Yasashikunai Mirai von Harulein (Tsuzuku x Meto) ================================================================================ Kapitel 33: [Meto] Act 32 ------------------------- Ich saß gerade am PC, im Hausbüro meiner Mama, als es an der Tür klingelte. „Ich geh schon, Yuu!“, rief Mama aus der Küche und dann hörte ich ihre Schritte in Richtung Haustür. Über die Entfernung zwischen Eingangsbereich und Büro konnte ich erst nicht erkennen, wer da geklingelt hatte, doch dann rief Mama: „Yuu, Koichi ist hier!“ Ich schloss die drei oder vier Fenster im Internet, die ich offen gehabt hatte, sprang auf und lief zur Tür. Und da stand wirklich Koichi, lächelte mir zu und kam dann herein, zog seine Schuhe aus und umarmte mich. „Hey, Meto, wie geht’s dir?“ Ich zuckte nur mit den Schultern. „Weiß nicht …“ „Wahrscheinlich nicht so gut, oder?“ Er sah mich mitfühlend an und fragte dann: „Können wir hier irgendwo ein bisschen sitzen und reden?“ Ich führte ihn durch die Eingangshalle ins Wohnzimmer, bot ihm einen Platz auf dem Sofa an und setzte mich ihm gegenüber hin. „Ich war eben bei Tsuzuku“, sagte Koichi. „Ihm geht’s gar nicht gut, er hat die ganze Nacht nicht geschlafen. Wie hast du denn geschlafen?“ „Nicht gut“, antwortete ich und spürte sofort Tränen in meinen Augen. „Ich … muss die ganze Zeit … an ihn denken … es tut mir so leid … dass ich gegangen bin.“ Ich hatte die halbe Nacht geweint, Ruanas Fell nassgeheult und mir Vorwürfe gemacht, weil ich einfach abgehauen war. Warum hatte ich denn auch nicht so reagieren können wie sonst?! Ich war doch immer irgendwie mit Tsuzukus Ausbrüchen klar gekommen, warum jetzt auf einmal nicht mehr?! Koichi stand auf, ging um den Tisch herum und setzte sich neben mich, nahm meine Hand in seine. „Meto, bitte wirf dir das nicht so sehr vor! Du denkst ja kaum mehr an dich selbst!“ „Ich … konnte das doch sonst immer … ich bin immer irgendwie damit klar gekommen, wenn Tsu so war … Ich will ihn einfach nicht verletzen …“ „Aber, schau mal, du hast auch deine Grenzen. Du liebst Tsuzuku, das weiß ich und das ist auch gut so, aber du darfst dich dabei selbst nicht so sehr aus dem Blick verlieren. Wenn er sich falsch verhält und dich so in Gefahr bringt, dann musst du ihm auch klar machen, wo deine eigenen Grenzen sind. Sonst passiert so was doch immer wieder.“ Koichi sah mich direkt an, und ich glaubte ihm auch. Aber irgendwie, vielleicht weil ich Tsuzuku so nah war, hatte sich seine extreme Art, die Dinge aufzunehmen und zu verstehen, ein Stück weit auf mich übertragen. Ich bemerkte jetzt, dass es auch mir schwer fiel, eine ausgeglichene Mitte zu finden. Ich hatte seit heute Morgen vieles gelesen. Hatte mir Artikel, Foren, digitale Bücher, alles Mögliche zum Thema Borderline angeschaut. Begonnen hatte ich damit auf der Suche nach einem Ratgeber für Partner von Erkrankten, weil ich ja selbst ahnte, dass ich als Tsuzukus Partner auch irgendeine professionelle Unterstützung brauchte. Wie sollte ich mit ihm umgehen, wenn er immer wieder so tief fiel, weinte, schrie und sich wehtat? Aber bei dieser Suche war ich dann aber auch auf ganz furchtbare Foren-Postings gestoßen. Leute, die mal mit Borderline-Kranken zusammen gewesen waren und nun voller Hass schrieben, dass diese Menschen ‚absolut giftig‘ und ‚gefährlich‘ seien. Ich spürte, wenn ich so etwas las, eine Mischung aus Wut und Angst. Wut, weil ich solche Postings einfach gemein fand. Und Angst, weil ich fürchtete, dass solche Menschen so etwas auch zu mir sagen würden: ‚Trenn dich von ihm, er ist gefährlich‘ Ich stand, egal was er tat, immer noch total auf Tsuzukus Seite. Mir war zwar klar, dass er gerade dachte, ich hätte ihn verlassen, aber dass dem nicht so war, wusste ich für mich ganz genau. Ich wollte wieder zu ihm zurück, wollte ihn heiraten und den Rest unseres Lebens mit ihm verbringen. Und ich sah absolut keine Alternative, wollte auch keine, denn dass Tsuzuku in jeder Hinsicht der Mann meines Lebens war, war doch längst vollkommen klar. „Meto, sag, was stellst du dir vor?“, fragte Koichi. „Ich … ich will wieder zu ihm“, brachte ich leise heraus und spürte, wie mir die Tränen die Wangen hinab liefen. „Er fehlt mir so … und ich will ihm sagen, dass es mir leid tut!“ „Bist du denn soweit erholt?“ „Ich weiß nicht … Aber ich will ihn nicht so furchtbar warten lassen! Er geht doch ein, so ohne mich!“ „Aber schau, das muss er auch gerade lernen“, gab Koichi zu bedenken, und ich wusste, dass er irgendwo Recht hatte. „Ich weiß …“, sagte ich. Und sprach dann aus, was mir seit heute Mittag immer wieder durch den Kopf ging: „Aber ich denke, das hat doch Zeit bis nach der Hochzeit, oder? Ich will auf keinen Fall, dass unsere Hochzeit deswegen platzt!“ Koichi sah mich eine Weile nachdenklich an, er schien sich zu fragen, was wir jetzt tun sollten. Dann holte er sein Handy raus. „Also willst du morgen wieder nach Hause?“, fragte er. Ich nickte. „Ja!“ „Dann schreibe ich das so an Tsuzuku. Ich hatte ihm vorhin versprochen, dass ich ihm schreibe, wann du wieder nach Hause kommst.“ Tatsächlich wollte mein Gefühl aber nicht nur das. Nicht nur einfach morgen wieder nach Hause fahren, sondern heute schon zumindest meinen Verlobten in der Klinik besuchen, ihn fragen, ob er wieder nach Hause wollte. Ich wollte, dass so schnell wie möglich alles wieder gut wurde. „Koichi? Du warst heute schon bei ihm, oder?“ „Ja. Warum?“ „Weil ich ihn sehen will. Ich will ihm direkt sagen, dass ich ihn liebe.“ „Du willst jetzt noch zu ihm fahren?“ „Ja. Weil ich nicht will, dass er sich zu lange so verlassen fühlt.“ „Hm … vielleicht ist das so gesehen wirklich das Beste …“, sagte Koichi. Und so packte ich meine Tasche, nahm Ruana mit und sagte Mama „Auf Wiedersehen“, dann ging ich mit Koichi aus dem Haus und in Richtung Bahnhof. Im Zug redeten wir nicht viel, aber wir dachten wohl beide dasselbe, machten uns Gedanken um Tsuzuku. Vom Bahnhof aus nahmen wir direkt die Bahn zur Klinik, stiegen dort aus, denn von da war es ja bis zu mir nach Hause auch nicht weit. In der Klinik mussten wir eine ganze Zeit lang warten. Die Schwester auf der Station sagte, gerade sei Gruppensitzung, dann dürfte niemand von außen auf die Station. Wir setzten uns also im Bereich davor hin und warteten. „Meto …“, sprach Koichi mich leise an, „… weißt du, es kann sein, dass Tsuzuku gleich … nicht so reagiert wie sonst, wenn ihr euch wieder seht. Er hat die letzte Nacht überhaupt nicht geschlafen, und er kommt nicht von dem Gefühl weg, dass du ihn verlassen hast. Nimm ihm das bitte nicht übel, wenn er gleich … ein bisschen distanziert oder so ist …“ Ich antwortete erst nicht. Und ehrlich gesagt hatte ich ein wenig Angst. Auch wenn Koichi gesagt hatte, dass Tsuzuku mich noch liebte, hatte ich Angst, dass sich da etwas verändert hatte. Das, was ich gelesen hatte, über Schwarz-Weiß-Denken und Wut … das machte mir wirklich Angst. „Aber er hat gesagt, dass er mich noch liebt?“, fragte ich leise. „Ja. Und dass er dich nicht hassen will. Er weiß, was Schwarz-Weiß-Denken ist, es ist ihm bewusst und er kämpft dagegen an.“ Und obwohl das ja eigentlich eine gute Nachricht war, stiegen mir Tränen in die Augen. Es tat mir so unsäglich Leid, dass ich weggegangen war, und zugleich wusste ich, ich hatte nicht anders gekonnt. Die Situation hatte mich, wo ich sowieso schon erschöpft gewesen war, einfach überfordert. „Meto, eigentlich bist du doch noch nicht mal wirklich erholt, oder?“, fragte Koichi. Ich schüttelte den Kopf. „Aber wie kann ich denn mich auch erholen, wenn ich weiß, dass Tsuzuku ohne mich so sehr leidet?!“ Koichi nickte. „Ja, das kann ich verstehen. Du hast auch kaum geschlafen, oder?“ „M-hm …“ „Und trotzdem willst du ihn jetzt schon wieder nach Hause holen?“ „Ja“, sagte ich. „Weil ich nicht will, dass wir so lange getrennt sind …“ In dem Moment kam die Krankenschwester wieder, öffnete die Tür und ließ uns herein. Aus einer anderen Tür kamen gerade die Patienten auf den Flur, und ich sah Tsuzuku, wie er sich von den anderen abwandte und wohl auf sein Zimmer wollte. Er schottete sich ab, das war ihm anzumerken, es war dieselbe unnahbare Fassade, die er auch in der Zeit auf der Straße aufgesetzt gehabt hatte. „Tsu!“, rief Koichi. „Hey!“ Tsuzuku wandte sich um, sah erst Koichi, dann mich. Sein Blick war seltsam, er sah irgendwie … fremd oder so aus, und ich verstand, was Koichi eben mit ‚distanziert‘ gemeint hatte. Er kam auf uns zu, sah mich immer wieder kurz an und blickte dann wieder zu Koichi, so als hielte er es kaum aus, mich anzuschauen. „Ich … bin wieder … da …“, sagte ich leise, und es war meinem Gefühl nach das erste Mal, dass ich Tsuzuku gegenüber so ins Stocken geriet. Tsuzuku sagte nichts. Er stand nur da, sah Koichi an, dann wieder mich, dann blickte er zu Boden. „Möchtest du nicht … mit mir … wieder … nach Hause kommen?“, fragte ich und spürte, wie mir das Blut in die Wangen stieg. Dass ich zum ersten Mal jetzt auch Tsuzuku gegenüber so stockte, machte mir Angst, es war, als sei diese besondere Nähe zwischen uns irgendwie … weg? „… Willst du das denn?“, fragte Tsuzuku, seine Stimme klang belegt und rau. „Ja“, sagte ich. „Ja, natürlich will ich das!“ Heilfroh, dass ich das wieder ohne Stocken herausbrachte, musste ich ein wenig lächeln. Tsuzuku lächelte zurück, allerdings sehr scheu und verhalten. „Tsu, es tut mir leid, dass ich weggelaufen bin! Es war einfach … alles so viel, ich konnte einfach nicht mehr … aber es tut mir so leid, ich …“ „Meto, mir tut’s leid“, unterbrach er mich. „Mir tut es leid, dass ich so bin.“ „Komm mit nach Hause, Tsuzuku, bitte! Du kannst auch im Wohnzimmer schlafen, oder ich schlafe da, wenn dir das im Bett noch zu viel ist, oder was auch immer …!“ Er sah mich an, und es dauerte ein wenig, bis er etwas sagte. Ich hatte Angst. Angst, dass er nicht wollte, dass er hier blieb und sich von mir trennte … In diesem Moment erschien mir seine Krankheit so unberechenbar, und ich wusste nicht, ob das, was er gerade dachte und fühlte und tat, von ihm selbst aus oder von seiner Krankheit aus kam. „Meto, ich …“, begann er schließlich, „… ich hab dich sehr vermisst. So sehr, dass ich es kaum noch ausgehalten habe. Ich weiß nicht, ob wir … na ja, ob wir beide uns nicht vielleicht … einfach zu nah sind. Ich will auch nach Hause, aber … ich hab Angst, vor diesem Schmerz …“ „Ich kann auf dem Sofa schlafen“, sagte ich noch mal, wollte seine Hand nehmen, aber ich traute mich nicht. Koichi, der ohne ein Wort daneben stand, wurde ein wenig unruhig, wir standen ja immer noch einfach mitten auf dem Stationsflur. „Wollen wir vielleicht in dein Zimmer gehen, Tsu?“, fragte er schließlich in die Stille zwischen uns hinein. Tsuzuku nickte, und wir folgten ihm zu einem der Patientenzimmer. Als wir dort drinnen waren, fing er gleich an, ohne ein Wort seine Sachen zu packen. Es war nicht viel, und als er fertig war, sagte er nur: „Ich komme mit.“ Es wurde nicht mehr viel geredet. Tsu nahm die beiden Taschen mit seinen Sachen, ging als Erster wieder aus dem Zimmer und zum Stationszimmer hin, wo er sich abmeldete und versicherte, dass er auf eigene Verantwortung nach Hause ging. Als wir dann die Station verließen, berührte seine Hand kurz die meine, aber ich war mir nicht sicher, ob zufällig oder mit Absicht. Der Weg nach Hause fühlte sich leer an. Tsuzuku sagte nichts, und ich wusste auch nicht, was er dachte. Ob Koichi gerade besser in ihm lesen konnte, konnte ich nicht erkennen, und ich traute mich nicht, danach zu fragen. Und so gingen wir schweigend, bis auf das eine Mal vor der Haustür, als ich Koichi nach dem Schlüssel fragen musste und er ihn mir zurückgab. Auf der Treppe fiel Tsuzuku einige Schritte hinter uns zurück, und als ich mich umdrehte, sah ich, dass er keuchte und sich die Hand ans Herz hielt. Doch ich war in diesem Moment zu unsicher, um ihm helfen zu können, und so war es Koichi, der sogleich bei ihm war und ihn stützte. „Am besten legst du dich drinnen gleich hin“, sagte er und half Tsuzuku die letzten Treppenstufen hoch. Ich schloss die Wohnungstür auf, ließ die beiden in die Wohnung und machte dann wieder zu. Und ich löste gleich mein Versprechen ein, holte Tsuzukus Bettzeug aus dem Schlafzimmer und machte ihm auf der ausklappbaren Couch im Wohnzimmer ein Schlaflager. Er zog sich bis auf die Unterwäsche aus, legte sich hin, mit dem Gesicht zur Rückenlehne, zog die Bettdecke hoch und blieb so liegen. Ich sah nicht nach, ob er eingeschlafen war, sondern ließ ihn einfach so. Koichi hatte in unserer Küche Tee gekocht und wir saßen noch ein bisschen zusammen. „Ich hab dich für die nächsten Tage im Café krank gemeldet“, sagte er. „Du musst erst wieder arbeiten kommen, wenn mit dir und Tsu wieder alles okay ist.“ „Danke.“ „Meto, das wird wieder. Da bin ich mir ganz sicher.“ „… Er sagt ja gar nichts mehr …“, erwiderte ich leise und spürte schon wieder Tränen in meinen Augen. „Weil er Angst hat. Ihr habt gerade beide sehr viel Angst“, sagte Koichi. „Er hat Angst, dass du ihn nicht mehr willst, und du hast Angst, dass er dich nicht mehr will.“ „Aber ich will ihn doch!“ „Dann mach ihm das klar. Du bist noch eher handlungsfähig als er. Tsuzuku hat solche wahnsinnige Angst, dass er wie gelähmt ist, er weiß wahrscheinlich gerade gar nicht mehr, wie es weiter gehen soll.“ Ich sah aus dem Fenster nach draußen, wo es schon langsam dunkler wurde. Der Tag ging schon langsam seinem Ende entgegen und ich hatte das Gefühl, als müsste ich noch heute unbedingt alles wieder in Ordnung bringen. Nur wie sollte ich das machen, wenn Tsuzuku vor lauter Angst und Schmerz nicht mehr zu wissen schien, was er eigentlich wollte? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)