Down Hill 2: Efrafa von Sky- ================================================================================ Kapitel 6: Schmerzen -------------------- Clockwise wälzte sich unruhig im Bett herum und fand einfach keinen Schlaf. Allein der Gedanke daran, was Rhyme alles durchmachen musste, machte ihn fast verrückt. Er versuchte sich zwar nichts anmerken zu lassen, aber inzwischen war es jetzt die dritte Nacht, in der er kaum Schlaf fand. Am liebsten wäre er über die Luftschächte wieder nach Efrafa geschlichen und hätte Rhyme in seinem Zimmer aufgesucht. Das wäre eigentlich kein Problem, nur war er schon das letzte Mal Gefahr gelaufen, entdeckt zu werden. Aber andererseits… er vermisste Rhyme. Ja verdammt, er wollte ihn wiedersehen, in seinen Armen liegen und ihm sagen, wie sehr er ihn liebte. Zuerst überlegte er, ob er mit Horace darüber sprechen sollte, ließ es dann aber. Der sorgte sich ja schon bereits um Kaonashi und hatte noch genug andere Dinge zu tun. Sein maskierter Jugendfreund hatte wieder einen seiner Schübe, die unter Umständen lebensgefährlich sein konnten. Außerdem waren sie äußerst schmerzhaft und da würde Horace ohnehin keinen Schlaf finden. Also was tun? Die Tür zu seinem Zimmer ging auf und er sah Horace, der ziemlich erschöpft aussah. „Kannst du mal kurz kommen? Sein Zustand hat sich rapide verschlechtert und er hat starke Schmerzen in der Brust. Außerdem hat er Schwierigkeiten beim Atmen.“ „Klar, kein Problem.“ Clockwise holte seinen Koffer unter dem Bett hervor und kramte eine Spritze hervor, die er mit einer leicht gelblich schimmernden Flüssigkeit aufzog. Horace wirkte etwas skeptisch. „Meinst du echt, du kommst mit der Spritze überhaupt durch, wenn er sich in diesem Zustand befindet?“ „Wenn man weiß, an welchen Stellen es geht, klappt das schon. Das sollte erst mal helfen, die Ausschüttung der Stresshormone stark zu reduzieren und auch die Schmerzen zu lindern. Damit kann ich seinen Zustand wieder stabilisieren. Naja, man kann meiner Familie ja so vieles nachsagen, aber in solchen Momenten bin ich froh, dass ich auf Hinrichs Anweisung hin mein Medizinstudium durchgezogen habe. So kann ich mich ja gut um Kaonashi kümmern, wenn er wieder seine Schübe hat.“ Clockwise ging nun ins Zimmer nebenan, wo Kaonashi auf dem Bett lag. Obwohl man aufgrund der Maske nichts sehen konnte, war ihm doch anzumerken, dass er starke Schmerzen hatte. Und teilweise waren seine Gliedmaßen stark versteift. „Hey Kao, lebst du noch?“ „Pah, ich werde euch alle noch überleben“, gab dieser mit schwacher Stimme zurück. Sein Atem ging flach und kurz und er war schweißgebadet. „Mir ging es noch nie besser.“ Er war ein ziemlich schlechter Lügner, aber er war eben auch nicht der Typ Mensch, der so etwas wie Schwäche zeigte. Er hatte nie geweint oder Angst gezeigt. Und das hatte Horace schon immer so anziehend an ihm gefunden. Er selbst war schon immer der besonnene Part gewesen, aber Kaonashi war impulsiv und zeichnete sich in gewissen Situationen auch durch eine gewisse „Wildheit“ aus. Er war ein Kämpfer durch und durch, in jeder Hinsicht und er sah sich in der Pflicht, auch für die anderen stark zu sein. Schon seit damals, als er klein war. „Habt ihr auch daran gedacht“, brachte Kaonashi mit Mühe hervor „auch die Türen zu sichern? Ich hab keine Lust, dass einer dieser Schwachköpfe reinschneit und Ärger macht, während ich hier liege und mich nicht bewegen kann.“ „Kein Problem. Überlass das nur uns“, sagte Horace und streichelte ihm sanft den Kopf. Das Erste, woran Kaonashi denken konnte, während er hier lag und Qualen litt, war ihre Sicherheit. Manchmal konnte er wirklich ruppig und auch ein Idiot sein, aber er war auch der beste Freund, den man sich wünschen konnte. Schon immer hatte Kaonashi auf sie aufgepasst, seit sie sich kennen gelernt hatten. Vorsichtig stach Clockwise die Nadel in den Hals seines Freundes und injizierte ihm das Mittel. Es wäre zwecklos gewesen, es an einer anderen Körperstelle zu versuchen. „Dein letzter Schub ist jetzt knapp sechs Jahre her“, stellte er schließlich fest. „Die Zeitabstände werden immer größer. Das ist zumindest ein gutes Zeichen.“ „Aber dafür werden sie umso schlimmer“, gab Horace zu bedenken, während er seinem Freund durchs Haar streichelte. „Ich hab die leise Sorge, dass jeder Schub sein letzter werden kann. Clocky, du bist hier der Mediziner im Team und du kennst seine wahre Verfassung besser als jeder andere. Wie schätzt du die Sache ein?“ „Nun, sie machen zwar den Anschein, als würden sie immer gefährlicher werden, aber es sieht schlimmer aus als es eigentlich ist. Es sind ja zum Glück immer nur Muskelgewebe und Sehnen betroffen, aber nie lebenswichtige Organe. Natürlich sind die Schübe immer sehr schmerzhaft, aber sie gehen nach knapp 20 Stunden auch wieder weg und in der Zeit ist es wichtig, dass er ruhig liegen bleibt.“ „Haha, sehr witzig“, grummelte Kaonashi. „Als ob ich mich in dem Zustand bewegen könnte.“ „Und wieso kriegt er kaum Luft?“ „Das wird vermutlich daran liegen, weil die Lungen sich momentan nicht vollständig ausdehnen können. Es hat also nichts Ernstes zu bedeuten. Ich denke mal, ich übernehme jetzt mal die Schicht und bleib bei ihm und du legst dich noch ein bisschen hin.“ „Bist du dir sicher?“ fragte Horace, denn er sah, dass auch Clockwise ein wenig Schlaf gut gebrauchen konnte. Doch dieser schüttelte nur den Kopf. „Ich kann gerade eh nicht schlafen. Und wenn etwas sein sollte, kann ich ihm immer noch helfen.“ Doch Horace sah sofort, dass Clockwise nicht so ganz ehrlich mit ihnen war und er seufzte. „Darf ich raten? Du kannst kein Auge zumachen, weil du dir Sorgen um deinen Schatz machst, wetten?“ Der blonde Schauspieler errötete und schien wütend zu sein. „Ich dachte, ich hätte dir schon oft genug gesagt, du sollst damit aufhören, mein Gesicht zu analysieren.“ „Dafür brauch ich keine Mikroexpressionen zu analysieren. Das würde doch sogar ein Blinder sehen. Hey, jetzt mach dich nicht verrückt. Rhyme ist stark und wenn wir jetzt einknicken, war unsere ganze Mühe umsonst. All die harte Arbeit, die wir reingesteckt haben…“ „Wir müssen Geduld haben und uns auf das Wichtigste zu konzentrieren“, kam es vom Bett her. „Wenn wir es richtig angehen, können wir noch einen weiteren Verbündeten dazugewinnen und Nine sagte auch, dass Mello wahrscheinlich eine wichtige Schlüsselfigur ist. Er vermutet, dass der Kerl nicht ohne Grund nach Down Hill gebracht wurde und deshalb sollen wir uns weiter mit ihm beschäftigen. Aber erst mal geben wir ihm etwas Zeit, sich in Efrafa einzugewöhnen. Ich hab ihn vor dem Doktor gewarnt und Rhyme hat sowieso ein wachsames Auge auf ihn. Da kann ich mir diese kleine Auszeit auch gönnen.“ „Derselben Meinung bin ich auch. Du solltest dich wirklich schonen“, pflichtete Clockwise bei und begann nun damit, Kaonashi näher zu untersuchen und somit festzustellen, wie es um ihn stand. Zugegeben… gut stand es nicht um ihn. Sein linker Arm war komplett steif und ließ sich nicht bewegen, auch sein Kopf ließ sich kaum bewegen und das Gleiche galt für sein rechtes Bein. Aber zumindest schien das Schmerzmittel zu wirken. So langsam schien er sich etwas mehr zu entspannen und das war schon mal ein gutes Zeichen. Kurz darauf war ein leises Atmen zu hören und es klang deutlich danach, als wäre er eingeschlafen. Erleichtert atmete Horace auf und rieb sich müde die Augen. „Als er plötzlich zusammengebrochen ist, hab ich schon mit dem Schlimmsten gerechnet. Aber zum Glück war es dann doch nichts Lebensgefährliches. Wenigstens schläft er jetzt, dann bekommt er glücklicherweise nicht allzu viel davon mit. Und jetzt zu dir: ich kann dich gut verstehen, dass du Angst um Rhyme hast. Das ist mir schon seit einiger Zeit aufgefallen. Du magst zwar ein guter Schauspieler sein, aber dein Gesicht verrät dich trotzdem. Ich glaube, ich hätte an deiner Stelle auch Angst, wenn ich wüsste, was mein Partner alles durchmachen müsste. Wenn ich ehrlich bin, würde ich Rhyme sofort da rausholen und den Doktor und seine Assistentin sofort umbringen. Aber hier geht es um mehr als nur um Rache für das, was der Doktor uns angetan hat. Es geht auch darum, dass wir endlich erfahren, was der Sinn und Zweck dieser ganzen Experimente ist.“ „Ich weiß“, seufzte Clockwise und rieb sich müde die Augen. „Und ehrlich gesagt frage ich mich manchmal, ob das alles hier hätte verhindert werden können, wenn ich damals den Mut aufgebracht hätte, ihn eigenhändig zu töten.“ „Schlag dir das aus dem Kopf. Du hattest genauso viel Angst wie wir und du hast uns schon genug damit geholfen, als du den Zweitschlüssel geklaut und uns zur Flucht verholfen hast. Außerdem bist du hier der Jüngste in der Gruppe. Hör auf, dir hier für irgendetwas die Schuld zu geben und belass es dabei. Du gehörst zu uns und es wird auch nie anders sein. Und da ist es ganz egal, wer du bist. Hey, ich mach dir einen Vorschlag: ich werde eben kurz in Efrafa nach dem Rechten sehen und mich bei Rhyme nach dem Stand der Dinge erkundigen. Soll ich ihm irgendetwas ausrichten?“ „Nein. Ich glaube, er weiß schon, was ich ihm sagen würde.“ Horace nickte und gab Clockwise eine freundschaftliche Umarmung, bevor er den Lüftungsschacht hochkletterte. So setzte sich der blonde 25-jährige hin und hielt bei seinem Freund Wache. Er überlegte kurz und schaltete dann den Fernseher ein, um sich Susi und Strolch anzusehen. Doch kaum, dass der Film lief, kam eine Regung vom Bett her und er hörte Kaonashi, der mürrisch grummelte „Schmeiß einen anderen Film ein. Ich hasse diese verdammten Köter.“ „Ich dachte du schläfst.“ „Ich wollte euch nur die Gelegenheit zum Reden geben. Also… wärst du so freundlich und würdest diesen Mist da ausmachen? Hauptsache es hat nicht mit Hunden zu tun.“ Damit nahm Clockwise die DVD raus und überlegte kurz. „Was hältst du von Die Schöne und das Biest?“ „Na meinetwegen. Ich krieg dich wohl schlecht dazu, mit mir Saw anzugucken.“ „Da hast du Recht“, stimmte Clockwise zu und lachte, dann legte er den entsprechenden Disneyfilm ein. „Ich mag solche brutalen Filme nicht. Da ist mir My Little Pony deutlich lieber.“ Als Kaonashi das hörte, musste er lachen. „Ach Mann, du bist aber auch echt ne Märchenprinzessin, was?“ Clockwise nahm die kleinen Spötteleien von Kaonashi mit Humor auf und sagte nichts weiter dazu. Zumindest war das ein gutes Zeichen, dass sich sein bester Freund so langsam von den Schmerzen erholte. So saß Clockwise an seinem Bett und schaute sich zusammen mit Kaonashi einen seiner Lieblingsfilme von Walt Disney an. Zwischendurch prüfte er aber dessen Zustand und versuchte die steifen Gelenke wieder etwas zu bewegen. „Sieht so aus, als würdest du morgen wohl im Bett bleiben müssen.“ „Shit… Naja, irgendwie hatte ich da schon so im Gefühl gehabt, dass da wieder so ein Schub kommt. Deswegen hab ich gut vorgearbeitet, sodass ich ruhig den einen Tag aussetzen kann. Ah Fuck… und ich dache echt, ich hätte das endlich hinter mir, nachdem es sechs Jahre lang gut gegangen war.“ „Damit wirst du leider leben müssen“, seufzte der 25-jährige und nahm sich eine Tüte mit getrockneten Mangostücken. „Das ist wie bei einem Epileptiker. Es kann jahrelang gut gehen und dann plötzlich kommt wieder ein Anfall. Und glaub mir: wenn du die Präparate nicht nehmen und deinen Körper fit halten würdest, dann hättest du deutlich öfter solche Schübe. Wenn du Glück hast, ist das für die nächsten paar Jahre der einzige.“ „Aber es ist trotzdem frustrierend. Was nützt mir diese ganze Kraft, wenn mein eigener Körper plötzlich so versagt, dass ich mich nicht mal mehr bewegen kann?“ „Ich arbeite noch an einer besseren Therapiemethode, aber hier im Gefängnis sind die Möglichkeiten auch begrenzt. Vielleicht finden wir auch eine Möglichkeit, dir zu helfen.“ „Bevor du mir hilfst, sollten wir erst mal Umbra helfen. Ich glaube, es braucht viel dringender Hilfe.“ „Wieso kommst du jetzt auf Umbra? Hast du ein Verdacht, wer es sein könnte?“ „Ich habe nur eine vage Vermutung und brauche erst mal mehr Indizien. Aber wenn ich mich erst mal wieder richtig bewegen kann, werde ich mich mit Nine beratschlagen, wie wir weitermachen sollen. Er scheint ja mehr zu wissen und kann dann vielleicht auch sagen, was wir bezüglich Mello tun sollen. Ich hab irgendwie das Gefühl, als würde der Kerl noch zu einer sehr wichtigen Figur auf dem Schachbrett werden.“ „Wie ein Bauer, der das Feld durchwandern muss, bis er am Ende zur Dame wird?“ „Genau. Wir wissen, dass er ein sehr enger Freund von Matt ist, dem Shutcall von Efrafa. Er stammt aus demselben Waisenhaus wie er und Nine und hat eine Verbindung zu L. Dann noch zuletzt wirkt er wie ein Magnet auf Umbra. Dieses Wesen hat schon unzählige Menschen getötet und hat nie annähernd menschliches Verhalten gezeigt. Doch kaum, dass Mello nach Down Hill kommt, taucht Umbra nach sechs Monaten wieder auf und rettet ihm das Leben. Und es hat Mellos richtigen Namen gekannt. Das ist schon sehr merkwürdig. Folglich bleibt da nur der Verdacht, dass Umbra jemand aus dem Waisenhaus sein könnte, der Mello näher gekannt hat. Ich finde es ohnehin schon sehr seltsam, dass es immer Waisenkinder sind und dann noch aus zwei Waisenhäusern und nicht einfach nur wahllos ausgesucht. Was mich außerdem neugierig macht, wäre die Frage, warum Mello von der KEE verhaftet wurde. Ist es wirklich nur deswegen, weil er ein Ghost ist? Nein, ich glaube, da steckt noch weitaus mehr dahinter. Mein Gefühl sagt mir, dass er aus einem bestimmten Grund nach Down Hill gebracht wurde und das muss ich noch herausfinden.“ „Vielleicht, weil er eine besondere Wirkung auf Umbra hat?“ „Woher soll Helmstedter das denn bitteschön wissen? Die einzige Erklärung wäre, er wusste von Mellos Vergangenheit, was wiederum die Frage aufwirft, warum er sich ausgerechnet Kinder aus Wammys House ausgesucht und nicht unseres genommen hat. Vermutlich hat es mit ihm zu tun. Nine hat ja schon so einiges angedeutet und wahrscheinlich will er Mello selber noch sprechen. Womöglich verfügt er über besonderes Wissen über dieses Waisenhaus, über welches er mit Mello persönlich reden will.“ „Ich traue diesem Nine nicht so wirklich“, murmelte Clockwise leise, aber laut genug, damit Kaonashi es hören konnte. „Er ist mir irgendwie unheimlich. Allein schon die Tatsache, dass er meinen richtigen Namen und den von Horace kennt, ist schon gruselig genug. Was genau ist er eigentlich?“ „Horace schätzt ihn als einen Soziopathen ein. Eventuell mit traumatischer Kindheit. Nine ist hochintelligent, wahrscheinlich noch klüger als jeder andere hier in Down Hill. Seine Motivation ist es, einen geeigneten Kandidaten zu finden, um das so genannte „siebte Requiem“ auszuführen. Da seine Ziele ähnlich den unseren sind, haben Horace und ich unsere Unterstützung zugesagt, da Eleven nur sehr eingeschränkt agieren kann und sie Nine nicht aus den Augen lassen darf.“ „Und wieso nicht?“ „Weil Nine ein extrem gefährlicher Mensch ist. Auch wenn er uns hilft, so ändert es nichts an der Tatsache, dass er unberechenbar und destruktiv veranlagt ist. Deshalb gehe ich lieber zu ihm hin. Der Kerl hat auch ein leichtes Faible für Psychospielchen. Er ist eine nicht-kannibalische Version von Hannibal Lecter.“ „Na großartig… Nicht nur, dass sich der Untergrund mit einem Monster abgibt, wir haben auch noch ein Monster auf unserer Seite, während dann noch ein weiteres Monster durch Down Hill geistert. Da traut man sich ja kaum noch vor die Tür.“ „Aus diesem Grund habe ich es auch lieber, wenn du hier in Pardarail bleibst. Das ist einer der sichersten Orte in Core City und außerdem brauchen wir dich mit Sicherheit noch.“ Kaonashi musste zwischendurch beim Sprechen immer wieder kurze Pausen einlegen, da er recht kurzatmig geworden war. Doch er schien ansonsten kaum noch Schmerzen zu haben und auch sonst schien er das Schlimmste soweit hinter sich zu haben. Jetzt musste das Ganze nur noch langsam wieder abklingen. „Hast du schon Pläne, was du machen willst, wenn wir wieder raus sind?“ „Klar habe ich die. Wenn wir wieder draußen sind, eröffne ich meine eigene Bar. Und du und Horace, ihr könnt ja ab und zu kleine Auftritte abhalten und wir treffen uns dann abends und trinken einen zusammen. Du, ich, Horace und Rhyme. Genauso wie in den guten alten Zeiten.“ „Und dieser Mello, was ist mit ihm? Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass er für dich nur ein Mittel zum Zweck ist, um ans Ziel zu kommen. Sei mal ehrlich: du interessierst dich für ihn. In dem Fall solltest du noch mal ernsthaft mit Horace sprechen.“ Das war natürlich nur als Scherz gemeint und Clockwise wusste, dass Kaonashi ihm dafür normalerweise einen Faustschlag gegen den Oberarm verpasst hätte, wenn er nicht gerade bewegungsunfähig gewesen wäre. „Fängst du jetzt auch noch damit an? Ich sage es noch mal klar und deutlich: ich hab kein solches Interesse an dem Kerl. Dafür hab ich doch Horace. Nein, ich sehe mich eher als Mentor für ihn. Wenn er hier überleben will, muss er noch eine Menge dazulernen.“ „Ich glaube, du siehst ihn irgendwie als eine Art Freund, kann das sein? Immerhin seid ihr euch sehr ähnlich.“ „Irgendwie hab ich das Gefühl, ihr wollt mir alle mit Absicht irgendeinen Quatsch andichten.“ „Ach was, das redest du dir nur ein. Aber ich finde es gar nicht mal so schlecht, wenn da zwischen euch beiden tatsächlich so etwas wie eine Freundschaft entstünde. Immerhin… seit ich dich kenne, hast du nie den Kontakt zu anderen gesucht, die nicht aus dem Waisenhaus stammten.“ „Frag dich mal wieso“, kam es von Kaonashi, der laut husten musste. „Die Kinder aus normalen Familien wollten nichts mit irgendwelchen Waisenkindern zu tun haben, die das Familienleben nicht kennen und nicht wissen, was es heißt, Eltern zu haben. Das ist etwas, mit dem sie nicht konfrontiert werden wollen, weil sie sonst nämlich den Spiegel ihrer schlimmsten Angst sehen: eines Tages genauso zu enden. Allein gelassen ohne Familie. Die Kinder haben nicht verstanden, was sie da eigentlich getan haben. Sie haben uns gemieden wie Aussätzige, uns schikaniert und uns damit aufgezogen, dass wir keine Familien hatten, weil sie Angst hatten. Angst davor, genauso zu enden wie wir und alles zu verlieren, was sie lieben. Natürlich waren sie sich nicht darüber bewusst gewesen, wie grausam sie waren, immerhin waren sie Kinder. Und wenn man als Waisenkind auch automatisch als Außenseiter abgestempelt wird, da meidet man irgendwann einfach die Gesellschaft von anderen. Da bleiben die Freaks lieber unter sich.“ „Kinder sind wirklich grausam“, bestätigte Clockwise und nickte dabei. „Muss eine echt harte Zeit für euch gewesen sein.“ „Du hast deine Eltern doch auch früh verloren.“ „Ich bin aber in der Familie geblieben. Naja, im Grunde war es auch nur eine andere Art von Waisenhaus, also kommt es ja irgendwie doch auf das Gleiche raus. Und Mello stammt auch aus einem Waisenhaus, da fühlt man sich doch irgendwie verbunden, oder?“ Kaonashi schwieg und dachte wohl selber gerade darüber nach. Als ein Mensch, der es vermied, seine wahren Gefühle zu zeigen, gab er nur ungern so etwas zu. „Ich sehe ihn nicht so direkt als Freund so wie dich und Rhyme“, sagte er schließlich. „Aber er es kann gut möglich sein, dass ich ihn nicht bloß als Mittel zum Zweck sehe.“ „Das ist ja auch erst mal in Ordnung.“ So beließ es Clockwise erst mal dabei und sie sahen sich gemeinsam den Film an, bis Kaonashi dann doch vor Erschöpfung einschlief. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)