Shoot my Heart von Hoellenhund ([Secret Love]) ================================================================================ Kapitel 8: ----------- Kyosuke Murata war wie ein Schatten. Kou verbrachte viele Stunden am Computer in der Bibliothek, um etwas über ihn herauszufinden, doch die Informationen waren spärlich. Typisch für ein Mitglied der Yakuza. Offiziell war Murata an einer Adresse in Meguro gemeldet – ein imposantes Appartement mit Panoramablick über die Stadt, wie sich herausstellte. Doch nachdem Kou es tagelang beobachtet hatte, musste er zu dem Schluss kommen, dass es trotz der stolzen Miete, die es kosten musste, nicht genutzt wurde. Eine Scheinadresse. Alles deutete darauf hin, dass Asano dieses Mal auf das richtige Pferd gesetzt hatte. Harukis Vater war offensichtlich tatsächlich mehr als nur in die Angelegenheiten der Organisation verwickelt – er spielte mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in der obersten Liga mit. ‚Haru könnte mir sicher helfen, ihn zu finden‘, fuhr es Kou durch den Kopf. Doch ihn um Hilfe zu bitten kam natürlich nicht in Frage. Kou wusste nicht, in was für einem Verhältnis er zu seinem Adoptivvater stand – außerdem wollte er ihn nicht noch tiefer in die Sache hineinziehen als ohnehin schon. Und wenn Asano ihn dabei erwischte, wie er noch einmal zu Haruki zurück ging… Kou mochte nicht daran denken. Für Asano gehörte Haruki ganz klar zu den Feinden, zur Organisation. Wieso hatte er Kou bloß nicht bestraft, nachdem er ihn bei Haruki erwischt hatte? Er war immer ein sehr konsequenter Mann gewesen, der keine Gnade zeigte, wenn es um mangelnde Loyalität ging. Ganz gleich, wie Kou es dreht und wendete – er konnte sich auf Asanos Verhalten einfach keinen Reim machen. Während er noch in Gedanken vertieft war, fiel Kous Blick plötzlich auf Kyosuke Muratas Visitenkarte, die er in die oberste Reihe der Tastatur geklemmt hatte. Sie enthielt nicht viele Informationen. Lediglich Muratas vollen Namen, eine E-Mail Adresse und eine Telefonnummer. Nichts weiter. Langsam zog Kou die Karte aus der Tastatur. Natürlich, wieso hatte er nicht früher daran gedacht? Es dauerte keine halbe Stunde, bis sich Kou in Muratas E-Mail Postfach eingehackt hatte. Vielleicht würde er hier einige nützliche Informationen finden. Doch die meisten E-Mails waren belanglos, darunter einige Vereinbarungen zu Geschäftsessen, aber keines in nächster Zeit, und eine Rechnung, die allerdings auf die Scheinadresse ausgestellt war, die Kou bereits kannte. Vor einiger Zeit hatte er einige kurze E-Mails mit Ryota Narai ausgetauscht. Bei dem Gedanken an den korpulenten Mann musste Kou seine aufkommende Übelkeit niederkämpfen. Außerdem korrespondierte Murata häufig mit einem gewissen Hiroshi Kagami. Als Kou diesen Namen las, klickte etwas in seinem Hinterkopf. Wache Augen, die ihn durchleuchteten. Ob es sich wohl um denselben Kagami handelte, der die Cocktailparty im Takaeda-Hotel veranstaltet hatte? Doch das alles brachte ihn nicht weiter. Er trat auf der Stelle und allmählich wurde er ungeduldig. Es wurde Zeit, in Aktion zu treten. Doch wie, wenn sich die Zielperson einfach nicht ausfindig machen ließ? Mit einem leisen Seufzen nahm Kou noch einmal die Visitenkarte zur Hand. Ein Name, eine E-Mail-Adresse und eine Telefonnummer. Egal wie lange er darauf starrte, die Informationen wurden einfach nicht dichter. Irgendetwas musste sich doch damit anfangen lassen. Und wer sollte das herausfinden wenn nicht Kou? Während er weiterhin die Visitenkarte fixierte, verengte er die Augen zu Schlitzen. Er musste sich konzentrieren. Die Telefonnummer. Was war mit der Telefonnummer? Sie gehörte zu einem Handy des Providers NTT DoCoMo. Das war es. Ein mobiles Telefon, das war die Lösung. Mit wenigen Klicks hatte sich Kou in das System von NTT DoCoMo eingeklinkt und startete eine Handyortung der auf der Visitenkarte angegebenen Nummer. Ohne die Augen vom Bildschirm abzuwenden, nahm Kou einen Schluck aus der Tasse, die Midori ihm bereits vor Stunden auf den Schreibtisch gestellt hatte. Der kalte Kaffee streichelte seine Zunge wie ein edler Tropfen Wein. Nur noch ein paar Sekunden. „Hab ich dich.“ *** Es war weit nach Mitternacht, als Kou den Mann, bei dem es sich um Kyosuke Murata handeln musste, am Hintereingang eines Clubs dabei beobachtete, wie er einen zweiten Anzugträger verabschiedete, der kurz darauf in ein Taxi stieg, das bereits auf ihn gewartet hatte. Sobald die Rücklichter des Wagens um die nächste Straßenecke verschwanden, war es völlig still. Nur aus dem Club drang ein Anklang von gedämpfter Jazzmusik und so etwas wie Gelächter auf die kleine Gasse hinaus. Kou löste sich aus dem Schatten eines Getränkeautomaten. Seine Schuhe knackten auf dem Asphalt. Ein kaum wahrnehmbares Geräusch, das die um ihn herrschende Stille durchdrang wie ein Kanonenschlag. Kyosuke Murata wirbelte herum. Seine Augen fixierten Kou und er erstarrte, unbeweglich wie ein Reh, das in das Scheinwerferlicht eines Autos geraten war. Es war, als würde er sich dazu zwingen, nicht davonzulaufen. Als fürchtete er, damit den Jagdtrieb eines Raubtiers wecken. Kou konnte seine Angst beinahe schmecken. „Du bist doch einer von Asanos Tigern.“ Muratas Stimme war ruhig, doch Kou konnte sehen, dass seine Hände zitterten. Woher konnte Murata das wissen? Blitzschnell ließ Kou die vergangenen Tage noch einmal Revue passieren. Die Cocktailparty in Roppongi. Murata musste ihn dort zusammen mit Asano gesehen haben. Doch hatte Asano nicht gesagt, dass er nicht auf der Party gewesen sei? Das konnte nur eines bedeuten. Eine unbändige Wut begann in Kous Brust aufzusteigen. „Du hast auf uns geschossen“, schloss er, seine Stimme ruhig und unterkühlt. Er machte sich nicht die Mühe, eine förmliche Anrede zu wählen. Die Rollen in diesem Spiel waren mehr als klar verteilt. Murata war es also gewesen. Hätte er es nur auf ihn abgesehen gehabt, wäre der kleine Zwischenfall für Kou nicht der Rede wert gewesen – auch wenn seine verletzte Schulter noch immer schmerzte. Sein Leben war kaum den Lohn wert, den Asano ihm ausbezahlte. Doch dass er versucht hatte, Asano zu töten, würde Kou diesem Mann niemals verzeihen. Er konnte spüren, wie sich seine Hände zu Fäusten ballten. „Ich hatte keine Wahl“, entfuhr es Murata plötzlich. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. „Ich weiß, dass er es auf meinen Sohn abgesehen hat. Ich wollte ihn doch nur schützen, das musst du verstehen!“ Ein flehentlicher Ton trat in Muratas Stimme. Wie erbärmlich. Doch es war ihm gelungen, Kous Interesse zu wecken. Wie war Harukis Name auf Asanos Liste geraten? „Was sollte Asano für ein Interesse daran haben, deinen Sohn zu töten?“, fragte er also. Er war sich sicher, dass Murata ihm alles erzählen würde, solange er das Gefühl hatte, dass es sein armseliges, kleines Leben retten konnte. Und er hatte sich offenbar nicht getäuscht. „Mein Sohn wollte aus der Organisation aussteigen. Niemand steigt so einfach aus der Yakuza aus, das ist dir doch klar, oder? Ryota Narai hat den Auftrag erhalten, Asano falsche Informationen über meinen Sohn zuzuspielen, um ihn bequem aus dem Weg zu schaffen. Narai war auch ein Aussteiger. Nachdem er den Auftrag erledigt hatte, sollte er unbescholten seiner Wege gehen, das war der Deal.“ Ryota Narai. Noch einmal sah Kou ihn vor dem Parkhaus stehen, an Asanos Seite. Sah ihn, wie er Asano etwas gab, eine Art Amulett an einer Kette. Ein Beweis für ein Verbrechen, das Haruki nicht begangen hatte. „Wer?“, fragte Kou, nun in schärferem Tonfall. „Wer hat Haru das angetan? Wer ist der Kopf der Organisation?“ Einen Augenblick lang schien Murata perplex. Ganz offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, dass Kou den Namen seines Sohnes kannte. „Wer?“, fragte Kou noch einmal, die Stimme ein wenig erhoben. Murata öffnete den Mund um zu antworten. Da sah es Kou: Ein roter Lichtpunkt auf seiner Stirn. 'Scheiße!' Kou stürzte vor, doch es war bereits zu spät. Kyosuke Muratas Blut spritzte ihm ins Gesicht und trübte für eine Sekunde seinen Blick. Er wirbelte herum und riss eine seiner beiden 38er aus ihrem Halfter. Blindlinks schoss er in die Richtung, in der er den Scharfschützen vermutete, obwohl er wusste, dass es keinen Zweck hatte. Der Knall verhallte in der Nachtluft. Auf dem Dach des gegenüberliegenden Gebäudes konnte Kou einen Schatten davon huschen sehen. Am liebsten hätte er geschrien. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)