TMNT - Schicksal? von Pamuya_ ================================================================================ Kapitel 35: Auf dem Polizeirevier --------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Nachdem mich die beiden Beamten in das Polizeipräsidium mitgezerrt hatten, musste ich mich in den Warteraum begeben. Seither warte ich darauf, dass es endlich mal weitergeht. Ich kann gar nicht beschreiben, was das für ein ungutes Gefühl für mich ist. Abgesehen davon, dass ich mich nun hier langweilen muss, geht mir der gestrige Tag nicht mehr aus dem Kopf. Seit der Autofahrt bin ich ständig am Grübeln und ich frage mich, wie es nun weitergehen wird. Die Beamten haben nicht wirklich viel zu mir gesagt. Sie meinten nur, ich müsste geduldig sein, bis ich dann meine Aussage machen werde. Selbst nach einem Anwalt haben sie mich gefragt, aber ich kenne doch keinen. Noch nie habe ich jemals einen gebraucht und wozu soll der auch notwendig sein, wenn ich doch selbst nichts verbrochen habe? Scheinbar ist dies aber notwendig. Vielleicht soll dieser mich auf meine Rechte und den bevorstehenden Prozess vorbereiten. Ich habe aber keine Ahnung, wie das mit Cyber-Mobbing gehandhabt wird. Wird es überhaupt einen Prozess geben, oder wird dies sogar außergerichtlich geregelt? Ich habe mich noch kein einziges Mal mit diesem Thema beschäftigt, abgesehen davon, dass ich ohnehin nicht die Nerven dafür hatte, mich überhaupt damit zu befassen. Ich hatte andere Sorgen und die habe ich jetzt auch noch. Keine Sekunde fühle ich mich wohl in meiner Haut. Während ich nun in diesem kahlem Raum warte, während sämtliche Polzisten und andere Menschen ihrer Arbeit nachgehen, kann ich nichts weiter tun. Wenn ich ehrlich sein soll, wäre ich am liebsten wieder sofort ausgestiegen, kaum dass ich im Polizeiwagen Platz gefunden hatte und stattdessen hätte ich mich in mein Zimmer verbarrikadiert. Ich wollte die Sache einfach vergessen, es aus meinem Schädel verbannen und wenn möglich, nicht mehr daran denken. Das von gestern hängt mir einfach immer noch nach. Ich hatte zwar irgendwie schlafen können, aber nicht ohne dabei feststellen zu müssen, dass das kein Albtraum war. Allein der Gedanke daran, lässt mich wieder in diesem Moment zurückversetzen, an dem ich beinahe nackt um meine Sachen kämpfen musste und es wäre sogar so weitergegangen, wäre dieser Lehrer nicht plötzlich aufgetaucht. Auch jetzt würde ich gerne im Boden versinken und nie mehr wieder rauskommen. Zwar hatten mir meine Freunde noch Mut gemacht, aber jetzt bin ich mir einfach unsicher. Wie in der Schule bin ich auch jetzt wieder auf mich alleingestellt und ich bin auch nicht wieder soweit, um per Knopfdruck gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Dafür sind meine Kraftreserven bereits aufgebraucht. Allerdings schäme ich auch für dieses Gefühl. Immerhin haben Raphael und die anderen alles darangesetzt, mir irgendwie zu helfen und nun wünschte ich mir, ich könnte mich einfach in mein Schneckenhaus verziehen. Damit ich ja nie wieder etwas davon hören muss. So sehr sich auch ein Teil von mir danach gesehnt hat, ich muss irgendwie neue Kraft schöpfen und mich zusammenreißen. Das bin ich meinen Freunden zumindest schuldig und irgendwie will ich es doch auch. Ich möchte nicht, dass alles, was ich durchmachen musste und die Hilfe, die mir gegeben wurde, umsonst war. Diesen Triumpf möchte ich dieser Schlange einfach nicht gönnen! Es muss endlich mal etwas geschehen, damit sie damit aufhört und wenn das bedeutet, dass ich mich noch einmal zusammenreißen muss, dann tue ich es auch. Auch wenn mir kein bisschen danach ist, aber so leicht will ich es ihr nicht machen. Lucinda soll endlich einmal die Quittung dafür bekommen und da ist mir jeder weitere Schmerz wert, welchen ich ihretwegen fühlen muss. Somit steht mein Entschluss fest. Dennoch begleitet mich diese Unruhe weiterhin. Ich kann sie nicht einfach abstellen, weswegen ich ständig auf dem Sessel hin und her rutsche. Auch meine Augen gleiten von der einen Ecke des Raumes bis hin zum Nächsten. Nichts tun zu können und sinnlos in einem Winkel hocken zu müssen, ist für meine Nerven nicht gerade ideal. Die Leute, die hier ein- und ausgehen, machen die Sache auch nicht wirklich viel besser. Entweder werde ich von den Vorbeigehenden seltsam gemustert, als wäre ich inmitten einer kuriosen Ausstellung gelandet, oder sie würdigen mich keines Blickes und zeigen mir die kalte Schulter. Ich wurde sogar einmal leicht angerempelt und der Typ hatte es nicht einmal für nötig gehalten, sich zu entschuldigen, kaum dass er mich beinahe von meinem Sitz weggerissen hätte. Nur weil er nicht imstande gewesen ist, geradeaus zu laufen, aber vermutlich hatte er es nicht einmal bemerkt und es würde mich nicht einmal wundern, wenn der Kerl bereits zu tief ins Glas geschaut hätte. Anstatt mich aber darüber aufzuregen, habe ich einfach nur verständnislos den Kopf geschüttelt und mich dann schließlich zurück in die Lehne fallenlassen. Immerhin habe ich in Moment andere Probleme, um die ich mich kümmern muss und da ist dieser kurze Zusammenstoß wirklich keine große Sache, geschweige auch nur ansatzweise von Bedeutung. Stattdessen versuche ich mir bewusst zu machen, dass ich demnächst meine Aussage machen muss. Ob ich will oder nicht, spielt keine Rolle und ich muss auf jeden Fall aufpassen, dass meine Gefühle nicht die Oberhand bekommen. Denn es besteht bei meinem momentanen emotionalen Zustand die Gefahr, dass ich mich verplappern könnte und das will ich auf keinen Fall riskieren. Ich kann niemandem erzählen, wer mich von diesem Horrorgebiet geholt hat, wer sich mit der Community auseinandergesetzt hat und wer sich so rührend um mich gekümmert hat, sodass ich trotz meiner Qualen ein kleines Bisschen Ruhe fand. Was also soll ich nur sagen? Nachdenklich reibe ich mir nun gegen meine Arme. Als wäre mir ein kalter Schauer über den Rücken gekommen, versuche ich mich selbst davor zu schützen. Dabei schließe ich sogar die Augen und atme tief durch. Ich sehne mich nach Ruhe und ich sehne mich nach Klarheit. Diese Ungewissheit und dieses momentane Nichtstun ziehen mich einfach nur tiefer in meinem Abgrund, in dem ich bereits stecke. Noch einmal versuche ich, diese innere Ruhe wiederzufinden, bis ich aber im selben Augenblick abrupt daraus gerissen werde. Schuld daran ist Tante Tina, die quasi mit „Donner und Krawall“ in den Warteraum hereingestürmt kommt und nach mir ruft: „Bernadette?! Kind, wo bist du?!“ Ich blicke auf und sehe, wie sie mit schnellen Schritten auf mich zueilt, nachdem sie mich kurz darauf entdeckt hat. Beinahe hysterisch steht sie nun vor mir. Kein Mitleid ist in ihren Augen zu sehen. Stattdessen zeigen sie Zorn, Verwirrung und sogar Sorge. Mit beiden Händen gegen ihre Hüften gestemmt, verharrt sie nun dort. Ihr Blick vorwurfsvoll auf mich gerichtet, verlangt sie nun endlich Antworten von mir: „Was hat das alles zu bedeuten Bernadette?! Warum sind wir hier?! Was hast du angestellt?!“ „Ich habe nichts angestellt.“, murmle ich, während ich meinen Kopf leicht zu Boden geneigt habe. Klar sieht es wahrscheinlich nun aus, als wäre das von mir eine Lüge gewesen. Doch das ist keine Lüge gewesen, ich kann ihr einfach nur nicht länger in die Augen schauen, da ich Angst habe, sofort wieder in Tränen auszubrechen. Obwohl ich ihr per WhatsApp geschrieben habe, dass ich nichts ausgefressen habe, scheint sie die Tatsachen aber wieder einmal zu verdrehen. Sie glaubt mir einfach nicht und die Tatsache, dass wir uns nun auf dem Polizeirevier befinden, wird sie darin nur noch verstärkt. Wie schon so oft werde ich als Täter hingestellt und habe auch hier keine Chance alles richtig zu stellen, wofür ich ohnehin nicht wirklich da Kraft dafür habe. Ich will einfach nur noch meine Aussage machen und dann wieder von hier verschwinden. Mit einem halben Ohr, bekomme ich ihre Predigt mehr oder weniger mit, wobei ich eher einzelne Wortfetzen daraus entnehme und besonders jenen Satz zu hören bekomme, welcher einfach nur ein weiterer Stich in meinem Herzen ist: „Ich bin enttäuscht von dir!“ Mein einziges Glück ist, dass ich mir das nicht noch länger antun muss, als gerade ein Polizist auf uns zukommt. Unerwartet stellt sich meine Tante aber auf einmal schützend vor mich. Als hätte das Auftreten dieses Mannes irgendetwas bei ihr ausgelöst und als wolle sie mich nun vor Schlimmeres bewahren, als was es bereits ohnehin schon ist. Doch wenn sie nur einmal zuhören würde, wüsste sie, dass ich das Opfer bin und dass es daher keinen Grund gibt, auf mich einen Groll zu haben. „Egal, was auch meine Nichte angestellt haben mag, ich bin mir sicher, dass es dafür eine plausible Erklärung gibt.“, beteuert Tante Tina, erntet aber sogleich einen verwirrten Blick, seitens des Mannes. Keine Ahnung davon, was sie damit meinen könnte, scheint er nun perplex zu überlegen, bis ihm aber schließlich ein Licht aufgeht und das Missverständnis aufklärt: „Nein, nein verehrte Dame, da liegt ein Missverständnis vor. Ihre Nichte ist bei diesem Cybermobbingfall nicht die Täterin, sondern das Opfer selbst, also beruhigen Sie sich bitte. Es besteht keinen Grund zur Aufregung, aber es wäre wohl besser, wenn wir das an einem anderen Ort näher besprechen. Dann kann sie uns allen selbst erzählen, was wirklich vorgefallen war.“ Bei seinen letzten Worten sieht der Mann mich mit einem aufmunternden Lächeln an, aber so sehr seine Worte nett gemeint waren, ich schaffe es in Moment nicht dies zu erwidern. Meine Tante dagegen bleibt sprachlos und zum ersten Mal nach langen scheint sie mich nun endlich aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Denn ihr momentanes Gesicht spricht Bände. Neben Verwirrung habe ich bei ihr den Eindruck, als sei ihr auch gleichzeitig ein Stein vom Herzen gefallen. Sie ist wirklich davon überzeugt gewesen, mich nun hinter Gitterstäbe zu sehen, aber trotzdem ist ihre Sorge um mich nicht weniger. Stumm folgen Tante Tina und ich dem Beamten durch den nächsten Gang, bis wir einen Verhörraum betreten. Wie man das normalerweise aus Filmen kennt, ist es ein karger, dunkler Raum, welcher nur von einer Deckenlampe beleuchtet wird. In der Mitte befindet sich ein schwarzer Tisch und rund um diesen sind vier Sessel aufgestellt. Eine Wand ist mit diesem seltsamen Fenster ausgestattet, welches auf der Innenseite wie ein Spiegel wirkt. Es ist vielleicht spannend solch eine Situation im Fernsehen zu sehen, aber es ist garantiert kein Spaß, selbst in solch einem Raum zu befinden. Zumindest ist mir nicht wohl bei der Sache, was der Polizeibeamte auch bereits bemerkt hat. Er reicht mir eine kleine Flasche mit Mineralwasser und bittet mich nun, mit meiner „Geschichte“ anzufangen: „Keine Sorge, wir sind hier, um dir zu helfen und du musst keine Angst haben. Alles, was du hier erzählst, wird nicht in die Außenwelt gebracht. Es geht allein um dich und wie wir dir helfen können.“ Ich schlucke, denn nun ist der Moment da, vor dem ich mich gefürchtet habe. Dabei spüre ich schon, wie sich meine Kehle zuschnürt und wie der Rest meines Körpers sich verkrampft. In meinen Gedanken glaube ich sogar, dieses Lachen wieder zuhören. Die Erinnerung daran, lässt mich aufs Neue diesen schrecklichen Tag vor mir sehen. Ich kann mich dabei förmlich selbst sehen, wie ich zunächst überrascht aus der Dusche steige, bis ich schließlich panisch die Verfolgung nach meinen Sachen aufnehme und schlussendlich von dieser Meute umringt werde. Ich fange an zittern, als müsste ich diese Scheiße wahrhaftig noch einmal ertragen, bis ich Tante Tinas Hand auf meiner spüre und ich so aus meinen Wachtraum rausgerissen werde. Überrascht sehe ich sie an. Sie sagt nichts, gibt mir aber mit ihrem Blick zu verstehen, dass „alles gut wäre“. Das ist es aber nicht! Nichts ist in Ordnung und selbst, wenn sie mir das erste Mal glaubt, so ändert sich nicht daran, dass ich mich so elend fühle! Nicht nur, dass ich mich dafür schäme, ich habe einfach Angst davor, was als Nächstes passieren wird. Ich weiß auf jeden Fall, dass ich nie mehr wieder einen Fuß in diese High School setzen werde. Keine zehn Pferde werden mich da jemals wieder hinbringen und ich hoffe auch, dass meine Tante das einsehen wird. Zögerlich fange ich nun an, meinen gestrigen Tag zu schildern. Bei jedem darauffolgenden Satz habe ich das Gefühl, als würde ich einen großen Steinbrocken auf meine Schultern tragen. Dennoch mache ich weiter und halte erst dann inne, als ich zwischendurch von den Polizisten um weitere Details gefragt werde. Unter anderem will er wissen, wie lange ich schon gemobbt werde. Ich nenne ihm den Zeitraum, so wie auch, wen ich direkt in Verdacht habe. Allerdings erwähne zusätzlich, dass nicht nur eine Person allein dafür verantwortlich ist, sondern, dass mehrere im Auftrag handeln. Für Außenstehende klingt das wie aus einem Krimi, jedoch erwähne ich zwei Beispiele, die meine Erzählung verstärken sollen. Skeptisch und nachdenklich zugleich, wendet sich der Beamte meiner Tante zu und fragt sie: „Wussten Sie eigentlich etwas darüber? Schließlich wohnen Sie beide in einem Haushalt? Hat Ihre Nichte dabei irgendetwas in dieser Richtung erwähnt?“ Bei dieser Frage wird ihr Gesicht sogleich bleich. Mit einem beschämenden Blick antwortet sie schließlich darauf: „Ja, ich habe davon gehört. Meine Nichte erzählte mir das eine oder andere, wenn ich sie auf die Schule ansprach. Doch ich glaubte nicht, dass es sich in ihrem Fall tatsächlich um Mobbing handeln würde. Schließlich ist es auf einer High-School nicht verwunderlich, dass die Schüler sich gegenseitig necken. Ich dachte, sie würde mir eine übertriebene Story auftischen, um vielleicht so Aufmerksamkeit zu bekommen. Denn seit sie ihre Freunde verloren hat, ist sie wie ausgewechselt. Nicht so wie andere in ihrem Alter, geht sie mit anderen aus, oder versucht, neue Bekanntschaften zu machen. Im Gegenteil, die meiste Zeit hat sie stets alleine verbracht, sei es durch ihre riskanten Spaziergänge, oder durch die Tatsache, dass sie ihr Zimmer sonst kaum verlässt. Ich dachte, sie würde sich selbst verlieren und habe auf meine Weise versucht, sie da wieder rauszuholen.“ „Wie meinen Sie das?“, hakt der Beamter nach und sie meint darauf: „Ich dachte zum Beispiel, dass ein neuer Look ihr mehr Weiblichkeit und auch mehr Selbstvertrauen geben würde, aber meine Bemühungen dazu hat sie stets abgelehnt. Manches Mal sogar verteufelt.“ Tante Tina blickt mich nun an. In ihren glasigen Augen sammeln sich Tränen, bis sie sich schließlich schluchzend um meinen Hals wirft und sich immer wieder bei mir entschuldigt: „Es tut mir leid so Bernadette! Hätte ich dir doch nur zugehört! Vielleicht hätte ich dir dann wirklich helfen können! … Aber glaub mir Liebes, ich bin für dich da! Ich lasse dich nicht im Stich!“ Ohne die Kraft zu haben, irgendetwas zu erwidern, bleibe ich einfach stumm und lasse mich von meiner Tante fest umarmen. Ich starre sogar einfach in die Leere, während mir die eine oder andere Träne an meinen Wangen herunterkullert. Zum ersten Mal in meinen Leben habe ich sie so erlebt. Sonst kenne ich sie als starrsinnige Frau und endlich hat sie gesehen, wie beschissen ich mich fühle und wie sehr ich mich Geborgenheit und nach der Familie sehne. Dennoch bin ich mit allem überfordert. Ich kann kaum äußern, was tief in mir vor sich geht. Allein der Gedanke daran, dass ich sonst immer als Teenager gehalten worden bin, welcher einfach vom Pfad abgekommen ist, ist nun endlich aufgeklärt worden. Diese Maske, die mir einfach so aufgesetzt worden war, gibt es nicht mehr und meine vergeblichen Bemühungen, sie und den Rest der Familie vom Gegenteil zu überzeugen, ist nun endlich nicht mehr notwendig. „Nun, ich möchte diesen Moment nur ungern stören, aber wir müssen weitermachen. Es gibt noch einige Fragen, die zu klären sind.“, unterbricht der Polizist uns nun, obwohl meine Tante nicht einmal daran denken will, ihre Umarmung jetzt zu lösen. Das zeigt sie, indem sie mich sogar kurz noch dichter zu sich drückt, aber dann höre ich sie, wie sie seufzt und schließlich ihre Arme um mich lockert. Sanft streicht sie dabei meine linke Wange und bemüht sich, zu lächeln. Dies sieht der Beamter wiederum als Aufforderung, mich nun zu fragen, wie sonst mein Alltag aussehen würde und in welcher Beziehung ich zu mancher meiner Klassenkammeraden stehe. Allerdings fühle ich mich gerade nicht wirklich imstande, noch irgendetwas von mir zu geben. Ich bin einfach nur überlastet. Meine Nerven fahren gerade Achterbahn und mein gesamter Körper ist immer noch verkrampft, sodass ich mich kaum bewegen kann. Ich habe einfach nur noch das Bedürfnis, in Ruhe gelassen zu werden. Wie lange sitzen wir eigentlich schon hier? Mir kommt es vor, als würde ich schon seit Stunden in diesem trostlosem Raum verbringen und ich sehne mich einfach nur noch danach, endlich wieder nach Hause gehen zu können. Mein Blick fällt auf die verschlossene Tür, während ich weiterhin stumm bleibe. Selbst eine weitere Aufforderung seitens des Mannes, dass ich quasi noch einige Informationen rausrücken soll, ändert nichts an meine momentane Lage. „Also gut, ich sehe keinen Sinn daran, dieses Gespräch jetzt noch fortzuführen. Ich bitte aber die Damen sich für weitere Fragen bereitzuhalten.“, sagt der Polizist schließlich und beendet somit das Gespräch. Ich hingegen atme erleichtert auf, dass wir nun entlassen werden und ich möchte einfach nur noch gehen. Erschöpft stehe ich schließlich auf und folge meiner Tante aus dem Verhörraum. Noch sprechen wir miteinander kein Wort und wir hätten in Moment auch nicht die Chance dazu gehabt, denn schon bleibt mir in diesem Augenblick die Luft weg. Als ich gerade zum anderen Ende des Ganges sehe, bemerke ich dieses Miststück, welches währenddessen mit einem seltsamen Mann an ihrer Seite auf mich zumarschiert. Wie auf dem Laufsteg stolziert sie mit ihren Stöckelschuhen umher, sodass jeder Schritt hallt und deutlich hörbar ist. Dabei wirkt diese fiese Schlange noch arroganter als sonst und sie hat noch die Frechheit mit erhobenen Haupt auf mich zuzugehen, als wenn sie das alles hier nicht betreffen würde und „nur zu Besuch“ wäre. Gerade wo in mir Angst, Scham und Erschöpfung mein Herz umschlungen haben, so hat sich nun in mir die Wut breitgemacht. Ich spüre förmlich, wie die Adern an meinen Händen anschwellen, während ich diese fest zu Fäusten zusammenballe. Am liebsten würde ich ihr sämtliche Worte an den Kopf werfen, bei der ihr Hören und Sehen vergehen würde. Vielleicht würde ich noch mehr tun und dennoch bleibe ich still. Selbst als sich mich bewusst anrempelt, reagiere ich nicht. Doch das hat einen anderen Grund. Denn für einige Sekunden, in der unsere Gesichter ganz nah beieinander waren, flüsterte sie mir in einem zischenden Ton zu: „Dafür wirst du bluten.“ Mehr sagte sie nicht, sondern schwenkt ihren blonden Lockenkopf wieder geradeaus und würdigt mir keines Blickes mehr. Sie marschiert einfach mit dem Anzugträger weiter, als wenn nichts passiert wäre. Ich dagegen schaue ihr nur hinterher und schüttle verständnislos und zornig zugleich leicht den Kopf. Sie hat mir tatsächlich gedroht. Obwohl sie nun selbst tief in der Tinte sitzt, bleibt sie dennoch selbstbewusst und wagt es diese Worte zu mir zu sagen! Ich kann es einfach nicht fassen und ich wäre noch länger so dagestanden, hätte Tante Tina mich nicht sanft an der Hand gepackt und leicht in die andere Richtung gezerrt. „War das diese Lucinda, von der du erzählt hast.“, fragt sie mich nach einer Weile des Schweigens und ich nicke nur darauf. Vermutlich hätte sie mich noch weiter etwas dazu befragt, aber als wir gerade das Gebäude verlassen, sehe ich April O'neil, wie sie ihr Fahrrad an einem Ständer festmacht. „April?“, kommt es mir geschossen aus dem Mund und die junge Frau dreht sie schlagartig zu mir um. Ihr Gesicht strahlt förmlich, als sie mich sieht und schon kommt sie auf mich zugestürmt. Dabei werde ich sofort fest umarmt und sie fragt mich sogleich, wie es mir denn gehen würde. Zunächst bin ich noch überrascht. Ich habe ehrlich gesagt auch nicht damit gerechnet sie hier zu sehen, weswegen ich ihr auch gleich diese Gegenfrage stelle: „Es geht so, aber was ... ?“ Die Frage an sich kann ich nicht zu Ende bringen, allerdings kommt mir April so und so zuvor und meint darauf: „Ach, ich bin wegen dir hier, um eine Aussage zu machen. Denn schließlich weiß ich ja von deinem Internetproblem und die da drin wollen halt mehr dazu wissen.“ April zwinkert mir nun zu und während ich ihr zuhöre, habe ich gar nicht bemerkt, wie Tante Tina verwirrt neben mir steht und mich schließlich leicht anstupst. „Woher kennst du bitte April O'neil?“, flüstert sie mir ins Ohr, was aber bei der ehemaligen Reporterin nicht unbemerkt bleibt. Ich habe nicht einmal den Mund öffnen können, schon übernimmt April schon das Reden für mich. Höflich gibt sie meiner Tante die Hand und klärt sie schließlich auf: „Ah, dann sind Sie wohl Bernadettes Tante. Freut mich Sie kennenzulernen. … Bernadette und ich sind seit einiger Zeit gute Freunde. Ich traf sie bei einem ihrer Spaziergänge, wo wir ins Gespräch kamen. Sie müssen wirklich stolz auf Ihre Nichte sein, denn schließlich hat sie wegen dieser Sache tapfer durchgehalten. … Apropos, ich sollte besser hineingehen. Die werden ja nicht ewig auf mich warten. Also dann … Ach ja Bernadette! Bevor ich es vergesse. Was hältst du davon, wenn wir uns ca. in zwei Stunden treffen? Dann kommst du mal auf andere Gedanken. Bis später!“ So schnell, wie sie gekommen ist, so schnell ist sie auch wieder verschwunden und auf ihre Frage hin konnte ich am Ende nur schnell nicken, bis sie dann die Tür wieder hinter sich geschlossen hat. April ist schon ein Kapitel für sich. Also manchmal ist sie wirklich wie ein Wirbelwind, aber vielleicht musste sie das ja in ihrem Beruf sein. Ich weiß zwar nicht, warum sie nicht mehr als Reporterin arbeitet, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass das mit den Jungs zu tun hat. Gefragt habe ich bisher noch nie danach, weil es mich im Grunde auch nichts angeht, aber für diesen einen Augenblick ist es für mich schon komisch, dass sie gerade in diesem Job nicht mehr tätig ist. Dabei scheint dieser genau zu ihr zu passen. Doch der Gedanke verschwindet schnell wieder, als mich Tante Tina wieder in das Hier und Jetzt zurückholt. Nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, ist sie nicht nur erstaunt, sondern auch verwirrt. Ok, Aprils Erklärung über unsere Bekanntschaft ist nicht der Realität entsprechend und dennoch wirkt sie realistischer als die Wahrheit. Denn erst durch die Brüder konnte ich auch April kennenlernen und ich bin ehrlich gesagt sogar sehr froh darüber. Sie mag zwar um einige Jahre älter sein als ich, aber sie hat mich, seit ich sie kenne, nie als Kind oder dergleichen behandelt. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich mich trotz der wenigen Male, in der wir uns gesehen haben, so gut mit ihr verstehe. So bin ich ihr wegen dieser Notlüge auch sehr dankbar. Auch dass sie mir wegen der Mobbingsache geholfen hat, schätze ich sehr und auch jetzt greift sie mir wieder unter die Arme. Vermutlich wird sie den Beamten sagen, dass ich sie angerufen und um Hilfe gebeten habe. Es würde Sinn machen und ich muss sie später unbedingt fragen, was sie bei ihrer Aussage gesagt hat. Jedes noch so kleine Detail ist wichtig. Schließlich ist bei mir das Gespräch abgebrochen worden und beim nächsten Mal werde ich mit Sicherheit auf April angesprochen. Daher muss ich alles von ihr wissen, um ja keinen Fehler zu machen, was unsere gemeinsamen Freunde betrifft, aber vielleicht ist das genau der Grund, wieso sie sich später mit mir treffen will. Allein schon wie sie das mit Donnie erklären will, der in meinem Fall auch seine Finger im Spiel hatte, interessiert mich. Ich weiß nicht einmal, ob das Genie nicht doch noch irgendetwas ausgetüftelt hat, damit man die Spur ja nicht zu ihm zurückverfolgt. Gestern konnte ich ihn nicht fragen, da ich ohnehin nicht einmal daran dachte. Jetzt aber interessiert es mich umso mehr. Herausfinden werde ich es aber wohl erst, wenn es soweit ist und bis dahin muss ich abwarten. Schließlich folge ich nun meiner Tante bis zum Auto und steige ein. Während der Fahrt über schweigen wir wieder und ich habe auch nicht das Bedürfnis zu reden. Für heute habe ich genug gesagt. Bereit, dass ich mich überwinden und denen den gestrigen Ablauf schildern musste, hat mir genug Kraft gekostet. Ich fühle mich so ausgelaugt, so leer und so müde. Als könnte ich wie Dornröschen höchst persönlich 100 Jahre schlafen. Gedankenversunken sehe ich aus dem Fenster, wobei ich kaum auf die Umgebung achte. Viel mehr starre ich durch sie hindurch, als wäre alles nicht wirklich da, während ich weiterhin über die letzten Stunden nachgrüble. Es gibt nun mal die eine Frage, die sich weiterhin hartnäckig an mich klammert und zwar: Was wird dann auf mich zukommen? Beantworten kann mir das keiner, das weiß ich und egal wie oft ich mir selbst gut zurede, oder mir von anderen Mut gemacht wird, allein dieser Gedanke bereitet mir Sorgen. Auf einmal hält das Auto an und überrascht bemerke ich, dass wir bereits das Ziel erreicht haben. Tante Tina und ich stehen vor unserem Haus. Ich bin so sehr in Gedanken gewesen, dass ich gar nichts mehr mitbekommen habe, aber irgendwie erscheint es mir nicht einmal wichtig. Ich will schon aussteigen, als ich plötzlich Tante Tinas Hand spüre. Augenblicklich sehe ich sie an und merke wie ihr Gesicht wieder diesen traurigen und besorgten Blick zeigt. Doch ihre Augen spiegeln neben den kommenden Tränen noch mehr und das ist Selbstvorwurf. „Es tut mir leid.“, flüstert sie, ich jedoch reagiere nicht darauf. Ich habe einfach das Gefühl, dass sie mir noch mehr sagen will, weswegen ich einfach abwarte und schon spricht sie weiter: „Es tut mir so leid Bernadettchen. Wie oft hast du mir schon gesagt, dass du dich in der Schule nicht wohlfühlst und ich habe dir jedes Mal Vorwürfe gemacht. … Ich dachte, dass wäre einfach eine Ausrede für dein Verhalten. Du wurdest immer verschlossener und bist, außer deinen einsamen Spaziergängen, immer in deinem Zimmer geblieben. Ich dachte, es wäre so eine Art Phase, vor der ich die beschützen muss, indem ich dich für das Leben ändere und doch habe ich es schlimmer gemacht. … Du musst mich wohl hassen.“ Ab hier schweigt sie wieder. Wo sie mich noch mit glasigen Augen angesehen hat, meidet sie nun meinen Blick und lässt mich auch schließlich los. Vermutlich wartet sie nun darauf, dass ich sie nun mit Vorwürfen strafe, sie beschimpfe, oder ihr sonst irgendwie meine Wut zum Ausdruck bringe. Eigentlich hätte ich auch allen Grund dazu. Immerhin zwang sie mich zu Dingen, die mich noch mehr einengten, als das ich mich schon bereits gefühlt hatte und so oft war ich sauer auf sie. Sie wollte mich einfach nicht verstehen und erst seit die Mobbingsache raus ist, sieht sie mich nun mit anderen Augen. Ich müsste ihr all dies an den Kopf werfen und doch tue ich es nicht. Irgendwie empfinde ich keinen Groll für sie, viel mehr Mitleid. Denn schließlich wollte sie mir nie etwas Böses. Wir waren einfach nie auf der gleichen Wellenlänge und lebten aneinander vorbei. Klar hätte sie mir mal zuhören sollen und demnach versuchen sollen, mich zu verstehen, aber ich kann mir einfach nicht helfen. Jegliche Wut ihr gegenüber ist kaum mehr wahrnehmbar, als wäre sie sogar unbegründet gewesen. Vielleicht, weil sie wirklich nur das Beste für mich wollte, es aber auf einen anderen Weg nicht konnte. Ich weiß es nicht und ich verstehe es auch nicht, aber eines weiß ich: Mein Zorn gilt viel mehr Lucinda, denn immerhin ist sie die Wurzel allen Übels. Anstatt also meine Tante anzukeifen, ergreife ich sanft ihre rechte Hand und meine schließlich: „Nein, ich hasse dich nicht. Das könnte ich nicht. … Aber vielleicht ist das nun eine Möglichkeit, in der wir die Seite umblättern und ein neues Kapitel aufschlagen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)