TMNT - Schicksal? von Pamuya_ ================================================================================ Kapitel 17: Wenn die Gefühle stärker werden ------------------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: „Füge dich, oder du wirst es bitter bereuen! Nimm diese Warnung ernst, sonst wird es dir schlecht ergehen!“ – Das sind die Worte, welche in diesem ominösen Brief stehen. Wie vom Donner gerührt, stehe ich mir weit aufgerissenen Augen da und starre in den Spiegel. Im ersten Augenblick, als ich diese Nachricht entziffert habe, habe ich das Gefühl, als würde ich gerade so weiß wie die Wohnzimmerwand werden, während mir der Boden unter den Füßen weggerissen wird. Ich schlucke, denn ich habe tatsächlich eine Drohung erhalten, die bis zu mir nach Hause gelangt ist. Besser gesagt, diese lag buchstäblich vor meiner Haustür. Dass ich sonst in der Schule mit diesen kleinen Zettelchen genervt werde, in den öfters mal einer „Warnung“ zu finden ist, ist nichts Neues für mich. Wenn mir solch eine „Mitteilung“ nicht einmal an den Nerven kratzt, so kann ich diese sogar verdrängen, während ich sie mit einem Achselzucken in den nächsten Mistkübel schmeiße und keinen weiteren Gedanken mehr darüber verschwende. Das hier allerdings ist etwas völlig Anderes! Nie! Im meinem ganzen Leben wurde ich von meinen Mitschülern bedroht, während ich in meinen eigenen vier Wänden war! Hier bin ich, mehr oder weniger, in meinem schützenden Rückzugsbereich, zu dem niemand von außen Zutritt hat und nun ist dieser mit einem Mal durchbrochen worden! Ein Gemisch aus Angst und Zorn breitet sich in meinem ganzen Körper aus. Wobei diese Gefühle mehr einer Flutwelle gleichen, in der ich drohe zu ertrinken. Noch dazu kann ich gar nicht unterscheiden, welches von ihnen gerade mehr dominiert. Während meine Wut nach Vergeltung schreit, will sich die Angst am liebsten in den finstersten Winkel verkriechen und auch dort für immer bleiben. Momentan weiß ich nur eines und zwar, dass das langsam zu weit geht! In der Schule kann mich dieses Miststück ruhig terrorisieren. Da bin ich ihr so und so ausgeliefert. Ich habe ja in diesem Irrenhaus doch eh keine Chance, wenn ich alleine kämpfen muss, aber hier will ich verdammt noch mal meine Ruhe haben! Was hat diese Tussi überhaupt eingenommen?! Hat sie etwa zu viel von ihrem Nagellack inhaliert, sodass sie auf eine solch bescheuerte Idee kommen musste?! Wenn ich könnte und sie würde gerade vor mir stehen, so würde ich dieser Schlange solange in die Fresse hauen, sodass man sie nicht mehr wiedererkennen kann! Dieses Miststück kennt doch wirklich keine Grenzen! Woher weiß sie eigentlich, dass ich hier wohne? Das habe ich noch nie in meinen Leben erwähnt. Besonders Lucinda gegenüber würde ich das niemals über die Lippen bringen. Da würde ich mir noch eher eine Bratpfanne ins Gesicht klatschen lassen, ehe ich auch nur auf solch eine bescheuerte Idee kommen würde. Nur wie hat sie das herausbekommen? Sie muss es gewesen sein, denn kein anderer hasst mich so sehr wie sie. Ich bin quasi ihre Erzfeindin, außer sie hat noch jemandem, von dem ich einfach nur nichts weiß. Jedoch ist das im Moment vollkommen irrelevant. Es geht schließlich um mich und um darum, dass sie mir jetzt auch noch in meinem eigenen Zuhause auflauert. Als wenn es nicht bereits genug wäre, dass ich ihr in der Schule kaum entkommen kann. Unruhig gehe ich im Badezimmer auf und ab. Dabei kaue ich immer wieder an meiner Unterlippe, während ich weiter nachgrüble. Ich verstehe das einfach nicht! Wie konnte dieses Miststück das nur herausfinden? Moment mal! Was ist, wenn es nicht Lucinda selbst gewesen ist, die heimlich bei mir Zuhause aufgetaucht ist? Was ist, wenn jemand von ihr beauftragt wurde, dies zu tun? Nur wer könnte das sein? Auf die Schnelle will mir gerade niemand einfallen. Es muss auf jeden Fall wer anderer gewesen sein. Diese Theorie wäre zumindest noch eher vorstellbar, als wenn die Schlampe höchst persönlich hier angetänzelt wäre. Sie ist einfach nicht der Typ dafür, welcher sich die Hände schmutzig machen würde. Nicht selten hat sie dies bereits schon unter Beweis gestellt und ihre Handlanger vorgeschickt. Allein schon die Tatsache, dass diese Warnung per PC geschrieben worden ist und dann auch noch bearbeitet wurde, damit man sie nur mit Hilfe eines Spiegels entziffern kann, ist mit Sicherheit nicht durch ihre Hände entstanden. Klarerweise klingen die Worte sehr nach ihr. So abgebrüht ist immerhin nur sie, aber selbst wenn man sich nur die Mühe dafür vor Augen hält, kann es einfach nicht diese Möchtegernkönigin selbst gewesen sein. Dafür ist sie viel zu faul und zu eingebildet. Auch würde sie niemals extra persönlich zu mir nach Hause fahren, nur damit der Brief direkt vor meine Haustür landet. Da hätte sie wohl etwas Anderes gemacht, was viel persönlicher ist. Stellt sich nur die Frage, wer da wirklich dahintersteckt. Wer hätte die Kenntnis und auch die Möglichkeit dies zu tun? Merkwürdigerweise komme ich mir gerade wie in einem Krimiroman vor, in der ich jetzt gezwungener Weise eine Detektivin spielen muss. Allerdings habe ich gerade nicht den Nerv dafür. Momentmal, was ist mit Madison? Mein Gott bin ich blöd! Wieso bin ich nicht schon eher darauf gekommen?! Ich bin vielleicht ein Hornochse! Das ergibt doch mehr als nur einen Sinn! Schließlich war sie einst meine Freundin und war in unseren Kindheitstagen manchmal bei mir Zuhause! Daher muss sie es gewesen sein! Noch dazu war sie diejenige, die mich heute Morgen aufgehalten und mich wegen dem beschissenen Geschichtstest angeschwafelt hat. Ich erinnere mich noch, wie sie mich angeschrien und mir sogar vorgeworfen hat, dass ich quasi den größten Fehler meines Lebens begangen hätte. Ihrer Meinung nach hätte ich zu diesem Miststück hingehen und mich sogar entschuldigen müssen! Nur war meine Antwort darauf klipp und klar ein pures und überzeugtes NEIN! Denn sie kann mich mal kreuzweise! Allerdings sollte ich meine Wut jetzt kurz zur Seite schieben und mich auf das Wesentliche konzentrieren. Es könnte immerhin gut möglich sein, dass Madison nach unserer „Unterhaltung“ wie ein gehorsames Hündchen zu ihrer „Hoheit“ gegangen ist und mich dort bei ihr angeschwärzt hat. Vermutlich hätte Lucinda ihr anschließend befohlen, mir bei einem günstigen Zeitpunkt diesen Drohbrief zu hinterlassen und wahrscheinlich hat dieses Miststück sogar gewusst, dass ich wahrscheinlich so reagieren würde. Ach was, wie soll diese Pute das überhaupt sehen?! Das ist nur lächerlich! Denk mal nach Bernadette! Allerdings ärgere ich mich momentan. Zudem sind dies nur reine Spekulationen und ich habe außerdem keine Beweise. Noch dazu hätte ich Madison niemals zugetraut, dass sie wirklich sowas tun würde. Sie war immerhin schon in unserer damaligen Clique die Ruhigste und Besonnenste gewesen. Man könnte sogar fast sagen, dass sie in der Runde „das süße Lämmchen“ war, welches niemandem etwas Böses wollte, aber niemals hätte ich damit gerechnet, dass sie mich jetzt so sehr hassen würde. Was habe ich ihr nur getan, dass aus ihr solch eine hinterlistige Furie wurde? Ich kann mir nicht helfen, aber je sehr meine Vermutung bezüglich Madison stärker wird, desto mehr hängt sich auch der Zweifel daran. Wahrscheinlich liegt es aber daran, dass ich zu sehr an Vergangenheit hänge. Denn besonders, wenn das Thema „alte Freunde“ in mir hochkommt, spielt sich in mir eine Achterbahn ab, welchen ich einfach niemandem zumuten würde. Es tut einfach immer noch weh und gerade jetzt spüre ich es wieder. Damals war es einfach schön und nicht selten sehne ich mich nach diesen Tagen. Als sich dann auch noch eine Träne aus meinen linken Auge bahnen möchte, wische ich diesen sofort wieder weg und setze dafür einen zornigen Blick auf. Ich will einfach nicht darüber „trauern“, geschweige auch nur darüber nachdenken. Weswegen ich mich bemühe, meine Gedanken wieder auf dem Brief zu lenken. Was für eine bescheuerte Idee und Lucinda hat es auch noch geschafft, dass mich das auch noch irgendwie innerlich zerreißt. Vermutlich hat sie sich genügend Krimis reingezogen, sodass sie sich erhofft hat, dass das auch bei mir etwas bewirken würde. Leider ist dies auch so gekommen, da hilft kein Abstreiten. Nur will es mir nicht aus dem Kopf, dass Lucinda in der Schule ein viel leichteres Spiel mit mir gehabt hätte. Gerade heute wurde ich einfach ignoriert und dabei hätten die Handlanger dieser Verrückten mir locker auflauern können. So wie es auch sonst stätig der Fall war und ich deswegen ständig auf der Hut sein musste. Was plant sie nur mit dieser Aktion? Wenn sie mich damit einfach unsicher machen, hat sie das schon mal geschafft, denn ich bin es bereits. Doch ich bin nicht nur unsicher, ich bin auch stinksauer! Ich bin sauer wegen diesem Drohbrief und ich bin auch stinkwütend, dass ich ausgerechnet bei mir Zuhause belästigt werde. Nur weil ich mich geweigert habe, ihrer „Hoheit“ zu gehorchen und sie alle das nicht kapieren wollen, habe ich jetzt das Nachsehen. Was will dieses Miststück überhaupt von mir, wenn sie eh schon die High-School mindestens zu 95% in ihrer Gewalt hat? Da bin ich im Vergleich dazu nur ein kleines Licht am Kronleuchter, aber das rafft sie einfach nicht! Zähneknirschend knülle ich das Papier zwischen meinen Fingern zusammen und will es am liebsten wutentbrannt in den nächsten Mistkübel schmeißen, damit es mir nicht länger ein Dorn im Auge ist. Ich habe schon meinen rechten Arm gehoben und mich zum Werfen bereitgemacht, als ich mitten in der Bewegung innehalte. Ich kann zunächst gar nicht beschreiben, was in mich gefahren ist. Dabei hätte ich allen Grund dazu, damit ich das nicht mehr sehen muss, auch wenn sich der Text bereits in mein Hirn eingeprägt hat. Irgendwie habe ich gerade das Gefühl, dass das jetzt falsch ist, wenn ich es wirklich tue. So dumm es auch klingen mag. Vielleicht sollte ich es behalten und als Beweisstück aufbewahren. Denn all die anderen Drohbriefchen habe ich bereits in der Schule „vernichtet“, oder sie schlicht und einfach weggeworfen. Jetzt würde ich zumindest einen Beweis in meinen Händen halten und Mom hat den Umschlag sogar gesehen. Noch dazu wird das hier mit Sicherheit nicht die letzte Warnung gewesen sein. Ich befürchte einfach, dass noch mehr von dieser Sorte kommen wird. Wer Lucinda irgendwie kennt, der weiß das. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Nur was soll ich damit machen? Am besten ist es wahrscheinlich, wenn ich es in meinem Zimmer verstecke, bis ich es wirklich brauche. Wer weiß, vielleicht kann mir dieses zerknüllte Papier doch noch nützlich sein. Auch wenn es mich momentan mehr als nur aufregt und ich es am liebsten in tausend Stücken zerreißen möchte. So verlasse ich schließlich das Badezimmer und marschiere auf direktem Wege in mein Zimmer. Mein Blick fällt als Erstes auf mein Bett. Denn darunter habe ich ein paar kleine Kisten verstaut, die normalerweise für Erinnerungen gedacht sind. Im Gesamten hat sich dort unten eine kleine „Sammlung“ angehäuft, welche ich gerne für Verstecke und für persönliche Dinge nutze. Ich habe die ersten beiden Kisten schon zur Seite geschoben, als ich eine kleinere Version aufhebe und diese öffne. Sie ist leer. Eigentlich war sie für Fotos gedacht, die ich mal bei meinen späteren Reisen machen werde, aber jetzt soll sie mal für etwas Anderes dienen. So verstaue ich darin den Drohbrief und stülpe schnell wieder den Deckel darüber. Als wäre darin ein böser Geist, der sofort sein Gefängnis verlassen würde, müsste dies nicht sofort wieder verschlossen werden. Ich habe eindeutig zu viel Fantasie, aber was soll ich machen? Ich bin nun mal so. Seufzend und auch erleichtert aufatmend setze ich mich auf mein Bett. Als ich dann meinen Blick umherschweifen lasse, merke ich gerade, dass es bereits dunkel ist. Seltsam, in der ganzen Hysterie ist mir gar nicht aufgefallen, dass wegen diesem idiotischen Brief so viel Zeit vergangen ist. Wie lange ich wohl darüber nachgegrübelt habe? Wohl viel zu lange, wie man hier sieht, aber was soll´s. Ich bin einfach nur froh, dass ich dieses „Ding“ momentan nicht mehr sehen muss und am liebsten soll das auch so bleiben. Es soll dort unten verotten! Kaum aber, dass ich gerade bereit bin, meine Gedanken über andere Themen schweifen zu lassen, damit ich mich von diesem Schock erst einmal wieder erholen kann, höre ich ein bekanntes Geräusch. Aus purer Reaktion drehe ich mich automatisch in die Richtung und meine Stimmung verändert sich schlagartig. Statt Zorn verspüre ich nun große Freude und gerade er ist genau das, was ich jetzt mehr als nur dringend brauche. Raphael sieht gerade zu mir hinein und ich eile zum Fenster. Meinen Ärger und meinen Kummer habe ich einfach zur Seite geschoben und sogar ein wenig vergessen. „Hey!“, ist das Erste, was mir über die Lippen kommt, als ich lächelnd das Fenster öffne. Der Turtle mit der roten Maske erwidert dies mit einer ähnlichen Begrüßung und streckt mir schon seinen Arm entgegen. Jedes Mal, wenn ich sein Gesicht sehe, spüre ich förmlich, wie mein Herz vor Freude auf- und abspringt. Seine goldgelben Augen strahlen wie Sonne und dabei habe ich auch noch dazu den Eindruck, dass aus ihnen eine angenehme Wärme ausgeht. Allein wenn ich ihn so ansehe, fühle ich mir geborgen und wenn ich in seinen Armen liege, glaube ich sogar über Wolken zu schweben. Es ist einfach ein herrliches Gefühl, welches ich nicht missen möchte und seitdem nun hoffentlich wieder Frieden in der Kanalisation herrscht, ist es einfach schön, meinen Freund wiederzusehen. Er gibt mir einfach das Gefühl, dass ich willkommen bin und dass ich einfach ich selbst sein kann. Zudem möchte ich einfach bei ihm sein. Am liebsten wäre es mir auch, wie könnten uns auch bei Tageslicht sehen. Da es aber nicht geht, sehne ich mich umso mehr die Dämmerung herbei und dann bin ich einfach nur glücklich. So ist es auch diesmal, als er mit mir wieder unterwegs ist und über den Dächern springt. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich mich bei jemandem so wohl und sicher fühle, so wie es bei ihm einfach ist. Wobei mir dieses Gefühl nicht ganz unbekannt ist. Ich glaube, dass ich das einst bei meinem Vater gefühlt habe. Auch wenn es vielleicht nur ein ähnliches Gefühl war, aber dennoch genoss ich jede Sekunde davon. Leider kann ich mich nicht mehr so gut daran erinnern, wie es damals bei meinem Dad war. Es wäre auch nicht verwunderlich, da es schon etwa zehn Jahre her ist. Je mehr Zeit verstrich, desto mehr erscheint es mir manchmal, dass die Angst, ihn vollkommen zu vergessen, größer wird. Wenn ich wieder dieses Gefühl habe, so versuche ich es zwanghaft zu verhindern, indem ich zum Beispiel alte Fotos ansehe und an die vergangenen Tage denke. Ich erinnere mich einfach gerne an die schönen Momente, die ich mit meinem Vater erleben durfte. Irgendwie habe ich sogar seinen Dickschädel geerbt, wenn nicht auch die eigene Art Dinge zu sehen, die für die meisten unvorstellbar sind. Das soll jetzt nicht heißen, dass ich bei meiner Mom nie diese Geborgenheit gespürt habe, aber bei ihr ist es einfach anders. Ich kann es nicht gut erklären, vielleicht hat das mit der jeweiligen „Aura“ zu tun, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Eines weiß ich allerdings. So wie damals wie auch jetzt ist das, was ich im Moment empfinde, ein eigenes und spezielles Gefühl, was ich kaum beschreiben kann. Als würden mir schlicht und einfach dazu die Worte fehlen. Das Ironische und vielleicht auch das Besondere daran ist, dass ich das bei einem Mutanten fühle. Es ist einfach mehr, als eine „einfache“ Freundschaft zwischen uns beiden. Uns verbindet einfach viel und doch sind wir wieder so verschieden. So kompliziert es auch klingen, Raphael ist mir wichtig und er bedeutet mir sehr viel. Hätte mir jemand allerdings vor einem Jahr gesagt, ich würde eines Tages jemandem wie ihn über den Weg laufen, dann hätte ich denjenigen sofort für verrückt erklärt. Umso schöner ist es jetzt für mich, dass es so gekommen ist und dass ich mit ihm in der Nacht unterwegs sein kann. Nach einer Weile lässt er mich wieder runter und diesmal muss ich geschockt feststellen, dass er mich auf einem der hohen Steinpfosten der Brooklyn Bridge abgesetzt hat. Etwas eingeschüchtert über die enorme Höhe und über die geringen Ausmaße der Plattform, klammere ich mich blitzartig an Raphaels Arm fest, während dieser nur belustigt zum Kichern anfangt. „Was ist daran jetzt bitte so lustig?!“, gifte ich ihn mal kurz an und schaue ihn auch dementsprechend ins Gesicht. Doch der Typ hat nichts Besseres zu tun, als weiter zu lachen und mich dann auch noch an sich zu drücken. „Müsstest du das nicht schon gewohnt sein, so oft wie ich dich schon durch die Gegend geschleppt habe.“, meint er mit einer amüsanten Art, worauf ich nur die Arme verschränke. „Klingt ja so, als würde es dich stören, mich zu tragen.“, erwidere ich, wobei man bei meiner Bemerkung einen starken sarkastischen Unterton heraushören kann. Ich bin zwar froh darüber, dass er seit dem letzten Mal diese miesepetrige Art abgelegt hat. Die so nebenbei sogar nicht zu ihm passt, aber das hier muss nun wirklich nicht sein. Ich habe zwar keine Höhenangst, aber dieser Ort hier lässt meinen Magen doch etwas unruhig werden und das ist nicht das Einzige, was sich in meinem Körper meldet. Meine Muskeln fangen sogar an, sich leicht zu verkrampfen. Außerdem ist diese Stelle, an der er mich gerade abgesetzt hat, mehr als nur etwas restaurierungsbedürftig. An manchen Bereichen bröckelt sogar etwas von dem Gestein ab und besonders die Ecken und Kanten wirken sehr abgenutzt. Naja, wenn man berücksichtigt, dass diese Brücke immerhin 365 Tage im Jahr der Temperatur und dem Wetter ausgesetzt ist, hat sie sich eigentlich all die Jahre gut gehalten. Dennoch wäre es mal nicht verkehrt, auch den Rest mal wieder in Schuss zu bringen. „Ein bisschen mehr mitzuschleppen, hält einem halt fit.“, schmunzelt Raphael auf ähnlicher Weise und ich entgegne ihm: „Als wenn ich so schwer wäre. Im Vergleich zu dir, bin ich eine Feder. Außerdem, du weißt schon, dass du das nicht musst, oder?“ Armeverschränkend und leicht grinsend erwarte ich nun einen Konter von ihm. Irgendwie sie wir beide wieder einmal in einem „Sarkasmus-Duell“ gelandet und es ist für mich eine herrliche Abwechslung. Doch anstatt dass Raphael in seine „Sarkasmus-Kiste“ greift und gegen meine letzten Worte etwas Neues parat hat, reagiert er überraschenderweise vollkommen anders. Er geht einfach mehr in Richtung Kannte und dreht sich dann mit seinem Gesicht zu mir um. „Na wenn das so ist.“, sagt er auf einmal mit einem Achselzucken und lässt sich im nächsten Augenblick einfach grinsend nach vorne fallen. Geschockt, verwirrt und mit weitaufgerissenen Augen starre ich ihm zunächst hinterher, ehe sich meine Beine endlich in Bewegung setzen und ich zum Rand des Steinpfostens eilen kann. Angsterfüllt schaue ich in die Tiefe und kralle dabei meine Hände tief ins Gestein fest, um nicht zu sehr nach vorne zu kippen. Wild bewege ich meinen Kopf hin und her und versuche ihn zu finden, aber ich sehe ihn nicht! Ich erkenne nur wage die kleinen Fahrzeuge, die unbeirrt auf der Brücke fahren und das tiefe, schwarze Wasser. „Raphael!“, rufe ich schon verzweifelt nach ihm. Wo ist er nur?! Wieso hat er sich plötzlich fallen lassen?! Ich bin gerade im Begriff, noch ein weiteres Mal nach ihm zu rufen, als ich nach einigen Sekunden plötzlich von hinten an der Schulter gepackt werde. Für einen kurzen Augenblick erschrocken, wende ich meinen Blick nach hinten und sehe, wie der Turtle mit der roten Maske mich grinsend ansieht. Als wenn nichts gewesen wäre, schaut er mich wie ein Unschuldslamm an und hat immer noch dieses dämliche Grinsen im Gesicht. Ist er noch zu retten?! Der hat sie doch nicht mehr alle! Oh Mann, dir wird noch das Lachen vergehen Freundchen! Wild drehe ich mich ganz zu ihm um, während ich gleichzeitig aufstehe und ihn dann mit beiden Händen gegen seine Brust schlage. „Sag mal, bist du noch zu retten?! Willst du, dass ich einen Herzinfarkt bekomme, oder was?! Du spinnst doch!“ Unbekümmert von meinen Worten umarmt er mich einfach und lacht dann: „Sollte nur ein Scherz sein.“ „Ein Scherz?! Wenn ich lachen soll, dann lass diesen Mist und überleg dir was Anderes! Ich dachte schon, dass dir was passiert wäre! … Und da heißt es, dass Mikey auf bescheuerte Ideen kommt! Du bist da anscheinend nicht viel besser!“, schimpfe ich immer noch und drehe mich dann von ihm weg, nachdem ich mich von seiner Umarmung befreit habe. Der hat doch wirklich einen Knall, mir so einen Schrecken einzujagen! Ich hasse solche „Scherze“! Was wäre, wenn ihm wirklich was passiert wäre. Ich hatte richtige Angst um ihn. Schon spüre ich, wie er seine Hände auf meine Schulter legt, aber ich reiße mich davon los und gehe noch einen Schritt nach vorne, während ich daraufhin noch immer erzürnt erwidere: „Ach lass mich!“ „Sorry.“, kommt es nun vorsichtig aus seinem Mund, wobei ich mir sicher bin, dass er darüber immer noch schmunzelt. Ich kann es ja nicht sehen, da ich ihm immer noch den Rücken zugewandt habe und ich dieses dämliche Grinsen mit Sicherheit nicht sehen will. Sonst rennt er sich bei mir noch eine ein! „Idiot.“, murmle ich, was meinem Freund aber nicht davon abhält, sich weiter darüber zu amüsieren und noch einmal seine Hände auf meine Schultern zu legen. Sind denn alle Kerle so bekloppt? Ich seufze, denn abgesehen von dem Ärger, bin ich einfach nur froh, dass zum Glück nichts passiert ist. Ich hoffe aber für ihn, dass er das nicht nochmal macht, sonst lernt er mich mal anders kennen! Ich kann schon zur Furie werden, wenn es wirklich sein muss und das will er garantiert nicht erleben. Das verspreche ich ihm. Aus Raphaels Sicht: Grinsend stehe ich da und schaue sie an. Dass sie gleich so übertreiben muss. Dabei war das doch nur ein Scherz. Wie oft habe ich das schon bei meinen Brüdern gemacht und die sind nicht gleich so ausgeflippt. Im Gegenteil, die haben mir es sogar oft nachgemacht, wodurch daraus so eine Art Spiel entstand. Nur Leo hat das beim ersten Mal nicht gepasst. Wenn ich genau darüber nachdenke, hat er sogar ähnlich reagiert. Andererseits war seine Standpauke anders und im Gegensatz zu Bernadette hat er mir mit allem Möglichen gedroht, bis auch schließlich er auf dem Geschmack kam. Allerdings werde ich nie sein bescheuertes Gesicht vergessen, bei dem ich so lachen musste. Ich habe sogar das Meiste, was er mir an den Kopf geworfen hatte, nicht wirklich mitbekommen. Wie lange dieser heimliche Trip wohl schon wieder her ist? Hm, ich glaube vier Jahre oder doch schon länger? Egal, das ist jetzt nicht so wichtig. Meine Aufmerksamkeit ist jetzt wieder auf Bernadette gerichtet, die mir immer noch armeverschränkend den Rücken zugekehrt hat. Meine Hände ruhen weiterhin auf ihren Schultern und schon höre ich, wie sie genervt seufzt. Sie hatte wohl wirklich Angst um mich. Dabei müsste sie doch wissen, dass mir nichts passieren kann. Selbst wenn ich mich verletzten sollte, verheilt dies im Vergleich zu den Menschen ziemlich schnell. Das habe ich wohl dem Mutagen in meinem Blut zu verdanken und nicht nur einmal hat das mir und meinen Brüdern quasi den Arsch gerettet. Selbst ein Knochenbruch kann mich daher nicht sehr lange dazu zwingen, mich auszuruhen und im Bett zu bleiben. Anscheinend muss sie das noch verstehen lernen. Dennoch ist es für mich schön zu wissen, dass ich ihr nicht egal bin und dass sie sich um mich sorgt. Abgesehen von meiner Familie, bei der ich weiß, dass wir uns bei jeglicher schwierigen Situation den Rücken stärken, gibt es nun sie. Leicht streiche ich mit meiner rechten Hand über ihre Schulter und sie dreht sich schließlich wieder zu mir um. Ihre Augen hat sie noch leicht böse funkelnd halb geschlossen, wobei sie mit ihrem Mund leicht schief schmunzelt. Sie ist wohl nicht mehr sauer, auch wenn sie versucht dies noch immer zu zeigen. „Sorry, aber egal was du jetzt machst. Das kaufe ich dir jetzt einfach nicht ab.“, murmle ich grinsend, wobei sie mir nicht widerspricht, sondern nur mit den Augen rollt. Durch diese Gewissheit kann ich es mir einfach nicht verkneifen, dass mein Grinsen umso breiter wird und nun hat auch sie wieder der Humor voll und ganz gepackt. Mit ihrer rechten Faust knufft sie mir noch leicht in die Seite und sieht mich dann wieder gelassener an. „Dir kann man wohl nicht lange böse sein, aber wehe, du machst das noch einmal! Ich verspreche dir, ich garantiere dir dann für nichts!“, fügt sie noch hinzu und ich zucke einfach mit den Schultern, während ich ihr scherzend entgegne: „Wie du meinst. … Wobei es mich ja doch irgendwie interessieren würde, was dann noch kommen würde.“ „Glaub mir, das willst du gar nicht wissen. Also reiz mich ja nicht“, lacht sie darauf, woraufhin ich ebenfalls miteinsteige und wir beide nun wieder einmal scherzen. Nur eines fällt mir währenddessen auf. Sie hat anscheinend jetzt vollkommen vergessen, dass sie sich immer noch auf dem Stützpfeiler der Brooklyn Bridge befindet, vor dem sie zuvor so sehr gefürchtet hat, sodass ich schon beinahe befürchtet habe, dass sie vor Angst wie eine Salzsäule erstarren würde. Demnach ist sie doch eher ein lockerer Mensch, so wie ich sie bisher kennengelernt habe. Auch wenn sie manchmal ein bisschen kompliziert ist und es bei ihr den Anschein hat, sie wäre ein Buch mit sieben Siegeln, welches man mit etwas Nachdruck zum Aufspringen bringen muss. Nun ja, immerhin hat sie ja jetzt gesehen, dass sie um mich keine Angst zu haben braucht. Jegliche Sorge ist einfach unbegründet, auch wenn das bedeutet, dass ich es ihr ab und zu beweisen muss. Andererseits würde ich alles für sie tun, egal worum sie mich auch dabei bitten würde. Als ich ihr nun direkt in ihr Gesicht sehe, habe ich den Eindruck, als ob ihre graugrünen Augen strahlen würden. Es ist zwar Nacht, aber die Lichter der Stadt, so wie die der Brücke lassen mich Bernadette klarsehen und ihre Augen zum Funkeln bringen. Irgendwie überkommt mich wieder dieses brennende Gefühl und dies geschieht jedes Mal mit mir, wenn ich dieses Mädchen so ansehe und mit ihr allein bin. Ich kann es nicht wirklich genau beschreiben. Es ist, als wenn eine angenehme Wärme durch meinen gesamten Körper fließen würde. Dabei kann man es nicht als Feuer bezeichnen, was ich normalerweise eher durch meinen Zorn kenne, der wie ein Vulkan in mir brodelt und schließlich irgendwann mit einem gewaltigen Knall explodiert. Es ist einfach, als wenn ich mich an einem kalten, eisigen Tag am Feuer wärmen würde, wodurch ich mich dann einfach wohlfühle. Jeder noch so kleine Muskel in mir ist dabei angespannt, obgleich ich mich gleichzeitig vollkommen entspannt fühle. Was ist das nur, was jedes Mal mit mir passiert? Ich kann es mir nicht erklären. Jeder einzelne Gedanke, den ich zuvor gehabt habe, scheint im Moment nicht mehr wichtig zu sein. Nur sie steht für mich im Mittelpunkt und alles andere wirkt auf mich, als ob es nebensächlich, wenn nicht schon vollkommen egal wäre. Dabei will ich Bernadette am liebsten berühren, sie ganz nah bei mir haben und sie nicht mehr loslassen. Jedes Mal wenn ich sie bis jetzt umarmen konnte, sie dabei über den Dächern trug und wenn sie sich einfach an mich gelehnt hatte, oder wenn ich sonst irgendeine zärtliche Berührung von ihr gespürt hatte, fühlte ich genau diese Wärme tief in mir. Dieses sonderbare Gefühl breitet sich am ganzen Körper aus und ich sehne mich dabei immer nach mehr. Mein Blick schweift gerade zu ihrem Mund. Wie zarte Rosenblätter liegen ihre Lippen aufeinander und zieren ein liebliches Lächeln. Wie gern ich diese jetzt berührt hätte. Wäre da nicht diese eine Frage in meinem Hirn, die mich seit Mikeys Geschwafel immer wieder beschäftigt: „Na habt ihr euch schon geküsst?“ So sehr ich ihn zum damaligen Zeitpunkt für seine Worte gehasst habe, aber mein Bruder sprach auf etwas an, was mich seitdem nicht mehr loslässt und mich wie einen Geist immer wieder heimsucht. Sooft schwirrte dieser eine Satz bis zum heutigen Tag durch meinen Schädel und jedes Mal musste ich mir leider selbst eingestehen, dass die Antwort darauf ständig „Nein.“ ist. Es gab nie einen Kuss in dieser Form und dennoch sehnte ich mich immer wieder danach. Besonders seitdem ich Bernadette das erste Mal so nah war und sie keine Angst mehr vor mir hatte, schweifte mein Blick ständig zu ihrem Mund. Dieses Verlangen, sich nicht mehr zurückhalten zu müssen und mich einfach dem Hier und Jetzt hinzugeben, lässt die Kontrolle in mir ständig wanken. Ich habe es am Anfang einfach nicht wahrhaben wollen, aber je länge ich sie so ansehe, desto mehr wird es mir immer deutlicher bewusst: Ich habe mich verliebt und das nicht in irgendjemandem. Ich habe mich in Bernadette verliebt. Je öfter ich sie sah und je länger ich mit ihr unterhielt, desto deutlicher und größer wurde dieses Gefühl. Das Idiotische daran ist, dass selbst Mikey es vor mir kapiert hat, aber vielleicht wusste ich es bereits schon und wollte es mir einfach nur nicht eingestehen. Wie kann es auch sein, dass sich ein Mutant in einen Menschen verliebt? Klar habe ich früher mit meinen Brüdern öfters darüber geredet, wobei wir uns darüber eher lustig gemacht haben. Jegliche Art von Romanze wurde von uns ins Lächerliche gezogen. Nicht selten äfften wir bestimmte Situationen nach, die wir entweder aus Filmen, oder direkt bei unseren Ausflügen auf der Oberwelt beobachtet hatten und lachten darüber. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich einer von uns es je wirklich in Erwägung gezogen hat, einem Mädchen emotional so nah zu sein. Auch wenn Mikey in Bezug auf April immer seine dämlichen Sprüche klopfen muss. Dass sind es bei ihm höchstens Schwärmereien und selbst das kann ich ihm nicht wirklich abkaufen. Er will sich einfach nur wichtigmachen und ich möchte gar nicht wissen, was sonst noch in seinem Kopf herumspukt. Dennoch hätte ich nie in meinem Leben gedacht, dass ausgerechnet mir so etwas passiert. Zumindest war mir dieses Thema stets egal, aber jetzt ist es anders. Es ist, als wenn es mich endlich eingeholt und wachgerüttelt hätte. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich sowas wie Liebe für einen Menschen empfinden könnte. Jetzt ist es aber so und ich wünsche mir nur noch, dass sich daran nichts ändert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)