Yasashikunai Mirai von Harulein (Tsuzuku x Meto) ================================================================================ Kapitel 10: [Tsuzuku] Act 10 ---------------------------- [ein paar Tage später, Mittwoch] Eigentlich lief bei der Arbeit im Studio alles so weit gut. Ich hatte mich wieder in die Beschäftigung eingefunden und spürte, wie es mir guttat, zu arbeiten, etwas zu tun zu haben. Mit dem Zeichnen wurde es auch besser und ich ging immer geschickter mit der Nadel um, erinnerte mich wieder gut daran, wie ich es früher gekonnt hatte. „Aoba-san“, sprach mich Kurata an diesem Morgen an, als ich gerade dabei war, ein relativ aufwändiges Motiv in Tierhaut zu stechen. „Kann ich mal mit Ihnen sprechen?“ Der Ton, in dem er mich ansprach, beunruhigte mich, ich blickte auf und stellte die Nadel aus. „Worum geht’s?“, fragte ich. „In meinem Büro, bitte.“ Ich stand auf und ging hinter Kurata her, meine Anspannung stieg mit jedem Schritt. Worüber wollte er mit mir sprechen? War mit meinen Zeugnissen etwas nicht in Ordnung, hatte ich irgendwas falsch gemacht, oder war sonst etwas? Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und bat mich, die Tür zu schließen. Ich tat es und setzte mich, meine Hände zitterten. „Hab ich … irgendwas falsch gemacht?“, fragte ich verunsichert. Kurata schüttelte den Kopf. „Nein. Aoba, Sie machen Ihre Arbeit gut. Das, was Sie abliefern, ist ordentlich und gefällt den Leuten. Aber … ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen, zu Ihrem Leben, die Sie am besten ehrlich beantworten.“ „Was für Fragen?“, fragte ich, noch ein wenig mehr verunsichert. „Warum?“ „Ich habe Sie eingestellt, weil Sie beim Vorstellungsgespräch einen guten Eindruck gemacht haben, und weil Ihre Zeugnisse gut sind. Sie haben Talent und ich bin neugierig, wie Sie sich hier machen. Nur wüsste ich gern etwas mehr über Sie. Ich weiß ja nur, dass Sie auf der Straße gelebt haben und vorher die Ausbildung fast fertig hatten.“ Mein Herz raste vor Aufregung und meine Finger gruben sich krampfhaft in den schwarzen Stoff meiner Jeans. Ich sollte Fragen beantworten, zu meinem Leben, wahrscheinlich auch zu meiner Vergangenheit und Dingen, über die ich nicht sprechen wollte. Was, wenn ich die falschen Antworten gab, und Kurata mich dann hier nicht mehr haben wollte? Wenn er mich doch zu seltsam und gestört fand und nach meinen Antworten nicht mehr daran glaubte, dass ich hier arbeiten konnte? Oder ich ihm einfach zu unnormal war? Ich kannte ihn ja kaum und konnte ihn daher nicht gut einschätzen. „Was wollen Sie denn wissen?“, brachte ich leise heraus, hörte selbst, wie meine Stimme zitterte. „Zum Beispiel, wie Sie auf der Straße gelandet sind.“ Natürlich. So was war immer die erste Frage. Und sofort waren die Bilder in meinen Gedanken da, die Bilder von Mamas und meiner kleinen Wohnung, die so leer war ohne sie, und in der ich es einfach nicht mehr ausgehalten hatte. „Darüber … möchte ich nicht sprechen“, antwortete ich und versuchte, die in meinem Innern hochkommenden Erinnerungen an jene Zeit beiseite zu schieben. Und als Kurata mich fragend ansah, fügte ich leise hinzu: „Das war … eine extrem harte Zeit. Wenn ich mich daran erinnere und darüber spreche, dann …“ Ich brach ab, war wieder viel zu nah an der Störung. Und ich spürte, wie der Druck in mir aufstieg, immer mehr wurde. „In Ordnung“, sagte Kurata und lächelte verständnisvoll. „Wenn Sie es wirklich gar nicht erzählen können …“ Er sah mich einen Moment lang an, dann fragte er: „Wo leben Sie denn jetzt?“ Ich nannte den Namen meines Stadtviertels. „Und leben Sie allein oder mit jemandem zusammen?“ Noch eine Frage, die den Druck steigen ließ. Bei der ich zwischen Ehrlichkeit und Angst schwankte, Angst davor, dass jemand schlecht von mir dachte und ich in diesem Fall vielleicht sogar meine Arbeit verlor. „Ich habe … einen sehr guten Freund, mit dem lebe ich zusammen“, antwortete ich schließlich und schämte mich dafür, dass ich in diesem Moment nicht zu meiner Liebe stand. Vielleicht wäre es dumm gewesen, meinen Job zu riskieren, doch so zu lügen, kam mir einfach furchtbar vor. „Wirklich? Ich hatte den Eindruck, Sie hätten eine Freundin“, sagte Kurata. Jetzt wusste ich endgültig nicht mehr, was ich antworten sollte. Und der Druck stieg weiter. Genau dieser Druck, der in mir den Drang nach Schneiden und Brechen auslöste, und vor dem ich solche Angst hatte. Der Gedanke, mich zu verletzen, kam mir Stück für Stück immer mehr ins Bewusstsein, wurde immer klarer und mischte sich mit den durch Kuratas Frage wieder in mir aufgeweckten Erinnerungen an die Zeit nach Mamas Tod, meine Schuldgefühle kehrten zurück, brannten wie glühende Kohlen auf meinem Herzen, das sofort zu schmerzen begann. „Aoba-san?“, hörte ich Kuratas Stimme wie durch dichten Nebel. „Alles in Ordnung?“ „Entschuldigen Sie …“, brachte ich mit zitternder Stimme heraus. „… Mir ist nicht gut …“ Jetzt bekam er auch noch mit, dass ich krank war … Das hatte ich beim Vorstellungsgespräch ziemlich gekonnt verheimlicht. Hätte er davon gewusst, dann hätte er mir vielleicht nicht die Frage nach dem Grund für meine Zeit auf der Straße gestellt. „Wenn Sie sich krank fühlen, warum bleiben Sie dann nicht zu Hause?“, fragte er. Mein Herz tat so weh, dass ich meine Hand darauf drückte, und ich spürte den Druck jetzt schon im Magen. So weit war es lange nicht mehr gekommen. Ohne ein Wort stand ich auf, verließ Kuratas Büro und ging den kurzen Gang hinunter, auf die Toiletten zu. Mein Kopf war wie ausgeschaltet, alles in mir wollte nur noch diesen entsetzlichen Druck abbauen, sonst nichts. Ich öffnete mit der einen Hand die Tür und tastete mit der anderen in meiner Hosentasche nach meinem Klappmesser. Seit ein paar Tagen trug ich es wieder bei mir, aus einem starken Gefühl heraus. Immerhin bedeutete es mir ähnlich viel wie der silberne Ring, den ich von Mama hatte. Ich schloss mich in die erste Kabine ein, sank mit dem Rücken gegen die Tür zu Boden und zog das Messer aus meiner Tasche. ‚Borderline‘, blitzte es durch meinen Kopf. ‚Krank, gestört, kaputt‘ Schlagartig stieg der Druck bis zum Anschlag, ich beugte mich vor, über die in den Boden eingelassene Toilettenschale, meine Hand umklammerte das noch geschlossene Messer, und ich erbrach das Wenige, was ich heute Morgen gegessen hatte. Sobald der Druck ein wenig nachließ, schaltete sich mein Kopf wieder ein und mir wurde klar, was ich gerade getan hatte: Ich war rückfällig geworden, hatte gebrochen und das Messer in der Hand. Hatte mein Versprechen an Mama nicht halten können. Mein Herz raste, tat immer noch furchtbar weh, und schon spürte ich heiße Tränen in meinen Augen, ließ sie dann einfach fließen, weinte, bis meine Augen sich ganz trocken und leer anfühlten. Irgendwann hörte ich, wie jemand an die Tür klopfte. Und dann Takashimas Stimme: „Genki? Kurata sagt, du fühlst dich nicht gut? Kann ich dir irgendwas helfen?“ „Lasst mich doch alle in Ruhe!“, fauchte ich mit tränenerstickter Stimme. „Was ist denn los?“, fragte er weiter, scheinbar unbeeindruckt von meiner wütenden Reaktion. Ich war so aufgelöst, fühlte mich so kaputt und zerbrochen, dass ich nicht anders konnte, als ihn durch die Tür anzuschreien: „Ich bin krank, okay?! Total gestört! Ich hab ‘ne verdammte Borderline-Störung und ich komm damit nicht klar!“ Sofort bereute ich es, doch da waren die Worte schon draußen, gesagt, nicht mehr rückgängig zu machen. „Borderline?“, fragte Takashima, klang ziemlich schockiert. „Also … hast du dich selbst verletzt?“ Ich hörte, wie er irgendwas rauskramte, dann ein Kratzen am Drehschloss der Kabinentür, und schließlich öffnete er sie. Ich drehte mich halb zu ihm um, er hatte eine kleine Münze in der Hand, mit der hatte er die Tür geöffnet. „Lass mich in Ruhe“, sagte ich noch einmal, doch meine Stimme klang so völlig kraftlos, dass ich mir nicht mal selbst geglaubt hätte. Takashima sah sich kurz in der winzigen Kabine um, und nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass ich nicht blutete, hockte er sich neben mich und sah mich erst einfach nur an. „Was ist denn passiert?“, fragte er schließlich. „Ich weiß nicht … Kurata hat mich ein paar Sachen gefragt und … das hat … irgendwas in mir hochgeholt.“ „Er ist manchmal … ein wenig unsensibel“, sagte Takashima. „Aber warum hast du ihm denn nicht am Anfang schon gesagt, dass du nicht gesund bist?“ Meine Knie taten weh und ich setzte mich ein wenig anders hin, lehnte mich mit dem Rücken an die Wand. „Dann hätte ich den Job hier doch gar nicht bekommen. Und außerdem … ich kann nicht so einfach drüber reden.“ „Okay, verstehe ich. Willst du dann jetzt … lieber nach Hause fahren?“ Sofort, als Takashima das sagte, fiel mir Meto wieder ein, der zu Hause auf mich wartete. Und dass ich ihm ebenfalls versprochen hatte, nicht wieder rückfällig zu werden. Er glaubte an mich, vertraute in meine Kraft und meinen Willen, gesund zu werden, und jetzt musste ich ihn enttäuschen, hatte es nicht geschafft. War es denn überhaupt noch möglich, dass ich gesund wurde? Ich konnte mich ja kaum mehr daran erinnern, wie ich mich zuletzt wirklich gesund gefühlt hatte. Und war ich denn überhaupt jemals gesund gewesen? Bei diesem Gedanken, und der Vorstellung, Meto zu beichten, dass ich gebrochen hatte, kamen wieder die Tränen, und obwohl ich mich vor Takashima schämte, zu weinen, konnte ich sie nicht zurückhalten. Er streckte die Hand aus und legte sie locker auf meine Schulter. „Ich glaube, das geht in Ordnung, wenn du gleich nach Hause fährst. Ich sage Kurata, dass es dir wirklich schlecht geht, dann ist das schon okay“, sagte er. „Und wenn du nicht willst, dass ich das mit … Borderline irgendwem sage, dann behalte ich das auch für mich.“ Takashima half mir, aufzustehen, und wir verließen die Kabine. Auf dem Flur kam uns Ami entgegen. „Genki? Was hast du denn?“, fragte sie besorgt, als sie meine rotgeweinten Augen sah. Ich antwortete nicht. Ami wusste ja, was für Probleme ich hatte. Sie konnte sich wohl selbst zusammenreimen, dass ich an derselben Störung wie Hitomi litt, schließlich kannte sie sie gut. „Ami, hast du eventuell die Zeit, Genki nach Hause zu begleiten? Ich will ihn jetzt ungern alleine losschicken“, sagte Takashima. „Ich sag Kurata Bescheid.“ „Ja, klar.“ Ami nickte und sah mich an. „Ist das für dich auch okay?“ Ich nickte, obwohl ich eigentlich gar nicht wusste, ob ich das wollte. Kam mir vor wie ein unfähiges Kind und fühlte mich schwach und unsicher. Ich nahm meine Jacke und meine Tasche und machte mich in Begleitung von Ami auf den Weg zur Bahnstation. Sie fragte nicht viel, nur einmal, als wir schon in der Bahn saßen, ob ich mich jetzt ein wenig besser fühlte. Ich schüttelte den Kopf, dachte an Meto und daran, wie enttäuscht er gleich sicher von mir war, wenn ich ihm sagte, was passiert war. Es tat mir so weh, seinen Glauben in mich enttäuschen zu müssen. Ich wollte ihm doch nicht wehtun! Zwar spürte ich keinen Druck mehr, aber dieses Gefühl von Leere und Wut auf mich selbst war mindestens genauso schlimm. Ich wollte nur noch ins Bett und mich ausweinen. „Genki, du wohnst doch nicht alleine, oder?“, fragte Ami, als wir an meiner Bahnstation angekommen waren. „Nein“, antwortete ich, und weil ich nicht imstande war, zu lügen, sagte ich gleich die Wahrheit: „Ich lebe mit meinem Freund zusammen.“ „Deinem Freund? Also, festen Freund?“, hakte sie nach. Ich nickte. „Das ist gut, dann bist du nicht ganz alleine.“ Sie lächelte. Kein ‚Oh, dann stehst du auf Männer?‘ und kein Blick, der mir sagte, dass ich negativ auffiel und anders war. Einfach nur ein Lächeln und die Erleichterung von Amis Seite, dass ich nicht alleine war. Ami ging noch bis vor meine Haustür mit, dann kehrte sie in Richtung Studio zurück, und ich ging die Treppen rauf. Mit jedem Schritt nach oben wurde ich langsamer, während ich überlegte, wie ich meinem Liebsten meinen Rückfall erklären sollte. War er überhaupt schon da oder noch bei seiner Arbeit? Zum ersten Mal hatte ich Angst davor, ihn zu sehen. Ich schloss die Tür auf und lauschte. Stille. Anscheinend war er noch nicht da. Ich zog meine Schuhe und die Jacke aus, hängte meine Tasche an die Garderobe und warf einen Blick ins Schlafzimmer, falls Meto sich, weil seine Arbeit ja schon anstrengend war, vielleicht hingelegt hatte. Doch unser Bett war leer. Meine Schritte trugen mich in die Küche, ich öffnete das Fenster und nahm meine Zigarettenpackung und mein Feuerzeug vom Fensterbrett, zündete mir die letzte in der Schachtel verbliebene Zigarette an und rauchte erst einmal, um den widerlich sauren Geschmack im Mund loszuwerden. Auf dem Küchentisch lag ein Einkaufszettel und ich schrieb, nachdem ich mit dem Rauchen fertig war, unter die Auflistung von Essen in Metos ordentlicher Handschrift, mit meiner eigenen, flüchtigeren Schrift: Zigaretten, zwei Packungen. Ich schloss das Fenster wieder und ging ins Schlafzimmer, legte mich angezogen aufs Bett und starrte an die Decke, wusste nichts mit mir anzufangen, fühlte mich für alles zu kraftlos. Und irgendwann schlief ich tatsächlich ein. Ein metallisches Klappern weckte mich. Noch bevor ich die Augen öffnete, wusste ich, dass es sich um Metos Schlüsselbund handelte, das am Schloss unserer Wohnungstür herumgedreht wurde. Ich öffnete die Augen und hörte, wie die Tür klappte. „Tsu? Bist du schon da?“, fragte die leise, in diesem Moment, vielleicht vom langen Schweigen bei der Arbeit, leicht raue Stimme meines Liebsten. Wahrscheinlich sah er meine Schuhe im Flur stehen. Ich gab nichts weiter als ein leises Brummen von mir, und da stand Meto auch schon in der Tür zum Schlafzimmer. Ich wusste nicht, woran genau er es merkte, aber ihm fiel offenbar sofort auf, dass es mir nicht gut ging, denn er fragte: „Alles okay bei dir?“ Ich setzte mich auf und sah ihn an. Wusste nicht, was ich sagen sollte. Sollte ich ihm gleich sagen, dass ich das Versprechen gebrochen hatte? Oder damit noch warten? „Ich … bin früher von der Arbeit weg“, antwortete ich schließlich. „Wieso? Geht’s dir nicht gut?“ Meto kam näher und setzte sich auf die Bettkante, ergriff meine Hände und hielt sie fest. „Du siehst ganz blass aus, Tsuzuku.“ „Ich fühl mich auch nicht gut. Ich …“, begann ich, und dann kam es einfach so raus: „Meto, ich muss dir was beichten. Ich … hatte da heute auf der Arbeit einen totalen Zusammenbruch. Und ich hab … ich hab mich wieder übergeben.“ Er sah mich tief erschrocken an. „Du hast was?!“ Ich nickte nur. „Aber du … du hattest doch Samstag erst noch mal versprochen, dass du’s nicht mehr tust!“ Ich konnte ihn nicht ansehen, blickte auf die Bettdecke. „Es ist einfach so passiert.“ Mein Herz klopfte wieder schneller und ich spürte meine Wut auf mich selbst, war von mir selber genauso enttäuscht, wie Meto jetzt sicher von mir war. Und da ging es los in meinem Kopf, die Abwärtsspirale voller Wut, Abwertung und Selbsthass. ‚Du bist so schwach, Tsuzuku, so völlig unfähig! Du schaffst es einfach nicht! Nicht mal deine eigenen Versprechen kannst du halten, und du enttäuschst alle Menschen um dich herum‘, schrie es in meinem Kopf, und ich verspürte den starken Drang, meine Haut aufzukratzen. Doch es war nicht der altvertraute Druck, der mich drängte, und auch nicht der mir ebenso bekannte Wunsch, mich selbst für irgendeine Schuld zu bestrafen. Ich wollte einfach bluten. „Tsu?“, sprach Meto mich an, konnte mir wahrscheinlich anmerken, dass ich binnen Sekunden innerlich vollkommen abgestürzt war. „Ich bin so unfähig …“, kam es über meine Lippen. „So wahnsinnig unfähig …“ „Bist du nicht! Tsuzuku, solche Rückfälle passieren nun mal. Es kommt jetzt nur darauf an, dass du nicht aufgibst!“ ‚Du bist krank, unheilbar gestört‘, flüsterte es in meinem Kopf, ein kaltes, gehässiges Flüstern. Es war keine richtige Stimme in dem Sinne, doch das musste es auch gar nicht sein. Meine Gedanken und Gefühle reichten aus, um mich zu quälen, da brauchte es keine psychotische Stimme oder dergleichen. ‚Borderline ist nicht heilbar. Du wirst jetzt damit leben müssen, Menschen zu enttäuschen, und zu leiden. Und du wirst nie wieder gesund‘, flüsterte es weiter. Und dann, als Meto aufstand und meine Hände losließ: ‚Er liebt dich nicht. Nicht wirklich. So was wie dich kann man nämlich gar nicht lieben‘ Ich kam nicht dagegen an. Die in meinem Kopf geflüsterten Worte tropften in mein Herz, breiteten sich aus wie flüssiges, glühend heißes Wachs, verursachten mir solche Schmerzen, dass ich nicht mehr klar denken konnte. „Meto?“ Er blieb stehen, drehte sich um. „Wo willst du hin?“ „Dir was zu Trinken holen. Du bist immer noch so blass.“ „Meto, liebst du mich eigentlich wirklich?“ In mir spannte sich etwas, ein Bogen, bereit, einen spitzen Pfeil in irgendeine Richtung abzuschießen. Auf mich selbst. Oder auf jemand anderen. „Tsuzuku, warum fragst du so was?“ Eine seltsame Empfindung ergriff mich, ich fühlte mich wie zweigeteilt. Ein Teil zerriss sich vor lauter Energie und Gefühl, der andere wurde kalt. Ganz kalt. Ich stand auf, die Anspannung stieg, der Bogen spannte sich weiter. „Weil ich krank bin! Komplett krank und gestört!“, antwortete ich laut. „So was wie mich kann man doch gar nicht lieben! Also tust du es nicht wirklich!“ Der Pfeil tat mir weh, als er abgeschossen wurde. Doch das war nur der Rückstoß. Denn getroffen hatte er nicht mich, sondern Meto. Und als wäre der Pfeil echt gewesen und nicht nur ein Bild meiner Gedanken, taumelte mein Freund wie getroffen zurück, sah mich erschrocken und fassungslos an. „D-du … du glaubst … dass ich … dass ich dich nicht wirklich liebe?!“, brachte er heraus. Der kalte Teil in mir vermischte sich auf verdrehte, gestörte Weise mit dem emotionalen Teil, und ich bekam nur noch irgendwo am Rande mit, dass ich gerade vielleicht gar nicht wusste, was ich tat. Alles drehte sich in einem Strudel aus tiefschwarzer Dunkelheit, immer weiter und weiter, bis ich vollkommen die Kontrolle verlor. „Ich hab Borderline! Du weißt nicht, was das heißt, sonst würdest du nicht denken, dass du mich liebst!!“, schrie ich. „Also seien wir ehrlich!“ Zuerst sah er mich eingeschüchtert an, schien beinahe Angst vor mir zu haben. Doch dann wurde er wütend. So wütend, wie ich ihn noch nicht gesehen hatte. „Tsuzuku, du weißt doch gar nicht, was du da redest!! Und falls du es doch weißt, falls du das gerade ernst meinst, dann tut’s mir Leid, dass ich dich trotzdem liebe! Aber, weißt du, ich glaub dir diesen ganzen Scheiß gerade nicht mal! Und jetzt geh, verschwinde, irgendwohin, ist mir egal, und komm erst wieder, wenn du wieder weißt, wer du bist!! Vorher brauchst du nicht wieder bei mir anzukommen!“, schrie er zurück und deutete dann auf die Tür. Ich sah Tränen in seinen Augen, wusste, ich hatte ihn wirklich verletzt, doch ich war nicht imstande, irgendwas in der Art einer Entschuldigung zu sagen oder zu tun. Und dafür war es offenbar auch zu spät. Er wollte mich jetzt nicht mehr sehen. Ich ging an ihm vorbei auf den Flur, zog meine Schuhe an und nahm meine Jacke. Und kurz bevor ich die Tür hinter mir mit einem Knall zuschlug, hörte ich Meto im Schlafzimmer laut aufschluchzen. Ich rannte die Treppen runter, knallte die Haustür ebenfalls hinter mir zu und lief einfach los, irgendwohin, Richtung egal. Rannte und rannte, bis ich keine Luft mehr bekam und mit brennenden Lungen keuchend stehen blieb. Es war dunkel und ich wusste nicht, wo ich war. Hohe Wohnblöcke, ein kleiner Park, ein Zigarettenautomat, auf der anderen Straßenseite ging eine Frau mit Kinderwagen entlang, in dem Park hingen ein paar Jugendliche herum. Zigaretten. Mir fiel wieder ein, dass ich keine mehr hatte. In meiner Jackentasche mussten noch ein paar Münzen sein. Ich ging auf den Automaten zu, kramte in meiner Tasche, fand dreihundert Yen, genug für eine kleine Packung, welche ich nach Einwurf der Münzen aus dem Automaten zog. Erst dann fiel mir ein, dass mein eines Feuerzeug auf dem Fensterbrett in der Küche lag und das andere in einem Seitenfach meiner Umhängetasche steckte. Die ich nicht dabei hatte. Na toll! Ich lief einfach weiter, kam bald in eine edlere Gegend mit schicken, großen Häusern und ordentlichen Gärten hinter hohen Zäunen. In der Ferne hörte ich jetzt das Meer rauschen und da wusste ich wieder ungefähr, wo ich war. Ich ging dem Meeresrauschen entgegen, wollte zum Strand, hoffte, dass ich dort ein bisschen Ruhe finden würde. Irgendwo, in der Nähe einer gewaltigen Mauer aus dreikantigen Wellenbrechern, kam ich aus der Stadt raus, roch das Meersalz und spürte den Wind in meinen Haaren. Es erinnerte mich an den Abend neulich, als ich mit Meto im Schwimmbad gewesen war. Meto. Sofort sah ich wieder sein Gesicht vor mir, die Tränen in seinen Augen, und hörte seine Worte wieder, seine Wut. Jetzt hatte ich ihm wirklich wehgetan, das wusste ich. Doch ich war innerlich noch zu aufgeladen, um daran zu denken, jetzt zurück zu laufen und mich zu entschuldigen. Stattdessen lief ich runter zum Strand, fand dort bald eine hinter hohem Gras versteckte Bank und setzte mich, starrte aufs Meer raus. Irgendwann zog ich das Messer aus meiner Hosentasche, hielt es einfach geschlossen in der Hand, um mich an irgendetwas festzuhalten. Es gab mir Sicherheit, dass ich es dabei hatte. Sollte der Druck in mir wieder steigen, würde ich etwas dagegen zu tun wissen. Auch, wenn das ganz und gar nicht gut war. Und als hätte ich die schlechten Gefühle und Gedanken damit heraufbeschworen, waren sie kurz darauf da, der schwarze Strudel in meinem Kopf begann wieder, sich zu drehen, meine Hände zitterten und der Gedanke, dass ich bluten wollte, war schneller da, als dass ich irgendwas dagegen hätte tun können. Ich zog meine Jacke aus, den Ärmel meines von mir aus linken Armes hoch, wo zwischen den Tätowierungen noch ein wenig Platz war. Kurz dachte ich daran, dass ich mich zuletzt geschnitten hatte, kurz bevor Meto und ich ein Paar geworden waren, damals im Akutagawa-Park. Ich erinnerte mich an das Pflaster, das Haruna auf den Schnitt geklebt hatte. So lange war ich schon weg von der Klinge, dachte ich, und jetzt stand ich wieder an diesem Punkt und wollte mich verletzen. Einen Moment lang hätte ich das Messer beinahe wieder weggesteckt, doch dann kam mir der Gedanke, dass ich heute, wo ich sowieso rückfällig geworden war, mich auch ebenso gut schneiden konnte. Ich klappte die Klinge aus, versuchte, in der Dunkelheit möglichst eine Stelle zu finden, wo ich keines meiner Tattoos beschädigte, und drückte die Klinge in meine Haut, erst die Spitze, dann langsam die ganze Schneide. Schon der erste Schmerz, bevor es blutete, entspannte mich wieder, und als der erste kleine Blutstropfen austrat und sanft kitzelnd über meine Haut rann, fühlte es sich einen Moment lang richtig gut an, beinahe … süß. Ich spürte, dass das bereits genügte. Mehr brauchte ich in diesem Moment nicht. Nur diesen einen, süßen kleinen Blutstropfen. Ich hob den Arm und leckte den Tropfen von meiner Hand. Zog den Ärmel wieder runter und die Jacke wieder an. Weinte nicht. Saß einfach nur da und schaute wieder aufs Meer. Auf einmal hörte ich leise Schritte auf dem Sand. Und als sich jemand neben mich setzte, sah ich zuerst nur halb auf. Und spürte ein kleines Gefühl, das ich vor Monaten schon einmal empfunden hatte. Eine Erinnerung. „Tsuzuku? Bist du das?“ Ich schreckte zusammen, sah jetzt richtig hin. Knapp schulterlange schwarze Haare, eine auffallend schmale Gestalt, ein scheues, kleines Lächeln. Hitomi. Ich starrte sie zuerst einfach nur an, sie blickte aufs dunkle Meer hinaus, hatte mich längst erkannt. „Hitomi“, sagte ich schließlich leise. „Ich dachte, du bist … im Krankenhaus?“ Sie sah mich an, wieder dieses scheue Lächeln. „Ich bin nicht auf der Geschlossenen, falls du das meinst. Ich komme oft abends hierher. Es ist so schön still hier.“ „Ich hab …“, begann ich, brach dann aber ab. Hitomi sah mich aufmerksam an und sagte dann: „Meine beste Freundin Ami war vorhin bei mir. Du kennst sie, oder?“ Ich nickte. „Sie nennt dich Genki.“ „Sie ist ja auch meine Kollegin bei der Arbeit“, sagte ich. „Soll ich lieber Genki oder Tsuzuku zu dir sagen?“ „Wie du möchtest …“ „Dann bleib ich dabei, dass ich dich Tsuzuku nenne. Der Name gefällt mir.“ Sie lächelte wieder, anscheinend ging es ihr gut. „Wie geht es dir?“, fragte sie nach einer Weile. Zuerst wollte ich lügen, verheimlichen, was heute passiert war, doch dann dachte ich: ‚Das ist Hitomi. Wenn ich zu irgendwem, was das angeht, ehrlich sein kann, dann zu ihr‘ „Mir geht’s nicht gut. Ich hatte heute ‘nen sehr harten Tag … und vorhin … hab ich … mich auch noch ganz furchtbar mit meinem Freund gestritten …“ Wieder spürte ich heiße Tränen in meinen Augen. Es kam mir vor, als hätte ich den halben Tag geweint, und so gab ich mir keine Mühe, es jetzt zurückzuhalten. Ich fühlte Hitomis Arm um meine Schultern, ihren schmalen Körper nah bei meinem, hörte ihre ruhige Stimme, die leise sagte: „Es kommen auch wieder gute Phasen, Tsu. Es gibt die schlechten Phasen, aber eben auch die guten. So ist das … bei uns.“ „Woher …“, fragte ich mit tränenerstickter Stimme, „Woher hast du das damals gewusst, dass ich …“ „Ich hab so was im Gefühl, ich merke das sofort. Weil ich viel darüber weiß, wie es ist … so zu sein.“ Sie stand auf und zog ihre Jacke aus. Schob die Ärmel ihres Oberteils zurück und hielt mir ihren Arm hin. Ich erkannte zahlreiche Narben, manche blass, manche noch leicht rot. „Siehst du? Es kommt einem so vor, als würden die schlechten Phasen unser Leben bestimmen, weil sie eben diese Spuren hinterlassen. Aber, und das kennst du ganz bestimmt auch, es gibt auch genug dieser Momente, wo es uns auf einmal richtig gut geht, oder?“ Ich nickte, dachte daran, wie oft ich Meto aus einem Überschwang an gutem Gefühl plötzlich küsste, und dass ich manchmal einfach so aus dem Nichts glücklich war. „Mir geht es heute zum Beispiel wirklich gut. Und deshalb helfe ich dir gerne. Wir müssen doch zusammenhalten, oder?“ „Club der Gestörten …“ Ich lächelte ironisch. Hitomi lachte. „Nenn es, wie du willst.“ Und dann: „Hast du jetzt eigentlich ein Handy? Ich könnte dir meine Nummer geben, dann kannst du mich anrufen, wenn’s dir schlecht geht.“ „Hab’s nicht dabei.“ Hitomi öffnete ihre Handtasche, kramte darin herum und zog Zettel und Stift heraus, schrieb eine Nummer auf und gab sie mir. Wir blieben noch eine Weile so sitzen und blickten aufs Meer raus. Irgendwann stand Hitomi auf und sagte: „Ich muss zurück zur Klinik. Und du solltest dich auch auf den Heimweg machen und dich bei deinem Freund entschuldigen. Weiß er, dass du Borderline hast?“ Ich nickte. „Aber er weiß nicht wirklich, was das ist.“ „Erklär es ihm. Es gibt auch Bücher für so was. Keine Diagnosenbücher, die sind nicht gut, sondern welche speziell dafür, anderen zu erklären, warum wir so sind, wie wir sind. Ich hab so eines, das kann ich dir leihen.“ „Danke“, sagte ich. „Sag mal … wie machst du das, dass du so dazu stehst?“ „Es ist ein Teil von mir. Also warum sollte ich nicht offen damit umgehen? Ich kann das zwar auch nicht immer, aber im Grunde … Ich hab mir das mehr oder weniger selbst beibringen müssen.“ „Ich glaube, du hast mich gerade ein bisschen gerettet“, gab ich zu. Hitomi lächelte wieder und zog ihre Jacke an. Dann drehte sie sich um, hob noch einmal die Hand, rief: „Bis dann!“, und ging davon. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich wieder den Weg nach Hause gefunden hatte. Auf dem langen Weg zurück dachte ich über alles nach, was Hitomi gesagt hatte. Sie war schon viel weiter als ich, zumindest kam es mir so vor. Im Gegensatz zu mir haderte sie nicht mehr damit, was in ihr war. Oder, vielleicht tat sie es doch, war nur gerade heute eben gut drauf. Aber ich spürte, dass sie Recht hatte, wenn sie sagte, dass es neben den schlechten Zeiten auch die guten gab, und dass die genauso wichtig waren. Auch, wenn wir beide Narben trugen, manchmal ging es uns ja wirklich gut. Als ich schließlich wieder vor der Haustür stand, musste ich mich durchklingeln, bis irgendjemand im Haus öffnete und ich nach oben konnte. Ich hatte meinen Schlüssel nicht dabei und wollte gerade klingeln, da sah ich, dass die Tür nur angelehnt war, gerade so, dass man es nicht sah, ich aber trotzdem rein konnte. Mit klopfendem Herzen zog ich meine Schuhe aus, hängte meine Jacke auf und betrat vorsichtig meine Wohnung, in der ich mich doch seltsam fremd fühlte. Die Schlafzimmertür war offen und ich sah Meto mit dem Rücken zu mir im Bett liegen, das Licht war schon aus. Am besten holte ich einfach meine Decke und Kissen und machte mir ein Lager auf der Couch. So leise ich konnte, schlich ich zum Bett, wollte gerade nach meiner Decke greifen, da hörte ich Metos Stimme: „Da … bist du ja wieder.“ Er klang anders als sonst, ein bisschen heiser, so, als hätte er viel geweint. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Nahm mir schließlich meine Decke und wollte ins Wohnzimmer verschwinden. Doch mit einem Mal richtete Meto sich auf und hielt die Decke fest. „Ich dachte, … ich schlaf jetzt wohl besser auf der Couch“, sagte ich leise. Er sah mich einfach nur an, ich wich seinem Blick aus, eine unangenehme Stille breitete sich zwischen uns aus. „Bist du wieder du selbst?“, fragte er schließlich. Ich nickte. „Ja. Und ich wollte mich auch bei dir entschuldigen. Es tut mir leid, wirklich.“ Ein winziges Lächeln huschte über Metos vollen Lippen, er ließ sich wieder ins Kissen sinken, und ich fragte: „Bist du … noch wütend?“ „Ich weiß nicht …“, antwortete er. „Aber, wenn du das meinst: Ich liebe dich noch. Und ich werde dich immer lieben. Ich ertrage es nur nicht, dass du das infrage stellst.“ „Das tu ich nicht mehr, das infrage stellen. Ich ver…“ „Versprich nichts, was du nicht halten kannst.“ Er sah mich ernst an, dann lächelte er. „Und jetzt komm her. Du wirst heute Nacht sicher nicht auf dem Sofa schlafen.“ Ich zog mich bis auf die Shorts aus, dann legte ich mich, noch zögerlich, ins Bett, mit ein wenig Abstand zu meinem Freund. Doch er kam selbst näher, legte sich ganz nah neben mich und seine Hand auf meine Brust, seine Lippen waren nah an meinem Ohr und ich hörte ihn atmen. „Das Bett war so leer ohne dich, Tsuzuku“, flüsterte er und küsste meine Wange. Ich fühlte mich ein bisschen so wie nach einem heftigen Sommergewitter. So, als räumten wir jetzt zusammen langsam alles wieder auf, was der Sturm durcheinander gewirbelt hatte. Es hatte zum ersten Mal richtig zwischen uns gekracht, deshalb wussten wir beide nicht recht, was zu tun war, doch zumindest Meto tat das richtige, war einfach nah bei mir. „Ich hatte … richtig Angst, dass du … mich nicht mehr liebst“, sagte er leise. „Wie kannst du glauben, dass ich dich nicht liebe?“ Ich wollte antworten, erklären, doch er legte mir den Finger auf die Lippen. „Shhh, nichts sagen. Wir küssen das jetzt weg und morgen können wir in Ruhe darüber reden.“ Meto beugte sich über mich und dann lagen auch schon seine Lippen auf meinen, ein süßer Versöhnungskuss, der mein verletztes Herz zumindest für den Moment wieder heilte. „Morgen müssen wir wirklich reden. Ich … hab dir ein bisschen was zu sagen“, sagte ich danach und dachte an das, was Hitomi von wegen bestimmter Bücher gesagt hatte. „Was denn?“ „Wegen … Borderline. Ich muss dir … das noch mal richtig erklären.“ „Ich dachte, du wolltest nicht, dass ich was darüber weiß“, sagte Meto. „Wollte ich auch nicht. Aber … du musst was wissen. Du lebst hier mit mir zusammen, ich will mein Leben mit dir verbringen, da kann ich dich nicht unwissend lassen.“ Er nickte. „Das stimmt wohl.“ „Aber da reden wir morgen drüber“, sagte ich dann. Meto lächelte, setzte sich auf und zog sein Schlafshirt und seine Shorts aus. Legte sich dann wieder zu mir, ganz nah, Haut an Haut. Ich streckte die Hand aus und berührte seine Brust, streichelte das bunte Baby auf seiner Haut, er lachte leise und küsste mich wieder, was mich ermutigte, sodass ich vorsichtig seine weichen Brustwarzen berührte. Er seufzte angetan, schmiegte sich an mich, küsste meinen Hals und fuhr mit der Hand durch meine Haare. Mit einem Mal war die Welt wieder in Ordnung, ich fühlte mich wieder gut und spürte, wie mich jede kleine Berührung und Zärtlichkeit langsam erregte, und wie gut mir das tat. Meto umarmte mich, zog mich mit einem Ruck an sich, sodass ich auf einmal auf ihm lag, zwischen seinen Beinen, die er anzog und mir so zu verstehen gab, was er wollte: Süßen, heißen, liebevollen Versöhnungssex. Ich richtete mich auf und streifte meine Shorts ab, löste mich kurz von ihm, und kam gleich darauf mit Gleitmittel und Kondom zu ihm zurück. Er brauchte nur ein wenig Vorbereitung, weniger als sonst, es ging ganz leicht. Ich liebte ihn vorsichtig, zärtlich, und doch mit der Energie und Leidenschaft, die er sich wünschte. Und als ich in ihm kam, im selben Moment wie er, da wünschte ich mir, dass etwas von mir in ihm zurückblieb, als Beweis und Sicherheit, an die er denken konnte, sollten wir noch mal so streiten und ich solche furchtbaren Dinge zu ihm sagen. Danach lag ich in seinen Armen, dachte an nichts weiter, als dass ich bei ihm war und ihn unendlich liebte. Morgen war morgen, später, jetzt nicht wichtig. Irgendwo in meinem Hinterkopf plante es zwar ein wenig, morgen zu Hitomi zu gehen und das Buch von ihr auszuleihen, um dann mit Meto darüber zu sprechen, doch das war Hintergrunddenken, das ich leicht beiseiteschieben und jetzt ruhig einschlafen konnte. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich leichte Kopfschmerzen. Wahrscheinlich, weil ich gestern so viel geweint hatte. Emotional fühlte ich mich jedoch einigermaßen gut, hatte aber absolut keine Lust, heute zur Arbeit zu gehen. Auch, weil ich Kurata nicht sehen wollte. Meto schlief noch, hatte Ruana im Arm, was sehr, sehr süß aussah, und ich stand leise auf, um ihn nicht zu wecken, ging ins Bad und versuchte, meine Kopfschmerzen mit einer heißen Dusche zu bekämpfen. Die Uhr im Bad zeigte sechs Uhr zwanzig an, früh genug, und ich beschloss, mich mal so richtig ordentlich zu waschen, danach einzucremen und mich allgemein heute wirklich gut um mich selbst zu kümmern. Als das heiße Wasser über den Schnitt an meinem Arm lief, spürte ich ein leichtes Brennen und sah hin. Die Haut dort war ziemlich gerötet und es war nur allzu deutlich zu sehen, dass dieser Schnitt nicht einfach irgendein Kratzer war. Aber ich ließ mich von dem Anblick meiner Selbstverletzung nicht runterziehen. Es war eben passiert und im Moment fühlte ich mich stark genug, nach dem kompletten Rückfall gestern aus dem Tag heute eine Art Neuanfang zu machen. Was hatte Hitomi doch gestern zu mir gesagt? Es kamen auch immer wieder gute Phasen. Und ich kam selbst auf den Gedanken, dass es diese guten Zeiten waren, auf die es ankam. Das Gespräch mit ihr gestern fühlte sich auch im Nachhinein noch gut an, und ich spürte, wie für mich das Wort ‚Borderline‘ ein bisschen was von seinem Schrecken verloren hatte. Ich war froh, Hitomis Nummer zu haben, und fragte mich, warum ich eigentlich solche Angst gehabt hatte, sie wiederzusehen. Sie war mir nicht nur sympathisch, sondern verstand mich auch gut und vielleicht war sie diejenige, die mir wirklich helfen konnte, mit meinem Problem umzugehen, weil sie einfach dasselbe durchmachte und sich dabei eine gewisse Selbsterkenntnis angeeignet hatte. Als ich mit Duschen fertig war, nahm ich mir von Metos Bodylotion und cremte mich damit einmal so richtig ein. Die Lotion roch gut und es fühlte sich schön an, mich einmal komplett damit zu verwöhnen. Ich entdeckte ein paar trockene Hautstellen an meinen Beinen, die mir sonst bestimmt nicht aufgefallen wären, und cremte diese besonders gut ein, dann zog ich meinen Yukata über und ging ins Schlafzimmer zurück. Meto war inzwischen aufgewacht und aufgestanden, hatte sich angezogen und machte gerade das Bett. „Gehst du heute arbeiten oder meldest du dich krank?“, fragte er. „Ich rufe gleich im Studio an und nehme mir einen Tag frei“, antwortete ich. „Und was machen wir heute?“ „Ich habe gestern zufällig Hitomi getroffen, als ich weg war. Sie will mir ein Buch ausleihen, das würde ich dir dann gern zeigen.“ „Die Hitomi?“, fragte Meto. „Sagtest du nicht mal, sie sei im Krankenhaus?“ „Ist sie auch, aber nicht auf der Geschlossenen. Ich wollte sie heute Vormittag kurz besuchen.“ „Du magst sie, ne?“ Meto sah mich einen Moment nachdenklich an, dann fragte er: „Sie versteht dich besser als ich, oder?“ Er setzte sich aufs Bett und blickte zu Boden. „Hey, du musst nicht eifersüchtig sein, okay? Hitomi ist einfach … na ja, sie kennt das eben, wie ich mich fühle, weil es ihr ähnlich geht. Das ist ziemlich was anderes, als meine Liebe zu dir oder wie ich mit Koichi befreundet bin.“ Meto sah auf, lächelte mich an. „Das ist schön, dass sie dich gut versteht.“ Ich suchte mir Klamotten aus dem Schrank, den dunkelroten Pullover und die enge schwarze Jeans, dazu eine Kette mit Kreuz, meine Uhr und das schwarze Lederarmband. Viel Lust, mich noch zu schminken, hatte ich heute nicht, und die Kontaktlinsen ließ ich auch weg. Fertig angezogen, holte ich mein Handy aus meiner Tasche im Flur und machte ein Foto von meinem Look heute. Es war das erste Bild, das ich von mir mit diesem Handy machte, und ich hatte vor, mir demnächst mal wieder einen Account irgendwo zu machen und das Bild hochzuladen. Ich behielt das Handy in der Hand und rief im Studio an, um mich für heute abzumelden. Kurata ging ran und fragte, ob es mir besser ging. Ich antwortete, dass es schon okay war, und sagte dann, dass ich mir einen Tag Urlaub nahm. Er schrieb das auf und riet mir, zum Arzt zu gehen, was ich jedoch verneinte und sagte, dass ich schon allein zurechtkam. Ich wollte nicht zu einem Arzt gehen. So jemandem zu erklären, warum ich Narben von Schnitten hatte und zu wenig wog, erschien mir viel zu schwer. Es war eine Sache, mit Meto, Koichi, oder mit Hitomi über meine Probleme zu sprechen, doch mit einem Arzt, Psychiater oder Psychologen zu sprechen, das war noch mal was ganz anderes und es machte mir Angst. Meto und ich frühstückten ein wenig, dann gab er mir einen Kuss und ging los zur Arbeit ins Café. Ich blieb noch ein wenig in der Küche, rauchte meine allmorgendliche Zigarette und schaute aus dem Fenster. Dann zog ich meine Jacke an, nahm meine Tasche und machte mich auf dem Weg zur Klinik, um Hitomi zu besuchen. Auf dem Weg dachte ich an Koichi, daran, ob ich ihm von meinem Rückfall erzählen sollte oder nicht. Ich wollte nicht, dass er sich wieder Sorgen um mich machte, aber andererseits wollte ich, dass er über meine Situation so genau wie möglich im Bilde war. Wahrscheinlich würde Meto ihm heute so oder so seinen Teil des gestrigen Tages erzählen … Schließlich schrieb ich ihm eine Nachricht: „Hey, Ko. Ich würde heute Nachmittag gerne mit dir sprechen. Ruf mich bitte an, wenn du mit der Arbeit fertig bist. Tzk“ Die Klinik war nicht allzu weit von unserem Haus weg, nur ein paar Straßen. Ich ging am Sportstudio vorbei, in dem ich bisher nur einmal gewesen war, um mich anzumelden, und dachte an den Trainingsraum im Tempel, den ich genutzt hatte, um mich auszupowern, damit ich mich nicht schnitt. So hart zu trainieren, dass mein ganzer Körper schmerzte, war zwar auch am Rande der Selbstverletzung, aber ich trug keine Narben davon, stattdessen hatte es den Mehrwert, dass ich mich selbst schöner fand, wenn ich ein bisschen Muskeln aufbaute. Als ich dann vor der Klinik stand und das Schild sah mit der Aufschrift ‚Psychiatrische Klinik‘, bekam ich auf einmal Angst. Angst, hier irgendwann als Patient her zu müssen, über Nacht, mit fremden Menschen und ohne Meto. Hoffentlich merkte mir heute niemand an, dass ich krank war, und ich galt einfach nur als Besucher. Ich betrat das Vorgebäude und ging gleich zum Informationsschalter. „Guten Tag, mein Name ist Aoba. Ich möchte jemanden auf Station besuchen.“ Die Dame hinter der Glasscheibe sah mich an und ich bildete mir ein, dass sie mir ansah, dass ich zu dünn war. Wer hier tagtäglich mit psychisch Kranken zu tun hatte, entwickelte bestimmt einen Blick dafür, ob jemand einfach nur so untergewichtig war oder wegen psychischer Probleme. „Wen und auf welcher Station?“, fragte sie. Das hatte Hitomi vergessen, mir zu sagen, auf welcher Station sie war. „Kameyama Hitomi, eine Freundin von mir. Die Station weiß ich nicht“, antwortete ich. Die Dame gab etwas in ihren Computer ein, suchte darin irgendetwas heraus und sagte dann: „Das ist die offene Station 3, die ist hier im Gebäude, im vierten Stock.“ Sie deutete auf eine breite Treppe, auf der gerade eine Krankenschwester in weißer Arbeitskleidung herunter kam. Ich bedankte mich und ging die Treppe rauf, mein Herz klopfte und ich spürte diese Klinikatmosphäre, die ich zuletzt gespürt hatte, als ich mit achtzehn mal körperlich krank und sicherheitshalber eine Nacht im Krankenhaus gewesen war. Doch das hier war noch wieder irgendwie anders, schlimmer. Ich war jemand, der hier eigentlich behandelt werden sollte, aber nicht wollte, dass man ihm das anmerkte. Als ich im vierten Stock ankam und die Glastür öffnete, auf der in weißen Zeichen ‚Station 3‘ stand, verspürte ich leichtes Herzrasen und meine Hände zitterten. ‚Ganz ruhig, Tsuzuku, du willst doch nur Hitomi besuchen‘, sagte ich mir und ging den Gang hinunter. An der einen Seite standen eine Reihe Stühle und da saßen Leute, Patienten vermutlich, die von Büchern und Handarbeiten aufblickten, als ich vorbeiging. Eine Krankenschwester kam mir entgegen und fragte: „Guten Tag, sind Sie ein Besucher?“ Ich nickte. „Ich möchte Kameyama Hitomi besuchen.“ „Kameyama-san ist gerade in der Gruppentherapie. Die ist in fünfzehn Minuten vorbei, dann können Sie mit ihr sprechen.“ Sie deutete auf die Stühle an der Wand. „Setzen Sie sich doch.“ Es wurden recht lange fünfzehn Minuten. Ich saß da und blickte an die weiße Wand mir gegenüber, traute mich nicht so recht, die anderen Leute anzusehen. Doch lange konnte ich nicht die Wand anstarren, es zog meinen Blick sehr bald zu den Menschen um mich herum. Sie waren ganz unterschiedlich alt, zwei, ein Mann und eine Frau, waren ungefähr vierzig, eine Frau war in meinem Alter, daneben saßen eine ältere Dame und ein noch ziemlich jung aussehendes Mädchen, vielleicht achtzehn Jahre alt. Das Mädchen schaute mich an und ich fühlte mich wiederum so ertappt, wich ihrem Blick aus. Sie ähnelte Hitomi irgendwie, war auch so dünn wie sie und ich, und hatte diese blassen Narben auf den Unterarmen. Eine merkwürdige Empfindung ergriff mich, eine Mischung aus Angst und Neugier, gemischt mit der Erkenntnis, dass ich nicht der einzige war, der unter solchen Problemen litt. „Du willst Hitomi besuchen?“, fragte das Mädchen auf einmal, stand auf und setzte sich einen Platz weiter, direkt neben mich. Sie sagte einfach ‚du‘ und wirkte auf einmal so offenherzig, dass es mich an meine eigenen plötzlichen Schwankungen erinnerte. Ich nickte. „Wie heißt du?“ „Tsuzuku.“ „Das ist aber ein schöner Name.“ Sie lächelte, stand auf und stellte sich vor mich hin. „Ich bin Maya. Weißt du, es ist ein bisschen langweilig hier, deshalb bin ich immer froh, wenn jemand von draußen kommt und was zu erzählen mitbringt. Hast du was zu erzählen?“ Ich zuckte mit den Schultern. Die Art, wie Maya redete und mich ansah, wie sie da vor mir stand und in einer Tour redete, passte sehr gut in diese Umgebung. Und ich dachte an mein Leben früher, als ich noch nicht diese große Angst vor Menschen gehabt hatte und ähnlich auf Leute zugegangen war. „Komm, erzähl mal was! Woher kommst du, was machst du, magst du Hitomi? Sie ist nett, oder?“ „Ja, ich mag sie auch. Sie ist … eine gute Freundin von mir“, antwortete ich. „Oh!“, rief Maya auf einmal aus, strahlte mich an und deutete auf meine Hand, auf die beiden kleinen Tattoos auf meinen Fingern. „Die sind ja toll! Hast du noch mehr?“ Ich zog die Ärmel meines Pullovers bis zum Ellbogen hoch. Und zu spät fiel mir ein, dass ich links ja noch den Schnitt von gestern hatte. „Woah, sind die toll! Ich will auch welche haben, aber ich darf nicht.“ Sie schien den Schnitt gar nicht zu bemerken. Vielleicht war so was hier einfach … fast schon normal …? „Warum nicht?“, fragte ich. „Bist du noch nicht alt genug?“ „Ach, nee, alt genug bin ich. Aber die Ärzte hier wollen das nicht. Leute mit Borderline dürfen sich während der Behandlung nichts stechen lassen.“ Auf einen Schlag war ihre überschwängliche Begeisterung verflogen und sie klang fast schon ein wenig wütend. „Aber wenn ich in hier wieder raus bin, dann können die mich alle mal!“ Ich sagte nichts dazu, wusste auch nichts. Was hätte ich auch sagen sollen? Dass ich auch so war? Dass mir dieses Wort ‚Borderline‘ immer noch kalte Schauer über den Rücken jagte? In dem Moment klappte weiter hinten im Gang eine Tür, ich sah hin und erblickte Hitomi, die mich sofort erkannte und lächelte. „Tsu!“, rief sie und rannte auf mich zu, ich stand auf und sie fiel mir um den Hals. „Du kommst mich besuchen!“ Ich freute mich ja auch, sie zu sehen, aber ihre Überschwänglichkeit irritierte mich doch ein wenig. Obwohl ich wusste, dass ich Meto gegenüber oft genauso war. „Sorry“, sagte Hitomi und löste sich wieder von mir. „Ich hab heute nur so gute Laune, irgendwie.“ Sie wandte sich an Maya. „Deine Gruppe geht gleich los, oder?“ Maya nickte, lächelte mich dann an. „Komm mal öfter her, Tsuzuku. Dann können wir richtig über Tattoos reden.“ Dann lief sie den Gang hinunter und verschwand in dem Raum, aus dem Hitomi eben gekommen war. „Komm, Tsu, wir gehen auf mein Zimmer. Da hab ich auch das Buch, was ich dir leihen will“, sagte Hitomi. Sie führte mich einen anderen Gang hinunter und blieb dann vor einer angelehnten Tür stehen, öffnete diese ganz, sodass ich hinter ihr das Zimmer betrat. „Möchtest du Tee oder so?“, fragte sie und deutete auf eine Teekanne mit Tassen auf dem Tisch. Ich schüttelte den Kopf. „Danke, aber ich möchte nichts.“ „Ist okay. Meine Zimmernachbarin ist gestern entlassen worden, wir haben also erst mal Ruhe hier.“ Hitomi deutete auf einen der Stühle am Tisch, ich setzte mich, und sie ging zu einem Regal, nahm zwei Bücher heraus. „Hier, das ist ein Buch für Betroffene und Angehörige, das ist sehr viel besser als diese klinischen Bücher. Und das hier …“, sie hielt ein schwarzes, auffallend hübsch eingebundenes Buch hoch, „ … das möchte ich dich auch gern lesen lassen.“ Sie setzte sich zu mir und legte die beiden Bücher vor mir auf den Tisch. Ich schlug das schwarze auf, es handelte sich um eine Art Sammlung von Geschichten und Gedichten, die den Titeln im Inhaltsverzeichnis nach überwiegend recht dunkel und traurig waren. „Das ist eins meiner Lieblingsbücher“, sagte Hitomi, hatte wieder dieses ein wenig scheue Lächeln auf den Lippen. „Der Autor hat auch Borderline und schreibt einfach wahnsinnig gut über Gefühle und das alles. Ich verstehe mich selbst besser, wenn ich darin lese.“ Sie lachte, sagte dann: „Oh man, das muss dir ja so vorkommen, als ob ich die ganze Zeit nur damit beschäftigt bin!“ Ich lachte einfach mit, um die Stimmung ein wenig zu lockern. Wirklich angespannt fühlte ich mich auch gar nicht. Hitomi hatte diese Art an sich, mit der sie dafür sorgte, dass ich mich entspannte. „Sag Bescheid, wenn ich zu viel rede, Tsu“, sagte sie. „Kein Problem, ich … weiß sowieso gerade gar nicht, was ich sagen soll.“ „Fühlst du dich denn gut bei mir?“ Ich nickte. „Ehrlich gesagt hatte ich, nachdem du … aus dem Tempel weg warst, … ziemliche Angst davor, dich wieder zu sehen“, sagte ich dann. „Warum das denn?“ Auf einmal wirkte sie ein wenig angespannt. „War ich dir zu unheimlich?“ „Nein, das nicht. Aber … ich bin durch dich erst … auf diesen Gedanken gekommen. Vorher wusste ich gar nicht, was mit mir los ist. Und dann, als ich drauf gekommen bin, hatte ich wahnsinnige Angst, konnte gar nicht darüber sprechen, mit niemandem.“ „Und jetzt?“ „Jetzt wissen mein Freund, mein bester Freund und einer meiner Kollegen davon. Und … na ja, dass ich allgemein psychische Probleme habe, wissen noch mehr Leute.“ Ich dachte an Haruna, Hanako und Yami, an die Zeit, als ich noch im Park unter der Brücke gelebt hatte. Daran, wie ich mir Essen von den anderen zusammengebettelt hatte, viel zu viel, um das dann wieder zu erbrechen. Wie ich mich geschnitten hatte, und irgendwann immer irgendjemand ein Pflaster oder einen Verband für mich dabei gehabt hatte. Erst rückblickend wurde mir wirklich klar, wie extrem hart diese Zeit gewesen war. Und Meto hatte so viel davon mit mir zusammen durchgestanden. Ich hatte ihm sehr, sehr viel zugemutet, und alles, was ich ihm zurückgeben konnte, waren erst meine Freundschaft gewesen, und jetzt meine Liebe. So gesehen erschien es mir zugleich natürlich und andererseits als größtes Glück, dass aus uns ein Liebespaar geworden war. Meine Gedanken an Meto waren mir anscheinend anzusehen, denn Hitomi lächelte mich an und fragte: „Woran denkst du gerade? Moment, lass mich raten: Du denkst an deinen Freund?“ „Ja“, sagte ich. „Du liebst ihn sehr, oder?“ Ich nickte, lächelte beim Gedanken an gestern Abend, an den süßen Versöhnungskuss und das Schöne danach. „Ich liebe ihn wahnsinnig. Manchmal so sehr, dass ich fast glaube, verrückt zu werden.“ „Weißt du eigentlich, dass das das Beste ist, was dir passieren kann?“, fragte Hitomi. „Jemanden zu haben, den man liebt und der das erwidert, die ganzen schönen Gefühle, Lust und Sex …“ „Ich weiß“, sagte ich. „Ich hab das auch schon gespürt, dass ich mich, nachdem ich mit ihm geschlafen habe, nicht mehr so sehr verletzen will.“ Hitomi lächelte. „Ich freu mich sehr für dich, Tsu.“ Dann sah sie auf einmal nachdenklich aus und fügte leise hinzu: „… Ich hatte nicht so viel Glück wie du …“ „Willst du darüber reden?“, fragte ich vorsichtig. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich will dich damit nicht belasten.“ Ich beließ es dabei, wechselte das Thema: „Hast du … eine Idee, wie ich Meto das alles am besten erklären soll? Ich will nicht, dass er zu viel erfährt und sich dann noch mehr Sorgen um mich macht.“ Hitomi nahm das andere Buch, schlug es auf und blätterte ein wenig darin herum, bis sie eine bestimmte Seite gefunden hatte. Dort war eine Passage rot unterstrichen und die las sie mir vor: „Die Störung ist so breit gefächert, dass es wenig Sinn macht oder sogar schädlich ist, alles zu lesen und mitzuteilen. Sprechen Sie nur über das davon, was Sie wirklich persönlich betrifft, und schildern Sie Ihre eigenen Gefühle dazu.“ Sie schob das Buch beiseite und sagte: „Am besten sagst du ihm einfach, wie du dich fühlst, was du denkst, was in dir los ist, wie du bestimmte Situationen empfindest.“ „Manchmal … hab ich keine Worte dafür.“ „Dann sag auch das. Versuche, ihm so genau wie du kannst, zu erklären, wie du funktionierst.“ Sie deutete auf das schwarze Buch. „Und vielleicht findest du da drin irgendein Bild, das dir hilft, es auszudrücken. Ich hab dieses Buch zweimal, du kannst es also gern länger behalten.“ Hitomi lächelte, doch dann verschwand das Lächeln, sie blickte einen Moment lang förmlich durch mich hindurch und sah auf einmal furchtbar traurig aus. Sie stand auf, ging zu ihrem Bett, setzte sich darauf und zog die Knie an. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Genau so hatte ich gestern Kurata gegenüber gesessen, und wahrscheinlich hatte er nicht annähernd kapiert, warum ich plötzlich innerlich abgestürzt war. „Hitomi?“, fragte ich vorsichtig. Sie blickte auf, Tränen liefen über ihre Wangen. Lag es daran, dass unser Gespräch eben an ihrer eigenen Traurigkeit gerührt hatte, als sie gesagt hatte, dass sie nicht so viel Glück gehabt hatte wie ich? Hatte das in ihr eine Erinnerung hochgeholt, die sie jetzt so traurig machte? „Kannst du … bitte gehen?“, fragte sie mit tränenerstickter Stimme. Ich stand auf, nahm die beiden Bücher und wandte mich zur Tür. Doch statt sie zu öffnen, drehte ich mich wieder um, legte die Bücher wieder auf den Tisch und ging zum Bett, setzte mich neben Hitomi und legte vorsichtig meinen Arm um ihre zitternden Schultern. Dabei spürte ich geradezu ihren inneren Zwiespalt zwischen dem Wunsch, gehalten zu werden, und dem Alleinsein-wollen. Es war einfach dasselbe wie bei mir. Sie sah mich fragend an und ich lächelte. „Weil du mich gestern auch getröstet hast“, sagte ich. Ich blieb bei ihr, bis ich das Gefühl hatte, dass ich sie allein lassen konnte, dann nahm ich die Bücher und ging. Verließ die Klinik so schnell wie möglich und ging nach Hause, wo ich beide Bücher im Wohnzimmer auf den Couchtisch legte. Als ich ins Schlafzimmer ging, um mich ein bisschen hinzulegen, bis Meto nach Hause kam, fiel mein Blick auf meine Sportsachen im geöffneten Kleiderschrank. Eigentlich konnte ich doch, wenn Meto sowieso erst gegen ein oder zwei Uhr mittags zurück war, auch noch eben ins Sportstudio gehen. Ich nahm die Sachen aus dem Schrank und packte sie zusammen mit zwei Handtüchern in meine Umhängetasche. Meine alte, abgewetzte Reisetasche stand in der Ecke, doch die war erstens zu groß und zweitens sah man ihr an, dass sie mich in meiner Zeit unter der Brücke begleitet hatte. Und so ging ich wieder aus dem Haus, wieder in dieselbe Richtung, doch dieses Mal war mein Ziel besagtes Sportstudio, in dem ich mich ja schon angemeldet hatte. Es waren nicht viele Leute da, normal für Mittwoch um halb elf, und ich war froh darüber. In der Umkleide war ich allein und konnte mich in Ruhe umziehen, schloss meine Tasche in einen Spind ein und begann dann mit dem Training, das ich nach dem Programm absolvierte, welches ich noch aus dem Tempel kannte. Zuerst gingen mir währenddessen noch ein paar Dinge durch den Kopf, doch je mehr ich mich reinhängte, umso stiller wurden meine Gedanken. Ich übertrieb es heute nicht, hatte ja auch gerade keinen Grund dazu, so hart zu trainieren, dass es wehtat, sondern tat einfach, wie ich mir heute Morgen beim Duschen vorgenommen hatte, etwas für meinen Körper, damit ich mich gut fühlte. Und als ich am Ende im Duschraum stand, den ich zum Glück auch für mich allein hatte, ging es mir auch richtig gut. So gut, dass ich leise vor mich hin sang, während ich mich wusch. Als ich mich abtrocknete und wieder anzog, schaute ich auf die Uhr. Halb eins, Meto war jetzt bestimmt wieder da. Fertig angezogen, machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause, und dachte darüber nach, wie genau ich Meto das, was Hitomi mir geraten hatte, mitteilen sollte. Vielleicht sollte ich die beiden Bücher zuerst lesen und dann mit Meto darüber reden? Aber was, wenn ich in der Zwischenzeit wieder zusammenbrach? Als ich unsere Wohnung wieder betrat, kam mir der wundervolle Duft von Nudeln und gebratenem Gemüse entgegen. „Tsu?“, hörte ich meinen Liebsten aus der Küche fragen. „Ja?“ „Wo kommst du jetzt her?“ „Vom Sportstudio. Ich war ein bisschen trainieren.“ Ich betrat die Küche, wo Meto am Herd stand und unser Mittagessen kochte, umarmte ihn von hinten und küsste ihn. „Wie geht’s dir, mein Schatz?“, fragte er. „Alles gut“, antwortete ich. „Wie war die Arbeit?“ „Soweit in Ordnung. Na ja, Koichi wollte wissen, wie es dir geht, und ich hab ihm von gestern erzählt. Er hat auch deine Nachricht bekommen, dass du mit ihm reden willst.“ Er legte den Kochlöffel beiseite und streichelte mit beiden Händen meine Unterarme an seinem Bauch. „Und du? Warst du bei Hitomi?“ „Ja. Sie hat mir zwei gute Bücher geliehen. Ich … würde da gerne nachher mit dir zusammen drüber reden …“ „Wegen … Borderline?“ Ich nickte. „Tsuzuku, ich weiß gar nicht, ob ich das alles wissen will. Ich will dich nicht als ‚gestört‘ oder so ansehen, verstehst du?“, sprach er und stellte den Herd aus. Ich umarmte ihn ein wenig fester und senkte meinen Kopf auf seine Schulter. Wollte ihm aus einem starken Gefühl heraus ganz nah sein. „Weißt du …“, begann ich. „… Ich denke einfach, du solltest wissen, wie ich funktioniere. Wie es in mir aussieht. Und das hat jetzt nun mal diesen Namen. Und … na ja, ich will jetzt ehrlich zu dir sein. Du sollst wissen, wie ich mich fühle und wie ich denke.“ Ich fühlte in diesem Moment ein starkes, sehr starkes Vertrauen zu Meto, ein Gefühl, das sich mit meiner großen Liebe zu ihm mischte und mein Herz ganz warm werden ließ. „Okay“, sagte er. „Aber erst wird gegessen.“ Das Essen schmeckte genauso gut, wie es roch, und ich hatte dank des Besuchs im Sportstudio auch wirklich Hunger, sodass ich sogar etwas mehr aß als sonst. Meto beobachtete mich aufmerksam, ich spürte, wie er genau darauf achtete, dass ich nicht zu schnell oder zu viel aß. Und als ich mir zum dritten Mal Nudeln nehmen wollte, hielt er auch tatsächlich meine Hand fest. „Nimm mal nicht zu viel … Nicht, dass dir wieder schlecht wird.“ Ich zog meine Hand zurück. „Hast Recht.“ Stand auf und stellte meinen Teller in die Spüle. Meto aß noch auf, dann spülten wir gemeinsam das wenige Geschirr, der Topf mit dem übrigen Essen kam in den Kühlschrank. Ich ging ins Wohnzimmer, Meto folgte mir, und ich setzte mich auf die Couch, bedeutete ihm, sich ebenfalls zu setzen. Die beiden Bücher lagen noch auf dem Tisch und ich nahm das farbig eingebundene in die Hand, schlug es auf und sagte erst einmal nichts, sondern versuchte, mich an das Gefühl, wieder so ein Buch in der Hand zu halten, zu gewöhnen. Ich spürte meinen eigenen Herzschlag, wie er sich leicht beschleunigte, als ich anfing zu lesen. Dachte an Hitomis Worte und begann dann, zuerst noch zögernd und vorsichtig, Meto zu erzählen und zu erklären, wie ich mich gestern gefühlt hatte und wie es überhaupt in mir aussah. Zumindest das davon, was ich in diesem Moment selbst verstand. Zwischendurch blätterte ich immer wieder in dem Buch und fand darin ab und zu Sätze und einzelne Worte, die mir halfen, mich richtig auszudrücken, und mir irgendwie auch mich selbst erklärten. Manchmal fragte Meto etwas, dann antwortete ich, wenn ich eine Antwort wusste. Und wenn mir die Tränen kamen, nahm er mich in den Arm. Einerseits war es schwer, darüber zu sprechen, doch auf der anderen Seite fühlte es sich gut an, hatte etwas Befreiendes an sich. „Und, sag mal, wenn dir das Herz manchmal so wehtut, hat das auch damit zu tun?“, fragte er irgendwann, sein Arm lag um meine Taille. „Das weiß ich nicht“, antwortete ich. „Vielleicht kommt das, weil ich so viel zu viel fühle, dass es das kaum aushält und ich dann diese Schmerzen habe.“ „Wir sollten beide mal zum Arzt gehen. Ich wegen meiner … Verspannungen, und du wegen deinem Herzen. Nur zur Sicherheit, und falls man da was gegen tun kann. Und … na ja, vielleicht solltest du dich auch mal auch auf gewisse Krankheiten testen lassen, wegen der Mädchen früher und so.“ „Und du meinst nicht, dass ich dann erst mal wegen Untergewicht in die Klinik komme?“, fragte ich und sprach damit auch gleich meine Angst vor Krankenhäusern an. „Die können dich nicht zwingen. So viel zu dünn wie früher bist du ja auch nicht mehr.“ Er schien sich da ganz sicher zu sein und zerstreute meine Angst zumindest für den Moment. Und Recht hatte er ja auch, ich hatte ja ein bisschen zugenommen. Wir verbrachten den Rest des Tages wieder einmal mit der Spielekonsole. Ich war mit den Gedanken jedoch ziemlich woanders, weshalb ich andauernd verlor, während Meto sich besser konzentrierte und mich, da wir als Team spielten, ständig retten musste. Es war wie im echten Leben bei uns: Ich setzte alles in den Sand, und er half mir, zu überleben. Später rief dann Koichi an und fragte, wie es mir ging. Da ich mich relativ gut fühlte und das halten wollte, erzählte ich ihm nicht zu viel über den Tag gestern, sondern nur grob, was gewesen war und dass ich mit Hitomi in Kontakt stand. Er sagte, dass er sich jetzt zwar wieder mehr Sorgen um mich machte, aber froh war, dass ich Hitomi hatte und es mir jetzt wieder gut ging. Noch später, als Meto und ich am Abend zusammen im Bett lagen, spürte ich noch immer diese Innigkeit zwischen uns, die durch das Gespräch über mein Innenleben entstanden war. Ich fühlte mich wirklich gut und ihm so nah, kuschelte mich an seinen warmen Körper und spürte seine Hände auf meiner Haut. Wir trugen beide nur Shorts, aber ich fühlte mich nicht so, als ob ich in dieser Nacht mit ihm schlafen würde. Viel lieber wollte ich heute romantische, süße Nähe, zärtliche Küsse und liebevolle Worte. Und einfach bei ihm sein und fühlen, dass er da war. „Meto“, sprach ich ihn flüsternd an, „… mein Süßes …“ Er sah mich an und lächelte. „Du bist auch mein Süßer, Tsu.“ Ich rutschte ein wenig runter und legte meinen Kopf auf seine Brust, kuschelte mich noch ein wenig enger an ihn. Ein unglaublich gutes Gefühl kam in mir hoch, wärmte mein Herz und brachte mich in eine ziemlich kitschige Stimmung. „Du bist aber mein ganz besonderes Süßes, Meto. Weil du das Liebste bist, was ich in meinem Leben habe“, sprach ich und hörte selbst, wie weich meine Stimme dabei klang. Er lachte leise. „Was bist du denn so kitschig?“ Ich hob den Kopf und sah ihn an, fand ihn so wunderschön. „Manchmal bin ich eben so. Und es ist nichts als die reine Wahrheit, wenn ich dir sage, dass du mein Liebster bist“, sagte ich, meine Gedanken und Gefühle schwirrten vor Verliebtheit. Ich rutschte wieder hoch, bis wir auf Augenhöhe waren, er erriet, was ich wollte, legte seine Hand in meinen Nacken, und ich küsste ihn, so liebevoll und zärtlich wie ich nur vermochte. Seine Finger strichen über eine kribbelige Zone an meinem Hals, was mich leise in den Kuss seufzen ließ, woraufhin er an meinen Lippen lächelte. „Ich will in deinen Armen schlafen“, flüsterte ich und legte mich wieder ordentlich neben ihn. Meto schob seinen unten liegenden Arm unter meinen Hals und legte den anderen an meine Taille, ich schmiegte mich an ihn und es dauerte nicht lange, da war ich eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)