Last Desire Extra von Sky- ================================================================================ Kapitel 17: Begegnung mit dem Ankläger -------------------------------------- Unerbittlich wurde er von den beiden Leibwächtern seiner Herrin durch den Gang geschleift. Immer noch tat ihm alles weh und sein ganzer Körper fühlte sich einfach nur dumpf und kraftlos an. Der Schmerz lähmte ihn, ihm war heiß zumute und er fragte sich, was denn als nächstes folgen würde. Dabei hatte er doch erst vorgestern sieben Hiebe mit der Dornenpeitsche erhalten, die seinen gesamten Rücken blutig gerissen hatte und obwohl seine Verletzungen bandagiert worden waren, so tat es dennoch höllisch weh und wahrscheinlich hatten sich die Wunden entzündet. Er hatte Angst… furchtbare Angst. Denn wenn er zu seiner Herrin gebracht wurde, dann bedeutete es entweder eine weitere Bestrafung… oder sein Kopf würde bald ihren Trophäenschrank zieren. Dort bewahrte sie die Köpfe all jener auf, die sie enthauptet hatte. Von den Sefirot wurde sie allgemein „Miswa die Strenge“ genannt. Doch ihre Diener nannten sie „Miswa die Grausame“ und manchmal auch „die Henkerin“. Denn sie war es, die sämtliche Todesurteile vollstreckte. Und es waren viele. Sie war eine grausame Person. Sadistisch, jähzornig, kompromisslos, nachtragend und absolut gnadenlos. Wer gegen ihre Gesetze verstieß, der war so gut wie tot. Das wussten alle und deshalb hatten sie schreckliche Angst vor ihr. Als sie den so genannten Thronsaal erreichten, wurde er zu Boden geworfen und fiel direkt vor ihr nieder. Miswa saß auf einem Thron, der aus massivem Gold und Juwelen bestand. Sie trug wie immer eine speziell für sie angefertigte Rüstung und hatte selbst ihre doppelköpfige Streitaxt und die Dornenpeitsche griffbereit. Ihr goldblondes Haar hatte sie wie immer zusammengebunden und trug es niemals offen. Zudem trug sie eine Augenklappe, wo sie früher mal ihr linkes Auge hatte. Hasserfüllt sah sie auf ihn herab und verzog verächtlich das Gesicht. „Was musste ich da hören? Du stiftest Unruhe unter den anderen planst eine Revolte gegen mich?“ Panik überkam ihn, als er das hörte. Da musste irgendein Missverständnis vorliegen. Er war immer loyal und gehorsam gewesen und hatte jeden ihrer Befehle ausgeführt. „Herrin, bitte… ich habe nie…“ „Wer hat dir erlaubt zu sprechen?“ schrie die Blondhaarige und schlug mit ihrer Peitsche zu und riss eine Wunde in seine Schulter. „Du dreckiger Seraph wagst es auch noch, mir in die Augen zu sehen. Wag es nie wieder, ohne meine Erlaubnis zu sprechen oder mir Widerworte zu geben oder ich schlag dir hier und gleich deinen widerlichen Kopf ab. Sei dankbar, dass ich dich am leben lasse. Ihr verdammten Seraphim habt gefälligst Demut vor euren Schöpfern zu zeigen. Ihr seid Diener und nicht mehr. Ohne uns würdet ihr nicht mal existieren und wenn ihr nicht wenigstens die niedrigsten Arbeiten vernünftig erledigen könntet, dann würden wir euch genauso wie diesen dreckigen Nephilim-Abschaum ausrotten.“ Er zitterte am ganzen Leib und hatte Todesangst. Er wusste, dass sein Leben am seidenen Faden hing und es nur von Miswas Laune abhing. Demutsvoll und unterwürfig kniete er sich auf den Boden. „Vergebt mir, Herrin. Es wird nicht wieder geschehen.“ „Das wird es wahrhaftig nicht. Denn ich bin es leid, mich mit euch Seraph-Abschaum herumplagen zu müssen. Und vor allem mit dir habe ich endgültig genug, Armon. Du wiegelst meine Dienerschaft gegen mich auf und willst eine Revolte gegen mich starten. Darauf steht die Höchststrafe! Du wirst 10.000 Peitschenhiebe erhalten und dann wird deine Hinrichtung folgen! Los, bringt dieses Ungeziefer runter in den Folterkeller.“ Alles Blut entwich seinem Kopf als er das hörte. 10.000 Peitschenhiebe… der Tod… Allein der Gedanke daran war unerträglich. Er wollte das nicht. Er wollte nicht in diesen schrecklichen Keller runter, in welchem so viele Diener vor ihm zu Tode gefoltert worden waren. Niemand, der je in den Folterkeller kam, hatte diesen jemals wieder lebend verlassen. Es war das endgültige Todesurteil. Tränen sammelten sich in seinen Augen. „Nein, bitte Herrin! Ich habe es nicht getan. Ich habe nichts dergleichen getan. Bitte, ich flehe Euch an. Ich bin unschuldig!“ Doch da spielte sich ein eiskaltes Lächeln auf ihre Lippen. Ein wissendes Lächeln, welches mehr sagte als tausend Worte. Sie wusste es. Sie hatte gelogen. Alles, was sie gebraucht hatte, war nur ein fadenscheiniger Vorwand, damit sie auch den Rest der Dienerschaft einschüchtern konnte. Sie hatte ihn einfach so aus reiner Willkür zu dieser Strafe verurteilt. Und nun würde er 10.000 Hiebe mit der Dornenpeitsche erhalten und dann… dann würde sein Kopf eine Trophäe werden. Was hatte er nur falsch gemacht, dass ihm so etwas widerfahren musste? Soweit er sich zurückerinnern konnte, hatte er nie etwas unrechtes getan. Er war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, als man ihn niederschlug, fesselte und dann als Diener an Miswa verkaufte. Und seitdem lebte er hier in dieser Hölle, wurde tagein tagaus geschlagen, getreten, beschimpft, erniedrigt und ausgepeitscht. Jeder kleinste Fehltritt wurde grausam bestraft und wer floh, der wurde von den Head Huntern gejagt und dann in Miswas Folterkeller gebracht. Im Grunde war sein Leben vorbei gewesen, als er in Miswas Palast gelandet war und zu ihrem Diener gemacht wurde. Und da er nur ein Seraph war, war sein Leben auch rein gar nichts wert. Er war erschaffen worden, um den Sefirot bedingungslos zu dienen. Und wenn er es nicht tat, brachte man ihn eben um. Und nun würde er für etwas, das er doch gar nicht getan hatte, so eine Strafe erleiden. Warum nur musste das ausgerechnet ihm passieren? Warum konnte er kein Sefirot sein? Die beiden Leibwächter packten ihn und zerrten ihn an den Armen hoch, dann schleiften sie ihn raus. Armon war in eine Art apathischen Zustand verfallen und konnte es immer noch nicht glauben. Sollte das wirklich sein Ende werden? Wollte er wirklich so sterben, ohne wenigstens den Versuch zu wagen, zu fliehen und endlich frei zu sein? Selbst wenn es nur für einen kurzen Augenblick war, aber dann hatte er wenigstens eine winzige Chance. Dieser Gedanke gab ihm neue Kraft. Er mobilisierte seine ganze Energie und riss sich los. Er nahm das Schwert eines Leibwächters an sich und erschlug ihn und dann auch den anderen, dann rannte er drauf los und eilte durch das Tor hinaus. Keiner der Diener hielt ihn auf. Sie hatten inzwischen so sehr resigniert, dass sie nicht mehr versuchten, Flüchtige aufzuhalten, geschweige denn, ihnen zu helfen. Armon rannte los, so schnell ihn seine Beine trugen und als eine Wache ihn aufhalten wollte, griff er auch diese an und eilte in Richtung Wald. Dort hatte er wenigstens die Chance, sich zu verstecken und sich auszuruhen. Alles andere wäre glatter Wahnsinn gewesen und er wäre sofort wieder eingefangen worden. Und wenn jemand ihn als Miswas Diener identifiziert hätte (was an dem Brandmal auf seinem Rücken sowieso erkennbar war), dann wäre er sofort wieder zurückgebracht worden. Keiner wollte ihren Unmut auf sich ziehen und als Diener oder als Trophäe enden. Die Angst war einfach zu groß. Es begann zu regnen und er war eigentlich völlig erschöpft und hatte kaum Kraft zum weiterlaufen. Außerdem war ihm immer noch so heiß zumute und ihm wurde schwindelig. Dennoch dachte er nicht daran, stehen zu bleiben. Wenn er schon gleich vor Erschöpfung zusammenbrechen musste, dann wollte er wenigstens ein kleines Versteck finden. Vielleicht hatte er Glück und er war dann so geschwächt, dass die Head Hunter ihn nicht finden konnten. Und womöglich starb er dann auch. Bei seinem Zustand war es auch nicht gerade unwahrscheinlich. Je weiter er lief, desto mehr begann seine Sicht zu verschwimmen. Ihm war schwindelig und heiß, dabei war der Regen kalt genug und auch der Wind wehte. Seine Wunden taten entsetzlich weh und der Schmerz lähmte seinen Verstand, trübte seine Wahrnehmung und raubten ihm Stück für Stück sein Bewusstsein. Der Regen wurde stärker und er rannte einfach blindlings weiter, ohne auf den Weg vor sich zu achten. Seine Kleidung verfing sich in den Dornensträuchern, Zweige trafen sein Gesicht und er wusste eigentlich auch gar nicht, wohin er denn lief. Hauptsache, er lief einfach weiter und entfernte sich so weit weg wie nur möglich von Miswas Palast. Armon bemerkte erst viel zu spät, dass der Boden immer rutschiger wurde. Er verlor schließlich den Halt und stürzte einen Abhang hinunter und blieb knapp zwanzig Meter weiter unten liegen. Kalter Regen prasselte auf sein kreidebleiches Gesicht nieder und wieder waren da diese brennenden Schmerzen. Sein ganzer Körper tat weh und er konnte sich kaum noch bewegen. Er war völlig am Ende und erkannte so langsam, dass seine Flucht nun zu Ende war. Tränen der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sammelten sich in seinen Augen, liefen seine Wangen hinunter und vermischten sich mit dem Regen. Warum nur musste das Schicksal auch immer so grausam sein? Na hoffentlich starb er hier jetzt. Es war besser, in Freiheit einen weniger qualvollen Tod zu sterben, anstatt als Diener durch Miswas Hand. So war sein einziger Lichtblick, dass er wenigstens diese grausamen Peitschenhiebe nicht ertragen musste. So langsam wurden seine Augenlider schwer und er wollte einfach nur einschlafen. Ja… einfach einschlafen und nie wieder aufwachen… Doch da hörte er auch schon Schritte und als er den Kopf zur Seite neigte, da erkannte er eine Gestalt, die einen dunklen Kapuzenumhang trug und deren Gesicht von einer roten Maske bedeckt wurde. Armon wusste, was das bedeutete: die Head Hunter hatten ihn gefunden. Und es gab nur einen einzigen Head Hunter, der eine blutrote Maske trug: Malakh der Ankläger. Ausgerechnet der Anführer und dann auch noch einer der großen Alten. Das musste ja so kommen. „Ihr seid sicher von meiner Herrin geschickt worden. Bitte… ich weiß, dass ich zu viel verlange… aber bitte tötet mich! Sagt ihr ruhig, ich hätte es selbst getan, aber bitte tötet mich! Ich will nicht für etwas sterben, was ich nicht begangen habe. Nicht so!“ Seine Worte wurden zwischendurch von kurzen Schluchzern unterbrochen und unaufhörlich flossen Tränen, die sich mit dem Regen vermischten. Er wusste, dass er nicht darauf hoffen durfte, dass ausgerechnet einer von den großen Alten Mitleid mit ihm haben oder seiner Bitte nachkommen würde. So etwas würde niemals passieren. „Bitte, ich flehe Euch an… auch wenn ich es nicht verdient habe… ich will… wenigstens… in… Frei… heit…“ Die Kraft verließ ihn endgültig und er schaffte es nicht, den Satz zu beenden. Die Erschöpfung war einfach zu groß. Sein Körper hatte viel zu viel aushalten müssen. Zu viele Verletzungen hatte er davongetragen, zu schwere Arbeit verrichten müssen, als dass er es noch länger durchgehalten hätte. Er wusste, dass der Head Hunter ihn zurückbringen würde, trotz seines Flehens. Denn die erledigten immer ihren Job und hörten nicht auf das Bitten und Betteln ihrer Zielpersonen. Und deshalb hoffte Armon auch, dass er wenigstens jetzt sterben würde, damit ihm dieser Folterkeller erspart blieb. Und während er das Bewusstsein verlor, spürte er tatsächlich, wie Malakh ihn packte und hochzerrte. Das war auch das Letzte, was er noch als Letztes wahrnahm, bevor die Welt endgültig in Dunkelheit versank. Als sein Bewusstsein langsam wieder zurückkehrte, spürte er zu seiner Verwunderung, dass er in einem Bett lag. Merkwürdig, wieso lag er denn in einem Bett? Im Palast hatte er auf dem harten Boden schlafen müssen, so wie die anderen Seraphim auch, weil es ihnen nicht erlaubt war, wie die Sefirot in richtigen Betten zu schlafen. Und noch etwas merkte er: sein Körper schmerzte zwar nicht mehr allzu schlimm, aber ihm war entsetzlich heiß zumute. Ein kühler feuchter Lappen wurde auf seine Stirn gelegt und es fühlte sich wie eine Wohltat an. Aber… wer war da bei ihm? Armon öffnete die Augen und erkannte schwach einen Jungen mit goldblondem Haar und lavendelfarbener Iris. Dem Äußeren nach hatte er das Erscheinen eines Teenagers. Es war Malakh, der jüngere Bruder von Samajim dem Alten. Ja aber… wieso war er denn nicht wieder in Miswas Palast? Warum hatte Malakh ihn nicht zurückgebracht? „Ehrwürdiger Herr“, brachte Armon mit rasselnder Stimme hervor und wollte sich sofort aufsetzen, doch sein Körper war einfach zu schwach dafür. Sein Kopf sank sofort ins Kissen zurück. Erst jetzt spürte er auch, wie trocken sich seine Kehle anfühlte. Sogleich hob Malakh seinen Kopf an und setzte ein Glas an Armons Lippen. Das Wasser rann seine ausgetrocknete Kehle hinunter und war eine einzige Wohltat. „Bleib liegen und ruh dich aus. Deine Wunden haben sich stark entzündet, deshalb hast du auch hohes Fieber bekommen.“ Ach so ist das, dachte Armon und legte seinen Kopf zurück ins Kissen. Deshalb hat er mich nicht zurückgebracht. Er will mich erst wieder auf die Beine bekommen, weil er sonst Ärger bekommen würde. Head Hunter bekommen nicht den vollen Preis, wenn ihre Zielpersonen tot oder kaum noch lebensfähig sind. „Ehrwürdiger Herr… könntet… könntet ihr mich bitte… töten?“ „Wieso?“ „Ich will nicht wieder zurück… ich hab Angst davor…“ Wieder sammelten sich Tränen in seinen Augen und er begann leise zu schluchzen. „Ich sterbe doch so oder so. Wenn nicht durch Eure Hand, dann durch die meiner Herrin, nachdem sie mich mit 10.000 Peitschenhieben bestraft hat. Ich habe leider nichts bei mir, womit ich Euch bezahlen könnte. Deshalb… deshalb bitte ich nur um diese eine Barmherzigkeit, ehrwürdiger Herr. Auch wenn ich nur ein wertloser Seraph bin.“ „Was spielt das für eine Rolle, ob du ein Seraph oder ein Sefirot bist?“ erwiderte Malakh und setzte sich auf einen Stuhl. „Ich mache da keine großartigen Unterschiede. Wir sind doch alle Unvergängliche und selbst wir Sefirot sind bloß Schöpfungen. Was genau ist denn eigentlich passiert, dass deine Herrin dich bestraft hat?“ „Nichts“, antwortete Armon ehrlich. „Sie hat behauptet, ich würde ihre Dienerschaft aufhetzen und eine Revolte planen. Aber ich würde so etwas niemals tun. Ich habe nie etwas Unrechtes getan. Sie hat mir dieses Vergehen angehängt, weil sie mich hasst und mich aus dem Weg räumen will.“ Armon erzählte alles, aber er glaubte nicht wirklich daran, dass Malakh ihm glauben würde. Als Ankläger glaubte er jemandem erst, wenn er das eingehend geprüft hatte. Er zog alles in Zweifel und vertraute nur auf handfeste Beweise. Und die hatte Armon nicht. Es stand die Aussage eines minderwertigen Seraphs gegen das Wort einer großen Alten und deshalb würde auch niemand ihm auch nur ein einziges Wort glauben. „Und die Strafe sind 10.000 Peitschenhiebe und deine anschließende Hinrichtung?“ „Ja.“ „Und du bist daraufhin weggelaufen?“ „Ja.“ Malakh wandte den Blick ab und wirkte nachdenklich. Armon rechnete erst damit, dass sein Retter ihm nicht glauben würde und ihn nach seiner Genesung einfach auslieferte. Etwas anderes erwartete er auch nicht. Es war sein Schicksal als Seraph, als Diener sein Leben zu fristen und dann zu sterben. Doch zu seiner Überraschung sagte Malakh nur „Ich glaube dir“ und sah, wie sich dieser erhob. „Es ist seltsam…“, murmelte der Sefira mit den lavendelfarbenen Augen. „Normalerweise glaube ich niemandem, egal was es ist. Aber… du bist der Erste, dem ich sofort bereit bin zu glauben. Und das ist merkwürdig. Normalerweise glaube ich niemandem.“ „Und… was passiert jetzt?“ „Ich werde das regeln. Du bleibst liegen und erholst dich. Du hast immerhin hohes Fieber und dein Körper ist auch völlig entkräftet.“ Damit wollte Malakh gehen, doch Armon hatte noch eine Frage, die ihn beschäftigte. „Warum tut Ihr das für mich?“ Hier blieb Malakh stehen und seine lavendelfarbenen Augen wirkten so unergründlich und wunderschön. „Wenn jemand so sehr darum bettelt zu sterben, dann sollte er auch mal versuchen, es mit dem Leben zu versuchen.“ Damit ging Malakh und schloss die Tür. Kurz darauf fiel Armon in einen tiefen erholsamen Schlaf. Malakh erreichte nach einer Weile den Palast und ging direkt durch zum Thronsaal, wo Miswa gerade dabei war, ihre doppelköpfige Streitaxt von Blutresten zu säubern. Offenbar hatte sie wieder eine Hinrichtung vollzogen. Als sie Malakh sah, verfinsterte sich ihr Blick und sie fragte „Was willst du denn hier?“ Wortlos warf er ihr einen Beutel zu, in dem sich Gold und Juwelen befanden. „Ich will deinen Diener Armon. Sieh das hier als Entschädigung für den ganzen Aufwand an.“ „Wie bitte?“ rief die Blondhaarige und erhob sich, wobei sie die Axt zum Schlag bereithielt. In ihrer Wut schlug sie schließlich zu, doch er hielt mit seiner Klinge dagegen und blockte den Angriff mühelos ab. „Pass ja auf“, warnte Malakh und funkelte sie warnend an. „Ich mag zwar nicht so stark sein wie mein Bruder, aber ich bin immerhin noch bei weitem stärker als du, auch wenn ich auf den Rang verzichtet habe und er an dich gegangen ist. Wir können das auch gerne in einem Dukrav klären und dann wird es dein Kopf sein, der ein Regal zieren wird. Du weißt genauso gut wie ich, dass du gegen mich nicht gewinnen kannst. Aber du kannst es gerne auf einen Versuch ankommen lassen. Mal sehen, wie großkotzig du dann noch bist, wenn ich dir noch dein anderes Auge rausreiße.“ Miswas Blick verfinsterte sich und eine Hand wanderte zu der Augenklappe, die sie trug, nachdem ihr Bruder Nazir ihr das linke Auge herausgerissen hatte, um sie zu demütigen. Immer noch hielt sie die Axt fest umklammert und sah aus, als wolle sie Malakh gleich eigenhändig den Kopf abschlagen. Aber sie besann sich eines Besseren, denn auch wenn Malakh schmächtig wirkte, so war er dennoch extrem stark. Er besaß dieselbe physische Stärke wie sein Bruder, nur nicht dieselben strategischen Fähigkeiten. Aber allein seine physische Stärke reichte aus, um jemanden wie Miswa in Schach zu halten. Also ließ sie die Axt sinken und setzte sich wieder. „Warum willst du diesen Seraph-Abschaum haben? Der ist sowieso zu nichts zu gebrauchen. Ich hatte sowieso vorgehabt, ihn kaltzumachen, weil ich seine Visage einfach nicht mehr ertragen konnte.“ „Und die Revolte?“ „Ach… hat er dir etwa was vorgeheult, als er weggelaufen ist und vier meiner Wachen erschlagen hat?“ Miswa lächelte kalt und stützte ihren Kopf auf ihrer Hand ab. „Warum interessierst du dich überhaupt dafür, Malakh? Du hast doch immer gesagt, du willst dir keinen Diener anschaffen, weil er dir nur ein Klotz am Bein wäre und du dir keine Arbeit machen willst. Und überhaupt: er ist nur ein Seraph. Sein Schöpfer hat ihn zu einem guten Preis verkauft und damit gehört sein Leben mir. Die Seraphim sind Sklaven und weiter nichts. Oder empfindest du etwa Mitleid mit diesem Abschaum? Es gibt nur eine wahre Herrscherrasse und das sind die Sefirot. Und wir, die großen Alten, haben die absolute Befehlsgewalt und so wird es auch immer bleiben. Und wir werden unsere Welt rein halten von dem Schmutz, der eine Gefahr für unseren Fortbestand darstellt. Das gilt sowohl für die Seraphim, als auch für die Nephilim.“ „Bist du jetzt fertig?“ fragte Malakh genervt und erweckte eher den Anschein, als hätte er Miswas Vortrag überhaupt nicht zugehört. Und das provozierte diese nur noch mehr. „Wie bitte?“ fragte sie wütend, doch das scherte Malakh nicht im Geringsten. „Ich hab keine Lust, mir diesen Quatsch noch länger anzuhören. Es interessiert mich einen Scheiß, was eure Rassenpolitik betrifft. Ich habe den Rat der großen Alten verlassen und kümmere mich auch nicht um das, was ihr veranstaltet. Also? Nimmst du die Entschädigung für deinen Diener an?“ „Mach doch mit ihm, was du willst. Wenn er dir auf die Nerven geht, binde ihn doch Steine an die Füße und ertränk ihn, oder schneid ihm die Kehle durch. Mir doch egal.“ Damit wandte sich Malakh um und ging zur Tür. Es herrschte Schweigen und nur das Echo seiner Schritte hallte durch den Thronsaal. Doch dann zog er seine Klinge, drehte sich blitzschnell herum und fing den Hieb ab, als Miswa versuchte, ihn hinterrücks mit der Axt zu erschlagen. Obwohl sie mit ihrer ganzen Kraft zuschlug, hielt er locker mit einem Arm dagegen und trat ihr in den Unterleib. Die Kraft schleuderte Miswa durch den Raum und schließlich stürzte sie zu Boden. „Beim nächsten Mal bist du dein anderes Auge los“, warnte Malakh und ging zur Tür raus, wobei er noch „olle Schreckschraube“ grummelte und dann den Palast verließ. Damit war alles geklärt. Er kehrte nach Hause zurück und ging in sein Zimmer um nachzusehen, wie es Armon ging. Dieser war ja schon halbtot gewesen, als Malakh ihn im Wald gefunden hatte. Und dabei war er nicht einmal im Auftrag von Miswa unterwegs gewesen, sondern war eigentlich gerade von einem anderen Auftrag zurückgekehrt. Und dann hatte der arme Kerl auch noch darum gefleht, getötet zu werden, um nicht zu Miswa zurückkehren zu müssen. Malakh wusste zwar, was Miswa für eine Zeitgenossin war und für gewöhnlich kümmerte er sich nicht darum, was sie da mit ihren Dienern machte. Aber aus irgendeinem Grund hatte er Armon unbedingt retten wollen. Obwohl er für gewöhnlich niemandem vertraute und auch niemals etwas glaubte, ohne einen unumstößlichen Beweis dafür zu haben, so hatte er nicht eine Sekunde lang an Armons Worten gezweifelt. Und das war ihm bislang noch nie passiert. Er war als Ankläger bekannt. Es lag in seiner Natur, die Aufrichtigkeit anderer anzuzweifeln und diese auf die Probe zu stellen, um endgültig überzeugt zu werden. Und ausgerechnet dieser einfache Diener hatte nicht eine Sekunde lang diese Zweifel aufkommen lassen. Warum nur? Nun, man nannte Armon zwar auch den „Aufrichtigen“, aber dennoch… es beschäftigte Malakh einfach, wieso er das Gefühl hatte, ihm vertrauen zu können, ohne seine Ehrlichkeit in einer seiner grausamen Prüfungen unter Beweis stellen zu lassen. Als er das Zimmer betrat, fand er den Verletzten schlafend im Bett liegend vor. Seine Wangen glühten und das Fieber war immer noch ziemlich hoch. Es würde dauern, bis es ihm besser ging. Er hatte auch wirklich tiefe Wunden gehabt und die waren nicht einmal behandelt worden. Miswa war echt die Schlimmste von allen… Kabod und Rakshasa tanzten ja auch nur nach ihrer Pfeife. Aus seinem Schrank holte er noch ein paar Goldmünzen und machte sich dann wieder auf den Weg zu einem Haus, welches nicht weit entfernt von hier lag. Es gehörte Minha, die auch als „Händlerin der tausend Wunder“ bekannt war. Zwar war sie bei den Rangkämpfen auf den drittletzten Platz abgerutscht, aber es war trotzdem bekannt, dass sie die mächtigste der großen Alten war. Sie war auch die Einzige, die in der Lage war, Wunder zu erschaffen und sie perfekt zu beherrschen. Mit diesen Wundern war sie eigentlich fast unbesiegbar, aber sie hatte nie wirklich Interesse an diesen Kämpfen gehabt, genauso wie Nazir. Sie hatte einfach ihm ihren Rang überlassen und lebte ihr Leben als neutrale Person, die an jedem ihre Wunder verkaufte, die gebraucht wurden. Ganz egal, ob diese Wunder in guter oder schlechter Absicht gebraucht wurden. Hauptsache, der Preis stimmte. Aber Minha verkaufte nicht nur wahre Wunder, sondern auch Heilkräuter, Arzneien und andere Mittelchen. Sie besaß einen enormen Wissensschatz und es kamen viele zu ihr, die Arzneien oder Salben brauchten. Und keiner konnte sie besser herstellen als Minha. Da sie auch eine komplett neutrale Person war und sowohl den Sefirot, als auch den Seraphim und Nephilim angemessene Preise anbot, genoss sie auch eine gewisse Immunität. Gerade saß Minha an ihrem Tisch und mahlte Kräuter und Blüten, doch sie erhob sich, als das kleine Glöckchen über der Tür zu bimmeln anfing. Sofort stand sie auf und ging zum Tresen. Sie hatte einen dunklen Hautton und dunkelbraunes, langes lockiges Haar. An ihren Hand- und Fußgelenken, um den Hals und an den Ohren trug sie Goldschmuck mit türkisfarbenen Steinen. Auch trug sie bunt bestickte orientalische Tücher mit Pailletten daran, die leise bei jeder Bewegung klirrten. „Ah Malakh, was kann ich für dich tun? Brauchst du eine Arznei, möchtest du ein Wunder kaufen oder führt dich ein anderes Anliegen her?“ „Ich brauche was gegen hohes Fieber und Entzündungen.“ Sofort ging Minha zu ihrem riesigen Schrank mit den kleinen Schubladen, wo sie alles aufbewahrte, was sie hergestellt hatte. „Und welche Art von Entzündungen?“ „Offene Wunden.“ Sie holte ein Fläschchen hervor, welches mit einem Pfropfen verschlossen worden war und zusätzlich noch ein Tütchen mit einem dunkelroten Pulver und legte beides auf die Ladentheke. „Die Arznei in diesem Fläschchen muss auf die offenen Wunden geträufelt werden. Ich gebe dir sicherheitshalber noch ein zweites mit, falls es nicht ausreichen sollte. Es wird in die Haut einziehen und sowohl desinfizieren, als auch die Entzündungen lindern. Das Pulver hier wird in heißem Wasser aufgebrüht und anschließend getrunken. Ein Mal täglich reicht vollkommen aus, um das Fieber zu senken.“ Damit holte Minha noch ein zweites Fläschchen hervor und damit bezahlte Malakh die Arzneien. „Danke, Minha.“ „Beehre mich jederzeit wieder mit deinem Besuch. Du weißt, mein Laden hat immer geöffnet. Für alle und für jeden.“ Mit den Arzneien kehrte Malakh nach Hause zurück und als er wieder bei Armon war, legte er die Decke beiseite und sah, dass der Ärmste ziemlich nass geschwitzt war. Und als er den Verband abnahm und die ganzen entzündeten Wunden sah, da spürte er einen unangenehmen Stich in der Brust. Es tat ihm weh, so etwas zu sehen. Vor allem bei Armon. Dass dieser überhaupt die Kraft gefunden hatte, sich zu befreien und zu fliehen, war wirklich erstaunlich. Aber wie sagte man auch? Wenn man verzweifelt genug war, konnte man Unvorstellbares schaffen und über sich hinauswachsen. Langsam öffnete der Kranke seine kastanienbraunen Augen und kam langsam wieder zu sich. „Was… was ist…“ „Alles in Ordnung. Ich behandle erst mal deine Wunden und dann bekommst du was gegen das Fieber.“ Armon war durch das Fieber noch völlig benommen und bekam wahrscheinlich nicht mal wirklich alles mit, was Malakh sagte. Dann aber fragte er „Und was ist jetzt mit mir? Muss ich… muss ich wieder zurück?“ „Nein“, antwortete Malakh knapp und begann damit, Armons Oberkörper zu waschen und dann dessen Wunden mit der etwas seltsam riechenden Tinktur zu behandeln. „Ich habe dich abgekauft und du bist jetzt mein Diener.“ „Ihr seid… mein Meister?“ „Ja. Auf die Weise bist du vor dieser Verrückten und dem Club der geistesgestörten Sadisten sicher und hast nichts zu befürchten. Eigentlich hatte ich nie wirklich vorgehabt, mir jemals einen Diener zuzulegen und ich hab auch echt null Ahnung davon, wie man sich einen Diener hält. Aber ich denke, wir beide werden schon gut miteinander auskommen. Vielleicht als Freunde oder so.“ Armon schwieg und ließ seine Wunden behandeln, wobei er aber wirklich die Zähne zusammenpressen musste, weil es furchtbar brannte, als diese seltsam riechende Tinktur auf seine offenen Wunden geträufelt wurde. „Warum tut Ihr all das für mich?“ „Warum sollte ich das nicht tun? Ich hab das Gefühl, als könnte ich dir vertrauen. Und… dieses Gefühl hat noch nie irgendjemand bei mir ausgelöst. Nicht mal mein Bruder.“ Armon sah ihn schweigend an und es war schwer zu sehen, was er wohl dachte. Wahrscheinlich nicht allzu viel in seiner Verfassung. Nachdem alle Wunden behandelt waren, verband Malakh sie und anschließend deckte er seinen Diener zu und verabreichte ihm schließlich noch die Medizin. Als Armon dann kurz darauf wieder eingeschlafen war, ging Malakh zum Schrank hin und begann sich seine Schutzrüstung aus dickem Leder anzuziehen. Da diese Angelegenheit geklärt war und sein Diener wohl erst mal flach liegen würde, konnte er sich endlich seinem eigentlichen Ziel widmen. Er würde seinen Bruder Samajim besiegen und ihm zeigen, dass man ihn ernst nehmen konnte. Und dann würde Samajim ihn auch endlich mal als Bruder wahrnehmen und ihn nicht immer nur wie einen Fremden behandeln oder ihn ständig ignorieren und so tun, als verbinde sie rein gar nichts. Sobald Malakh unter Beweis gestellt hatte, dass er der Bessere war, würde Samajim gar keine andere Wahl haben! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)