Schatten der Vergangenheit von Zerina ================================================================================ Kapitel 7: Konsequenzen ----------------------- Erschöpft legte Harry die Stirn gegen die kühle Steinwand des ausgestorbenen Korridors. Dieser Tag hatte ihm wirklich alles abverlangt. Und würden sich bestimmt auch nicht als Erholungsurlaub entpuppen. Mit Grauen dachte er an das, was ihm noch bevorstand, bis er endlich einen Weg zurück in seine Zeit finden würde. Horror pur. Müde seufzend drehte Harry sich um und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Mauerwerk. Er schloss die Augen, genoss die Ruhe, die ihm Riddle durch seine Abwesenheit kurzzeitig gönnte. Harry war es gelungen, den Möchtegern-Lord auf dem Weg zum Abendessen in der Großen Halle abzuhängen, als sich eine Traube Bewunderer um Riddle gebildet hatte, die ihm den Blick auf Harry versperrte, als dieser in einen dunklen Gang abbog, der ihn in die entgegengesetzte Richtung geführt hatte, weit weg von seinem ständigen Schatten. Er wusste, dieses Glück würde nur von kurzer Dauer sein, daher beschloss Harry, es in vollen Zügen auszunutzen. Er musste sich einen Plan zurechtlegen, wie er die nächsten Tage -er weigerte sich, in Monaten zu denken- bis zu seiner Rückkehr überleben sollte. Doch alleine würde ihm dies wohl kaum gelingen, überlegte er, während sein Blick über den leeren Gang glitt. Es war an der Zeit, sich einen Verbündeten zu suchen. Dunmbledore hatte ihn nach ihrer heutigen Stunde zu einer Tasse Tee am Abend eingeladen und Harry würde sich hüten, dieses Angebot von dem einzigen Menschen an dieser Schule, der neben ihm Riddles wahres Gesicht sehen konnte, auszuschlagen. Außerdem war Dumbledore in der Zukunft Harrys Mentor, vielleicht sogar die einzige Vorbildfigur, die er noch hatte. Er war der einzige, dem Harry sich in dieser Zeit anvertrauen konnte. Entschlossen stieß Harry sich von der Wand ab, dann lief er strammen Schrittes den Korridor hinunter, begleitet von einem dumpfen Hallen, das seine Schuhe auf dem Steinboden hervorriefen und von den kalten Wänden zurückgeworfen wurde. An der nächsten Ecke bog er nach rechts ab, bevor er einen hohen Gang betrat, der dank des hellen Mondlichts, das durch eine riesige Fensterfront zu Harrys Linken fiel, eine seltsam mystische Atmosphäre vermittelte, die Harry jedoch kaum beachtete, als er nach der Hälfte des Weges stehen blieb und sich einer dunklen Holztür zuwandte. Auf einem goldenen Schild an der Wand stand in schwarzen Buchstaben verfasst: Professor Albus P. W. B. Dumbledore. Harry nahm einen tiefen Atemzug, hob eine Hand und klopfte sachte an die einfache Tür, die sich wenige Augenblicke schwungvoll von selber öffnete, um ihn Einlass zu gewähren. Ohne zu zögern betrat Harry einen kleinen mit allerlei Muggel-Sachen vollgestopften Raum, der eher an eine Rumpelkammer erinnerte denn an das Büro des Hauslehrers der Gryffindors. Harry war fasziniert, wie viele... unnütze Dinge in dieses Zimmer passten, während er sich fragte, wie Professor Dumbledore es hier aushielt, ohne Platzangst zu bekommen. Er hatten diesen Raum vielleicht gerade mal vor fünf Sekunden betreten, doch schon jetzt spürte er, wie sich sein Herzschlag beschleunigte und seine Atemzüge verkürzten. Kam es ihm nur so vor oder kamen die Wände langsam auf ihn zu? In dem Versuch, seine aufgewühlten Nerven zu beruhigen, schloss Harry die Augen, blendete alles um sich herum aus, doch fast fast im gleichen Moment öffnete er sie wieder, um nach seinem späteren Mentor Ausschau zu halten. Eben diesen entdeckte Harry hinter einem breiten, mit Schachteln und Dosen überladenen Schreibtisch, in der einen Hand ein zerfleddertes Buch, in der anderen einen Schokoladenfrosch, der sich laut quakend über die grobe Behandlung beschwerte. Ohne das Gezeter zu beachten, biss der zukünftige Schulleiter dem Schoko-Tier den Kopf ab. In dem Zimmer kehrte Stille ein, bis die Tür hinter Harry mit einem lauten Knall ins Schloss fiel, was sowohl Dumbledore als auch den Gryffindor überrascht zusammenzucken ließ. Dem Verwandlungs-Lehrer rutschte vor Schreck das Buch aus der Hand. „Harry, mein lieber Junge“, grüßte Dumbledore den grünäugigen Jungen leicht desorientiert, während er sich nach seinem gefallenen Buch bückte. „Ich habe dich noch nicht so früh hier erwartet. Keinen Hunger?“ Harry vergrub seine Hände tief in den weiten Taschen seiner Robe. „Nicht wirklich.“ Mit wachsamen Augen musterte Dumbledore ihn über die Halbmond-Gläser seiner Brille, dann wurde sein Blick weicher, wärmer. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie verwirrend das alles für dich sein muss. Du bist sicher sehr erschöpft.“ Harry gab lediglich ein undeutliches Gemurmel von sich, doch das reichte, um Dumbledore ein mitfühlendes Lächeln ins Gesicht zu treiben, das kurz darauf jedoch von einem erschrockenen Gesichtsausdruck abgelöst wurde. „Oh, je! Wo sind nur meine Manieren?“ Hastig lief er um den stolzen Schreibtisch herum zu einem Stuhl, der sich unter der Last einiger Muggel-Apparaturen, die man eigentlich in einer Küche vermuten würde, gefährlich stark nach unten bog. „Setz dich, mein Junge, ich mache uns etwas Tee“, forderte Dumbledore Harry mit einer einladenden Handbewegung auf, während er die Sachen auf dem Stuhl mit einem Schwenk seines Zauberstabes, den er aus den Tiefen seiner himmelblauen Robe gezogen hatte, in der letzten freien Ecke des Raumes zu einem wackeligen Stapel türmte, dann drehte er Harry den Rücken zu, um aus einem Schrank an der Wand zwei bunt verzierte Tassen und eine große Kanne zu nehmen, die er auf einem Tablett platzierte. Harry folgte der Aufforderung des Professors ohne zu zögern, obwohl ihn die Befürchtung beschlich, dass der stark mitgenommene Stuhl jeden Moment unter seinem Gewicht nachgeben würde. Das jämmerliche Knarzen, das Harry vernahm, als er sich hinsetzte, war auch alles andere als vertrauenerweckend. Dumbledore stellte das Tablett auf zwei Dosen auf seinem Schreibtisch ab, dann tippte er die Kanne mit der Spitze seines Zauberstabes an, die durch die Luft schwebend Tee in beide Tassen goss, während Harry seinen Blick abermals über Dumbledores stolze Sammlung allerlei alltäglicher Muggel-Gegenstände gleiten ließ, bis sein Augenmerk auf einen verlassenen Vogelbaum fiel. Er stutzte. „Wo ist Fawkes, Professor?“, fragte er Dumbledore, der ihm gegenüber Platz genommen hatte und gerade fünf Würfel Zucker aus einer giftgrünen Schale in seinem Tee versengte. Verwundert hob der Professor den Blick. „Du kennst ihn?“ Harry nickte. „Er hat mir... schon sehr oft geholfen“, erklärte er mit einem kleinen Lächeln, erfüllt von einer tiefen Dankbarkeit gegenüber diesem intelligenten Phoenix, dem er, das war ihm bewusst, sein Leben zu verdanken hatte. Mit einem sanften Ausdruck auf dem Gesicht hob Dumbledore die Tasse an seine Lippen. „Fawkes überbringt einem alten... Bekannten von mir eine Nachricht. In einigen Tagen sollte er zurück sein.“ Harry nahm diese Aussage mit einem kurzen Nicken zur Kenntnis, dann senkte er seinen Blick auf eine bis zum Rand mit grünlichem Tee gefüllte Tasse, die immer wieder ungeduldig gegen seine Hand stieß, wohl als Aufforderung, dass Harry sie endlich nehmen sollte. Leise lächelnd umfasste er den Henkel. „Zucker?“, bot Dumbledore ihm mit einer Handbewegung an. Harry schüttelte sachte den Kopf. „Nein, danke.“ Schweigen legte sich über den Raum, in dem sie beide vorsichtig an ihren heißen Getränken nippten, bis Harry die Stille schließlich nicht mehr aushielt. Mit einem Klirren stellte er seine Tasse auf einem Untersetzer auf dem Tisch ab. „Warum 'Brown'?“, fragte er so unvermittelt, dass Dumbledore ihn lediglich verwirrt anblinzelte. „Wie bitte?“ Harry fuhr sich etwas unsicher durch das dunkle Haar. „Warum haben Sie meinen Nachnamen in 'Brown' geändert?“ Der Professor lächelte verstehend. „Nun, weißt du, Harry, 'Potter' ist der Name einer äußerst bekannten und sehr stolzen, alten Zaubererfamilie. Würde aus dem Nichts ein Junge auftauchen, der behauptete, eben jenen Namen zu tragen, würde das einige unangenehme Fragen aufwerfen. Ich dachte du würdest diesem unnötigen Trubel vielleicht lieber aus dem Weg gehen.“ Verschwörerisch zwinkerte der verschlagene Professor seinem neuen Schüler zu. Abermals wurde Harry klar, wie brillant der verschroben wirkende, Süßigkeiten liebende Mann in Wirklichkeit war. Und wie viel er ihm zu verdanken hatte. „Danke, Professor.“ Dumbledor prostete ihm mit einem zufriedene Ausdruck zu, was Harry mit einem breiten Grinsen erwiderte. Doch dann fiel ihm wieder etwas ein. In seinem Jahrgang hatte es immerhin ebenfalls eine 'Brown' gegeben. Und wenn er sich recht erinnerte, war auch sie aus einer reinblütigen Zaubererfamilie gewesen. „Aber 'Brown' ist in der magischen Welt auch kein unbeschriebenes Blatt, oder?“, fragte Harry vorsichtig, unsicher, ob seine Erinnerung ihn nicht trübte. Langsam ließ Dumbledore seine Tasse ebenfalls sinken. „In der Tat, Harry.“ Der Professor griff nach einem weiteren Stück Würfelzucker, das er mit einem leisen 'platsch' in seinen Tee fallen ließ. „Allerdings gibt es viele Familien in unserer Welt, die den Namen 'Brown' tragen, immerhin ist er sehr weit verbreitet, und sie sind bei weitem keine solche Berühmtheit wie die Potters. Zudem besucht der Sohn der Potters momentan die siebte Klasse in Hogwarts, was zu einigen peinlichen Situationen führen könnte, würdet ihr euch über den Weg laufen und den gleichen Namen tragen.“ Harry horchte auf. „Jemand aus meiner Familie ist hier?“ Sein Herz schlug vor Aufregung schneller. Er war noch nie einem Mitglied seiner Familie begegnet, nie wirklich, von Angesicht zu Angesicht, außer den Dursleys, auch wenn Harry sich nicht sicher war, ob er diese Leute wirklich als Familie bezeichnen konnte. Oder ob sie das überhaupt wollten. Sie hatten schließlich nie viel für ihn übrig gehabt. Aber wenn wirklich ein Potter hier zur Schule ging, in dieser Zeit, dann konnte er vielleicht endlich mal jemanden von seiner richtigen Familie kennenlernen, und wenn er einfach mit ihm als jüngerer Schüler sprach. Das wäre schon genug. „Du solltest dennoch vermeiden, Mr. Potter zu treffen, Harry“, riss Dumbledore ihn sanftem, aber entschiedem Ton aus seinen Gedanken. Verwirrt zog Harry die Augenbrauen zusammen. „Warum, Professor?“ Dumbledore lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Wir wissen nicht, welche Auswirkungen ein Treffen mit deinem Vorfahren auf die Zukunft haben könnte“, erklärte er nachdenklich, während er mit seiner Hand in der Luft kreisende Bewegungen ausführte, die von einem silberner Löffel in seiner Teetasse, die vor seinem Gesicht in der Luft schwebte, nachgeahmt wurden. „Jede noch so kleine Veränderung der Vergangenheit könnte schwerwiegende Folgen für die Zukunft haben.“ Schweigend strich Harry mit einem Finger an dem Rand seiner Tasse entlang. Er hatte sich schon viele Gedanken über die Konsequenzen gemacht, die seine Reise in die Vergangenheit haben könnte, nicht zuletzt dank der Warnungen, die Hermine ihm in ihrem dritten Schuljahr bezüglich Zeitreisen eingebläut hatte. Aber damals waren sie nur wenige Stunden in die Vergangenheit gesprungen und hatten nur kleine Veränderungen vorgenommen. Dieses Mal handelte sich um Jahrzehnte! Es war unmöglich, dass seine Anwesenheit in dieser Zeit keine Konsequenzen hatte! Er musste seine Präsenz so gering wie möglich halten, um den Lauf der Zeit nicht zu beeinflussen. So war es für alle am Besten. Aber ging das überhaupt noch? War es dafür nicht schon zu spät? Harry seufzte aus der Tiefe seiner Seele, dann ließ er seinen Kopf mit einem dumpfen Knall auf die dunkle Platte des Tisches fallen. Das war alles so kompliziert. „Deswegen auch die Namensänderung“, murmelte er leise, seine Stimme gedämpft durch das Holz. „Ja, das war ein weiterer Grund“, stimmte Dumbledore ihm in sanftem Ton zu. „Sollte dich jemand in der Zukunft erkennen, den du in dieser Zeit getroffen hast, könnte dies eines dieser berüchtigtes Zeitparadoxons auslösen, das sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft beeinflussen und aus ihren Rahmen sprengen könnte. Die Folgen wären verheerend. Durch die Änderung des Namens können wir dem wenigstens teilweise entgegensteuern, auch wenn sich dein Aussehen natürlich kein bisschen verändert hat. Wir können lediglich Sicherheitsvorkehrungen treffen und hoffen.“ Harry erwiderte darauf nichts. Was hätte er auch sagen sollen? Er hatte das Gefühl, als wäre ihm soeben eine riesige Bürde auf die Schultern geladen worden. Er trug somit die Verantwortung für... was? Die gesamte Zukunft? War das Schicksal der magischen Welt denn noch nicht genug gewesen? Musste man noch eine Schippe drauflegen? Abermals senkte sich Stille über den Raum, einzig unterbrochen von einem leisen Klirren, wenn der silberne Löffel gegen das Porzellan von Dumbledores Tasse schlug. Harry schloss die Augen, versuchte die Ruhe und die Geborgenheit, die dieser chaotische Raum ihm gab, in sich aufzunehmen, sich zu beruhigen, seine Gedanken zu ordnen. Sie hatte keinerlei Ahnung, welche Folgen seine Reise in die Vergangenheit auf den Lauf der Zeit hatte. Punkt. Aus. Ende. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es Folgen geben würde, war erdrückend hoch. Also... wenn seine alleinige Anwesenheit alles verändern konnte, warum ging er dann nicht noch einen Schritt weiter, indem er... Erschrocken über die Richtung, die seine Gedanken einschlugen, schüttelte Harry den Kopf. Nein, was dachte er denn da? Er sollte sich nicht einmischen! Er durfte sich nicht einmischen. Noch war ja nichts Weltbewegendes geschehen! Und so sollte es auch bleiben. Er würde die Füße still halten, seine Nase zur Abwechslung mal nicht in die Dinge stecken, die ihn nichts angingen und einen Weg zurück in die Zukunft suchen. So sah der Plan aus! Keine Abweichungen! Harry fühlte, wie sich eine grimmige Entschlossenheit in seinem Inneren breit machte, die Hermine immer gerne als 'unangemessene Dickköpfigkeit' bezeichnete. Leise schmunzelnd legte er das Kinn auf die Platte, sodass er den Blick auf Dumbledore richten konnte, der sich ein knallbuntes Bonbon in den Mund schob, einen entspannten Ausdruck auf dem bärtigen Gesicht, die Augen genüsslich geschlossen. Dieser mächtige Zauberer wirkte in diesem Moment so ruhig, so frei von allen Sorgen und Ängsten, als gäbe es nichts auf der weiten Welt, das ihn belasten könnte, dass die Anspannung, die Harry seit letzter Nacht beherrscht hatte, unwillkürlich von ihm abfiel. Eine beruhigende Wärme breitete sich in seinem Inneren aus, die ihn endlich zur seiner verzweifelt ersehnten Ruhe kommen ließ. Harry schwor sich, das Büro des Professors noch öfters während seines Aufenthalts in der Vergangenheit zu besuchen. Im Moment schien dies der einzige Ort zu sein, an dem er sich... geborgen fühlen konnte. Diese ruhige, warme Atmosphäre, die der Raum und der Professor trotz ihrer Verschrobenheit ausstrahlten, taten so unglaublich gut. „Professor?“, begann Harry nach einer Weile so leise, dass seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern war. Er befürchtete, würde er lauter sprechen, wäre der Frieden, den er endlich gefunden hatte, wieder zerstört. „Ja, mein Junge?“, erwiderte Dumbledore, ohne jedoch die Augen zu öffnen. Harry zögerte kurz, unsicher, ob er nach ihrem Gespräch über Konsequenzen und Folgen überhaupt danach fragen sollte, gab sich dann aber einen Ruck. Fragen kostete schließlich nichts. „Sind Sie gar nicht neugierig, wie die Zukunft aussieht?“ Langsam öffnete Dumbledore die Augen und richtete seinen wachsamen, klaren Blick auf Harry, der ihn abwartend musterte. „Nun“, begann der Professor langsam, ein verschlagenes Lächeln auf den Lippen, das ihn um Jahre jünger wirken ließ, „ich müsste lügen, würde ich bestreiten, dass das Wissen um die Zukunft nicht einen gewissen Reiz auf mich ausüben würde.“ Sein Grinsen wurde eine Spur breiter. „Gleichzeitig stelle ich mir das Leben aber äußerst langweilig vor, wenn es keine Überraschungen mehr gäbe. Wo bleibt denn da der Spaß?“ Harry schaute seinen Mentor, der in diesem Moment eher einem kleinen Jung glich denn dem mächtigsten Zauberer, den Harry jemals in seinem Leben getroffen hatte, aus großen Augen an, dann konnte auch er sich ein übermütiges Lächeln nicht verkneifen. Die Unbeschwertheit in Dumbledores Worten steckte ihn an, sein unbekümmerter Ton, der verspielte Ausdruck auf seinem Gesicht, all das nahm Harry die Last von den Schultern und ließ ihn seine Sorgen vergessen. Grinsend nahm Harry seine Tasse wieder in die Hand und nahm einen Schluck seines nun lauwarmen Tees. In seinem Mund breitete sich ein angenehm süßlicher Geschmack aus, der eine wohlige Wärme durch seine Adern sandte. Harry spürte, wie sich abermals ein Gefühl der Geborgenheit in seinem Herzen einnistete. Er war wirklich froh, auch in dem Dumbledore der Vergangenheit einen Verbündeten und vielleicht sogar einen Freund gefunden zu haben. Wenigstens eine Konstante schien es in seinem chaotischen Leben zu geben: auf Professor Dumbledore konnte er sich verlassen. Die nächste Stunde verging wie im Flug, während der Professor und Harry bei mehreren Tassen Tee diskutierten, welche Geschichte der Zeitreisende seinen Mitschülern bezüglich seines bisherigen Lebens auftischen sollte. Dumbledore hatte ihm geraten, möglichst nah an der Wahrheit zu bleiben, ohne natürlich seinen wahren Namen oder sein Reise zu erwähnen, um die Gefahr eines Ausrutschers möglichst gering zu halten. Daher beließen sie es dabei, dass Harry nach dem Tod seiner Eltern bei Verwandten aufgewachsen war. Ebenso beharrte Harry darauf, dazu zu stehen, dass eines seiner Elternteile muggelstämmig gewesen war, auch wenn Dumbledore ihn daran erinnerte, dass ihm das im Haus der Slytherins eine Menge Ärger bringen würde. Es interessierte ihn nicht. Zum einen scherte Harry sich einen Dreck um die Ideologie der Slytherins und ihrer krankhaften Besessenheit vom 'reinen Blut', was für ein Käse, zum anderen wollte Harry das Andenken seiner Eltern nicht entehren. Zu behaupten, er wäre reinblütiger Abstammung, wäre ihm wie Verrat an seiner Mutter vorgekommen. Das konnte er nicht. Und wollte er nicht. Außerdem: was juckte es ihn, was die Schlangen von ihm dachten? Er war ein Gryffindor, da machte ihm doch der Hass der Slytherins nichts aus. Seit seinem ersten Schuljahr war er, in erster Linie dank eines gewissen Draco Malfoys, ständig mit ihnen aneinander geraten, also warum sollte sich das in der Vergangenheit ändern? Vor allem, wenn ein Lord Voldemort an ihrer Spitze stand. Nein, Harry konnte sich nicht vorstellen, sich auch nur mit einem von ihnen zumindest ansatzweise gut zu verstehen. Von Freundschaft ganz zu schweigen. Auf der anderen Seite würden die Gryffindors ihn wahrscheinlich wie die Pest meiden. Schließlich war er jetzt in Grün gekleidet, das vertrug sich nicht mit Rot. Unter keinen Umständen. Verdammt, Harry wollte zurück in seine Zeit. Sein Schulleben in der Vergangenheit würde sehr einsam werden. Nachdem sie alle wichtigen Aspekte seiner Tarnung besprochen hatte, verabschiedeten sich Dumbledore und Harry mit einem warmen Händedruck, doch bevor der Gryffindor den Raum verließ, drehte er sich noch einmal zu seinem Mentor um, eine Frage auf den Lippen, die ihm wie ein Stein seit ihrem Gespräch über die Folgen von Veränderungen auf der Seele gelastet hatte, dennoch wagte er es kaum, sie auszusprechen, da er sich vor der Antwort und ihrer Bedeutung für ihn fürchtete. „Professor?“ Dumbledore, der es sich bereits wieder mit seinem Buch in der Hand in dem Sessel hinter dem Tisch gemütlich gemacht hatte, sah zu ihm auf, die alternden Züge gezeichnet von Sorge, als er den beklommenen Ausdruck auf Harrys Gesicht bemerkte. „Belastet dich noch etwas, mein Junge?“ Der Ton des Professors war warm, vertraut, doch das ungute Gefühl ließ sich nicht aus Harrys Herzen vertreiben. Er verspürte eine dunkle Ahnung, dass ihm Dumbledores Antwort nicht gefallen, seine neu gefundene Entschlossenheit ins Wanken bringen würde. Trotzdem, er brauchte Gewissheit. Harry nahm einen tiefen Atemzug, sammelte seinen berühmt-berüchtigten Gryffindor-Mut bevor er endlich mit der Sprache herausrückte. „Wenn man die Möglichkeit hat, ein schlimmes Unheil abzuwenden“, begann er mit zittriger Stimme, wobei er dem Professor jedoch direkt in die Augen sah, um ihm zu zeigen, wie wichtig es ihm war, „und viele Leben zu retten, trägt man dann nicht die Verantwortung, das auch zu tun?“ Überrascht zog Dumbledore eine Augenbraue in die Höhe, dann legte sich ein ernster Ausdruck auf sein Gesicht, während er das Buch in seiner Hand auf seinen Schoß bettete. „Nur, wenn man auch bereit bist, die Konsequenzen für sein Handeln zu tragen, mein Junge.“ Ja, mit dieser Antwort hatte er gerechnet, überlegte Harry, die Augen geschlossen, dann öffnete er sie wieder, ein bedrücktes, beinahe trostloses Lächeln auf dem Gesicht. „Danke, Professor. Gute Nacht.“ „Gute Nacht, Harry.“ Sanft zog Harry die Tür hinter sich ins Schloss. Abermals legte sich Stille über den Raum. Nachdenklich starrte Albus auf die geschlossene Tür, durch die dieser arme, verlorene Junge vor wenigen Minuten verschwunden war. Seine letzte Frage hatte ihn überrascht, wenn auch nicht in dem Maße, wie er angenommen hatte. Tief in seinem Inneren hatte er wohl schon mit so etwas ähnlichem gerechnet. Er hatte das Gefühl, Harry schon sehr viel länger zu kennen als nur einen Tag. Er mochte ihn und wollte ihm helfen, doch er befürchtete, dass er das genaue Gegenteil mit seinen letzten Worten erreicht hatte, auch wenn er sie aus dem Bedürfnis heraus gesagt hatte, ehrlich zu Harry zu sein. Leise seufzend hob Albus seinen entrückten Blick an die Decke, verloren in seiner eigenen Gedankenwelt. Harry war ein mutiger Junge mit einem ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein, wie seine letzte Frage bewiesen hatte. Mit keinem Wort hatte er die Gefahr für sein eigenes Leben erwähnt, sollte er sich entschließen, den Lauf der Zeit zu ändern. Sein gesamtes Augenmerk lag auf der Rettung anderer Menschen, zukünftiger Leben. Ein wahrlich erstaunlicher junger Mann. Albus konnte nur hoffen, dass, wie auch immer Harrys Entscheidung ausfallen würde, er ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen konnte. Zumindest für das Szenario, sollte Harry die Vergangenheit nicht verändern wollen, hatte er Vorkehrungen getroffen, die es dem Jungen ermöglichen würden, sein Leben in der Zukunft ohne Konsequenzen durch seinen Aufenthalt in dieser Zeit weiterführen zu können. Jetzt musste der Professor nur noch einen Weg finden, wie sein neuer Schützling auch in seine Zeit zurückkehren konnte. Harrys Ankunft in der Vergangenheit war ihm noch immer ein Rätsel, das er, so fürchtete Albus, nicht so schnell würde lösen können. Aber um Harrys Willen musste er das. Und würde es auch. Er galt schließlich nicht umsonst als der mächtigste und gerissenste Zauberer seiner Zeit. Das wäre doch gelacht. Leise glucksend hob er sein Buch wieder vor seine wachen Augen. Die Muggel hatten wahrlich einen sonderbaren Sinn für Literatur. Nicht, dass er etwas dagegen gehabt hätte. Also... wo war er stehen geblieben? Leise stöhnend schloss er seine Arme um seinen starken Nacken... Ah, genau. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)