TMNT - Schicksal? von Pamuya_ ================================================================================ Kapitel 6: Der Tag fängt nicht gerade gut an -------------------------------------------- Aus Bernadettes Sicht: Sonntag, der letzte Tag der Woche, an dem ich halbwegs meine Ruhe haben kann, ehe mir Lucinda und ihre Clique wieder über den Weg laufen. Nein, eigentlich stimmt das nicht so ganz. Seit ich gestern Hausarrest bekommen habe, habe ich nicht einmal mehr zuhause eine ruhige Minute. Denn kaum, dass der Morgen angebrochen ist, werde ich schon in aller Herrgottsfrühe von meiner Tante belagert. Wie bei einem Hinterhalt werde ich plötzlich mit den Tatsachen konfrontiert, als sie ca. um halb sieben in der Früh heftig an meine Zimmertür klopft und diese sogleich aufreißt, ohne auch nur auf eine Reaktion meinerseits zu warten. Schon war es aus und vorbei mit meinem seelenruhigen Schlaf und mit meinen Träumen, aber ich weigere mich, mich auch nur einen Zentimeter aus meinem kuschlig, warmen Bett zu quälen. So drehe ich mich einfach von ihr weg und drücke mein Gesicht gegen den Polster. Kann sie mich denn nicht einmal an einem Sonntag in Ruhe schlafen und mich mal ausspannen lassen? Anscheinend wird mir nicht einmal das gegönnt. Moment mal, wie konnte sie überhaupt hier reinkommen?! Habe ich gestern etwa vergessen, mein Zimmer abzuschließen?! Scheiße, wie konnte ich das nur vergessen?! In all der Aufregung muss ich das blöde Dinge vollkommen verdrängt haben! Die plötzliche Erkenntnis, dass mein Zimmerschlüssel wohl noch immer in einen meiner Sneaker stecken muss, lässt mich das Schlimmste befürchten, aber im Moment habe ich größere Probleme. Tante Tina steht nun direkt vor meinem Bett und reißt ruckartig die Bettdecke von meinem Körper. Schnell reagierend, krümme ich mich auf der Matratze zusammen und schimpfe durch den Stoff in meinem Gesicht: „Es ist Sonntag, lass mich schlafen!“ Schon während ich das genervt aus mir herausbrülle, taste ich gleichzeitig mit meiner rechten Hand blind im Bett herum, damit ich die Decke wieder über mich schwingen und weiterschlafen kann. Allerdings greife ich vergeblich in die gähnende Leere, was meine Stimmung noch mehr sinken lässt. Meine Tante dagegen denkt erst gar nicht daran, mich einfach in Ruhe zu lassen und bedrängt mich weiter: „Daran hättest du denken sollen, bevor du so ein Theater veranstaltest. Also steh gefälligst auf!“ Nun reicht es mir. Mit einem Schwung setze ich mich auf, starre sie zornig an und schreie: „Das Theater machst gerade du! Raus aus meinem Zimmer und lass mich endlich in Ruhe!“ Ich will mich wieder hinlegen, doch meine Handlung ist ein gewaltiger Fehler gewesen. Denn absehen davon, dass sich Tante Tina einen Dreck darum schert, dass ich meine Ruhe haben will, hat sie jetzt noch bessere Chancen, mich aus dem Bett zu werfen. Sie packt mich einfach unsanft am linken Arm und zerrt mich ruckartig und mit voller Kraft von der Matratze. Nicht nur, dass ich diese plötzliche „Stärke“ von ihr nicht habe kommen sehen, ich bin noch dazu viel zu müde und zu matt, als dass ich mich wirklich hätte dagegen wehren können. Ich konnte letzte Nacht einfach nicht sofort einschlafen. Dafür war ich einfach zu wütend und genau diese fehlende Energie fehlt mir jetzt. So stolpere ich aus meinem Bett und torkle hinter meiner Tante her, die mich einfach hinter sich herzerrt, als wäre ich ein Hund, der ungewollt angeleint ist, während sie zu dem noch zornig vor sich her murmelt: „Ich muss dir anscheinend Manieren beibringen, sonst wird aus dir niemals eine wohlerzogene, junge Dame! Diese Flausen müssen endlich aus deinem Kopf und da fangen wir gleich mal mit dem ersten Punkt an.“ Was zum Henker hat sie schon wieder vor? Was soll dieses Gefasel und wieso kann sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Blinzelnd schaue ich sie zornig und müde zugleich an, während sie mich weiterhin hinter ihr her schleift. Weiteres Fragen ist im Moment allerdings sinnlos und so wie sie das gerade gesagt hat, klingt es für mich so, als wenn sie in ihrem Kopf bereits ein Konzept zusammengestellt hätte. Vermutlich hat sie bereits schon seit langem einen Plan wegen mir geschmiedet und ich ahne Schlimmes. Auch wenn ich noch nicht ganz auf der Höhe bin, kann ich es mir leider nur allzu gut vorstellen, was sie mit mir vorhaben könnte. Nur, hat die denn einen Knall?! Ok, anders gefragt: Wann hat sie KEINEN Knall?! Anstatt, dass sie mich meine Strafe „absitzen“ lässt, kommt sie wieder auf bescheuerte Ideen! Hat sie sich denn schon wieder diese uralten Filme reingezogen, wo die Frauen nur hinter dem Herd stehen, oder nur bestimmte Berufe ausführen dürfen? Hallo! Wir leben hier im 21. Jahrhundert, da hat sich schon einiges geändert! Also irgendetwas stimmt mit dieser Frau nicht! Es ist nie wirklich einfach mit ihr gewesen, doch je älter ich wurde, desto mehr häuften sich die Probleme und jetzt scheint sie völlig durchzudrehen. Wahrscheinlich versucht sie jetzt härtere Geschütze aufzuziehen, weil ich ihre blöde Bluse nicht angezogen habe und nicht das tue, was sie für „richtig“ hält. Kann es denn noch schlimmer werden? Warum frage ich das überhaupt noch? Ich kenne doch schon die Antwort und die ist immer gleich: JA!! Nur leider kann ich mich nicht dagegen wehren und in meinem momentanen Zustand, in der ich nur müde, und noch von gestern noch so erschöpft, vor mich hin blinzle, kann ich gerade kaum etwas ausrichten. Wie einen Sack mit Mehl, zerrt sie mich lieblos hinterher, bis wir schließlich in ihr Zimmer ankommen und kaum, dass sie ihre Schlafzimmertür aufgestoßen hat, sehe ich es mit einem Entsetzen schon. Ich habe noch nicht einmal das Frühstück hinter mir und doch könnte ich jetzt schon kotzen. Denn wie ich schon befürchtet habe, sehe ich mehrere Kleidungsstücke auf ihrem Bett liegen und dreimal darf man raten, was für eine Farbe die alle haben. Richtig: Pink, beziehungsweise Rosa! Wobei das für mich überhaupt keinen Unterschied macht. Egal wie man es auch nennt, ich finde diese Farbe schlicht und einfach hässlich und das gilt insbesondere für Kleidung und Accessoires. „Yippie“, da kommt doch „Freude“ auf. Im GEGENTEIL, da scheiß ich drauf und vermutlich will sie, dass ich das ganze Zeug auch noch anziehe und ich befürchte, dass dies erst der Anfang ist. Noch sehe ich gerade mal ein paar wenige Sachen, aber wie ich Tante Tina kenne, wird sie noch einiges im Petto haben. Zuerst schaue ich sie einfach entgeistert und verzweifelt an und hoffe so sehr, dass es vielleicht doch anders kommt. Zum Teil hoffe ich sogar, dass dies nur ein Albtraum ist, aber darauf hoffe ich vergeblich. Tante Tina will tatsächlich, dass ich mich in diese unbequemen Scheußlichkeiten hineinzwänge. Dabei lächelt sie mich sogar mit einem breiten Grinsen an und meint leicht jubelnd: „So, jetzt kann die große Umwandlung beginnen. Freue dich schon mal darauf. Du wirst nicht eher dieses Zimmer verlassen, bis wir fertig sind.“ Also ihre Schadenfreude kann man ihr voll und ganz vom Gesicht ablesen. Da braucht sie nicht so scheinheilig tun und die Sache mit ihrer verlogenen Stimme zu „beschönigen“. Ich komme dabei immer mehr zum Schluss, dass sich diese Frau schon lange nach solch einem Tag wie diesem gesehnt hat und ehe ich mich es versehe, beginnt schon die Tortur: Ich werde ich in einem Fetzen nach dem anderen gesteckt und zu allem Überfluss werde ich bei jeder einzelnen Anprobe vor ihrem großen Spiegel gestellt, damit sich jeder Anblick in mein Hirn hineinfrisst. Jetzt fehlt eigentlich nur noch, dass sie Fotos davon schießt, aber dafür scheint ihre Euphorie glücklicherweise zu groß zu sein, als dass sie darauf denken würde. Wenigstens bleiben mir diese „Beweise“ erspart, aber mir reicht auch das, was ich gerade da tun muss. Leider bin ich überhaupt nicht auf der Höhe und ich fühle mich in ihren Fängen gefangen. Zwar versuch ich stets mich zu befreien, aber kaum, dass ich glaube, ich könnte mich nun endlich verziehen, steht Tante Tina wieder vor mir und zwängt mich in das nächste Teil. Ich bin in einem Albtraum! Ich will nur noch aufwachen! Doch aus diesem Horrorszenario gibt es kein Entkommen und es geht immer weiter. Ein Fetzen nach dem anderen wandert vom Kleiderbügel zu mir und wieder zurück. Es scheint kein Ende zu geben. Ich muss so ziemlich an die zehn Kleider, Röcke und Blusen angehabt haben und doch hatte ich das Gefühl, dass das Tausende wären. Doch es gibt ein Licht am Ende des Tunnels. Endlich bin ich beim letzten Outfit angelangt: Ein pinker Rock und eine weiße Bluse, dessen Ausschnitt ziemlich weit ist und noch dazu mit ein paar rosa Rosen verziert ist. Ich würde mich am liebsten übergeben, wenn mein Magen nur mitspielen würde. Mit dem Zeug an meinem Leib, sehe ich überhaupt nicht aus wie ich. Ich komme mir vor, wie eine völlig andere Person! Das Einzige, was aus diesem Fummel heraussticht, sind meine Haare. Dennoch bin ich von diesem Anblick im Spiegel entsetzt. Tante Tina dagegen scheint dieses „Outfit“ am besten zu gefallen. Freudestrahlend steht sie neben, sieht ebenfalls in den Spiegel und bewundert meine momentane Erscheinung: „Hübsch siehst du aus. Es ist herrlich mit anzusehen, wie gut dir das steht. Wenn du sowas nur mal öfters tragen würdest, würde ein Traum für mich in Erfüllung gehen. … So, jetzt müssen wir nur noch etwas mit deinen Haaren anstellen. Das mit den roten Strähnen geht ja gar nicht, aber fürs Abschneiden sind mir deine schönen langen Haare einfach zu schade.“ Moment mal, was?! Ist sie jetzt endgültig übergeschnappt?! An meine Haare geht verdammt noch mal niemand ran! Schlimm genug, dass ich ohne meine Zustimmung in diese verfluchte, pinke „Modenschau“ reingezogen wurde, aber das geht nun wirklich zu weit! Meine Haare fasst niemand an und schon gar nicht sie! Soweit kommt´s noch, dass sie abschnitten werden! In mir brodelt es und wie aus dem Nichts spüre ich in mir eine Energie, die ich am liebsten schon vorher gehabt hätte. Denn wild reiße ich mich nun endgültig los und frage sie anschnauzend, was dieser Mist eigentlich soll: „Bist du jetzt endgültig übergeschnappt?! Reicht es dir nicht, dass du mich mit diesen Fetzen quälst?! Jetzt willst du mich endgültig verunstalten und dich an meinen Haaren vergreifen! … Auf gar keinen Fall! Vergiss es!“ Ich bin so knapp davor, endgültig auszurasten. Wieso kann sie mich verdammt noch mal nicht so akzeptieren, wie ich nun mal bin?! „Aber Bernadettchen, was regst du dich wieder so künstlich auf? Ich tue dies zu deinem Wohl, verstehst du es denn immer noch nicht? Es muss sich endlich etwas ändern und das können wir nur machen, wenn wir als Erstes bei dir anfangen. … Nur so wirst du erreichen, dass alles gut wird. Denk doch mal nach. Jeder wird dich lieben und die Jungs werden in Schlangen stehen, um mit dir ausgehen zu dürfen. Hast du nicht selbst gesagt, dass du endlich von dieser Lucinda deine Ruhe haben willst? Das geht nur, wenn du dich etwas anpasst und sie mit ihren eigenen Waffen schlägst. … Ich will dir dabei ja nur helfen Kind. Also mache es mir nicht so schwer.“, meint sie schließlich und klingt dabei noch so überzeugt, dass es schon schlimm ist. Als wenn die ganze Tortur nur halb so schlimm wäre, aber für mich ist es das Schlimmste, was sie mir bisher nur antun konnte. In was für eine Welt lebt die?! Sie hat sich doch nicht mehr alle! Hört sie sich eigentlich selbst zu, was sie da sagt?! Sie will mich zu jemand anderes machen, nur, damit „akzeptiert“ und von den Leuten geliebt und sogar angehimmelt werde! Das ist nicht nur falsch, sondern auch der größte Mist, was mir je untergekommen ist! Ich will das nicht! Entsetzt von ihren Worten, schüttle ich den Kopf und weiche von ihr. Das jemand in dieser Zeit so denkt und dann auch noch darauf beharrt, ist meiner Meinung nach einfach nur krank. „Du kapierst es echt nicht, oder?!“, frage sich sie zornig, aber sie blinzelt nur verwundert, eher sie mir die Gegenfrage stellt: „Was meinst du, Bernadettchen?“ „Na was werde ich wohl meinen?! Ich will verdammt noch mal ich selber sein und niemand anderes! Ich will nicht wegen den anderen meine Persönlichkeit aufgeben, nur weil sie angeblich nicht richtig ist! Das ist doch Schrott!“, versuche ich ihr ins Hirn einzuhämmern, weil sie anscheinend nicht kapieren, worum es mir geht. Doch egal, was ich auch noch sagen würde, sie versteht es immer noch nicht und das wird sie auch nie. Stattdessen versucht sie mich sogar ein weiteres Mal zu belehren und vom Gegenteil zu überzeugen: „Deine Persönlichkeit ist noch im Entwickeln. Du weißt doch noch selbst nicht, was wirklich richtig und wichtig im Leben ist. Versteh mich doch, ich will dir nichts Böses, ich will dir doch nur helfen Kind.“ Das ist einfach so falsch! Anders kann ich es nicht ausdrücken und das noch von einem Familienmitglied hören zu müssen, schlägt echt dem Fass dem Boden aus. Ich mag zwar noch ein Teenager sein, aber ich bin kein Kind mehr! Ich weiß, was ich vom Leben will und das hier will ich bestimmt nicht! Klar kann ich nicht immer mit dem Kopf durch die Wand gehen, aber für mich hört der „Spaß“ auf, wenn ich mich für andere verbiegen muss und da zählt Tante Tina leider dazu, was mich mehr als nur enttäuscht. Schließlich gehört sie zur Familie und die muss schließlich zusammenhalten, aber das scheint sie nicht zu sehen. Für sie ist scheinbar nur das wichtig, was andere von einem halten und das ist mehr als nur hohl. Ich habe von dieser sinnlosen Diskussion die Nase gestrichen voll und beende es schließlich: „Hast du eigentlich eine Ahnung, was du mir da antust? Du bist genauso schlimm wie Lucinda! Der einzige Unterschied zwischen euch beiden ist, dass ich dir anscheinend nicht entkommen kann und du auch noch meine Mutter ins Spiel bringst. Hast du mal in Entferntesten nachgedacht, wie ich zu dem allen stehe und wie ich mich dabei fühle? Anscheinend nicht, sonst wüsstest du, dass mich das krank macht! Lass mich endlich in Ruhe und mein Leben so leben, wie ich es für richtig halte!“ Mit diesem Worten renne ich aus ihrem Zimmer und lasse Tina einfach so stehen. Ich gebe ihr nicht einmal die Chance, irgendetwas darauf zu erwidern, oder gar irgendeine Reaktion darauf zu zeigen. Dafür hat sie meiner Meinung nach genug gesagt und ihren felsenfesten Standpunkt hat sie eh schon kundgegeben. Warum soll ich mir das noch länger antun? Es bringt sich ja so und so nichts. Sie wird mich nie verstehen! Mit Tränen in den Augen, flüchte ich, so schnell ich nur kann, in mein Zimmer, wo ich als Erstes die Tür hinter mir zuknalle. Doch damit ist es noch nicht genug, denn schon suche ich verzweifelt zwischen meinen Sachen den Schlüssel und im rechten Schuh werde ich fündig. Wie ich es mir vor einer Stunde gedacht habe, habe ich ihn dort leider liegen lassen. Hätte ich doch nur zugesperrt, dann wäre mir zumindest das erspart geblieben. Zumindest glaube ich das. Etwas Anderes kann ich mir einfach nicht vorstellen. Seufzend schließe schließlich ab und lehne mich sogar kurz gegen die Tür. Ich hoffe nur, sie kommt jetzt nicht angedackelt kommt und mit ihrem dämlichen Scheiß weitermacht. Im Moment habe ich keinen Nerv dafür und fürs Erste kann sie mir sogar gestohlen bleiben. Ich will einfach nicht mehr mit ihr reden und sie soll mir auch fernbleiben. So lange sie mich nicht so anerkennt, wie ich bin, möchte sie weder sehen, noch hören, geschweige mit ihr sprechen. Die ganze Woche war schon mies genug und heute hat sie höchst persönlich noch einen oben draufgesetzt. Als wenn es für mich nicht eh schon schlimm genug gewesen wäre, aber auf mich und meine Gefühle nimmt keiner Rücksicht. Sie treten wohl eher noch drauf, anstatt mir kurz zuzuhören, geschweige mich genauer anzusehen. Nur, zu jammern bringt sich nichts. So scheiße es auch ist, aber was soll ich tun? Ich habe ja niemandem, mit dem ich darüber reden könnte. Ich kann mir ja nicht einmal von jemandem einen Rat holen. Meine Brüder sind momentan im Ausland unterwegs, Dad ist tot und meine Tante hat sich gemeinsam mit meiner Mom gegen mich verschworen. Freunde habe ich keine mehr, was bleibt mir also? So gern ich auch alles wieder runterschlucken und vergessen will, ich kann es gerade nicht. Zu sehr bin ich verletzt und die Tatsache, dass ich mich nicht einmal mehr meiner Familie anvertrauen kann, macht die ganze Angelegenheit noch schwieriger. Ob ich nun will oder nicht, die Tränen lassen sich nicht aufhalten und bahnen sich einfach einen Weg ins Freie. Anscheinend gibt es keinen Tag, an dem ich mich nicht alleine und missverstanden fühle. Vermutlich wird sich das mindestens so lange weiterziehen, bis ich von hier ausgezogen bin. Vielleicht wird sich sogar nie etwas ändern. Missmutig, enttäuscht und zornig zugleich stoße ich mich von der Türe weg und schlürfe in Richtung Bett, wo ich mich einfach fallen lasse. Dass ich diesen Fetzen noch an meinem Leib trage, ist mir momentan egal. Ich will einfach von nichts und niemandem etwas hören. Tränenüberströmt klammere ich mich an meinem Polster fest und schluchze leise weiter, bis ich irgendwann sogar vor Müdigkeit eingenickt bin. Den ganzen restlichen Tag habe ich von meiner Tante nichts gehört. Auch nachdem ich wiedererwacht war, war es totenstill. Sie hat es sogar nicht einmal gewagt, in mein Zimmer zu kommen, geschweige an meine Tür geklopft. Ob meine Worte doch etwas bewirkt haben? Nein, das glaube ich nicht. Nach allem, was jetzt passiert ist, kann ich auf keinen Fall auf ein Wunder warten, geschweige hoffen. Außerdem hätte sich bereits etwas getan, sollte es wirklich der Fall sein und deswegen glaube ich es einfach nicht. Mit Sicherheit ist sie nun beleidigt, weil ich sie angeschnauzt habe und das war´s auch schon. Vielleicht erwartet sie sogar, dass ich mich bei ihr entschuldige, aber darauf kann sie lange warten. Wer etwas Falsches gemacht hat, sie auf jeden Fall sie und darüber sollte sie sich mal ihren Kopf zerbrechen. Ich glaube allerdings kaum, dass sie überhaupt über meine Worte nachdenken wird und solange sie es nicht tut, wird sich auch nichts ändern. Daher brauche ich erst gar nicht darauf zu hoffen, geschweige daran zu denken. Ich sollte mich wohl auf andere Sachen konzentrieren, sonst werde ich noch ganz verrückt. Ihre „Unterstützung“ kann ich mir getrost abschminken. Mittlerweile habe ich wieder meine eigene Kleidung an. Ich habe mich in diesen rosa Fummel einfach nicht wohl gefühlt und kaum, dass ich es von mir geworfen und etwas Anderes dafür angezogen habe, habe ich das ganze Zeug einfach vor die Türe geschmissen. Soll doch Tante Tina damit machen, was sie will. Ich brauch diesen Mist garantiert nicht. Das Zimmer habe ich für heute so gut wie nie verlassen und wenn, dann habe ich es nur getan, wenn ich mir schnell etwas zu essen geholt habe. Tante Tina bin ich zum Glück die ganze Zeit nicht begegnet. Entweder war sie gerade in einem anderen Raum, oder sie hat sich einfach wieder an ihrem Computer gesetzt und mir war das nur recht. So brauchte ich mich nicht wieder verteidigen und ich musste mir keine weiteren Belehrungen von ihr antun. Davon hatte ich in letzter Zeit zu viel gehört. Schließlich ist es bereits Abend geworden. Die letzten Sonnenstrahlen haben sich verabschiedet und selbst das dunkle Abendrot ist bereits hinterm Horizont verschwunden. Ich habe die Stunden damit verbracht, mich abzulenken, damit ich mich zumindest ein bisschen entspannen kann. Schließlich erwartet mich morgen eine neue Woche, die ich irgendwie überleben muss. Daher war eine Beschäftigung das Sinnvollste für mich. Entweder habe ich in einen meiner Bücher geschmökert, oder ich habe für die Schule gelernt, wobei ich mich bei beiden Sachen nicht immer konzentrieren konnte. Zwischendurch bin ich sogar aus Erschöpfung eingeschlafen, weil ich schon zu Beginn des Tages so viel Energie verschwendet hatte. Jetzt bin ich hellwach und lese gerade wieder in meinem Roman weiter, als plötzlich jemand an der Fensterscheibe klopft, oder habe ich mir das jetzt nur eingebildet? Das kann ja immerhin nicht sein. Ich bin schließlich im ersten Stock und wer würde mich schon in der Dunkelheit besuchen kommen? Fragend lege ich das Buch zur Seite, stehe vom Bett auf und gehe ans Fenster. Zuerst erkenne ich nichts, als ich hindurchsehe, doch als ich achselzuckend schon wieder gehen will, erscheint plötzlich ein vertrautes Gesicht. Kurz zucke ich erschrocken zusammen, grinse aber dann kopfschüttelnd. „Oh Mann Raphael, muss du mich so erschrecken?“, frage ich schließlich, während ich das Fenster aufmache. „Wie wäre es erst mal mit einem „Hallo“?“, entgegnet Raphael mir fragend, grinst ebenfalls dabei und ich lasse ihn herein. Er ist kaum hereingeklettert, als er schon neugierig um sich blickt. Seit wann sind Schildkröten, beziehungsweise Schildkrötenmutanten so neugierig? Wobei, da gibt es eine Frage, die mich sogar mehr beschäftigt. „Sag mal, woher wusstest du, welches Fenster meines ist? Hast du mich beobachtet?“, frage ich ihn schließlich, während er seinen Blick immer noch umherschweift. Es hätte ja immerhin sein können und was macht er eigentlich hier? Doch er antwortet auf meiner Frage nur achselzuckend: „Nicht wirklich, außerdem war dieses Fenster hier das Einzige, aus dem noch Licht zu sehen ist. Daher habe ich vermutet, dass es deines sein muss.“ Stimmt ja, meine Tante hat sich bereits schlafen gelegt, weil sie morgen wieder früh aufstehen muss. Doch es gibt sicher noch mehr Gebäude, in denen noch Licht brennt. Es sei denn, er hat nach unserem gestrigen Abschied noch gesehen, in welches Haus ich hineingegangen bin. Das würde die Sache schon eingrenzen. Dennoch, er hätte sich auch komplett täuschen können und wäre dann in den Armen von jemand anderes gelandet. „Ach so, dann hast du sowas wie ein Ausschlussverfahren gemacht? Aber wenn, dann hattest du trotzdem großes Glück gehabt. Es hätte ja auch das Zimmer von jemand anderes sein können“, erwidere ich mit großer Überzeugung, aber er wiederum zuckt nur abermals mit seinen Schultern und wechselt sogar das Thema: „Ähm … Gemütlich hast du es hier.“ Hätte ich mir ja denken können, dass er jetzt von etwas Anderem spricht. Bei solchen Themen gehen Jungs nicht gerade gerne darauf ein. Zumindest habe ich in dieser Richtung bis jetzt solche Erfahrungen gemacht. Moment mal, klang das gerade eben nicht etwas schüchtern? Ach was, das liegt sicher nur an Tante Tinas schnulziges Geschwafel über Jungs und Verabredungen, die sie mir den ganzen Morgen schon an den Kopf geworfen hatte. Anscheinend hat sich doch etwas in mein Gehirn eingenistet, was lieber schnell wieder wegsollte. Am besten wäre es, wenn ich erst gar nicht weiter darüber nachdenke und dieses Thema einfach ignoriere. So widme ich meine Aufmerksamkeit wieder Raphael zu und bedanke ich mich dafür, was er über mein Zimmer gesagt hat: „Danke und wie es aussieht, werde ich noch längere Zeit hier sein.“ Ob ich will oder nicht, der Gedanke an meinen Hausarrest lässt mich nicht los und er lässt mich auch wieder traurig stimmen. Raphael schaut mich nun verwirrt an. Er kann ja nicht wissen, was mir wiederfahren ist und vielleicht hätte ich das jetzt nicht sagen sollen, denn schon hinterfragt er das Ganze: „Alles klar bei dir? Du siehst irgendwie leicht angepisst aus.“ „Sorry, aber ich will jetzt nicht darüber reden. Ich hatte einfach einen langen Tag.“, versuche ich ihn abzuwimmeln, denn ich habe jetzt wirklich keinen Bock darauf. Den ganzen Tag über habe ich schon damit verschwendet, mich von dem Ganzen abzulenken und ich will das jetzt nicht wieder aufwärmen. Wer weiß außerdem, ob ein Kerl überhaupt eine Ahnung hat, wie beschissen man sich bei sowas fühlt und da ich in letzter Zeit nur enttäuscht und hintergangen wurde, will ich nicht, dass sich das jetzt schon wieder wiederholt. Ich brauche einfach nur eine Ablenkung und anscheinend muss er das gerade von meinem Gesicht abgelesen haben, als er mich fragt: „Na dann. Wenn du schon einen „langen Tag“ hattest, wie wäre es dann mit frischer Luft?“ Eigentlich nett von ihm, dass er mich fragt. Ich hätte das nicht einmal erwartet. Genauso wenig, dass ich heute noch Besuch von ihm bekomme. Allerdings tut es mir gerade gut, mal jemand anderes zu sehen und mich auch „normal“ zu unterhalten. Heute gab es schließlich hauptsächlich nur Streiterei, Geschrei und beleidigtes Schweigen. Zudem würde es nicht schaden, endlich rauszukommen. Vielleicht bekomme ich dann endlich wieder einen klaren Kopf und da Tante Tina schläft, wird sie mit Sicherheit nichts mitbekommen. Hausarrest hin oder her, sie würde das so oder so nicht merken, wenn ich mich übers Fenster davonstehle. Sie würde nach der Aktion mit der Regenrinne so und so nicht darauf kommen. Noch dazu möchte ich einfach nicht länger in meinem Zimmer bleiben, weswegen ich sein Angebot annehme. „Gerne, dann komme ich für heute endlich mal raus.“, murmle ich schließlich, aber Raphael hat mich dennoch verstanden. Kaum habe ich aber seinem Vorschlag zugestimmt, finde ich mich schon in seinem Armen wieder. Wird das jetzt zur Gewohnheit? Ich sage aber nichts. Denn warum sollte ich mir wieder den Kopf zerbrechen. Es reicht mal für heute. „Halt dich gut fest. Eine Hand brauche ich nun mal zum Klettern.“, meint er schließlich und grinst dabei. Was für ein Angeber, aber er wird das wohl einfach ausnutzen. Vermutlich kommt er nicht oft dazu, ein bisschen anzugeben. Solange er es aber nicht übertreibt, kann er es meinetwegen ab und zu machen. Momentan beobachte ich aber einfach, wie er mit mir aus dem Fenster und schließlich an der Mauer entlang aufs Dach klettert. Eines muss ich ihm ja lassen, geschickt ist er. In kürzester Zeit haben wir schließlich mein Zuhause hinter uns gelassen und Raphael springt jetzt mit mir über die Dächer der Stadt. Irgendwie ist es angenehm in seinen Armen zu liegen. Er ist wirklich vorsichtig und während er sprintet, weht mir eine angenehme Brise ins Gesicht. Seltsamerweise empfinde ich dabei tief in mir eine gewisse Wärme und sogar etwas Geborgenheit. Besonders nach diesem Gefühl habe ich mich schon den ganzen Tag gesehnt und bei Raphael scheint das alles so einfach zu gehen. Als wenn nichts dabei wäre, aber wieso eigentlich? Wir kennen uns kaum und das auch nur seit wenigen Tagen. Dennoch scheint das egal zu sein. Irgendwie ist es doch komisch. Bei meiner eigenen Familie und bei meinem Bekanntenkreis fühle ich mich so eingeengt und missverstanden. Wenn ich mein Zimmer nicht absperren könnte, wüsste ich nicht einmal, wohin ich flüchten sollte, oder wo mich einfach zurückziehen könnte. Tag für Tag muss ich sogar aufpassen, dass ich meine Gefühle und Gedanken unter Kontrolle halte. Ich zwinge mich immer selbst dabei, weder die Faust, noch meine Stimme zu erheben, da es so enden könnte, sodass ich es vielleicht nicht mehr kontrollieren kann. Nicht selten wäre ich mal am liebsten so richtig ausgerastet und hätte dabei gerne alles verwüstet, was mir nur so in die Finger gerutscht wäre. Ich erinnere mich gut. Es gab sogar einmal solch eine Situation. In der war ich knapp dran, dies ohne Wenn und Aber durchzuführen. Für mich gab es damals keinen Kompromiss. Doch dann hätte man mir wieder einmal wegen allem und jedem die Schuld zugewiesen und niemand hätte es interessiert, was zuvor passiert war. Nur wegen diesen einen Gedanken konnte ich mich selbst noch davon abhalten, bevor Blut geflossen wäre. Gebracht hat es mir allerdings auch wenig. Den Schmerz musste ich weiterhin stumm ertragen, während andere sich darüber lustig machten und vielleicht sogar einen oben draufsetzten. Jetzt, wo ich aber bei Raphael bin, ist dieses Gefühl wie weggeblasen. Als könnte ich mich einfach fallen und mich in der Schwebe treiben lassen. Zum Glück habe ich das noch nicht zu ihm gesagt. Mir wäre das einfach zu peinlich gewesen und wer weiß, was dann daraufgefolgt wäre. Da genieße ich doch lieber die Ruhe. Er wiederum würde mich wahrscheinlich für verrückt halten und wer weiß, vielleicht ist es dann sogar unangenehm für ihn und das will ich einfach nicht. Eine Weile sind wir unterwegs, bis Raphael auf einmal stehen bleibt und mich vorsichtig herunterlässt. Ich habe gar nicht darauf geachtet, wohin er mit mir eigentlich gelaufen ist. Ich habe ihm einfach vertraut und dieses angenehme Gefühl genossen. Mitten auf dem Dach eines hohen Hauses stehen wir nun und er weist mit seiner Hand auf eine Richtung hin. Als ich dorthin schaue, weiten sich meine Augen vor Staunen. Direkt vor mir zeigt sich der Mond in seiner ganzen Pracht und sein helles Licht spiegelt sich im Eastriver wider. Die Aussicht ist einfach traumhaft und ich komme mir sogar vor, als würde ich mitten in einem schönen Traum sein. Zuerst wird mir gar nicht bewusst, dass ich mich vor lauter Staunen an Raphael angelehnt habe. Erst als er seinen rechten Arm sanft und vorsichtig auf meine Schulter liegt, komme ich für einen Moment aus Wachtraum heraus. Ich hätte nicht gedacht, dass jemand so eine sensible, beinahe schon romantische Seite an sich hat, denn als ich zu ihm hinaufschaue, merke ich, dass er selbst mit einem staunenden Blick die Aussicht genießt. Dabei sieht er von außen hin gar nicht so aus, als ob er der Typ für solche Sachen wäre und das liegt nicht nur daran, dass er ein Mutant ist. Die meisten Männer würden sowas für kitschig, oder albern halten. Vermutlich würde er das vor anderen niemals zugeben, besonders nicht, wenn es um seine Brüder geht. Ich kenne sie zwar nicht, aber Raphael scheint eher der wilde Kämpfer zu sein und da haben Gefühle normalerweise keinen Platz. Würde mich daher nicht wundern, wenn er mich später darum bitten würde, niemandem davon zu erzählen. Ich hätte nicht einmal ein Problem damit. Denn sowas geht eh niemanden etwas an und wenn er es nicht will, dann soll es so sein. Jetzt allerdings scheint er gemerkt zu haben, dass ich ihn die ganze Zeit ansehe. Denn nun er schaut zu mir hinunter, aber seine Reaktion darauf ist merkwürdig. Wird er da gerade rot, oder bilde ich es mir gerade ein? Am liebsten würde ich jetzt zum Kichern anfangen, denn schon wendet er seinen Blick rasch wieder von mir weg und räuspert sich. Dabei tut er auch noch so, als wenn gerade nichts gewesen wäre. Also irgendwie komme ich mir jetzt vor wie in einem schnulzigen Girly-Film. Normalerweise mag ich ja so was nicht. Ich stehe lieber auf Fantasy-, Abenteuer- und Actionfilme, aber irgendwie finde ich das jetzt gar nicht mal so kitschig. Ich fühle mich wohl, weswegen ich einfach mit den Achseln zucke, mir nichts mehr dabei denke und mich schließlich wieder der Aussicht widme, welchen ich einfach weitergenieße. Eine Weile bleiben wir so und keiner von uns hat bis jetzt ein Wort gesprochen. Manchmal muss man auch nichts sagen und man kann einfach die Zeit miteinander genießen. Es ist einfach schön und das Beste daran ist, ich bin diesmal nicht allein. Schließlich löse mich doch von meiner etwas starren Stellung und setze mich auf dem Rand des Daches. Dabei lasse ich meine Beine in der Luft baumeln. Raphael gesellt sich gleich zu mir und ich schaue ihn mit einem Lächeln auf dem Gesicht an. „Danke.“, sage ich schließlich mit einer leisen Stimme und anscheinend habe ich ihn dabei wieder etwas verwirrt. Zumindest sieht er mich so verdutzt an, aber er kann sich gar nicht vorstellen, wie gut mir dieser nächtlicher Ausflug tut. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)