Vielleicht irgendwann von Juju ================================================================================ 59. Kapitel, in dem ein Entschluss gefasst wird ----------------------------------------------- Nachdenklich saß Takeru vor seinem Laptop und starrte den Text an, den er in den letzten drei Stunden verfasst hatte. Eigentlich sollte er sich einem Essay widmen, das in einer Woche für ein Seminar fällig war. Immerhin wollte er seinen Master möglichst gut abschließen und die Noten fielen schließlich nicht vom Himmel. Seit dem Sommer hatte er außerdem einen Nebenjob bei einer Sportzeitschrift, für die er hin und wieder kleinere Artikel verfassste, um ein bisschen mehr Geld zur Verfügung zu haben. Doch gerade in den letzten Monaten hatte er sich hauptsächlich und meist sehr intensiv mit etwas völlig anderem befasst: einem Roman. Vor allem in den Sommerferien hatte er fast jeden Tag an der Story gesessen. In der Geschichte ging es um einen jungen Mann, der davon träumte, Profisportler zu werden, allerdings wurde dieser Traum durch eine schwere Verletzung zerschmettert. Keinen Sinn mehr in seinem Leben sehend wollte der junge Mann sich von einer Brücke stürzen. Dabei traf er zufällig auf eine junge Frau, die wegen einer verlorenen Liebe das Gleiche vorhatte. Die beiden hielten sich gegenseitig davon ab, wurden Freunde und schafften es mit einigen Schwierigkeiten und Rückschlägen, den jeweils anderen aus seiner Lebenskrise zu holen. Mit der Zeit entwickelten sie auch Gefühle füreinander, wurden jedoch am Ende kein Paar. Keiner der beiden wollte diese Freundschaft, die ihnen das Leben gerettet hatte, aufs Spiel setzen. Die Worte für diese Geschichte waren Takeru nur so zugeflogen. Manchmal hatte er ein Kapitel an nur einem Tag geschafft. Sein Kopf war vor lauter Ideen für die Story nur so übergesprudelt. Allerdings hatte er bei der jungen Frau, der er den Namen Aiko gegeben hatte, die ganze Zeit Hikari vor Augen. Als hätte sein Unterbewusstsein ihn angeleitet, hatte er ihr einige von Hikaris Charaktereigenschaften gegeben. Takeru legte den Kopf schief und las sich noch einmal den allerletzten Satz der Geschichte durch. Ja, so konnte er ihn lassen. Ein wenig fassungslos saß er vor seinem Laptop und starrte das Dokument an. Er hatte gerade tatsächlich eine Geschichte von über vierhundert Seiten beendet und wusste nicht, was er fühlen sollte. Erleichterung, dass er es geschafft hatte? Kummer, weil es vorbei war? Die Geschichte hatte ihm in den letzten Monaten so sehr dabei geholfen, das Wirrwarr in seinem Kopf zum Ausdruck zu bringen und Dinge loszuwerden, die er nicht aussprechen konnte, obwohl sie ihn so sehr bedrückten. Es fühlte sich an, als würde ein wichtiger Teil von ihm ihn gerade verlassen. Es tat schon fast weh. Was sollte er jetzt machen? Die Story jemandem zum Lesen geben? Aber wem? Niemand wusste, dass er an einem Roman geschrieben hatte. Nicht einmal Hikari. Das war etwas gewesen, was er ganz für sich allein haben wollte. Doch nun, da es fertig war, konnte er es genauso gut anderen zeigen. Vielleicht gefiel es ja sogar jemandem. Einen Augenblick noch saß Takeru unschlüssig vor seinem Laptop, dann kopierte er die Story auf einen USB-Stick und machte sich auf den Weg in die Uni, um sie auszudrucken.   „Was ist das?“ Yamato hob eine Augenbraue und musterte den Stapel Papier kritisch, den Takeru ihm in die Hand gedrückt hatte. „Sag‘ mir nicht, ich soll deine Masterarbeit korrekturlesen.“ „Das ist doch nicht meine Masterarbeit.“ Takeru setze sich auf das Sofa in Yamatos und Soras Wohnzimmer. Die kleine Yuki saß mit ein paar bunten Bausteinen am Fenster und sah ihn mit großen Augen an. „Das ist ähm… eine Story.“ „Eine Story?“ Verwirrt musterte sein großer Bruder ihn. „Ja.“ Langsam blätterte er den Stapel durch. „Hast du das alles geschrieben?“ Takeru nickte. „Wow.“ Yamato machte ein verblüfftes Gesicht. „Wann hast du das alles geschrieben?“ „In den letzten Monaten. Irgendwie hat es geholfen. Und ich ähm… naja, ich dachte, vielleicht könnte ein Verlag es herausbringen.“ „Was?!“ Überrascht grinste Yamato ihn an. „Dein Ernst?“ „Jetzt lach‘ doch nicht“, grummelte Takeru ein wenig verletzt. „Ich lache doch gar nicht, ich bin nur… ich mein‘, warum hast du nie erzählt, dass du an einem Buch schreibst?“, erwiderte Yamato, schlug die erste Seite um und begann, den Prolog zu lesen. Die kleine Yuki war zu ihnen herüber gekrabbelt, zog sich an seinem Bein hoch und legte ihre kleine Hand auf das Papier. „Ich weiß nicht. Ich war nicht bereit, es jemandem zu sagen, aber jetzt ist es ja fertig.“ „Was ist mit deinem Studium? Ich dachte, du wolltest Sportjournalist werden und jetzt kommst du damit“, fragte Yamato, legte den Stapel Papier auf dem Tisch ab und musterte ihn neugierig. Yuki zerrte in der Zeit an der Hose ihres Vaters herum und machte Kniebeuge. „Ich kann doch beides gleichzeitig machen.“ „Und glaubst du echt, ein Verlag nimmt dir das ab? Versteh‘ mich nicht falsch, aber das versuchen tausende ohne Erfolg. Und ich bin mir sicher, viele von denen, die schon abgelehnt wurden, sind echt gut“, sagte Yamato. Genervt verdrehte Takeru die Augen. „Kannst du es nicht einfach lesen und mir sagen, wie du es findest? Vielleicht behalte ich es auch einfach für mich und niemand außer dir und Mama wird es je lesen.“ „Mama hast du es auch gegeben? Was hat sie dazu gesagt?“, fragte Yamato interessiert. „Mama?“, mischte Yuki sich in das Gespräch ein. Fragend sah sie Yamato an. Takeru schmunzelte über die Kleine, bevor er sich wieder seinem Bruder zuwandte. „Sie war auch überrascht, aber sie hat nicht so viele dämliche Fragen gestellt.“ „Mama kommt bald wieder, Schatz“, sagte Yamato zu seiner Tochter, nahm sie auf den Schoß und küsste sie auf das lockige, rotblonde Haar. „Und entschuldige, dass ich mich für meinen kleinen Bruder interessiere.“ Er warf Takeru einen missbilligenden Blick zu. Yuki machte sich von ihm los und krabbelte über die Couch hinweg zu Takeru. Sie stützte ihre kleinen Hände auf seinem Oberschenkel ab und strahlte ihn an. Er lächelte und nahm sie auf den Schoß. „Ich hätte echt nicht gedacht, dass du mal zu demjenigen von uns beiden wirst, der versucht, mit etwas erfolgreich zu werden, was andere als brotlose Kunst abstempeln“, nahm Yamato das Gespräch wieder auf, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Takeru von der Seite. „Ich will doch gar nicht erfolgreich damit werden. Ich hab‘ es einfach geschrieben, weil es mir geholfen hat. Vielleicht hilft es ja auch anderen. Und warum sollte man nicht mit etwas, was einem Spaß macht, zuätzlich Geld verdienen?“ „Das habe ich mich auch gefragt und damit eine Menge Leute, die mir sehr wichtig sind, in den Wahnsinn getrieben“, antwortete Yamato mit ernstem Blick. Schweigend sahen sie einander an, während Yuki sich an Takerus Shirt festklammerte und sich hochzog, sodass sie auf seinen Oberschenkeln stand. Er hielt sie fest, damit sie nicht umfiel, und wich dabei Yamatos Blick aus. „Takeru, was auch immer du vorhast, ich werde dich unterstützen. Du solltest tun, was du für richtig hältst und dir von niemandem reinreden lassen. Auch, wenn du vielleicht keinen Erfolg mit dem Buch hast, musst du es versuchen. Sonst wirst du es dir ewig vorwerfen.“ Takeru nickte langsam, während er vorsichtig Yukis Hand aus seinem Gesicht entfernte. Sie war drauf und dran gewesen, ihm die Finger in die Nase zu stecken. „Und das hier werde ich natürlich lesen. Bin schon ganz gespannt. Ich bringe es nur mal eben an einen sicheren Ort, bevor das Hausmonster sich darüber hermacht“, verkündete Yamato, stand auf und ging mit Takerus Geschichte aus dem Raum. Aufgeregt sah Yuki ihm hinterher, bevor sie von der Couch rutschte und ihm nach krabbelte. Yamato las sie auf dem Rückweg vom Boden auf und setzte sich zurück auf das Sofa. „Ich hätte auch mehr hinter dir stehen sollen“, murmelte Takeru mit gesenktem Blick. „Schon okay. Ich glaube, ich habe es euch allen damals nicht so leicht gemacht mit meinem Verhalten“, meinte Yamato abwinkend und schaukelte Yuki auf seinem Schoß. Diese griff nach seiner Hand und begann, auf seinem Finger herumzukauen. „Trotzdem. Muss ziemlich mies sein, wenn keiner an einen glaubt“, erwiderte Takeru seufzend. „Worum geht’s in deiner Geschichte?“, wechselte Yamato das Thema. „Um einen Mann und eine Frau, die sich das Leben nehmen wollen und sich dabei kennenlernen. Sie halten sich gegenseitig davon ab und freunden sich an“, erklärte Takeru knapp. Yamato hob die Augenbrauen. „Okay? Klingt ziemlich düster. Ich hoffe, du willst uns mit diesem Buch nichts Bestimmtes sagen.“ Takeru lachte leicht. „Nein, keine Sorge. Wie gesagt, es hat mir geholfen, die Story zu schreiben.“ „Geholfen bei was?“ „Ach bei… ein paar Sachen.“ Yamato seufzte tief. „Immer noch Kari, hm?“ Takeru wandte den Blick ab und zuckte mit den Schultern. „Wann schnappst du sie dir endlich?“, fragte Yamato und klang dabei fast ein wenig genervt. „Was soll die Frage? Du weißt doch, dass sie einen Freund hat“, erwiderte Takeru unwirsch. „Ja, aber nur, weil du nicht aus dem Knick kommst“, warf Yamato ihm vor. „Du solltest endlich mal deinen Hintern hochkriegen und dafür sorgen, dass aus euch endlich mal was mit Hand und Fuß wird.“ „Ich hab‘ dir doch schon erklärt, dass sie mich nicht will. Freundschaft und so. Können wir das Thema jetzt bitte lassen?“ „Natürlich will sie dich, du bist nur nicht aggressiv genug. Ihr könntet schon seit Jahren ein Paar sein, wenn du endlich mal aus deinem Schneckenhaus kommen würdest. Dann müsstest du keine Deprigeschichten schreiben.“ „Sag‘ mal, hab‘ ich mit ihr geredet oder du? Sie hat mir gesagt, dass sie keine Beziehung will, weil sie Angst um unsere Freundschaft hat.“ „Ja und du hast dazu auch gesagt, dass sie trotzdem Gefühle für dich hat.“ Stöhnend fuhr Yamato sich durch das blonde Haar und erschreckte dabei Yuki mit der ruckartigen Handbewegung. „Mann Takeru. Du musst einfach mal kämpfen und ihr zeigen, dass du das wirklich willst. Wie soll sie sich denn sicher sein, wenn du es nicht bist? Es reicht nicht, herumzusitzen und auf ein Wunder zu hoffen. Man muss eben was dafür machen.“ „Ach ja, und wie soll ich das deiner Meinung nach machen? Soll ich sie zwingen, sich von Willis zu trennen?“, rief Takeru wütend. Warum musste Yamato immer wieder damit anfangen? „Das ist doch gar nicht nötig. Mit dem macht sie von allein Schluss, wenn sie merkt, dass sie dich haben kann“, erwiderte Yamato überzeugt. Ruckartig stand Takeru auf. „Das Leben ist kein Ponyhof. Es läuft nicht alles so, wie man es gern hätte und nur, weil du es geschafft hast, dir deine große Liebe zu schnappen, schaffen das nicht alle anderen auch.“ Während er sich die Schuhe anzog, versperrte Yamato mit Yuki auf dem Arm ihm die Wohnungstür. „Takeru, ich will einfach nur, dass du glücklich bist. Und das bist du nicht, obwohl du es sein könntest. Es wäre so einfach.“ „Du hast doch keine Ahnung“, fauchte Takeru, schob ihn unsanft zur Seite und verließ die Wohnung.   Takeru war noch immer wütend, als er aus dem Bus stieg und den restlichen Weg zum Wohnheim zu Fuß zurücklegte. Warum nur konnte Yamato einfach nicht damit aufhören, ihn mit dieser Sache zu nerven? Dennoch musste er sich eingestehen, dass sein großer Bruder wahrscheinlich Recht hatte. Takeru hatte tatsächlich bisher nicht gerade hart um sie gekämpft. Wenn er an die verschiedenen Situationen mit ihr zurückdachte, konnte er nicht von sich behaupten, ihr jemals deutlich genug gesagt zu haben, dass er sie wollte. Ob sie vielleicht wirklich darauf wartete? Selbst jetzt, da sie mit Willis zusammen war? Vielleicht brauchte es ja wirklich nur die passenden Worte von Takeru, damit Hikari sich sicher sein konnte. Wie von selbst war er zu ihrer Zimmertür gelaufen und hatte geklingelt. Yamato hatte so überzeugt gewirkt. Als wäre er sich totsicher, dass es an Takeru lag. Dass alles an Takeru lag. Nach einer Weile öffnete sie die Tür und musterte ihn verwundert. „Hallo.“ „Hikari“, fing er an und sie zuckte zusammen. Kein Wunder. Nur in ernsten Situationen benutzten sie ihre vollen Namen. „Ich kann das nicht länger. Das hat so alles keinen Sinn, wie es momentan läuft. Ich merke es jedes Mal, wenn du von ihm sprichst und wenn ich euch zusammen sehe. Es tut so verdammt weh und ich stelle mir ständig vor, wie es wäre, wenn ich an seiner Stelle wäre. Ich kann ständig nur an dich und an uns denken. Ich weiß, dass du gesagt hast, du willst keine Beziehung mit mir, weil du Angst um unsere Freundschaft hast, aber das ist totaler Quatsch. Das brauchen wir nicht, weil es einfach perfekt zwischen uns wäre. Wir kennen uns unser ganzes Leben lang. Ich kenne all deine Macken und du kennst meine. Und trotzdem sind wir schon immer unzertrennlich gewesen. Wir konnten uns immer aufeinander verlassen und…“ „Takeru“, unterbrach sie ihn mit dünner Stimme. „Nein, lass‘ mich ausreden. Ich weiß, was du sagen willst. Du bist mit ihm zusammen und ich weiß, dass es dir gut geht. Aber mit mir würde es dir noch besser gehen. Wir gehören einfach zusammen. Ich kann nicht einmal in Worte fassen, was ich für dich empfinde, und du hast auch Gefühle. Ich bin mir sicher, dass du sie immer noch hast, auch wenn du mit ihm zusammen bist. Ich kenne dich einfach zu gut.“ Er griff nach ihrer Hand und sah ihr tief in die Augen. „Bitte verlass‘ ihn. Das ist nicht richtig so. Es fühlt sich einfach alles so falsch an. Sei mit mir zusammen, lass‘ es uns einfach wagen. Es kann nicht schief gehen, ich weiß es. Nichts zwischen uns könnte jemals schief gehen.“ Erleichterung durchströmte ihn, nachdem er ihr das alles gesagt hatte. So lange schon hatten ihm diese Worte auf dem Herzen gelegen und ihn bedrückt. Nun hatte er endlich alles genau so gesagt, wie er es empfand. Er hatte nicht einmal über seine Worte nachdenken müssen, während er gesprochen hatte. Wie von selbst hatten sie sich einfach geformt. Sie mussten Hikari einfach überzeugt haben, denn es war die reine Wahrheit. Er hatte Recht und sie wusste das. Doch ihre Augen sagten etwas anderes. Schmerzerfüllt und feucht glänzend sahen sie ihn an. „Takeru, ich bin schwanger.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)