Corvus et Vulpes von Bei ================================================================================ Kapitel 18: Malfoy ------------------ Der Dezember kündigte sich gleich zu Beginn mit eisigen Stürmen und dichtem Schneefall an; das Wetter änderte sich auch im Laufe des Monats kaum. Jiang Li kuschelte sich noch einmal behaglich in die weiche, dicke Steppdecke und seufzte tief auf. Es war Dienstag und gerade erst neun Uhr, daher hätte sie ruhig noch eine Weile liegen bleiben können, doch aus irgendeinem Grund rumorte es andauernd in einer Ecke der Wohnung. Schließlich, als zu allem Überfluss auch noch ein schwerer Gegendstand polternd zu Boden fiel, reichte es ihr. „Verdammt, Severus! Was tust du da eigentlich?“ „Hmpf!“ „Was?“ Severus Snape erschien in einer dichten Staubwolke und hustete vorwurfsvoll. „Keine Ahnung, was die Hauselfen eigentlich den ganzen Tag über tun, geputzt hat hier jedenfalls schon lange keiner mehr! Ein einziger Saustall, deine Wohnung!“ „Du kannst ja gern einen Wischlappen in die Hand nehmen, wenn es dich so dermaßen stört.“ Sie war sauer und richtete sich halb auf. Die Vorwürfe gegen die Hauselfen, die ihr immer noch jeden Tag eine kleine Aufmerksamkeit zum Kaffee legten, konnte sie nicht einfach so im Raum stehen lassen. „Ich war mit ihrer Arbeit bisher immer zufrieden und das wird sich auch in nächster Zeit nicht ändern, nur weil du wieder mal herumstöbern musst! Das ist übrigens mein Buch!“ „Weiß ich doch. Ich wollte dich fragen, ob ich es mir ausborgen darf. Mein großes Nachschlagewerk über sparygische Heilkunst kann ich nämlich schon seit Monaten nicht mehr finden.“ Jiang Li gähnte, warf die Füße mit Schwung über die Bettkante und streckte sich ausgiebig, während sie langsam in seine Richtung schlenderte. „Meinetwegen. Aber gib es mir wieder zurück.“ „Ehrensache.“ Snape grinste sie an und streckte den freien Arm nach ihr aus. „Du bist sogar dann noch schön, wenn man die Polsterfalten in deinem Gesicht zählen kann.“ „Wie charmant du doch bist!“, gab Jiang Li gespielt beleidigt zurück und schmiegte sich zärtlich an ihn. „Ich habe dir übrigens noch gar nicht erzählt, dass ich gestern noch Post bekommen habe. Molly Weasley hat mich über Weihnachten eingeladen.“ Snape zog schlagartig ein mürrisches Gesicht. Seine gute Laune war verschwunden. „Na, sieh’ mal einer an.“ „Dich etwa nicht?“ „Und wenn’s so wäre?“ „Pah, du bist heute ja wieder kindisch!“ Ärgerlich löste sie sich aus seiner Umarmung und trat zwei Schritte zurück. „Ja oder nein?“ „Wenn’s so wichtig ist – Ja.“ „Gehen wir hin?“ „Wozu?“ „Hör’ auf, jede meiner Fragen mit einer Gegenfrage zu beantworten, das gehört sich nicht! Überhaupt nervt es mich! Also, sollen wir zu den Weasleys oder nicht?“ Er schaute sie mit ernster Miene an, seufzte schließlich tief auf und nahm sie um die Taille. „Du möchtest gerne hingehen, richtig? Das Problem ist nur, dass mich keiner der Weasleys leiden kann, genauso wenig wie Potter, Lupin oder sonst einer aus dem Orden. Und wenn Moody kommen sollte, kann ich mir gleich selber den Avada Kedavra verpassen.“ Jiang Li schwieg und schloss kurz die Augen, als er sie sanft im Nacken zu kraulen begann. Sicher, sie verstand seine Gründe. Wer feierte schon gerne mit Menschen, die einen eigentlich allesamt zum Teufel wünschten. Aber trotzdem würde sie gerne die Feiertage, in denen die Schule so gut wie menschenleer war, mit anderen Leuten verbringen. Mit vielen Leuten. Es sollte laut sein, der Braten fett und die Bierflaschen voll und zahlreich. Andernfalls, so befürchtete sie, würden ihr viel zu viele Erinnerungen an ihren Urgroßvater im Besonderen und China im Allgemeinen kommen und dann, das wusste sie aus Erfahrung, blieb ihr nichts anderes mehr als Madam Pomfreys spezieller Aufmunterungstrunk gegen alle Arten von Neurasthenie, mentale Gleichgewichtsstörung und Melancholie. Und davon hatte sie im letzten Monat bereits über drei Flaschen verbraucht, ein wirklich deprimierender Rekord. Snape schien ihre Gedanken zu erahnen. Er seufzte noch einmal tief und zuckte dann resigniert mit den Achseln. „Verdammt, wenn’s dir so wichtig ist … Weasley hat mir auch eine Eule geschickt. Eigentlich wollte ich den Brief ja gleich ins Feuer werfen. Aber wenn es dich glücklich macht, gut –“ „Du bist ein echter Schatz, Sevvie“, flüsterte Jiang Li leise und küsste ihn behutsam auf die Wange. „Ja ja, schon recht“, knurrte er düster und packte ihr Kinn so, dass sie ihm direkt in die Augen schauen musste. „Dafür schuldest du mir aber was.“ „Wir müssen erst in einer halben Stunde gehen …“ Snape zog sie ohne ein weiteres Wort auf den weichen, weißen Kaminvorleger.   ***   Pansy Parkinson hastete eilig durch die Korridore, rempelte Schüler und Lehrpersonal gleichermaßen an und schien die wütenden Rufe, die ihr nachhallten, nicht einmal zu hören. Außer Atem kam sie schließlich im dritten Stock an und blieb zögernd vor der Tür zu Jiang Lis Büro stehen, ehe sie sich nach einer kurzen Weile doch noch einen Ruck versetzte. Mit nervös gesenkten Augen klopfte sie höflich an und trat ein. Jiang Li stand gerade an ihrem Schreibtisch und durchsuchte eilig einen hohen Stapel eng beschriebener Blätter vor sich. Eine hastig angezündete Chang-shou, deren Asche hin und wieder auf die Schriftstücke fiel, hing ihr nachlässig aus dem Mundwinkel; in der linken Hand hielt sie ein dickwandiges Glas mit einer dunkelvioletten Flüssigkeit. Pansy Parkinson schaute im ersten Moment verdutzt und bekam kein Wort heraus. Jiang Li bemerkte sie und runzelte die Stirn. „Miss Parkinson? Kann ich etwas für Sie tun? Wir sehen uns erst nach der Mittagspause und dann will ich keine dummen Ausreden über nicht gemachte Hausaufgaben hören.“ „Das ist es nicht, Professor Lian.“ Das blonde Mädchen hatte sich wieder im Griff und trat näher an ihre Lehrerin heran. „Sie müssen mir helfen.“ „In zehn Minuten endet die große Pause. Der zweite Jahrgang wartet auf mich.“ Jiang Li war nicht sehr begeistert und hoffte, die Slytherin durch ihre kurz angebundenen Antworten loswerden zu können. Sie hatte allerdings nicht mit ihrer Sturheit gerechnet. Pansy Parkinson machte einen weiteren Schritt auf sie zu und packte ihren Ärmel. „Es ist sehr wichtig! Es geht um Draco Malfoy! Und wenn Sie nicht gleich mit mir kommen, dann geschieht ein Unglück!“ „Reißen Sie sich zusammen, Parkinson! Ist nicht eigentlich der Hauslehrer für solche Fälle zuständig?“, warf ihr Jiang Li gleichgültig hin und zog kopfschüttelnd einen langen Bogen aus dem Stapel. „Wo sind denn nur die Aufsätze hin, verdammt!“ „Draco beschwört gerade einen Dämon. Wenn Sie nicht sofort mit mir kommen, wird genau das eintreten, wovor Sie uns im Unterricht gewarnt haben!“ „Verflucht noch mal!“ Die Aufsätze waren vergessen, die kommende Stunde auch. Jiang Li starrte Pansy Parkinson entgeistert an und rüttelte sie nun ihrerseits an der Schulter. „Nun reden Sie schon! Wo ist der Junge? Welchen Dämon?“ „Er wollte in einen der alten Kerker. Ich konnte es eben erst aus Crabbe herauspressen. Er ist allein.“ „Welcher Dämon, Parkinson?“, zischte Jiang Li atemlos, während sie bereits zu laufen begann und das Mädchen hinter sich her schleppte. „Keine Ahnung!“ „Führen Sie mich zu dem Kerker!“ Auf dem Weg nach unten kamen ihnen Hermione Granger und ein müde aussehender Harry Potter entgegen. Jiang Li hielt die beiden mit einer hastigen Handbewegung auf und rang sekundenlang nach Luft, während ihre Gedanken hin und herrasten. Wie lange kann ein unausgebildeter Schüler brauchen, um einen Dämon zu beschwören? Kann er ihn eigentlich herbeirufen? Klar kann er. Man kann alles, was man will. Wer kann helfen? Severus? McGonagall? Wenn ich nur wüsste, welchen Dämon er herbeizwingen will, verdammter Mist! „Granger, Potter! Suchen Sie unverzüglich den Direktor oder einen der Hauslehrer auf! Oder gleich alle! Richten Sie ihnen aus, es gibt Probleme in einem der alten Kerker, sie müssen so schnell wie möglich kommen!“ Hermione Granger riss zwar überrascht die Augen auf, nickte aber sofort, während Potter sie noch verständnislos anstarrte. „Und bewahren Sie äußerstes Stillschweigen den Schülern gegenüber, verstanden? Ich kann keinen Massenauflauf brauchen, abgesehen davon kann es gefährlich werden! Klar?“ „Verstanden, Professor.“ Keine lästigen Fragen. Jiang Li mochte Hermione Granger in diesem Moment sehr. Wirklich sehr.   Pansy Parkinson führte sie endlos lange und labyrinthartig verschachtelte Gänge entlang; immer weiter drangen sie in die halb verfallenen Tiefen unter der Schule ein. Die Mauern wurden feucht und ein modriger Geruch begann sich immer unangenehmer bemerkbar zu machen. Schlick und Steinsplitter verwandelten den abschüssigen Boden in eine gefährliche Rutschbahn, während sich unzählige dicke Baumwurzeln, die sich in jahrhundertlanger Arbeit durch das Mauerwerk gegraben hatten, immer öfter zu heimtückischen Stolperfallen entwickelten. „Wie weit noch?“, keuchte Jiang Li nach knapp einer halben Stunde. Siedend heiß war ihr eben eingefallen, dass sie nicht einmal ein einziges der ganzen Bücher über Zauberflüche und Zauberbanne, die in ihrem Büro herumlagen, mitgenommen hatte. Sie war schlicht und einfach völlig unvorbereitet. „Es kann nicht mehr weit sein!“, rief Pansy über die Schulter zurück und blieb so plötzlich stehen, dass Jiang Li beinahe gegen sie geprallt wäre. „Still, hören Sie? –“ Ein leises Murmeln war zu hören, die Quelle schien sich ein Stück weit vor ihnen im rechten Gang zu befinden. Jiang Li fasste Pansy Parkinson hart am Oberarm und zwang sie, ihr direkt in die Augen zu sehen. „Sie bleiben hier, Parkinson. Zeigen Sie den Lehrern den richtigen Weg. Kommen Sie auf keinen Fall, hören Sie, auf gar keinen Fall hinter mir her.“ „Aber Draco –“ „Was habe ich gesagt, Parkinson? Keinen Schritt hinter mir her, sonst lasse ich Sie bis in alle Ewigkeit nachsitzen.“ Pansy Parkinson schluckte ein paar Mal heftig, nickte dann aber doch widerwillig. „Na also. Gutes Mädchen.“ Jiang Li machte sich auf den Weg in den dunklen Korridor.   Minutenlang schlich sie durch die modrige Finsternis, setzte intuitiv Schritt vor Schritt, wie am Huashan; langsam begann sich ihr Körper wieder zu erinnern. Die Bequemlichkeit der letzten Monate glitt von ihr ab, je tiefer sie in die düsteren Eingeweide des Schlosses vorrückte. Endlich hatte sie den Raum erreicht, aus dem die gedämpfte Stimme drang. Vorsichtig lugte sie um die Ecke und musste rasch auf ihre Fingerknöchel beißen, um sich nicht ungewollt durch einen Laut zu verraten. Das Zimmer war ebenso verfallen wie der Rest der unterirdischen Örtlichkeiten, die Jiang Li auf dem Weg hierher durchquert hatte. Einige Fackeln spendeten mattes Licht, dass sich in der Mitte des Raumes verdichtete und den weißen, knapp drei Meter messenden Kreidekreis erleuchtete, in dem sich Draco Malfoy in diesem Moment befand. Einige Zentimeter weiter hatte er, ebenfalls mit Kreide, ein etwa halb so großes Dreieck angefertigt. „…Und ich werde dich in das ewige Feuer binden und in das Meer aus Flammen und Schwefel, wenn du nicht schnell kommst und hier vor meinem Kreis erscheinst, um meinen Willen auszuführen …“ „NEIN!“ Malfoy warf ihr nur einen kurzen Blick zu und widmete sich dann wieder der langen Pergamentrolle. Er trug eine strahlend weiße Robe, die bis auf den Boden reichte. Auf der Brust prangte ein goldenes Pentagramm; sein Gesicht war leichenhaft blass und auf eine entsetzliche Art verzerrt, die deutlich zeigte, wie verzweifelt er sein musste. „… denn es ist ADONAI, der dir befiehlt!“ Zu einem weiteren Zwischenruf kam Jiang Li nicht mehr. Im Zentrum des Dreiecks begann sich etwas zu regen; blutrote Nebelschwaden waberten zunächst noch ungeformt und nahmen dann immer schneller Gestalt an. „IHR HABT GERUFEN?“ Eine annähernd menschliche Figur, wenn man von den gewaltigen Flügeln einmal absah. Die Stimme des Dämons hallte durch den leeren Raum und brach sich hundertfach an den fauligen Wänden. Draco Malfoy wurde noch eine Nuance fahler und begann heftig zu zittern. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, und als er endlich sprechen konnte, klang er nicht mehr wie der großmäulige Sechzehnjährige, sondern eher wie ein verschrecktes kleines Kind. „Du hast lange gebraucht, bis du erschienen bist!“ „ICH BEFAND MICH AUF EINEM ANDEREN ERDTEIL. DOCH ICH FOLGTE EUREM RUF, SO SCHNELL ES MIR MÖGLICH WAR“, antwortete der furchterregende Geist und verneigte sich, wie es Jiang Li schien, mit leichtem Spott. Allerdings hatte sie nicht viel Zeit, auf ihn zu achten. So leise wie möglich zog sie mit ihrem Zauberstab rund um sich einen kleinen Bannkreis und flüsterte so viele schützende Zauberformeln, wie ihr in der Eile einfielen. Die glühenden Augen des Dämons huschten eilig im Raum hin und her; gerade als sie ihr Werk vollendet hatte, hatte er sie auch schon entdeckt. „GEGEN DIE ABMACHUNG, MAGIER! WIE KANNST DU ES WAGEN!“ „Sie hat sich eingeschlichen!“, schrie Malfoy mit aller Kraft, zu der er noch fähig war und wies mit seinem Zauberstab auf den Dämon. „Achte nicht auf sie! Du bist hier, um mir zu gehorchen!“ „GEGEN DIE ABMACHUNG!“ „Schweig! Höre meinen Befehl: Ich verlange von dir, dass du meinen Vater aus Azkaban befreist, und das noch heute Nacht! Ich erlaube dir, so viele Menschen und Tiere zu töten, wie es deiner Sache dienlich ist!“ Der Dämon stieß ein wütendes Brüllen aus, doch Malfoy hatte sich gut vorbereitet. Sorgfältig darauf bedacht, nur ja den schützenden Bannkreis nicht zu verlassen, hob er ein grob angeheftetes Stück Leinen vom Saum seiner Robe und enthüllte ein darunter liegendes, auf Pergament gezeichnetes Hexagramm. „Du hast mir zu gehorchen, Focalor! Du hast meinen Befehl gehört!“ Focalor also. Malfoy, du elender kleiner Mistsack. Wenn das alles hier vorbei ist, dann schwöre ich dir, wirst du so nach Dung stinken, dass du den Geruch nie wieder abkriegst … Jiang Li atmete tief durch, schloss die Augen und konzentrierte sich. Focalor. Was wusste sie über diesen Geist? – Ohne Vorwarnung ließ ein gewaltiger Schlag das Gemäuer in den Grundfesten erbeben. Erschrocken riss sie den Kopf hoch und starrte wieder zu Malfoy und dem Dämon, der anscheinend versuchte, aus dem magischen Dreieck zu entkommen. „ELENDER WURM!“ Wieder ein heftiger Schlag. Malfoy stand völlig hilflos in seinem Kreis und hielt krampfhaft seine Robe mit dem Hexagramm umfasst. „Du musst mir –“ „SCHWEIG, HEXER! ICH GEHORCHE NIEMANDEM, DER SO SCHWACH IST WIE DU!“ Der Dämon blähte sich auf, bis er beinahe unter die Decke des Zimmers reichte und öffnete unter Hohngelächter seinen riesigen Mund. Malfoy und Jiang Li schrien beide entsetzt auf, als Focalor zu würgen begann und eine Unmenge an Schlangen, Würmern und Asseln zu Boden spie. „Im Kreis bleiben, Malfoy! Keinen Schritt heraus!“ Adrenalin war schon so eine Sache. Während ihr Herz in einer Geschwindigkeit pochte, das ihr übel wurde, gruben sich plötzlich halb vergessene Formeln aus den Tiefen ihres Gedächtnisses nach vorne. Tief einatmen. Ruhe bewahren. Natürlich hatte sie nicht vorgesorgt, aber – „Sieh mich an, Focalor!“ Der Dämon wandte ihr sein gewaltiges Gesicht zu und beugte sich soweit nach vorne, wie es das Dreieck zuließ. „ICH ZERREISSE EUCH IN TAUSEND FETZEN, ELENDE –“ Mit einem raschen Ruck zog Jiang Li die Zigarettenschachtel aus der Tasche und dankte den Hauselfen, die ihr das letzte Mal eine massivere Box gebracht hatten, im Stillen, während sie den Deckel herunterschnippte und den Inhalt herauskippte. Dann richtete sie den Zauberstab auf Focalor und raffte all ihre Energie zusammen.   „Geister, Herren der Erde, erinnert Euch! Geister, Herrinnen der Erde, erinnert Euch! Geister, Herren der Luft, erinnert Euch! Geister, Herrinnen der Luft, erinnert Euch! Geister, Herren des Feuers, erinnert Euch! Geister, Herrinnen des Feuers, erinnert Euch!“   Focalor krümmte und wand sich, als er die Worte hörte, und kämpfte noch erbitterter gegen das Gefängnis des magischen Dreieckes an. Jiang Li fühlte die geballte Macht, die ihr entgegenschlug, am ganzen Körper und musste sich zusammenreißen, um nicht in die Knie zu gehen. Es tat so weh, überall. Etwas Warmes sickerte ihr langsam aus Augen, Ohren und Mund; Malfoy starrte abwechselnd sie und den Dämon an und schrie, schrie lauter als Focalor zuvor und hörte nicht mehr auf; selbst als er halb ohnmächtig zu Boden ging, kreischte er noch weiter. Am liebsten hätte sie ihn gepackt und gerüttelt, damit er endlich Ruhe gab, doch sie konnte nichts weiter tun als den Dämon zu fixieren und sorgfältig den Bann Wort für Wort auszusprechen.   „Geister der Sieben Türen der Welt, erinnert Euch! Geister der Sieben Schlösser der Welt, erinnert Euch! Geist KHUSBI KURU, Frau von NAMMTAR, erinnere Dich! Geist KHITIM KURUKU, Tochter des Ozeans, erinnere Dich! GEIST DES HIMMELS, ERINNERE DICH! GEIST DER ERDE, ERINNERE DICH!“   Hinter ihr ein Geräusch, doch sie konnte darauf nicht achten. In ihren Ohren rauschte es und kalte, bläulich-weiße Blitze zuckten durch die Luft. Ihr Haar hob sich in dichten Büscheln von den Schultern und wand sich wie die Schlangen zu ihren Füßen.   „ADU EN I BA NINIB! NINIB BA FIRIK! FIRIK BA PIRIK! PIRIK BA AGGA BA ES! AGGA BA ES BA AKKA BAR!”   Der Dämon erhob seine Stimme ein letztes Mal, dann begannen seine Umrisse aufzuweichen und er wurde wieder zu rotem Rauch, der sich immer enger zusammenballte und schließlich langsam, widerwillig, in Richtung der geöffneten Schachtel schwebte. Jiang Li brüllte ihre Beschwörungen aus voller Kehle und konnte sich selbst schon die längste Zeit nicht mehr hören, sodass sie sich nicht einmal mehr sicher war, ob sie überhaupt noch sprach. Wenn es jetzt nicht schnell ging, würde sie Focalor niemals bannen können. Sie hatte kaum zu Ende gedacht, als ihr Zauberstab ohne ersichtlichen Grund zwischen ihren Fingern zu glühen begann und sich die Hitze in ihre Haut fraß. Nach einer Sekunde der Verblüffung kreischte sie schrill auf und schleuderte den Stab reflexartig zu Boden. Auf ihrer Hand hatten sich bereits daumennagelgroße, scharlachrote Brandblasen gebildet. „Was –“ Wie belämmert starrte sie sekundenlang den unschuldig vor ihr im Dreck liegenden Zauberstab an und achtete nicht mehr auf den Dämon. Plötzlich beulte sich der rote Nebel, der sich schon beinahe in der Schachtel befand, aus, schlug geschwürartige Blasen und wild zuckende Fortsätze, von denen einer Jiang Li mit voller Wucht am Hals traf. Höllenfeuer. Die Attacke des Dämons schien ihren ganzen Körper in Flammen zu setzen und sie verbrannte, fühlte, wie ihr Fleisch schwarz wurde und schrumpfte, sich von den Knochen löste und in schmierigen Ascheflocken zu Boden fiel. Sie war nur noch ein glimmendes Skelett, als sich Minerva McGonagall über ihre Schulter beugte, den Zauberstab wie ein Schwert vor sich gestreckt, ihr die Schachtel aus der Hand riss und sie mit einem magischen Siegel verschloss.    Minuten später kam Jiang Li wieder zu sich und versuchte stöhnend die verkrusteten Augenlider zu öffnen. „Ganz still, Miss Lian. Sie haben viel Blut verloren.“ Blut? „Sie sieht gar nicht gut aus. Sogar das Weiße von den Augäpfeln war ganz rot“, murmelte eine andere Stimme im Hintergrund, die sich verdächtig nach Harry Potter anhörte. Langsam kam die Erinnerung an die überstandene Höllenfahrt in ihren schmerzhaft pochenden Kopf zurück und sie wimmerte leise. Eine sanfte Hand wischte vorsichtig ihre Augen sauber und Jiang Li konnte endlich etwas sehen. Rings um sie hatten sich sowohl Lehrer als auch Schüler geschart; die einzelnen Gesichter verschwammen in der Menge. Severus Snape beugte sich fast gleichzeitig mit Dumbledore über sie und wäre beinahe mit ihm zusammengestoßen. „Wie geht es dir?“, flüsterte er nahezu tonlos und tupfte ihr mit einem feuchten Lappen das Gesicht ab. „Malfoy –“ „Mr Malfoy geht es gut, Miss Lian. Er befindet sich bereits auf dem Weg in die Krankenstation. Ein Schock, aber keine körperlichen Verletzungen“, antwortete Dumbledore mit ruhiger Stimme. „Verfluchter Junge …“ Ihre Lippen fühlten sich trocken und rissig an; in der Kehle steckte ihr ein metallischer Blutgeschmack. „Trinken Sie.“ Die Krankenschwester schob einen Arm unter ihren Kopf und flößte ihr schluckweise einen salzigen Trank ein. Jiang Li musste husten und würgte die Flüssigkeit unter Tränen wieder hervor. Madam Pomfrey blieb allerdings unerbittlich und schüttelte ärgerlich den Kopf. „Ich sagte schon, dass Sie viel Blut verloren haben. Seien Sie vernünftig.“ Professor McGonagall scheuchte die neugierigen Schüler wieder nach oben, während Flitwick eine Trage herbeizauberte und die immer wieder in Ohnmacht fallende Jiang Li von Snape und Dumbledore vorsichtig hinaufgelegt wurde.   Die Nacht verbrachte sie im Krankenflügel. Einer der Hauselfen blieb ständig neben ihrem Bett und verabreichte ihr, sooft sie wach wurde, den blutbildenden Trank. Als es gegen Morgen ging, klopfte es plötzlich leise an die Tür und der Hauself runzelte erstaunt die Stirn. „Ja?“, quäkte er mit seiner hohen Stimme und hob abwehrend beide Hände, als Remus Lupin an der Schwelle erschien. „Nein, nein, kein Besuch – Madam Pomfrey hat ausdrücklich absolute Ruhe –“ Lupin legte rasch den Zeigefinger auf die Lippen und zwinkerte kurz. „Sondererlaubnis.“ „Aber –“ Der Hauself wirkte nicht überzeugt, gehorchte aber trotzdem schweigend, als ihn Jiang Li bat, sie mit Lupin alleine zu lassen. „Remus, wie schön, dich zu sehen!“, lächelte sie müde und wollte sich halb im Bett aufrichten, als sie ein jäher Schwindel zurück in die Polster drückte. „Nein, nein, liegen bleiben! Es geht ja auch so.“ Er machte ein paar rasche Schritte auf sie zu und zog einen Strauß Blumen hinter seinem Rücken hervor. „Aber Remus! Das wäre doch –“ „– nicht nötig gewesen, ich weiß. Aber Dumbledore hat mir gleich von deinem – hmm, Abenteuer berichtet, da wollte ich dich sehen, ob es dir auch gut geht.“ „Na ja …“ Sie nahm die Blumen in die Hand und lächelte matt. „Könnte besser sein, aber es wird schon wieder. Der kleine Malfoy hat einen Dämon beschworen, eigentlich müsste ich ihm fünfzig Punkte dafür geben, statt sie abzuziehen wie Minerva, hätte nie gedacht, dass er das auch schafft –“ Sie überlegte kurz und griff dann mit ihrer bandagierten Hand nach dem Zauberstab, den Snape aus dem Kerker mitgenommen, gereinigt und neben ihr Bett gelegt hatte. „Zwanzig Punkte von Slytherin und zwei Wochen Nachsitzen für Malfoy. Er soll die Ställe der Hippogreife reinigen, und zwar ohne Magie. Viel Vergnügen.“ Lupin grinste und strich ihr mit einer leichten Bewegung das Haar aus der Stirn. „Also ziehst du ihm Siebzig für diese Aktion ab. Da bist du ja noch ziemlich entgegenkommend.“ Sie seufzte und steckte die Blumen in den Wasserkrug. „Ich bin wohl heute nicht so richtig in Stimmung für ausgeklügelte Strafen. Die ganze Sache hat mich um einiges mehr angestrengt, als ich gedacht hätte, abgesehen davon hat mich mein Zauberstab im Stich gelassen. Das hat er noch nie getan.“ Lupin musterte sie aufmerksam. „Du warst sehr geschwächt.“ „Ich habe aber keinen Fehler gemacht. Der Stab hat nicht nach meinem Willen gehandelt.“ Sie sprach nicht weiter, als sie seinen zweifelnden Blick sah, und wollte gerade das Thema wechseln, als die Tür sich ein zweites Mal öffnete und Snape hereinlugte. Als er Lupin sah, verfinsterte sich seine Miene augenblicklich. „Was hast du hier zu suchen, verdammter Werwolf?“ „Ich leiste einer kranken Freundin Gesellschaft“, antwortete Lupin leise und stand langsam auf. Snape konnte sich offensichtlich nur mit Mühe davon abhalten, ihm einen saftigen Fluch auf den Hals zu jagen. „Kranke Freundin, pah! Du bist ein elender Schleimer, sonst nichts! Schleichst dich hinterrücks ein –“ „Das Stiefellecken war doch eigentlich immer deine Spezialität, was, Schniefelchen?“ Snape wurde kreidebleich und schnappte sekundenlang nach Luft. „Du elender – Ich hätte dich –“ „Hast du doch bereits, mieser Schuft! Wenn du hinterlistige Kröte nicht gewesen wärst, müsste ich mir nicht jeden Tag von neuem Sorgen um meine nächste Mahlzeit machen! Du bist nichts weiter als ein abscheulicher, neidischer kleiner –“ „RUHE!“ Jiang Li hatte bisher mit großen Augen von einem zum anderen geschaut und hielt es nun für den richtigen Zeitpunkt, um einzugreifen. Dank Madam Pomfrey konnte sie sogar schon wieder richtig brüllen. Die zwei Streithähne zuckten zusammen und wurden auf einmal beinahe friedlich. „Psst, psst, nicht ganz so laut …“ „Du weckst ja die halbe Schule auf, Liebling …“ Sie sank mit einem leidenden Gesichtsausdruck in die Kissen zurück und ließ es innerlich grinsend zu, dass sich nun beide Männer vor Hilfsbereitschaft regelrecht überschlugen. „Was zu trinken, mein Schatz?“ „Soll ich die Kissen richten, Jiang Li?“ „Wie geht es deiner Hand? Der Verband ist ja noch dran …“ „Ihr zwei seid echte Idioten“, flüsterte Jiang Li als Antwort und streckte beide Arme aus. „Kommt mal her.“ Folgsam setzten sich die beiden Männer auf die Bettkanten. Jiang Li seufzte tief auf und räusperte sich dann ernst. „So, es wird jetzt einmal Zeit, dass ich etwas klarstelle. Ihr beiden dämlichen Sturschädel gehört, falls ihr es noch nicht gemerkt habt, sozusagen einer aussterbenden Art an … wie viele eurer ehemaligen Freunde sind heute eigentlich noch am Leben?“ Sie konnte direkt hören, wie es in den Gehirnen der Männer arbeitete. Die Stille hielt an. „Na also. Und wenn man von den Überlebenden noch einmal diejenigen abzieht, die entweder im Gefängnis oder St.-Mungo sitzen, dann bleibt nicht mehr viel übrig … Ich will euch ja nur begreiflich machen, damit es ein für alle Mal in eure Hirne reingeht, dass ihr nicht mehr viele Leute habt, die auf eurer Seite stehen und mit denen ihr auch noch gefahrlos reden könnt. Klar?“, fragte sie mit erhobener Stimme und bemerkte zufrieden, wie beide zögernd mit den Köpfen nickten. „Na also. Und deswegen denke ich, ihr solltet wenigstens Waffenstillstand schließen. Dicke Freundschaft erwartet sowieso keiner.“ Sie sah erst Snape, dann Lupin an und nickte zufrieden, als keine gegenteilige Antwort kam. „So. Und in drei Tagen werden wir alle zusammen Weihnachten feiern, denn ich nehme einmal an, dass Molly Weasley auch dir eine Einladung geschickt hat, Remus –“ Lupin nickte bestätigend. „Am Grimmauld Place ist genug Platz für uns alle, und da Sirius das Haus ja dem Orden hinterlassen hat –“ Snape schien bereits einen giftigen Einwurf auf der Zunge zu haben, schluckte ihn aber wortlos hinunter, als ihm Jiang Li zärtlich über die Wange strich. „Dann wäre also alles klar. Wir werden gemeinsam Weihnachten feiern und versuchen, uns nicht gegenseitig aufzufressen. Und an einem der Feiertage werden wir drei uns einen gemütlichen Pub suchen und einen netten Abend miteinander verbringen, ja?“ Weder Snape noch Lupin waren übermäßig begeistert, nickten aber schließlich pflichtbewusst. „Natürlich.“ „Schön.“ Jiang Li lächelte die beiden noch einmal zärtlich an, rollte sich zufrieden zusammen und schlief auf der Stelle ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)