Tokyo Bay von Ruka_S_Orion (Neustart) ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Kapitel 7 Irgendwie fühlte sich Michiru von den ganzen Sinneseindrücken überfordert. Der Rosenduft benebelte sie und Harukas warmer Körper so dicht vor ihrem eigenen verursachte ein Kribbeln, das sich von ihren Fingerspitzen aus bis hin zu ihrem Herzen auszubreiten schien. Sie bekam eine Gänsehaut, schloss ihre Augen und schmiegte sich noch dichter an die Fahrerin. Ohne die Welt um sich herum zu sehen, hatte sie bei der für den Highway üblichen hohen Geschwindigkeit das Gefühl, gleich abzuheben. Auch Haruka genoss die Fahrt in vollen Zügen. Sie konnte spüren, wie sich ihr Engel förmlich fallen ließ und der Blondine ihr vollstes Vertrauen schenkte. Ihre Sinne schienen bei dieser Gewissheit zu verschwimmen, doch die Verantwortung, der sie sich angenommen hatte, zwang sie zur Konzentration. Als sie von der Schnellstraße wieder abgefahren war, bemerkte sie, wie sich der Griff ihres Schützlings an jeder roten Ampel leicht lockerte, um bei jedem Anfahren nur noch stärker zu werden. Als sie ihr Ziel erreicht hatten, bekam die Sportlerin durch die feste Umklammerung kaum noch Luft und drehte langsam ihr Gesicht zur Seite. „Du musst ja nicht los lassen, aber wir sind da.“, sprach sie leise. Michiru hatte gar nicht bemerkt, dass sie angehalten hatten und öffnete etwas erschrocken ihre Augen. Kurz sah sie sich um und löste dann ihren Griff. Auffallend langsam zog sie ihre Arme an sich, wobei sie neugierig über die Taille der Rennfahrerin strich. Vorsichtig rutschte sie vom Motorrad und wandte sich der anderen Straßenseite zu. Weniger, um sich zu orientieren, als um ihre erröteten Wangen zu verbergen. Auch Haruka stieg jetzt von ihrer Maschine, befreite sich von ihrem Kopfschutz und trat an die Streicherin heran. Sanft aber bestimmt griff sie nach Michirus Arm. Sie drehte sie zu sich herum und legte ihre linke Hand auf deren Taille ab, um mit der anderen den Gurt unter dem Kinn der Schönheit zu lösen. Langsam ließ sie ihre Linke über den Körper der Violinistin nach oben streichen und befreite sie schließlich von ihrem Helm. Bei der liebevollen Geste blieb der Künstlerin fast die Luft weg. Erneut schloss sie die Augen. War das alles real? Vorsichtig sah sie wieder auf und ließ sich sofort von dem strahlenden Grün fesseln. Ohne von ihrem Engel abzusehen, hängte Haruka auch den zweiten Helm an den Lenker ihrer Yamaha. Dann hob sie erneut ihre Hand um Michiru sanft über ihre Wange zu streichen. „Schön, dass du dir Zeit für mich nimmst.“, flüsterte sie und verschränkte anschließend ihre Finger mit denen der Geigerin. Lächelnd nickte sie in Richtung eines kleinen Cafés und gab der Violinistin, die sich immer noch nicht regte, einen liebevollen Stupser. In einer ruhigen Ecke bat Haruka ihrer Schönheit hilfsbereit einen Platz an und setzte sich ihr anschließend gegenüber. Beide bestellten sich einen Tee und warfen einander verstohlene Blicke zu. „Ich dachte, du kennst dich hier noch nicht richtig aus. Und doch hast du mich hierher bringen können.“, fand Michiru als erste ihre Stimme wieder. „Mein Hotel liegt hier ganz in der Nähe. Und ein paar Runden habe ich hier ja nun auch schon gedreht. Ich war zwar noch nie hier zu Gast, aber von außen ist mir das Café schon aufgefallen…“, erklärte die Sportlerin. Michiru nickte verstehend und nahm den ihr gebrachten Tee entgegen. „Haruka, du warst neulich so verschlossen… Darf ich dich etwas fragen?“, sprach die Violinistin zögerlich. Die Pianistin überlegte kurz. Dann lächelte sie. „Natürlich. Was möchtest du wissen?“ „Naja… du hast gesagt, in Nagoya lebtest du in einem großen Haus mit allem Drum und Dran… Aber jetzt wohnst du hier in einem Hotel… Und das, wie es scheint, auch noch allein… Wieso?“, fragte die Geigerin vorsichtig. Haruka atmete einmal tief durch. Sie hatte geahnt, dass diese oder eine ähnliche Frage auf sie zukommen würde, und jetzt konnte sie sie nicht mehr abwehren. „Eigentlich war ich auch in Nagoya schon allein. Bis auf Obaa-san, die ich vielleicht ein Mal im Monat sah, meinen Trainer und Sanji, einem Teammitglied, hatte ich eigentlich niemanden… Ich habe nicht viel auf Freundschaften gegeben. Sie kamen mir irgendwie kompliziert vor. Ich denke, die meisten Menschen hatten eh nur aus Prestigegründen Interesse an mir.“ Die Blondine starrte auf ihren Tee und rieb zur eigenen Beruhigung die Hände ineinander. „Was ist mit deinen Eltern?“, fragte Michiru sanft. Haruka sah auf. Sie sprach nicht gerne über ihr Privatleben. Und diese Frage gehörte zu einem Thema, das sie lieber totschwieg. Einen Moment lang sah sie noch schweigend in die türkisblauen Augen ihres Gegenübers. „Weißt du, eigentlich rede ich nicht gern über meine Vergangenheit… Es ist nicht so, als würde ich dir nicht vertrauen oder so… Aber diese Gefühle… So etwas fällt mir nicht leicht.“, erklärte sie verlegen und starrte auf ihr Getränk. „Es tut mir leid, Haruka. Ich wollte dich nicht bedrängen, also-“ „Das hast du nicht!“, schnitt ihr die Sportlerin das Wort ab. „Ehrlich. Ich musste mich nur kurz sammeln.“, fügte sie hinzu. „Meine Eltern leben nicht mehr. Sie sind vor fast sechs Jahren gestorben. Sie waren Leiter einer Mikrochipfirma… Eines Tages, brach irgendwie ein Feuer aus, in einem Fabrikabschnitt. Normalerweise haben ja solche Leiter irgendwo abgeschieden ihr Büro und betreten so gut wie nie den Betrieb. Aber meine Eltern waren da ganz anders. Obwohl das Unternehmen sehr erfolgreich war und permanent wuchs, waren meine Eltern viel in den Hallen unterwegs. Sie behandelten jeden gleich, ob Abschnittsleiter oder Hausmeister. Sie kannten auch so gut wie jeden Mitarbeiter persönlich. Trotz ihrer Größe, sollte die Firma ein Familienunternehmen bleiben. Jeder, der ein Problem hatte, konnte zu ihnen kommen, egal wann. Mein Vater hat mich hin und wieder mal mitgenommen. Mir alles gezeigt, mich jedem ganz stolz vorgestellt. Und auch ich war stolz! Es schafft nicht jeder, so erfolgreich zu sein und doch auf dem Boden zu bleiben.“ Ein verträumtes Lächeln trat auf das Gesicht der Leichtathletin, das langsam wieder verblasste, als sie schwer einatmete, um weiter zu erzählen. „Wir wollten in den Urlaub fahren. Die Sachen waren schon gepackt und verstaut. Meine Schwester und ich stiegen gerade ein, als der Anruf kam. Irgendwas stimmte wohl mit einer Lieferung nicht. Also entschieden meine Eltern, dass sie auf dem Weg zum Flughafen nur kurz vorbeisehen wollten. Im Betrieb angekommen wollte ich mit aussteigen, aber meine Mutter sagte, das wäre für mich eh zu langweilig. Dabei fand ich das alles immer ganz interessant. Mein Vater sagte nur, es wäre ein kleines logistisches Problem, grinste mich an und ging dann voraus. Mutter kam noch einmal zum Fenster und sagte, ich solle nicht bocken, weil mir dann Hörner wüchsen.“, schmunzelnd stockte Haruka erneut. „Dann gab sie mir einen Kuss auf die Stirn, sah zu meiner Schwester und sagte, sie solle auf mich aufpassen, dass ich keinen Blödsinn anstelle, und lief ihm dann nach… Ich versuchte gerade aus meiner Schwester herauszubekommen, wo unser Flug hingehen würde. Unsere Eltern überraschten uns gerne mit den verschiedensten Urlaubszielen, aber mit fast sechszehn wollte meine Schwester nicht mehr überrascht werden. Sie ärgerte mich immer damit, dass sie mehr wusste als ich.“ Die Blondine brach in ihrer Erzählung ab. Sie starrte mit verklartem Blick auf ihr Teeglas. Plötzlich spürte sie eine beruhigende Wärme. Michiru hatte ihre Hände zärtlich auf die der Sportlerin gelegt und sah ihr nun sanft in die Augen. „Ich werde diesen Knall niemals vergessen können, Michiru. Ich habe sie genau gesehen. Die Explosion. Sie war nicht rot oder gelb oder orange, wie das Feuer, das aus ihr entstand. Es war ein weißes Licht. Ich glaube, ich werde mir nie den Namen von dem Stoff merken können, der sich da entzündet hatte. Ich stieg aus dem Auto, aber meine Schwester stand sofort vor mir und drängte mich zurück. Ich weiß nicht, was sie gerufen hat. Ich war taub von dem lauten Knall. Wir kauerten Arm in Arm auf dem Rücksitz. Wir beide wussten, dass unsere Eltern den Unfall unmöglich überlebt haben konnten. Irgendwann kamen Feuerwehrleute und Ärzte, aber meine Schwester hat mich nicht losgelassen. Sie hatte ja versprochen, auf mich aufzupassen.“ Harukas Blick war leer und abwesend und Michiru verschränkte jetzt ihre Finger mit denen der Pianistin. Die Blondine sah erst auf die Hände der Künstlerin und schließlich wieder in ihre Augen. „Irgendwann haben sie uns dann doch aus dem Wagen bekommen, aber meine Hand ließ sie nicht los. Wir wurden im Krankenhaus untersucht, bekamen Blutverdünner, damit der Tinnitus aufhörte zu pfeifen. Sie brachten uns zu unserem Onkel, dem Bruder meines Vaters. Meine Schwester zog nach ihrem Abschluss aus und ich jetzt. Ich habe es da einfach nicht mehr ausgehalten. Er konnte mir einfach kein Zuhause geben…“ Wieder machte sie eine kurze Pause, bevor sie weiter sprach. „Auch von meinem Team bekam ich keinen Rückhalt. Mein Trainer war zwar immer sehr besorgt um mich, aber trotzdem wahrten wir eine gewisse Distanz. Immerhin war er ja nun mal mein Trainer. Und Sanji war der einzige, dem ich mich anvertrauen konnte. Aber er war eben nur ein Teammitglied. Die anderen waren gegen mich. Diese ständigen Lästereien… Manchmal hinter meinem Rücken, manchmal ganz offen. Ich musste da einfach raus. So schnell wie möglich. Also bin ich jetzt hier. Und da ich noch nicht achtzehn bin, kann ich noch keinen Mietvertrag unterzeichnen oder über mein Erbe verfügen. Also lebe ich von meinen Preisgeldern in einem Hotel.“ Einen Moment lang herrschte Stille. Michiru hatte ihre Mitschülerin die ganze Zeit über schweigend angesehen. Leise seufzte sie. „Das alles tut mir sehr leid, Haruka. Und ich danke dir, dass du dich mir anvertraut hast. Ich verstehe, dass es nicht leicht für dich ist, über deine Vergangenheit zu reden…“, sprach sie leise und die Blondine hob ihren Blick. „Ich habe noch nie so mit jemandem darüber gesprochen. Obaa-san wollte mich zwar immer trösten, aber wenn ich bei ihr war, wollte ich nicht daran erinnert werden. Meiner Schwester tut es vermutlich genauso sehr weh wie mir, also spricht auch sie so gut wie nie darüber. Und meinen Onkel hat es sowieso nie interessiert, wie es mir ging.“ Bei den letzten Worten verfinsterte sich ihr Blick. Sanft streichelte Michiru Harukas Hand und holte sie damit wieder aus ihrer Erinnerung zurück. Harukas Miene erhellte sich, als sie in das Gesicht der Künstlerin sah. „Aber jetzt habe ich ja dich. Irgendwie tut es mir gut, nach all den Jahren doch mal darüber sprechen zu können. Ich danke dir.“, sprach sie leise lächelnd. Die Worte der Sportlerin erfüllten Michiru mit Stolz. Dieses Vertrauen konnte sie bisher immer nur innerhalb ihrer Familie spüren. Vielleicht stimmte Setsunas Vermutung. Vielleicht hatte sie tatsächlich den einen für sie bestimmten Menschen gefunden. Bei diesem Gedanken errötete die Schönheit leicht und erschrak fast bei der Erkenntnis, dass sie immer noch die Hand der Pianistin hielt. Schnell zog sie ihre eigene wieder zurück und ihre Gesichtsfarbe wurde noch kräftiger. „Du siehst bezaubernd aus, mit diesem Rotschimmer auf den Wangen. Woran hast du gedacht?“, bemerkte Haruka schmunzelnd. Schnell schnappte sich Michiru die Eis-Karte. Eigentlich war es ja noch zu kalt für Eis, aber ihr fiel kein besserer Themenwechsel ein. „Ich habe Hunger und habe gedacht, du hättest vielleicht gehört, wie mein Magen knurrt.“, log sie und war selbst ein wenig überrascht über diesen plausiblen Einfall. „Wenn du wirklich Hunger hast, würde ich dir eher die Crêpe-Karte empfehlen.“, grinste die Blondine breit. „Aber wir können auch gerne noch woanders hingehen und ich lade dich auf ein Abendessen ein.“ „Danke, aber ich soll zum Abendbrot wieder zuhause sein. Ich muss morgen noch zu einem Vorspiel. So ein Crêpe hört sich allerdings gar nicht mal so schlecht an.“, stellte die Streicherin fest. Nachdem jede einen französischen Eierkuchen verspeist und Haruka erzählt hatte, wie sie über ihren Vater zum Motorsport gekommen war, bemerkte Michiru, dass sie beobachtet wurden. Zuerst hielt sie es für einen Zufall, dass die Brünette ein paar Tische weiter hin und wieder ihren Blick traf, aber als sie erkannte, wie diese junge Frau auch immer wieder zu ihrer Mitschülerin sah, wurde sie stutzig. „Ich glaube, wir werden beobachtet. Dreh dich aber nicht um!“, murmelte sie in ihr Teeglas. „Ach ja?“, Haruka sah neugierig auf. „Von wem?“ „Da sitzt so eine junge Brünette. Sieht nicht sehr japanisch aus. Und die guckt andauernd zu uns rüber.“ Die Blondine versuchte in einer Glasscheibe hinter Michiru die Frau zu erkennen. >Sarah?<, grübelte sie kurz und versuchte zu verbergen, wie unwohl sie sich jetzt fühlte. Was jetzt? Sollten sie einfach warten, bis die Amerikanerin wieder verschwand oder sollten sie lieber selbst gehen. Was, wenn Sarah sie ansprach und den Abend an der Hotelbar erwähnte? Michiru würde ihr doch nie im Leben glauben, dass die Sportlerin kein Interesse an der attraktiven Ausländerin gezeigt hätte! „Darf es noch etwas sein?“, fragte ein Kellner, der plötzlich hinter der Sportlerin stand. Kurz überlegte sie und bestellte dann die Rechnung. Michiru konnte ihre Enttäuschung für einen Moment nicht verbergen, was Haruka erneut zum Schmunzeln brachte. „Keine Sorge, ich wollte dich noch nicht nach Hause bringen.“ Als die Rennfahrerin bezahlt hatte, stand sie auf, um Michiru die Hand zu reichen. Kurz ließ sie den Blick schweifen, erkannte aber gleich, dass nur der Weg direkt an Sarahs Tisch vorbei nach draußen führte. Als sie fast auf deren Höhe waren, passierte, was die Blondine befürchtet hatte. „Hallo Haruka.“, wurde sie von der Brünetten mit einem ganz offensichtlich aufgesetzten Grinsen begrüßt. „Guten Abend Sarah. Was für ein Zufall. Ähm, ich kann dir den Bancha hier empfehlen.“, versuchte die Leichtathletin abzulenken. „Tee? Ich dachte, du wärst eher ein Weintrinker.“ Die Amerikanerin musterte abwertend den Körper der türkishaarige Begleitung ihrer Bekanntschaft. Haruka entging dieser Blick nicht. Sie legte einen Arm um Michirus Taille und schob ihre Mitschülerin sanft aber bestimmt vorwärts. „Nur wenn ich nicht mehr fahre. Schönes Wochenende.“, gab sie grimmig zurück, um mit ihrem Engel kurz darauf das Café zu verlassen. Draußen angekommen sah die Violinistin zu Haruka auf. „Wer war das denn?“, fragte sie im skeptischen Tonfall. „Sarah ist eine Kunstsammlerin aus den Staaten. Sie wohnt im selben Hotel wie ich und hat mich neulich angesprochen, ob ich mich hier auskenne. Ich hab ihr aber erklärt, dass ich erst hergezogen bin.“, antwortete die Sportlerin und ließ den Rest der Wahrheit lieber weg. Ganz kaufte ihr das die Künstlerin nicht ab, aber sie ließ sich weiter zu der Maschine führen und setzte diesmal selbst ihren Helm auf. Hatte sie sich in Haruka getäuscht? Sie war plötzlich so komisch. Als versuchte sie, etwas zu verbergen. Und das, nachdem der Nachmittag so gut angefangen hatte. Als die Blondine den Motor startete, stieg Michiru auf. Ihr Griff nicht war diesmal nicht mehr so stark wie vorher. Michiru war verunsichert. Erst als die Rennfahrerin ihre Maschine beschleunigte, rutschte die Violinistin wieder näher an sie heran. >Du bist so ein Idiot, Tenoh! Du interessierst dich einzig und allein für diesen Engel und trotzdem riskierst du so etwas! Das darf nie wieder passieren!<, fluchte die Läuferin in sich hinein. Der Wind half ihr, ihre Gedanken zu ordnen und als sie schneller fuhr, konnte sie endlich wieder die Wärme ihres Schützlings hinter sich spüren. Sie richtete sich etwas auf und nahm eine Hand kurz vom Lenker, um sie auf Michirus zu legen. Augenblicklich merkte sie, wie sich die Künstlerin endlich wieder stärker an ihr festhielt. Harukas Gedanken beruhigten sich allmählich und sie schlug einen ihr vertrauten Weg ein. Nach einigen Minuten drosselte sie das Tempo der Maschine. Sie fuhr langsam über eine lange Brücke in der Bucht von Tokio. Am anderen Ufer angekommen, nahm sie Kurs auf eine zweite Brücke, auf der sie schließlich zum stehen kam. Die Blondine setzte sich ihren Helm ab und legte dann beide Hände auf die ihres Engels, der sich immer noch an ihr festhielt. Neugierig sah sich die Künstlerin um. Sie rutschte noch ein Stück weiter vor, um sich mit ihrer Rechten von dem Kopfschutz befreien zu können, ohne vom Motorrad zu rutschen. Als ihr der Wind durchs Haar fuhr, schloss sie die Augen. Fast sehnsüchtig atmete sie die salzige Meeresluft ein und lauschte dem Meer unter ihnen. Nachdem sie ein paarmal tief Luft geholt hatte, stieg sie ab, hängte ihren Helm zu dem anderen am Lenker und schritt zum Brückengeländer. Die Sonne stand bereits tief am Himmel und im Wasser brach sich das Licht in verschiedenen Farbtönen. Ein starker Windzug fuhr um ihren Körper und sie begann zu frieren. Sie hob ihre Schultern und umklammerte sich. Sanft legten sich ihr zwei weitere Arme um ihren Körper und sie spürte, wie Haruka langsam an sie heran trat. Als sie ihr gerade nahe genug war, ließ sich Michiru nach hinten fallen, woraufhin sich die Umarmung der Blondine festigte. Verträumt legte die Violinistin ihren Kopf schief und wandte ihr Gesicht halb dem Oberkörper der Sportlerin zu. Der vertraute Rosenduft umnebelte sie wieder und sie schmiegte sich in das Hemd der Leichtathletin. Diese legte sanft ihre Wange auf Michirus Scheitel ab und umklammerte sie noch mehr. Schweigend standen sie da und sahen dem Sonnenuntergang entgegen. Haruka genoss den Augenblick in vollen Zügen. Der Wind spielte in ihrem Haar, die Sonne strahlte ihr wärmend ins Gesicht, der Kirschblütenduft Michirus schaltete ihren Verstand endgültig aus. Sie dachte an nichts mehr, spürte nur noch das Hier und Jetzt. Auch als die Sonne mit einem letzten grünen Leuchten hinter dem Horizont verschwunden war, blieben die beiden jungen Frauen regungslos stehen. Sie wollten sich nicht mehr voneinander lösen. Nie mehr. Das Licht der Dämmerung wurde schwächer und ohne die wärmende Sonne erhob sich vom Meer aus ein kalter Wind, der Michiru eine Gänsehaut bescherte. Obwohl sie sich dagegen wehrte, begann sie zu zittern. Sie wollte diesen Moment nicht vergehen lassen, doch Haruka spürte, wie sehr die Künstlerin fror. „Ich schätze, ich muss dich jetzt nach Hause bringen.“, flüsterte ihr die Blondine entgegen. Noch einmal schmiegte sich die Streicherin an ihre Mitschülerin und schloss die Augen. „Ich danke dir.“, mehr konnte sie in diesem Augenblick nicht sagen. Ohne zurückzuweichen zog sich die Sportlerin ihr Jackett aus und legte es um ihren Engel. Überrascht blickte Michiru auf und wurde von den grünen Augen Harukas gefesselt, die sie liebevoll ansahen. Die Blondine konnte nicht anders, schloss ihre Augen und lehnte ihre Stirn an die der Schönheit. Verträumt standen sie noch einen Moment lang still da, bis ein erneuter Windzug die Violinistin zittern ließ. Traurig lächelte Haruka. „Okay, wir müssen jetzt wohl wirklich los. Sonst erkältest du dich noch.“ Langsam löste sie sich von Michiru, legte dann aber einen Arm um ihre Taille und schob sie sanft zurück zu ihrer Yamaha. Michiru hatte das Gefühl, sie konnte Haruka gar nicht nahe genug kommen. Gleich, als sie saß, klammerte sie sich fest und rutschte, so dicht es ging, an sie heran. Sie schloss ihre Augen und hoffte nur, die Fahrt würde einfach ewig dauern. Noch einige Augenblicke lang, regte sich Michiru nicht, als Haruka vor dem Haus der Streicherin zum Stehen kam. Auch die Sportlerin hatte die Augen geschlossen und ihre Hände still auf die ihres Schützlings gelegt. Doch irgendwann wurde es so kalt, dass selbst Haruka zu zittern begann. Also rutschte die Künstlerin vorsichtig vom Motorrad und ließ sich von der Fahrerin von ihrem Helm befreien. „Danke.“, flüsterte sie daraufhin und legte langsam das Jackett ab, um es der Pianistin zurückzugeben. „Bis Montag dann.“, verabschiedete sie sich schüchtern und drehte sich Richtung Eingang. Nachdem sie ihn fast erreicht hatte, sprang Haruka von ihrer Maschine und war gleich darauf hinter ihrer Schönheit. Schnell griff sie nach ihrer Hand, drehte sie zu sich herum, griff mit ihrer freien Hand in das wellige, türkisblaue Haar ihres Engels und gab der überraschten Künstlerin einen Kuss auf die Stirn. „Bis Montag.“, flüsterte sie, bevor sie zurück zu ihrer Maschine sprintete. Ohne sich noch einmal umzusehen, zog sie ihr Jackett über, setzte sich einen der Helme auf und fuhr davon. Verträumt sah ihr Michiru nach. Erst ein erneuter Windzug ließ sie aus ihrer Starre erwachen, sodass sie sich langsam umdrehte und den Weg zu ihrer Wohnung antrat. Oben angekommen hörte sie Geklapper aus der Küche. Abwesend ging sie dem Geräusch nach und fand Setsuna, die allein das Abendessen vorbereitete. Ohne ein Wort setzte sich die Künstlerin. Obwohl sie sie nicht ansah, begann die Dunkelhaarige zu lächeln. „So verzaubert du wirkst, muss das ja ein ausgesprochen schöner Nachmittag gewesen sein.“, stellte sie schmunzelnd fest und drehte sich nun endlich zu ihrer Stieftochter um. Es dauerte einen Moment, bis die sanfte Stimme Michiru erreichte und die Schülein endlich aufsah. „Das war er wohl…“, gab Michiru leise zurück. „Hotaru findet Haruka übrigens sehr gutaussehend, auch wenn sie ein Mädchen ist.“, zwinkerte die Ältere und ein verlegener Rotschimmer schlich sich in das Gesicht der Geigerin. „Deinem Vater habe ich gesagt, du wärst mit einer Freundin unterwegs. Was ja auch stimmte… Ich dachte mir, du erzählst ihm besser selbst von deiner ersten großen Liebe.“ Das Rot auf den Wangen der Violinistin wurde noch kräftiger. „…Liebe?“, flüsterte sie und sah nachdenklich auf die dunkelrote Blumenvase, die auf dem Küchentisch stand. Dann wurde sie von der Kälte eingeholt und begann zu zittern. Sofort war Setsuna bei ihr und streichelte ihr über die Unterarme. „Du meine Güte, Michiru! Hattest du gar keine Jacke dabei? Und das im Januar, du erkältest dich noch.“, sagte sie besorgt. „Haruka hat mir ihr Jackett gegeben.“ Weniger vor Kälte, als vor Sehnsucht umklammerte Michiru ihren Oberkörper. Sie vermisste einfach die Geborgenheit, die ihr die Blondine gegeben hatte. „Ich schlage vor, du gehst erst mal heiß duschen, ziehst dir etwas Warmes an und ich mache in der Zwischenzeit das Essen fertig.“, erklärte Setsuna leise lächelnd. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)