Yasashikunai Mirai von Harulein (Tsuzuku x Meto) ================================================================================ Kapitel 17: [meto] Act 17 ------------------------- Als mich der Anruf von der Klinik erreichte, saß ich gerade mit meiner Mama am Küchentisch. Sie hatte mir Tee gekocht und versucht, mich wieder zu beruhigen, nachdem ich völlig verheult, wütend und verzweifelt bei ihr angekommen war und ihr erzählt hatte, was passiert war. Wir hatten dann lange geredet, über Tsuzukus und meine Beziehung, und auch über seine Probleme. Und ich hatte diese zum ersten Mal meiner Mama gegenüber beim Namen genannt, sie wusste jetzt, dass mein Freund an einer Borderline-Störung litt. Mama wusste etwas mehr darüber als ich und erzählte mir, dass sie einen Mandanten hatte, der anscheinend ebenfalls so eine Krankheit hatte. Als mein Handy klingelte, ging ich mit großer Sorge ran und erfuhr von Dr. Matsuyama, dass Tsuzuku im Krankenhaus war. Im Krankenhaus!? Mein erster Gedanke war: „Er hat doch nicht etwa versucht …“, und mir schoss sofort die Angst in die Knochen. Gerade, wo ich mit Mama über das alles gesprochen hatte, war ich mit den Gedanken nah dran, und die Angst, Tsuzuku könnte sich etwas angetan haben, lähmte mich fast. „Was… denn… mit ihm …ist?“, fragte ich mit zitternder Stimme und verfiel in meinen Sprachfehler. „Er ist zusammengebrochen, im Park“, antwortete Dr. Matsuyama am anderen Ende der Leitung. „Er war eine Weile ohnmächtig, aber jetzt ist er wieder wach.“ Sie schwieg einen Moment, dann fügte sie hinzu: „Aber er kann sich nicht erinnern, wie das passiert ist.“ „… Wir… hatten Streit, ich bin… einfach weggelaufen…“, sagte ich leise, bekam nur mit Mühe die Worte halbwegs richtig heraus. „Ich… dran schuld, hab ihm … Vorwürfe gemacht… und bin… dann einfach weg …“ „Asakawa-san, Sie müssen sich keine Vorwürfe machen. Wenn Ihr Freund wirklich Borderline hat, dann ist diese Krankheit schuld, sonst niemand.“ Dr. Matsuyama klang ganz ernst und ich hatte das Gefühl, dass unser Fall ihr persönlich nahe ging. Sie war ja eigentlich Notärztin und musste sich gar nicht weiter um ihre Fälle kümmern, nachdem sie sie ins Krankenhaus eingeliefert hatte, doch sie tat es und ich fand das sehr nett von ihr. „Ich… mach mich… gleich auf den Weg, bin… bald da“, sagte ich schnell und stand schon auf. Die Ärztin legte auf und ich steckte mein Handy weg, nahm meine Tasche. „Was ist denn?“, fragte Mama besorgt. „Tsuzuku ist im Krankenhaus“, antwortete ich und zog meine Jacke an. „Er ist wieder zusammengebrochen.“ Ich zog hastig meine Schuhe an und lief, so schnell ich konnte, zum Bahnhof. Gerade, als ich dort ankam, fuhr der Zug in die Großstadt weg, also musste ich warten. Ich setzte mich auf eine der Bänke und hatte alle Mühe, vor Sorge um meinen Freund nicht verrückt zu werden. Meine Wut auf ihn war erst mal weg, wurde von der Angst beiseitegeschoben. Wie konnte ich auch wütend auf ihn sein, wenn es ihm schlecht ging? Und doch, während ich dort saß und auf den Zug wartete, dachte es in meinem Kopf darüber nach, warum er mich vorhin so verraten und nicht zu mir gestanden hatte. Anscheinend hatte er so große Angst davor, dass ihn Leute hassten, dass er sich zu der Lüge, wir seien gar kein Paar, entschlossen hatte. Und das ausgerechnet in dem Moment, als ich mich selbst dazu durchgerungen hatte, zu meiner Homosexualität zu stehen. Es hatte furchtbar weh getan, denn mir war durch unser tränenreiches Gespräch von gestern Abend selbst erst so richtig deutlich geworden, dass mein Sprachfehler, die Verspannungen und meine Unsicherheit direkt damit zusammenhingen, dass ich eben auf Männer stand und das vom Großteil der Welt um uns herum nicht akzeptiert wurde. Da hatte ich mich endlich mal dazu durchgekämpft, dazu zu stehen, und dann war es ausgerechnet Tsuzuku gewesen, der es so geleugnet hatte. Ich war einfach so enttäuscht von ihm! Wenn wir allein miteinander waren oder in vertrauter Umgebung, war er immer so überschwänglich zärtlich, sprudelte über vor Liebe und machte mich unendlich glücklich, doch sobald wir in die Öffentlichkeit gingen und die Blicke der fremden Leute spürten, hatte er offenbar oft mehr Angst, als dass er zu uns stehen wollte oder konnte. Bisher hatte mir das wenig ausgemacht, doch dieses Gespräch gestern Abend hatte etwas in mir verändert. Ich wollte wirklich zu ihm stehen und dass er auch zu mir stand. Immerhin wollten wir heiraten. Und ich hatte gedacht, er wollte unsere Liebe öffentlich machen, zeigen, dass wir zusammen gehörten. Wo war das hin, wenn er dann doch wieder leugnete, dass wir ein Liebespaar waren? Und warum tat er das? Wo kam seine Angst vor der Ablehnung vonseiten fremder Menschen her? Der nächste Zug in die Großstadt fuhr ein, ich stieg ein und suchte mir einen ruhigen Platz, schaute während der Fahrt aus dem Fenster und dachte über meinen Freund nach, über seine Probleme und meine, und als der Zug schließlich hielt, hatte ich einen Entschluss gefasst: Tsuzuku brauchte professionelle Hilfe. Es waren nicht mal seine Stimmungsschwankungen, seine Selbstverletzung oder seine Essstörung, an die ich da dachte, sondern seine Angst vor Ablehnung fremder Menschen und sein Hinterfragen meiner Liebe. Die beiden Dinge an ihm, mit denen ich am wenigsten zurechtkam. Ich konnte mit jemandem leben, der sich selbst wehtat. Ich kam halbwegs damit klar, dass er zu wenig aß. Ich konnte mich auf seine Stimmungsschwankungen einstellen und auf sein impulsives Verhalten, und ich wusste ungefähr, was zu tun war, wenn er sich abgrundtief traurig und leer fühlte. Ich liebte ihn über alles, und ich war bereit, mein Leben mit jemandem zu verbringen, dessen Persönlichkeit nicht gesund war, und das nun mal diesen Namen Borderline-Persönlichkeitsstörung trug. Eben weil ich Tsuzuku so sehr liebte. Aber ich kam nicht damit klar, wenn er das anzweifelte, dass ich ihn liebte. Und noch weniger kam ich damit zurecht, dass er wegen Angst vor dem Urteil und der Ablehnung fremder Leute nicht zu unserer Beziehung stand. Darüber würden wir sprechen müssen. Und ich würde versuchen, ihn doch zu überreden, sich hilfesuchend an einen Psychologen zu wenden. Kurz erinnerte ich mich daran, dass meine Eltern mich im vergangenen Jahr auch zu einer Psychologin geschickt hatten, wegen meiner Sprachprobleme, und dass ich mich ebenfalls sehr dagegen gesperrt hatte. Doch letztendlich hatte mir diese Frau doch einmal helfen können, und deshalb glaubte ich, dass so jemand Tsu vielleicht auch helfen konnte. Von Bahnhof aus lief ich zum städtischen Krankenhaus, fragte am Schalter nach Frau Dr. Matsuyama und wurde angewiesen, auf sie zu warten. Lange warten musste ich nicht, die Ärztin kam bald auf mich zu und bat mich in einen kleinen Besprechungsraum, wo sie sich setzte und mir den Platz gegenüber anbot. „Ich möchte mich kurz mit Ihnen unterhalten, Asakawa-san“, sagte sie. Ich sah sie nur an, antwortete nicht, mein Sprachzentrum war wieder einmal lahmgelegt. „Sie leisten in der Beziehung zu Aoba-san offensichtlich sehr viel. Als ich bei Ihnen war, ist mir ganz deutlich geworden, wie eng Sie beide verbunden sind und das, obwohl ihr Freund an einer solchen Krankheit leidet. Aber … Sie können nicht alles für ihn tun. Asakawa-san, Ihr Freund braucht Hilfe. Professionelle Hilfe, von Leuten, die Sie beide im Leben unterstützen.“ „Ich… weiß“, sagte ich leise. „Soweit… bin ich… auch schon…“ „Ich habe einen sehr guten Psychiater zu ihm geschickt, aber Ihr Freund hat das Gespräch verweigert. Wissen Sie, warum?“ „Er… ja Angst hat… vor Krankenhaus… und so. Und besonders… vor Psychiatern… und Psychologen… und solchen…“, antwortete ich leise. „Genau… weiß ich auch… nicht, warum…“ „Reden Sie bitte mit ihm darüber. Ich denke, Ihnen hört er da noch am ehesten zu.“ Ich nickte. Auch, wenn ich noch nicht wusste, wie ich Tsuzuku meinen Entschluss, dass wir richtige Hilfe annehmen mussten, beibringen sollte. Dr. Matsuyama stand auf, und ich folgte ihr aus dem Raum, den Gang hinunter und einige Treppen hinauf, bis sie vor einer Krankenzimmertür stehen blieb. Sie öffnete die Tür und ich betrat das Zimmer, in dem drei Betten standen, zwei an der Wand und eins am Fenster. Die beiden an der Wand waren im Augenblick leer, doch es war zu erkennen, dass sie sonst belegt waren. Und in dem Bett am Fenster war die Bettdecke bis übers Kopfkissen hochgezogen, darunter erkannte ich versteckt den Körper meines Freundes. Zuerst schien es, bis auf das leise Piepen des neben dem Bett stehenden EKG-Geräts, still im Zimmer zu sein und ich dachte schon, dass Tsuzuku vielleicht schlief, doch dann hörte ich ihn leise schluchzen. Langsam ging ich zu dem Bett hinüber und als ich davor stand, sagte ich leise: „Hey, Tsu …“ Ich setzte mich auf die Bettkante und streckte die Hand nach der unter der Decke verborgenen, zitternden Schulter aus, streichelte sanft und liebevoll. Und obwohl ich immer noch mit ihm über vorhin reden und wissen wollte, warum er unsere Beziehung so verleugnet hatte, spürte ich doch, ich hatte ihm das im Grunde längst verziehen. Langsam und vorsichtig zog ich die Bettdecke weg, und sah, dass Tsuzuku sich darunter ganz klein und eng zusammen gekauert hatte. Wie ein Kind, das sich bei Gewitter unter der Decke versteckte, hatte er sich aus Angst vor der Welt verkrochen und machte sich ganz klein. „Meto …“, flüsterte er mit tränenerstickter Stimme meinen Namen und sah mich an, seine Augen waren gerötet vom Weinen und seine Hände wieder ganz zerkratzt. „Was immer ich getan hab … verzeih mir, bitte …“ Tsuzuku sah so unglaublich traurig und kaputt aus, wie er da lag und mich fast schon flehend ansah, dass mir selbst ebenfalls Tränen in die Augen stiegen. Ich stellte meine Tasche ab, zog meine Schuhe aus und legte mich einfach zu ihm, meinen Arm um ihn, und fühlte mich wieder als der, der ihn beschützen musste. „Alles gut, Tsuzuku, ich bin bei dir“, flüsterte ich. Er zitterte, ich zog die Bettdecke wieder hoch, deckte uns beide zu und fügte hinzu: „Ich wärm dich.“ Ein lautes, schnelles Piepen ließ mich zu der Maschine neben dem Bett schauen. Die Linien, die Tsu’s Herzschlag aufzeichneten, schlugen etwas stärker aus. Er hatte einen damit verbundenen, kleinen Sensor auf der Brust kleben, und noch dazu eine Infusion an der Hand. „Beruhige dich, mein Schatz, es ist alles gut, ich bin da“, sagte ich noch einmal und streichelte über seine Seite. „Ich pass auf dich auf, dann kann dir nichts passieren.“ „Lass mich bitte … nie wieder allein …“, flüsterte Tsuzuku, er drehte sich zu mir um und klammerte sich an mich. „Du darfst mich nicht verlassen …!“ Ich umarmte ihn fester, zog ihn nah an mich und küsste ihn, dachte daran, dass es an mir lag, dafür zu sorgen, dass er sich wieder ein wenig stabilisierte. Er küsste mich sehnsüchtig zurück, seine Lippen schmeckten nach dem Salz seiner Tränen, und seine Hand krallte in meine Seite, so als wollte er mich mit aller Kraft festhalten, damit ich nie wieder weg ging. „Ich verlass dich nicht“, antwortete ich. „Ganz bestimmt nicht.“ „Das darfst du nicht … Ich überleb das nicht …“ Seine Stimme klang so verzweifelt, genauso, wie er mich ansah. Der Schmerz in seinem Gesicht, die Angst, es war fast wieder wie damals, als ich ihn gerade neu gekannt und er oft vom Sterben gesprochen hatte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Hatte keine Worte, um dem Schmerz in seiner verletzten Seele etwas entgegenzusetzen. Alles, was ich tun konnte, war, ihn weiter ganz fest zu halten, damit er fühlte, dass ich bei ihm war, und er nicht zerbrach. „Und du kannst dich wirklich nicht an vorhin erinnern, hat die Ärztin gesagt?“, fragte ich. Er schüttelte den Kopf, sagte mit ganz leiser und kraftloser Stimme: „Ich weiß nur noch, dass wir aus der Wohnung gegangen sind.“ Und dann: „Was ist dann passiert?“ „Tsu, ist es okay, wenn wir später darüber reden? Dann, wenn es dir ein wenig besser geht?“, fragte ich leise. Es war mir zu gefährlich, diese schlimme Situation da im Park jetzt wieder hochzuholen, weil ich ja auch nicht wusste, ob und wie Tsuzuku sich daran wieder erinnern würde. Er nickte auf meine Worte hin und drückte sich an mich, ich spürte immer noch seine Angst. Und ich beschloss, dass wir erst richtig über alles reden würden, wenn Tsu wieder aus dem Krankenhaus raus war. Das war besser für ihn, und auch für mich. Er musste sich erst einmal erholen, und ich musste überlegen, wie ich ihm beibringen sollte, dass wir professionelle Hilfe brauchten. Wir blieben eine Weile so liegen, ich hielt ihn im Arm, bis er sich wieder beruhigt hatte. Irgendwann kamen zwei Frauen herein, denen wohl die beiden anderen Betten gehörten, und die ältere von ihnen sah uns etwas irritiert an, sagte aber nichts. Ich war froh darüber, und Tsuzuku wirkte viel zu kaputt und erschöpft, reagierte gar nicht auf die beiden. Als die jüngere, eine Frau von etwa vierzig, uns dann doch ansprach und fragte, ob alles in Ordnung sei, und Tsuzuku immer noch einfach nicht auf sie reagierte, antwortete ich, zu meinem eigenen Stolz fast ohne Stocken: „Ja … alles gut, ich … kümmere mich schon um ihn …“ „Sind Sie beide verwandt?“, fragte die Frau. Ich sah Tsu an, ob er wollte, dass ich antwortete, und er lächelte matt, schmiegte sich enger an mich. „Nein… wir… sind zusammen“, sagte ich. Selbst wenn Tsuzuku sich nicht an vorhin erinnern konnte, so war ihm doch anzumerken, dass er irgendwo doch wusste, was der Grund für seinen Zusammenbruch gewesen war. Er kuschelte sich an mich, so als wollte sein Unterbewusstsein mir zeigen, dass er seinen Fehler wieder gut machen wollte. Die Frau sagte nichts weiter dazu, sondern legte sich wieder hin und wandte sich einer Zeitschrift auf ihrem Nachttisch zu. „Meto …“, sprach Tsu mich leise an, „Ich liebe dich.“ Ich lächelte, drückte ihn fest an mich und flüsterte zurück: „Ich dich auch.“ Ich blieb bei ihm, und später, als ich Hunger bekam, stand ich auf, um mir etwas zu essen aus der Cafeteria zu holen. „Ich hab Hunger. Soll ich dir was mitbringen?“, fragte ich meinen Freund. Tsuzuku schüttelte den Kopf. „Ich will nichts.“ „Du musst was essen. Wir machen es so, dass ich mir einfach ein bisschen mehr hole und dann kriegst du von meinem was ab, okay?“ Er streckte seine Hand nach mir aus. „Sei bitte schnell wieder da.“ „Klar, ich beeil mich.“ Ich lächelte. Ich lief den Gang und die Treppen runter in die Cafeteria, überlegte mir auf dem Weg schon mal, was ich essen wollte, und entschied mich, als ich mich in die Schlange vor der Theke einreihte, für ganz einfachen Reis mit Sauce, dazu ein Päckchen Eistee. Die Schlange war doch recht lang und je länger ich da stand und wartete, umso mehr kam ich wieder ins Nachdenken. Irgendwie … war von einem Moment auf den anderen alles wieder schlimmer geworden mit Tsuzukus Krankheit, er wirkte wieder so kraftlos und kaputt wie früher und jetzt mussten wir außerdem befürchten, dass mit seinem Herzen wirklich etwas nicht stimmte. Als ich endlich drankam und bestellte, war ich innen drin voller Angst, dass mein Freund diese Krise nicht so einfach überstehen würde. Mit dem Essen in den Händen lief ich zurück, und als ich wieder ins Zimmer kam, lag Tsuzuku mit leerem Blick im Bett und ich sah wieder Tränen auf seinen Wangen. Ich stellte das Essen auf den Nachttisch und legte mich erst mal wieder zu ihm, streichelte ihn und flüsterte ihm zu, dass doch alles gut und ich wieder da war. „Komm, wir essen ein bisschen, ja?“, sagte ich, setzte mich auf und nahm den Teller und die Stäbchen in die Hand. „Ich will nichts.“ „Bitte. Für mich.“ Ich sah ihn lieb an, küsste seine Wange. Tsu sah mich abwägend an, dann fragte er leise, fast schüchtern: „Fütterst du mich?“ Ich grinste. „Immer doch.“ Nahm ein bisschen Reis zwischen die Stäbchen, Tsuzuku öffnete den Mund und ich schob es ihm rein, einen Happen nach dem anderen. Zwischendurch ließ ich ihm genug Zeit, dass er in Ruhe kauen und schlucken konnte, und ich aß selbst auch etwas, achtete aber darauf, dass er ungefähr die Hälfte der Portion abbekam. Die beiden Damen in den anderen Betten sahen uns zu, aber zumindest mir war das egal, und Tsu anscheinend auch, denn mit jedem Happen Reis, den ich ihm ‚verfütterte‘, wirkte er entspannter. Ich hatte zwei Päckchen Eistee mitgebracht, und als der Reis aufgegessen war, reichte ich meinem Freund eines davon, welches er auch gleich gierig austrank. „Gut gemacht“, lobte ich ihn und gab ihm noch einen Kuss. Er kuschelte sich an mich, wirkte wie ein glückliches Kind, das sehr krank gewesen war und sich jetzt aber auf dem langsamen Weg der Besserung befand. Und ich freute mich, dass es ihm etwas besser ging, auch wenn ich die Verantwortung für ihn deutlich spürte, wenn ich so für ihn sorgte. Aber ich tat es gern, sehr gern, weil ich ihn liebte und ich wollte, dass er sich so gut wie möglich fühlte. Ich verbrachte den ganzen Nachmittag im Krankenhaus, an Tsuzukus Seite. Irgendwann holte ich ein Buch und zwei Zeitschriften vom Kiosk und begann, ihm daraus vorzulesen, dann las er mir vor, immer abwechselnd. Auch, als Visite war, blieb ich bei ihm sitzen, passte auf ihn auf und tat das, was ich ihm mit meinem ‚Ja‘ zu seinem Heiratsantrag versprochen hatte: Bei ihm zu sein, in guten und schlechten Zeiten, einfach immer, damit er sich nicht allein fühlte. Ich wusste, wir hatten vorhin im Park beide Fehler gemacht: Er, indem er sich nicht zu mir bekannt hatte, und ich, indem ich einfach weggelaufen war. Ich konnte mir vorstellen, dass das in ihm diese furchtbare Angst vor dem Verlassenwerden wieder wachgerufen und dass eben das zu seinem Zusammenbruch geführt hatte. Aber jetzt machten wir es beide wieder gut. Tsuzuku stand zu mir, verleugnete den Ärzten und anderen Patienten gegenüber nicht unsere Beziehung, und ich blieb bei ihm und machte ihm keine Vorhaltungen. Uns war jetzt beiden klar, dass unser Zusammenhalt und unsere Beziehung für ihn absolut lebenswichtig war, und auch, wenn er sich nicht an den Grund für den Zusammenbruch erinnern konnte, war ich mir sicher, dass er dem Fehler, unser Zusammensein zu verleugnen, so schnell nicht wieder machen würde. Aber wir würden, sobald er aus dem Krankenhaus raus und wieder halbwegs gut drauf war, noch einmal in Ruhe darüber reden. Abends, als ich nach Hause musste, fiel es mir sehr schwer, zu gehen und Tsuzuku hier allein zu lassen. Ich wusste, die Nacht ohne mich im Krankenhaus zu verbringen, machte ihm sehr große Angst, doch ich hatte es nicht geschafft, die Ärzte davon zu überzeugen, dass ich über Nacht bei ihm bleiben durfte. Sie hatten gesagt, eine oder zwei Nächte würde er hier bleiben müssen. Und ich musste morgen wieder arbeiten, er würde also die Nacht und den ganzen Vormittag ohne mich sein. Am liebsten wollte ich entweder gar nicht gehen, bei ihm bleiben, oder ihn wieder mit nach Hause nehmen, weil ich genau wusste, dass er mich in diesem Zustand sehr vermissen würde. Zum Abschied küsste ich ihn lange und mit all meiner Liebe, er hatte schon Tränen in den Augen und bat dann die Krankenschwester, die uns das Ende der heutigen Besuchszeit angekündigt hatte, um eine Schlaftablette, damit er gleich schlafen konnte und nicht so lange ohne mich wachliegen musste. „Ich komme morgen Mittag wieder“, sagte ich und streichelte Tsu’s Wange. „Schlaf gut, mein Herz, und hab keine Angst, es wird alles wieder gut.“ Als ich die Tür des Krankenzimmers hinter mir wieder schloss, hatte ich auch Tränen in den Augen. Ich würde Tsuzuku heute Nacht ebenfalls sehr vermissen, unser Bett würde so leer sein ohne ihn. Mit schwerem Herzen und mit den Tränen kämpfend verließ ich das Krankenhaus, lief zur Bahnstation und setzte mich in die Bahn nach Hause. In der Bahn schrieb ich eine längere SMS an Koichi, der ja auch wissen musste, dass Tsuzuku im Krankenhaus war, und bekam eine heftig besorgte Antwort, was denn passiert sei. Ich rief ihn an, als ich aus der Bahn raus war, erzählte ihm in kurzen Worten, was passiert war, und musste Koichi erst mal beruhigen, weil er sich jetzt natürlich wahnsinnige Sorgen um Tsuzuku machte. Daraus folgte, dass wir wieder einmal länger über meinen Freund sprachen, darüber, was wir beide tun konnten und sollten, damit es ihm besser ging, und wir waren uns wieder einmal einig, dass dieses Ungeheuer Borderline absolut furchtbar war und wir nicht aufhören durften, an Tsuzukus Seite dagegen anzukämpfen. Ich erzählte Koichi auch, dass anscheinend doch auch mit Tsuzukus Herzen irgendetwas nicht stimmte, dass die Ärzte jedoch noch nicht wussten, was da genau los war. Dr. Matsuyama hatte gesagt, morgen würden sie noch ein paar Untersuchungen machen, dann wüsste man vielleicht mehr. Zu Hause angekommen, suchte ich nach irgendwas, womit ich mich von meiner Sorge um meinen Freund ablenken konnte, und landete schließlich vor der Spielekonsole, spielte ungefähr eine Stunde, bis ich endlich zu müde dafür wurde, mich abschminkte und auszog und dann ins Bett legte. Es war ungewohnt, allein hier zu liegen, und nachdem ich einige Minuten vergeblich versucht hatte, ruhig einzuschlafen, und mich immer wieder von einer Seite auf die andere drehte, stiegen mir wieder Tränen in die Augen. Und als ich dann daran dachte, dass Tsuzuku jetzt, auch ganz traurig und allein, im Krankenhaus lag, musste ich richtig weinen. Ich vermisste ihn, das Bett war so leer und ich hatte Angst um ihn, dass er furchtbar litt und sich wieder kratzte und selbst wehtat, weil er mich ebenso vermisste. Und, auch wenn das jetzt vielleicht ein wenig unpassend war: Ich sehnte mich nach seinem warmen Körper, nach seinen Armen um mich und den allabendlichen Zärtlichkeiten zwischen uns. Ich war mir ganz sicher, dass er sich ebenso nach mir sehnte. Zärtlichkeiten, Lust, eng umarmt Haut an Haut einzuschlafen, das war uns beiden so wichtig, er vermisste das ganz sicher genauso sehr wie ich. Irgendwann schlief ich dann doch ein, doch es war kein ruhiger Schlaf, sondern einer voller Albträume, Ängste und Sehnsucht. Ich träumte, dass Tsuzuku sich selbst verletzte, schrie und weinte, dass es ihm so schlecht ging, dass ich ihn kaum beruhigen konnte. Ich hatte furchtbare Angst um ihn und meine Träume spiegelten das. Und andererseits träumte ich von seiner Lust, seiner unbeherrschten Leidenschaft und seinem heißen Körper, davon, dass er mich fesselte und nahm, und ich wieder seine Selbstsicherheit in solchen Momenten spürte. Doch diese schönere Seite meiner Träume löste sich immer wieder plötzlich auf und ich sah ihn weinen. Mitten in der Nacht wachte ich davon auf, dass mein Handy auf dem Nachttisch klingelte. Ich bekam einen wahnsinnigen Schrecken und sprang sofort aus dem Bett, bevor ich ranging und sah, dass Tsuzukus Name und Nummer auf dem Screen standen. „Meto …?“, hörte ich seine Stimme, ganz leise, „Tut mir leid … dass ich dich wecke …“ Seine Stimme zitterte und klang ganz verweint und schwach. „Tsu, was ist los?“, fragte ich besorgt, „Hast du auch schlecht geträumt?“ „M-hm …“, machte er leise, „Und ich wollte … deine Stimme hören. Mein Herz tut weh und ich sehne mich so nach dir, nach deiner Hand auf meinem Herzen …“ Fast war es schon wieder süß, wie er das sagte. Aber ich wusste, er meinte das ganz ernst. „Tsuzuku, du musst schlafen“, sagte ich. „Sonst bist du morgen so müde …“ „Ich kann nicht schlafen. Die Tablette wirkt nicht mehr“, flüsterte er und klang mit jedem Wort zerbrechlicher. „Meto … ich hab solche Angst …! Ich halte das hier nicht aus, ich brauche dich bei mir. Bitte sei da …!“ „Wovor … hast du denn Angst?“, fragte ich vorsichtig, um herauszufinden, was genau gerade in ihm vorging. Ich wollte ihn verstehen, wollte wissen, was ich tun konnte. „Ich will nicht wieder sterben wollen“, antwortete er. „Aber meine Gefühle, die Angst, der Hass auf mich, das wird immer mehr, immer schlimmer … Irgendwann halte ich das nicht mehr aus …“ Er klang wirklich gar nicht gut, nicht nur seine Worte machten mir große Sorgen, sondern auch der verweinte, verzweifelte Klang seiner Stimme. Ich stand auf und ging ins Wohnzimmer, setzte mich auf die Couch und zog die Knie hoch, während ich am Handy versuchte, Tsuzuku zu beruhigen und ihm über die Entfernung hinweg Halt zu geben: „Hilft es dir, wenn du dir sagst, dass eigentlich alles soweit gut ist? Ich meine, ich bin für dich da, und morgen Mittag kann ich wieder bei dir sein. Die Ärzte werden schon rausfinden, was mit deinem Herzen los ist und wie sie dich wieder gesund kriegen.“ „Ich … vermiss dich so …!“ Jetzt weinte er richtig, ich hörte ihn schluchzen und er konnte kaum noch sprechen. „Bitte, kannst du … morgen früh schon … bei mir sein?“ „Tsu, ich muss arbeiten. Und vorher muss ich auch noch bei deiner Arbeit vorbei und sagen, dass du krank bist“, erwiderte ich und hätte am liebsten gesagt, dass ich jetzt einfach zu ihm kam und die Nacht und den ganzen Tag bei ihm blieb. Aber wenn wir beide bei unseren Arbeitsstellen so oft fehlten, das ging einfach nicht. „Ich vermiss dich doch auch, mein Schatz“, sagte ich, als er nicht antwortete und ich ihn weiter weinen hörte. „Ich kann dich morgen auch in meiner Pause mal anrufen, und mittags bin ich ganz bestimmt wieder bei dir.“ „Ich … will hier weg …“ „Tsuzuku, das ist ein Krankenhaus. Die wollen dir helfen, etwas tun, damit es dir bald wieder besser geht. Du musst keine Angst haben, morgen oder übermorgen kannst du bestimmt wieder nach Hause zu mir.“ „Ich hab aber Angst …!“ Jetzt klang er nicht nur völlig verweint, sondern richtig panisch. Ich überlegte fieberhaft, was ich sagen konnte, damit er sich wieder beruhigte. „Okay, dann stehst du jetzt auf, rufst die Nachtschwester und sagst ihr, dass du Panik hast. Entweder redet sie mit dir, oder sie gibt dir noch eine Tablette, dann kannst du schlafen.“ Ich hörte ihn keuchen, dann ein lautes, schnelles Piepen im Hintergrund, das bestimmt von dem Gerät neben seinem Bett kam. Am liebsten hätte ich mich jetzt ganz angezogen und wäre zum Krankenhaus gefahren, um bei Tsuzuku zu sein und ihn in meine Arme zu nehmen. Aber ich wusste, dass sie mich jetzt, mitten in der Nacht, nicht zu ihm lassen würden. „Tsu?“, fragte ich besorgt, als er nichts sagte. „Was hast du?“ „… Mein Herz …“, keuchte er, „… es tut so weh …“ „Hör zu, du drückst jetzt den Schalter, mit dem man die Nachtschwester ruft, verstanden? Und dann lässt du dir bitte helfen. Ich bin morgen wieder bei dir, bis dahin musst du noch ein wenig durchhalten.“ Innerlich betete ich zu allen mir bekannten Göttern, dass mein Freund diese Krise einigermaßen heil überstand und dass er danach wieder glücklich werden würde. Auch, wenn ich wusste, dass das Glück bei ihm nur bis zur nächsten Tiefphase hielt. Und so versicherte ich ihm noch einmal: „Tsu, ich liebe dich, mein Schatz.“ „Ich lieb dich auch …“, flüsterte er, ich hörte ein anderes Piepen, das wahrscheinlich von dem Notrufknopf herrührte. Dann wurde die Leitung unterbrochen, er hatte aufgelegt. Danach war an Schlafen natürlich nicht mehr zu denken. Ich versuchte es noch, aber ich war so hellwach und voller Angst um meinen Freund, dass ich kein Auge mehr zu bekam. Und so musste die Spielekonsole wieder als Ablenkung herhalten, erfüllte diesen Zweck jedoch nur mit mäßigem Erfolg. Ich spielte den Rest der Nacht durch, doch zwischendurch musste ich immer wieder unterbrechen, weil ich so weinen musste. Als es zum Morgen dämmerte, war ich völlig müde und fertig, schaltete die Konsole aus und begann schon, mich für die Arbeit fertig zu machen. Ich stand über eine halbe Stunde unter der Dusche, ließ das heiße Wasser auf mich niederregnen und schwankte dazwischen hin und her, einerseits nur an Tsuzuku zu denken, und mich andererseits ablenken zu wollen. Ich vermisste ihn, machte mir wahnsinnige Sorgen um ihn, aber ich musste nachher arbeiten gehen und mich ja irgendwie auch darauf konzentrieren. Und so machte ich mich dafür zurecht, machte mich so hübsch, wie ich konnte, damit wenigstens die Gäste im Café glücklich und zufrieden waren, wenn ich selbst es heute nicht sein konnte. Ich wollte Ruana heute mal wieder mitnehmen, sie bekam ein Puppenkleid an und eine Schleife auf den Kopf. Beim Frühstück saß sie mir gegenüber auf Tsuzukus Platz (auch damit der nicht ganz so leer aussah) und ich redete ein bisschen mit ihr, erzählte ihr alles, was sie nicht mitbekommen hatte. Ich wollte sie auch deshalb mit zur Arbeit nehmen, weil ich danach gleich vom Café aus ins Krankenhaus wollte und da sollte sie mitkommen, schließlich war sie sozusagen Tsu’s und mein Baby. Kurz vorm Losgehen packte ich schnell noch eine kleine Tasche für Tsuzuku, mit normalen Klamotten und seiner Kulturtasche, damit er sich anziehen und waschen konnte. Mit Ruana in der Handtasche machte ich mich schließlich auf den Weg zur Bahn, setzte mich in die, welche in die Innenstadt fuhr, und stieg erst noch beim Tattoo-Studio aus, um Bescheid zu sagen, dass Tsuzuku jetzt ein paar Tage nicht zur Arbeit kommen würde. Dort wurden gerade eben erst die Rollläden hochgezogen und Tsuzukus Kollege Takashima schien auch als einziger schon da zu sein. Ich klopfte ans Fenster und er öffnete die Tür. „Ah, du bist doch Genkis Freund, oder?“, fragte er. „Ist was?“ Ich sammelte mein mageres Sprechvermögen zusammen und sagte leise: „Tsu … also Genki, ist krank. Er liegt … in Krankenhaus … deshalb … er jetzt ein paar Tage … fehlen wird.“ „Oh, im Krankenhaus?“, fragte Takashima erschrocken. „Was hat er denn?“ „Er … zusammengebrochen ist … gestern. Vielleicht … irgendwas mit … seinem Herzen … nicht okay ist …“, antwortete ich leise. „Also, ist er im städtischen Klinikum? Nicht in der Psychiatrischen?“, fragte Takashima weiter. „Kann man ihn besuchen?“ „Ich bin heute Mittag bis abends dann bei ihm“, sagte ich. „Vielleicht schau ich nachher mal bei ihm vorbei. Wir verstehen uns ja ganz gut.“ Nachdem ich also Bescheid gesagt hatte, dass Tsuzuku erst mal nicht zur Arbeit erscheinen würde, fuhr ich mit der Bahn weiter zu meiner eigenen Arbeitsstelle, wo ich auf Koichi traf, der schon da war und gerade die Frühstückstheke vorbereitete. Als er mich sah, stürzte er geradezu auf mich zu. „Meto, hey, bist du in Ordnung?“, fragte er besorgt. „Du siehst total fertig aus.“ „Ich hab auch … die halbe Nacht nicht geschlafen“, antwortete ich. „Tsu hat mich … mitten in der Nacht … angerufen, und ich musste ihn … wieder beruhigen, und danach … konnte ich dann nicht mehr schlafen.“ „Und da kommst du trotzdem zur Arbeit?“, fragte Koichi. „Zu Hause würde mir … jetzt doch nur … die Decke auf den Kopf fallen …“, sagte ich. „Heute Mittag geh ich ins Krankenhaus, ihn besuchen.“ „Da komm ich mit. Ich muss ihn doch schließlich auch besuchen.“ Koichi ging zur Theke zurück und fuhr fort, sie einzuräumen, und sagte dann: „Ich hoffe, er macht keinen Blödsinn, wenn wir nicht bei ihm sind. Aber im Krankenhaus passen sie gut auf ihn auf, oder?“ „Ich glaube, er hat heute den Vormittag über Untersuchungen, und die eine Ärztin weiß auch, was er für Probleme hat …“, sagte ich. „Von daher passen sie wahrscheinlich schon besonders auf ihn auf.“ Ich machte mich an die Arbeit, half zuerst Koichi bei den Vorbereitungen für das Frühstücksangebot und tat dann noch dieses und jenes, was in einem Café vor den Öffnungszeiten erledigt werden musste. Die Arbeit lenkte mich ein bisschen ab und ich sammelte nach dieser furchtbaren Nacht neue Kraft, damit ich nachher zu Tsuzuku gehen und ihm wieder etwas von meiner Kraft abgeben konnte. Als das Café öffnete, war ich bereit, die Gäste zu bedienen, und zuerst lief alles prima, ich funktionierte einfach und dachte, während ich arbeitete, an nichts anderes. Doch dann, als ich gerade drei Teller mit Brötchen, Marmelade und Butter zu einem Tisch bringen wollte, betraten drei Personen das Café, von denen ich bei zweien geglaubt hatte, ich würde sie niemals wieder sehen. Mein Herz machte einen erschreckten Satz und mir wären fast die Teller heruntergefallen, ich bekam sie nur gerade eben so heil auf den Tisch und starrte die drei an, die sich an einen Tisch setzten und mich zuerst gar nicht besonders bemerkten. MiA sah gut aus, hatte immer noch die Haare lila und trug sehr schicke Sachen, die stark an einen Märchenprinzen erinnerten. Mit ihm zusammen waren die Prinzessin, mit der ich ihn zuletzt gesehen hatte, und ein jugendlich wirkender Typ mit silbrig gefärbten, langen Haaren hergekommen, und dieser winkte meinen Kollegen Haruma heran, um etwas zu bestellen. Ich stand einen Moment wie erstarrt da, konnte MiA einfach nur anstarren und mein Herz raste. Und im nächsten Augenblick handelte mein Körper gottseidank von selbst, ich drehte mich schnell um und lief nach hinten in die Umkleide, schlug die Tür hinter mir zu und ließ mich auf die Bank vor meinem Spind sinken. Hoffentlich, oh bitte, bitte hatte er mich nicht erkannt! Ich hatte heute eine langärmlige Strickjacke über dem Kleid an, sodass mein Tattoo kaum zu sehen war, und mit der Perücke hatte MiA mich, soweit ich das noch wusste, nie gesehen. Die Chancen standen gut, dass er mich nicht erkannt hatte. Jemand klopfte an die Tür und ich erschrak wiederum, bis ich Koichis Stimme leise wispern hörte: „Meto? Hast du gesehen, wer da ist?“ Ich stand auf, öffnete die Tür und flüsterte: „Ja, hab ich. Deshalb bin ich ja hier hinten. Ich komm nicht eher raus, bis er wieder weg ist.“ „Okay, bleib da drin, oder geh rüber ins Büro, da kannst du auch Sachen bearbeiten und so“, sagte Koichi leise und fragte dann: „Soll ich zu ihm gehen, oder nicht?“ Am liebsten wollte ich, dass MiA auch Koichi nicht sah, aber das konnte ich Ko doch irgendwie schlecht vorschreiben. „Mach, wie du willst“, sagte ich also. „Ich sag ihm nicht, dass du hier arbeitest“, erwiderte Koichi. „Und ich rede mit ihm auch nicht über dich und Tsu, versprochen.“ Ich huschte also über den Gang ins Büro, wo ebenfalls niemand war, weil Satchan heute nicht da war, und begann, mich mal näher mit den Rechnungen und allgemeinen Geschäftsunterlagen des Cafés zu befassen. Zwischendurch rief ich noch Tsuzuku über Handy an, was ich ihm ja heute Nacht versprochen hatte. „Wie geht’s dir, mein Herz?“, fragte ich. „Geht so …“, antwortete er. „Die schleppen mich hier von einer Untersuchung zur nächsten.“ Ich atmete erleichtert auf, weil er eher gleichgültig oder ein bisschen genervt klang, jedenfalls nicht traurig oder verängstigt. „Bald ist Mittag, dann bin ich bei dir.“ „Ich vermiss dich …“, flüsterte er. „Ich dich auch. Bis nachher, mein Schatz.“ Als ich nach etwa einer halben Stunde soweit mit der Büroarbeit durch war, dass ich absolut keine Lust mehr auf Papierkram hatte, riskierte ich einen vorsichtigen Blick in den Caféraum und sah, dass MiA immer noch mit seinen zwei Leuten da saß, während Koichi gerade für ein Foto mit zwei Mädchen bereitstand. Schnell verschwand ich wieder in die Umkleide und schaute dort auf die Uhr. Es war halb zwölf Uhr mittags, bald musste ich los zu Tsuzuku in die Klinik. Aber dafür musste erst MiA verschwinden, denn das Café hatte nur diesen einen Ausgang zur Straße hin. Und als wenn das nicht schon nervig genug gewesen wäre, dass ich mich hier vor meinem Exfreund versteckte, begannen auch noch meine Augen aus einem unerfindlichen Grund zu tränen und ich musste die Kontaktlinsen rausnehmen, wobei auch noch mein ganzes schönes Augen-Makeup verwischt wurde. Leise vor mich hin schimpfend, machte ich es schnell neu, ließ die Linsen aber weg, weil ich den Verdacht hatte, dass sie entweder nicht mehr gut waren oder ich irgendwas ins Auge bekommen hatte, was beides ein Grund war, den Rest des Tages auf die Dinger zu verzichten. Einen Moment später klopfte Koichi an die Tür der Umkleide: „Er ist weg, du kannst wieder rauskommen.“ Ich atmete erleichtert auf, packte schnell meine Taschen zusammen und öffnete die Tür. „Ziehst du dich um, Ko? Es ist gleich Mittag.“ Koichi betrat die Umkleide und beeilte sich mit dem Umziehen. Ich behielt mein Kleid an, hatte ja heute Morgen nur Wechselsachen für Tsu eingepackt und entschieden, dass ich heute auch den Rest des Tages in Kleid und Perücke herumlief. Dann machten wir uns auf den Weg zum städtischen Krankenhaus. Auf dem Weg fragte ich Koichi, ob und was er mit MiA gesprochen hatte, und er antwortete, dass er nur kurz ‚Hallo‘ gesagt und ihm dann Kaffee und Frühstück gebracht hatte. MiA hatte nicht nach mir gefragt, also ging ich davon aus, dass er mich wirklich nicht erkannt hatte, worüber ich sehr froh war. Ich konzentrierte meine Gedanken wieder ganz auf Tsuzuku und hoffte, dass es ihm nach dieser grauenvollen Nacht wieder einigermaßen gut ging. Aber vorhin hatte er ja ganz gut geklungen. Als wir das Krankenzimmer betraten, lag er im Bett, wandte uns den Rücken zu und blickte aus dem Fenster. Die Maschine zur Überwachung seines Herzschlags stand noch am Bett, war aber ausgeschaltet, und die Infusion war weg. Ich ging zu ihm, er hörte meine Schritte und drehte sich zu mir um. Einen Moment sah er noch traurig aus, hatte Tränen auf den Wangen, doch als er mich sah, leuchtete sein Gesicht geradezu auf. „Meto!“ Aus seiner Stimme klang die pure Wiedersehensfreude. Ich setzte mich auf die Bettkante, er setzte sich auf und ich umarmte ihn, was dazu führte, dass er sich an mich klammerte und mich voller Freude küsste. „Hast mich sehr vermisst, hm?“, fragte ich und streichelte durch seine Haare. Er nickte an meiner Schulter, drückte sich enger an mich, sah mich an, hatte Freudentränen in den Augen und küsste mich wieder. „Mein Liebster“, flüsterte er, „Bist du wieder bei mir?“ „Ja, ich bin wieder bei dir“, antwortete ich, lächelte und küsste ihn ebenfalls, mit all meiner Liebe. Hinter mir hörte ich, wie Koichi ein leises „Hach, wie süß“ von sich gab. Tsuzuku legte seine Hände auf meine Schultern, sah mich an und sagte: „Ich komm heute mit nach Hause. Noch eine Nacht hier drin überstehe ich nicht, und das wissen die hier auch.“ Dann blickte er an mir vorbei zu Koichi, der kam zu uns ans Bett, und Tsu umarmte ihn ebenfalls. „Tsu, deine Hände …“ Koichi sah ihn erschrocken an. „Die sind ja ganz zerkratzt!“ Tatsächlich, es fiel mir erst jetzt auf! Tsuzukus Handrücken sahen noch schlimmer aus als gestern, und sein rechtes Handgelenk, wo neben den Tattoos noch ein wenig Platz war, war jetzt auch total zerkratzt und gerötet. Ich musste nicht groß nachdenken oder fragen, es war offensichtlich, dass er sich da mangels einer brauchbaren Klinge mit den Fingernägeln die Haut kaputt gekratzt hatte. Ich umarmte ihn wieder, drückte ihn fest an mich und streichelte über seinen Rücken. „Was machst du denn nur für Sachen, mein Schatz?“, fragte ich leise. Tsuzuku antwortete erst nicht, dann sagte er leise: „Kennst mich doch …“ Und dann: „Letzte Nacht … weißt du, ich hab das anders nicht ausgehalten …“ „So sehr hast du mich vermisst?“, fragte ich erschrocken. Tsu nickte. „Und dann waren da die anderen Sachen, das mit Mama wieder und mein Herz und … erst diese Leere, dann so viele Gefühle, dass ich einfach nicht anders konnte …“ Als er es aussprach, waren da fast wieder Tränen in seinen Augen, ich sah den Schmerz in seinem Gesicht, und mir wurde noch mal so richtig klar, wie verletzt und kaputt er innerlich war. Es tat mir weh, das so zu sehen, und dann war da dieser Gedanke in meinem Kopf, der mir noch mehr wehtat: ‚Du bist mit ‘nem Borderliner zusammen.‘ Um diesen schmerzhaften, fiesen Gedanken zu vertreiben, umarmte ich meinen Freund wieder und dachte ganz fest daran, dass ich ihn liebte und wie sehr. Ich wollte nicht noch einmal, nie wieder, zulassen, dass sich dieses Ungeheuer in seiner verletzten Seele so zwischen uns drängte! Wenn es auf uns zukam, fies, gemein, wütend und gefährlich, würde ich mich schützend vor Tsuzuku stellen und ihn beschützen. Ihn nie wieder so allein lassen, weil ich doch ganz genau wusste, dass er ohne mich diesem Biest schutzlos ausgeliefert war! „Ich lass dich nie wieder so allein“, flüsterte ich. „Von jetzt an passe ich noch besser auf dich auf!“ Tsuzuku schmiegte sich in meine Umarmung, ich sah ihn an und er lächelte ein wenig. „Nimmst du mich nachher mit nach Hause?“, fragte er. „Ja. Noch eine Nacht allein halten wir wohl beide nicht aus“, sagte ich. „Und ich kann doch nur auf dich aufpassen, wenn du bei mir bist.“ „Auf mich aufpassen?“ fragte er. „Wovor willst du mich denn beschützen?“ „Vor dem Ungeheuer. Dieses Borderline-Biest, ich lass nicht zu, dass es dir so wehtut!“ Tsuzuku lächelte wieder, küsste mich. „Meto, ganz ehrlich, du bist so was von wundervoll …“ Koichi saß neben uns und obwohl er sich zurückhielt und nicht viel sagte, war zu erkennen, dass er die Innigkeit und Nähe zwischen Tsuzuku und mir sehr bewunderte. Einen Moment lang sah ich meinen Freund und mich wie von außen und spürte selbst, dass ich wirklich stark war, stark genug, um Tsuzuku zumindest ein wenig zu halten und zu beschützen. Mir war ja nun schon oft gesagt worden, dass ich psychisch sehr viel stärker war als Tsu, und gewusst hatte ich es selbst auch immer, aber jetzt fühlte ich es richtig. Und es fühlte sich irgendwie ziemlich gut an. Dieses Gefühl, stark genug zu sein, um jemanden, den man über alles liebt, zu beschützen und festzuhalten. Es füllte mein Herz aus, ließ mich lächeln, und ich sah Tsuzuku an, erkannte in seinen Zügen, dass meine Worte ihm Kraft gaben und ihn glücklich machten. Ich nahm meine Tasche und holte Ruana heraus, Tsu nahm sie in beide Hände und drückte sie an sich. „Hast du unser Baby mitgebracht?“, fragte er und lächelte. „Ja, sie wollte dich auch besuchen“, antwortete ich. Er sah Ruana an und sagte, direkt zu ihr: „Das ist aber lieb von dir, Ruanalein.“ Ich ließ sie antworten: „Ruana Tsu lieb, deshalb besuchen, dass Tsu sie nicht auch vermisst.“ Tsuzuku drückte ihr einen Kuss auf das Köpfchen, dann zog er mich zu sich und küsste mich auf den Mund. Und als Koichi gespielt protestierte, dass er sich ausgeschlossen fühlte, da bekam er auch einen Kuss auf die Wange ab. Tsu lachte, wirkte richtig locker und gut drauf, schien sich wieder vollkommen gut und sicher zu fühlen. Als wenig später Dr. Matsuyama das Zimmer betrat, blieben Koichi und ich da, während die Ärztin die Ergebnisse der Untersuchungen mit Tsuzuku besprach. Sie sagte, dass sie inzwischen recht fest davon ausging, dass es sich bei seinen Herzproblemen noch um keine Herzkrankheit, sondern um psychosomatische Beschwerden handelte, aber auch, dass er aufpassen sollte, dass sich das nicht doch irgendwann änderte und sein Herz die Belastung auch physiologisch nicht mehr aushielt und doch noch richtig krank wurde. „Es wäre gut, wenn Sie weniger rauchen würden. Und wegen Ihrer psychischen Probleme … da kann ich Ihnen nur noch einmal wärmstens eine Therapie empfehlen. Dr. Niimura hat derzeit ein bisschen Terminspielraum, machen Sie da zumindest einen Anfangstermin.“ „Ich hab doch gesagt, dass ich das nicht will“, widersprach Tsuzuku. „Ich weiß. Aber sehen Sie es mal so: Wenn sich Ihre Borderline-Symptome verschlimmern und Sie sich öfter und mehr aufregen und diese starke Angst haben, wird Ihr Herz davon immer stärker belastet. Dann können wir nicht mehr ausschließen, dass es richtig krank wird, denn erblich vorbelastet sind Sie und das wissen Sie auch.“ Dr. Matsuyama klang streng, wie sie das sagte, aber ihr war sehr deutlich anzumerken, dass sie es gut meinte. Tsuzuku senkte den Kopf, blickte nachdenklich auf die Bettdecke, wo seine zerkratzten Hände mit dem weißen Stoff spielten. „Machen Sie einen Termin bei Dr. Niimura, Aoba-san. Er ist ein wirklich guter Arzt und ich bin sicher, dass er Ihnen hervorragend helfen kann, wenn Sie es nur zulassen“, sagte Dr. Matsuyama. „… Ist gut …“, antwortete mein Freund leise. „Sie müssen wirklich keine Angst haben. Wir wollen Ihnen nur helfen“, verdeutlichte die Ärztin noch einmal und sah mich dann an. „Asakawa-san, sprechen Sie beide darüber.“ Dann ging sie aus dem Zimmer. Sofort, als die Ärztin weg war, stand Tsuzuku auf, griff nach der Tasche, in der ich die Klamotten für ihn mitgebracht hatte, und begann einfach, sich anzuziehen. Dann packte er die Lacksachen ein, machte das Bett ordentlich und sagte: „Die können sagen, was sie wollen, ich bleib auf keinen Fall noch eine Nacht hier.“ Er war ziemlich deutlich nicht davon abzubringen und so sagte weder Koichi noch ich etwas dagegen. Nur eine Sache wagte ich doch anzusprechen: „Tsu, dann machen wir aber gleich einen Termin bei dem Psychiater.“ „Und was soll mir das bringen?!“ „Dass du mal richtig professionelle Hilfe bekommst“, mischte sich Koichi zu meiner Verstärkung mit ein. „Du hast doch gehört, was die Ärztin eben gesagt hat, Tsuzuku. Wenn du dir nicht helfen lässt, kann das auch sehr gefährlich für dein Herz sein.“ Tsuzuku setzte sich auf die Bettkante, blickte einen Augenblick ohne ein Wort aus dem Fenster und schien über Koichis und meine Worte nachzudenken. „Meinetwegen, geh ich halt mal zu dem Psychiater. Aber ich lass mich von dem nicht umkrempeln.“ „Das will doch auch niemand. Du musst nur lernen, wie du mit deinen Problemen umgehen kannst, ohne dass immer gleich so eine Katastrophe dabei rauskommt“, sagte Koichi. „Wir sind ja auch für dich da …“, sagte ich. „Und ich werde immer für dich da sein. Aber, Tsu, du merkst doch selbst, das wir das nicht ganz alleine schaffen.“ Er sah mich nicht an, blickte weiter aus dem Fenster und fragte schließlich mit einem seltsamen Klang in der Stimme: „Überfordere ich euch?“ Was sollte ich antworten? Ich wollte auf keinen Fall, dass er glaubte, er würde mir zu viel werden. Und ich wollte ihn ja festhalten und für ihn da sein, mit all meiner Kraft! Doch irgendwo … da spürte ich auch, dass ich nicht alles für ihn tun konnte. Dass ich auch meine Grenzen hatte und dass es nicht ewig so gehen konnte. Tsuzuku brauchte mehr Hilfe, als ich, der ich immer noch nur sehr wenig über seine Krankheit wusste, ihm geben konnte. Ich ging zu ihm, setzte mich neben ihn und legte meinen Arm um ihn. „Tsuzuku, ich liebe dich. Und ich will alles für dich tun, was ich nur kann. Aber … was, wenn das, was ich kann, irgendwann nicht mehr reicht? Wenn ich dich nicht mehr so einfach beruhigen kann, wenn wir mehr streiten und deine Krankheit schlimmer wird? Und wenn dein Herz wirklich in Gefahr gerät, dass du es überlastest? Dann brauchen wir jemanden, der dir noch mal anders helfen kann. Jemanden, an den du dich wenden kannst, wenn ich mal nichts tun kann.“ „Ich geh nicht in die Psychiatrie.“ „Musst du ja auch nicht. Du musst nur hin und wieder einen Termin bei diesem Arzt machen, den ein bisschen auf dem Laufenden halten und dir von ihm helfen lassen.“ Ich streichelte über seinen Rücken und hoffte, dass meine Worte ihn erreichten. „Tsu, es gibt Therapien für Menschen wie dich“, sagte Koichi. „Ich hab mich da gestern Abend mal informiert, du musst dafür nicht unbedingt in die Klinik. Du kannst zu Hause bleiben und musst nur einmal in der Woche oder so zum Therapeuten. Der bringt dir dann bei, wie du besser auf deine Gefühle und das alles reagierst und damit umgehst.“ Tsuzuku erwiderte nichts darauf, er nahm seine Tasche und die mit den Lacksachen und sagte nur: „Lass mal gehen, hier drinnen kann ich nicht klar denken.“ Wir verließen zu dritt das Zimmer und am Ausgang des Krankenhauses musste Tsu noch was unterschreiben, dass er sich selbst entließ, dann gingen wir raus. Auf dem Weg durch die Stadt zurück nach Hause wirkte er sehr nachdenklich, sagte kaum etwas und schien sich Gedanken um das zu machen, was die Ärztin und Ko und ich ihm gesagt hatten. Aber dann, als Koichi sich verabschiedet hatte und wir vor unserem Haus standen, griff Tsu auf einmal meine Hand und sah mich an. „Ist gut“, sagte er, „Ich versuch das mit der Therapie.“ Er zog mich zu sich, beugte sich ein wenig vor und flüsterte in mein Ohr: „Aber du, Meto, bist und bleibst das Beste, was mir hilft.“ Ich lächelte, und spürte im nächsten Moment seine Lippen hauchzart an meinem Hals, bevor er sie sanft und ein bisschen sehnsüchtig auf meine drückte. Er umarmte und küsste mich, mitten auf dem Gehweg vor unserem Haus, ihm war wieder egal, ob uns jemand sah. „Lass uns raufgehen und dann machen wir es uns schön“, flüsterte er. „Ich will in deinen Armen liegen, und vorher dich in meinen halten.“ Er küsste mich wieder und sagte dann, ganz leise und liebevoll: „Ich hab dich so vermisst letzte Nacht, mein Körper hat sich so nach deinem gesehnt.“ „Gleich kannst du mich ja haben“, lächelte ich. Wir liefen die Treppen rauf, es war sonst niemand im Treppenhaus, und kaum, dass ich die Tür unserer Wohnung aufgeschlossen und den Schlüssel wieder eingesteckt hatte, drängte Tsuzuku mich hinein und schlug die Tür hinter uns zu, bevor er sich geradezu auf mich stürzte. Er strich die langen, gelockten Haare meiner Perücke beiseite und begann, meinen Hals zu küssen und zu beknabbern, während seine andere Hand unter den Rock meines Kleides fuhr und den Petticoat runterzerrte. „Heute muss ich dich ja richtig auspacken“, sagte er und lachte. „Wie ein Geschenk.“ „Hätte ich mich doch lieber umziehen sollen nach der Arbeit?“, fragte ich. „Nein. Ich packe gern Geschenke aus.“ Ich lachte ebenfalls, der Petticoat fiel raschelnd zu Boden und schon waren Tsuzukus Hände an meinem Rücken zugange, öffneten die Schleife und den Reißverschluss und zogen mich nah an seinen Körper, sodass ich aufseufzte. Es fühlte sich ein wenig seltsam an, dass ich so weibliche Kleidung trug, während mein männlicher Körper darin auf die erregenden Zärtlichkeiten meines Freundes reagierte. Und es war das erste Mal, dass es dazu kam, weshalb ich jene mich ebenfalls erregende Aufregung verspürte, die man fühlt, wenn man in Bezug auf Sex etwas Neues ausprobiert. Ich spürte, wie mir trotzdem das Blut in die Wangen stieg, und Tsuzuku bemerkte das. „Gefällt dir das?“, fragte er leise, während seine Hand an meinem Rücken wieder unter mein Kleid schlüpfte und dort ihren Weg hinten in meine Shorts suchte. „Magst du das, wenn ich dich geil mache, während du so ein Kleid anhast?“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, doch das Rot auf meinen Wangen und die Reaktion meines Körpers waren meinem Freund anscheinend schon Antwort genug, denn er lachte kurz auf und machte weiter, berührte mich mit dieser absoluten Zärtlichkeit, während er mich langsam ins Schlafzimmer dirigierte und mich dabei immer wieder küsste. Als ich unser Bett hinter mir spürte und mich darauf fallen ließ, war er gleich über mir und kniete sich über meine Beine, zog dann seine Jacke und sein Oberteil aus und beugte sich runter, um mich erst wieder zu küssen und dann in mein Ohr zu flüstern: „Ich hab dich so vermisst, Meto. Nachts brauche ich dich immer ganz besonders …“ Ich lachte. „Du hast zu viel Sex im Kopf, mein Schatz.“ Tsuzuku sah mich an, ganz ernst, und erwiderte: „Mir geht’s nicht nur um Sex. Auch, ja, aber nicht nur. Ich brauche dich bei mir, wenn mich nachts die Verzweiflung packt, wenn ich vor Angst fast verrückt werde. Wenn du dann neben mir liegst und ich dich anschauen und berühren kann, sodass ich spüre, dass du bei mir bist, dann hilft mir das.“ „Wachst du oft nachts auf?“, fragte ich. „Manchmal. Und als ich jetzt so allein da in der Klinik lag … da hat es mich wieder gepackt, die Verzweiflung und das alles.“ „Und dann hast du mich angerufen …“ Tsuzuku nickte. „Eigentlich viel zu spät.“ Er schaute runter auf seine Hände, seine Handgelenke, die so furchtbar zerkratzt waren. Er hatte das getan, bevor er mich angerufen hatte. Einen Moment lang schien es so, als seien seine Lust und Erregung von eben wieder verschwunden, doch dann sah er mich an, so liebend und lustvoll, beugte sich wieder runter, küsste mich und drückte sich fest an mich, sodass ich seine Härte an meiner Hüfte spürte. „Tsu, warte mal, ich will mich eben ganz ausziehen“, sagte ich, und er ließ mich aufstehen, damit ich das Kleid, die Perücke und alles andere ausziehen konnte, während er selbst sich seiner Schuhe und Hose entledigte. Währenddessen sah er mich die ganze Zeit an und ich sah das lustvolle, verliebte Leuchten in seinen Augen, das Zeichen, dass er sich gut und sicher fühlte. Ich umarmte ihn, fühlte seinen Körper Haut an Haut an meinem und zusammen sanken wir aufs Bett, in die Kissen, fühlten nur Nähe und Liebe und Lust. Tsuzuku liebte mich sehnsüchtig, flüsterte mir immer wieder zu, dass er mich sehr vermisst hatte, und obwohl es nur eine Nacht und ein Vormittag gewesen waren, kam es ihm offenbar wie eine halbe Ewigkeit vor. Sein Seufzen und Stöhnen klang irgendwie ein wenig anders als sonst, schien von ganz tief drinnen zu kommen, und ich fühlte mich so geliebt von ihm, er war einfach so wundervoll und süß! „Meto“, sprach er mich an, sah mich an und ich versank in seinen schönen Augen. „Lass mich nie wieder los!“ Ich griff nach seiner Hand, hielt sie fest, und fühlte im selben Moment die flüssige Liebe in mir, sah den wunderschönen Ausdruck auf Tsuzukus Gesicht. Danach lag er wieder in meinen Armen, sein Kopf auf meiner Brust, eine Weile lagen wir einfach ohne ein Wort da und fühlten uns gut. Als Tsu den Kopf hob und mich ansah, war da dieses liebe, süße Lächeln auf seinem Gesicht und er sagte leise: „Wenn ich so darüber nachdenke … eigentlich waren wir von Anfang an schon wie ein Paar, oder?“ Ich dachte an den Tag, als wir uns kennen gelernt hatten, daran, wie ich ihn dann immer im Park besucht hatte und was für eine harte Zeit er damals durchgemacht hatte. Ich war von Anfang an nah bei ihm gewesen, da war immer dieses Band zwischen uns, das mich ihm zuhören und helfen ließ. Wir waren uns seelisch fast von Anfang an nah gewesen und auch, wenn ich in ihm lange Zeit keinen möglichen Partner gesehen hatte, waren wir doch schon früh mehr als nur gute Freunde gewesen. „Irgendwie schon …“, antwortete ich. „Auf die eine oder andere Weise hab ich dich schon sehr bald geliebt. Und ich bin sehr, sehr glücklich, dass du mich auch liebst.“ „Wie könnte ich auch so einen wundervollen, süßen Menschen wie dich nicht lieben?“ Tsuzuku lächelte immer noch. „Du bist wirklich unglaublich, Meto.“ „Sag mal …“, begann ich, denn mir war eine Frage gekommen, die ich so bisher noch nicht so wirklich gestellt hatte: „Wie … siehst du mich eigentlich … so als Mann? Begehrst du mich vor allem, weil du mich liebst, oder …?“ Ich dachte an das, was ich von Tsu’s altem Leben wusste, von den Mädchen, die er gehabt hatte, und dann daran, was er vorgestern gesagt hatte, von wegen seiner Orientierung. Tsuzuku richtete sich auf, beugte sich über mich und küsste mich, ganz weich und süß. „Hmm, wie sag ich das jetzt am besten …? Meto, du bist der einzige Mann, für den ich jemals solche Gefühle hatte und habe. Ich begehre dich, ich liebe deinen Körper, du bist ein wundervoller Mann. Ich kann dich nur nicht mit anderen vergleichen, weil es keinen anderen gibt, für den ich jemals etwas Ähnliches empfunden habe. Frauen erregen mich nicht mehr, andere Männer aber auch nicht, das hab ich dir ja schon gesagt. Und ich kann den Augenblick, wenn wir endlich verheiratet sind und du mein Mann bist, kaum erwarten.“ Mein Herz begann, wild zu klopfen, und ich spürte, wie mir wieder einmal die Röte in die Wangen stieg. Sein Mann. Allein, wie wunderschön er dieses ‚mein‘ betonte! Als sei ich der größte Schatz in seiner Welt, das Wertvollste, was er kannte! Und ich wusste, das war ich. Ich hob die Hand, griff in Tsuzukus Nacken und zog ihn sanft zu mir herunter, um ihn mit meiner ganzen Liebe zu küssen. „Ich kann’s auch kaum erwarten, dich zu heiraten“, flüsterte ich gegen seine himmlisch weichen Lippen, meine Hand streichelte seinen Hals. Er seufzte wohlig, ließ sich ganz auf mich sinken und schmiegte sich an mich. Seine weiche, glatte Haut an meiner und seine Liebesbedürftigkeit zusammen mit seiner Liebe seinerseits zu mir, das fühlte sich wundervoll an und ich wollte am liebsten jetzt eng umarmt mit ihm einschlafen, obwohl es dazu eigentlich noch zu früh am Tag war. Doch auf einmal löste er sich von mir und stand auf, zog sich Shorts und T-Shirt wieder an und ging in die Küche, wo er, wie ich sah, irgendwas aus dem Kühlschrank nahm. „Ich hab Hunger“, erklärte er. „Haben wir irgendwo noch Reste von dem Curryreis?“ „In dem Topf mit Deckel ist noch was“, antwortete ich. „Ansonsten müssten wir auch mal wieder einkaufen gehen.“ Ich zog mir ebenfalls Shirt und Hose an, räumte mein Kleid und den Petticoat in den Schrank und nahm Ruana aus meiner noch im Flur stehenden Tasche, um sie auf ihren Platz neben meinem Kopfkissen zu setzen. Dann ging ich in die Küche, wo Tsuzuku gerade etwas von dem Reis mit Currysoße im Kochtopf auf den Herd gestellt hatte. Ich umarmte ihn von hinten und achtete mit darauf, dass nichts anbrannte, stellte jedoch zu meiner Freude fest, dass Tsuzukus Aussage „Ich lass doch sowieso immer alles anbrennen“ übertrieben war und er sehr wohl wusste, wie man sich Essen warm machte. Er schien wirklich Hunger zu haben, zumindest aß er heute gut und auch nicht zu schnell oder zu viel, und nach dem Essen gingen wir noch raus und runter in den nächsten Conbini, um unseren Kühlschrank wieder aufzufüllen. Tsu holte sich außerdem noch Zigaretten, wobei ich ihn an die mahnenden Worte der Ärztin erinnerte, woraufhin er jedoch widersprach. „Ich brauch das Zeug. Anders krieg ich mich nicht ruhig.“ „Weiß ich ja. Aber eine Packung am Tag ist doch ein bisschen viel, oder?“, versuchte ich, ihn wenigstens von einer Minderung seines Rauchverhaltens zu überzeugen, wenn er schon nicht ganz davon abzubringen war. „Versuch doch mal, dass eine Packung zwei oder drei Tage hält.“ Tsuzuku zuckte nur mit den Schultern. „Versuchen kann ich’s ja …“ Als wir wieder zu Hause waren und die Einkäufe in den Kühlschrank geräumt hatten, startete ich einen weiteren Versuch, den Fernseher anzuschließen. Ein Anschluss war vorhanden und eine Anleitung ebenfalls, und nachdem Tsu mir half, bekamen wir die Kiste zum Laufen und konnten uns zumindest mal einen Film anschauen. Mein Freund hatte sich Bier vom Conbini mitgebracht und eine Tüte scharfe Chips, und ich trank ab und zu einen Schluck mit und nahm mir von dem Knabberzeug. Da es Tsuzuku gerade so gut ging, verschob ich das Gespräch über unseren Streit auf irgendwann später. Er konnte sich anscheinend immer noch nicht daran erinnern und ich wollte, dass er sich erst mal stabilisierte und eine Weile gut fühlte, bevor ich riskierte, dass er sich wieder erinnerte und es ihm infolgedessen wahrscheinlich wieder schlechter ging. Gegen vier Uhr rafften wir uns noch mal auf und Tsuzuku suchte die Telefonnummer von Dr. Niimura raus, rief dort an und holte sich für morgen einen Termin. Wir hatten dann noch einen recht schönen Abend zu zweit und in dieser Nacht schlief ich gut, erholte mich und war mir sicher, dass Tsuzuku sich ebenfalls von den Strapazen der letzten beiden Tage erholte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)