Wunsch und Wahrheit von caladriuss ================================================================================ Kapitel 2: Betrunken -------------------- Draußen lehnte ich mich seufzend an eine Wand. Mir war immer noch warm und da tat die kühle Nachtluft ganz gut. Verdammt, wieso war ich ihm heute überhaupt begegnet? Zwei Jahre lang hatten wir uns nicht gesehen und dann lief er mir nur einmal über den Weg und schon war alles wieder da. Das Verlangen, die Sehnsucht nach ihm. Das konnte doch nicht normal sein! Jetzt war es zu spät für alles. Ich wollte nur noch nach Hause und den Abend vergessen. Aber wie? Mir fiel gerade auf, dass ich mein Handy in der Limousine hatte liegen lassen, als mein Chauffeur mich hier vorhin aussteigen ließ. So ein Mist! Ich hatte einfach nicht gewusst, in welche Tasche ich es hätte stecken können und über die Überlegung hinaus musste ich es auf dem Sitz zurückgelassen haben. Genervt schloss ich die Augen und versuchte mich an die Telefonnummer meines Chauffeurs zu erinnern. Nur wann sah man sich die Nummern schon an? Heutzutage war ja alles eingespeichert, schön schonend für das Gehirn. Ich könnte natürlich auch ein Taxi rufen, nur wie ohne Telefon? Sollte ich einen der Raucher vor dem Club fragen, ob er mir sein Handy leiht? Nach der Konfrontation mit diesem ekelhaften Typen drinnen hatte ich wenig Lust, überhaupt noch jemanden anzusprechen. Wozu auch? Samstagnacht würden schon genug Taxen durch die Gegend gondeln. Ich würde einfach in Richtung Heimat laufen und hoffen, dass ich nicht die ganze Strecke zu Fuß zurücklegen musste. Ich zuckte zusammen, als mich jemand vorsichtig am Arm berührte. Als ich aufsah, blickte ich direkt in Wheelers dunkle, besorgte Augen. Oh nein, warum ließ er mich nicht endlich in Ruhe? „Alles klar?“, fragte er vorsichtig. „Ist dir schlecht geworden?“ Innerlich resignierte ich. Ich wollte nicht mehr mit ihm reden. Wenn er erkannte, dass ich ihn nicht aus trunkener Spontanität heraus geküsst hatte, wäre er vermutlich sauer und angewidert. Aber ich hatte auch keine Lust, jetzt den Trunkenbold zu spielen. Schwerfällig stieß ich mich von der Wand ab. Ich sollte einfach weggehen. Mit stur geradeaus gerichtetem Blick zwängte ich mich an ihm vorbei. Ich wollte einfach meiner Wege gehen, doch in der Dunkelheit übersah ich die lockeren Pflastersteine im Gehweg. Als ich auf die trat, wackelten sie unter meinem Fuß und ich geriet kurz ins Straucheln. Verdammte Stadt! Gab es denn hier niemanden mehr, der einfach mal einen vernünftigen Bürgersteig bauen konnte? So eine stümperhafte Arbeit! Sofort war Wheeler an meiner Seite. „Hey, nicht so stürmisch.“ Er umfasste meinen Unterarm, als hätte er Angst, ich würde umfallen. Genervt riss ich mich los. Ich wollte seine Nähe nicht mehr. Warum konnte er das denn nicht verstehen? Er schnaubte missbilligend. „Wie willst du nach Hause kommen?“ Ich zuckte vage mit den Schultern, vermied es aber ihn anzuschauen. Das wusste ich ja selbst noch nicht so genau und eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust, so weit zu laufen. Er seufzte theatralisch. „Besser, ich nehm dich erst mal mit zu mir, dann kannst du deinen Rausch ausschlafen.“ Mit zu ihm? Eigentlich wollte ich darüber schon die Augen verdrehen, aber dann fiel mir auf, was das hieß. Joey Wheeler würde mich mit in seine Wohnung nehmen. Die Chance war gering, aber es klang ein bisschen so, als könnte da doch noch mehr laufen. Immerhin könnte er genug Interessenten mit zu sich nehmen und ich war bei weitem nicht hilflos. Wäre es fies, das auszureizen? Oh ja, und wie! Es wäre niederträchtig und gemein, sich unter diesen falschen Tatsachen in seine Wohnung zu schleichen, nur um auszuloten, was sich da noch drehen ließ. Und definitiv war es weit unter meiner Würde einen Betrunkenen zu mimen. Trotzdem spielte ich einfach mal mit. Immerhin würde sich die Chance, mit zu ihm zu dürfen, wohl kaum wiederholen. Mit diesem Ziel in Aussicht gestellt, war es gleich viel leichter, den Betrunkenen zu spielen. Ich taumelte ein paar Schritte. „Muss nach Hause.“, nuschelte ich. „So müde...“ „Jaja, schlafen kannst du auch bei mir.“ Er umfasste meine Taille, zog mich mit sich, als dächte er, ich würde ohne seine Stütze umkippen. Na bitte. Innerlich konnte ich mir ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen. Ich lief nicht sein doch recht zügiges Tempo, deutete ab und an mal ein kleines Holpern an. Man wollte ja authentisch sein. Auch wenn er mir in seiner ungestümen Art bald den Arm auskugelte, war es das wert. Wenigstens musste er mich dadurch immer wieder eng an sich ziehen und Körperkontakt war immer gut. Mal schauen, wie Wheeler lebte. Scheinbar nicht mehr bei seinem Vater, denn er brachte mich zu einer anderen Adresse, einer gepflegten Wohnanlage. Allerdings ohne Fahrstuhl und er wohnte recht weit oben. Während er mich die Treppen hoch zu seiner Wohnung geleitete, ließ ich mich wirklich bitten, provozierte damit den Körperkontakt noch stärker. Wheeler sah scheinbar nur die Möglichkeit, mich Stufe für Stufe zu delegieren und dabei meine Hüfte eng zu umfassen. Gemein wie ich war, lehnte ich mich sogar noch ein wenig gegen ihn, so dass er mich bald schleifen musste. Selbst schuld, wenn er unbedingt meinte, ich wäre betrunken. Wir stolperten in seine Wohnung. Nach dem beschwerlichen Weg schnaufte Wheeler vor Erschöpfung. Mit geröteten Wangen delegierte er mich weiter in sein Schlafzimmer und schubste mich ein wenig grob auf sein Bett. Ich folgte der Intention einfach mal und ließ mich auf die Matratze sinken. Das Bett war ziemlich weich, nicht gerade gesund für den Rücken, aber es würde schon Platz für Zwei bieten. Nur Wheeler dachte gar nicht daran, sich zu mir zu legen. Er zerrte mir schnell und ein wenig ungehalten die Stiefel von den Füßen, dann stapfte er davon und ließ mich allein zurück. Okay, kam da noch was? Ich lauschte angestrengt, aber Wheelers Schritte waren inzwischen am anderen Ende der Wohnung. Vielleicht kam er ja gar nicht mehr wieder. Hm, das war alles andere als positiv für mich. Ich hatte ja geahnt, dass vielleicht keine Chance dabei rauskam, aber dass er mich so massiv schnitt, war wirklich schlecht. Wieso hatte er mich dann überhaupt mitgenommen? Nur aus reiner Fürsorgepflicht? Vielleicht hatte ich meine Schmierenkomödie auch übertrieben und seine Geduld damit überstrapaziert. Zumindest war er definitiv nicht gut drauf. Seufzend sank ich in die Laken. Sollte ich dann wirklich über Nacht hierbleiben? Es war nur ein letzter verzweifelter Versuch gewesen, den ich jetzt als gescheitert betrachten konnte. Wenigstens war noch ein bisschen Körperkontakt dabei herausgesprungen, aber mehr würde kaum folgen. Wie unfassbar dämlich war diese Idee überhaupt gewesen? Als würde er mit mir ins Bett springen, wenn er mich für völlig besoffen hielt. Wohl kaum! Ich bezweifelte eh stark, dass Wheeler ausgerechnet mit mir Spaß haben wollte. Dafür war unser Verhältnis früher zu verkorkst gewesen Ich schloss trotzdem die Augen, genoss nur kurz für einen Moment, mir vorzustellen, wie es wäre, hier mit ihm zu liegen. Sein Geruch hing in der Bettwäsche, umgarnte mich regelrecht und beflügelte meine Fantasie. Auch wenn es meine Nerven massiv strapazierte, hing ich meinen unanständigen Gedanken nach. Ich fragte mich, was für ein Liebhaber Wheeler wäre. Liebesbedürftig und passiv oder wild und fordernd? Ach, was machte es denn für einen Unterschied? Selbst wenn wir im Bett gelandet wären, wäre es für ihn doch eh nur eine Nacht gewesen. Ich seufzte lautlos. Nur eine Nacht, einer von vielen sein. Das wäre zu viel für mein Herz. Mit einem Mal spürte ich etwas auf meiner Brust und meinem Gesicht. Eine Decke. Mir war jetzt nicht danach, mich zu bewegen, also verharrte ich, wo ich war und hing weiter meinen Gedanken nach. Wheeler deutete das anscheinend so, als würde ich schon schlafen. Schwer seufzend kletterte er neben mir aufs Bett und zog die Decke zurecht. Ich schloss hastig die Augen, während er mich fast schon fürsorglich zudeckte. War es fies, dass ich das hier wirklich genoss? Die Geste wirkte liebevoll, daran könnte ich mich gewöhnen. Eigentlich dachte ich, er würde gehen, sobald er fertig war, doch er blieb neben mir auf der Matratze sitzen. Unendlich lange. Ich traute mich nicht, mich zu bewegen und ich konnte auch nicht ausmachen, was er da eigentlich tat. So lautlos wie er war, konnte er sich dabei zumindest nicht viel bewegen. Plötzlich spürte ich seine Finger an meiner Wange. Sie waren warm auf meiner Haut, strichen vorsichtig über mein Jochbein. Das fühlte sich wirklich gut an. Federleicht und vorsichtig wanderten die Finger weiter, zeichneten die Konturen meines Gesichts nach. Schließlich glitten sie in mein Haar. Ich spürte, wie er sich vorbeugte und mich auf den Schopf küsste. Sein warmer Atem ließ meine Kopfhaut kribbeln. „Du bist so ein Idiot!“, nuschelte er, ehe er sich aufrichtete und vom Bett kletterte. Als ich sicher war, dass er das Zimmer verlassen hatte, setzte ich mich auf. Was war das denn gewesen? Erst genervt und abweisend und auf einmal wieder so liebevoll? Während ich die angelehnte Zimmertür anstarrte und mich fragte, was er dahinter tat, versuchte ich, den Abend Revue passieren zu lassen. Der erste Schritt war von ihm ausgegangen, er hat mich angesprochen und mir einen Cocktail spendiert. Aber auf ein Gespräch wollte er sich nicht einlassen, stattdessen ging er lieber tanzen. Es ging ihm also nur um Spaß. Trotzdem hatte er den ganzen Abend auf mich aufgepasst, mich gleich zweimal vor diesem miesen Typen bewahrt. Ich hatte auch auf der Tanzfläche mitbekommen, wie er einige meiner Interessenten verjagt hatte, mir aber nichts weiter dabei gedacht. Was sollte das überhaupt? Für ihn war ich nur ein Tanzpartner, eine Fläche, an der er sich reiben konnte. Aber sobald es in eine intimere Richtung ging, blockte er ab. Hatte der Kuss ja gezeigt. Gleichzeitig gönnte er es mir aber auch nicht, mit anderen anzubändeln und ohne ihn meinen Spaß zu haben. Dass er mich mit zu sich genommen hatte, konnte ich nicht richtig einordnen. War es reine Fürsorgepflicht oder doch mehr? Wieso wollte er überhaupt so unbedingt daran glauben, dass ich betrunken war? Eigentlich war ich mir so vorgekommen, als empfände er mich als Last, als er mich zu sich mitgenommen hatte. Aber diese intimen Streicheleinheiten waren schon wieder anders, liebevoll und vorsichtig. Hergott, Wheeler! Ich verstand ihn einfach nicht. Mal freundlich, dann abweisend, dann fürsorglich, dann wieder abweisend. Wie sollte man daraus denn schlau werden? Lautlos kletterte ich aus dem Bett und schlich zur Tür. Ich öffnete sie vorsichtig und spähte in das dahinterliegende Wohnzimmer. Gedämmtes Licht von einer Stehlampe erhellte den Raum gerade weit genug, um zu lesen. Konnte Wheeler nicht schlafen, oder was? Er lag auf dem Sofa, hielt ein Buch in seiner Hand, das er scheinbar studierte. Zumindest schien er das Bett komplett geräumt zu haben, denn neben ihm auf dem Boden lagen ein Kopfkissen und eine Decke. Sowas. Kopfschüttelnd ging ich zurück zum Bett und ließ mich auf die Matratze sinken. Vielleicht würde es das beste sein, wenn ich wartete, bis er eingeschlafen war und dann ging. Oder sollte ich wirklich bis morgen warten und sehen, was dann geschah? Ich vermutete, dass er mich einfach rauswerfen würde, aber man wusste ja nie. Die ganze Nacht hatte ich mit mir gehadert. Sollte ich bleiben oder gehen? Ich konnte mich einfach nicht entscheiden, tendierte mal zum Einen dann zum Anderen. Aber immer wenn ich doch beschloss, zu gehen, war Wheeler gerade wach. Auch er schien nicht sonderlich gut schlafen zu können, denn er sah entweder leise fern oder tigerte durch die Stube. Als würde er das mit Absicht machen! Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, als er endlich schlief und sich für mich eine Möglichkeit ergab, zu verschwinden. Möglichst lautlos schlich ich am Sofa vorbei zur Wohnungstür. Mein Blick streifte nur flüchtig Wheelers schlafende Gestalt. Er war fast völlig unter seiner Decke vergraben, nur sein unschuldig wirkendes Gesicht leuchtete im fahlen Mondlicht unnatürlich schön. So schön, dass ich es zu gern berührt hätte, aber zu solchen Gedanken sollte ich mich jetzt nicht hinreißen lassen. Ich hatte die Tür fast schon erreicht, als ich hinter mir ein leises Murmeln vernahm. Oh nein, wachte er etwa auf? Vorsichtig sah ich über die Schulter. Nein, die Augen waren noch geschlossen, seine Züge entspannt. Leise murmelnd zog er die Decke enger um seine Schultern. „Seto.“, wisperte er, so leise, dass ich ihn kaum verstand. Aber das hatte ich. Er hatte meinen Namen im Schlaf gehaucht, zaghaft und zerbrechlich. Mir jagte es wohlige Schauer über den Rücken. Träumte er von mir? Allein bei der Vorstellung spürte ich, wie mein Herz raste. Was für ein Gedanke! Naja gut, das hieß ja nicht, dass er den Traum positiv fand, aber immerhin dachte er an mich. Spätestens morgen früh würde ich das hier wirklich bereuen, aber ich konnte jetzt einfach nicht gehen. Ich musste diese Scharade bis zum Ende spielen und sehen, was passierte. Vermutlich würde es in einer riesigen Enttäuschung enden, doch das würde ich nur herausfinden, wenn ich blieb. Also schlich ich zurück ins Bett. Ich versuchte, zu schlafen, Kraft für den Morgen zu sammeln, doch meine Gedanken rasten in meinem Kopf umher, gingen in alle Richtungen. Mir drängte sich die Vorstellung auf, wie er mich am Morgen gnadenlos rauswerfen und als Säufer beschimpfen würde. Er wäre angewidert von mir, immerhin war er von seinem alkoholkranken Vater dahingehend geprägt. Aber hin und wieder wanderten meine Gedanken auch in unanständige Richtungen, daran, wie es wäre, wenn er jetzt bei mir im Bett läge. Draußen dämmerte es bereits, als ich doch von Müdigkeit übermannt wurde und endlich einschlief. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)