genau hier werde ich den Angeber zu Fall bringen. Nach wenigen Sekunden drehe ich mich gekonnt so um, sodass ich Mikey mit beiden Beinen erwischen kann. Ich leite meine Kraft um, wodurch ich ihn beidbeinig einen saftigen Tritt in die Brust verpassen kann, welchen ihn augenblicklich zurückschleudert und ihn hochkantig über den Platz segeln lässt. Unsanft knallt er nun auf dem Boden auf. Eigentlich habe ich mir erhofft, dass er jetzt dort liegen bleibt, aber scheinbar, war die Wut nicht groß genug. Er rollt sich nun geschickt zur Seite, als ich schon dabei bin, auf ihn zuzurennen und ihn einen weiteren Hieb zu verpassen. Verdammt, das hätte gesessen, wenn er stillgehalten hätte. Der hat doch mehr Glück wie Verstand! „Daneben Bruderherz!“, ruft er mir belustigt zu, ich jedoch knurre nur darauf. Beim nächsten Mal geht das garantiert nicht daneben, darauf kann er Gift nehmen und ich weiß auch schon, wie ich das anstellen werde. Langsam nähere ich mich ihm. Meine Augen leicht zusammengekniffen, gehe ich ihn Stellung und fokussiere ihn. Mikey muss natürlich unbedingt darauf wieder ein Kommentar abgeben, aber ich höre nicht wirklich darauf, sondern werfe mit einem schiefen Grinsen den ersten meiner Sais. „Hey, was soll das?! Das ist unfair!“, protestiert mein Bruder mit der orangen Maske. Rechtzeitig kann er diesen ausweichen, doch schon folgt der Zweite, der ihm gerade noch am Gesicht vorbeisaust. Wie ein begossener Pudel starrt er meinen Waffen hinterher und ahnt nicht, dass dies nur ein Vorwand gewesen ist. Leicht überrumpelt von meinem Manöver, nutze ich die Chance und laufe auf ihm zu. So schnell konnte er nicht reagieren und seine Aufmerksamkeit wieder auf mich richten, schon wird er von mir erfasst, kurz in die Luft gehievt und dann mit Schwung auf dem vergitterten Boden befördert. Das war’s wohl. Grinsend zücke ich einen Zahnstocher aus meinem Gürtel und stecke ihn mir zufrieden in den Mund, an dem ich nun herumkaue. Ich glaube, Mikey hat erst einmal genug. So wie er daliegt, könnte man meinen, dass er fürs Erste die Kämpfe mit mir meiden wird. Doch zu meiner Überraschung erhebt sich dieser, wenn auch keuchend und langsam. Er stützt sogar seine Hände gegen seine Knie, während er weiterhin nach Luft schnappt, bis er aber dann meint: „Jungs, ich glaube, Raphi ist endlich wieder der Alte.“ „Was soll das denn schon wieder heißen? Ich war nie wer anderer, also rede nicht so einen Stumpfsinn!“, erwidere ich kopfschüttelnd, während ich dem Großmaul aufhelfe. „Na das würde ich nicht so einfach unterschreiben. Mikey hat Recht Raphi. Du warst wochenlang nicht du selbst, wobei es in den letzten Tagen von Mal zu Mal besser wurde.“, kommentiert Donnie, als er sich dem Kampfring nähert. Ich hingegen verdrehe nur die Augen, doch schon lehnt sich Mikey an meiner rechten Schulter und fügt hinzu: „Und glaub mir, so bist du mir weit lieber. Deine depressive Seite ist ja wirklich zum Fürchten.“ „Pass du lieber auf, dass ich nicht auch noch in deinen Träumen herumspuke. Dann kannst du dich erst Recht vor mir fürchten.“, drohe ich ihm, aber der Idiot kichert nur: „Ich sag´s doch: Er ist wieder der Alte und da schreie ich mit Freuden ein Hallelujah!“ „Dein Hallelujah kannst du dir erst einmal schenken Mikey, sonst bricht dir Raphi irgendwann doch nochmal das Genick. Aber mal was Anderes: Leo und ich haben neue Informationen zu den Purple Dragons. Heute ist anscheinend wieder einer dieser Typen freigesprochen worden. Angeblich konnte man dem Kerl nichts nachweisen. Sämtliche Beweise wurden als Null und Nichtig erklärt.“, wechselt mein Bruder mit der lila Maske augenblicklich das Thema. Also die schon wieder! „Seit dieser Footclan ja nicht mehr existiert, verbreiten sich diese Maden mit ihren Gummiadlern auf ihren Körpern aus wie die Pest.“, murre ich und verschränke dabei die Arme. Ich verstehe wirklich nicht, wie das so einfach gehen kann und wieso keiner etwas gegen diese Idioten unternehmen will. In letzter Zeit wurden weitere Läden, Banken und sogar einfache Leute auf der Straße überfallen, doch wenn die Polizei eintraf, so fanden sie nur eine purpurne Graffitispur, die nur „angeblich“ auf diese Gang hindeutet. Des Öfteren wurde auf Nachahmer spekuliert, da sich die Anzahl der Verbrechen ziemlich schnell gesteigert hat und da diese Hinweise immer etwas anders aussehen. Das ist doch wirklich der reinste Bockmist ist! Ich sehe aber hier wieder einmal, dass das Rechtsystem anscheinend wieder einmal überfordert ist. Zwar haben meine Brüder und ich einige dieser Schwachmaten gefangen und den Bullen quasi vor der Haustür abgeliefert, aber trotzdem konnten sie sich immer aus ihren Problemen herauswinden. Entweder verschwanden sie plötzlich spurlos, oder wurden vor Gericht aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Das höchste Gebot war eine geringe Geldstrafe und das macht mich langsam echt rasend. Wir machen die ganze Arbeit und versuchen die Stadt zu beschützen und doch kommen die wieder auf freiem Fuß! Nun ist es wieder passiert und wenn nicht bald etwas geschieht, dann wird noch etwas viel Schlimmeres geschehen! Wütend lasse ich den Zahnstocher in meinem Mund in zwei Stücke zerbrechen und spucke ihn schließlich aus. „Wie sieht es nun aus Donnie? Was ist der Plan? … Wo ist Leo eigentlich?“, erkundigt sich Mikey bei ihm. Dieser erwidert nur: „Leo ist derweil bei Meister Splinter, er weiß schon Bescheid. Wegen den Purple Dragons sieht es Folgendermaßen aus: Statt unsere üblichen Patrouillen werden wir heute Nacht besonders die Gegenden auskundschaften, bei denen es eingebrochen wurde und bei denen es am Wahrscheinlichsten sein könnte. Ich habe dabei für jeden von uns die entsprechenden Punkte auf der Karte gekennzeichnet und sie auch auf unsere Handys geschickt.“ „Und was dann? Selbst wenn wir sie erwischen, werden sie doch wieder freigesprochen!“, funke ich dazwischen, denn irgendetwas müssen wir anders machen, sonst hört das nie auf. Die anderen beiden stimmen mir zu und für meine Bedenken hat sich das Genie anscheinend auch schon etwas einfallen lassen: „Meine Idee dazu wäre, dass wir sie auf frischer Tat filmen. Dann schalten wir die Kamera aus, besiegen sie und liefern den ganzen Pack mitsamt den Aufzeichnungen beim nächsten Polizeirevier ab. Vielleicht schaffen wir es auch das „Nest“ von denen zu finden. Natürlich müssen wir dabei auch etwas Glück haben, das ist klar.“ Sowohl Mikey als auch ich nicken verstehend. Der Plan klingt nicht schlecht, aber ich werde mich erst wohler fühlen, wenn wir diesen Haufen vermöbelt haben und wenn die dann endgültig in den Knast landen. Fürs Erste werde ich mich aber noch etwas gedulden müssen. Bis zur Abenddämmerung dauert es noch eine Weile und bis dahin kann ich mich ausruhen. Wie ich Leo kenne, wird er alles noch einmal durchkauen wollen. Da lege ich mich besser noch einmal aufs Ohr, bevor ich mir das antue. Schließlich reicht es auch, wenn wir das Vorort, oder unterwegs besprechen. Zumindest ist das meine Meinung. Mit einer kurzen Geste deute ich meinen Brüdern, dass ich gehe und verschwinde wenig später in mein Zimmer, wo ich mich seufzend auf mein Bett fallen lasse. Ein kleines Nickerchen wird sicherlich nicht schaden, aber irgendwie kann ich mich jetzt nicht so richtig entspannen. Liegt das vielleicht an Mikey und Donnie und an ihrem Gefasel, dass ich eine Zeit lang ich nicht ich selbst war? Schwachsinn, das bilden sie sich ein! Ich hatte halt eine Zeit lang keine Lust auf das Training und nun habe ich sie wieder. Was ist da so verwerflich? Ich drehe mich auf den Rücken und starre zur Decke empor. Wieder einmal bin ich in meinen Gedanken vertieft, was eigentlich schon seit einiger Zeit so ist, aber irgendwie war mir das bisher immer egal. Ich wollte einfach nur meine Ruhe und die kann ich entweder in meinem Zimmer haben, oder wenn ich allein durch die Stadt streife. Apropos, was wohl Bernadette nun macht? Die Schule ist, soweit ich weiß, für die nächsten zwei Monate kein Thema mehr. Sie hat ja jetzt Sommerferien. Ob sie nun darüber nachgedacht hat, wie es mit uns beiden weitergeht? Seit Leo mir von seinem Besuch bei ihr erzählt hat, sind bereits zwei Wochen vergangen und damals meinte er, dass sie Zeit bräuchte, um unsere Situation zu überdenken. Ob wir jemals wieder zusammenkommen werden? Irgendwie weiß ich nicht, ob das jemals eintreffen würde, aber selbst wenn nicht, würde ich mir einfach nur noch wünschen, dass ich mit ihr als guter Freund reden kann. Ich vermisse sie einfach. Ich sehne mich nach ihrem Lachen, ihrer Haut, ihrem Haar, einfach alles an ihr geht mir ab. Zwar hatte ich sie in den vergangenen Nächten ab und zu heimlich besucht, doch nie hatte ich das Gefühl, dass sich etwas geändert hätte. Ich sah immer nur, dass sie das Amulett, welches sie einst wegen mir gekauft hatte, nicht trug. Sie rief auch nicht an und April erwähnte bisher auch nichts. Unsere gemeinsame Freundin meinte nur, dass sie sich an manchen Tagen mit Bernadette getroffen hätte, aber wenn ich mal nachhakte, dann erwiderte sie nichts darauf. Jedoch sagte sie auch nicht, dass Bernadette mich hassen würde. Auch wenn Leo mir dankbarerweise schon vor Wochen einen kleinen Hoffnungsschimmer gebracht hatte, so will ich versuchen realistisch zu bleiben. Sowie auch geduldig, aber das ist für mich einfacher gesagt als getan. Ich bin nun mal nicht der Typ dafür, aber da muss ich jetzt Wohl oder Übel durch und somit die Zähne zusammenbeißen. Denn diese Ungeduld hat schon einmal mein Leben versaut. Das soll jetzt nicht noch einmal passieren, weswegen ich nun das Gedicht in die Hand nehme, welches ich immer unter meinem Polster aufbewahre. Das ist das Einzige, das mir bisher als kleine Stütze geholfen hat. Sobald ich den Text lese, so habe ich das Gefühl, dass Bernadette bei mir ist und das gibt mir ein sicheres Gefühl. Ich glaube irgendwie nicht mehr, dass sie es Leo ohne irgendeinen Hintergedanken mitgegeben hatte. Schließlich hätte sie das Stück Papier auch zerreißen können. Doch das tat sie nicht und das gibt mir irgendwie Hoffnung. Gerade will ich die ersten Zeilen von neuem lesen, als sich schon mein Handy meldet. Wer kann das jetzt sein? Fragend lege ich den Zettel zur Seite und hohle das schwarze handyähnliche Gerät aus meinem Gürtel. Meine Überraschung wird nicht geringer, denn auf dem Display sehe ich, wer mich gerade anruft: Es ist April. Kapitel 48: Neben Entführung auch noch Verhöhnung ------------------------------------------------- Aus Raphaels Sicht: Seltsam, warum ruft April mich jetzt an? Ich dachte eigentlich, dass sie heute ein wichtiges Vorstellungsgespräch hat. Ob sie das wohl schon hinter sich gebracht hat, oder ist das etwa doch eher ins Wasser gefallen? Nur da wäre sie bei mir an der falschen Adresse, sollte das wirklich der Fall sein. Allerdings kann ich mir das kaum vorstellen. Das Wort „Versagen“ gehört nicht gerade zu ihrem Wortschatz und wenn sie sich mal etwas in den Kopf gesetzt hat, so setzt sie Himmel und Hölle in Bewegung. Nur damit sie auf irgendeiner Art und Weise ihr Ziel erreicht. Trotzdem frage ich mich, warum sie gerade mich anruft. Ist wieder einmal etwas wegen den Purple Dragons passiert, von denen sie manchmal direkt etwas mitbekommt? Dabei hat sie uns erst doch vorgestern schon einige Informationen geliefert. Allein die Sache wegen den letzten Banküberfall war schon hilfreich, aber trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass sie schon wieder mit der nächsten Neuigkeit um die Ecke kommt. Selbst wenn es so wäre, wäre es aber besser, wenn sie Leo oder Donnie damit behelligt. Was also will sie nun vor? Ach was soll´s, sie wird es mir schon sagen. Ohne weitere Sekunden zu verschwenden, gehe ich schließlich ran: „April? Hi, was gibt`s?“ „Hallo Raphi. Schön, dass ich erwische. Es hätte ja sein können, dass du mit den anderen noch trainierst.“, begrüßt sie mich von der anderen Leitung. Ich erwidere nur kurz und knapp: „Ist schon erledigt. Wir machen uns aber bald auf dem Weg.“ „Ich verstehe. Ich wollte dir nur sagen, dass ich heute mit Bernadette gesprochen habe. …“, wechselt April schlagartig das Thema und ich werde hellhörig. Ohne, dass sie eine Chance hat, weiterzureden, frage ich sie dazwischen: „Und? Wie geht es ihr?“ Ein unterdrücktes Kichern ist auf der anderen Leitung zu hören, was mich allerdings etwas verwirrt. Denn was ist an dieser Frage bitte komisch? „Habe ich jetzt was verpasst?“, kommt es mir wie aus der Pistole geschossen. April hingegen erwidert darauf: „Ach nein, aber zu deiner Frage, wie es ihr gehen würde. Eigentlich ganz gut, aber vielleicht willst du dich ja selbst davon überzeugen.“ Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Habe ich da gerade etwas an den Ohren, oder hat April das wirklich gesagt und mich darum gebeten, bei Bernadette aufzukreuzen? Vielleicht habe ich mich auch nur verhört, allerdings … . Mit einem Mal weiten sich meine Augen. Kann es etwa sein, dass sie vielleicht soweit ist? Wird sie nun mit mir reden wollen? Eigentlich habe ich schon fast gar nicht mehr damit gerechnet, dass schon bald zu hören. Schließlich verlief meine letzte Begegnung mit ihr nicht gerade rosig und auch Leos Besuch ist schon eine Weile her. Innerlich spüre ich, wie mein Herz einen kleinen Freudensprung macht, während sich in meinem Gesicht ein leichtes Lächeln einschleicht. Allein der Gedanke daran, Bernadette schon bald wiederzusehen und das vielleicht nicht nur aus Ferne, lässt mich schon beinahe vergessen, warum wir schon lange nicht mehr miteinander geredet haben. Am liebsten wäre es mir, ich könnte April noch weiter ausquetschen, was meinen Engel betrifft, jedoch kommt mir nur folgende Frage über die Lippen: „Hat sie noch irgendetwas gesagt?“ Ich weiß ja, dass Frauen sich untereinander mehr austauschen, wenn es um Männer, Geheimnisse, oder dergleichen handelt. Zudem sind April und Bernadette gut miteinander befreundet, jedoch erwähnt die Angesprochene dazu nichts und erwidert nur: „Das wirst du schon sehen, wenn du dort bist. … Ich muss dann mal los. Viel Erfolg Raphi.“ „Moment, warte mal …“, rufe ich noch in das Handy hinein, aber sie hat schon aufgelegt. Das Gespräch ist zu ende und ich stehe mit dem Ding nur verdattert da. Was war das denn jetzt? Wieso diese Geheimniskrämerei? Kann April mir nicht einmal eine Frage sinnvoll beantworten, ohne, dass ich ständig nachhaken muss? Scheinbar nicht, das hat sich ja bereits bei ihrem Gekicher gezeigt. Als wüsste sie etwas, was ich nicht weiß und wenn das nicht ist, was ich glaube, dann fresse ich einen Besen. Was Bernadette wohl zu ihr gesagt hat? Irgendwie macht mich das ganz unruhig. Ich will das herausfinden und das am besten heute noch. Jedoch gibt es da nur ein Problem. Für heute Nacht hat Donnie ja einen Plan erstellt und für mich würde es nichts Vergnüglicheres geben, als diesen Purple Dragons mal ordentlich den Arsch zu versohlen. Was ist aber, wenn mein Engel mich nun wirklich sehen will? Könnte ich diese Chance tatsächlich ignorieren? Wer weiß, ob ich je wieder so eine erhalten werde? Diesen Idioten kann ich auch ein anderes Mal das Leben zur Hölle machen. So viel ist schon mal sicher, aber ich möchte auch meine Brüder nicht im letzten Moment hängen lassen. Meine Fresse, das ist ein ganz mieses Timing, was April betrifft. Da wäre es mir lieber gewesen, wenn sie mich schon gestern angerufen hätte. Allerdings, wenn ich es mir so recht überlege, ist meine Entscheidung schon längst gefallen. Nur werden die anderen nicht sehr davon begeistert sein. Wann sind sie das überhaupt? Was mich betrifft, gibt es doch immer wieder etwas zu meckern. Das ist auch hier nicht viel anders. Ach was, ich bringe das einfach hinter mich. Dann sollen sie ruhig schmollen. Es ist ja nicht so, als könnten sie den Haufen nicht auch zu dritt aufmischen. Von meinem Vorhaben entschlossen, bewege ich meinen Hintern aus meinem Zimmer und geselle mich wieder zu meinen Brüdern. Die scheinen ja immer noch am Diskutieren zu sein und diesmal ist Leo auch noch mit dabei. Es wirkt so, als hätte er mit Dad bereits alles geklärt und nun komme ich. „Hey Raphi, alles klar bei dir? Du schaust so geknickt.“, fragt mich Mikey schon und ich antworte nur darauf: „Es … es ist wegen Bernadette.“ Eigentlich erwarte ich jetzt ein Murren und Beschwerden seitens meiner Brüder, jedoch täusche ich mich dabei gewaltig. Ihre Gesichter verändern sich zu meinem Erstaunen zu einen breiten Lächeln. Freuen die sich gerade echt für mich, oder was ist mit denen los? Was gibt es da überhaupt zu grinsen? Noch ist nichts entschieden! Ich weiß ja nicht einmal, ob sie mich jemals zurückhaben will. „Mach dir keinen Stress. Geh ruhig zu ihr. Wir machen das schon.“, sagt Leo auf einmal, was sogar schon beinahe wie ein Befehl geklungen hat. Spinne ich, oder hat der große Anführer das wirklich von sich gegeben? Zugegebenermaßen hatte er wegen mir und Bernadette bereits vor zwei Wochen die Initiative ergriffen und mir auch ehrlich gestanden, dass er mit der Beziehung nie wirklich einverstanden war, aber das jetzt aus seinem Mund zu hören, fühlt sich total eigenartig an. Habe ich etwa jetzt seinen Segen, oder wie soll ich das verstehen? Ich hüte mich aber, irgendetwas von meinem Gedanken laut zu äußern und nicke einfach nur. Wenn es Beschwerden gibt, bin ich diesmal nicht schuld. Diesmal habe ich ja Zeugen, aber irgendwie scheinen mir die anderen beiden auch verdeutlichen zu wollen, dass es wirklich ok ist und dass sie sich tatsächlich für mich freuen. Irgendwie komme ich mir vor wie in einem falschen Film, aber besser ist es, nicht weiter darüber nachzudenken. Das gibt nur Kopfschmerzen. Um meinen Kopf daher wieder freizubekommen, verabschiede ich mich von den dreien und verschwinde aus unserem Zuhause. Noch habe ich bis zur Abenddämmerung etwas Zeit und bis dahin kann ich mir in der Kanalisation mal überlegen, was ich nun zu ihr sagen werde. Kaum dass die Sonne untergegangen ist, wage ich mich aus dem Untergrund. Es sind schon einige Tage her, seitdem ich das letzte Mal vor ihrem Haus stand, damit ich sie aus der Ferne beobachten konnte. Nun kommt es mir so vor, als würde ich dieses zum ersten Mal aufsuchen wollen. Mein Herz bebt vor Aufregung und obwohl ich vorhin so bemüht war, mir klare Gedanken zu schaffen, so türmen sich in mir nun wieder diese Theorien und Fragen auf. Ich weiß nun mal nicht, mit welcher Stimmung ich rechnen kann. Gibt Bernadette mir nun eine Chance? Kann ich mit ihr überhaupt reden, oder sagt sie mir endgültig, dass es vorbei ist? Allerdings, wenn es wirklich so wäre, so hätte sich April am Telefon vollkommen anders verhalten. Sie hätte dann nicht gekichert und nach ihrer Stimme zu beurteilen, klang diese fröhlich. Davon bin ich mehr oder weniger überzeugt. Dennoch möchte ich nicht so recht daran glauben, dass alles wieder gut wird. Auch wenn ich diese Möglichkeit nicht einfach so unter dem Tisch fallen lassen will, besteht immer noch die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich irre. Zumindest werde ich bald erfahren, wie es nun wirklich zwischen Bernadette und mir stehen wird. Schließlich komme ich bei ihr an und sehe, dass das Fenster sogar offensteht. Für den ersten Eindruck wirkt es einladend auf mich, als ob sie auf mich warten würde. So wie es auch vor unserem Streit der Fall war. Sofort springe ich auf das Gebäude und klettere bis zum ersten Stock hinunter, wo ich nun vorsichtig hineinspähe. „Hallo? Bernadette? … Bist du hier?“, frage ich beinahe flüsternd. Wohl bedacht, dass ich den Rest des Hauses nicht auf meine Spur bringe. Allerdings ist es in diesem Raum finster und ich kann sie nirgendwo sehen. Soll das jetzt etwa ein schlechter Scherz sein? April meinte doch, dass ich heute noch bei ihr vorbeischauen soll, oder habe ich mich doch verhört? Sie kann mich doch wohl nicht verascht haben. April ist eigentlich nicht so eine und trotzdem scheint hier niemand zu sein, seltsam. Noch hänge ich bei der Außenmauer, während ich in die Dunkelheit starre und da ich keine Antwort erhalte, wage ich mich nun in das Innere des Zimmers. Ich muss vorsichtig sein. Nicht, dass sie im Nebenzimmer ist, oder ihre Tante auf einmal hereinplatzt. Das kann ich nun mal nicht riskieren. Ich muss auf jeden Fall leise sein, so viel ist sicher. Kaum, dass meine Füße den Boden berühren, schleiche im Raum umher. Mein erster Blick fällt auf den Sessel, welches direkt beim Fenster steht. Normalerweise befindet der sich bei ihrem Schreibtisch, doch diesmal ist hier und wirkt auf mich, als hätte mein Engel dort gewartet. Unschlüssig schaue ich mich weiter um und ich wende mein Blick in Richtung Bernadettes Bett. Hoffend darauf, dass sie darin liegt und schläft. Doch dieses ist leer und wirkt kaum angerührt. Als hätte sie sich nur für ein paar Minuten hingelegt. Was hat das zu bedeuten? Ob ich will oder nicht, in mir schleicht sich ein ungutes Gefühl hinein. Irgendetwas stimmt hier nicht und das ist mit Sicherheit kein Scherz. Ich kenne Bernadette gut genug, um zu wissen, dass sie mich nicht reinlegt und mich auch nicht einfach so hierher bestellt. Auch April traue ich das genauso wenig zu, besonders nicht, wenn es um die Frage wegen der Beziehung zwischen mir und Bernadette geht. Nur wo steckt sie? Irgendwie wird das ungute Gefühl in mir stärker und ich hoffe sehr, dass ich mich irre. Um endlich herauszufinden, was hier gespielt wird, muss ich schnellstmöglich Antworten finden. Da ich mich im Haus nicht wirklich umsehen kann, ohne dabei von Bernadettes Tante erwischt zu werden, versuche ich es besser von außen. Ich klettere wieder aus dem Fenster und angle mich bei der Außenmauer von Etage zu Etage. Überall nutze ich die Gelegenheit, um hineinsehen zu können, doch egal welches Zimmer ich mir auch unter die Lupe nehme, von meinem Engel fehlt jede Spur. Stattdessen erblicke ich eine schlafende Frau. Doch die hat die Bettdecke so hochgezogen, sodass von ihrem Gesicht nichts zu sehen ist. Vermutlich schläft Bernadettes Tante immer so. Doch wo steckt mein Mädchen? So sehr ich das auch verdrängen würde, ich ahne nichts Gutes und ich glaube auch, dass ich beim Haus kein Glück haben werde. Denn wenn alles dunkel ist und ich Bernadette bis jetzt nirgendwo ausfindig machen konnte, so werde ich woanders mein Glück versuchen müssen. Vielleicht wartet sie in einen der Gassen. Zwar würde ich ihr das nicht zutrauen, weil es einfach nicht ihre Art ist, aber ich möchte nichts unversucht lassen. So nehme ich mir die Erste neben ihrem Haus vor, aber wie zu erwarten, ist sie dort nicht. Es herrscht Funkenstille. Nicht einmal ein streunendes Tier lässt sich hier blicken. Vielleicht sollte ich es bei den gegenüberliegenden Gebäuden versuchen. Doch vermutlich wird es dasselbe ergeben. Als ich schließlich die nächste Gasse aufsuche, wird dieses schauerliche Gefühl stärker, nur warum? Bis jetzt habe ich noch nichts entdeckt und trotzdem zieht es mich weiter hinein. Vorsichtig wage ich mich weiter in die Gasse. Ständig darauf bedacht, dass dort jemand sein könnte, schreite ich voran, bis ich schließlich mit dem Fuß etwas unabsichtlich zur Seite stoße. Ich sehe nach unten und entdecke etwas. Es ist ein Handy, aber es ist nicht irgendein Handy. Ich erkenne dieses Smartphone, es gehört Bernadette! Sofort hebe ich das Ding auf und als ich mit dem Finger über den Display schiebe, sehe ich, dass die Nummer der Polizei bereits gewählt ist. Nein, das kann nicht sein! Das darf nicht passiert sein! Ohne lange zu zögern, hole ich mein eigenes Handy aus dem Gürtel und rufe auf der Stelle die Jungs an. Ich muss jetzt sofort handeln! Hoffentlich ist es nicht zu spät. Aus Bernadettes Sicht: Oh Mann, mein Kopf dröhnt. Ich fühle mich, als würde eine Metallfabrik in meinem Schädel herumwerkeln und dabei Überstunden machen. Was ist passiert? Warum ist mir so schwindlig und wo bin ich überhaupt? Nur mühselig kann ich meine Augen irgendwie dazu bewegen, sich zu öffnen. Ich fühle mich einfach fertig und am liebsten würde ich mich in mein Bett verkriechen und schlafen. Was war das für ein Zeug, das über den Lappen gegossen wurde? Mit Sicherheit kein Parfum, auch wenn es ziemlich süßlich gerochen hat. Als ich schließlich etwas klarer sehen kann, versuche ich mich zu orientieren, wo ich mich gerade aufhalte. Ich muss in einem Art Lagerhaus sein. Vor mir erkenne ich einige stählerne Stützpfeiler des Gebäudes und etwas weiter weg befinden sich Kisten, Tonnen und sogar große Container, die übereinander gestapelt sind. Ein salziger Geruch erweckt ebenfalls meine Aufmerksamkeit. Bin ich etwa bei den Docks? Wie bin ich überhaupt hierhergekommen? Noch weitere solche Fragen durchwirbeln meinen Verstand, aber ich komme nicht dazu weiter darüber nachzudenken. Denn als ich mich bewegen will, stelle ich gerade fest, dass ich das nicht kann. Mit den Rücken voraus wurde ich an ein Rohr festgebunden, meine Arme sind dabei vollkommen verschnürt und so sitze ich auf dem kargen Betonboden, während ich keine Ahnung habe, was hier gespielt wird. Das Einzige, was ich bewegen kann, sind meine Beine, aber das hilft mir momentan überhaupt nicht. Ich muss mich irgendwie befreien. Doch wie stelle ich das an? Die momentane Haltung meiner gefesselten Arme ist auch nicht gerade sehr bequem, geschweige, dass ich diese wirklich bewegen kann. Trotzdem, ich muss es versuchen. Mühselig rüttle ich an meinen Fesseln. So stark es mir nur möglich ist, ziehe und drücke ich dagegen, aber es bewirkt nur, dass sich das dicke Seil in meine Haut einschneidet. So funktioniert das nicht! Was mache ich nur?! Ein Kichern erweckt schließlich meine Aufmerksamkeit. Von wo kommt das jetzt auf einmal her und von woher kenne ich es? Ich fühle mich immer noch zu sehr k.o., als dass ich meinen Kopf wirklich anstrengen kann. Doch als sich dieses Kichern dann zu einem boshaften Lachen umwandelt, dämmert es mir langsam: Lucinda! Wie aufs Stichwort tänzelt diese Wahnsinnige herbei. Dabei kommt sie mir so vor, als würde sie gerade shoppen gehen. Wir sind hier aber weder in der Mall, noch glaube ich, dass das hier sowas wie ein Kaffeekränzchen ist. Was zum Kuckuck soll das hier und was will dieses Miststück von mir?! Reicht es denn nicht, was sie in der Schule angetan hat? Nein, sie lässt mich einfach entführen. Wie ich dieses Miststück hasse! Geschminkt wie ein Clown und aufgetakelt wie ein Pfau, nähert sie sich mir, bis sie ein paar Schritte vor mir stehen bleibt. „Ach, sind wir auch schon aufgewacht? Schade, dabei hätte ich dir so gern einen Kübel mit kaltem Wasser ins Gesicht geschüttet. Naja, das kann ich ja immer noch machen.“, quasselt sie da vor sich hin, als hätte sie sich kurz zuvor eine schlechte Version von einem Krimi reingezogen. An ihrer „Bösewicht-Masche“ muss sie auf jeden Fall noch arbeiten. Allein ihre Sprüche sind schon zum Kotzen, aber ich bin wohl kaum hier, um mit ihr darüber zu diskutieren. Irgendetwas hat sie vor und wenn ich mir meine momentane Lage vor Augen halte, wird es wohl kaum beim „Reden“ bleiben. Dennoch lasse ich es mir nicht nehmen, dieses Miststück nun direkt darauf anzusprechen, was diese Scheiße hier zu bedeuten hat: „Was willst du von mir? Ich habe eh schon die Schule gewechselt, das müsste dich doch freuen.“ „Mich freuen?! Wovon träumst du nachts?! Dir habe ich es schließlich zu verdanken, dass ich mir diesen Mentoring-Mist anhören muss und dass ich dann bald auch noch vor Gericht gezerrt werde! … Aber eines schwöre ich dir: Dies hier wird meine Rache sein und dann wirst du es noch bitter bereuen, dass du mir in die Quere gekommen bist!“, faucht sie mich an, das bewirkt bei mir aber nur, dass meine Wut sich wieder zu Wort meldet. „Ich bereue nur, dass ich deine Visage ertragen muss und eigentlich hattest du dir das alles selbst zuzuschreiben. Hättest du aufgehört mich zu mobben, so wäre es niemals so weit gekommen.“, blaffe ich zurück, auch wenn ich keine Ahnung habe, woher ich so plötzlich diesen Mut nehme und diese Worte spreche. Denn aus meiner derzeitigen Position gesehen, stecke ich ganz schön tief in der Patsche und genau das bekomm ich von diesem Miststück auch zu hören: „Pah, an deiner Stelle würde ich nicht so große Töne spucken! Du solltest besser Angst haben!“ Angst, ja die habe ich. Wer hätte sie nicht, wenn man entführt wird und irgendwo gefesselt aufwacht, aber ich weigere mich ihr das zu zeigen. Denn wenn ich das jetzt tue, habe ich auf jeden Fall schon verloren. Ich kann daher nichts weitertun, als wieder einmal eine Maske aufzusetzen, während ich innerlich die Ruhe finde. Ersteres mag mir vielleicht noch irgendwie gelingen, aber beruhigen kann ich mich auf gar keinen Fall. Dafür stecken in mir viel zu viel Angst und Wut. Um mich daher selbst davon „abzulenken“, rede ich schließlich weiter: „Sag mal, wie stellst du dir das vor? Glaubst du etwa, ich halte den Mund, nur weil du mich entführt und hier gefesselt hast? Wenn du dir das wirklich erhoffst, dann bist du noch dämlicher, als was ich eh schon von dir erwartet habe.“ Lucinda jedoch lacht nur darauf und ruft schließlich ihr Leute herbei, die sich derweil brav im Hintergrund gehalten haben. Ach, stimmt ja, irgendwo musste sich ja der Rest des „Begrüßungskomitees“ aufgehalten haben. Wenn es gerade nicht so ein beschissener Moment wäre, so könnte ich, ohne zu zögern, mit meinem Sarkasmus loslegen. Doch das ist hier wohl kaum der beste Zeitpunkt dafür und als ich auch noch fünf Männer hervorkommen sehe, wird mein Mut immer kleiner. Es sind Leute der Purple Dragons. Schmierige Typen mit purpurne Drachen-Tattoos, zerrissenen Lederjacken und verschiedenen Waffen in den Händen, denen man eigentlich aus dem Weg gehen sollte. Wie die Irren haben sie bis jetzt randaliert Läden, Banken und sogar einfache Leute ausgeraubt und als wenn das nicht genug gewesen wäre, machen sie alles nieder, was ihnen in die Quere kommt. Allein ihre fiesen Fratzen sprechen dafür, was in ihren Schädeln herumgeistert: Gewalt und die Gier nach Zerstörung. Jedoch ist dies nicht das Einzige, was mich gerade lähmt. Denn einer von ihnen ist der Typ, der sich als mein verstorbener Vater ausgegeben hat und auch jetzt noch seine Verkleidung trägt. Sprachlos starre ich diesen an, was Lucinda natürlich nicht entgeht: „Oh, hat dir die kleine Show gefallen? War echt nett von Amy, dass sie mir das wegen deinem Dad erzählt hat. Da musste ich nicht lange überlegen, wie ich dich in der Zwischenzeit quälen kann, bis ich endlich den richtigen Zeitpunkt ausnutzen konnte.“ Gerade weiß ich nicht, worüber ich mich mehr aufregen soll: Die Tatsache, dass eine weitere Verräterin mir mit einem anvertrauten Geheimnis wieder Steine in den Weg gelegt hat, oder die Tatsache, dass ich aufgrund meiner Liebe zu meinem Vater beinahe irregemacht worden bin. Wie krank muss man im Hirn sein, um sowas für seine Zwecke ausnutzen zu müssen?! Hat Lucinda überhaupt eine Ahnung, was sie mir dabei angetan hat?! Nicht nur, dass der Kerl mir immer wieder auflauerte, ich wusste nicht, was ich noch glauben sollte. Keine außer mir sah diesen Kerl mit seiner Maskerade und ich wusste nicht, ob ich es mit einem „Zwilling“, einem Geist, oder sonst irgendetwas zu tun hatte. Scheinbar weiß diese Schnepfe das doch und sie reibt es mir umso mehr unter die Nase: „Ein bisschen Makeup hier und ein bisschen Geld da und schon erhielt ich nach dem Vorbild eines Fotos die perfekte Kopie. Ach, wie herrlich es doch ist, Macht zu besitzen, nicht wahr?“ Der Typ, von dem die Rede ist, wird einmal von der Blondine umrundet, während er mit einem boshaften Grinsen Stück für Stück seine Maskerade herunterreißt und so sein wahres Gesicht preisgibt. Ich bin mit Theaterschminke, falscher Haut und falschen Haaren hereingelegt worden und ich wette, dass dieses Biest sich darüber auch noch totgelacht hat. Wenn ich könnte, würde ich ihr sogar schriftlich geben, dass sie nichts weiter als eine verlogene und arrogante Bitch ist. Stattdessen brülle ich sie einfach an: „Nicht nur, dass du kein Ehrgefühl in deinem verkorksten Leib hast, du hast nicht einmal ein Herz! Sonst wüsstest du, dass ich meinen Dad vor vielen Jahren tragisch verloren habe! Vermutlich würdest du nicht einmal eine einzige Träne herausdrücken können, würde es um deinen Vater gehen!“ Kaum, dass ich das herausposaunt habe, bekomme ich von Lucinda eine geschnallt, sodass es nur so knallt. Wie ein Echo hallt es an diesem Ort, bis völlige Stille einkehrt. Keiner sagt etwas: Ich, weil ich zu sehr geschockt bin und Lucinda, weil sie derweil vermutlich mit ihrem Zorn kämpft. Was den Rest angeht, habe ich keine Ahnung und mir ist das sowieso völlig egal. Anscheinend habe ich bei ihr einen wunden Punkt getroffen und das hat meine linke Wange zu spüren bekommen. Vermutlich ist sie schon rot, aber ich beiße mir auf die Lippen, damit ich keinen Ton von mir gebe. Das blonde Miststück jedoch lacht, nachdem es sich beruhigt hat und gibt den Purple Dragons den nächsten Befehl: „Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du dir wünschen, niemals geboren worden zu sein. Doch fürs Erste … Männer nehmt ihr sämtliche Sachen ab! Schließlich soll es ja wie bei einem gewöhnlichen Raub aussehen und am besten fangen wir gleich mit dieser abscheulichen Kette an.“ Schon reißt jemand daran und mit einem Messer wird das lederne Band durchtrennt. Ich starre einfach nur geschockt den Kerl an, wie er damit vor meinem Gesicht herumwedelt und es dann Lucina weitergibt. Mit zwei Fingern nimmt sie es entgegen und meint angewidert: „Nicht nur eine schlechte Verarbeitung, sondern auch noch ein schlechter Geschmack, was die Auswahl des Vieches und des Steines angeht. Eine Schildkröte, wie lächerlich! Aber etwas Anderes war ja von dir nicht zu erwarten. … Meinetwegen könnt ihr das haben, ich habe keine Verwendung dafür.“ Mit den letzten Worten wirft sie dem Typen mein Amulett entgegen, welcher es sich sofort in die Westentasche steckt. Ich jedoch kann nur fassungslos dabei zusehen, wie sie mit dem Symbol meiner Liebe zu Raphael umgehen. Wie ein Stück Abfall behandeln sie es und wäre ich nicht gefesselt, so würde ich mich auf dieses Weib stürzen und eigenhändig verprügeln. Lucinda geht jetzt einfach zu weit! „Du Miststück!“, brülle ich sie an und rüttle ein weiteres Mal erfolglos an den Fesseln herum, aber sie hat ja nichts Besseres zu tun, als diesen Moment für sich auszukosten. Wie aus einem schlechten Film legt sie zwei Finger ihrer rechten Hand auf ihre Lippen, die sie wie den Rest ihres Gesichtes zu einer „mitleidigen“ Mimik verzogen hat. „Oh, hat dir das Ding etwa etwas bedeutet? War wohl von deinem Verehrer, stimmt´s? … Welchen Namen hattest du noch mal in der Gasse erwähnt? Ach ja, Raphael, oder nicht? Vermutlich wird das genauso so ein Loser sein, so wie du! Ich frage mich nur, wo du ihn aufgegabelt hast, wahrscheinlich auf der Mülldeponie oder in der Kanalisation, wo du nämlich hingehörst. Haha!“, verhöhnt sie mich, aber wenn sie nur wüsste, um wen es sich bei meinem Liebsten wirklich handelt, so würde ihr ihr Gegacker sofort vergehen. „Hier ist noch etwas!“, ruft ein Weiterer der Purple Dragons dem Miststück zu und hält das schwarze Handy in seiner Hand, welches ich in die Jackentasche gesteckt hatte. In all der Aufregung habe ich das vollkommen vergessen. Nur kann ich es nicht benutzen. Es ist zwar wieder eingeschaltet, aber durch meine misslige Lage, kann ich damit nichts ausrichten. Lucinda hat jedoch ganz andere „Probleme“. Sie prustet vor lauter Lachen los und fragt sogar: „Was zu Hölle soll das denn bitte sein?! Ein misslungenes Experiment, oder was?! Das ist ja nicht einmal wert, in den Müll geschmissen zu werden.“ Zugegeben, dieses Handy ist wirklich keine Augenweide, aber die Arbeit, die mein Freund mit der lila Maske da hineingesteckt hat, kann ihm keiner so schnell nachmachen. Moment, es ist eingeschaltet! Wieso bin ich nicht schon eher darauf gekommen? Die Jungs können mich damit orten und vielleicht tun sie es bereits! Donnie hat mir mal erzählt, dass jedes seiner Geräte miteinander verbunden ist und da ich es zu Hause eingeschaltet habe, können sie mich finden! Leider müssen die Purple Dragons sowas Ähnliches gedacht haben. Vielleicht hat aber auch jemand meinen Hoffnungsschimmer in meiner Mimik bemerkt, denn schon schmeißt einer von ihnen das Gerät auf dem Boden und tritt mit aller Kraft darauf. Nein! Es ist aber bereits zu spät. Das Handy ist zerstört und mit Genuss trampeln die Mistkerle noch ein paar Mal darauf herum, als würden sie Ameisen zertreten. Geschockt sehe ich auf die einzelnen Bruchstücke. Wie sollen sie mich nun finden? Meine Hoffnung auf Rettung schwindet und als wenn ich nicht eh schon auf dem Boden wäre, so reißt mich einer von diesen widerlichen Kerlen bei den Haaren und meint: „Das war wohl nix Kleine. Du bist ganz allein und du kannst froh sein, wenn du das hier irgendwie überlebst.“ Kapitel 49: Gefangen -------------------- Aus Bernadettes Sicht: „Was sollen wir mit ihr machen? Ihr kleine „Erinnerungen“ in die Haut ritzen? Sie mit dem Kopf voraus irgendwo herunterbaumeln lassen? Sie mal das Salzwasser aus einer anderen Perspektive kennenlernen lassen? Oder ihr vielleicht solange die Kehle zudrücken, bis sie Sterne sieht?“, fragt der Kerl in die Runde. Er legt sogar provisorisch seine widerliche Hand meiner Kehle, um mir zu zeigen, dass ihm gerade das Letztgenannte sehr viel Spaß machen würde. Doch Lucinda scheint da etwas ganz Anderes im Sinn zu haben und brüllt: „Ihr sollt sie nicht umbringen, ihr Hornochsen, sondern ihr das Leben zur Hölle machen! Sie soll solange leiden, bis sie nur noch ein Häufchen Elend ist! Auf Knien soll sie schwören, nie mehr wieder in ihrem Leben ein Wort gegen mich zu erheben!“ Spöttisch verschränkt der scheinbare Anführer der Truppe die Arme und meint: „Große Worte „Prinzessin“. Du kannst von Glück reden, dass du wegen deinem Daddy in Geld schwimmst, sonst hätten wir schon bereits Probleme miteinander. … Ach, was soll´s. Wir werden schon unseren Spaß haben, nicht wahr Jungs?“ Die anderen Mitglieder der Purple Dragons nicken und stimmen dessen Worte mit einem boshaften Grinsen, sowie auch mit einem hämischen Lachen zu. Wie sich das so herausgehört hat, hat Lucinda doch nicht so viel Einfluss auf diese Gang. Würden die nicht ihr Geld dafür bekommen, so hätten sie ihre Pläne bereits geändert. Lucinda muss ihnen ja ganz schön viel geboten haben, sodass sie das nicht ausnutzen. Anders könnte ich mir das nicht erklären, aber ich habe derzeit andere Probleme. Der Kerl, der mich immer noch so grob festhält, reißt meinen Kopf noch näher zu sich, ehe er mit einem bewusst lauten Einsaugen an meinem Haaren schnüffelt, als sei ich ein Parfum oder eine Blume. Dabei murmelt er noch irgendetwas Unverständliches. Wie er mich anwidert! Das ist so ekelhaft! Ich spüre förmlich, wie sich auf meinem ganzen Körper eine Gänsehaut bildet und wie ich meinen Drang zu würgen kontrollieren muss. Mit aller Kraft reiße ich meinen Kopf zur Seite und versuche mich auch so von ihm wegzudrücken, aber das ist in meiner derzeitigen Lage mehr als nur schwer. Ich spüre noch den Rest der Betäubung. Mein gesamter Körper fühlt sich noch matt an und dadurch, dass ich straff an den Pfosten gefesselt bin, gibt es für mich kein Entkommen. Ich habe große Angst, doch je mehr sich dieser Mistkerl mir nähert, desto größer wird mein Wunsch, endlich zu fliehen. Der Purple Dragon-Typ jedoch lacht nur über meine missliche Lage und tritt mir schließlich mit voller Wucht in die Magengegend. „So in etwa „Prinzessin“?“, fragt er auch noch amüsiert. Mir ist allerdings alles andere als zum Lachen zumute. Ich krümme mich vor Schmerzen zusammen, indem ich meine Knie zu mir ziehen und vor Schmerz das Gesicht verziehe. „Genauso hätte ich es gerne. Lasst sie ruhig spüren, was für ein Abschaum sie ist und dass sie nichts Anders verdient hat, als sich im Staub zu winden.“, meint Lucinda dazu und feuert dabei die Truppe an, weiterzumachen. Das lassen sich die Männer dieser Gang nicht zweimal sagen. Wie der Erste zuvor, welcher sich nun etwas zurückgezogen hat und das „Schauspiel“ genießt, kommen an seiner Stelle zwei andere Kerle auf mich zu. Grinsend und mit den Knöcheln knackend stehen sie nun vor mir. Ich versuche irgendwie wegzurutschen, aber ich komme nicht wirklich vom Fleck, was diese Idioten nur erheitert. „Schade, dass der Rest von uns Wache schieben muss. Die würden Schlange stehen, um das zu genießen.“, meint schließlich einer von ihnen amüsiert und der Nächste fügt hinzu: „Wer weiß: Wir könnten sie ja noch dazu holen. Der Spaß hat ja noch nicht so richtig angefangen.“ Kaum, dass er das gesagt hat, ballt er seine rechte Hand zu einer Faust und donnert mit dieser in mich hinein, sodass ich zunächst nach Luft schnappen muss. Doch damit ist es nicht getan. Der Zweite verpasst mir nun mit einer flachen Hand einige Hiebe ins Gesicht, sodass ich nicht weiß, in welcher Richtung nun mein Kopf „geschleudert“ wird. Verdammt, ich kann nicht fliehen! Ich kann mich nicht einmal irgendwie wehren und für die ist alles nur ein Spiel! Aus der Ferne höre ich schließlich einen anderen Kerl. Scheinbar langweilt er sich und wirft daher in die Runde ein, dass man das, seiner Meinung nach, besser machen könnte: „Das ist doch öde. Warum können wir sie nicht losbinden und dann unseren Spaß mit ihr haben? Wenn sie da so hockt, kann sie sich nicht einmal wehren. Da vergeht einem schnell die Lust darauf.“ Vor meinem geistigen Auge sehe ich schon vor mir, wie ich von etlichen Männern der Purple Dragons umrundet werde. Wie ich es schon mal in der Schule erlebt habe, so würden sie mich umzingeln, mich von der einen Seite in die nächste stoßen und mich weiterhin verprügeln, sodass ich dann nicht mehr aufstehen werde. Ich befürchte schon, dass die Purple Dragons das wirklich durchziehen werden. Allein dieser Reiz, mich wie ein altes Spielzeug zu behandeln, welches vielleicht sogar von einem kleinen Kind geklaut worden war, müsste sie zu meinem Übel dazu anheizen, doch stattdessen befielt der Anführer: „Lasst das sein! Vergesst nicht, dass es manchmal Gören gibt, die ganz schön flink sein können und bevor sie uns abhaut, werden wir sie erst einmal den Boden küssen lassen. Von mir aus könnt ihr sie dann losbinden. Wenn sie erst einmal keine Kraft mehr hat, so wird sie auch nicht fliehen können und erst dann fängt der Spaß so richtig an!“ Auf diesen „Plan“ jubeln die Restlichen und selbst der Lackaffe, der zunächst seine Einwände gehabt hat, ist nun überzeugt und lässt sich darauf ein. Mir dagegen schnürt sich alles zusammen. Egal, wie sie es auch anstellen werden, es wird keine Möglichkeit geben zu entkommen. Was soll ich nur machen? Ich kann nicht geortet werden und ich kann mich nicht einmal richtig bewegen, damit ich selbst etwas ausrichten kann. Ich bin vollkommen allein, habe Angst und wünschte, ich könnte wie Hulk die Fesseln von mir reißen, damit ich mich zumindest rühren kann. Genug Wut auf sie und Lucinda wäre da, aber in diesem Fall bin ich leider in keinen Film, in dem ich das wirklich durchziehen könnte. Ich bin in der Realität und stecke so tief in der Patsche, sodass ich schreien könnte. Mehrere gegen eine, wenn das mal nicht unfair ist, aber das ist denen doch scheißegal! Sie genießen es einfach, jemanden zu terrorisieren, der sich nicht einmal wehren kann und genau dieser Gedanke lässt meine Wut noch weiter aufkeimen. Schließlich näherte sich mir der Nächste dieser Kerle. Ein breitschultriger Glatzkopf, der es scheinbar nicht lassen kann, mit seiner Größe zu prahlen. Er sagt nicht einmal etwas und doch reicht es mir, wie er mich anstarrt und wie er auf mich zukommt. Ich sehe weg, um seine widerliche Fratze nicht länger ertragen zu müssen. „Einfach nur feig!“, murmle ich dabei, aber das bleibt nicht ungehört. Der Typ vor mir packt mich am Shirt und schnauzt mich drohend an: „Wie war das, du Made?!“ Mein Herz rast, aber so sehr ich auch Angst habe, ich bereue meine Worte nicht. Denn was sie tun, zeigt doch, dass sie nur in der Masse stark sind und anscheinend trauen sie sich nicht, mich ohne die Fesseln fertigzumachen. „Für dich gerne noch einmal zum Mitschreiben: Ihr seid nichts weiter als feige Idioten! Verstanden?!“, schreie ich ihn so laut wie möglich an, sodass seine Ohren schmerzen. Auch wenn ich mich kaum rühren kann, so habe ich immer noch meine Stimme! Es hat auch was bewirkt. Zumindest lässt er mich in diesem Augenblick los und reibt seine Finger gegen die Ohren. Er hat wohl nicht damit gerechnet, dass ich noch im Stande bin, meine Stimme zu erheben. Vielleicht kann ich mich nicht wirklich bewegen, aber den Mund lasse ich mir nicht verbieten! Leider währt meine Freude nicht lange, denn das was ich gerade getan habe, bleibt nicht unbestraft. Während der Mistkerl noch immer mit seinen Ohren beschäftigt ist, erhalte von einen weiteren ein Schlag ins Gesicht. Gleich darauf folgen einige Tritte von dem Vorherigen, der sich scheinbar rasch „erholen“ konnte. Doch diesmal erwischt es mich auch noch bei den Beinen, aber das schmerzt genauso wie beim Magen. Der Glatzkopf ist so in Rage, sodass er seinen ganzen Zorn auf mich niederprasseln lässt, während er mich zusätzlich anschnauzt: „Du Miststück! Dich werde ich lehren, mir ins Ohr zu schreien! … Das hast du nun davon, du kleine Giftkröte!“ Mühselig versuche ich nicht zu schreien, aber ich muss die Zähne fest zusammenbeißen, damit ich nicht einmal ein kleines Wimmern von mir gebe. Es tut so weh und ich fühle mich wie ein Boxsack, welches nun ordentlich bearbeitet wird. „Ganz schön vorlaut die Göre. Kein Wunder, dass unsere „Prinzessin“ mit der da Probleme hat.“, mischt sich auch noch der Nächste ein, was zusätzlich noch von Lucinda persönlich eiskalt kommentiert wird: „Ihr habt ja keine Ahnung, was ich mit der da schon alles durchmachen musste. Dieser Wurm ist mir nicht nur einmal in die Quere gekommen. Doch diesmal bekommt sie, was sie verdient. … Mal sehen, wie lange sie das wohl durchhält. Lieber wäre es mir, wenn sie auf der Stelle einsacken würde, aber wo bleibt dann der Spaß?“ Manchmal wünschte ich, dass Blicke töten könnten. Denn so, wie ich Lucinda gerade anstarre, müsste sie mindestens schon hundertmal umgefallen sein. Ich wünsche ihr so vieles an den Hals, aber ich ernte von diesem Miststück nur ein schelmisches und herabwürdigendes schiefes Lächeln, während sie ein paar Schritte von mir entfernt steht und diese „Show“ mit verschränkten Armen genießt. Ich höre sogar, wie sie sich ein lautstarkes Lachen verkneift, nur damit sie jede Sekunde von diesem Horrorszenario beobachten kann. Nicht einmal dafür macht sie sich die Hände selbst schmutzig. Auch hier braucht die Tussi anscheinend Handlanger, die für sie die Drecksarbeit erledigen. Würde ich nicht gerade gefesselt sein und mich zusammenreißen, damit ich diese Schmerzen irgendwie ausblenden kann, so würde ich mich auf sie stürzen und sie solange vermöbeln, sodass nicht einmal mehr ein Schönheitschirurg das wieder hinbiegen könnte. Mein Zorn auf sie scheint grenzenlos zu sein, aber meine momentane Lage verhindert, dass ich mich wie eine Bestie auf sie stürzen kann. Stattdessen muss ich einen Faustschlag und einen Tritt nach dem anderen über mich ergehen lassen. Jeder Schmerz, der mir zugefügt wird, lässt mich immer wieder bewusstwerden, wie sehr ich Lucinda hasse. Warum musste gerade sie mir über den Weg laufen? Sie bringt nichts weiter als Schmerz, Wut und Tränen und wenn es nicht nach ihrem Kopf geht, so zwingt sie jeden dazu, damit sie doch noch ihre Ziele erreicht. Manchmal frage ich mich, warum das Leben mich so sehr hasst, sodass ich ständig auf die Schnauze fallen muss. Nicht nur einmal habe ich geistig einen Schlag ins Gesicht bekommen. Sei es nun die Schule, die Familie, oder die Liebe. Nie darf ich über längerer Zeit glücklich sein, ohne dabei darauf gefasst sein zu müssen, alles wieder zu verlieren. Ich muss immer kämpfen und ich weiß nicht, wie lange ich das noch machen will. Warum muss ich mich denn ständig beweisen und um mein Recht kämpfen? Das Leben ist hart, das ist mir klar. Mich hätte es auch anders treffen können, aber das hier ist nicht minder schlimm! „Na, was ist jetzt? Kriechst du jetzt endlich vor mir wie ein Wurm, der du schon immer warst, oder hast du es immer noch nicht kapiert?!“, holt Lucinda mich wieder aus meinen Gedanken. Ich jedoch antworte nicht. Ich starre sie einfach wutentbrannt an, als könnte sie das umbringen. Augenrollend schüttelt sie leicht den Kopf und will ihren Handlangern gerade den Befehl geben, weiterzumachen, als plötzlich einer von ihnen niedergestoßen wird. Erschrocken sehen wir alle auf. Kann das sein?! Haben sie mich doch gefunden?! Wie aufs Stichwort erscheint zunächst Donnie, der seinen Bo schwingt und den nächsten Kerl zu Fall bringt. Als wäre dieser kurz zuvor über Eis geschlittert, verliert er den Halt und kracht im nächsten Augenblick auf dem Boden. Auch Mikey ist nicht fern. Mit einem ordentlichen Affenzahn springt er mit seinen wirbelnden Nunchakus herein und gesellt sich zu ihm. „Na, da werden wir mal die Party ordentlich aufmischen. Auf geht´s!“, fordert er seinen Bruder schelmisch auf und macht sich mit seinen Waffen ans Werk. Als wäre das alles nur Spiel, grinst er und läuft schon auf die nächsten beiden Purple Dragons, welche gerade beschäftigt sind, ihre eigenen Knüppel und Ketten bereitzulegen. Donnie folgt seinem Beispiel und schiebt zunächst seine runtergerutschte Brille zurück an ihrem Platz, ehe er mit seinem Bo zum nächsten Schlag ausholt. Die Purple Dragons fliegen um wie Kegel, die man beim Bowlen mit einer Bowlingkugel umgehauen hat. Überfordert beobachte ich das Treiben und höre nun Lucinda, wie sie plötzlich zu schreien beginnt: „Ah, was geht ihr vor?! Was sind das für Monster?! Wo kommen die so plötzlich her?!“ Augenblicklich rennt sie davon und versteckt sich hinter einen der Stützpfeiler, während der Anführer der Purple Dragons alle seine Männer zu sich ruft: „Wir werden angegriffen! Bewegt euch ihr Schweinehunde, sonst mache ich euch Feuer unterm Arsch!“ Wie bei einem Actionfilm stürmen weitere dieser Gestalten in dieses Gebäude und ich habe keine Ahnung, wohin ich zuerst blicken soll. Alles geht viel zu schnell. Schläge und Schreie sind von überall wahrnehmbar. Mit Knüppeln, Messern, Ketten und selbst mit Pistolen greifen die Purple Dragons meine Freunde an, die sich aber gekonnt zu wehren wissen. Auch Leo hat sich in der Zwischenzeit zeigen lassen und kämpft mit seinen Katanas, aber wo ist Raphael?! Als wenn er meine Gedanken gehört hätte, spüre ich plötzlich einen Luftzug hinter mir. Ich blicke zurück und sehe ihn. Er ist es! Mit wenig Aufwand durschneidet Raphael meine Fesseln und hebt mich sogleich hoch. Obwohl ich bereits von vielen blauen Flecken und Schrammen überseht bin und jede Bewegung, oder Berührung schmerzt, unterdrücke ich es und mache kaum einen Mucks, als ich mich endlich in den Armen meines Schattenkriegers widerfinde. Ich umschlinge einfach vor Freude seinen Hals und drücke mich fest an ihn. Ich bin einfach so froh, dass sie da sind und besonders, dass er da ist. Auch Raphael scheint es nicht viel anders zu ergehen. Als wenn wir uns seit Jahren nicht mehr gesehen hätten, hält auch er mich mit beiden Armen fest an sich gedrückt, wobei er trotzdem darauf aufpasst, dass er mir nicht die Luft aus den Lungen herauspresst. Ich könnte weinen vor Freude. Denn ich hätte es kaum mehr für möglich gehalten, dass ich doch noch gefunden werde. Momentan möchte ich gar nicht wissen, wie die Brüder das geschafft haben. Sie sind hier und mehr brauche ich nicht zu wissen. Genüsslich schmiege ich mich an meinem Liebsten. Ich kann nicht wirklich sagen, ob es stimmt, aber irgendwie glaube ich, dass wir beide in diesem Moment genau dasselbe fühlen und obwohl ich mir einen weitaus besseren Ort dafür wünschen könnte, bin ich doch glücklich, dass ich ihn endlich wiederhabe. Tränen der Erleichterung bahnen sich langsam einen Weg aus meinen Augen und ich lasse das gerne geschehen. Jedoch ist Raphael weiterhin besorgt. Als ich ihn ansehe, fragt er mich sofort, während er mich weiterhin genau ansieht: „Bist du in Ordnung?“ Als hätte er sich gerade selbst die Frage beantwortet, fügt er noch hinzu: „Fuck, was haben die mit dir gemacht?“ Dabei wischt er mir nun vorsichtig etwas Blut von meiner Unterlippe. Zwar spüre ich einen kurzen Stich, aber das hält mich nicht davon ab zu lächeln, während ich ihm antworte: „Das sind nur einige Schrammen, die überlebe ich schon.“ Sanft streiche ich über seine rechte Wange. Wie sehr er mir doch gefehlt hat und endlich ist er wieder bei mir. Auch wenn ich das zunächst anders geplant hatte. „Es … es tut mir so leid … ich …“, stammelt Raphael, aber ich drücke ihm dann meine Finger auf die Lippen. Seine Augen spiegeln so vieles wider: Angst, Verzweiflung, Selbstvorwürfe, … - An das hier ist er aber nicht schuld, auch wenn es vermutlich gerade sagen wollte. Noch dazu ist das jetzt für mich überhaupt nicht wichtig. Er ist bei mir und nur allein das zählt. Allerdings scheint mir das gerade nicht der ideale Ort zu sein, um weiter darüber zu diskutieren. Schließlich befinden wir uns gerade quasi auf dem „Schlachtfeld“, was nicht gerade fürs Reden geeignet ist. Doch eines soll er jetzt wissen und zwar, dass ich ihm von ganzem Herzen liebe. Ich habe das schon viel zu lange aufgeschoben und ich habe gerade keinen Nerv dafür, um das noch weiter hinauszuzögern. So beuge ich mich näher zu seinen Lippen und küsse ihn. Zunächst überrascht zuckt er kurz zusammen, genießt es aber dann doch. Vermutlich hat er nicht damit gerechnet, dass ich ihm bereits verziehen habe, was für mich nur noch eine weitere Aufforderung ist, ihm das umso so mehr zu zeigen. Ich komme mir dabei so vor, als wäre ich nach langem Wandern in der Wüste endlich auf eine Oase gestoßen, die ich nie mehr wieder verlassen will. So sehr übermannen mich meine Gefühle und alles andere ist mir vollkommen egal. Als ich mich wieder von seinen Lippen löse, sieht er mich immer noch überrascht und zugleich fragend an. Was wohl gerade in seinem Kopf vor sich geht? „Heißt das, dass es wirklich eine Chance für uns gibt? Bilde ich mir das wirklich nicht ein?“, hakt er noch immer unschlüssig nach und ich muss kurz lachen. Das ist so typisch für ihn, aber dafür liebe ich ihn auch! Mit beiden Händen berühre ich sein Gesicht, sehe ihm in seine goldgelben Augen und bejahe seine unsichere Frage: „Ja, du Nuss! Oder glaubst du wirklich, ich würde dich nur aus Jux und Tollerei küssen? … Ach Gott Raphael, ich habe nie aufgehört dich zu lieben.“ Mit diesen Worten ist es nun er, der mich küsst. Als wenn ich ihm all seine Angst und Befürchtungen fortgetragen hätte. Dabei habe ich ihm einfach nur die Wahrheit gesagt: Ich liebe ihn. Das habe ich die ganze Zeit und wenn das hier vorbei ist, so werden wir gemeinsam einen Weg finden, um auch diese Vertrauenssache wieder in den Griff zu bekommen. Ich bin mir sicher, dass wir das schon schaffen werden. In der ganzen Aufregung und wegen unseren Gefühlen haben sowohl mein Liebster als auch ich alles um uns herum vergessen. Dass seine Brüder derweil mit Kämpfen beschäftigt waren, war für uns total nebensächlich. Dabei bin ich mir sicher, dass mein Schattenkrieger nur zu gerne da mitgemischt hätte. Doch nun ist es schon ziemlich vorbei. Denn als wir zu den anderen sehen, kriegen wir gerade noch mit, wie Leo einem dieser Mistkerle einen ordentlichen Tritt verpasst, sodass dieser im hohen Bogen durch die Halle fliegt. „Das ging ja schnell.“, murmelt Raphael leicht enttäuscht, doch schon meldet sich Mikey zu Wort: „Kein Wunder, wenn ihr so lange braucht. Was soll man aber schon erwarten, ihr hattet ja noch was zu klären.“ Dabei grinst er und schnalzt zweimal mit seiner Zunge, während er uns zuzwinkert. Raphael knurrt dabei etwas genervt, was mich wiederum erheitert. Schön, dass alles so ziemlich wieder beim Alten ist. Doch noch sind wir nicht fertig. Die Purple Dragons liegen verstreut auf dem Boden und da gibt es noch etwas, was ich unbedingt noch erledigen will. „Kannst du mich bitte wieder runterlassen?“, bitte ich Raphael, was er auch augenblicklich tut. Kaum, dass meine Füße wieder den Boden berühren, suche ich schließlich leicht humpelnd denjenigen auf, der noch mein Amulett bei sich hat. Stöhnend liegt dieser Mistkerl da, während ich mein Eigentum aus seiner Westentasche reiße und dann zu meinen Freunden zurückkehre. Natürlich ernte ich von den Brüdern zunächst verwirrende Blicke, als ich wieder zu ihnen komme, aber nachdem ich ihnen gezeigt habe, was ich in der Hand halte, grinsen sie nur. „Das meintest du wohl damals, als ich mit dir sprach, oder?“, fragt überraschender Weise Leo und ich nicke. Schließlich ist dieses Amulett das sichtbare Symbol meiner Liebe zu Raphael und das weiß mein Schattenkrieger ganz genau. Nur ist mein eigentliches Vorhaben nicht so gekommen, wie ich es mir gedacht hatte. Wenn man dabei bedenkt, dass ich ihn ursprünglich an mein Fenster im Empfang nehmen und mit ihm aussprechen wollte, könnte ich Lucinda in den Arsch treten. Mit der habe ich ohnehin noch ein Hühnchen zu rupfen, aber diese Bitch wird womöglich bereits über alle Berge sein. Allerdings werde ich plötzlich vom Gegenteil überrascht, als wir nun jemandem bibbern hören: „Was ist das für ein Gruselkabinett?“ Ach da steckts sie. Eigentlich hätte ich erwartet, dass sie bereits abgehauen ist. Stattdessen versteckt sie sich immer noch und traut sich nicht heraus. Sie starrt uns einfach nur an, als würde sie sich gerade in einem Horrorfilm befinden. Stimmt ja, Lucinda hatte noch nicht das Vergnügen, meine Freunde kennenzulernen und gerade kommt mir ein interessanter Gedanke. Genüsslich lehne ich mich an Raphael an, der nun seinen linken Arm leicht um mich legt. Ich lasse Lucinda dabei keine Sekunden aus den Augen und sage schließlich zu ihr: „Tja, die Party ist wohl vorbei, aber wenn wir schon mal da sind, kann ich dir ja jemanden vorstellen: Das sind meine Freunde und das hier ist Raphael.“ Meinen letzten Satz betone ich dabei absichtlich etwas langsamer und schmiege mich währenddessen noch weiter an meinem Freund. Wäre das jetzt ein Comic, würde Lucinda womöglich die Kinnlade bis zum Boden runterreichen. Mir ist klar, dass sie sowas wie die Jungs noch nie gesehen hat. Immerhin sind sowohl meine Freunde, als auch mein Liebster Schildkrötenmutanten. Vermutlich hat sie vorhin gedacht, dass Raphael vielleicht ein Versager, oder ein Obdachloser ist, aber damit habe ich bei ihr wohl alles übertroffen. Zwar habe ich versprochen, die Jungs nie zu verraten, aber eigentlich haben sie sich ja von sich aus gezeigt und gerade der vorherige Kampf wird ihr wohl ewig im Gedächtnis bleiben. Nur wird ihr das keiner glauben und irgendwie hoffe ich sogar, dass sie das niemals mehr vergisst. Es mag dumm und vermutlich sogar falsch klingen, aber dieser Schock soll sie bis in die tiefsten Ecken der Hölle verfolgen. Ich bin nicht mehr allein und habe sogar Freunde, die man sich kaum vorstellen kann. „Nun, kein Kommentar? Hast du etwa nichts zu sagen?“, frage ich sie direkt und erhalte, wie zu erwarten, keine Antwort darauf. Lucinda zittert am ganzen Körper. Noch nie hat sie etwas wie meine Freunde gesehen und ich möchte mir gar nicht vorstellen, welche Hirngespinste nun durch ihren Kopf schwirren. Vielleicht glaubt sie sogar, dass meine Freunde sie nun fressen werden, denn nun bewegt sich dieses Miststück endlich vom Fleck. Wie eine Ratte, welches das sinkende Schiff verlässt, ergreift Lucinda schreiend und wimmernd die Flucht. Zu ihrer Verzweiflung stolpert sie sogar, rappelt sich aber schnell wieder auf und hastet durch den Ausgang. Wir dagegen hindern sie nicht daran. Soll sie doch abhauen. Auch wenn ich ihr gerne die Visage poliert hätte, diese Genugtuung kann mir keiner mehr nehmen. Kaum, dass dieses Miststück auf und davon ist, widme ich mich nun den Jungs zu: „Danke Leute. Ich bin echt froh, dass ihr seid.“ „Kein Ding Chika, als Familie halten wir zusammen.“, kommentiert Mikey und drückt mich schmunzelnd kurz an sich. Er scheint aber der Einzige zu sein, der gerade in guter Stimmung ist, denn von den anderen erhalte ich vermehrt fragende Blicke. „Sag mal, wieso hast du eigentlich Raphis Namen erwähnt?“, will nun Donnie wissen, aber Leo beschäftigt gerade eher etwas Anderes: „Was mich mehr interessieren würde, ist, wie genau es eigentlich dazu kommen konnte.“ „Jungs, können wir erst einmal von hier abhauen? Ich erkläre euch dann alles, ok? Momentan will ich einfach nur weg von hier.“, bitte ich die Turtles, womit sie auch einverstanden sind. Ich habe nämlich keinen Bock hier noch länger zu bleiben und die vier müssen die Purple Dragons so oder so noch einsammeln. Als wir uns aber zum Gehen bereitmachen wollen, merken wir, dass die Typen bereits wieder auf den Beinen sind. Keuchend stützen sich einige gegenseitig ab, während andere noch etwas fitter aussehen. „Wenn ihr glaubt, ihr könnt uns so leicht kriegen, dann habt ihr euch geschnitten!“, brüllt der Anführer und zückt eine Spraydose heraus. Was soll das denn jetzt werden, will er uns etwa besprühen? So ziemlich dasselbe müssen sich die Brüder auch gedacht haben, denn schon geht von unserer Seite ein Gelächter aus. Nur Donnie bleibt ungewöhnlich ruhig. Ahnt er vielleicht etwas? Ich will ihm schon das fragen, als die restliche Gang einige Kisten in unsere Richtung schmettern und diese sind ebenfalls mit diesen Dosen gefüllt. Gerade noch können wir zurückweichen, aber schon folgen die nächsten Ladungen. Selbst Tonnen werden umgekippt und zu uns rüber gerollt. Eine scheppert so sehr gegen einen Stahlpfosten, sodass sie aufplatzt und eine lange Ölspur hinterlässt. „Leute, wir sollten zusehen, dass wir so schnell wie möglich rauskommen.“, meint das Genie, aber Mikey versteht nicht, warum sein Bruder so nervös ist, was er sogar offenzugibt: „Wieso, was wollen die schon mit ein paar alten Spraydosen machen?“ „Verstehst du das nicht?! In diesen Dosen steht die Farbe unter einem enormen Druck und das Treibmittel darin ist ein Flüssiggas und daher hochexplosiv!“, zischt der Turtle mit der lila Maske aufgeregt in der Runde und nun wird auch mir mulmig zumute. Wenn das jetzt angezündet wird, ergibt das bei dieser Menge eine verheerende Explosion! Man braucht kein Wissenschaftler zu sein, um das zu kapieren! Wir müssen hier weg, aber Raphael scheint das anders zu sehen. Er will die Typen noch rechtzeitig zu Kleinholz verarbeiten, bevor sie auch nur daran denken können. Das wird nicht gut gehen! „Na wartet, ich mache euch fertig!“, brüllt Raphael und will schon zu den Verbrechern hinrennen, aber der Anführer der Gang wirft ihm schon die Spraydose entgegen. Aus Reflex sticht mein Schattenkrieger mit seinem Sai auf das Ding ein. Dies bewirkt aber nur, dass plötzlich ein riesiger, rötlicher Farbnebel entsteht, wodurch er wieder zurückspringt. Einige Farbspritzer haben ihn trotzdem erwischt. Ein höhnisches Lachen hallt von der anderen Seite, aber nachdem wir wieder eine freie Sicht haben, sehen wir gerade noch, wie die Kerle aus der Lagerhalle fliehen. Nur einer von ihnen dreht sich noch einmal um und wirft ein brennendes Feuerzeug in unsere Richtung „Raus hier! Sofort!“, schreit Leo. Mikey packt mich bei der Hand und will mit mir durch einen Hinterausgang rennen, jedoch kommt schon das nächste Problem: Hier gibt es keinen Ausweg! Der einzige Ausgang existiert nur auf der anderen Seite und wir sind hier drinnen gefangen! Kapitel 50: Versprochen ----------------------- Aus Raphaels Sicht: Verdammt! Diese Mistkerle! Wenn ich die in die Hände bekomme, werde ich sie wie einen Zahnstocher zerbrechen! Rasend vor Wut stehe ich dicht gedrängt bei den anderen und starre in die Richtung, in der diese Feiglinge verschwunden sind. Ich würde sie am liebsten zur Strecke bringen, aber jetzt müssen wir erst einmal von hier weg. Das Feuerzeug, welches von dem Anführer der Purple Dragons weggeschmissen wurde, ist knapp neben einer Ölspur gelandet und im wahrsten Sinne des Wortes wird es für uns brenzlich. Funken haben diese erreicht und die ersten Flammen bahnen sich ihren Weg. Wir dagegen sind rund herum von der Mauer eingeschlossen. Es scheint kein Entkommen zu geben. Doch als ich nach oben blicke, sehe ich mehrere Fenster und auch meine Brüder haben diese nun entdeckt. „Sofort da rauf!“, befielt Leo uns, aber das braucht er uns nicht zweimal sagen. Schon hebe ich Bernadette wieder hoch, halte sie dabei mit einer Hand fest und klettere mit der anderen nach oben. Donnie ist der Erste, der dort ankommt und schmettert seinen Bo gegen die Scheiben, aber wenn er nicht schneller macht, sind wir alle geliefert! „Beeil dich!“, schreie ich ihn an. Von ihm kommt nur ein hysterisches „Ich mach ja schon!“, ehe er sich dann mit voller Wucht und mit dem Panzer voraus durch die bereits angeknackste Fensterscheibe wirft. Leo blickt ihm sofort hinterher, aber unserem Genie ist nichts passiert. Er ist sicher gelandet, konnte sich von dieser Höhe sogar abrollen und nun deutet er uns mit der Aufforderung: „Jetzt kommt endlich!“ Zum ersten Mal hat Donnie mal ohne lange nachzudenken gehandelt. Sowas kenne ich gar nicht von ihm, da er sonst jede einzelne Möglichkeit durchgeht, ehe er mal endlich die Kurve kriegt und etwas tut. Im Normalfall hört man ihn irgendetwas daher murmeln. Nur hier geht es um das nackte Überleben, in der man keine Zeit hat, um nachzugrübeln. Genau das muss auch er kapiert haben, weswegen er sogar im wörtlichen Sinne körperlichen Einsatz gezeigt hat. Mir bleibt aber keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn das Gebäude geht gleich in die Luft und keiner von uns hat Lust darauf, sich das Inferno vom Nahen anzusehen. Leo und Mikey sind die Nächsten, die hinausspringen. Mein Engel und ich folgen ihnen gleich darauf hinterher. Meine Arme schützend um sie gelegt, stürze ich mich aus dem Fenster, kann aber sogar direkt auf meinen Beinen landen. Kaum, dass ich auf dem Boden angekommen bin, nehme ich wie die anderen sofort die Beine die Hand und renne, was das Zeug hält. „Schnell, schnell, schnell! Sonst gibt´s gleich Schildkröten-Flambé!“, brüllt Mikey neben mir, nachdem ich aufgeholt habe. Kann er selbst nicht einmal bei dieser Situation seine Klappe halten?! Wäre ich nicht gerade damit beschäftigt, so schnell wie möglich das Weite zu suchen, so hätte ich meinen Bruder angeschnauzt, dass er sich seine blöden Kommentare sparen kann. Doch erst einmal müssen wir zusehen, dass wir so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone gelangen. Es knallt, die erste Explosion ist zu hören, doch dabei scheint es sich vermutlich nur um eine einzelne Spraydose gehandelt zu haben, die wahrscheinlich aus einer der Kisten herausgefallen war. Zu wenig wurden wir davon erschüttert, sodass es uns wirklich schaden könnte. Dafür ist die Explosionsquelle zu weit weg. Dies reicht jedoch schon aus, um bei meinem Engel etwas auszulösen. Bernadette schreckt komplett zusammen und krallt sich fester an mich. Sie hat höllische Angst, gibt aber keinen Ton von sich. Sie zittert einfach, während sie ihr Gesicht bei meinem Hals vergräbt und sich nicht traut, auch nur für eine Sekunde aufzusehen. Als wenn sie für heute nicht schon genug durchgemacht hätte. Könnte ich es ihr ersparen, so würde ich es tun. Doch erst einmal müssen wir uns in Sicherheit bringen. „Es wird alles …“, will ich schon zu ihr sagen, damit ich sie etwas beruhigen kann, aber meine restlichen Worte verwandeln sich in einem Schrei um. Das Lagerhaus, es explodiert und eine gewaltige Druckwelle reißt uns alle miteinander von den Füßen. Es gibt keine Chance. Meterweit werden wir durch die Luft geschleudert. Ich kann nichts dagegen tun! Um mich herum ist ein Höllenlärm, sodass man eigentlich taub werden müsste, während wir wie Geschosse durch die Luft sausen. Instinktiv umschlinge meine Arme noch dichter um meinen Engel und presse meine Lider fest zusammen. Ich muss sie schützen! Bei allem, was mir heilig ist, ihr darf nichts passieren! Ich will sie nicht verlieren! Ich pralle plötzlich mit meinem Panzer hart gegen etwas auf. Ich weiß im ersten Augenblick nicht, was das war, aber es gibt mir so einen starken Stich, sodass mir für eine Sekunde die Luft wegbleibt. Ohne nachzudenken und ohne es zu wollen, lockere ich automatisch meinen Griff und das war ein gravierender Fehler. Ich spüre wie Bernadette mir entgleitet. Augenblicklich reiße ich die Augen auf und muss mit Entsetzen feststellen, dass sie von mir geschleudert wird. Nein! Ich versuche nach ihr zu greifen, aber ich erreiche sie nicht mehr. Es ist bereits zu spät. Meine Finger gleiten an ihren vorbei. Wie ein gefällter Baum stürze ich zu Boden, während Bernadette bereits verschwunden ist. Als hätte sie sich augenblicklich in Luft aufgelöst. Ich muss sofort zu ihr! Noch liege auf dem Boden und so sehr ich mich auch quäle, mir fällt es in den ersten Sekunden schwer, mich irgendwie zu bewegen. Der Aufprall hat mir einiges an Energie gekostet. Doch das wird mich nicht lange aufhalten. Mühselig rolle ich mich zur Seite, damit ich mich von meinen Knien abstützen kann. Doch kaum, dass ich mich etwas aufgerafft habe, werde ich von etwas getroffen. Mein Bein! Ich sacke wieder zusammen, wo ich noch kurz dabei war, aufzustehen. Ich bin eingeklemmt! Ein großer Gesteinsbrocken hat mich getroffen und mein Bein vollkommen unter sich begraben. En höllischer Schmerz durchfährt meinen Körper und ich schnappe nach Luft. Verdammte Scheiße, jetzt nicht das auch noch! Ich will aufstehen, doch erst einmal, muss ich diesen verdammten Brocken von mir wegbekommen. Mit aller Kraft, die mir noch zur Verfügung steht, versuche ich ihn von mir wegzudrücken. Jedoch bewegt er sich kaum vom Fleck. So sehr ich mich auch dagegenstemme, es rührt sich rein gar nichts und als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, kommen noch weitere „Geschosse“ auf mich zu. Steine, Mauerstücke, Metall, ich werde von diesen Dingen bombardiert, bis ich sogar vollkommen davon begraben werde. Mühselig versuche ich mich zu schützen, indem ich mich zusammenkrümme und meine Arme über meinen Kopf schwinge. Es donnert und kracht. Vieles prallt sogar gegen meinen Panzer ab, wenn nicht schon bereits die ersten Risse entstanden sind. Von überall höre ich diesen Lärm, bis endlich Stille herrscht. Es ist vorbei, es hat aufgehört. Nichts rührt sich mehr. Skeptisch blinzle ich und versuche mich dabei zu bewegen. Meine Arme kann ich gerade noch von meinem Kopf nehmen. So eng ist es hier. Ich bin umgeben von Schutt und Trümmern. Die Luft ist staubig und ich kann kaum atmen. Doch das ist nicht das einzige Problem. Mein Bein schmerzt höllisch. Es ist kaum zum Aushalten und ich kann mich in diesem Zustand kaum bewegen. Bei jeder kleinsten Veränderung durchfährt mich ein weiterer Stich, welches mich augenblicklich in meine Ursprungposition zurückzwingt. Mir bleibt daher nichts Anderes übrig, als liegen zu bleiben, bis mir irgendetwas einfällt, damit ich mich davon befreien kann. Noch immer herrscht diese unerträgliche Stille. Ich höre nur noch meinen eigenen Atem und meinen Herzschlag, welcher einer Dampframme gleicht. Ich muss hier unbedingt raus. Doch wie mache ich das, wenn ich mich kaum bewegen kann? Verdammt, irgendwie muss ich doch rauskommen! Ich kann doch hier nicht einfach so versauern! Ich muss sofort zu ihr. Felsenfest entschlossen, nicht sofort die Flinte ins Korn zu werfen, beiße ich die Zähne zusammen, als ich einen weiteren Versuch starte. Dabei balle ich meine Hände zu Fäuste, stütze ich mich auf und drücke die Trümmer über mir weg. Schweiß perlt an meiner Stirn herunter. Ich muss viel Kraft anwenden, um überhaupt etwas ausrichten zu können. Ich spüre, wie viel Energie mir bereits geraubt worden ist, was mich aber nicht davon abhält, es weiter zu versuchen. Endlich, ein paar von diesen Steinhaufen habe ich wegschieben könne. Zwar stecke ich immer noch fest, aber das Loch, was dadurch entstanden ist, bietet mir die Möglichkeit, frische Luft zu schnappen. Trotz des Staubes kann ich nun die salzige Brise wahrnehmen, was mich nur noch mehr anspornt, endlich von hier wegzukommen. So nehme ich weitere Stücke ins Visier. Sei es Metall oder Gestein, das spielt keine Rolle. Irgendwie werde ich hier schon rauskommen und wenn ich dabei selbst zur Dampframme werde! Ich hoffe nur, dass es Bernadette irgendwie gut geht. Der Gedanke an sie lässt die schlimmsten Befürchtungen in mir hochkommen. Ich muss unbedingt zu ihr, ich hätte sie niemals loslassen dürfen! „Raphi! Wo bist du?!“, höre ich Leo auf einmal brüllen und ich horche auf. Es klingt, als wenn er ganz in meiner Nähe wäre. Auch Mikey ruft nach mir und seine Stimme klingt verzweifelt: „Yo Bro, wo bist du? Melde dich!“ Vermutlich können sie mich unter dem ganzen Schutt nicht sehen und wenn ich nicht gleich ein Lebenszeichen von mir gebe, werden sie einfach an mir vorbeigehen. Zunächst nur röchelnd kann ich mich melden, ich schreie aber nach einem kurzen Atemzug noch einmal um Hilfe: „Ich bin hier. … Ich bin hier!“ Noch zweimal muss ich denselben Satz von mir geben, bis ich endlich gefunden werde. Nach und nach wird über mir der Schutt zur Seite geräumt. Leo ist der Erste, der mich sofort entdeckt und so schnell wie möglich die nächsten Trümmer von mir rollt. Als Mikey schließlich mit Leos Hilfe den riesengroßen Brocken von meinem rechten Fuß schiebt, schreie ich vor Schmerz auf. Doch viel mehr ist es ein Befreiungsschmerz, der zwar noch höllisch brennt, aber nach und nach etwas abklingt. Am Ende kann ich etwas erleichtert aufatmen und ich bin froh, meine Brüder zu sehen. „Raphi! Dein Bein, du bist verletzt!“, stellt Mikey auf einmal fest und wirkt so, als ob es schlimmer aussehen würde, als was es der Fall ist. „Ach wirklich, du Blitzmerker?! Das hätte ich jetzt nicht geglaubt!“, kommt es nun sarkastisch vor mir. Glaubt er etwa ich spüre das nicht?! Ich hätte ihn auch anschnauzen können, aber dafür habe ich weder die Nerven, noch das Interesse. Verdammt, diese Schmerzen brennen höllisch, aber wenn ich dieses Mutagen nicht in meinem Blut hätte, wäre es vermutlich schlimmer. Ich wäre wahrscheinlich jetzt tot und wäre ansonsten nicht nur mit einem verletzten Bein und einigen Schrammen davon gekommen. Doch bei dieser Erkenntnis reiße ich die Augen weiter auf und frage meine Brüder hysterisch: „Bernadette?! Wo ist sie?! Ist sie verletzt?! Ist sie am Leben?!“ Die beiden jedoch antworten nicht. Sie sehen mich nur traurig an. „Verdammt noch mal wo ist sie?! Bringt mich zu ihr! Sofort!“, schreie ich sie weiter an. Wäre ich nicht verletzt, so wäre ich bereits von allein aufgestanden und hätte sie gesucht. Doch scheinbar bin ich leider auf Hilfe angewiesen. Die Schmerzen sind die Hölle, ich kann wahrscheinlich kaum aufrecht stehen, aber das wird mich garantiert nicht daran hindern, zu meinem Engel zu gelangen. Allerdings sehen das meine Brüder anders. Leo versucht mich sogar zu beruhigen, damit ich stillhalte: „Donnie ist jetzt bei ihr, aber du darfst dich jetzt nicht zu sehr bewegen. Also …“ „Einen Dreck mach ich! Und wenn ihr mich nicht sofort hinbringt, dann mache ich das eben allein und wenn ich dabei kriechen muss!“, unterbreche ich ihn. Denn seine Belehrungen kann er sich sonst wo hinstecken! Ich will zu ihr und etwas Anderes interessiert mich nicht! Verletzung hin oder her, mich wird nichts daran hindern, nach Bernadette zu sehen. Egal was meine Brüder auch sagen werden, sie werden mich nicht daran hindern! In mir kocht die Wut und meine Ungeduld ist bereits schon so groß, sodass ich drauf und dran bin, meine Worte in die Tat umzusetzen. Doch zu meiner Überraschung gibt Leo nach und meint seufzend: „Dann stützt dich wenigstens auf uns, wenn du schon so stur bist.“ Überrascht sehe ich ihn an und bei genauerer Betrachtung fällt mir erst gerade auf, dass ich nicht der Einzige bin, der verletzt ist. Leo scheint es neben den offensichtlichen Schrammen beim linken Arm verstärkt getroffen zu haben. So wie er diesen mit der Anderen abstützt, deutet es mehr darauf hin. Auch einige Schnittwunden zieren seinen Körper, wenn manche Stellen nicht sogar etwas stärker bluten. Selbst die Nervensäge neben ihm hat einiges abgekommen. Jedoch scheint er im Vergleich zu mir und dem Anführer noch am besten davongekommen zu sein. Er sieht nicht gerade aus, als er wäre direkt mit einem Felsbrocken zusammengekracht, so wie es bei mir der Fall gewesen ist. Wahrscheinlich wurde er hauptsächlich verschüttet und konnte sich als Erste aus dem Schutt befreien. Dann wird er wohl von uns dreien die meiste Kraft haben und das brauche ich ganz dringen. Schließlich helfen mir meine Brüder beim Aufzustehen. Es mühselig und nicht ohne Schmerzen verbunden. Mein verletztes Bein kann ich kaum abbiegen, geschweige richtig bewegen, weswegen ich es bei jedem Schritt hinter mich her schleifen muss. Wenn es aber keine andere Möglichkeit gibt, um zu meinem Engel zu gelangen, so ertrage ich diese Schmerzen ohne zu murren. Eher langsam geht es voran und wegen meiner Angst um Bernadette werde ich immer ungeduldiger, bis ich sie schließlich schon sehen kann. Nicht weit von uns entfernt liegt sie auf dem Boden. Donnie kniet neben ihr und ist dabei, einige kleinere Trümmer von ihr wegzuräumen. Auch er hat einiges abbekommen, was ihn aber nicht daran hindert, meiner Liebsten zu helfen. Was mir aber überhaupt nicht gefällt, ist sein Gesichtsausdruck, den er gerade zeigt. Es macht mir Angst. Er sieht so bedrückt und besorgt aus, als wäre die Lage schlimmer, als gedacht. Nein, bitte lass sie nicht sterben! Nein, bitte nicht! Kaum, dass ich nur ein paar wenige Schritte von ihr entfernt bin, stoße ich mich von meinen Brüdern ab. Ich falle zu Boden, krieche aber sofort zu ihr und sehe sie mit Schrecken an. Kreidebleich liegt sie da. Ihre Augen sind zwar leicht geöffnet und sie atmet, aber überall ist Blut. Wo ich auch hinsehe, die grausame Tatsache bleibt dieselbe. Viele Schnittwunden sind auf ihrem Körper sichtbar und auf ihre Stirn hat sie sogar eine Platzwunde. Was mich aber noch mehr erschreckt, ist dieses Stück Metall, welches aus der rechten Seite von ihrem Bauch ragt. Wie mit einem Pfeil ist die damit durchbohrt worden. Dass sie noch lebt, ist ein Wunder, bleibt meine Angst bestehen, dass sie jeden Augenblick ihren letzten Atemzug machen könnte. Das hätte niemals passieren dürfen! Ich hätte sie niemals loslassen dürfen! Ohne auf meine Brüder zu achten, rutschte ich weiter zu ihr, beuge mich über sie und versuche sie anzusprechen: „Bernadette, hörst du mich? Bitte mein Engel, sieh mich an!“ Langsam dreht sie ihren Kopf zu mir. Ihre Augen wirken so müde und so erschöpft und dennoch lächelt sie, als sie mich sieht. „Raphael …“, flüstert sie, mehr kann sie nicht sagen. Sie ringt nach Luft und ich möchte mir gar nicht ausmalen, welche Schmerzen sie gerade ertragen muss. Da sind meine ja lächerlich. „Halte durch, ja? … Wir werden das rausziehen und dich wieder aufpäppeln. Ok? Ich bin bei dir, also halte durch.“, flehe ich sie an, wende mich aber dann gleich zu Donnie, damit er endlich was tut. Er kennt sich schließlich von uns allen immer noch am besten damit aus, weswegen ich ihn sofort auffordere, ihr zu helfen: „Donnie, kannst du ihr dieses verdammte Ding nicht rausziehen? Sie …“ „Das kann ich nicht tun Raphi! Wenn ich das jetzt mache, wird sie uns in kürzester Zeit verbluten! Sie muss sofort in ein Krankenhaus, wo sie ärztliche Hilfe bekommt!“, versucht er, wenn auch etwas überfordert, mir zu erklären, während er heftig den Kopf schüttelt. Dabei fügt er noch hinzu: „Das muss operabel herausgenommen werden und ich bin leider nicht befähigt dazu, dass bei ihr zu machen. Wahrscheinlich braucht sie sogar eine Bluttransfusion. Ich will gar nicht wissen, wie viel Blut sie bereits verloren hat.“ Bedrückt nicke ich nur, aber ich habe verstanden. Bernadette muss schleunigst von einem Arzt behandeln werden. Jede Sekunde zählt! Als ich aber meine Arme unter sie fassen will, fragt mich Leo entsetzt: „Raphi, was hast du jetzt schon wieder vor?!“ „Wonach sieht es etwas aus?! Ich rette sie, was du glaubst du denn?!“, brülle ich ihn an, allerdings ernte ich dabei einen Gesichtsausdruck seitens meiner Brüder, als hätte ich sie nicht mehr alle. „Du kannst dich aber selbst nicht auf den Beinen halten, wie willst du sie dann tragen?!“, kommt es nun von ihm zu rück, aber das kann mich nicht daran hindern: „Das ist mir egal!“ „Spinnst du?! Du setzt nicht nur ihr Leben aufs Spiel, sondern deins mit dazu!“, keift der Anführer mich an, aber ehe ich was dazu erwidern kann, mischt sich Mikey nun ein: „Leute, jetzt chillt mal, bevor es noch schlimmer wird. Lasst mich das machen. Ich bin von uns allen noch am wenigsten verletzt.“ Nein, das mach ich und wenn sich meine Brüder auf dem Kopf stellen, wird sich nichts an meiner Meinung ändern! Ich will sie schon weiter anschnauzen, als ich plötzlich Bernadettes Finger auf meiner Hand spüre. Erschrocken sehe ich zu ihr. Sie jedoch lächelt weiterhin und flüstert: „Hör bitte auf sie.“ „Nein, ich muss das tun. Ich bin doch schuld! Ich hätte dich niemals loslassen dürfen!“, flehe ich Bernadette an, aber sie erwidert: „Nein … das bist du nicht. … Da konntest du nichts machen, genauso wenig wie ich. … Außerdem … habe ich mich doch auch nicht … festhalten können.“ Tränen bilden sich in meinen Augen. Noch nie habe ich das in ihrer Gegenwart gemacht, aber ich habe solche Angst um sie, wodurch mir alles andere scheißegal ist. Ich kann aber nicht auf ihre Bitte eingehen, ich will sie doch nicht schon wieder allein lassen. Gerade wo ich endlich wieder bei ihr sein kann, so will ich dableiben. Kann sie das nicht verstehen? „Ich will dich nicht schon wieder im Stich lassen.“, sage ich betrübt, aber Bernadette schüttelt leicht den Kopf: „Das tust du doch nicht. … Ich sehe aber, … dass du selbst verletzt bist. …“ „Aber …“, will ich schon erwidern, aber sie hört nicht darauf, sondern besteht weiterhin darauf, dass ich sie Mikey mitgeben soll: „Kein Aber. … Bitte vertrau deinen Brüdern und vertrau mir. … Ich werde durchhalten. Das verspreche dir. … Komm einfach nach, wenn du kannst, … ok?“ Wie kann sie das jetzt nur von mir verlangen? Jetzt, wo ich sie endlich wiederhabe, will ich sie erst gar nicht wieder gehen lassen, aber scheinbar habe ich keine andere Wahl. Ich muss es zulassen, so schwer es mir auch fällt. Mein Engel hat nicht mehr viel Zeit. Das ist mir voll bewusst und so sage ich mit schwerem Herzen: „Ok, ich verspreche dir, dass ich sofort kommen werde, sobald ich kann. Ich will nur, dass du kämpfst.“ „Das werde ich, mein Schattenkrieger.“, antwortet sie und Mikey tritt nun näher, während er meint: „Keine Sorge Bro. Ich passe auf sie auf und ich werde sie so schnell wie möglich ins Krankenhaus bringen. Du kannst auf mich zählen.“ Überzeugt sieht er mich dabei an, ich jedoch kann nichts mehr darauf erwidern. Ich bin einfach zu sehr überfordert, weswegen ich nur schluckend nicke und ein Stück zur Seite rutsche. Mikey kniet sich neben Bernadette, fasst mit beiden Händen langsam unter ihrem Körper und hebt sie schließlich vorsichtig hoch. Dennoch schnappt sie vor Schmerz kurz nach Luft, ehe sie sich in seinen Armen wieder beruhigt. „Wo ist das nächste Krankenhaus Donnie?“, fragt Leo nun unser Technikgenie, der seine Geräte, wie auch immer die das Ganze halbwegs heil überstanden haben, für sich sprechen lässt: „Wenn Mikey sich südlich hält, müsste er nach zwei oder drei Blocks das nächsten Krankenhaus erreichen. Aber beeil dich und sei vorsichtig.“ Sein letzter Satz hat nun direkt den Angesprochenen gegolten. Mein Bruder mit der orangen Maske nickt verstehend und dreht sich schon in die besagte Richtung. Doch bevor er losrennt, sagt Bernadette noch zu mir: „Wir sehen uns Raphael. … Ich liebe dich.“ „Ich liebe dich noch mehr.“, entgegne ich ihr, ehe sie in Mikeys Armen verschwindet und ich in voller Sorge meinen Kopf hängen lasse. Aus Bernadettes Sicht: Nur ungern lasse ich Raphael da allein. Viel lieber wäre ich jetzt bei ihm, aber ich spüre auch, wie sehr meine Kräfte nachlassen. Ich bin so müde und mir ist auch so kalt. Jeder einzelne Bereich meines Körpers schmerzt und in meinem Schädel poltert eine Dampframme. So sehr auch Mikey sich bemüht, mir nicht zusätzlich wehzutun, versetzt mir doch jede einzelne Bewegung einen weiteren Stich. Besonders die Ruckartigen erschweren es mir ruhig zu bleiben und ich habe das Gefühl, als ob das Metall sich noch tiefer in mein Fleisch bohren würde. „Halte durch, wir sind bald da!“, bittet er mich, aber ich reagiere nicht darauf. Viel zu sehr konzentriere ich mich darauf, dass mir meine Augen nicht zufallen, was auch dem Orangemaskierten nicht entgeht. Leicht hysterisch versucht er mich wachzuhalten: „Hey, hey, hey, nicht einschlafen! … Bleib wach Bernadette! … Erzähl mir was, irgendetwas Lustiges!“ Hat er was auf dem Kopf abbekommen? Wie kann er jetzt von mir erwarten, dass ich ihm etwas Lustiges erzähle? Entgeistert schaue ich ihn an, aber als ich immer noch nichts sage, bittet er mich wieder darum. „Bei mir gab´s nicht wirklich … etwas Lustiges in letzter Zeit. Ich war …“, fange ich an, höre aber dann wieder auf. Ich bin so müde, aber Mikey drängt mich weiter mit ihm zu reden. Er meint sogar: „Komm schon Kleines, erzähl mir meinetwegen irgendetwas, aber rede einfach, ok? Solange du irgendetwas sagst, ist alles gut.“ Der hat gut reden. Ihm steckt ja auch kein überdimensionaler Spieß im Bauch. Nicht er ist es, der zu viel Blut verloren hat und dem zusätzlich alles wehtut. „Wir sind gleich da.“, sagt er plötzlich, was mich aber verwundert. Habe ich denn etwa schon mein Zeitgefühl verloren? Mikey springt schließlich über mehrere Etagen, von einem Dach herunter, wobei ich mich dabei zusammenreißen muss, dass ich nicht vor Schmerzen schreie. Dicht an der Wand gedrückt, blickt er nun mit mir um die Ecke einer Seitenstraße und vermutlich fragt er sich, wie es nun weitergeht. Er kann ja nicht einfach so mit mir hineinspazieren und zusätzlich hat jedes Krankenhaus mindestens beim Eingang eine Überwachungskamera. Wenn er mich jetzt einfach so dort ablegt, wird er mit Sicherheit erwischt. Das wird nun knifflig. Doch dann hält direkt vor dem Gebäude ein Krankenwagen an. Zwei Männer steigen aus und gehen schließlich hinein. Mikey meint zu seiner Freude, dass das die Gelegenheit wäre. Für ihn scheint das ja ein Wunder zu sein, wenn man das überhaupt so nennen kann. „Schaffst du es dann noch, um Hilfe zu rufen?“, fragt er mich, aber ich antworte einfach darauf: „Klar und wenn nicht, werden die mich auch so finden. … Mit dem Ding im Bauch … bin ich ja kaum zu übersehen.“ „Jetzt ist wirklich nicht die Zeit zum Scherzen.“, belehrt er mich, was mich ironischer Weise erheitert: „Und das sagt ausgerechnet der Witzbold, … dem selbst bei der miesesten Situation ein Kommentar einfällt … und noch vor Kurzem von mir verlangt hat, … etwas Lustiges zu erzählen.“ Mikey verdreht die Augen, was man bei ihm ja selten sieht, aber dann schreitet er kopfschüttelnd zur Tat um. Sicherheitshalber sieht der Orangemaskierte sich noch einmal bewusst um, ehe er dann mit mir losstürmt und mich direkt neben Krankenwagen ablegt. Nur in diesem Winkel kann er von den Kameras nicht erwischt werden und noch rechtzeitig in die Dunkelheit verschwinden. Bevor er jedoch wieder auf und davon ist, verabschiedet er sich mit der Bitte, dass ich durchhalten soll: „Komm ja nicht auf die Idee zu sterben. Ich schwöre dir, ich hole dich wieder ins Leben zurück.“ Ich grinse ihm nur hinterher. Glaubt er wirklich, dass nicht leben will? Gerade, wo ich doch endlich mit meinem Schattenkrieger wieder zusammengekommen bin, will ich das umso mehr. Besser ist es aber, nicht weiter darüber nachzudenken. Stattdessen versuche ich, nach Hilfe zu rufen. Meine Stimme klingt schwach und ich habe Angst, dass mich niemand noch rechtzeitig hört, bevor mir tatsächlich die Kraft ausgeht. Nach einem weiteren Fehlversuch starre ich einfach zum Himmel empor. Ich habe sogar geglaubt, dass es zwecklos ist, bis ich schließlich doch entdeckt werde. „Schnell, sofort eine Trage!“, höre ich einen Mann rufen, aber irgendwie klingt seine Stimme schon etwas dumpf. Nur so nebenbei bekomme ich mit, wie ich auf eine Trage gehievt werde und gleich darauf ins Krankenhaus gebracht werde. Kaum dass sich die Eingangstür hinter mich geschlossen hat, stürmt eine Ärztin auf mich zu. Dumpf bekomme ich mit, dass sie Fragen stellt, die zunächst noch nicht direkt an mich gerichtet sind, sondern an die beiden Sanitäter. Jedoch hat keiner der beiden eine Ahnung, wie ich so plötzlich vor dem Gebäude auftauchen konnte. Die Ärztin wendet sich schließlich an mich, versucht mich wachzuhalten und fragt auch nach meinen Daten. Nur mühselig kann ich den Mund aufmachen und ihr irgendwie antworten. Doch bis auf meinen Namen und mein Alter kann ich nichts mehr sagen, denn weiter komme ich nicht. Ich habe einfach keine Kraft mehr. Alles verschwimmt vor meinen Augen. Ich nehme kaum irgendetwas mehr wahr. Alles um mich herum scheint in Watte gepackt zu sein und allmählich in der Dunkelheit zu verschwinden, bis plötzlich alles schwarz ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)