Yggdrasils Essenzen von Silwyna (Vier Jahre nach den Ereignissen von "Broken Soul") ================================================================================ Kapitel 24: Lokis Feuertaufe ---------------------------- 24. Kapitel – Lokis Feuertaufe     Im Grunde war es gar keine gute Idee, jemanden am Vorabend eines wichtigen Ereignissens auf eine Art Kneipentour mitzunehmen, doch genau das hatte Borik mit Loki getan. Allerdings war Loki seinem neuen Freund ziemlich dankbar dafür. Frostnektar war schon ein witziges Zeug! Es klang eiskalt, wärmte einen durch, wenn man es trank und statt mit einem kräftigen Kater wachte man am Morgen danach mit einem leichten wohligen Gefühl im Bauch auf. Er musste sich unbedingt das Rezept für dieses Gebräu besorgen. >Thor wäre begeistert!<, dachte Loki sich. Nun wurde aber seine Konzentration anderweitig verlangt. Kurz nach Sonnenaufgang wurde er geweckt und zu seiner Mutter gebracht. Bei einem leichten Frühstück hatte sie Loki das Ritual erklärt, das heute auf ihn zukommen würde. Gerade sah er sich mit dem ersten Schritt konfrontiert: Ein Bad in einer Quelle beim Licht der aufgehenden Sonne. Zu Lokis Freude war es Borik, der ihn zu der Quelle, so verlief der Weg dahin nicht ganz so unangenehm. „Du hast gut gepennt, oder?“, erkundigte sich der Riese, als Loki, dessen Körper nur in einen schwarzen Mantel gekleidet war –gehörte zu dem Ritual- durch die Eingangspforte trat. „Ich denke, das weißt du ziemlich gut. Du hast diesem Zeug doch selber reichlich zugesprochen!“ „Ja klar, weiß ich das!“, lachte sein Begleiter und machte eine einladende Geste. „Wollen wir?“ Der Weg zur Quelle war, im Vergleich zur restlichen Landschaft Jotunheims recht idyllisch. Weite Schneefelder säumten den Weg, erhellt durch das verblassende Sternenlicht. „Ich sollte dich vielleicht vorwarnen, Junge!“, brummte Borik, als sie ihr Ziel gerade erreichten. „Wovor?“ „Na ja… die Kälte dieser Welt macht dir zwar nichts aus, aber… das Wasser ist extrem kalt und du wirst es spüren! Sehr sogar…“ „Oh…“, stutzte Loki und sah seinen Gegenüber unschlüssig an. „…dürfte interessant werden.“ Borik lachte auf, wie immer so dröhnend, dass die Eiszapfen klirrten. „Kurzer, es sind schon welche von uns da drinnen erfroren! Interessant ist wirklich untertrieben! Aber keine Sorge, wenn du das Bad in der Quelle überstanden hast, ist der Rest… nicht ganz so unangenehm!“ Auch Loki lachte jetzt ein wenig, wenn auch unschlüssig und besah das Becken vor sich genauer. Es war kreisrund, schien aber nicht durch eines Wesens Hand geschaffen worden zu sein. Ein kleines Wunder der Natur also! Das Wasser war durchsichtig und dennoch leicht silbern, kleine Eiskristalle schwammen an der Oberfläche. „Du solltest anfangen, Loki! Die Sonne hat bald den richtigen Stand erreicht!“, erinnerte ihn Borik und deutete auf ein kleines Loch in den Felsen, die das Becken umgaben. In wenigen Augenblicken würde die Sonne, deren Licht so kalt war wie das des Mondes, durch dieses Loch scheinen und direkt auf das Wasser treffen. Loki holte noch einmal tief Luft und griff zum Verschluss des Mantels. Dann warf er Borik einen mahnenden Seitenblick zu und der Eisriese verstand sofort: mit einem schiefen Grinsend drehte er Loki den Rücken zu. Keine Sekunde später glitt der Stoff zu Boden und Loki setzte seinen Fuß auf die erste Stufe die in das Wasserbecken führte. Das Wasser war wirklich verdammt kalt! Solch eine Kälte hatte Loki noch nie gespürt, wenn er überhaupt jemals welche wahrgenommen hatte. Hatte er denn schon mal in seinem Leben gefroren? Körperlich, nicht aus seelischer Qual heraus? Letzteres war durchaus schon vorgekommen, aber physische Kälte nahm Loki nun zum ersten Mal wahr und es traf ihn wie eine Steinfaust im Magen. Bis zur Hüfte stand er nun im Wasser und als er an sich herunter sah, erkannte er wie sich Eisblumen auf seiner hellblauen Haut bildeten. >Wann habe ich meine Eisriesengestalt freigesetzt?<, wunderte sich Loki und trat  mit einem weiteren tiefen Atemzug die letzten Stufen ins Quellwasser. Es fühlte sich anders an, als das „normale“ Wasser mit dem er sonst in Berührung kam. Es war zäher, dichter und auf eine eigentümliche Art …lebendig! „Was ist das?“, fragte er sich leise, als die Eiskristalle auch begannen den Teil seiner Haut einzunehmen, der nicht unter Wasser war. „Ruhig bleiben, Kleiner!“, hörte er die dunkle und nun irgendwie beruhigend klingende Stimme Boriks. Der Eisriese hockte am Beckenrand und sah besorgt zu Loki herab. Waren die Eiskristalle auf der Haut etwa ein schlechtes Zeichen? Sie bedeckten nun seinen ganzen Körper und mit einem Schlag bohrte sich die Kälte in seine Haut wie tausend spitze Pfeile. Es brannte, aber nicht wie Feuer. Der Schmerz drang bis in sein Herz und eine eisige Faust schien dieses in einem gnadenlosen Klammergriff zu halten. Keuchend stieß er Luft aus, doch auch seine Lungen schienen nur noch aus Eis zu bestehen. Was geschah hier mit ihm? >Das war’s! Ich bin tot…<, dachte Loki verzweifelt und war kurz davor sich der gnädigen Dunkelheit zu ergeben, die ihn in einem Winkel seiner Gedanken lockte. „Wach bleiben!“, grollte Borik da  und verpasste Loki vom Rand des Beckens aus –ein Glück hatte er längere Arme als Loki- eine kleine Ohrfeige. Der Geschlagene zuckte kurz zusammen und schüttelte den Kopf um wieder klare Gedanken zu bekommen. Doch der Schmerz war so allgegenwärtig, es fiel ihm so schwer nicht das Bewusstsein oder den Verstand zu verlieren. Wieder war es Boriks tiefe, dröhnende Stimme, die ihn auf Kurs hielt. „Gleich scheint die Sonne auf das Wasser, dann musst du untertauchen, verstehst du mich?“ Loki versuchte zu nicken, doch er war außer Stande nur einen der größeren Muskel zu rühren. Der Riese musste seinen verzweifelten Blick verstanden haben, denn er meinte: „Blinzel zweimal, wenn du mich verstanden hast!“ Das zumindest konnte Loki tun, aber wie sollte er mit dem Körper unter Wasser tauchen, wenn er nicht einmal nicken konnte? Er schloss die Augen und versuchte das bisschen an Verstand und Konzentration hatte zu sammeln um seinen Körper wieder unter seine Kontrolle zu bekommen. Er musste es doch schaffen diesem Gefängnis aus Eis zu entkommen! Er dufte nicht versagen, das war er Thor schuldig! Und Jane und… >Darcy!<, schoss es durch Lokis Gedanken, genau in dem Moment, als das silbrig-weiße Sonnenlicht auf das Wasserbecken der magischen Quelle traf. Der Gedanke an die Frau, die tief in seinem Herzen saß, sprengte die Starre, die die Eiskristalle auf seinen Körper gelegt hatten und mit einem kräftigen Ruck war Loki wieder Herr seines Körpers. Sich daran erinnernd, was Borik gesagt hatte, holte er noch einmal tief Luft und tauchte komplett in das eisig kalte Wasser. Die Kälte war noch da, er spürte sie noch immer, aber sie beherrschte nicht mehr jede Zelle seines Körpers. Es schien als würde er mit dieser Quelle ein Zwiegespräch führen, was man nicht hören aber spüren konnte. Wieder erschienen Eiskristalle auf seiner Haut, doch waren diese feiner und lähmten ihn nicht, Loki spürte es lediglich. Er war nun schon einige Augenblicke unter Wasser und dennoch bekam er keine Atemnot! Schließlich fand er den Mut die Augen zu öffnen. Die Eismuster zogen sich über seinen Körper, in demselben Muster wie die Linien auf seiner Haut und verschwanden schließlich. Als kein Eis auf seiner Haut mehr zu sehen war, richtete Loki sich auf und kam mit dem Kopf wieder an die Oberfläche. Nun spürte er keine Kälte mehr, das Wasser fühlte sich warm und sanft um seinen Körper herum an. Gerne würde er länger in dieser Quelle bleiben, doch das Ritual sah dies nicht vor. Loki begegnete Boriks fassungslosen Blick, dann brach der Eisriese in schallendes Gelächter aus. Er packte Loki und hob ihn aus der Quelle heraus, als wöge er nicht mehr als ein Kind. „Du hast es geschafft, Kurzer! Ich glaub’s ja nicht, das war ja großartig!“, rief er aus  und grinste. Loki hingegen bekam etwas rosa Gesichtsfarbe und zog sich schnell seinen Mantel wieder an. Das war erst der erste Schritt des Rituals gewesen, das er durchzustehen hatte. Und wenn er an das Feuer dachte, machte sich Loki ein wenig Sorgen, was da wohl auf ihn zukam.     Im Vergleich zum Bad in der eiskalten Quelle, stellte die zweite Aufgabe, die er zu erfüllen hatte fast schon ein Kinderspiel das, glaubte Loki. Dieses Mal wurde er von seiner Mutter zu dem Ort geführt, an dem es stattfinden sollte. Tief ins Innere des Schlosses drangen sie vor und die Magie die in der Luft lag, wurde so stark, dass man fast danach greifen konnte. „Dieser Saal diente früher den ersten Magiern unseres Volkes der Besinnung und des Einfühlens in die spirituelle Kraft, die sie von der Urne aus zu spüren bekamen. Heute bereiten sich die jüngeren von uns hier auf das Ritual zur Aufnahme vor“, erklärte die Regentin ihrem Sohn als sie vor einer massiv goldenen Tür standen, die doppelt so hoch war, sie wie selbst. Von ihrem Gürtel löste sie einen weißen Stein und reichte ihn Loki. „Der wird dir Licht spenden, zumindest so viel wie du brauchst. Dort drin kommt kein Mondlicht an und zu viel Helligkeit würde stören…“ Loki nickte und presste die Lippen zusammen. Eine nervöse Äußerung wollte ihm entweichen, doch er konnte sich in letzter Sekunde zusammenreißen. Er wusste nicht, was das auf ihn zukam. Sie hatte es ihm zwar gesagt, aber Meditation konnte so vieles bedeuten. Ihm wurde gesagt, dass man sich in diesem Schritt des Rituals mit sich selbst auseinandersetzen solle, mit seinem Geist in Einklang kommen und sich seiner selbst stellen. Schwer öffneten sich die Flügeltüren vor den beiden und gaben den alten Saal preis… oder auch nicht, denn dort drin war es so dunkel, dass man schon nach gut fünf Schritten nichts mehr sehen konnte. >Jippie, kann‘s kaum erwarten!<, dachte er bitter und holte noch einmal tief Luft bevor er über die Schwelle trat. Er war schon fast in der Schwärze verschwunden, als seine Mutter ihm noch eine letzte Warnung gab: „Pass bitte auf, Loki. Es gab schon welche, die sahen Dinge die nicht waren oder hörten, was nicht sein kann!“ >Sehr beruhigend!<, kommentierte er das eben gehörte in Gedanken und ging weiter ohne noch etwas zu sagen. Die riesige Tür schloss sich hinter ihm und Loki war allein in der Dunkelheit. Das einzige Licht spendete der kleine Kristall in seinen Händen, doch er beleuchtete gerade einmal einen Radius von einem halben Meter. Ausreichend um den Weg zum Podest zu finden, wo er sich schließlich auf den Boden setzte. Der Boden war aus glattem, dunklem Holz soweit Loki das erkennen konnte. In den Ecken des Podestes stand jeweils eine Säule, die Loki jedoch nur schemenhaft erkennen konnte, da er den Kristall vor sich hingelegt hatte. Er zog die Beine an und setzte sich im typischen Schneidersitz hin, die Hände auf den Knien abgelegt und schloss die Augen. Als sein Atem langsam wieder ruhig wurde und er sich entspannen konnte, begann Loki sich auf die magische Energie zu konzentrieren, die er spüren konnte. Wie sanfte Wellen glitten sie durch den Raum, vor seinem inneren Auge konnte er ihre Muster erkennen. Rote, gelbe und blaue Linien durchzogen die Luft, verwirbelten miteinander, bildeten verschlungene Abbilder von abstrakten Formen aber auch von Dingen die es gab, geben würde oder die es einst gegeben hatte. Die Seher unter den Magiern konzentrierten sich auf diese Bilder, Loki war dazu jedoch nicht im Stande. Er konzentrierte sich auf das abstrakte, die Kraft welcher er sich für seine Magie bediente. Sie umspielten ihn, wie das Wasser in der magischen Quelle und durchdrangen ihn. Hätte er einen Zauber wirken wollen, so würde Loki nur nach einer von ihnen greifen müssen und die Energie für sich nutzen, doch dazu war er nicht hier. Langsam, ohne es zu merken, glitt Loki in einen tranceartigen Zustand hinüber. Seine Augenlieder flatterten, doch er konnte sie nicht öffnen. Seinen Körper spürte er nicht mehr, sich selbst nahm er nur noch als punktförmiges Etwas war, das im dunklen Nichts schwebte. Das Rauschen seines Blutes im Körper begann eine eigene Melodie anzustimmen, vermischte sich mit dem Rhythmus seines Atems und des Herzschlages der immer langsamer und entspannter wurde. Du armseliger Wicht! Wagst es diese Welt aufzusuchen. Du hättest sterben sollen! Loki zuckte ruckartig zusammen und der Zauber brach in sich zusammen… so dachte er. Er glaubte sich wieder in dem Saal zu befinden, doch war er noch immer in seinem Kopf und der Raum in dem er sich befand leer. Vor sich sah er aber eine Gestalt, eine Handspanne größer als seine Mutter, die langsam näher auf ihn zukam. Er wollte aufstehen, sich wehren, irgendetwas tun, doch wie schon in dem verzauberten Wasser der Quelle, konnte Loki sich nicht rühren. Die Gestalt trat in den kleinen Radius des Steins und als der das Gesicht erkannte, hätte Loki am liebsten vor Zorn aufgeschrien. >Laufey!< Du bist eine Enttäuschung! Ein Schwächling! Du wirst niemals zu unserem Volk gehören…das Blut der Eisriesen klebt an deinen Händen… Das tat es wirklich! Als Loki kurz an sich herab sah, konnte er Blut erkennen, das seine Hände zierte, als hätte er diese damit übergossen. Sie schimmerten dunkelrot und das Blut tropfte von ihnen herab, bildete eine Lache in der er saß und die sich im ganzen Raum ausbreiten zu schien. >So viel Blut…< Ja, alles dein Verdienst! Bist du stolz auf dich? Laufey verhöhnte ihn, so wie er selbst es früher mit anderen getan hatte. Loki sah Bilder vor sich, Dinge die er am liebsten nie wieder sehen wollte. Seine Verblendung, die Morde, die er begangen hatte. Angefangen bei Laufey selbst, die unschuldigen Menschen der Erde, als er für Thanos gekämpft hatte und etliche andere… Du bist ein Mörder, ein Verräter! Alles an dir ist falsch! Glaubst du wirklich, Thor vertraut dir? Oder Darcy? Sie fürchten dich…Sie HASSEN dich und du bist zu blind es zu merken! >GENUG!!!< Laufey verschwand wirklich, doch an dessen Stelle trat jemand anderes. Jemand den er noch weniger sehen wollte… er selbst! Seine dunkle Hälfte, wie er diese Gestalt immer genannt hatte. Der Loki, der er gewesen war, bevor Darcy in sein  Leben getreten war und ihn befreit hatte. >Ich habe dich getötet!< Sein Doppelgänger lachte höhnisch. Es war sein eigenes Lachen, zumindest war es das einst gewesen. Er setzte sich vor Loki hin, genauso im Schneidersitz und grinste ihn an. Hast du wirklich geglaubt mich töten zu können? Ich bin ein Teil von dir, ich werde IMMER ein Teil von dir sein. Ein winziger Funke von dir wird immer Gefallen am Töten finden und daran, die anderen zu unterdrücken! >Du lügst!< Tue ich das? Du musst es ja am besten wissen, du bist der Meister der Lüge! Du belügst andere und am besten belügst du dich selbst! Der falsche Loki verschwand und statt seiner saß Darcy an dessen Stelle und sah ihn voller Abscheu und Angst an. >Was tust du hier?< Glaubst du wirklich, ich würde dich lieben? Oder dir vertrauen? Im Grunde ist es deine Schuld, was mit uns allen passiert ist…und mit Jane! Wärst du nicht vom Lager weggegangen, wäre das nicht passiert. Hättest du dich nicht Thanos angeschlossen, wäre ALLES nicht passiert! Du hast uns das eingebrockt…Ich hasse dich! „Das reicht!“, erscholl eine Stimme aus der Dunkelheit. Es war das erste gesprochene Wort, das Loki in seiner Trance hörte und ein Ruck ging durch seinen Körper, als er tatsächlich erwachte. Darcy war verschwunden, oder ihr Abbild. Was auch immer das gewesen sein mochte. Aber wer hatte da gesprochen? Suchend sah Loki sich um, in der Hoffnung, jemanden zu erkennen. „Mit deinen Augen wirst du mich nicht sehen können!“, hörte er die Stimme erneut und als Loki verstand, was damit gemeint war, schloss er die Augen. Er sah wieder den Saal, die Lache aus Blut die Laufey herbei beschworen hatte, doch niemand saß vor ihm. Ein unangenehmes Prickeln im Nacken verriet Loki aber, dass jemand hinter ihm war. Hastig drehte er sich um und glaubte für einen Moment, wieder seine bösartiges Double zu sehen, doch… die Person die links hinter ihm stand war größer. Um einiges größer! Die Augenpartie ähnelte der seinen verdächtig, doch das Gesicht war etwas kantiger als das von ihm selbst und er trug einen silbernen Stirnreif, wie es seine Mutter getan hatte. >Artaxes?< Der Riese lächelte ihn an und ging neben Loki in die Hocke. Wenn er lächelte, sah er aus wie seine Mutter, fand Loki. „Du bist kein Schwächling, Loki!“, sagte Artaxes und legte seinem Enkel eine Hand auf den Kopf. Es hatte etwas Beschützendes und Tröstendes. „Du hattest dich bloß verirrt, wie wir alle das mal tun! Doch du hast deine Kraft wieder gefunden und deine wahre Bestimmung! Lass deine inneren Dämonen nie die Kontrolle über dein Herz gewinnen…“ Loki zitterte, aber nicht weil er fror oder Angst hatte, vor dem Eisriesen der ihm so sehr ähnelte, sondern schlichtweg, weil Artaxes Gesten und Worte ihn mit einer Welle der Zuneigung überschwemmten, die er hier und von einem Eisriesen nicht erwartet hätte. „D-Danke…“, brachte er heraus und sah zu seinem Großvater hoch, der ihm ein aufmunterndes Lächeln schenkte. „Du wirst das schaffen, mein Kleiner!“, antwortete er und Loki spürte, dass das „Kleiner“ nichts mit seiner Körpergröße zu tun hatte. „Ich werde über dich wachen, so lange wie es geht. Über dich und deine Familie…“ Familie? „Nun, steh auf! Es ist an der Zeit, die dritte Stufe des Rituals abzuschließen!“ Mit diesen Worten verschwand Artaxes und Loki schlug wieder die Augen auf. Er war allein in dem riesigen Saal, doch er hatte seine Bedrohlichkeit verloren. Die Dunkelheit schien Loki nun einzuhüllen wie eine wärmende Decke oder die Umarmung einer Mutter. Der Stein, der vor ihm auf dem Boden lag, hatte nun eine goldene Farbe angenommen. Als sei dies sein Stichwort, nahm Loki diesen und erhob sich. Die zweite Hürde war geschafft! Die dritte Stufe ging im Grunde mit der letzten zusammen von statten. Nachdem Loki den Saal mit dem goldenen Stein verlassen hatte, hatte seine Mutter ihm ein strahlendes Lächeln geschenkt und sogleich weiter geführt, zu dem Raum, wo man ihn für den finalen Schritt vorbereiten würde. Man gab Loki neue Kleidung, die sogar für seine geringe Körpergröße passte. Sie entsprach dem typischen Kleidungsmuster der Eisriesen, demnach bedeckte es streng genommen bloß das nötigste. Doch wie alles was er trug, waren auch diese Sachen … grün. Er lächelte leicht, als er sich umzog. „Bist du fertig, mein Sohn?“, fragte seine Mutter, die vor der Tür gewartet hatte und betrat auf Lokis Zustimmung hin den Raum. In den Händen hielt sie ein Gefäß, das mit einer grausilbernen Masse gefüllt war, die ihn entfernt an verdünnten Ton erinnerte. Das war die Vorbereitung für die „Feuertaufe“, wie es die Eisriesen nannten und dieser Schritt war bloß den Familienmitgliedern vorbehalten. Die Teile des Körpers, die nicht bekleidet waren, wurden mit diesem grauen Zeug eingerieben, bis man komplett bedeckt war. Angeblich würde sich bei dem Feuerritual ein Muster auf diesem Ton bilden, anhand dessen man erkennen konnte, ob der Anwärter würdig war, oder nicht. Loki erschauerte kurz, als die kalte Masse auf seine Haut traf und seine Mutter lächelte vergnügt. „Du musst nicht nervös sein… ich bin davon überzeugt, dass du es schaffen wirst!“, ermunterte sie ihn, während sie den Ton auf Lokis Körper verteilte. >So fühlt es sich also an, wenn die Frauen sich diese Gesichtsmasken drauf packen?<, schoss es Loki durch den Kopf und er musste unwillkürlich grinsen. Seine Mutter sah es und meinte: „So gefällst du mir besser!“   Als Lokis Mutter fertig war mit der Vorbereitung, musste er noch warten, bis es Nacht wurde. Das ging jedoch schneller, als erwartet und das hatte zweierlei Gründe: Zum einen hatte Lokis kleine Mediation und das Treffen mit Artaxes Geist mehrere Stunden gedauert und außerdem waren die Tage in Jotunheim generell viel kürzer, da hier ständiger Winter herrschte.  Schließlich löste der Mond die blasse Sonne ab, und Loki wurde aus dem Schloss auf einen Platz geführt, wo sich hunderte von Eisriesen versammelt hatten. Sie bildeten einen Kreis und in dessen Mitte, brannte ein Feuer! Beim Anblick der goldenen Flammen, die so hoch loderten, wie er selbst groß war, wurde Loki von einer Welle Frucht überspült, doch er riss sich zusammen. Er musste das durchstehen, nur so konnte er Jane helfen… und seinem Bruder! „Bist du bereit?“, fragte Borik, der als einziger neben dem Feuer stand. In der Hand hielt er eine Fackel, die jedoch noch nicht entzündet war. Offenbar würde er Loki den Flammen aussetzen. Ob er das gemacht hatte, um ihm zu helfen oder aus einem anderen Grund, konnte sich Loki nicht ausmalen, doch er war ihm dankbar dafür. Da er seiner Zunge nicht mehr vertraute, nickte Loki lediglich und Borik entzündete die Fackel. Mit dieser kam er auf Loki zu und hielt sie hoch, dass jeder der versammelten Eisriesen sie gut erkennen konnte. „Ich wünsch dir viel Glück, mein Kleiner!“, sagte Borik ehrlich bevor er die Flamme an Lokis Oberkörper hielt. Der Ton auf Lokis Haut fing sofort Feuer, das sich in Sekundenbruchteilen über den ganzen Körper verteilte. Loki holte tief Luft, doch das einzige was in seine Lungen drang war schneidende Hitze. Er schloss die Augen und versuchte ruhig zu bleiben, doch das Feuer brannte inzwischen lichterloh auf seinen Körper und er spürte wie die zunächst einfach nur unangenehme Wärme immer heißer wurde. Er biss die Lippen zusammen und nicht aufzuschreien. >Nur noch ein bisschen!<, mahnte er sich und schmeckte schließlich Blut. Er musste sich fester gebissen haben, als er dachte. Die Hitze nahm stetig zu und mit jeder Sekunde steigerte es sich ins Unermessliche. Jeden Moment glaubte Loki, es nicht mehr aushalten zu können und doch stand er nach wie vor aufrecht da und brannte vor sich hin. Es fühlte sich an, als würden Flammen statt Luft seine Lungen  füllen und er hustete mehrmals trocken auf. Er kratzte alles an Kraft zusammen, das er hatte und versuchte, nicht an das Feuer auf seinem Körper zu denken, als es mit einem Schlag fort war. Statt der sengenden Hitze trat nun klirrende Kälte zu Tage und Loki zitterte kurz, bevor sein Körper sich an die neuen Umstände gewöhnt hatte. >Ich hab’s geschafft! Ich lebe noch…<, dachte er erleichtert und schaffte es nach ein paar weiteren Sekunden, in denen er seinem Körper einfach nur zur Ruhe kommen ließ und tief Luft holte, die Augen zu öffnen. Borik stand noch immer vor ihm und grinste breit. Das war schon mal ein gutes Zeichen. Schließ kam seine Mutter dazu und musterte Loki eingehend. Der graue Ton war zum größten Teil von seiner Haut gebrannt, doch er hatte keine Verbrennungen. Der Teil, der noch auf der Haut war, bildete verschlungene Muster und wenn Loki sich recht erinnerte, entsprachen diese genau denselben, die er beim Bad in der Quelle gesehen hatte. Er sah unsicher hoch zu seiner Mutter, deren Augen ein verstecktes Leuchten offenbarten. „Hab ich es geschafft?“, flüsterte er und sie nickte kaum merklich. Zu ihm sagte sie kein weiteres Wort, doch sie drehte sich zu ihrem Volk und verkündete laut: „Das Volk der Eisriesen hat ein neues Mitglied…Loki ist einer von uns und ihr werdet ihn als solcher behandeln!“ Loki hatte es überstanden! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)