Vielleicht irgendwann von Juju ================================================================================ 48. Kapitel, in dem Takeru Hikari was schuldig ist -------------------------------------------------- Die Sonne schien ihm direkt ins Gesicht und weckte ihn somit unsanft. Langsam und beschwerlich öffnete er die Augen einen Spaltbreit und versuchte, herauszufinden, wo er war. Weiße Wände, ein Fenster, spärliche Einrichtung. Sein Studentenzimmer. Ein Wunder, dass er es geschafft hatte, hierher zu kommen, hatte er doch keinerlei Erinnerung daran, wie er überhaupt die Party verlassen hatte. Ja, er war auf einer Party gewesen. Erleichtert wollte er die Augen wieder schließen und versuchen, noch ein wenig Schlaf zu bekommen, als ihm ein heftiger Schmerz in den Kopf fuhr. Fast gleichzeitig stieg auch Übelkeit in ihm auf und er drehte sich stöhnend auf die Seite. Da war er, der Kater. Er biss sich auf die Unterlippe und wartete, bis die Welle der Übelkeit allmählich abebbte und nicht mehr sein Denken einnahm. Dann versuchte er, sich an die Party zu erinnern. Er war mit ein paar anderen Journalistikstudenten dorthin gegangen. Es war die Jahresabschlussparty, denn nun hatten sie das erste Studienjahr komplett hinter sich gebracht. Das musste natürlich begossen werden. Takeru konnte sich erinnern, dass er ganz normal mit Bier angefangen hatte. Irgendwann war ein Cocktail dazu gekommen, dann noch einer und schließlich Schnaps. Von da an fehlte ihm die Erinnerung. Mit einem dumpfen Gefühl im Bauch griff er nach seinem Handy. Hoffentlich hatte er keine peinlichen Nachrichten an irgendwen verschickt. Ein Blick auf die Uhr auf dem Display verriet ihm, dass es halb neun war. Er ging zu seinem Postausgang und überflog die Nachrichten, die er gestern Abend verschickt hatte. Erleichtertes Ausatmen. Keine peinlichen SMS. Er musste auf die Toilette. Schwerfällig schob er die Bettdecke beiseite und setzte sich auf. Augenblicklich wurde ihm erneut übel, diesmal so schlimm, dass er sich übergeben musste. Zum Glück stand der Putzeimer gleich neben dem Bett. Hatte er den dorthin gestellt? Wenn er daran noch gedacht hatte, konnte er ja gar nicht so sehr besoffen gewesen sein. Mit zitternden Händen stützte er seinen Kopf ab und wartete darauf, dass es besser wurde. Es dauerte eine Weile, doch schließlich fühlte er sich so gut, dass er glaubte, er könnte zu den Toiletten gehen, ohne sich unterwegs erneut zu übergeben. Vorsichtig stand er auf und stellte fest, dass er auch keine Hose mehr anhatte. Selbst daran hatte er noch gedacht vor dem Schlafengehen. Ohne sich eine Hose drüberzuziehen, verließ er sein Zimmer und torkelte den Gang entlang zu den Toiletten. Um diese Uhrzeit war hier an einem Samstag sowieso noch nichts los. Wieder zurück in seinem Zimmer ließ er sich erschöpft auf sein Bett fallen, griff nach seinem Handy und schrieb eine SMS an Hikari.   Boah, mir ist so schlecht. Kochst du mir Tee? :(   Hoffentlich las sie seine SMS, bevor er elendig zu Grunde ging. Im Augenblick fühlte er sich so, als müsste er sterben.   Am frühen Nachmittag war Takeru zwar wider Erwarten noch immer am Leben, doch Hikari hatte nicht geantwortet. Er hatte sich seitdem noch zweimal übergeben und war nur in seinem Bett vor sich hinvegetiert, unfähig, sich zu bewegen. Sein Kopf drohte zu explodieren. Er warf einen weiteren Blick auf sein Handy, nur um enttäuscht feststellen zu müssen, dass Hikari noch immer nicht geantwortet hatte, und beschloss dann, bei ihr vorbeizuschauen. Es war untypisch für sie, selbst nach Stunden nicht zu antworten. Normalerweise bekam man seine Antwort spätestens nach einer Stunde. Er setzte sich auf und wartete einen Augenblick ab, bis die Übelkeit so weit abgeklungen war, dass er aufstehen konnte. Dann schlurfte er aus seinem Zimmer zu Hikaris. Er machte das Klopfzeichen, das sie vereinbart hatten, als sie hier eingezogen waren: zweimal lang, dreimal kurz. Dann lehnte er sich gegen die Wand neben der Tür und wartete. Es passierte nichts. Noch einmal klopfte er. Zweimal lang, dreimal kurz. Er wollte gerade wieder in sein Zimmer zurück gehen, als die Tür zögerlich geöffnet wurde. Hikari erschien im Türspalt. „Hi.“ Sie wirkte steif. Takeru runzelte verwirrt die Stirn. „Ich hab‘ dir geschrieben. Hast du meine SMS nicht gelesen?“ „SMS? Ähm… hab‘ heute noch nicht auf mein Handy geguckt“, stammelte sie und senkte den Blick. Irgendetwas war hier faul. „Kann ich reinkommen?“, fragte er. „Ich… naja, eigentlich… also…“ Er hob eine Augenbraue. „Hast du gerade Besuch?“ Sie schüttelte den Kopf und trat zur Seite. „Komm‘ rein.“ Während er an ihr vorbei in ihr Zimmer ging, bedachte er sie mit einem argwöhnischen Blick. Sie sah ihn nicht an und schloss leise die Tür hinter ihm. „Ich hab‘ dir eigentlich nur geschrieben, weil du mir Tee kochen sollst. Aber da du nicht vorbeigekommen bist, komme ich jetzt eben zu dir. Also“, er ließ sich auf ihr Bett fallen und klatschte zweimal in die Hände, „man koche mir Tee.“ Hikari nickte, griff nach dem Wasserkocher und verließ ihr Zimmer, um Wasser zu holen. Kopfschüttelnd sah Takeru ihr nach. Irgendetwas stimmte nicht. Sie kam wieder, setzte das Wasser auf und stand unschlüssig im Zimmer herum. „Was ist los mit dir?“, fragte er und musterte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen. Sie sah ihn unsicher an. „Ähm… wegen letzter Nacht… naja…“ Letzte Nacht? Was sollte da gewesen sein? Er hatte doch seinen Postausgang kontrolliert, es war keine SMS an Hikari dabei gewesen. „Was war da?“ Nun war ihr Blick überrascht und es dauerte eine Weile, bis sie antwortete. „Verarschst du mich gerade?“ „Kari, ich bin so extrem verkatert, ich weiß nicht mal mehr, wie ich nach Hause gekommen bin.“ Sie sah ihn an, ihr Mund klappte auf und wieder zu. Takeru fragte sich, was er gemacht hatte. Es musste etwas ziemlich Ungewöhnliches gewesen sein, so wie sie sich benahm. „Kannst du dich echt an nichts erinnern?“, fragte sie ungläubig. „Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „An gar nichts?“ Er seufzte. „Mann, Kari, was habe ich so Schlimmes gemacht? Sag’s mir doch einfach.“ „Du hast…“, sie zögerte wieder einen Augenblick, „du hast mitten in der Nacht hier geklopft, weil du mir gute Nacht sagen wolltest.“ „Was?!“ Er machte große Augen. „Und dann hast du auf den Boden gekotzt.“ Nun klappte Takeru der Mund auf und wieder zu. „Ich hab… was?“ „Ja, auf den Boden gekotzt.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn gespielt streng an. Endlich schien ihre seltsam steife Art wieder ein wenig von ihr abzufallen. „Nicht dein Ernst“, sagte Takeru entsetzt. „Leider doch. Und rate mal, wer es aufwischen musste. Kleiner Tipp: Du warst es nicht.“ Sie verengte die Augen zu Schlitzen und starrte ihn mit vorwurfsvollem Blick nieder. „Oh Gott“, stöhnte Takeru und rieb sich über die Augen. „Tut mir echt leid.“ „Das will ich schwer hoffen.“ „Scheiße. Hast was gut bei mir. Was habe ich danach gemacht?“ „Nichts. Du warst zu nicht mehr viel in der Lage. Hab‘ dich dann ins Bett gebracht.“ Sie ging zurück zum Wasserkocher und machte zwei Becher Tee fertig. Einen davon drückte sie ihm in die Hand. „Danke“, sagte Takeru, richtete sich ein wenig auf und nahm den Becher entgegen. Hikari setzte sich zu ihm auf die Bettkante und hielt ihren eigenen Becher in den Händen, als wollte sie sich daran festhalten. „Als ich heute Morgen aufgewacht bin, habe ich mich gewundert, warum ein Eimer neben meinem Bett steht. Hast du den da hingestellt?“ „Ja.“ „Danke. Das war echt gut.“ Er grinste schief. „Dachte ich mir.“ Er nippte vorsichtig an seinem heißen Tee und überlegte, ob sie ihm wohl auch die Hose ausgezogen hatte. Würde sie so etwas machen? Bei der Vorstellung, wie sie ihm die Hose öffnete und langsam auszog, wurde ihm heiß. Eilig versuchte er, an etwas Anderes zu denken. „Soll ich uns was zu essen besorgen oder kriegst du noch nichts runter?“, fragte Hikari und lenkte ihn damit zum Glück ab. „Ähm… wenn du Lust hast.“ Er lächelte unschuldig. „Weil du es bist.“ Sie lächelte zurück und stand auf. „Ich mache uns schnell eine Suppe, okay? Warte einfach hier.“ Er sah ihr zu, wie sie aus ihrem Regal und dem winzigen Kühlschrank ein paar Zutaten hervorkramte und dann aus dem Zimmer ging. Er hatte sie aus dem Schlaf gerissen, ihr ins Zimmer gekotzt und dann hatte sie ihn auch noch ins Bett bringen müssen. Und jetzt kümmerte sie sich um ihn und machte ihm Essen. Sie war so perfekt. Er stellte die Tasse auf dem Boden ab und ließ sich zurück in das Kissen sinken.   „Ich wusste gar nicht, dass du ohne mich was Leckeres kochen kannst“, stichelte er sie, als er den letzten Löffel aus seiner Suppenschale verdrückt hatte. „Du denkst auch, ich bin ohne dich nicht lebensfähig, was?“, grummelte Hikari und schlug ihm mit ihrem Löffel gegen das Knie. „Aua!“, beschwerte er sich und rieb sich die Stelle. „Du erkennst ein Lob auch nicht, wenn du eines bekommst, was?“ Sie streckte ihm die Zunge raus, nahm ihm die leere Schüssel aus der Hand und stellte beide Schüsseln weg. „Kari?“ Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn fragend an. „Ja?“ „Danke. War echt lecker. Jetzt schulde ich dir noch mehr.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ach was. Du schuldest mir gar nichts. Ansonsten wären wir keine Freunde.“ Erneut tauschten sie ein Lächeln. Dann war es, als hätte ihn plötzlich ein Blitz getroffen. Er holte tief Luft und versuchte, sein rasendes Herz zu ignorieren. „Kari, ich…“ Er hielt inne. Mit großen Augen sah sie ihn an. „Ja?“ Er schluckte und presste die Lippen aufeinander. In seinem Kopf spielte sich ein Szenario ab, was passieren würde, wenn er ihr jetzt sagte, was er für sie empfand. Vermutlich wäre sie geschockt, verwirrt und würde ihn dann nach einigen Augenblicken erklären, dass sie nicht die gleichen Gefühle für ihn hatte, aber sie nicht wollte, dass das ihre Freundschaft irgendwie beeinflusste. Er würde das auch nicht wollen. Trotzdem wäre ihre Freundschaft fortan völlig anders. Sie würden niemals wieder so locker miteinander umgehen können, wie es bisher immer der Fall gewesen war. „Nichts, schon gut.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)