TMNT - Schicksal? von Pamuya_ ================================================================================ Kapitel 36: Viele Gespräche und ein bisschen Ablenkung ------------------------------------------------------ Aus Bernadettes Sicht: „Das … das willst du wirklich?“, fragt Tante Tina mich. Unglaubwürdig und verwirrt darüber, dass ich ein weiteres Mal anders, als erwartet, handle, starrt sie mir nun in die Augen. Als wolle sie es noch einmal aus meinem Mund hören. So nicke ich und erwidere ihr: „Ja, ich möchte das. … Ich will mich nicht mehr mit dir streiten. … Ich will einfach nur, dass du mich so akzeptierst, wie ich nun mal bin und dass da du zumindest versuchst, mich zu verstehen. … Das ist das Einzige, was ich jemals wollte. … Glaubst du, es wäre möglich?“ Bei jedem einzelnen Wort, was ich sage, empfinde ich auf einmal ein klein wenig Kraft. Denn diese wollte ich meiner Tante schon immer mitteilen, aber nie hatte ich diese Möglichkeit, geschweige den Mut oder das Vertrauen dafür. Ich habe mich in meiner eigenen Familie immer wieder alleine gefühlt. Warum also, soll ich eine Hand wegschlagen, die mir nun endlich entgegengereicht wird? Tante Tina will was verändern und ich will es auch. Am Ende erscheint sogar ein kleines Lächeln in meinem Gesicht, was von ihr selbst ebenfalls erwidert wird. Weinend, aber trotzdem auch lächelnd umarmt sie mich aufs Neue und meint: „Ja, Liebes. Ich will mein Bestes tun. Du bist mir wichtig, schließlich sind wir eine Familie. Auch wenn deine Brüder und deine Mutter ihr eigenes Ding durchziehen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht aufeinander aufpassen. … Verzeihst du mir?“ „Das habe ich schon, aber gib mir noch etwas Zeit, das Ganze zu verdauen.“, antworte ich, während sie immer noch ihre Arme um mich geschlungen hat. Ohne irgendwelche Bedingungen geht sie darauf ein. Noch eine ganze Weile sitze ich mit Tante Tina im Auto. Wir reden und reden. Es scheint beinahe kein Ende zu geben, aber vielleicht liegt es auch daran, dass wir beide sonst immer geschwiegen haben, oder zwischen uns flogen die Fetzen. Jetzt aber nutzen wir beide die Gelegenheit, um uns endlich aussprechen zu können. Als wäre der Nebel aus Missverständnis und Groll nun endlich gewichen und wir beide könnten uns nun endlich nähern. Denn nun sehe ich sie auch irgendwie anders. Ich dachte sonst, sie wäre wie eine kalte Wand, an der alles, was ich sagte, abprallen würde. Ich fühlte mich von ihr immer ungerecht behandelt und am Ende habe ich sogar gar kein Vertrauen zu ihr gehabt. Jedoch, als ich sie auf dem Revier gesehen habe, wie sie mir zum ersten Mal wieder richtig zugehört hat, kam endlich die Wende. Tante Tina mag mit Sicherheit keine einfache Person sein, das würde ich sogar unterschreiben, aber einfach bin ich auch irgendwie nicht. Das liegt wohl in der Familie, aber ich möchte mir keine andere vorstellen. Am Ende unseres Gesprächs, der ziemlich lang angedauert hat, können wir beide uns nun endlich anlächeln, ohne dass es in einen weiteren Streit zwischen ausarten könnte. Dennoch weiß jeder von uns, dass es Zeit braucht, bis es wirklich so wird, wie wir uns das vorstellen. Allein wegen dem Vertrauen gibt es viel zu tun. Nachdem meine Tante und ich schließlich aus dem Wagen gestiegen sind, machen wir uns gemeinsam auf dem Weg ins Haus. Kaum aber, dass wir nun den Flur betreten, fragt mich meine Tante auf einmal: „Sag, wirst du wieder deine Spaziergänge machen?“ Überrascht sehe ich sie an, denn lässt sie mich wirklich gehen, wenn ich das will? Ohne direkt darauf einzugehen, erwidere ich: „Ich würde es gerne wieder machen, denn so bekomme ich meinen Kopf frei.“ Verstehend nickt sie auf meine Antwort. Dass sie trotz allem nicht begeistert davon ist, kann man gut von ihrem Gesicht ablesen. Dennoch sieht sie es ein, dass mir das scheinbar wichtig ist und geht darauf ein: „Ich verstehe, mach es ruhig, aber ich hätte da eine Bitte an dich …“ „Und die wäre?“, will ich wissen und werde dabei etwas skeptisch. Doch im Gegensatz zu allmöglichen Erwartungen, die mir gerade durch den Kopf schwirren, legt sie nur lächelnd ihre Hände auf meine Schultern und bittet mich: „Pass einfach auf dich auf. Ich möchte nicht, dass dir was passiert.“ Ein weiterer Schritt, der nun unerwartet von ihr kommt. Gibt sie mir tatsächlich wieder mehr Freiheit, die ich sogar dringend brauche? Heißt das, dass ich nun weniger von ihr überwacht werde? Ohne auf eine Antwort von mir zu warten, nimmt Tante Tina nun ihre Hände von mir. Ich habe dabei den Eindruck, als wäre aus ihrer Sicht nun alles gesagt, was zum Sagen gibt. Jedoch gibt es für mich noch etwas, was mich bedrückt: „Tante Tina, was ich noch sagen will … ich hoffe du verstehst, aber ich möchte die Schule wechseln.“ Für einige Sekunden sieht sie mich sprachlos an, als hätte sie dieses Thema nicht allzu schnell erwartet, vielleicht hat sie sogar damit spekuliert, dass ich mir damit Zeit lasse. „Bist du sicher? Immerhin wird jetzt alles versucht, um dir da raus zu helfen. Außerdem ist es nicht mehr so lange hin, bis dieses Schuljahr endet.“, versucht sie mich nun dazu zu bewegen, dies noch zu überdenken, aber meine Entscheidung steht bereits fest: „Ich weiß, aber ich kann dieses Gebäude nicht mehr betreten.“ Ein bedrücktes Gesicht schleicht sich nun bei mir ein, woraufhin Tante Tina nachdenklich fragt: „Wegen dem, was dir gestern passiert ist?“ „Nicht nur, ich will einfach einen Neustart anfangen, das Ganze vergessen. … Selbst wenn das wegen dem Mobbing geregelt wird und Lucinda mal endlich die Quittung dafür bekommt, heißt es noch lange nicht, dass es nicht wieder passieren kann. Spätestens dann, wenn wieder Gras darüber gewachsen ist, wird es sich wiederholen. Du weißt, dass ich keine Freunde habe und ich kann mich auf niemandem dort verlassen, selbst wenn ich wollte. Außerdem … “, erkläre ich ihr, bis sie mich aber stoppt und meint: „Schon gut, ich weiß, was du meinst, aber denk jetzt nicht darüber nach. Ruh dich erst einmal aus und dann können wir immer noch darüber reden, ok?“ Nickend und mit ihrem letzten Argument, dass es mit Sicherheit bald wieder soweit ist, dass ich neue Kontakt knüpfen kann, gehe ich schließlich die Treppen hoch. Ich denke noch an ihre Worte nach und besonders jene, die sie im Auto gesagt hat, beschäftigen mich noch. Denn als meine fünf ehemaligen Freunde damit anfingen, mich zu meiden und auch nicht mehr hierherkamen, um mit mir die Zeit zu vertreiben, war das für sie ein Alarmsignal. Als müsste sie nun endlich etwas unternehmen, damit ich ja nicht alleine bleibe. Dass mich das allerdings nur eingeengt und mich umso mehr von ihr entfernt hat, hat sie erst jetzt so richtig begriffen. Ich bin nur froh, dass sie das eingesehen hat und hoffentlich hört es nun endlich auf, dass sie aus mir einen anderen Menschen machen will. Es bringt sich nichts und ich will es auch nicht. Ich will auf meine Weise neue Freunde finden. Dass ich es ja eigentlich bereits geschafft habe, wenn ich da an meine Mutantenfreunde denke, verstärkt nur diesen Wunsch und im Prinzip reicht es mir, wenn es sich dabei nur um eine neue Bekanntschaft handelt. Vermutlich denkt Tante Tina an etwas Ähnliches, aber eines weiß ich garantiert, was sie betrifft. Zwischen mir und ihr wird es noch eine Weile dauern, bis mein Vertrauen zu ihr wieder so stark ist, wie es einmal war. „Friede, Freude, Eierkuchen“ gibt es im wahren Leben nun mal nicht, aber es sind bereits die ersten Schritte dafür getan und momentan reicht mir das auch. Die nächsten drei Stunden verbringe ich damit, im Bett liegend die Decke anzustarren. Weder habe ich noch etwas schlafen könne, noch habe ich die Lust verspürt, irgendetwas Anderes zu machen. Ich fühle mich einfach, als würde ich von einer schweren Last erdrückt werden. Um aber nicht weiter über die letzten Momente nachzugrübeln, was ich ohnehin in letzter Zeit gemacht habe, lasse ich meine Fantasie spielen. Ich versuche mir Geschichten auszudenken, die mich von allen ablenken sollen. Egal ob es sich dabei um Märchen handelt, die ich besonders als Kind gerne verschlungen habe, oder ob es andere Fantastereien sind. Ich lasse mich einfach von ihnen treiben, bis ich schließlich eine Nachricht von April erhalte: « Bin jetzt endlich rausgekommen. Wir treffen uns beim Eissalon. Ich kenne da einen Guten. Ich schreibe dir noch die Adresse. Bis später. » Leicht lächelnd lese ich schließlich auch die nächste Nachricht, in der ich den Ort erfahre. So klappe ich das seltsame Handy, an dem mir die ehemalige Reporterin die beiden WhatApps geschickt hat, zu und rolle mich schließlich aus dem Bett. Scheinbar hat ihre Befragung doch etwas länger gedauert, als was sie zunächst angenommen hat, aber das verwundert mich keines Falls. Hätte der Polizist mich und meine Tante nicht gehen lassen, so würden wir beide auch noch auf dem Revier hocken. Wenig später sitze ich mit April im Eissalon. Tante Tina hat mich sogar persönlich hergebracht. Einerseits wollte sie mich nicht sofort wieder alleine durch die Gegend streifen lassen und andererseits wollte sie sich es nicht entgehen lassen. April O´Neil noch einmal zu sehen. Schließlich ist meine Tante ein großer Fan von der Reporterin und war demnach auch geschockt, als jene nicht mehr im Fernsehen auftrat. Dass sie aber jene sogar persönlich kennenlernen konnte und auch weiß, dass ich mit dieser Frau befreundet bin, erfüllt ihr Herz vor Glück. Zumindest hat sie das die ganze Fahrt behauptet und mich sogar darum gebeten, April um ein Autogramm zu bitten. Also manchmal glaube ich, meine eigene Tante nicht zu kennen, aber trotzdem ist das noch gerade das geringere Übel. Da habe ich sie sogar oft genug erlebt, an dem sie weit schlimmer war. Jetzt wo ich im Eissalon sitze, erzähle ich dies April, welche einfach nur lacht: „Ach, dieses „Frühstückfernsehen“ hat sie so aus den Socken gehauen? Ich weiß zwar nicht, was für einen Eindruck ich bei deiner Tante mache, aber das war doch wirklich nichts Besonders. Mit diesen „Geschichten“ konnte ich doch nichts Weltbewegendes erzählen. Das war doch nur total öder Kram, wofür man nur ein hübsches Gesicht braucht.“ „Ihr hat es aber scheinbar gereicht.“, schmunzle ich. Wenn sie nur wüsste, dass Tante Tina nicht die Einzige ist, die für diese junge Frau schwärmt. Wobei ich eher glaube, dass das mit Aprils Art und Ausdrucksweise zu tun hat, aber das ist nur eine Vermutung, die ich für mich behalte. Während ich mein gemischtes Eis mit Zitrone, Vanille und Himbeere löffle, erzählt mir die junge Frau nun, wie es ihr beim Polizeipräsidium ergangen ist. Eigentlich wollte ich das fürs Erste zur Seite schieben und an etwas Anderes denken. Schließlich war das nicht nur anstrengend für mich, sondern ich musste das gesamte Szenario bildlich noch einmal durchleben und das war alles andere als ein großes Vergnügen für mich. Ich habe auch keine Ahnung, wie es nun mit mir weitergehen wird und dennoch hat mich die Neugier gepackt. „Hast du auch heraushören können, was die nun machen werden?“, frage ich sie schließlich, doch April schüttelt den Kopf: „Leider nein, ich habe zwar einigen Beamten auf dem Zahn gefühlt, aber aus denen kam nicht wirklich was. Ich schätze mal, dass das jetzt einige Zeit dauern wird und irgendwann wird ein Gerichtstermin stattfinden, aber selbst das ist noch nicht zu 100% klar. Bis dahin musst du auf jeden Fall standhaft bleiben und jedem aus dem Weg gehen, der irgendwas mit dem Mobbing zu tun hatte. Das ist wichtig.“ Das dürfte so ziemlich die halbe High-School betreffen, wenn nicht schon mehr. Dabei kenne ich nicht einmal jeden und außerdem habe ich viele an diesem Tag das erste Mal gesehen. Somit ist das etwas schwierig, aber andererseits werde ich so und so die Schule wechseln. Daher dürfte das dann auch abgehakt sein. Zumindest hoffe ich das. „Danke übrigens noch einmal, dass du mir hilfst. Ich glaube kaum, dass es sonst so schnell in die Wege geleitet wäre. Vermutlich würde ich mich sonst noch wochen-, wenn nicht schon monatelang verstecken, während diese Bilder und Videos von mir im Netz herumkursieren.“, „wechsle“ ich schließlich das Thema. April sieht kurz von ihrem Eisbecher auf und lächelt mich an, während sie meint: „Kein Problem Bernadette, ich weiß ja, dass dich das sehr belastet, aber immerhin stehst du nicht allein da. Auch wenn das alle glauben mögen und außerdem helfen Freunde sich gegenseitig. Das weißt du hoffentlich.“ „Ja, aber auch nur, wenn es wirkliche Freunde sind.“, erwidere ich. Sie hat zwar Recht, aber Vertrauen ist etwas, wann man nicht von jeden erwarten kann, aber hier ist es anders. Denn obwohl April und ich uns kaum kennen, habe ich trotzdem den Eindruck, als wenn wir schon viel länger miteinander befreundet wären. Abgesehen vom Aussehen und dem Altersunterschied merke ich kaum einen Unterschied. April redet mit mir, als wäre ich sogar in ihrem Alter, lässt mich ausreden und sie behandelt mich auch nicht von oben herab. Vielleicht liegt es aber auch an unseren gemeinsamen Freunden, von dem niemand anderes etwas weiß. Es ist ein Geheimnis, welches ich mit jemandem teile, was wiederum auch zusammenschweißt. „Hey, was hältst du davon, wenn wir uns noch etwas in der Stadt umsehen.“, schlägt April vor, kaum, dass wir nach dem Eis bezahlt haben. Sie möchte mit mir einfach ein wenig Bummeln gehen. Ich habe das eigentlich schon lange nicht mehr gemeinsam mit jemandem gemacht, weswegen ich freudig zustimme. Gleich in der Nähe schlendern wir einfach von Laden zu Laden. Nicht, dass wir wirklich was kaufen würden, aber dafür lachen wir und erzählen uns sogar Geschichten, was unsere Jungs betrifft. Es ist kaum zu glauben, dass die Brüder und Meister Splinter einst Aprils Haustiere waren, wobei sie dann als Versuchsobjekte für das Projekt „Renaissance“ genutzt wurden. Dabei frage ich mich, woher Aprils Vater und die anderen Wissenschaftler diese seltsame Substanz hatten. Die junge Frau ist sich nämlich nicht ganz sicher, ob sie das Mutagen überhaupt selbst hergestellt hatten. Schließlich war sie damals noch ein Kind und vieles ist ihr dabei nicht bzw. falsch erzählt worden. Es gab einige Gerüchte und sämtliche Dokumente, die es belegt hätten, sind vernichtet worden, aber dies wurde April erst dann wieder bewusst, als sie ihre ehemaligen Schützlinge das erste Mal mutiert gesehen hatte und über sie nachforschte. Somit kamen einige Erinnerungen, so wie Hobbyaufzeichnungen ans Tageslicht. Auch jetzt ist noch einiges unklar, aber darüber scheint keiner der Betreffenden wirklich nachzudenken. Zumindest habe ich diesen Eindruck. Irgendwie bringt mich das ein wenig ins Grübeln. Schließlich hätte auch alles anders passieren können. Was ist, wenn statt unseren Freunden andere Tiere benutzt worden wären. Dann hätte ich weder Raphael noch den Rest seiner Familie kennenlernen können. In der Hinsicht bin ich einfach nur froh darüber, dass es nun so ist, wie es ist. Auch wenn diese Hintergrundstory einen bitteren Beigeschmack mitnimmt. Wie ich, so hat auch April ihren Vater in Kinderalter verloren und das ist wieder etwas, was uns beide miteinander verbindet. Auch sie vermisst sicherlich ihren Dad, lebt aber weiterhin ihr Leben. Eigentlich will ich nicht mehr darüber nachdenken. Es ist einfach traurig und niemandem ist geholfen, wenn man weiterhin in der Vergangenheit herumstochert, weswegen ich nun nach etwas Anderes suche, was interessant sein könnte. Aprils Aufmerksamkeit ist allerdings woanders. Nach ihrem Blick zu urteilen, scheint sie etwas entdeckt zu haben. Denn schon nimmt sie mich bei der Hand und zerrt mich in das nächste Geschäft für Accessoires, bei der sie anscheinend etwas Interessantes ins Auge gestochen sein muss. Kaum, dass wir den Laden betreten haben, stürmt sie schon los und ich schaue ihr kurz verdattert hinterher. Während sie schließlich bei den einzelnen Regalen herumstöbert, sehe ich mich auch ein wenig um. Für mich wäre es sonst bescheuert einfach so in der Gegend herumzustehen und da ich nicht weiß, wonach sie sucht, kann ich ihr auch nicht helfen. Ich schlendere also an den Objekten vorbei, bis ich schließlich an einem Tisch mit verschiedenen Ketten und Amuletten vorbeikomme. Die meisten sind dabei eher uninteressant für mich und ich mag es auch nicht, wenn es zu viel glitzert. Das erinnert mich einfach an Barbie und man sollte mich besser nicht fragen, warum ich diese Puppe hasse. Dann entdecke ich beim Schauen allerdings doch etwas, was mir beinahe entgangen wäre. Neben einigen Ketten mit unterschiedlichen Steinen, wie Achat, Rosenquarz und Obsidian, erblicke ich ein Amulett aus Karneol. Der rote Stein hat eine flache und ovale Form. Nur die Mitte zeigt sich eine kleine Schildkröte, die sich scheinbar aus dem Untergrund erhebt und nach oben schaut. Als wolle sie mich grüßen. Feine Linien zieren die Musterung des Panzers und das Schöne an dem Stein ist, dass er mehrere Schichten von verschiedenen Rottönen aufweist. Auch wenn das jetzt irgendwie bescheuert klingt, erinnert mich das an Raphael. So unterschiedlich auch diese einzelnen Farbschichten sind, so anders kann auch mein Liebster von seinem Wesen sein. Zwischen seiner Liebe und seiner aufbrausenden Art ist alles dabei und bei diesen Gedanken muss ich sogar schmunzeln. Ich sehe sein Gesicht förmlich vor mir, wie er mich anlächelt und mich sogar einlädt, mit ihm die Stadt in der Nacht zu erkunden. Ich habe sogar den Eindruck, als könne auch seine Nähe spüren, auch wenn ich weiß, dass er in diesem Augenblick bei sich zu Hause ist und mit seinen Brüdern trainiert, oder sogar etwas Anderes tut. „Na, hast du auch schon was gefunden?“, fragt mich auf einmal April, die plötzlich hinter mir erscheint und mir über die Schulter blickt. Bei ihrer unerwarteten Frage, schrecke ich zusammen, wodurch sie zu lachen beginnt. „Erschrecke mich ja nie wieder!“, schimpfe ich mit ihr, nachdem ich mich wieder gefangen habe. Es ist mir dabei egal, sollte uns gerade wer zusehen. Ich hasse es einfach, erschreckt zu werden. April jedoch lacht noch weiter und meint dabei: „Ach, kommt runter! … Du hättest dich aber so und so erschreckt. Selbst wenn ich mich dir von vorne genähert hätte. So wie du dreingeblickt hast und vollkommen in deinen Gedanken abgetaucht bist, kann man deine Liebe zu deinem Herzblatt ja förmlich an der Nasenspitze ablesen.“ Entgeistert sehe ich sie an. Auch wenn ich Raphael über alles liebe, heißt das noch lange nicht, dass man mich deswegen aufziehen kann. „He, jetzt schmoll nicht. Ich meine es doch gar nicht böse, aber du musst zugeben, dass du unserem Muskelprotz vollkommen den Kopf verdreht hast. Gerade er hat immer behauptet, dass Liebe Schwachsinn und reine Zeitverschwendung ist und dann erwischt es ausgerechnet ihn. Dabei frage ich mich schon, wie du das angestellt hast.“, grinst sie mich an, während sie dann einen Arm um meine Schulter legt. Was soll ich schon Großartiges gemacht haben? Gar nichts, wenn ich mir das so recht überlege. Schließlich bin ich kein Fan von Schnulzenfilmen und von Flirten konnte man von mir überhaupt nicht reden. Auch wenn ich ehrlicher Weise zugeben muss, dass ich von Mal zu Mal immer mehr die Zuneigung zu meinem Liebsten gespürt hatte und ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass er damals bereits dasselbe für mich empfunden hatte. Dass er sich deswegen so merkwürdig und so widersprüchlich aufführte, wurde mir erst später klar und anscheinend war ich genauso blind wie er. Raphael und ich haben irgendwie vieles gemein und wenn ich so darüber nachdenke, wird das immer mehr. Zumindest kommt es mir so vor und ich denke, dass vielleicht genau das der Grund war, warum wir zueinandergefunden hatten. Es hätte ja auch bei einer guten Freundschaft bleiben können und doch ist zwischen uns eine Beziehung entstanden, die ich auf keinen Fall missen möchte. Leicht genervt seufze ich und widme mich wieder dem Amulett. Sanft streiche ich mit dem Daumen darüber, wobei ich besonders über den Panzer der kleinen Schildkröte gleite. April holt mich lachend wieder in die Realität zurück: „Anscheinend bist du nicht die Einzige, die das kann. Raphael scheint auch dir ganz schön den Kopf verdreht zu haben.“ Bei dieser Aussage rolle ich mit den Augen und seufze wieder genervt. „Du kannst ganz schön anstrengend sein. Weißt du das?“, kommt es schließlich leicht provokant aus meinem Mund, doch die Angesprochene nimmt mir das überhaupt nicht krumm. Im Gegenteil, sie drückt mich nur schmunzelnd dichter an sich und meint: „Ich glaube, du solltest dieses Schmuckstück ruhig kaufen. Schließlich scheint es bei dir etwas ausgelöst zu haben.“ Sie hat ja keine Ahnung, wie Recht sie damit hat. Nachdem April mich nach einiger Zeit wieder nach Hause gebracht hat, muss ich bei meiner Tante feststellen, dass es ihr tatsächlich nicht leichtfällt, sich an den neuen Umständen zu gewöhnen. Es ist ja auch nicht so einfach sich „von heute auf morgen“ umzustellen. Somit mache ich ihr keine Vorwürfe, als sie mich etwas nervös fragt, warum ich so lange weggeblieben bin. Sie merkt zwar im nächsten Moment, was sie da gerade gesagt hat und entschuldigt sich sofort dafür, aber ich winke nur ab. Ich bin momentan einfach zu gut gelaunt, als dass ich es mir wegen sowas verderben lassen will und außerdem ist solch eine Umstellung kein Zuckerschlecken. Das könnte sie genauso wenig von mir erwarten, weswegen ich dann einfach in mein Zimmer gegangen bin, wo ich auch jetzt noch bin. Um ja nicht an die Sache wegen der Schule zu denken, was mich einfach nicht loslassen will, habe ich stetig darauf geachtet mich mit irgendetwas abzulenken. Im Moment bin ich gerade dabei in meinem Roman weiterzulesen, als ich dann ein vertrautes Klopfen höre und meinen Blick von den Seiten abwende. Ich brauche nicht lange zu überlegen, wer da gerade da draußen herumlungert, als ich meinem Liebsten das Fenster öffne und schon eine herzhafte Begrüßung bekomme. Denn kaum hat Raphael den Kopf zu mir hereingestreckt, schon hat er mich mit einem Arm zu sich herangezogen und einen langen und zarten Kuss auf die Lippen gedrückt. „Hey.“, sagt er schließlich, als wir uns wieder voneinander lösen und er mir nun zärtlich über die linke Wange streicht. Ich sehe in seinen Augen und merke, dass diese nicht nur Sehnsucht widerspiegeln, sondern auch Sorge, wodurch ich wieder an den heutigen Tag im Polizeirevier denken muss. Natürlich folgt sogleich die Frage, die ich eigentlich schon gar nicht mehr hören mag: „Wie geht es dir?“ Dabei habe ich gedacht, dass ich mir das noch ein wenig erspart bleiben könnte. Schließlich wollte ich es für heute gut sein lassen, aber anscheinend macht ihm die Sache noch mehr fertig, als was ich zunächst gedacht habe. „Den Umständen entsprechend gut.“, antworte ich schließlich darauf. Ich habe ja gemerkt, dass er schon etwas nervös darauf gewartet hat, aber meine Antwort scheint ihm nicht zu genügen. Glaubt er mir etwa nicht? Vermutlich ja, weswegen ich ihm kurz erzähle, dass April mich am Nachmittag in ihre Fittiche genommen hatte. Doch das überzeugt ihn anscheinend auch nicht so wirklich. Zumindest sieht er mich so skeptisch an. „Schau mich nicht so an, als wenn ich im nächsten Moment zusammenbrechen könnte. Es geht mir soweit gut, wirklich.“, füge ich schließlich hinzu. Doch er meint nur darauf: „Das hat gestern aber nicht danach ausgesehen. Wie kannst du nun so lächeln?“ Soll ich etwa wieder einen Heulkrampf bekommen? Jetzt habe ich mich so gefreut, ihn zu sehen und nun sinkt meine Stimmung in Richtung Keller. Ich seufze, doch schon hebt er mein Kinn etwas an, damit ich ihn ansehen muss. „Tut mir Leid, aber mich macht die Sache immer noch ganz krank und ich hatte einfach Angst, dass du mir meinetwegen nur was vorspielst. Schließlich hast du wegen deinen Problemen schon oft genug versucht, es vor mir zu verheimlichen und es war jedes Mal ein Kampf, es aus dir heraus zu kitzeln.“ Jetzt braucht er nicht so übertreiben! Wobei, ganz so Unrecht hat er dabei auch nicht. Ich muss aber auch betonen, dass ich ihm die meisten meiner Sorgen nur nicht aufbrummen wollte, weil es ihn ja in diesen Fällen nie betraf. Es war für mich auch eine schwere Umstellung jemand außerhalb der Familie anzuvertrauen, auch wenn ich von dieser Seite jedes Mal kaum Unterstützung bekommen hatte. Zwar mag er mir jetzt nicht wirklich glauben, aber ich könnte zurzeit niemandem etwas vormachen. Dafür sind meine Nerven zu verbraucht und auch wenn ich es nicht gerne zugebe, sitzt der Schock wegen gestern noch tief in mir drinnen. Das Einzige, was ich die ganze Zeit mache, ist es für den Moment zu vergessen und mich abzulenken. Vermutlich würde ich sonst noch durchdrehen, aber anscheinend schafft es jeder, mich wieder daran erinnern zu lassen. So wie es Raphael auch jetzt getan hat, doch nun scheint ihn im Moment etwas anderes zu beschäftigen. Sein Blick ist nicht mehr direkt auf mein Gesicht gerichtet sondern auf meinen Hals, woraufhin gleich die Frage kommt: „Was ist das?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)