Tokyo Bay von Ruka_S_Orion (Neustart) ================================================================================ Kapitel 18: ------------ Kapitel 18 Haruka trottete niedergeschlagen über den Schulhof. >Du bist so ein Vollidiot! Wie kannst du sie nur so verletzen?! Wieso hast du es ihr nicht erklärt?!< Scheppernd wie ein Donnerschlag knallte die Tür ihres Autos ins Schloss, nachdem sie sich hinters Steuer gesetzt hatte. Sie verschränkte ihre Arme auf dem Lenkrad und legte ihre Wange auf ihnen ab. Das Knallen ihrer Wagentür war wohl nicht unbemerkt geblieben, denn schon nach wenigen Augenblicken spürte Haruka, wie sie von neugierigen Schülern gemustert wurde. Ein leises Klingeln riss sie aus ihren Gedanken. „Ruka-chan? Wo bleibst du denn? Ich denke, du wolltest mich abholen?!“ „Bin gleich da…“, antwortete Haruka mechanisch und legte auf, ohne sich von ihrer Schwester zu verabschieden. Nach einer für sie viel zu kurzen und vor allem viel zu langsamen Fahrt auf dem Highway erreichte Haruka den vereinbarten Treffpunkt. Minako fiel ihr sofort freudestrahlend um den Hals. Vor Euphorie bemerkte sie zunächst nicht, wie deprimiert ihre große kleine Schwester war. Erst nachdem sie über ihren stressigen Arbeitstag geplaudert und sich ungefragt auf den Beifahrersitz gesetzt hatte, stutzte sie. Haruka hatte ein künstliches Lächeln aufgesetzt, als sie den Motor startete. „Ruka-chan, geht es dir nicht gut? Freust du dich nicht, mich zu sehen?“ Harukas Seufzer war unvermeidbar. Traurig lächelte sie ihrer Beifahrerin zu: „Natürlich freue ich mich! Es ist nur…“ Sie brach ab. „Nichts…“ Ein Kloß hatte sich in ihrem Hals gebildet, also ordnete sie sich auf der dichtbefahrenen Straße ein und nahm Kurs auf ihre Wohnung. Minako begann zu grinsen. „Noch lieber als mit deiner Schwester hättest du das Wochenende wohl mit deiner Freundin verbracht, stimmt´s?“ Sie bekam keine Antwort. Stattdessen erkannte sie, wie die Sportlerin die Zähne aufeinander biss. Nachdenklich legte sie die Stirn in Falten. Haruka trat aufs Gas, also entschied sich die aufsteigende Journalistin dazu, mit ihren Fragen zu warten, bis die Rennfahrerin in ihrer Tiefgarage geparkt hatte. Schweigend standen die beiden Blondinen nebeneinander im Fahrstuhl. Als der Lift im Penthouse hielt, stieg Haruka aus, um die Reisetasche ihrer Schwester ins Wohnzimmer zu bringen. Minako folgte ihr zögerlich. Ihre Neugierde um die moderne Wohnung ließ sich kaum zügeln, aber die Sorge um ihren Schützling, der gut einen Kopf größer als sie selbst war, war stärker. Den durchdringenden Blick auf die Leichtathletin gerichtet setzte sie sich aufs Sofa. Haruka wich ihrem Gast lieber aus. „Kann ich dir was zu Trinken anbieten?“ „Nein, ich will nichts. Haruka, raus mit der Sprache!“ „Was denn?“ Zu gerne hätte sich Haruka jetzt eine Weinflasche gegriffen, sich auf den Balkon gesetzt und den restlichen Tag damit verbracht, in Selbstmitleid und Schuldgefühlen zu zerfließen. „Du kannst mir nichts vormachen. Ich kenne dich schon dein Leben lang. Was ist passiert? Ist was mit… Wie hieß sie noch gleich…?“ „Sie heißt Michiru.“, antwortete Haruka. „Und ich glaube, ich habe mit ihr Schluss gemacht. Oder so…“ Minako hob überrascht die Augenbrauen. „DU hast mit IHR Schluss gemacht? Und darüber bist du so deprimiert? Das sieht dir ja überhaupt nicht ähnlich…“ Den Kopf schüttelnd begann Haruka, im Wohnzimmer auf und ab zu tigern. „Weil ich es nicht wollte! Sie ist anders, Mina! Ich wollte mit ihr zusammen sein. Nur mit ihr. Ich will nur noch sie…“ Jetzt war Minako völlig überrascht. „Sowas hast du ja noch nie gesagt. Hast du Fieber? Bist du auf den Kopf gefallen? Oder wirst du plötzlich allen Ernstes erwachsen?“, grinste sie neckisch. „Das ist nicht witzig, Mina! Michiru bedeutet mir alles! Ich liebe sie. Ich bin verrückt nach ihr und will sie nie wieder hergeben. Und jetzt hab ich es versaut. Ich hab sie verletzt. Sie sagt, ich hätte ihr das Herz gebrochen…“ Haruka ließ sich bäuchlings auf ihre Sofalandschaft fallen und drückte ihr Gesicht in eines der Kissen. „Hast du gerade gesagt, du liebst sie?! DU hast dich verliebt?“ Ungläubig blinzelte Minako die einstige Herzensbrecherin an. Diese drehte schnaubend den Kopf und starrte auf die kahle Wand neben dem Sofa. „Und wieso hast du dann Schluss gemacht?“ Haruka stützte sich auf die Unterarme, um ihrer Schwester einen finsteren Blick zu zuwerfen. „Ach komm. Als hättest du die Schlagzeilen nicht gelesen. Ich habe noch nicht ein Interview gegeben und schon jetzt war Michiru auf der Titelseite! Ich will nicht, dass die sie durchleuchten. Das hält sie nicht durch. Du weißt, wie die sind! Und solange wir keinen Skandal liefern, werden die bohren und suchen, bis sie was gefunden haben. Was, wenn die Michiru mit denen gleichsetzen, die ich früher hatte? Was, wenn die schreiben, sie wäre auch nur eine meiner Schicksen? Sie hat gesagt… Sie meinte, sie wäre für mich nur ein Zeitvertreib gewesen. Nur ein Übergang, bis sich mir die nächsten Weiber an den Hals werfen…“ „Aber das war sie nicht, oder?“ „Natürlich nicht! Ich will nie eine andere haben! Aber was, wenn diese Skandalhaie genau das in die Zeitungen setzen? Dann wird jeder so denken. Und das will ich ihr nicht antun. Das kann ich ihr nicht antun.“ Haruka hatte nicht bemerkt, wie sie beim Reden immer lauter geworden war. Sie spürte, wie der Knoten in ihrer Brust wuchs. Ihr Hals begann heiß zu brennen, und bevor sich die erste Träne ihren Weg bahnte, drückte sie ihr Gesicht wieder in ihr Kissen. Für einen Moment war Minako sprachlos. So hatte sie ihre kleine Schwester noch nie gesehen. Minako seufzte. Sie wusste, dass es nicht leicht für Paare war, die im Rampenlicht standen. Immerhin war sie selbst Teil des Medienzirkus. Einen Moment sah sie zu, wie Haruka versuchte, ihre Tränen zu unterdrücken. Dann stand sie auf und suchte die Wohnung nach der Küche ab. Es dauerte eine Weile, bis sie alles gefunden hatte, was sie zum Teekochen brauchte. Mit zwei Tassen in den Händen kehrte sie zum Sofa zurück und setzte sich wieder. Haruka roch sofort, welche Sorte sie gewählt hatte. Es war der gleiche Tee, den sie immer brühte, wenn es ihr schlecht ging. „Mit Honig?“, murmelte Haruka in ihr Kissen. „Sogar zwei Löffel.“, antwortete Minako lächelnd. Haruka stemmte sich hoch und rutschte auf allen Vieren auf dem Polster entlang an ihre Schwester heran. Mit beiden Händen umschloss sie die Tasse und nippte an dem dampfenden Getränk. Vorsichtig begann Minako: „Ich glaube, du übertreibst.“ Erneut warf ihr Haruka einen finsteren Blick zu. „Ich meine, du stehst nun mal in der Öffentlichkeit. Das ist eben so. Und das wird sich auch nicht ändern. Und was meinst du, wird in den Zeitungen stehen, wenn du dich plötzlich von ihr trennst? Glaubst du etwa, die werden schreiben, du wolltest sie nur schützen? So werden die sich erst recht die Mäuler über euch zerreißen.“ Haruka kniff die Augenbrauen zusammen. Das hatte sie nicht erwartet. Nachdenklich schwenkte sie ihre Tasse. Plötzlich stand sie entschlossen auf. „Was hast du vor?“, fragte Minako überrascht. „Na was wohl?“ Mit einem leisen Pling setzte die Athletin ihre Tasse auf dem Wohnzimmertisch ab und steuerte auf den Flur zu. „Dickschädel.“, murmelte Minako ihr nach, bevor sie selbst aufstand. „Du kannst doch nicht einfach zu ihr fahren! Du sagst, du hättest ihr das Herz gebrochen. Glaubst du, sie würde dich sehen wollen, wenn du jetzt einfach so bei ihr klingelst? Sie wird dir die Tür vor der Nase zu schlagen und sich die Augen ausweinen. Mehr nicht.“ Haruka stoppte. „Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“ „Du schreibst ihr, dass du es nicht so gemeint hast. Und dass du mit ihr reden musst. Und dass… Ach, gib mir einfach dein Handy!“ Das geräuschvolle ins Schloss fallen der Wohnungstür ließ Setsuna aufhorchen. Schnelle Schritte hallten durch den Flur und erneut wurde eine Tür zugeworfen. Ohne zu zögern ließ sie das Besteck, das sie gerade begonnen hatte abzuwaschen, ins Spülbecken fallen, trocknete sich die Hände ab und folgte der offenbar Aufgebrachten. Zaghaft klopfte sie an die Zimmertür. Keine Antwort war zu hören. Also klopfte sie erneut. Immer noch keine Antwort. Erst nach dem dritten Versuch ertönte ein gebrochenes „WAS?!“. Setsuna schluckte. Nie hatte sie ihre Stieftochter in irgendeiner Weise aggressiv erlebt. Jetzt hörte es sich so an, als wollte die Violinistin jeden erschlagen, der ihr zu nahe kam. Vorsichtig drückte sie die Klinke und spähte ins Zimmer. „Darf ich reinkommen?“, fragte sie leise. Michiru lag zusammengerollt auf ihrem Bett. Teilnahmslos starrte sie in Richtung des Fensters. „Mir egal.“ Für einen kurzen Moment zögerte Setsuna noch. Dann trat sie ein und setzte sich geräuschlos neben Michiru. Die Künstlerin atmete ruhig und flach, und nahm keine weitere Notiz von der fürsorglichen Frau, die sie besorgt ansah. „Möchtest du mir erzählen, was passiert ist?“, fragte Setsuna schließlich sanft. „Haruka hat mich abgeschoben.“ Die Antwort kam leise, aber klar und deutlich. Nach einem Seufzer setzte sich die Dunkelhaarige auf, rutschte bis an das Kopfende des Bettes und lehnte sich an den hölzernen Rahmen. „Darf ich fragen, warum?“ Michiru kauerte sich noch weiter zusammen. „Für sie waren wir nie zusammen. Kawashima kam zu uns, als ich ihr den Artikel über uns gezeigt habe. Dann haben sich die beiden mal wieder gestritten und dabei hat sie ihn angebrüllt, ich würde ihr nicht mehr bedeuten als Kikyo-san.“ Langsam drehte sie sich zu ihrer Stiefmutter. „Sie hat wirklich ganz offen gesagt, dass wir nie zusammen waren.“ Verzweifelt blickten türkisfarbene Augen in granatrote. Michirus Sicht verschwamm. Ohne jeglichen Versuch, die Tränen zu unterdrücken, begann sie zu weinen. „Warum sagt sie sowas, Setsuna?! Wieso tut sie mir so weh?! Wieso?!“ Einladend streckte Setsuna eine Hand aus, die ihr Schützling annahm, um sich in die Arme der Älteren zu ziehen. Schluchzend vergrub sie ihr Gesicht in Setsunas Bluse. „Das kann ich dir nicht sagen.“ Zärtlich strich Setsuna durch das türkisfarbene Haar. Eine Zeit lang herrschte Stille, bis sie leise flüsterte: „Es tut mir so leid. Ich wünschte, ich könnte sagen, der Schmerz ginge schnell vorbei, aber das wird er nicht.“ Michiru waren mittlerweile die Tränen ausgegangen. Abwesend starrte sie vor sich hin. Erst nach einer halben Stunde war erneut das Klicken der Wohnungstür zu hören, woraufhin die Künstlerin ihren Kopf anhob. „Bleib ruhig hier. Ich mach das schon.“, lächelte Setsuna sie sanft an, bevor sie sich vom Bett schob und das Zimmer verließ, um ihren Mann und ihre gemeinsame Tochter in Empfang zu nehmen und sie davon abzuhalten, Michiru aufzusuchen. Wieder allein drehte sich Michiru zurück auf die Seite, um weiter aus dem Fenster zu starren. Ein kurzes, schrilles Klingeln ließ sie zusammen zucken. Es dauerte noch einige Atemzüge, bis sie sich dazu entschied, auf ihr Handy zu sehen. >Lesen oder gleich löschen?< Das Telefon landete mit einem dumpfen Ploppen auf der Matratze. Wieder füllten sich Michirus Augen mit Tränen. Doch diesmal atmete sie tief durch und beschloss schließlich, Harukas SMS doch zu öffnen. ‚Es tut mir leid, mein Engel! Ich hatte nie die Absicht, dich zu verletzen. Es gibt keinen Menschen, der mir auch nur annähernd so wichtig ist wie du! Jedes einzelne Wort, das ich gesagt habe, fühlte sich wie ein Stich in mein eigenes Herz, wie Hochverrat an. Bitte gib mir die Chance, alles zu erklären. Auch wenn ich sie eigentlich nicht verdient habe. Bitte ignorier mich nicht. Auch wenn du allen Grund dazu hättest. Schenk mir nur ein paar Minuten. Vielleicht kannst du mein unverzeihliches Handeln dann verstehen. Schenk mir bitte nur diese eine Chance, Michiru!‘ „Und du glaubst, das ist besser, als einfach zu ihr zu fahren?“ „Vertrau mir, Haruka. Ich kenn mich aus mit Mädchenkram.“ Minako überflog noch einmal die SMS, währenddessen ihr Haruka über die Schulter schaute. „Okay…“ Einen kurzen Moment zögerte Minako doch, bis sie endlich auf ‚Senden‘ drückte. Harukas Blick folgte ihrem eigenen Handy bis zum Wohnzimmertisch. „Und jetzt?“ „Hm… Kino?“, grinste Minako fast bettelnd. Harukas Mimik sprach Bände. „Sie wird eh nicht gleich antworten. Lass ihr Zeit. Wir haben uns ewig nicht gesehen. Ein bisschen will ich dieses Wochenende auch genießen…“, beschwichtigte sie Minako. Der Tonfall der Journalistin duldete keine Widerrede. Minako hatte eindeutig Spaß an dem neuverfilmten Manga, der auf der Großbildleinwand zu sehen war, doch Haruka bekam von dem Spektakel nur wenig mit. Sie strengte sich wirklich an, doch die Geschichten ihrer Schwester kamen nur dumpf in ihrem Kopf an. Während eines unerträglich langanhaltenden Dinners ertönte endlich das erlösende Klingeln. Immer und immer wieder las Michiru die Nachricht auf ihrem Handy. Mal lief sie dabei in ihrem Zimmer auf und ab, mal kauerte sie sich weinend zusammen, und einige Male war sie versucht, aus der Wohnung zu stürmen und einfach durch die Straßen Tokios zu laufen. Gerade hatte sie sich im Schneidersitz an das Fußende ihres Bettes gesetzt und starrte auf den hellen Bildschirm, als es leise an der Tür klopfte und eine sanft lächelnde Setsuna hereinblickte. „Stör ich?“ Michiru schüttelte kaum merklich den Kopf. Ihren Blick konnte Setsuna nicht deuten, also trat sie näher heran und präsentierte einen kleinen Teller mit dem heutigen Abendbrot. „Ich dachte, du willst vielleicht lieber hier essen. Dein Vater war zwar nicht sehr begeistert, aber ich konnte mich ihm gegenüber behaupten.“ Michirus Mundwinkel zuckten leicht. „Danke.“, lächelte sie zurück. Nach einem letzten Blick auf die Nachricht, reichte sie das Handy ihrer Stiefmutter. Denkfalten zeichneten sich auf der Stirn der erfahrenen Frau ab. „Was hältst du davon?“, fragte Michiru, als Setsuna den kurzen Text offenbar schon dreimal gelesen hatte. Die Dunkelhaarige schüttelte den Kopf. „Ich bin mir nicht sicher… Vielleicht solltest du dich doch noch einmal mit ihr treffen. Vielleicht dachte sie, du würdest etwas anderes für sie empfinden.“ „Ach, quatsch. Sie weiß genau, was sie mir bedeutet. Immerhin habe ich sie zuerst geküsst. Naja… Nicht zu allererst… Aber unser zweiter erster Kuss kam von mir aus.“ „Gut, aber hast du ihr auch gesagt, dass du sie liebst?“ Auf den Wangen der Violinistin legte sich eine verlegene Röte. Setsuna gab ihr das Handy zurück und setzte sich neben sie. „Weißt du, ein Kuss kann so einiges bedeuten. Es ist sicher kein Geheimnis, dass deine Haruka schon viele Mädchen geküsst hat, und viele Mädchen haben Haruka geküsst.“ Michiru sah entrüstet auf, doch Setsuna fuhr ruhig fort: „Auch wenn es dir nicht gefällt, ist es eine Tatsache. Und ich zweifle wirklich, ob all diese Mädchen Haruka aus Liebe geküsst haben. Und das wusste sie ganz sicher. Und bestimmt hat auch sie nicht jedes Mädchen geliebt. Wie sollte sie sich dann deiner Liebe sicher sein, wenn du es ihr nicht ganz deutlich gesagt hast?“ Haruka wäre vor Freude fast aufgesprungen. Aufgeregt trommelte sie auf der Tischplatte und wippte mit ihren Beinen. „Mina, du bist echt die Beste! Wirklich! Das Wochenende geht sowas von auf mich! Das ist… Wahnsinn, du glaubst nicht, wie dankbar ich dir bin!“ „Jetzt gib schon her!“Endlich gelang es Minako, ihrer euphorischen Schwester ihr Handy abzunehmen. Sehr lang war die Nachricht nicht: ‚Sonntag um 2, Tokyo Bay. Wehe, du kommst zu spät!‘ Minako sah fragend auf. „Tokyo Bay? Ist das nicht etwas unpräzise?“ „Nein, ganz und gar nicht.“ Haruka konnte ihr Grinsen nicht mehr bändigen. Bei einem vorbeieilenden Kellner bestellte sie zwei Gläser und eine Flasche Champagner. „Bist du verrückt? Weißt du, wie teuer Champagner ist?!“, flüsterte Minako ihr zu. „Sie hat deine Entschuldigung doch noch gar nicht angenommen. Und vielleicht wird sie das auch nicht. Sie hat nur geschrieben, dass du sie treffen sollst.“ Doch Haruka grinste noch breiter. „Du kennst sie eben nicht. Dass sie überhaupt geantwortet hat, ist schon mehr, als ich gehofft hatte. Das letzte Mal, als sie sauer auf mich war, wollte sie mich weder sehen, noch mit mir sprechen. Und da habe ich nicht halb so viel Mist gebaut!“ „Sehr warmherzig, Michiru.“ Setsuna sah ihrer Stieftochter über die Schulter. „Was sollte ich denn sonst schreiben? SIE hat MICH verletzt, nicht andersrum. Also habe ich mich auch für nichts zu entschuldigen.“ Setsuna seufzte resignierend. „Und warum erst Sonntag?“ Die Künstlerin antwortete bitter: „Dann kann sie sich in Ruhe überlegen, was sie zu sagen hat.“ „Michiru!“ „Was denn? Sie hat mir das Herz gebrochen! Um das wieder gut zu machen, sollte sie ihre Worte genau planen.“ Setsuna rümpfte die Nase. Es gefiel ihr überhaupt nicht, was die Streicherin da von sich gab. Doch anstatt sich weiter darüber aufzuregen, wechselte sie das Thema: „Ich nehme an, du hast nun keine Pläne für morgen?!“ Dankbar über den Themenwechsel sah Michiru auf. „Nicht wirklich… Aber vielleicht könnten wir an den Strand fahren, oder so. Wenn ihr nichts anderes geplant habt…“ Nachdem die Flasche Champagner bis auf den letzten Tropfen geleert und die Rechnung von Haruka bezahlt worden war, nahm sich das Geschwisterpaar ein Taxi zur Wohnung der Rennfahrerin. Minako war froh, ihre kleine Schwester endlich wieder sorglos zu sehen. Zumindest fast. Bis tief in die Nacht zockten die Blondinen Harukas neuestes Rennspiel auf dem großen Flachbildfernseher. Keine der Frauen war eine echte Frühaufsteherin, also schleppten sie sich erst gegen Mittag aus ihren Betten. Nach einem reichhaltigen Brunch kostete es Minako nicht viel Überredungskunst, Haruka dazu zu bringen, mit ihr in einen Freizeitpark zu fahren. Etliche Fahrten mit Achterbahnen und anderen Attraktionen später setzte die Dämmerung ein und von der ganzen Zuckerwatte, süßen Erfrischungsgetränken und nicht zuletzt der eben beendeten neunten Runde Autoscooter, bei der sich die Schwestern immer wieder gegenseitig gejagt und in die Banden gestoßen hatten, drehte sich langsam Minakos Magen um. Trotzdem die Blondinen noch bis spät in die Nacht durch die Bars und Clubs Tokios gezogen waren, war Haruka schon am frühen Morgen hellwach. Leise schlich sie aus dem Schlafzimmer. Minako schlief noch seelenruhig in dem großen Doppelbett, also zog Haruka aufs Sofa, schaltete den Fernseher ein und zappte stundenlang durch die Kanäle. Leicht verkatert tapste Minako bald ins Wohnzimmer, um sich gleich wieder neben die ruhelose Leichtathletin zu legen. Nachdem Haruka zum vierten Mal ihre Favoritenliste durch geschalten hatte, meldete sie sich zu Wort: „Wieso bist du so nervös? Ich denke, wenn sie dir schon geantwortet hat, ist alles so gut wie verziehen.“ Haruka ließ die Fernbedienung auf ihren Bauch fallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Ich bin mir nicht sicher, wie ich es ihr sagen soll. Ich kann ihr ja wohl kaum vorwerfen, dass sie den Druck nicht aushalten würde.“ „Das nicht, aber du kannst ihr sagen, dass du selbst in Nagoya kein Privatleben hattest. Du kannst ihr sagen, dass jeder Schritt, den du gemacht hast, am nächsten Tag in den Zeitungen stand. Und dass auch jede Frau, die sich mit dir gezeigt hatte, von Paparazzi verfolgt wurde. Erzähl ihr von der unverblümte Wahrheit.“ „Und dann?“ Minako runzelte die Stirn. „Was ‚und dann‘?“, murmelte sie in ein Sofakissen. „Mal angenommen, sie verzeiht mir. Mal angenommen, ihr wäre das alles egal. Ich will nicht, dass sich die Medien die Mäuler über sie zerreißen. Wie schütze ich sie davor?“ Einige Minuten lang war nur der Kommentator eines Motorradrennens im Fernsehen zu hören. Dann begann Minako zu grinsen. Fröstelnd stellte Michiru den Kragen ihres Mantels auf. So lau war dieser Winter gewesen, doch ausgerechnet heute wehte ein eisiger Wind vom Meer her in die Bucht von Tokio. Mit angezogenen Schultern lehnte sie sich gegen das Geländer und wartete. Sie war zu früh. Die Busse fuhren nur stündlich hier raus. Doch schon nach wenigen Minuten erschien ein dunkelblauer Ferrari am Ende der Brücke. Michiru widerstand dem Verlangen, der Blondine sofort um den Hals zu fallen, als diese ausstieg und auf sie zukam. Abwehrend hob sie ihre Hände und drückte gegen Harukas Schultern, um eine Umarmung zu unterbinden. Die Athletin verstand sofort. „Danke, dass du mir noch eine Chance gibst.“, begann sie. Michiru sah ihr kühl entgegen. „Ich gebe dir nur eine Chance, dein Verhalten zu erklären. Mehr nicht.“ >Vorerst…< Haruka nickte verstehend. „Du sollst nur wissen, dass ich nichts von dem, was ich Kawashima gesagt habe, auch so gemeint habe. Natürlich bedeutest du mir mehr. Mehr als jede andere. Seitdem ich dich kenne, bist du mein Lebensmittelpunkt! Nie war mir jemand so wichtig wie du. Und wenn ich nur an dich denke, weiß ich, dass das auch immer so bleiben wird. Dass ich das abgestritten habe, ohne vorher mit dir zu sprechen, tut mir wahnsinnig leid. Und ich könnte verstehen, würdest du mir das auf ewig nachtragen. Ich hätte dir vorher erklären sollen, warum ich nicht will, dass uns jeder als Paar sieht. Bist du nur in meiner Nähe, bin ich überglücklich! Aber in den letzten Jahren wurde mir mehr als deutlich gezeigt, was mit Frauen passiert, die sich an meiner Seite zeigen. Wenn du mit mir zusammen bleibst, ziehst du in ein Glashaus. Du wirst nie mehr deine Ruhe haben. Jeder wird dich kennen. Jeder wird über dich sprechen. Jeder wird nach Fehlern suchen. Es war mir fast egal, wenn meine Verflossenen auf den Titelseiten erschienen sind. Als weitere Opfer der Herzensbrecherin. Es hat mich nicht interessiert. Aber ich habe auch gesehen, wie es einige nicht ertragen konnten und zerbrochen sind. Ich will nicht, dass auch du zerbrichst. Du bist der letzte Gedanke, bevor ich einschlafe, und der erste, wenn ich morgens wach werde. Und selbst nachts träume ich nur von dir. Du bist mein innerer Antrieb und gleichzeitig gibst du mir Ruhe. Bist du nicht bei mir, fühle ich mich unvollständig. Du bist alles, was mich zusammen hält. Nichts ergibt Sinn ohne dich. Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt, aber genau aus dem Grund konnte ich nicht zulassen, dass du endest wie alle anderen vor dir! Sie waren nur verschwommene Schatten, die mit mir spielten. Nur du bist echt. Seit Jahren suche ich nach dem, was mir Halt gibt. Und endlich habe ich dich gefunden. Doch jetzt kann ich nicht zulassen, dass dir etwas passiert. Wenn dich zu beschützen heißt, dass ich dich nicht berühren darf, dann ertrage ich das.“ Haruka hatte die ganze Zeit über Blickkontakt gehalten und der Glanz ihrer Augen und die Verzweiflung in ihrer Stimme verrieten Michiru, dass sie sich nichts von alledem ausgedacht hatte. „Sag das noch mal.“, befahl sie leise. „Wenn ich mich von dir-“ „Nicht das! Du hast gesagt, du liebst mich. Wie vielen hast du das schon gesagt? Sag es mir. Und wage es nicht, zu lügen!“ Haruka schluckte. Michirus Blick war unergründlich und ihre Stimme ruhig, aber die Blondine wusste, dass alles von ihren nächsten Worten abhing. Entschlossen hob sie ihre Hände, um das Gesicht ihres Engels zu umfassen. Sanft fixierte sie die Schönheit und trat so dicht an sie heran, dass ihr Atem warm über Michirus Lippen strich. Aufrichtig und direkt sahen grüne Augen in türkisfarbene „Ich habe schon oft gelogen. Ich kann meine Lügen nicht mal mehr zählen. Aber niemals habe ich irgendeiner meine Liebe gestanden. Niemals hat irgendjemand diese Worte aus meinem Mund gehört. Und niemals würde ich dich belügen. Ich liebe dich, Michiru. Schon als ich den Klassenraum zum ersten Mal betrat und dich entdeckte, wusste ich, dass du die Antwort auf meine Rastlosigkeit bist. Ich liebe dich schon von Anfang an. Ich bin verrückt nach dir, süchtig nach deiner Nähe, vernarrt in deinen Duft, und wenn ich deine Lippen berühre, fühle ich, wie mein Herz aussetzt. Und selbst, wenn es für immer stehen bleiben würde, wäre es mir egal. Weil ich genau in diesem Moment bei dir wäre. Und das ist alles, was ich mir nur erträumen könnte.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)