Schatten der Vergangenheit von Zerina ================================================================================ Kapitel 10: Gemeinsamkeiten --------------------------- Trotzig hielt Harry den überraschten, teils misstrauischen, und sogar mörderischen Blicken Stand, gestatte es sich, die geschockten Mienen auf den Gesichtern der versammelten Slytherins ein, zwei Sekunden länger zu genießen, dann erhob er sich ruckartig, was die Schlangen in seiner Nähe überrascht zurückzucken ließ, und verließ ohne ein weiteres Wort den Gemeinschaftsraum, über den sich eine unheimliche Stille gelegt hatte. Harry konnte die Anspannung der Schlangen praktisch in der Luft knistern hören. Bevor die Wut und der Hass in ihnen die Überhand gewinnen konnten, wollte Harry von hier verschwunden sein. Oder sich zumindest in den Schlafraum zurückgezogen und mehrere Schutzzauber auf sein Bett gelegt haben. Nur um sicher zu gehen. Besser zu viel als zu wenig. Nur gut, dass Hermine ihm immer wieder, ob er wollte oder nicht, neue Sprüche eingetrichtert hatte, die ihm, ihrer Meinung nach, in seinen Kämpfen von Nutzen sein konnten. In diesem Moment verspürte Harry eine tiefe Dankbarkeit gegenüber der brillanten Hexe, die ihn oft genug mit ihrem besserwisserischen Verhalten nervte, aber die beste Freundin war, die er sich vorstellen konnte. Sobald er in seine Zeit zurückgekehrt war, musste er sie unbedingt wissen lassen, wie viel ihm ihre Hilfe und vor allem ihre Freundschaft bedeuteten. Und mit Ron würde er sich einfach nur über alles, was er in der Vergangenheit gesehen hatte, scheckig lachen können. Mit seiner unbeschwerten Art würde er Harry helfen, das Erlebte nicht mehr ganz so ernst zu nehmen. Der junge Gryffindor konnte es gar nicht erwarten, seine besten Freunde wiederzusehen. Ohne sie an seiner Seite fühlte er sich irgendwie... verloren. Mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen stieg Harry die steinerne Treppe in die untere Ebene der Kerker hinab und folgte dem ungewohnten Weg durch den hohen, in ein unfreundliches, grünes Licht getauchten Gang, auf dem er zum Glück keiner einzigen Menschenseele begegnete, bis er schließlich vor der dunklen Tür zum Schlafraum der Fünftklässler stehen blieb, die er ohne zu zögern aufdrückte. Kaum hatte Harry einen Fuß in den düsteren Raum dahinter gesetzt, flammten die Kugellampen an den Wänden in ihrem grünen Schein auf, der dem Raum eine unangenehme, abweisende Atmosphäre verlieh, die Harry augenblicklich an seine trostlose Zeit bei den Dursleys erinnerte, aus der Hogwarts ihn Jahr für Jahr aufs Neue gerettet hatte. Doch nun fühlte er eben jene Hilflosigkeit, die ihn in dem Haus seiner Verwandten immer wieder überkam, ihn sich machtlos und klein vorkommen ließ, auch in dem magischen Schloss, das er stets als sein Zuhause angesehen, das ihm das Gefühl gegeben hatte, willkommen zu sein. Nie zuvor war Harry sich so fremd, so... unerwünscht in den Gemäuern von Hogwarts vorgekommen. Von seinen eigenen Gedanken entmutigt schlurfte Harry zu dem übertrieben luxuriösen Himmelbett auf der anderen Seite des Raumes, auf das er sich mit einem schweren Seufzer bäuchlings fallen ließ. Er vergrub das Gesicht in dem hellen Stoff des Lakens, musste den Kopf jedoch wieder heben, als seine Brille durch den Druck der Matratze auf seiner Nase verrutschte, sodass sie ihm schmerzhaft ins Auge stach. Murrend nahm er sie ab und schob sie halbblind auf das Nachtschränkchen neben dem Bett, dann ließ er seinen Arm kraftlos an der Außenseite des Möbelstücks zu Boden sinken, sodass er in einer etwas unbequemen Position aus dem Bett hing, doch in diesem Moment war Harry das vollkommen egal. Er war viel zu müde, um noch über irgendetwas nachzudenken. Das Feuer, das das Verhör der Schlangen in ihm entfacht und ihn mit neuer Energie erfüllt hatte, war erloschen. Stattdessen breitete sich eine bleierne Erschöpfung in seinen Gliedern aus, die es ihm beinahe unmöglich machte, sich zu bewegen. Die Anspannung, die ihn den gesamten Tag über nicht hatte loslassen wollen, zollte nun ihren Tribut. Harry glaubte zu spüren, wie der Schlaf am Rand seines Bewusstsein nur darauf lauerte, ihn endlich in seine Umarmung reißen zu können. Fast war der dunkelhaarige Junge sogar gewillt, sich ihm hinzugeben, hier und jetzt in seiner Schuluniform und mit den Schuhen an den Füßen auf der weichen Decke einzuschlafen, doch eine leise, nörgelnde Stimme, die verdächtig nach einer gewissen Hexe mit buschigem, braunem Haar klang, drängte ihn dazu, sich, wenn auch unter murrendem Protest, zu erheben und lustlos in die Richtung des angrenzenden Bades zu schlurfen. Hundemüde schwankte er durch eine verschwommene Welt, doch erst nachdem er beinahe mit der geschlossenen Tür zusammengeprallt wäre, die wie aus dem Nichts plötzlich vor ihm aufgetaucht war, fiel Harry ein, was er vergessen hatte: seine Brille. Genervt machte er noch einmal kehrt, um sich das alte, mehrmals, sowohl mit Muggel-Hilfsmitteln als auch Zaubern, geflickte Gestellt auf die Nase zu klemmen, bevor er in dem protzigen Bad verschwand. Nachlässig verteilte er seine Kleidung und Schuhe auf den kalten Bodenfliesen, platzierte dafür seine Brille jedoch um so sorgfältiger neben einem flauschigen Handtuch auf dem Brett an der Wand der äußersten Duschnische, bevor er sich halbblind zu der Duschapparatur vortastete. Entschlossen umfasste er den Hebel, achtete jedoch nicht darauf, in welche Richtung er zeigte, was er bitterlich bereute. Eisiges Wasser stach ihm wie tausend Nadeln in die Haut und ließ ihn hastig einen Schritt zurück machen, während sein rechter Arm den Hebel hektisch wieder nach unten drückte. Der Strahl erstarb sofort, trotzdem war Harry die Kälte bereits unter die Haut gekrochen, sodass ihn ein Frösteln durchlief, als ein leichter Hauch über in hinwegstrich. Bibbernd streckte er abermals einen Arm nach dem Hebel aus, drehte ihn dieses Mal jedoch kräftig in die entgegensetzte Richtung, bevor er ihn hochschob, dann wich er zurück, sodass ihn der noch frostige Strahl nicht treffen konnte. Vorsichtig streckte er eine Hand aus, um die Temperatur des Wassers zu prüfen, bis sich eine wohlige Wärme von seinen Fingerspitzen über seinen Arm und dann in seinem ganzen Körper ausbreitete. Zufrieden trat er unter den prasselnden Strahl, das Gesicht erhoben, die Augen geschlossen. Für einige Sekunden genoss er einfach nur das Gefühl des weichen Strahls auf seiner Haut, die entspannende Wirkung, die er auf seine verkrampften Muskeln ausübte, dann griff er nach einem Hahn zu seiner Linken, aus dem er sich eine große Ladung Schaum in die gewölbte Hand pumpte, um sich damit von Kopf bis Fuß einzuseifen. Als er sich sicher war, dass er auch noch den letzten Rest Seife abgewaschen hatte, lehnte Harry sich erleichtert seufzend mit dem Rücken gegen die feuchte Wand, während das Wasser unablässig seinen nackten Körper hinunterlief. Er war froh, dieses lästige Gespräch hinter sich gebracht zu haben, auch wenn ihn die Fragen teilweise an den Rand seiner Selbstbeherrschung getrieben hatten. Das ganze Gespräch, obwohl 'Verhör' wohl die passendere Beschreibung gewesen wäre, hatte ihm mal wieder gezeigt, wie oberflächlich und arrogant die Slytherins eigentlich waren. Ihre Ideale und Werte waren so verdreht, dass Harry schon allein bei dem Gedanken daran schwindelig wurde. Er verstand immer noch nicht, was der sprechende Hut sich eigentlich dabei gedacht hatte, ihn in dieses Haus zu stecken. Ob in seiner oder dieser Zeit: Slytherins und Harry waren einfach nicht auf derselben Wellenlänge. Er konnte ihr Denken einfach nicht nachvollziehen! Das war doch nicht normal. Ihre Vorstellung von der 'Reinheit des Blutes' war in Harrys Auge schon immer vollkommen bescheuert gewesen. Er hatte sich deswegen oft genug mit dem Malfoy aus seiner Zeit angelegt, vor allem, da seine beste Freundin Hermine von Muggeln abstammte. Na und?! Sie war die begabteste Hexe von ganz Hogwarts und hätte den achso reinblütigen Draco Malfoy bei jedem Duell locker in die Tasche gesteckt! Trotzdem war sie in den Augen der Schlangen minderwertig. Und in dieser Zeit schien den Slytherins ihre reinblütige Abstammung sogar noch wichtiger zu sein als in der Zukunft! Harry hätte nie gedacht, dass er das einmal denken würde, aber: er bevorzugte die Slytherins der Zukunft denen der Vergangenheit um Längen! Ihm lief ein Schauer über den Rücken. Wie unheimlich. Und dann war da noch Tom Riddle gewesen! Mit seinem geheuchelten Mitleid hatte er Harry wirklich zur Weißglut getrieben! Und er hatte es sich nicht nur eingebildet, weil er gegenüber Riddle ein, zwei Vorurteile hegte, das Bedauern auf seinem Gesicht war wirklich nur gespielt gewesen! Von dem Mörder seiner Eltern persönlich zu hören, wie leid ihm ihr Tod tat, war schon schlimm genug, aber als Harry dann auch noch in seinen Augen erkannt hatte, wie kalt ihn das Ganze ließ, wie egal es ihm eigentlich war, hätte er ihm am liebsten eine reingehauen. Doch er hatte sich beherrschen können, worauf Harry sogar ziemlich stolz war. Außerdem waren die geschockten Gesichter der Slytherins, als er ihnen offenbart hatte, dass er ein Halbblut war, Entschädigung genug gewesen. Diesen Anblick würde er in seinem ganzen Leben nicht vergessen! Zufrieden grinsend stellte er den Strahl des warmen Wassers ab, das all den Stress und die Hektik des Tages aus seinem Geist vertrieben hatte, bis er von einer tiefen, inneren Ruhe erfüllt war, von der er hoffte, dass sie es ihm ermöglichen würde, diese Nacht wenigstens ein kleines bisschen Erholung zu finden. Riddle kostete ihm noch den letzten Nerv. Harry brauchte einen erholsamen Schlaf, sonst würde er spätestens in einer Woche komplett am Rad drehen! Wenn nicht sogar früher, sollten die nächsten Tage dem gleichen Schema folgen wie der heutige Höllentrip. Was für ein Albtraum. Mit einer Hand an der Wand verließ Harry die Duschnische, dann streckte er die Finger nach den verschleierten Umrissen des Handtuches auf dem Regal aus, um sich nachlässig mit dem weichen Baumwollstoff abzutrocknen, erstarrte jedoch in der Bewegung, als ihm wie Schuppen von den Augen fiel, dass er seine Klamotten für die Nacht auf seinem Bett vergessen hatte. Na toll. Verärgert über seine eigene Dummheit schlang Harry sich das Handtuch um die Hüften, dann setzte er sich seine Brille auf, die ihm dieses Mal jedoch dank der beschlagenen Gläser keine Hilfe auf dem Rückweg war, weshalb er sich sogleich den großen Zeh an der Ecke der Duschnische stieß. Einen Fluch unterdrückend umfasste Harry seinen schmerzenden, rechten Fuß, die Zähne so fest zusammengebissen, dass er glaubte, ein Knirschen zu vernehmen. Er wartete mehrere Sekunden, bis der Schmerz auf ein erträgliches Maß abebbte, bevor er seinen Weg fortsetzte, dieses Mal um einiges umsichtiger. Er lugte unter den Rändern seiner milchigen Gläser hervor , um das Bad nach seiner Kleidung abzusuchen, die er, so glaubte er, in der Nähe der geschlossenen Tür auf dem Boden entdeckte. Zumindest erkannte er dort einen Schatten, der die ungefähre Form eines zerknüllten Haufens Stoff aufwies. Harry bückte sich nach dem dunklen Etwas, das sich tatsächlich als seine Schuluniform herausstellte, dann zog er sich seine Brille von der Nase, deren Gläser er an dem Umhang abwischte, bis sie wieder einigermaßen klar erschienen. Zufrieden setzte er sie wieder auf, bevor er sich den Waschbecken zuwandte, die in der Mitte des Raumes in einem Kreis aufgestellt worden waren. Seine Zahnbürste und Zahnpasta lagen zu Harrys Freude noch an derselben Stelle, an der er sie am morgen im Halbschlaf zurückgelassen hatte, sodass er sich schnell die Zähne putzen konnte, während er in Gedanken mit sich haderte, ob er sich überhaupt die Mühe machen sollte, seine widerspenstigen Haare zu bürsten, entschied sich jedoch dagegen, da er aus Erfahrung wusste, dass es eh nichts bringen würde, dann klaubte er seine restlichen Klamotten zusammen und verließ schlussendlich erfrischt und zufrieden das Bad. Was er auf seinem Bett entdeckte ließ seine Stimmung jedoch sogleich wieder in den Keller fallen. Verdammt, das konnte doch nicht wahr sein! Tom Vorlost 'Ich-nerve-Harry-zu-Tode' Riddle saß mit übereinander geschlagenen Beinen auf Harrys Decke, in den Händen ein übertrieben dickes Buch, das Hermine vor Neid wahrscheinlich hätte erblassen lassen. Streber unter sich. Nur, dass einer von ihnen zum wahnsinnigen Massenmörder aufsteigen würde. Obwohl, wenn Harry es sich recht überlegte... Hermine wäre sicher nicht scharf darauf, sich Voldemorts Bettlektüre zu Gemüte zu führen. Das konnte nicht gesund sein. Neugierig legte Harry den Kopf schräg, um den Titel zu lesen, doch bevor er die goldenen Buchstaben entziffern konnte, klappte das Buch plötzlich zu. „Harry“, rief die dem Gryffindor so verhasste Stimme Riddles erfreut aus, während der blauäugige Junge das Buch mit der Vorderseite nach unten neben seinem Oberschenkel auf dem Bett ablegte, sodass Harry nur noch die in dunkles Leder gebundene, unbeschriftete Rückseite sehen konnte. Zufall? Das bezweifelte Harry doch sehr. Riddle überließ nichts dem Zufall, das war ihm klar. „Ich habe auf dich gewartet“, erklärte der Erbe Slytherins in leichtem Plauderton, was in Harrys Ohren allerdings wie eine offene Drohung klang, die alle Alarmglocken in seinem Kopf auf einmal schrillen ließ, vor allem, wenn er das Verhör der Slytherins noch einmal Revue passieren ließ. Gar nicht gut. Was auch immer Riddle von ihm wollte, es hing wahrscheinlich mit dem zusammen, was Harry im Gemeinschaftsraum gesagt hatte hatte, was dem Gryffindor ganz und gar nicht gefiel. Er musste aufpassen, was er dem Möchtegern-Lord gegenüber erwähnte. Wenn er zu viel verriet, war er geliefert. Gut, tief durchatmen, mahnte er sich selbst in dem kläglichen Versuch, seine angespannten Nerven zu beruhigen. Jede Entspannung, die ihm das warme Wasser gebracht hatte, war wie weggeblasen, dafür kehrten die Müdigkeit und Erschöpfung des Tages mit aller Macht zurück, wofür er Riddle verantwortlich machte. Warum konnte dieser nervtötende Idiot denn nicht bis morgen warten, wenn Harry ausgeruht war? Musste er ihm heute Abend denn auch noch auf die Pelle rücken? Hatten sie das heute nicht schon hinter sich? Genervt ließ Harry seinen Blick durch den Raum schweifen, versuchte, seine vor Erschöpfung konfusen Gedanken zu ordnen, da fiel ihm etwas seltsames auf. Wo, zum Teufel, war Riddles Hofstaat? „Wo sind denn die anderen?“, fragte Harry in bemüht leichtem Ton, um den anderen Jungen seine innere Aufgewühlt nicht spüren zu lassen. Er und Riddle alleine in einem Raum? Wenn das mal nicht nach hinten losging. „Sie müssen sich erst einmal von ihrem Schock erholen“, erwiderte Riddle mit einem wissenden Schmunzeln auf dem makellosen Gesicht, während seine Augen langsam und stetig an Harry hinunterglitten, bevor sie mit einem seltsamen Blitzen zu seinem Gesicht zurückkehrten. Verstimmt runzelte der Gryffindor die Stirn. Was hatte Riddle für ein Problem? Waren die Leute in der Vergangenheit etwa so prüde, dass sie ein Problem damit hatten, wenn man als Junge in Gegenwart anderer Jungs halbnackt durch die Gegend lief? Das war doch vollkommen normal. Außerdem hatte Harry sogar ein Handtuch um, kein Grund zur Aufregung. Merlin, war der junge Lord verklemmt. Einen kurzen Augenblick musterte Riddle Harry noch mit diesem seltsamen Ausdruck, dann lehnte er sich ganz entspannt auf Harrys Bett zurück, die Arme hinter seinem Rücken aufgestützt. „Du hast für ganz schön viel Unruhe gesorgt.“ Harry unterdrückte ein Schnauben. Das war wohl noch eine Untertreibung. Wahrscheinlich hatte er die Weltanschauung der Schlangen in ihren Grundfesten erschüttert. Und das mit dem größten Vergnügen. Riddles eisig blaue Augen bohrten sich in Harrys, doch wenn er dachte, einen Gryffindor damit einschüchtern zu können, hatte er sich geirrt. Trotzig hielt Harry seinem Blick stand. „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.“ Riddle ließ ein leises, dunkles Lachen vernehmen. „Natürlich nicht.“ Seine Stimme triefte regelrecht vor Sarkasmus, während ein bedrohlicher Ausdruck in seine Augen trat, den Harry jedoch guten Gewissens ignorierte. Riddle konnte ihn mal. Er war müde. Er wollte schlafen. Riddle konnte von ihm aus hingehen, wo der Pfeffer wuchs. Harry war für diese Art von Gespräch momentan nicht aufgelegt. Dafür brauchte er einen klaren Kopf, den er jetzt einfach nicht hatte. Mit wenigen, weit ausholenden Schritten durchmaß er den schwach beleuchteten Raum, bis er neben der Riddle-freien Seite seines Bettes stand, dann warf er die Klamotten in seinen Armen achtlos auf die Decke, dabei brach er seinen Blickkontakt mit Riddle nicht auch nur eine Sekunde. Das wäre ja noch schöner. Harry würde bestimmt nicht als erstes den Blick abwenden, das konnte Riddle sich abschmieren. Wütend verschränkte Harry die Arme vor der Brust, eine Augenbraue auffordernd gehoben, doch der junge Lord bewegte keinen Muskel. „Das ist mein Bett“, knurrte Harry verstimmt, als der Möchtegern-Lord ihm ein engelsgleiches Lächeln schenkte, sich offensichtlich darüber im Klaren, worüber der Gryffindor sich ärgerte. „Setz dich auf dein eigenes. Ich will schlafen.“ „Aber hier ist es gemütlicher“, behauptete Riddle, während er sich auf der Kante von Harrys Bett umsetzte, sodass er sich nicht mehr den Hals verdrehen musste, um Harry anschauen zu können. „Komm schon, lass uns doch noch etwas reden.“ Bei Merlin, warum erschoss er ihn nicht gleich, fuhr es Harry durch den Kopf, als er das gefährliche Blitzen in Riddles Augen erkannte. Das würde ihnen beiden sehr viel Zeit ersparen. Bei diesem Gedanken hätte Harry beinahe bitter gelacht. Wahrscheinlich würde Riddle genau das tun, wenn er ihm die Chance dazu gab. „Wir haben nichts zu bereden, Riddle.“ Sein Gegenüber setzte eine übertrieben freundliche Miene auf. „Das sehe ich anders.“ Er beugte sich leicht vor, was Harry beinahe einen Schritt zurückweichen ließ, doch irgendwie schaffte er es, den Impuls zu unterdrücken und stattdessen lediglich seine Hände zu Fäusten zu ballen. Abermals wanderte Riddles Blick forschend über Harrys Körper, länger und auf eine unangenehme Weise ausgiebiger als zuvor, doch die Abscheu wurde schnell von einem Gefühl der Überlegenheit überschattet, als dem Gryffindor auffiel, dass der Möchtegern-Lord als Erster weggeschaut hatte. Dieses Duell hatte Harry gewonnen, auch wenn es sich nicht so anfühlte, doch das ignorierte er einfach. Gewonnen war gewonnen. Etwas milder gestimmt beugte der grünäugige Junge sich vor, um seine Schlafsachen unter dem Kopfkissen hervorzuziehen, die eisigen Augen auf seinem Körper wohlweislich ignorierend. „Weiß du, Harry“, begann Riddle nach einer Weile des Schweigens, als Harry gerade das Handtuch von seiner Hüfte löste, „nicht viele wären so… mutig, dem versammelten Slytherin-Haus direkt an ihrem ersten Tag die Stirn zu bieten.“ Oder dumm genug, konnte Harry regelrecht aus Riddles Tonlage heraushören, und auch wenn er es nicht laut aussprach, war Harry davon überzeugt, dass dem Möchtegern-Lord genau diese Worte auf der Zunge lagen. Wütend biss er die Zähne zusammen, während er das Handtuch auf den Teppich warf und nach seiner Schlafanzughose griff, ohne Riddle auch nur eines Blickes zu würdigen. Am besten, er ignorierte ihn für den Rest der Nacht. Vielleicht würde der junge Lord dann irgendwann aufgeben, redete Harry sich hoffnungsvoll ein, wusste aber, dass es vergebene Liebesmüh war. Riddle würde Harry wahrscheinlich so lange nerven, bis er bekam, was er wollte. Das waren ja tolle Aussichten. Frustriert ließ Harry sich auf die Matratze sinken, um sich seine Hose leichter anziehen zu können, doch gerade, als er den Stoff bis zu den Knien hochgezogen hatte, versetzte Riddle ihm einen verbalen Schlag in die Magengrube: „Das war ziemlich beeindruckend.“ Geschockt fuhr Harry zu ihm herum, um ins Gesicht schauen zu können, doch sogleich bereute er es, denn was er da sah, ließ ihn an seiner geistigen Gesundheit zweifeln: Aufrichtigkeit. Bei Tom Vorlost Riddle, dem größten Lügner weit und breit und potentiellen Massenmörder. Genau, Harry musste langsam verrückt werden. Riddle wusste wahrscheinlich noch nicht einmal, was sich hinter dem Begriff 'Wahrheit' verbarg. Jedes seiner Worte war von vorne bis hinten gelogen, es war unmöglich, dass Riddle es ernst meinte. Und wenn doch, dann war es umso schlimmer. Schon allein die Vorstellung, der junge Voldemort-Verschnitt könnte auf irgendeine Weise von ihm beeindruckt sein, ließ Harrys Magen verrückt spielen. Da war es ihm ja lieber, wenn er den Verstand verlor. Harry hatte den Schock gerade mal halbwegs verdaut, da versetzte Riddle ihm den nächsten, indem er ohne Vorwarnung die Hand nach ihm ausstreckte, was Harry augenblicklich aufspringen ließ, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass er seine Hose erst halb angezogen hatte, sodass er nun mit entblößter Front vor Riddle stand, dessen Gesicht sich genau auf Höhe seines besten Stücks befand, das dieser ungeniert mit einem listigen Lächeln musterte. Gut, dass war jetzt doch mehr als unangenehm. Von wegen prüde! Wütend zog Harry die Hose bis zu seinen Hüften hoch, während er Riddle mit bösen Blicken zu erdolchen versuchte, doch dieser lehnte sich lediglich abfällig grinsend zurück, wofür Harry ihm am liebsten eine reingehauen hätte. Wieder einmal. Seltsam, normalerweise war er nicht gewalttätig, doch Riddle trieb ihn mit seiner Heuchelei und Überheblichkeit schlichtweg zur Weißglut. „Kein Grund, so panisch zu reagieren. Ich tu dir schon nichts“, behauptete Riddle mit Unschuldsmiene, doch dieses mal war die Ehrlichkeit in seiner Stimme eindeutig nur gespielt, nicht, dass Harry ihm diese Worte jemals abgekauft hätte. Wahrscheinlich war das davor auch gelogen gewesen. Riddle und ehrlich? Diese Begriffe stießen sich von Natur aus ab. Harry weigerte sich, dem Möchtegern-Lord eine Antwort zu geben, stattdessen richtete er seine gesamte Aufmerksamkeit auf sein plötzliches sehr interessantes Oberteil, das er sich einfach nur überwarf ohne es zuzuknöpfen. „Das sieht nicht gut aus“, erhob Riddle abermals die Stimme -konnte er nicht einfach die Klappe halten?-, während er sich bedeutungsvoll auf die Schulter tippte, den Blick jedoch auf Harry gerichtet hielt. Verblüfft strich Harry sich den Stoff zuerst von der rechten Schulter, nichts zu sehen, und dann von der linken, auf der ihm ein riesiger, blau angelaufener Bluterguss in seiner ganzen Pracht entgegen strahlte. Verwirrt zog er die Augenbrauen zusammen, dann erinnerte er sich an seinen Zusammenstoß mit der Wand auf dem Gang, als Riddle ihn nach seinem Gespräch mit Dumbledore abgefangen hatte. Also ging der Bluterguss ebenfalls auf die Kappe des Möchtegern-Lords. Warum überraschte Harry das nicht. „Ich kenne einen einfachen Zauber, mit dem ich das heilen könnte“, bot Riddle hilfsbereit, wie er nun einmal war, bestimmt ohne auch nur den Hauch eines Hintergedankens an, doch seltsamerweise verspürte Harry einen gewissen Unwillen bei der Idee, Riddle mit einem Zauberstand in der Hand auf ihn loszulassen. Wie das nur kam? „Danke, kein Bedarf.“ Missmutig schob Harry den Ärmel wieder zurück über den Bluterguss, der, so fiel ihm erst jetzt auf, sich durch ein leichtes Ziehen bemerkbar machte, Harry ansonsten aber, Merlin sei Dank, verschonte. Nett von ihm. Ganz in Gegensatz zu einem gewissen dunkelhaarigen Jungen, dem Ursprung allen Übels auf der Welt, wie Harry von ganzem Herzen glaubte. Er warf dem Fluch seines Lebens einen mörderischen Blick zu, was diesem sehr zu Harrys Verdruss lediglich ein engelsgleiches Lächeln auf das Gesicht zauberte. Der junge Gryffindor spürte die Wut abermals in seinem Inneren brodeln. Das Schweigen zwischen ihnen zog sich in die Länge, bis Harry sich letztendlich laut seufzend geschlagen gab. Es half ja alles nichts. Wenn das so weiterging, würde der junge Lord ihn noch die ganze Nacht wachhalten. „Was willst du, Riddle?“, fragte Harry gereizt, als er sich an das Kopfende seines Bett setzte, so weit von seinem persönlichen Folterknecht entfernt, wie der begrenzte Platz es zuließ. Er zog ein Knie nah an seinen Körper heran, das andere ließ er über den Rand des Bettes baumeln, während sein Blick unruhig durch das Zimmer wanderte. Ein leises Rascheln drang an sein Ohr, woraufhin er den Blick auf Riddle richtete, dessen strahlend blaue Augen plötzlich viel zu nah war. „Mir ist heute Abend etwas aufgefallen, Harry“, sprach Riddle mit bedrohlich leiser Stimme, die Harry mulmig zumute werden ließ. Wie Stahlklauen umfassten seine Finger den Knöchel seines angezogenen Beines. „Das kann ja heiter werden.“ Belustigung zuckte über Riddles Gesicht, doch er hatte seine Züge schnell wieder unter Kontrolle. „Wir sind uns ähnlich, Harry. Sehr sogar.“ Langsam beugte Riddle sich vor, sodass sein warmer Atem über den Harrys Hals strich, was ihn vor Abscheu schaudern ließ. Indem Versuch, dem unangenehmen Gefühl zu entkommen, lehnte er sich an das Holzteil am Kopfende seines Bettes an. Viel, viel zu nah. „Das bezweifle ich“, knurrte er streitlustig, bevor er es verhindern konnte, hätte sich dafür aber am liebsten sogleich selber einen Kinnhaken verpasste, schließlich verfolgte er noch immer den Plan, Riddle das Interesse an ihm verlieren zu lassen, indem er sich unterwürfig und unscheinbar gab, auch wenn er bisher durchweg armselige Arbeit geleistet hatte. Es lag einfach nicht in seiner Natur als Löwe, zudem war er viel zu erschöpft, um nachzudenken, bevor er sprach. Warum konnte Riddle nicht einfach bis morgen warten? Herrgott, wovon sprach der Kerl da eigentlich? Sie waren sich nicht ähnlich, überhaupt nicht. Was auch immer die Erinnerung von Riddle aus dem Tagebuch in Harrys zweitem Schuljahr behauptet haben mochte, sie hatten keinerlei Gemeinsamkeiten. Es gab nichts, worin sie sich auch nur ansatzweise ähnelten. Allein die Vorstellung war ihm so zuwider, dass Harry glaubte, ihm würde alles hochkommen. Der Möchtegern-Lord ging nicht auf Harrys Worte ein, stattdessen kam er sogar noch näher, sodass Harry die Wärme, die sein Körper ausstrahlte, auf seiner Haut spüren konnte. Widerlich. Er musste ein Würgegeräusch in seiner Kehle unterdrücken, was ihn all seine Selbstbeherrschung kostete, dafür erlag er dem Reflex, von dem anderen Jungen abzurücken, bis er sich dicht an das Holzteil in seinem Rücken gepresst wiederfand.. Riddle ließ sich von seinem Verhalten nicht beirren. „Es mag dich überraschen, aber ich bin auch ein Halbblut“, setzte er Harry in Kenntnis, offensichtlich mit der Absicht, irgendeine Art von Verbundenheit zwischen ihnen aufzubauen, aber da Harry bereits alles über seine Herkunft wusste, rang Riddles Geständnis ihm lediglich ein müdes Lächeln ab. „Was du nicht sagst“, rutschte es ihm unbeabsichtigt heraus, wobei der sarkastische Unterton nicht zu überhören war. Verdammt, falsche Antwort. Schlimmer ging nimmer. Harry konnte regelrecht spüren, wie die Temperatur im Schlafraum in dem Bruchteil einer Sekunde auf den Nullpunkt zuraste. Sein ganzer Körper verkrampfte sich schmerzhaft, während er auf Riddles Reaktion wartete, doch das Schweigen zwischen ihnen zog sich in die Länge, bis Harry es kaum noch aushielt, da flüsterte der junge Lord ihm bedrohlich leise ins Ohr: „Warum habe ich das Gefühl, dass dich das nicht sonderlich überrascht?“ Harry schluckte schwer. „Jemand aus Slytherin hat es mir bereits erzählt“, log er wild drauf los, doch dafür, dass die Worte wie von selbst aus ihm heraussprudelten, klangen sie ziemlich überzeugend, fand er. Riddles Körper versteifte sich augenblicklich. „Wer?“ Der grausame, eisige Ton in seiner Stimme ließ Harry die Nackenhaare zu Berge stehen, dennoch es gelang es ihm, eine selbstsichere Antwort von sich zu geben. „Kein Ahnung, ich kann mir die Namen noch nicht so gut einprägen. Ich bin neu, schon vergessen?“ Riddles Präsenz schien sich bei seinen Worten abermals zu verdunkeln, bis Harry glaubte, von einer undurchdringlichen Dunkelheit umgeben zu sein, die nur darauf wartete, ihn mit Haut und Haaren zu verschlingen. „Und was hat derjenige dir sonst noch erzählt?“, fragte Riddle bedächtig, lauernd. Gefährlich. Harry beschloss, sein Heil in der Flucht nach vorne zu suchen. Was hatte er in dieser Situation noch zu verlieren? Abgesehen von seinem Kopf natürlich, den er soeben bereitwillig in das Maul der Schlange gelegt hatte. Er war ja manchmal so dumm. Wie sollte er Hermine jemals wieder unter die Augen treten? „Dass du in einem Waisenhaus der Muggel aufgewachsen bist“, ließ Harry seinen Todfeind, der nur einen Arm auszustrecken brauchte, um Harry das Genick zu brechen, mit solch ruhiger Stimme wissen, dass es ihn selbst überraschte, „und dass du nichts über Zauberei wusstest, bis Dumbledore bei dir aufgetaucht ist, um dich an diese Schule zu holen.“ Harry biss sich auf die Lippe, bevor er noch mehr verraten konnte. Er bewegte sich bereits zu nah am Rand, noch ein Stoß und er würde kopfüber in den dunklen Abgrund stürzen. Das würde er doch sehr gerne vermeiden, wenn es ging. „Hm“, brummte Riddle nachdenklich, was nicht gerade half, die Anspannung, die Harry beinahe zu erdrücken schien, aufzulockern, dann fuhr der Möchtegern-Lord mit tiefer, lockender Stimme fort: „Du weißt ziemlich viel über mich. Findest du mich so interessant?“ Das verschmitzte Lächeln war auf seine Züge zurückgekehrt, was in Harry das beinahe unwiderstehliche Verlangen wachrief, es ihm ein für allemal auszutreiben. Wie gerne, hätte Harry dem doch nachgegeben! Stattdessen begnügte er sich mit einem abfälligen Schnauben. „Träum weiter.“ Riddles Lächeln nahm etwas raubtierhaftes an. „Gerne. Mit dir in der Hauptrolle.“ Darauf... hatte Harry keine Antwort. Unmöglich. Er war... vollkommen sprachlos. Was stimmte mit diesem Kerl nur nicht?! Fassungslos starrte er Riddle an, in dessen Augen er einen seltsamen, undefinierbaren Ausdruck bemerkte, als dieser die Hand hob, um dem vor Schreck regungslosen Harry über die Wange zu streichen. „Du hast etwas besonders an dir, Harry, das habe ich schon bei unserem Treffen gestern gespürt, aber jetzt weiß ich auch, was es ist.“ Na toll, der Voldemort-Verschnitt hatte tatsächlich einen Narren an ihm gefressen. Verzweifelt musste Harry mitansehen, wie all seine Hoffnungen, Riddle könnte das Interesse an ihm wieder verlieren, vor seinem geistigen Augen in tausend Scherben zersprangen. Und jetzt? Harry stieß ein nervöses Lachen aus. „Keinen Schimmer, wovon du sprichst.“ Süffisant lächelnd beugte Riddle sich so weit vor, dass ihre Lippen sich beinahe berührten, was in Harry den Drang auslöste, ihn so hart wie nur irgend möglich von sich zu stoßen, doch die Absurdität dieser ganzen Situation machte es ihm unmöglich, auch nur einen Muskel zu rühren. Riddle nutzte seine Verwirrung aus und umfasste sein Kinn mit festem Griff, der Harry ganz klar zu verstehen gab, dass der junge Lord in dieser Situation keinerlei Gegenwehr dulden würde. Als würde Harry sich darum scheren! Dennoch hielt er still. Zumindest vorerst. Riddles letzte Worte schwirrten ihm immer noch im Kopf herum, ohne dass er ihre Bedeutung auch nur ansatzweise verstand. Oder verstehen wollte. Nein, am besten, er dachte nicht weiter darüber nach. Riddle hatte ganz eindeutig einen Sprung in der Schüssel. „Ich glaube“, begann Riddle mit ruhiger, gefasster Stimme, „dass du ganz genau weißt, wovon ich spreche.“ Unnachgiebig bohrte sich sein Blick in Harrys weit aufgerissene Augen, als wollte er dort nach all den Antworten suchen, die Harry sich weigerte, ihm zu geben, als könnte er dort all die Geheimnisse aufdecken, der junge Gryffindor so verzweifelt zu schützen versuchte. Trotzig hielt Harry dem prüfenden Blick des Voldemort-Verschnitts stand, entschlossen, sich nicht weiter von ihm einschüchtern zu lassen. Bei der erstbesten Gelegenheit würde diesen arroganten Mistkerl quer durch den Raum werfen. Blind tastete Harry mit einer Hand nach seiner Schuluniform, in deren Innentasche er seinen Zauberstab zu jedem Zeitpunkt griffbereit aufbewahrte. Riddle schien sein Vorhaben nicht zu bemerken. „Zwischen uns gibt es eine Verbindung, das kann ich ganz genau spüren. Und ich bin davon überzeugt, dass es auch kannst.“ Harrys Herz setzte einen Schlag aus, seine Finger stellten ihre Suche ein. Mit aller Macht unterdrückte er den Impuls, eine Hand auf die Stirn zu legen, um seine Narbe vor Riddles viel zu wachsamen Augen zu schützen. Wusste er es? Ahnte er etwas? Hatte Harry sich irgendwie verraten? Spürte Riddle die Magie, die von der gezackten Linie ausging? Riddles Lächeln wurde eine Spur breiter, eine Spur gefährlicher. „Wir sind zwei Halbblüter in einem Haus voller Menschen, die in uns nichts anderes als Missgeburten sehen, Harry. Das verbindet und.“ Beinahe schmerzhaft verstärkte sich der Druck seiner Finger um Harrys Kinn, verhinderte, dass er den Blick abwenden konnte, und dann, endlich, erkannte der Gryffindor, was sich hinter hinter dem seltsamen Ausdruck in Riddles Augen verbarg: Wahnsinn. Abgrundtiefer, grenzenloser Wahnsinn, wie Harry ihn in seinem bisherigen Leben nur bei einem Monster gesehen hatte: Voldemort. Bei dieser Erkenntnis gefror ihm das Blut in den Adern, Schweiß trat ihm auf die Stirn, ein Zittern lief durch seinen Körper, doch all das war nichts verglichen mit dem, was Riddles nächsten Worte in ihm auslösten. „Als Halbblüter müssen wir zusammenhalten. Harry, denk doch nur mal darüber nach. Wenn wir uns zusammentun würde, könnte uns niemand das Wasser reichen. Wir wären unbesiegbar.“ Ein selbstsicherer Ausdruck trat auf Riddles Gesicht, anscheinend davon überzeugt, dass seine Worte bei Harry auf Wohlwollen und Zustimmung treffen würde. Für einen Augenblick schwieg Harry, zu geschockt von der Erkenntnis, dass Voldemort tatsächlich versuchte, ihn, Harry Potter, auf seine Seite zu ziehen, doch dann konnte er nicht länger an sich halten: er lachte aus vollem Hals. Es war einfach zu lächerlich, zu absurd, um diese Situation noch ernst zu nehmen, um Riddle ernst zu nehmen. Es ging einfach nicht. Der Bann war gebrochen, die Angst wie weggeblasen. Und auch wenn Riddle ihn noch so böse anschaute, der Irrsinn in seinen Augen noch so mörderisch aufflackerte oder die Aura seiner Magie noch so bedrohlich waberte, Harry konnte einfach nicht aufhören zu lachen. Selbst als Riddles Finger so stark zupackten, dass Harry schon befürchtete, er würde ihm den Kiefer brechen, hielt sein Lachkrampf an. Es war so schlimm, dass ihm tatsächlich Tränen in die Augen traten. Wann war ihm das das letzte Mal passiert? Er erinnerte sich nicht. Harry hatte das Gefühl, eine Ewigkeit zu lachen. Er fragte sich, ob es an der Anspannung und der Verwirrung, die ihn den ganzen Tag über begleitet hatten, lag, dass er nicht aufhören konnte oder ob er langsam durchdrehte, verwunderlich wäre es nicht, wenn man bedachte, in welcher Gesellschaft er sich befand -vielleicht war Wahnsinn ja ansteckend-, aber wen kümmerte es? Es tat so gut,sich einfach alles von der Seele zu lachen. Harry glaubte zu spüren, wie ein riesiger, zentnerschwerer Stein von seinem Herzen fiel, wie die Last langsam von seinen Schultern rutschte, bis ihn eine solche innere Ruhe und Gelassenheit erfüllten, dass er beinahe vergessen hätte, dass er nicht alleine war. Zum Glück war Riddle so freundlich, ihn in die Realität zurückzuholen. „Was ist denn so lustig, Harry?“, fragte der junge Lord mühsam beherrscht, was Harrys Lachen dazu veranlasste, sich zu einem leisen Glucksen abzuschwächen, auch wenn es nicht ganz verstummte. „Das“, setzte er an, musste jedoch abbrechen, als ihn ein weiterer Lachkrampf schüttelte, bevor er mit etwas zittriger Stimme fortfuhr: „Das war einfach zu gut. Du hast ja keine Ahnung, wie abwegig deine Worte waren. Du und ich? Uns zusammentun?“ Schlagartig wurde Harry ernst, das Lachen erstarb restlos, sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. Entschlossen blickte er Riddle in die vor Verwunderung geweiteten Augen. „Das wird niemals passieren. Nur über meine Leiche.“ Energisch entriss er sein Kinn Riddles mittlerweile erschlafften Fingern. „Und jetzt verschwinde von meinem Bett. Wir haben nichts mehr zu bereden.“ Herausfordernd blickte er seinem Erzfeind entgegen, der sich seltsam ruhig verhielt, wenn man bedachte, wie jähzornig Voldemort immer gewesen war. Oder sah Harry sich nur der berühmt-berüchtigten Ruhe vor dem Sturm entgegen? Für einen Augenblick schien sich Harrys Befürchtung zu bewahrheiten. Ein Schatten legte sich über Riddles Gesicht, Zorn blitzte in seinen strahlend hellen Augen auf, in denen Harry einen roten Schimmer aufleuchten zu sehen glaubte, doch er war so schwach, dass es auch Einbildung gewesen sein konnte, dann, als wäre es das einfachste auf der Welt, setzte Riddle seine Maske des vorbildlichen Musterschülers auf, verbarg seine wahren Gefühle hinter falscher Freundlichkeit und seinem perfekten Lächeln, die Harry in diesem Moment mehr Angst machten als jeder noch so ausgeartete Wutausbruch bewerkstelligt hätte. Das war einfach nicht normal. „Ich an deiner Stelle wäre mir da nicht so sicher, Harry“, sagte Riddle in übertrieben freundlichem Tonfall, eine ganz klare Drohung an Harry, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte, bevor er mit verschwörerisch gesenkter Stimme hinzufügte: „Ich kann sehr überzeugend sein.“ Dann -endlich!- er mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen von Harrys Bett. „Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch. Gute Nacht.“ Harry antwortete ihm nicht. In seinem Inneren toste ein Sturm von widersprüchlichen Gefühlen. Zum einen war er ziemlich stolz auf sich, Riddle so offensichtlich vor den Kopf gestoßen zu haben, sicherlich gefiel es dem jungen Lord gar nicht, wenn er seinen Willen nicht bekam, zum anderen beschlich ihn die ungute Vorahnung, soeben den größten Fehler seines Lebens begangen zu haben. Nicht, dass er jemals auch nur in Betracht ziehen würde, sich auf Voldemorts Seite zu stellen, schon allein bei dem Gedanken wurde ihm kotzübel, aber vielleicht war es nicht gerade seine beste Idee gewesen, Riddle so offen auszulachen. Mit leerem Blick starrte Harry vor sich hin, dann beugte er sich mit gestrafften Schultern vor, zog seinen Zuaberstab aus seinem Umhang und begann, ein gutes Dutzend verschiedener, teilweise komplizierter Sprüche auf sein Bett zu legen. Als er einen verdächtig gut gelaunten Riddle im Bad verschwinden sah, beschloss Harry, noch ein halbes Dutzend draufzulegen. 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