Dunkler als schwarz von Leira (Shinichi x Ran) ================================================================================ Kapitel 58: Rot --------------- Kapitel 58: Rot Pudding. Ja, so in etwa fühlt es sich an. Er hatte keine Ahnung, wie lange dieser Zustand, den er mental als „Pudding“ klassifiziert hatte, schon andauerte; er dämmerte vor sich hin, unfähig mehr als einen Sinneseindruck auf einmal zu verarbeiten, schob seine Gedanken von einer Seite auf die andere, wälzte sie um und drehte sie mehrmals, bis er endlich einmal einen von ihnen auch nur ansatzweise verstehen konnte. Er befand sich in einem inkonsistenten Zustand von nicht-ganz-Schlafen aber auch-nicht-vollkommen-Wachsein, und das seit einiger Zeit, seit er… seit er diesem Ozean bleierner Schwärze entstiegen war, diesen schweren Umhang nachtschwarzen Samtes abgeworfen hatte, aus der vollkommenen Finsternis hinausgestolpert war in graues, nebliges Zwielicht. Zäh war das, wackelig und undurchsichtig. Wie Kuchenteig, wie Kaugummi, ein bisschen wie Honig, wie… Pudding, eben. Wie eine bizarre Mischung von allem. Momentan schien der Pudding allerdings die Konsistenz von Wackelpeter zu bekommen, ein wenig klarer, ein wenig fester zu werden, denn irgendetwas schien anders, diesmal. Etwas veränderte sich Er hörte etwas. Irgendjemand ging neben ihm umher, vorsichtig, langsam. Mit Schuhen, die kaum einen Laut verursachen; ganz so als ob derjenige darauf bedacht wäre, ihn nicht zu wecken, nicht zu stören. Und er fühlte etwas – irgendetwas Textiles umhüllte ihn, inklusive einem seiner Arme. An seiner anderen Hand spürte er einen leisen Luftzug, als dieser jemand nahe an ihm vorbeischlich. Und anstatt grau oder schwarz schimmerte es hinter seinen Lidern rot. Langsam schnappte er nach Luft, fühlte, wie seine Lungen sich mit Sauerstoff füllten, roch Desinfektionsmittel, Putzmittel und ein Aftershave. Und wusste, dass das der erste, bewusste Atemzug seit einiger Zeit war, den er getan hatte. Okay, das ist gut, oder? Das funktioniert. Dann müsste… eigentlich auch das funktionieren. Shinichi versuchte, die Augen zu öffnen. Fühlte, dass es ihm schwerfiel, seine Lider klebten ein wenig zusammen und generell schienen sie bleischwer zu sein. Er kämpfte verbissen weiter. Und zwang sie auf. Einen Spalt zumindest – er bereute es umgehend, als das helle Tageslicht an seine Netzhäute drang, sie fast zu versengen schienen. Er stöhnte auf, kniff seine Augen wieder zu. „Oh, finally! You’re awake!“ Die Stimme, die er hörte, ließ ihn jeglichen Schmerz sofort vergessen. Er fuhr hoch, als sein Gehirn als Reaktion auf plötzlichen Stress Adrenalin en masse ausschüttete, starrte den Mann an, der da neben seinem Bett stand, atmete heftig. Dr. Constantine McCoy schaute ihn an – hob dann beschwichtigend die Arme. Auf seinem gerade noch erfreut dreinblickenden, gutmütigen Gesicht zeichnete sich ehrliche Betroffenheit ab. „Oh.“ Der ältere Mann schluckte, fuhr sich über den Hals, räusperte sich. Er sah die nackte Panik in den Augen seines Gegenübers und konnte sie ihm nicht verhehlen. Ehe er jedoch etwas entgegnen konnte, änderte sich etwas in Shinichis Gesicht. Langsam schaltete sein Hirn sich wieder ein. „Dr. McCoy.“, murmelte er heiser, ließ sich zurück in die Kissen sinken, starrte die Decke an, strich sich über die Augen, massierte sich kurz die Nasenwurzel. „You gave me quite the shock.” McCoy atmete auf, lächelte erleichtert. Dann zog er sich einen Stuhl heran, nahm neben Shinichi Platz, fischte ein Glas und eine Flasche Wasser vom Beistelltisch und schenkte ein Glas ein, welches er Shinichi reichte, der es dankbar entgegennahm. Bedächtig und konzentriert setzte er es an die Lippen, fühlte, wie seine Hände zitterten, resginierte. Er konnte es jetzt nicht ändern, also hatte es keinen Sinn, sich darüber aufzuregen. Dann nahm er einen Schluck, merkte, wie gut die klare Flüssigkeit seinem Hals tat, leerte das Glas. Langsam setzte er es ab, seufzte tief. „So… Jenna got you out of your basement?” Mit nicht mehr ganz so wüstentrockenem Hals hörte sich seine Stimme gleich viel besser an. “Yes.” McCoy nickte langsam. “Yes, she did. She told me I had to thank you for that, though.” Shinichi wandte sich ihm zu, fixierte ihn mit seinen klaren, blauen Augen, nahm jedes Detail an seinem Gesicht auf; auch wenn es nicht viel war, ein bisschen schien es abzuweichen von dem Gesicht des Pathologen in seiner Erinnerung. Die Schatten unter den Augen ein wenig dunkler, die Falten ein wenig tiefer – und unübersehbar das verblassende Veilchen unter seinem rechten Auge, die immer noch leicht schorfige Wunde an seiner Schläfe. Immerhin schien der Mann aber ansonsten heil aus der Sache rausgekommen zu sein. Shinichi kniff die Lippen zusammen, schüttelte ernst den Kopf. „No. Most certainly not, Doctor. I am the reason you got into that trouble in the first place. He was hunting me. He used you to get to me. I need to apologize, by no means do you have to thank me.” Er ließ seinen Kopf zurücksinken, schloss die Augen. Hinter seiner Stirn pochte es unangenehm. Dann fuhr er fort. „You`re wearing a white lab coat. Are you acting as a physician here? I suppose I’m in hospital?” Shinichi atmete ein und aus, seufzte dann. „I hope, I’m not dead, am I?” Er versuchte, witzig zu klingen, und McCoy tat ihm den Gefallen, leise und amüsiert aufzulachen. „No, you’re not, but I guess I don’t have to tell you that you’ve been standing on death’s doorstep, with your fingers reaching for the doorbell, Sherlock. You’re a tough nut as I’ve not seen any other in my whole career as a doctor.” Er seufzte, studierte das blasse Gesicht seines jungen Kollegen, schüttelte den Kopf. Es war verdammt eng gewesen. Mit Schaudern erinnerte er sich daran, als man ihn in sein Zimmer geführt hatte, vor ein paar Tagen. Erinnerte sich an den Menschen, der in diesem Bett gelegen hatte, bleicher fast, als diese Krankenhausbettwäsche war, wehrlos, gezeichnet von den Qualen, die er in so kurzer Zeit aushalten hatte müssen. Ein Mensch, dessen Körper keine andere Option zur Rettung seines Systems gesehen hatte, als es fast ganz abzuschalten. So nahe am Systemcrash. Und dennoch kämpfte er. Er schüttelte den Gedanken ab. „You’re quite right, you’re in hospital. I still have an approbation and an office in this institute, so I am allowed access in here.” Ein feines, wenngleich wehmütiges Lächeln. „The only one, who is allowed access here, to be honest, Sherlock. You must not have visitors right now. Your latest treatment…” Er seufzte, als er Shinichis betroffenen Blick bemerkte, schüttelte den Kopf, traurig. „It affected your lungs, they suffered considerably; you might have noticed, you coughed blood.” Shinichi nickte langsam. “It would be unwise to expose you to the threat of as much as a simple cold regarding the state you’re in. You’re lucky, though. No other organs are affected, and believe me, kidneys with burst arteries, small as they might be, are no joke.” Er versuchte, ihn aufmunternd anzulächeln. „Just a few more days, you’re making good progress. Amazing progress, to be frank.” Shinichi blinzelte ihn an, schluckte. „For how long… have I been… sleeping…?” Der Doktor stand auf, drehte sich um und betrachtete den Tropf, der in Shinichis Venenzugang endete. „You’ve been in coma, Shinichi. For about two weeks.“ Er hörte ihn ächzen, schüttelte den Kopf, legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. „No! That’s good, actually. Your body went into energy-saving mode itself after it had to endure that overdose and all the strain you put on it with your escape. You were extremely lucky – I don’t have to tell you that no painkiller or anything else would’ve worked on that drug. Your girlfriend helped you to step away from the brink of death, and your body made the best decision when shutting down itself to a minimum. You’re doing just fine, Shinichi. Just allow yourself a few more days to recover.” Shinichi, der kraftlos in seine Kissen zurückgesunken war, schluckte hart. Zwei Wochen im Koma. Er sog scharf die Luft ein, als ein anderer Gedanke durch seinen Kopf kreuzte. Ran! Die anderen…! „Do you… have you heard of…”, begann er heiser, wurde jedoch fast augenblicklich von seinem Kollegen unterbrochen. “Your parents? Your detective friend from Osaka, that guy Heiji and his girlfriend? From Shiho, and this other girl, Sonoko? From the police officer from Tokyo, Môri?” Mc Coy machte eine kleine Kunstpause, sah ihn starr an, ehe ein Lächeln auf seine Lippen schlich, bevor er die nächsten Worte sprach. „…from your beloved one, Ran…?” Shinichi sah nicht auf, merkte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. „Not to mention these two agents from the FBI.” Er lachte. “Of course I have. Quite a shock that was for me – realizing that you’ve got a whole bunch of friends and family caring for you – and deeply so. And you’ve left them all behind, five years ago. Still, they’re here.” Er presste seine Lippen zu einem dünnen, blutleeren Strich, schaute Shinichi ernst an. Der wandte seinen Kopf, blickte langsam auf. „Please do me a favour and spare me that lecture, Dr. McCoy. I’ve gotten that message by now…” “I take it you have.” McCoy seufzte ebenfalls, strich sich übers Gesicht mit beiden Händen, rubbelte seine Wangen, schüttelte den Kopf. „They are here, every day, Sherlock. Every single day. Waiting in the waiting room, have lunch at the canteen, waiting again, hearing about you, leaving, just to return again the next morning. I’ve had chats with all of them by now, and I… have no words left to describe what I’ve experienced. They’re remarkable, each one of them. And I am – I am seriously happy, that when you leave these premises, you have them to return to, after what you went through. And to stand by your side to help you face what’s still lying in front of you.” “A rather stony way.” “I am afraid, I have to admit it, but yes – you’re right. A quite stony way…” McCoy seufzte, wischte sich mit einer Hand übers Gesicht, setzte sich wieder. „She’s extraordinary, your Ran. I hope, you know what you’ve got to do once-“, fing er an, in seiner Stimme gespielter Tadel. “I do.” Shinichi lächelte sanft. Dann verzog er das Gesicht, hob die Hände, presste sie gegen seine Stirn, hielt sich die Augen zu. „Headache?“ „Yeah.“ Shinichi seufzte. „Feeling a little cold cold, too. And…” “I guess it’s time, anyway.” McCoy seufzte tief, schaute mit zusammengezogenen Augenbrauen auf das EKG, dass deutlich den sich langsam, aber stetig schneller und unruhiger werdenden Herzschlag Shinichis illustrierte. “I guess, you know what we’ve started once the drug’s effects had worn off.” Shinichi nickte langsam, schluckte hart. „We should send you sleeping before the cramps start. You need not to suffer more than necessary.” Der junge Japaner sah auf, blickte in das großväterlich lächelnde Gesicht, verzog die Mundwinkel. „Guess there’s no choice, is it?” “No. Not one we would let you make, that is.” Er drehte sich um, verließ kurz das Zimmer, kam mit einem weiteren, etwas jüngeren Arzt zurück, der eine Injektion auf einem Tablett mit sich trug. „Don’t worry.” McCoy sah ihn beruhigend an. „We keep this as short as possible.” Der andere Arzt setzte die Spritze an Shinichis Venenzugang an, leerte ihren Inhalt langsam. Shinichi, der seine Hand unwillkürlich zu einer Faust geballt, die andere Hand unter der Decke ins Bettlaken gekrallt hatte, verfolgte ihn widerwillig. Jeder Muskel in seinem Körper schien zum Zerreißen gespannt, und erst als die Spritze entfernt wurde, entließ er den Atem, von dem er nicht mitbekommen hatte, dass er ihn angehalten hatte. Er schluckte trocken, räusperte sich, verfolgte die beiden Ärzte, wie sie sich anschickten, sein Zimmer zu verlassen. „Dr. Mc Coy.”, hielt er den Autopsiearzt Scotland Yards zurück. Der Mann drehte sich um, trat zur Seite, damit sein Kollege neben ihm den Raum verlassen konnte. „Sherlock?“ “So, when you go and tell them about my state today, will you tell them that I’m fine, looking forward to meet them asap and not to worry?” McCoy wandte sich ihm zu. „Of course, I will.“ Er lächelte – dann schloss er die Tür hinter sich. Shinichi lehnte sich zurück, holte tief Luft. Er konnte nicht abstreiten, dass er gerade eben ein wenig panisch war. Er hatte es vor fünf Jahren so verabscheut, sich dieser Therapie unterziehen zu müssen, er hatte Angst vor diesen Substanzen, Angst vor dem, was sie mit ihm machten, ohne dass er einen Einfluss darauf hatte. Er schloss die Augen, versuchte, das penetrante Rauschen in seinen Ohren zu überhören, sich selbst durch tiefes Ein- und Ausatmen zu beruhigen. Er wusste, es war seine einzige Chance und er wusste auch, dass es funktionierte. So versuchte er also, sich zu beruhigen, als er darauf wartete, dass die Wirkung endlich einsetzte, ihn wieder schlafen legte, für ein paar Stunden vergessen ließ. Bald bin ich wieder bei dir, Ran. Es ist nur noch eine Frage der Zeit… „Er war wach?“ Ran war hochgefahren, stand nun vor dem richtigen Autopsiearzt – sie konnte nicht abstreiten, dass sein Gesicht ihr immer noch Schauer über den Rücken rieseln lies – und starrte ihn mit großen, flehenden Augen an. „Dürfen wir zu ihm? Hat er etwas gesagt? Wie geht es ihm?!“ Im nächsten Moment merkte sie, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss, als ihr bewusst wurde, dass sie den armen Mann gerade mit einem Redeschwall auf Japanisch überflutet hatte. Er lächelte sie jedoch nur verständnisvoll an. „He’s well enough, regarding what he’s been through. I guess, that’s what –“ Ran lächelte, seufzte. “Yes. I… I am sorry. Yes, I wanted to know how he’s doing. And if we can visit him…” McCoy schüttelte entschuldigend den Kopf, entlockte damit nicht nur Ran ein enttäuschtes Seufzen. „He woke up, got quite the shock when he saw me, but drew the right conclusion quick enough.” Er grinste kurz, wobei sich sein Schnurrbart, der dem eines Walrosses Konkurrenz machte, in die Breite zog, sich die Fältchen um seine Augenwinkel vertieften. „He’s fine, but he’s not allowed to have visitors just yet. I am to greet you, tell you not to worry and that he’s looking forward to the day he’ll meet you again. Then we had to put him back to sleep again. You know…” Ran zog sich die Unterlippe zwischen die Zähne, nickte langsam. „Don’t worry.“ Sie spürte die Hand des Pathologen auf der Schulter, blickte auf. „He’s craving as much as you to be with you. But it would be foolish to put all the recovery he’s already made at risk.” Ran schaute den Pathologen lange an, ihre Lippe zwischen die Zähne gezogen. „I know he disguised as me, Ran. I know he wanted to kill him. But I’m not – “ “I know –“, fiel sie ihm hastig ins Wort, als er den Kopf schüttelte, lächelte. „I’m not him, Ran. I know Sherlock – Shinichi - since his first day here. I was, before our dear Jenna came, of course”, er lächelte wohlwollend die junge Polizistin an, die sich etwas im Hintergrund hielt, „the man closest to a friend to him in the yard, if not even in the city. I was worried that he would get consumed by his job. Be eaten alive by his profession. Now I see what he has to return to, Ran… who he has to return to… who he so desperately wants to return to -” Ran schluckte, merkte, wie ihr Herz fast stehen blieb, als sie den Ausdruck ehrlicher Freude und Güte auf dem Gesicht des alten Mannes sah, „I would rather cut my own hand off than let him down. But he’s not ready yet. You dragged him up there, you’ve saved him, you know it’s close to a miracle that he survived at all. Give him a few more days. Be patient. I know, it’s hard. I’ve seen the same expression in his eyes just now, but for the time being, he has surrendered. He’s not going to take any more risks. He wants that life. He. Wants. It. And it’s the first time, believe me, that I’ve seen him wanting to live his own life, ever.” Ran verknotete ihre Finger, schaute zu Boden – dann auf, suchte den Blick des Pathologen. „And so will I. Be patient, I mean. Thank you for your help, Dr. McCoy. It is… relieving to know that you can care about him while we can’t.” Seit diesem Tag waren sechs weitere vergangen; immer wieder mit neuen Nachrichten von Shinichi, dem wohl mehr und mehr seine Krankenzimmerdecke auf den Kopf fiel, aber dem die Ärzte immer noch keinen Besuch erlauben wollten. Tag für Tag wurden sie vertröstet, und es zehrte zunehmend an ihren Nerven. Sie konnte sich bildlich vorstellen, wie sehr es an seinen zehrte. Ran lächelte traurig, öffnete ein Fenster, ließ frische Luft ins Wohnzimmer seiner kleinen Wohnung. Sie war nach ihrem heutigen Besuch in seine Wohnung zurückgekehrt; sie war mittlerweile hierhin gezogen, und hatte angefangen, sie aufzuräumen. Gut, viel zu räumen gab es nicht – und das merkte auch Sonoko an, die mit in die Hüfte gestemmten Händen mitten im Raum stand und Ran beim Abstauben seiner Bücher zuschaute. Kazuha war mit Shiho auf Rans Bitte hin einkaufen gegangen, nachdem der Kühlschrank fast so neu und jungfräulich aussah, wie am ersten Tag, und auch die Vorratsschränkchen nicht viel vorzuweisen hatten. „Man könnte meinen, ihr wärt schon verheiratet.“, ätzte sie gerade, ließ sich dann neben Heiji auf’s Sofa fallen. Ran warf ihr einen schrägen Blick zu. „Sonoko.“ Sie seufzte, putzte eine Ecke des Regals aus, das sie sich gerade vorgenommen hatte, wandte sich dann um. „Ich will nur nicht, dass er heimkommt, und hier herrscht Chaos. Auch wenn er… das hier überlebt hat, und wenn sie ihn nach Hause lassen, wird er noch…“ Sie brach ab, biss sich auf die Lippen. Yusaku hatte sie zwei Tage nach diesem ereignisreichen Tag beiseite genommen und ihr erklärt, wie Shinichis Genesungsweg aussehen würde. Zögernd, und widerwillig, das hatte sie gesehen, und sie ahnte, dass das eine Geschichte war, die Shinichi ihr wohl tatsächlich verschwiegen hätte, hätte es in seiner Hand gelegen. „Nachdem du… wahrscheinlich an seiner Seite bleiben wollen wirst, Ran, solltest du zumindest wissen, was dich erwartet. Ein wenig vorbereitet sein auf das, was kommt.“ Sie hörte seine Stimme immer noch in ihrem Kopf. Yukiko war neben ihm gesessen, hatte während der Erzählung geschwiegen, gegen Ende hin nur seine Hand genommen und sie sacht gedrückt. Sie selbst war auf dem Stuhl gesessen und fühlte sich wie vom Zug überrollt. „Nachdem du das jetzt weißt, Ran… bist du sicher, dass du hierbleiben willst? Bei ihm? Das… wird kein Spaziergang werden, gerade am Anfang und gegen Ende nicht. Ich bin mir sicher, er könnte verstehen, wenn du… wenn ihr das erst fortsetzt, wenn er aus dem Gröbsten raus ist.“ Rans Kopf war hochgefahren, fast so etwas wie Wut war in ihr hochgekocht, sicher aber Empörung. „Ich werde ihn nicht allein lassen!“ Sie hob den Kopf, in ihren Augen funkelte Entschlossenheit. „Endlich habe ich ihn wieder… und ich… ich hab mir geschworen, dass ich ihn nie wieder alleine lassen werde…“ Sie schluckte, atmete tief ein und aus. „Aber danke. Ich verstehe, warum… warum Sie mich das fragen.“ Yukiko lächelte schwach. „Du, Ran. Wir waren doch schon beim Du. Also gut – dann lass uns das zusammen durchstehen. Ich habe die vage Hoffnung, dass es zumindest nicht ganz so schwierig sein dürfte, ihn dieses Mal davon zu überzeugen, mitzumachen.“ Ran nickte, griff dann nach ihrer Hand. Dieses Gespräch war immerhin nun auch schon vier Tage her. Sie hatte daraufhin ihre Mutter angerufen um sie zu informieren, dass sich ihre Rückkehr nach Tokyo auf unbestimmte Zeit verschieben würde, und sie solange Fälle nur aus der Ferne bearbeiten könne. Ihre Mutter hatte ihr allerdings soweit gar nicht zugehört. Tatsächlich war sie gerade am Packen gewesen. Offenbar hatte ihr Vater gestern schon mit ihr telefoniert und sie ins Bild gesetzt, und beide hatten entschlossen, dass es wohl an der Zeit wäre, dass sie und auch Professor Agasa nach London kämen. Sie würden morgen früh ankommen, rechnete Ran nach. Wahrscheinlich saßen sie jetzt im Flieger. „Er wird sich ausruhen müssen, Sonoko.“ Ihre Stimme war leise, ihre Augen unfokussiert, starrten auf das Buch in ihren Händen, ihre Augen auf den Titel geheftet, ohne ihn zu lesen. „Na, als chaotisch würde ich diese Bude trotzdem nicht eben klassifizieren.“, murrte Sonoko. „Mal ehrlich Ran, der Typ lebte in absoluter Askese. Das hier würde jeden Klosterbruder vor Neid erblassen lassen…“ Ran seufzte, lächelte traurig, doch ehe sie antworten konnte, fuhr Heiji dazwischen. „Sie braucht was zu tun, während sie wartet, Suzuki. Peilste das nich‘?“ Sonoko wandte sich ihm zu, der nun an seiner Tasse Kaffee schlürfte, die er sich in der Küche geholt hatte. Ran wischte sich mit dem Unterarm über die Augen, merkte, wie dieses Gefühl erneut in ihrer Brust wühlte – Angst. Unsicherheit. Das Buch in ihrer Hand zitterte. Sie hatte so gehofft, ihn heute endlich sehen zu können. Stattdessen hatten sie mit der Information wieder nach Hause gehen müssen, dass die Ärzte noch nicht entschieden hatten, ob er heute Besuch haben dürfe oder nicht. Ihre Augen brannten. Sonoko schaute sie betroffen an. „Ran, Süße…“ Sie stand auf, zog sie in die Arme. „Du weißt doch, es geht ihm gut. Also… den Umständen entsprechend. Nicht mehr lange –…“ „Aber das sagen sie jeden Tag.“ Ran schluchzte trocken, schüttelte dann missmutig den Kopf. „Jeden Tag. Und telefonieren will er wohl nicht.“ „Weiß auch nich‘, ob das besser wär‘.“, murrte Heiji, stellte seine Kaffeetasse ab. „Ich glaub, es is jetzt schon nicht leicht für ihn. Dich am Telefon zu hören, wie de weinst, war noch nie etwas, das er gut ertragen konnte oder locker wegsteckte, selbst wenn er jetzt weiß, dass es kein dauerhafter Zustand is.“ Er stand auf, nahm ihr das Buch aus der Hand, stellte es zurück ins Regal. „Na komm, gib mir den, ich mach hier weiter. Kümmer du dich lieber um’s Schlafzimmer, da geh ich nich‘ rein.“ Damit nahm er Ran den Lappen ab und fing an, das nächste Regal zu entstauben, während Ran ins Schlafzimmer ging, Sonoko im Schlepp. „Visitors?“ Shinichi blinzelte. „It’s almost seven pm now. Nobody is going to visit me today any longer, visitors aren’t allowed that late. My parents and friends are here every day. Wasn’t it possible for you to decice on that earlier, while they were still waiting? You sent them home! And now you tell me that I can have visitors?–…“ Er hatte sich aufgesetzt, starrte die beiden Ärzte vor ihm konsterniert an. „The nerve –…”, setzte er erneut an, sein Unmut spiegelte sich sowohl in seinem Gesicht als auch seiner Stimme. „We’re very sorry. Today was extremely busy.“ „Ahh. Sure. That explains everything.“, ächzte Shinichi, schüttelte dann den Kopf; stoppte abrupt, als ihm ein Gedanke in den Sinn kam. „Okay, so… I’m well enough to have visitors, so my lungs are fine with the average amount of stress on them. I guess, I am well enough to be able to leave, then.” „Leave?“, echote der jüngere Arzt, während McCoy’s Augenbrauen nach oben wanderten. „Leave the hospital, yes. Go. End my stay here. You said, my lungs are well enough recovered to face all the “threats”,” er setzte das Wort “threats” mit einer entsprechenden Geste seiner Hände in Szene, “out there, so I just may as well leave here. It’s not my first substitution therapy. I am well informed of what I have got to do. And I would assume, that…” Er holte Luft, schaute seine beiden Ärzte stur an. „… being reunited with my family and friends that will take best care of me, will definitely improve my recovery, especially regarding the mental aspects accompanying the therapy.” Die beiden Ärzte glotzten ihn immer noch sprachlos an. Shinichi kniff die Lippen zusammen, blinzelte nicht. „I demand to go home. Now.” Der jüngere der beiden Ärzte seufzte. „I’ll go and consult Dr. Payne. I can’t decide that.” “Please do so.” Shinichi sah ihm zu, wie er den Raum verließ. McCoy seufzte, schüttelte den Kopf. „Don’t you think it’s a bit too early for you, Sherlock?” “No.” Shinichi schälte sich aus seiner Bettdecke, schwang die Beine aus dem Bett, stand langsam auf. Den Fehler, zu schnell aufstehen zu wollen, hatte er vor ein paar Tagen schon begangen und mit einem unabsichtlichen Kniefall bezahlt. Er ging langsam zum Schrank, griff sich seine Sachen und wanderte ins Bad. „What are you thinking you’re doing?”, fragte McCoy überflüssigerweise. “Change my clothes, obviously.” Shinichi steckte den Kopf aus der Tür. „I’m not going to walk outside in my pyjamas.” Damit schloss er die Tür wieder, zog sich um. Als er wieder nach draußen trat, stand Dr. Payne schon im Zimmer, schaute ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen tadelnd an, bedeutete ihm, sich aufs Bett zu setzen. „Dr. Lester informed me that you want to leave us, Mr. Kudo.” Shinichi nickte. “Obviously.” “I don’t have to tell you that I think it’s an unwise idea – stupid would’ve been my preferred expression, to be frank. You’ve been in coma for two weeks, with an injured lung, a drug overdose, a serious cut on your arm, several bruises –“ “And I’ve been here for three weeks to recover.” Shinichi schluckte. “Three weeks. That cut’s healed, the bruises also. My lungs have, as you told me, recovered well enough as to be able to deal with all the germs and pollution that’s not exceeding a certain amount – I promise, I won’t start smoking, and I am sure, all of my friends and family will understand that they can’t smoke in front of me right now. I also swear I won’t run into a burning building.” Er schluckte. “As for the substitution therapy – that will take several weeks more, as you and me are perfectly aware of. And I am sorry to surprise you now, but I won’t stay in hospital for that long – I didn’t the last time, and I most certainly will not do so right now. Give me the instructions, I will take that stuff precisely as you order me to. I will be here for every examination you wish to perform. I won’t leave the citiy. But I won’t stay here longer than necessary. As is – I will leave now.” Er schaute dem Arzt stur ins Gesicht. Der starrte zurück, verdrehte die Augen. „By all respect, you are a stubborn idiot, Mr. Holmes. But well.” Er kritzelte etwas auf einen Block, riss das Blatt heraus. „As I am sure, you won’t stop pestering us before you got your will anyway, so please. Your recipe. Get the substance in the apothecary in the basement. I want you here in two days for a check-up. No exercises, no work, nothing that’s going to put strain on you in any way. And your release here is on your own responsibility entirely of course, so I will need your sign here.” Der ergraute Arzt schaute ihn lange an. Shinichi nickte ernst – dann schlich sich ein dankbares Lächeln auf seine Lippen. „Thank you very much.“ Damit stand er auf, griff nach dem Kugelschreiber, den der Arzt ihm hinhielt und unterschrieb schwungvoll seine Entlassungspapiere, steckte das Rezept für das Medikament in seine Sakkotasche, um es einzulösen, bevor sie das Krankenhaus verließen. Draußen vor der Klinik blieben sie stehen. Shinichi schluckte, atmete tief ein und aus, fuhr sich mit den Händen über sein Gesicht, seufzte. McCoy schaute ihn abwartend an, zog eine Augebraue tadelnd in die Höhe. Shinichi zuckte mit den Schultern, setzte ein unschuldiges Lächeln auf. Tatsache, er fühlte sehr wohl, dass er noch nicht wieder auf der Höhe war. Dableiben wollte er aber auf gar keinem Fall. Nicht einen Tag länger. McCoy fischte nach seinen Autoschlüsseln, seufzte widerwillig. „Okay, so – as I am to babysit you for a while, what do you plan to do now? Shall I drive you home into your flat, straight away? I am informed that’s where your girlfriend lives at the moment.” Shinichi drehte sich um, grinste. “No. Actually, I would love to make a small detour.” “A small… what?” Der Arzt, der gerade einen Schritt in Richtung seines Wagens gemacht hatte, drehte sich um. „Didn’t you listen to –…“ „Just a short shopping trip, doctor.” Shinichi klopfte ihm mit einer Hand auf die Schulter. „Shopping?” Shinichi grinste, hörte an der Stimme und dem Tonfall des Pathologen, dass er den Braten roch. “Shopping, yeah. I thought about a short stop at Harrod’s before we drive to my flat?” McCoy’s Augenbrauen rutschten nach oben – dann fingen seine Augen an zu leuchten. „Very well, my friend. As they open until 9pm, we’ve got still one and a half hour left.” Shinichi nickte. “That’s enough for me.” Die Fahrt dauerte nicht lange; ihr Aufenthalt dort auch nicht. Schon nach ein paar Minuten traten die beiden Männer wieder hinaus auf die Brompton Road, falteten sich wieder in McCoys altertümlichen Mini, der Shinichi immer wieder an das kleine Wägelchen der Kultfigur Mr. Bean erinnerte. Er hatte den Arzt schon lange mal fragen wollen, warum er an der kleinen Rostlaube festhielt, wo er sich doch sicher ein anderes Modell hätte leisten können, hatte es bisher aber immer versäumt – und gerade eben hatte er dazu nicht wirklich den Nerv. Tatsächlich hatte er wohl gerade eben für überhaupt nichts einen Nerv, denn die schienen alle während der letzten Minuten das große Flattern bekommen zu haben. Shinichi griff mit seiner Hand in seine Jackentasche, ertastete mit klammen Fingern ein kleines, mit Kunstleder überzogenes Kästchen, merkte, wie sein Puls zu rasen anfing, diesmal jedoch aus einem ganz anderen Grund. Er zog die Hand wieder heraus, klopfte kurz auf seine Tasche, um sicher zu gehen, dass es nicht herausfiel. McCoy neben ihm grinste, klopfte ihm auf die Schulter. „It’s a beautiful ring. She’ll be delighted. Though I think, you could have gotten her one out of a chewing gum machine, and she’d still marry you.” Er lachte, wartete, bis Shinichi, der ebenfalls zu lachen begonnen hatte, eingestiegen war. Die Fahrt zu seiner Wohnung verlief schweigend; erst als sie anhielten, räusperte sich der alte Pathologe, ergriff erneut das Wort. “Good luck then.” Er seufzte. “I will drop by tomorrow to check-“ “That’s not necessary, doctor.” Shinichi schüttelte den Kopf, als der zu einer Erwiderung ansetzte. „I’ll see you at work – no, stop.” Der Arzt hatte den Mund erneut aufgerissen, wohl um ihm entgegenzusetzten, ob er denn bitteschön seinen Arzt im Krankenhaus nicht verstanden habe, hielt inne, als ihm Shinichi mit einer Geste seiner Hand das Wort abschnitt. „I’m not going to work, actually. I only planned to pay a visit to Montgomery.” Er schluckte hart. „I guess it won’t surprise you too much when I tell you that I am going to quit my work here. I will leave Scotland Yard.” Ein trauriges Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er den betroffenen, aber nicht überraschten Ausdruck auf McCoys Gesicht bemerkte. „As you mentioned it… I have a life to return to. A life to live. It’s just not taking place in London, so I have to…” Er seufzte leise, schluckte. “So, I’m coming to work tomorrow, you can check on me there. I promise, I won’t take on a new case.” McCoy kniff die Lippen zusammen – dann lächelte er, kurz. „You’re doing the right thing. But I will miss you. As will many more…” Shinichi nickte, grinste dann kurz. “Yeah… but I’m confident that we’ll stay in touch.” Er schloss die Augen, atmete tief durch. „Dr. McCoy?“ „Hm?“ „Thank you.“ Er wandte sich dem alten Arzt zu, schenkte ihm ein ehrliches Lächeln „Not only for the last hours or days, but…” Der alte Mann schüttelte den Kopf, klopfte ihm auf die Schulter. „No need to. Now go up there and get your girl.” Er hatte gewartet, bis die Rücklichter von McCoys Wagen verschwunden waren, erst dann hatte er sich umgedreht. Langsam war er den Weg entlang zur Haustür hochgewandert, hatte mit dem Ersatzschlüssel aufgesperrt und war die Treppe hochgestiegen. Vor Sharons Wohnung war er stehengeblieben. Stumm fragte sich, wo sie abgeblieben war, und ob er von ihr irgendwann einmal etwas hören würde. Die Holztür schien ihm nicht wirklich eine Antwort darauf geben zu wollen, und öffnen ließ sie sich auch nicht. Er presste die Lippen zusammen, bis von ihnen nur noch ein blutleerer Strich zu sehen war. Wie war das, Sharon? A secret makes a woman a woman. Dann griff er in seine Jacke, holte eine alte Kreditkarte aus seinem Portemonnaie und schob sie zwischen Türspalt und Tür; er hatte Glück, die Tür war zwar zu, aber nicht abgeschlossen. Leise öffnete er die Tür, trat ein, ließ die Atmosphäre der Wohnung auf sich wirken, ehe er weiter vordrang. Es schien tatsächlich niemand zu Hause zu sein; der feine Staubfilm auf den Möbeln zeigte ihm, dass dem auch schon länger so war. Wo bist du, Sharon? Schon längst außer Landes, wahrscheinlich… hm? Seine Augen waren an einem Brief hängen geblieben, der auf dem Wohnzimmertisch gegen eine Vase gelehnt stand. Auf dem Umschlag stand, in schwungvoller Schrift geschrieben: Silver bullet Shinichi trat näher, griff sich den Umschlag und ließ sich in den Sessel sinken, in dem er so oft während der letzten fünf Jahre gesessen hatte, schluckte. Dann riss er mit fem Daumen den Umschlag an der oberen Kante entlang auf, zog einen Bogen Papier heraus. Dear Shinichi, Er schluckte hart, atmete gezwungen langsam aus, starrte kurz auf den leeren Platz ihm gegenüber. Und setzte erneut an. Dear Shinichi, when you read this, I am probably dead by now. Er runzelte die Augenbrauen, las weiter, während ihm ein ironisches Lächeln auf die Lippen kroch. Or so thay say in those pathetic letters on the end of a grand story, right? Oh dear, no. I’m not dead. And when you’ve got that letter in your hands, you’re not dead either, right? So far, so good. You know, I am an actress, a mistress of words, drama and fake faces, but I want to keep this one very short and very true today: I guess, we will never meet again. My mission is completed, as is yours. Now, I am still a criminal the police is after, unlike you. So I have decided to put a mask on my face for on last time – and this one is built to last forever. But I would have hated to leave without having told you my thanks; you never decided to take part in my play voluntarily, I just dragged you in, but your role was vital – and you exceeded my expectations in you by far. I was, like you, devastated by the thought that we had lost her in the wakes of their destruction. I am, like you, thoroughly relieved to know that that angel still hovers at your side now – and I am very sure you’re intelligent enough now to never let her go again. So, there’s only one thing left for me – to wish you and Ran a merry and peaceful life. The two of you will always have a special place in that black heart of mine, rendering it a little less rotten. Farewell, Shinichi, Bide your mother my regards. She was the best friend I’ve ever had. A secret makes a woman a woman. Sharon XXX Ein paar Minuten vergingen, in denen er bewegungslos im Sessel verharrte, den Inhalt des Briefs sacken ließ; dann lachte er kurz, schüttelte den Kopf. „War ja auch nicht anders zu erwarten, nicht wahr, Sharon?“ Er faltete den Brief zusammen, schob ihn zurück in den Umschlag, steckte ihn in seine andere Jackentasche, verließ die Wohnung, zog hinter sich die Tür wieder ins Schloss. Shinichi seufzte, dann schob er den Gedanken an sie beiseite, stieg die letzten Stufen hinauf und hielt inne. Aus seiner Wohnung drang Stimmengewirr. So wie es aussah, war nicht nur Ran hier. Er schluckte, straffte die Schultern, streckte dann die Hand mit dem Schlüssel aus, stopfte ihn ungelenk ins Schloss, drehte ihn mit zitternden Fingern zu. Langsam schwang die Tür auf. Die Stimmen wurden lauter. Und es roch nach Essen. So leise wie möglich trat er in seinen kleinen Flur, drückte die Tür hinter sich lautlos ins Schloss, streifte sich mit den Füßen die Schuhe ab. Schlich langsam weiter, spähte um die Ecke – und sah sie alle um seinen kleinen Tisch gepfercht vor Pizza und Spaghetti, wild diskutierend. „Das is‘ jetzt sechs Tage her. Kann doch nich‘ sein-…“ Heijis Stimme klang genervt. „Ich mein‘, jeden Tag untersuchense ihn und alles, da werdense doch mal sagen können, wann man ihn besuchen kann…“ Sein Wortschwall ging unter, als er sich eine Gabel voll Spaghetti in den Mund stopfte und sich so selber die Luft zum Sprechen abschnitt. „Ich habe nachgelesen… es gibt leider keine genauen Angaben dafür, wie lange so eine Lunge braucht, um sich zu regenererieren, und wir wissen nicht, wie groß der Schaden ist…“ Yukiko seufzte. Sie wandte ihren Kopf zu Yusaku, der ebenso ratlos aussah. „Sie sagen, da das Gift ja kein gewöhnliches ist, wäre es schwer zu sagen, wie der Schaden aussieht und wie schnell die Heilung verläuft. Sie sagen, es wird zwar besser, aber…“ „Dennoch – es muss doch möglich sein, ihn zumindest kurz zu besuchen. Die können uns doch auch so einen komischen Astronautenanzug geben. Desinfizieren. Generell, sie könnten doch wenigstens einen mal reinlassen, offenbar ist er doch jeden Tag wach und ansprechbar…“ Shinichi schluckte trocken – dann hustete er, unabsichtlich. Und neun Köpfe wandten sich um wie einer, starrten ihn an. Shinichi merkte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. „Also ich… denke, das mit dem Besuch hat sich erledigt…“, murmelte er leise, als er vollends ins Zimmer trat. Dann fiel ein Stuhl um. Ran war aufgesprungen, umrundete den Tisch, fiel ihm ohne ein Wort um den Hals, fing an zu schluchzen. Er konnte sich gerade noch abfangen, legte seine Arme um sie, drückte sie an sich. Und lange sagte niemand ein Wort. Erst als Ran sich allmählich beruhigt hatte, und sie mit hochrotem Kopf abgezogen war, um ihm einen Stuhl zu holen, erst als er tatsächlich Platz genommen hatte, mit einem Teller dampfender Nudeln und einem Glas Saft vor seiner Nase, erst dann – brach die Hölle los. Er ließ den ersten Schwall an Fragen über sich schwappen wie eine Welle, die sich an einem Fels in der Brandung brach, schob sich eine Portion Pasta in den Mund und kaute, wartete ab. Als schließlich wieder Ruhe eingekehrt war, seufzte er, legte Gabel und Löffel beiseite. „Also schön, die Quintessenz: Nachdem meine Ärzte heute Abend beschlossen haben, dass ich Besuch erhalten dürfe, habe ich beschlossen, dass ich genauso gut entlassen werden könnte.“ Er lehnte sich zurück, sich der Blicke seiner Freunde voll bewusst; er war immer noch blass um die Nase, das wusste er. Zwar waren die meisten oberflächlichen Verletzungen verheilt, aber dennoch waren ihm die Strapazen der vergangenen Wochen immer noch deutlich ins Gesicht geschrieben. „Und du denkst, das ist eine gute Idee, Shinichi? So sehr ich dich verstehen kann, aber wäre es nicht besser gewesen, du bliebst noch ein paar Tage…“, fing sein Vater an. „Nein.“ Shinichi schüttelte den Kopf. „Ich war da jetzt drei Wochen, das reicht. Die oberflächlichen Verletzungen sind längst verheilt. Gut, ich soll nicht zu Rauchen anfangen und in kein brennendes Gebäude laufen.“ Er grinste schief. „Und wir alle wissen…“ Ein Schatten huschte kurz über sein Gesicht. „Dass diese andere Sache ohnehin Wochen braucht, also…“ Er wandte sich Ran zu. „Deshalb muss ich dir leider sagen, dass ich mein Versprechen, mit dir nach Japan zu gehen, so bald noch nicht wahr machen kann. Zumindest für die Dauer…“ Sie schüttelte nur den Kopf. „Solange du nicht verlangst, dass ich morgen ohne dich heimfliege…“ Sie lächelte, in ihren Augen glitzerten immer noch Tränen. Er schüttelte nur stumm den Kopf, seufzte dann. „Auch wenn ich es dir nicht verübeln könnte, um ehrlich zu sein.“ „Halt bloß die Klappe.“, murmelte sie leise, ließ ihren Kopf auf seine Schulter sinken. Er strich ihr über den Arm. „Aber sag mal, wartet nicht Arbeit auf dich in Tokyo?“ Ran, die die Augen geschlossen hatte, sich darauf konzentrierte, seinem Atem zu lauschen, seufzte. „Mhm. Meine Mutter kommt morgen. Ich denke, ich übernehme momentan einfach den Papierkram und sie die Kundenbesuche – dafür ist es egal, wo auf der Welt ich gerade bin.“ „Aha.“ Er holte tief Luft, roch den Duft ihres Parfums – und erinnerte sich an das kleine Kästchen, das da noch in seiner Jackentasche darauf wartete, ausgepackt zu werden. „Weißt du.“, murmelte er. „Ich hab‘ da noch was für dich.“ Seine Stimme war leise und klang ein wenig nervös. Ran setzte sich auf, schaute ihn überrascht an. Mit klammen Fingern griff er in die Tasche seines Sakkos, das er zwischenzeitlich über die Lehne seines Stuhls geworfen hatte. Seine Finger schlossen sich um das kleine Kästchen; er zog es heraus, setzte es vor ihr auf den Tisch. Ran starrte es an – dann ihn. Alle anderen schwiegen, starrten die beiden gebannt an. Shinichi seufzte tief, wandte sich ihr dann zu, schaute ihr fest in die Augen. „Ich muss dir nicht sagen, dass ich das alles ganz anders wollte. Nicht hier, nicht jetzt, nicht unter diesen Umständen – ich weiß nicht wie, aber… anders eben. Nun, besondere Situationen bedürfen besonderer Maßnahmen, und nun… ich dachte, das lässt du vielleicht zwischenzeitlich gelten als Ersatz für ein Flugticket nach Japan für uns zwei…“, begann er, sah ihr zu, wie sie mit zitternden Fingern nach dem Etui griff, den Deckel aufklappte. Eine Träne rollte ihr über die Wange. Vorsichtig griff er nach ihrem Kinn, drehte ihren Kopf zu sich. „Ich will ehrlich sein, Ran, ich… bin ein ziemliches Stück Arbeit, momentan, und auch die nächsten Wochen, das wird nicht immer leicht werden, du… kennst das ja, aber wenn du… wenn du – also wenn du immer noch willst, dann…“ Er schluckte, lächelte ein wenig hilflos. „Wenn du also nach der 0 und der 1 noch sehen willst, was uns die 2 und die 3 bringen, und was da auch immer nachfolgen wird…“ Sie starrte ihn an, schniefte. „Idiot.“ Er verdrehte die Augen, grinste. „Ist das ein Ja?“ Sie schniefte erneut, lachte dann, nickte. „Ja!“ Sie drückte ihm einen Kuss auf die Lippen, drückte ihn an sich, grub ihre Finger in seine Haare und den Stoff seines Hemds. „Mir egal, wie viel Arbeit das wird, solange wir sie zusammen bewältigen…“, flüsterte sie in sein Ohr. Er schluckte hart, presste sie an sich. „Ich liebe dich, Ran.“ Damit griff er nach dem Ring, schob ihn ihr über den Ringfinger, gab ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Danke, dass du mich nicht aufgegeben hast – und damit meine ich nicht nur das da unten in der Autopsie und alles, was danach kam – sondern vor allem das davor.“, wisperte er so leise, dass nur sie es hörte, lächelte sie an – und Ran lächelte zurück, wischte sich die letzten Tränen aus den Augen, strich ihm über die Wange, schüttelte den Kopf, lehnte ihre Stirn gegen seine. „Dich aufzugeben hätte ich mir nie verziehen.“ „Na dann.“, räusperte sich Kogorô vernehmlich, streckte seine Hand über den Tisch aus. „Willkommen in der Familie, Shinichi.“ Shinichi blinzelte, starrte ihn an, schluckte. Dann hob er seine Hand, langsam, griff die Kogorôs, drückte seine Finger, fest. „Danke.“, seine Stimme klang rau, und Kogorô wusste, was in ihm vorging. Er kniff die Lippen zusammen. „Nein.“ Er seufzte, als er Shinichis Hand losließ, registrierte den verdutzten Blick des jungen Mannes, schüttelte den Kopf. „Nein. Ich muss mich bedanken. Nicht jeder hätte die Größe, mir zu vergeben und die Hand zu reichen, so wie du es tust, nach allem, was ich dir angetan habe. Es tut mir Leid. Und ich danke dir. Und ich meine es ernst, und ich bin sicher, ich spreche auch für Eri – willkommen.“ Als Ran am nächsten Morgen aufwachte, schlief Shinichi noch. Sie seufzte leise, mummelte sich lautlos tiefer in die Decke, drehte sich zu ihm und betrachtete sein Gesicht. Es erschreckte sie immer noch zu sehen, wie erschöpft er aussah, selbst wenn er, wie jetzt, friedlich schlief. Dennoch konnte sie das Gefühl kaum fassen, das seine pure Anwesenheit auslöste, und die Bedeutung für ihre Zukunft, die sie mit sich brachte. Sie spürte seine Wärme, den sanften Hauch seines Atems auf ihrem Gesicht, roch seinen Duft, der immer noch ein wenig gemischt war mit den Gerüchen des Krankenhauses. Spürte das warme Metall des Rings an ihrem Finger und ihr Herz begann zu klopfen, ihr ganzer Körper zu kribbeln, wenn sie an das Versprechen dachte, das dieses Schmuckstück symbolisierte. Zusammen. Mit dir. Für immer. Sie blinzelte, versuchte, sich wieder zu beruhigen, als es in ihr zu wühlen begann, schnappte leise nach Luft. Und er wachte auf. Sah sie nur an, streckte einen Arm aus, zog sie an sich, fühlte, wie sie sich festklammerte und leise zu weinen anfing. „Was ist los, Ran?“, wisperte er leise. „Nichts.“ „Ah.“ Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Nichts sieht meiner Erfahrung nach aber anders aus.“, murmelte er in ihr Haar. Sie schluckte, ließ ihre Finger über seine Brust wandern, bewegte den Kopf, so dass sie in seine Augen blicken konnte. „Weißt du noch, das letzte Mal, als wir…“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Klar. Ist erst ein paar Wochen her, Ran. Ich bin noch nicht senil, und meine kleinen grauen Zellen wurden noch nicht gegrillt. Immerhin.“ Sie lachte leise, wurde aber sofort wieder ernst. „Weißt du noch, was du sagtest?“ Er nickte nur. „Hast du… hast du daran geglaubt, in dem Moment?“ Shinichi seufzte, schaute kurz an die Decke. „Ich hab… gehofft.“ Sie nickte ebenfalls. „Ich auch. Aber… es… es schien mir ziemlich unmöglich, um ehrlich zu sein. Ich hab so sehr gehofft… und ich wusste, du würdest alles in deiner Macht stehende tun… aber dennoch, ich… habe nicht zu träumen gewagt.“ Shinichi schwieg, strich ihr die Haare aus dem Gesicht, gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Nun, einmal musste ich ja auch mal Glück haben.“, grinste er dann. „Aber du hast Recht, es ist… unfassbar zu glauben, dass es endlich vorbei ist. Und dass…“ Ran atmete aus. „Dass uns dieser schwarze Schatten nicht mehr verfolgt. Dass du endlich frei bist. Wir endlich frei sind.“ Eine weitere Träne rollte ihr aus dem Augenwinkel. „Na, dann wird’s Zeit, uns daran zu gewöhnen.“, meinte er dann gelassen, gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze. „Komm, lass uns aufstehen. Deine Mum kommt heute, und ich wollte vorher noch zu Scotland Yard, was erledigen.“ Shinichi setzte sich auf, schaute auf sie herab. „Was erledigen? Hast du nicht Urlaub?“ „Doch, schon.“ Sein Lächeln verzog sich. „Ich… werde Montgomery mitteilen, dass ich meinen Job dort kündige, Ran.“ Sie setzte sich nun ebenfalls auf, sah ihn mit einem schwer zu deutenden Blick in den Augen an. Er schüttelte milde lächelnd den Kopf. „Was dachtest du, Ran? Wir gehen zurück nach Japan, wenn auch noch nicht gleich, so in ein paar Wochen. Ich werde mir dort eine Arbeit suchen müssen.“ Er schwang die Beine aus dem Bett, stand auf und griff nach der Bettdecke. „Ich will’s hinter mich bringen.“ Damit zog er ihr die Decke weg, was ihr einen empörten Aufschrei entlockte, flüchtete aus dem Zimmer, als er sah, wie sie die Verfolgung aufnahm. Nach dem Frühstück und knapp eine knappe Dreiviertelstunde später saßen sie mit Heiji in einem Taxi auf dem Weg zum Yard; er hatte unbedingt mitkommen wollen. Yusaku war zusammen mit Kogorô zum Flughafen aufgebrochen um den Professor und Eri willkommen zu heißen und Yukiko war mit Shiho, Kazuha und Sonoko einkaufen gefahren, um Klamotten zu kaufen; für den Abend war eine ordentliche Verlobungsfeier geplant, und dafür galt es, schicke Klamotten auszusuchen. Ran überließ ihnen dabei die verantwortungsvolle Aufgabe, für sie ein Outfit zu suchen, hatte nur eine Bedingung gestellt. „Kauft mir bitte nichts Weißes.“ Shinichi, der bis gerade eben nach draußen gesehen hatte, die allmorgendliche Londoner Hektik in sich aufgesogen hatte, warf Ran einen Blick zu. Sie merkte, dass er sie ansah, lächelte. „Mach dir keine Gedanken. Ich… es ist in Ordnung.“ Shinichi zog die Augenbrauen hoch, schüttelte den Kopf. „Wir haben wirklich ausufernd über mich gesprochen Ran, aber fast gar nicht über dich. Dabei… bist du entführt worden, und verletzt. Gedemütigt. Und du wärst fast ertrunken. Ich…“ Sie schluckte, seufzte, schüttelte den Kopf. „Du brauchst reden. Ich will nicht wissen, wie das für dich war, damals, als du dort warst. Als sie… dir dieses Zeug verabreicht haben und du…“ Shinichi merkte, wie es ihm eiskalt den Rücken hinablief. Heiji, der sich bisher aus der Konversation rausgehalten hatte, drehte sich im Beifahrersitz um, beobachtete die Interaktion der beiden. Ran knetete ihre Finger nervös, sah ihren Verlobten nicht an, als sie sprach, ihre Stimme leise, kaum lauter als ein Wispern, aber eindringlich. Sie ging ihm durch Mark und Bein. „Du hast nie aufgegeben. Nie aufgehört, so zu empfinden, für mich, das weiß ich jetzt, er hat’s mir gesagt, Black, in den Minuten, als du… bewusstlos warst.“ Shinichi nickte beklommen. Das wusste er. „Obwohl sie dich lächerlich gemacht haben. Sie haben sich amüsiert, Shinichi, über das, was du für mich empfunden hast. Und nicht nur das – sie haben diese -deine- Schwäche bis zum Exzess ausgenutzt, bis hin zu dem Moment, mich zu holen, um dich zu erpressen. Du weißt genau, dass ich dein wunder Punkt bin. Aber du… du hattest nicht einmal aufgehört, mich zu lieben, fünf Jahre nach dem Augenblick, seitdem du dachtest, ich wäre tot. Und ich habe… ich hab‘ gesehen, wie dich das kaputt gemacht hat. Wie es an dir gerissen und gezerrt hat. Wie es dich auseinandergenommen hat, Stück für Stück.“ Sie griff seine Hand. „Es war keinesfalls immer gut für dich, mich zu lieben. In der Beziehung hattest du an jenem Tag auf der Brücke Recht, auch wenn ich’s nicht zugeben wollte…“ Er drückte sie, hielt sie fest. „Aber es hat mich immer stark gemacht. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass du nur meine Schwäche bist, Ran.“ Shinichi sah sie an – sie hatte ihre Augen immer noch gesenkt. „Du hast Sharon gehört. Wir beide wissen, sie hatte Recht. Wir alle wissen, dass ich nicht hier säße, ohne dich, und das aus vielerlei Gründen.“ Ran schluckte hart, blickte auf, schaute in sein Gesicht und der Blick in seine Augen raubte ihr fast den Atem. Er liebte sie. Ihre Lippen zitterten. „Dir kam nie in den Sinn, dass…“ Shinichi schüttelte den Kopf, lehnte sich zurück, atmete tief ein und aus. „Nein. Ich gebe zu, es war… hart. Die ersten Male kaum zu ertragen.“ Seine Stimme war leise. „Als sie’s mir auf Tonband vorspielten, ehrlich, ich…“ Er ballte seine andere Hand zu einer Faust, spürte, wie sich seine Fingernägel in seinen Handballen bohrten. „Aber ich… begriff - es war nichts Falsches daran, was ich da sagte oder fühlte. Nichts, wofür man sich schämen müsste. Es war nur nicht für ihre Ohren bestimmt, klar… aber dennoch.“ Shinichi wandte seinen Kopf, schaute sie an. „Und als ich dachte, du wärst tot, war dieses Gefühl meine Rückversicherung für mich, zu wissen, dass ich noch am Leben war. Noch imstande, überhaupt etwas zu fühlen. Es gibt nichts, was ich in der Hinsicht bereue, Ran.“ Er entkrampfte seine Hand, hob sie stattdessen, strich ihr über die Wange, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Ran schloss die Augen, atmete aus. „Abgesehen davon, liegt das jetzt hinter uns, es wird Zeit, nach vorn zu sehen. Und wie’s aussieht, sind wir da.“ Shinichi zog eine Augenbraue hoch, schaute aus dem Fenster; Ran und Heiji folgten seinem Blick – und, wie erwartet, breitete sich vor ihnen der Vorplatz des Hauptquartiers von Scotland Yard aus. Shinichi schluckte, seine Augen fest auf das sich drehende Schild geheftet, das blitzend das Sonnenlicht reflektierte. „Sherlock!“ Sie waren kaum aus dem Taxi gestiegen, und er fragte sich, ob sie wohl an der Tür gewartet hatte – und warum. Jenna lief ihnen stolpernd entgegen – sie trug für ihre Verhältnisse außergewöhnlich hohe Schuhe und ein mit etwas mehr Sorgfalt gewähltes Outfit, fiel ihm auf. Shinichi runzelte die Stirn, merkte, wie Ran ihre Finger mit seinen verknotete, drückte sie. Jennas Stimme kreischte über den Platz, kippte – ein Laut, wie ihn Shinichi noch nie bei ihr gehört hatte. Dann war sie da, fiel ihm ohne Vorwarnung um den Hals, schniefte kurz – besann sich aber fast augenblicklich wieder, löste sich von ihm und starrte zu Boden. Sie holte tief Luft, atmete heftig, ihre Schultern hoben und senkten sich entsprechen schnell. Shinichi starrte sie an, perplex; so aufgewühlt hatte er sie selten erlebt. Dann streckte er seinerseits die Arme aus, drückte sie kurz an sich, lächelte sie amüsiert an. „So good to see you, Jenna.” Sie hob den Kopf, starrte ihn an. In ihren Augen schimmerte es glasig. „Same here. But - you still look tired. You‘re sure you should be out and about already, Si-“ Sie bemerkte seine Augenbraue, die hochgerutscht war. „-Shinichi.“, sprach sie seinen Namen vorsichtig aus. „I’m fine enough, Jenna. And I’ve got plenty of people taking care that I’m not overexerting myself.” Er stopfte seine freie Hand in seine Hosentasche, drückte Rans Finger erneut, die sich sacht an ihn lehnte. „Actually, I just wanted to pop in and have a quick chat with our high-esteemed ACC. To be frank, right now I think I should’ve called first, but…” Shinichi unterbrach sich selber, warf ihr einen durchdringenden Blick zu. „Why are you here, by the way? Shouldn’t you be in your bureau? It doesn’t have a window facing this place, so you could not have seen us arrive, and even if so, you would’ve never been fast enough to arrive here when we just exit the cab. Have you been waiting for us?” Jenna merkte, wie sie unter seinem fragenden Blick zusammenschrumpfte, und er war sich sicher, er hörte sie ein leises „fuck“ murmeln. Schließlich straffte sie ihre Schultern. „Okay, yes, I see your brain works fast as ever…”, murmelte sie leise. “I think it’s futile to try to deceive you. Yes – guilty as charched. I’ve been assigned to stand watch. Wait for you and catch you here.” Shinichi zog die Augenbrauen zusammen, merkte, wie Heiji neben ihn trat. „Huh.“ Er grinste. „Let me have a guess. McCoy spilled the news that I was going to visit today and quit my services here, additionally to the fact that I planned on proposing to Ran.” Jennas Gesicht begann ab der zweiten Satzhälfte zu leuchten – sie wandte sich Ran zu, in ihren Augen die pure Neugierde. „And? Has he? Has he?!” Ran hob ihre Hand, zeigte den Ring her. „Yes, he has – and obviously, I said yes.” Sie lächelte, strahlte geradezu – Shinichi wandte sich ihr zu, gab ihr einen Kuss auf die Schläfe, in seinen Augen das gleiche Leuchten. Jenna fühlte, wie sich ihre Lippen zu einem Grinsen verzogen. In ihrer Brust flatterte ihr Herz wie ein kleiner Vogel. Sie konnte es kaum fassen, dass diese Geschichte nun doch endlich ein gutes Ende genommen hatte, und sie platzte fast vor Glück, wischte sich verlegen eine Träne aus dem Augenwinkel. Shinichi lächelte sie an. „You’ll get an invite for the wedding, Jenna, but don’t expect it too soon – we can’t leave London right now.” Er kniff die Lippen kurz zusammen, schluckte. „But – now, tell us – how long are you supposed to distract us before I can enter and feel very embarrassed about being fretted and fussed over by half of Scotland Yard?” “All of Scotland Yard.”, korrigierte Jenna ihn. “But I guess, we can go join them, now.” Er wusste nicht, was er erwartet hatte, als er eintrat – Tatsache war, die Lobby barst fast vor Menschen, die sich versammelt hatten, um ihn zu sehen. Er war kaum durch die Tür gegangen, als ihm ein gefühlt hundertfaches „SHERLOCK!“ das Trommelfell zu zerreißen drohte und ohrenbetäubender Applaus losdonnerte. Shinichi blieb abrupt stehen, errötete bis unter die Haarwurzeln, setzte dann ein Lächeln auf und hob die Hand zum Gruß. Ran stand neben ihm, fühlte in ihrer Hand wie seine Finger kalt und feucht geworden waren. Sie streckte sich, gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Nervös? Warst du doch früher auch nicht…“ Sie kicherte, quietschte dann, als er ihr seine Hand kurz entzog um sie mit dem Finger in die Rippen zu stupsen. „Es gibt Dinge, die sich ändern…“, murmelte er – viel Gelegenheit, sich weiter unwohl zu fühlen, gab man ihm allerdings nicht. Ein paar Sekundenbruchteile später fand er sich mit einem Teller Kuchen in der Hand wieder, schüttelte Hände, nickte, sprach ein paar kurze Worte mit dem einen und dem anderen. Menschen strömten an ihm vorbei, drückten ihm die Schulter, nickten ihm zu, lösten sich in Grüppchen auf, aßen Kuchen und Sandwiches, stießen an. Feierten. Shinichi wandte sich zu Ran, die ihn stolz angrinste. Heiji stand neben ihm, stopfte sich ein Sandwich in den Mund. „Respekt, Kudô.“ Shinichi warf ihm einen kurzen Blick zu, atmete langsam aus. Sein Puls beruhigte sich gerade wieder ein wenig, als er eine Gestalt sah, die auf sie zutrat. Jillian McDermit hatte sich aus dem Pulk gelöst, trat auf ihn zu, fast ein wenig schüchtern – um dann seine Hand mit beiden Händen zu ergreifen und sie fest drückte, Tränen in den Augen. „You gave us such a shock, Shinichi.” Er blinzelte, starrte sie erstaunt an. „Yes, we all learned how to pronounce your name properly now, but I guess, you’ll always be Sherlock for us.” Sie lächelte, wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „We’re all so glad. So relieved… those seconds while we thought you’d be gone…” Sie schluckte hart, dann lächelte sie tapfer. “You’ve really honoured that name. Climbing back up your very own Reichenbachfall.” Shinichi kniff die Lippen zusammen, dann nickte er, versuchte, sich ein wenig zu entspannen, zu lächeln. „But it ended well, eventually.” Sie nickte. “Yes. Actually, we hoped you’d be back with us, but there’s no one here who wouldn’t understand. You deserve a happy life.” Sie wandte sich Ran zu. „You better take good care of him.” Sie lächelte warm. “My cordial congratulations, Miss Môri.” Sie ließ Shinichis Hand los, griff Rans, drückte sie sacht. Hinter ihr tauchten McCoy und Montgomery auf, letzterer räusperte sich vernehmlich. „Well, SI Kudô, I guess, you came to see me?” Shinichi nickte kurz. “Yes – I…” “Let’s talk about that in private, shall we?” Er lächelte. “Miss Môri, inspector Hattori, would you mind to join us?” Shinichi warf Ran und Heiji einen verwirrten Blick zu – Heiji seinerseits zuckte nur mit den Schultern, zog die Augenbrauen hoch. Shinichi stellte seinen fast leeren Teller auf einem Tisch ab, auf dem sich das Geschirr bereits stapelte, leistete der Putzkolonne, die sich über die Hinterlassenschaften dieser kleinen Feier kümmern würde müssen, stumm Abbitte, ehe er den beiden Männern folgte, die bereits vorausgegangen waren und am Lift auf ihn warteten. Der Gang ins Büro verlief schweigend; drin angekommen, bedeutete der Assistant Chief Commissioner mit einer entsprechenden Handbewegung den drei Japanern, sich zu setzen. „Take a seat, please. Make yourself comfortable.” Er lächelte, nahm dann hinter seinem Schreibtisch Platz, McCoy blieb an der Tür stehen. Shinichi schluckte; diese Konstellation erinnerte ihn frappierend an ein weniger amüsant verlaufenes Gespräch von vor ein paar Wochen. Allerdings… Er warf einen Blick neben sich. Ran war in den bequemen Freischwinger gesunken, hatte ihre schlanken Beine überschlagen, die Hände locker auf ihren Knien verschränkt, ein feines Lächeln auf ihren Lippen. Shinichi runzelte die Stirn. Eh… weiß sie mehr als ich? Er drehte sich zu seiner anderen Seite und fand Heiji, ebenfalls scheinbar tiefenentspannt, ein lockeres Grinsen zog seine Mundwinkel nach oben. Was geht hier ab? Zeit, sich weiter zu wundern, blieb ihm allerdings nicht. „SI Kudô.“ Shinichi wandte sich seinem Chef zu, in seinem Gesicht gespannte Aufmerksamkeit. „Well, I guess, I am rightly assuming that your visit here today was not just to say hello and eat a slice of cake…” Shinichi schüttelte den Kopf, räusperte sich. „No, Sir. Actually, that little celebration took me by surprise, though I can imagine who cared to arrange it…” Er wandte sich kurz um, zog eine Augenbraue hoch. “Can’t be blamed for that, can I? And everyone here was happy to join in and help to make it happen. It’s not as if we didn’t have every reason to celebrate…” Shinichi verdrehte die Augen, wandte sich wieder um. „To answer your question, Sir; no, I didn’t come here to party. Actually, as I announced to Dr. McCoy yesterday, I was planning to visit you to inform you about my resignation. I – as you might have noticed, my life has changed a lot in these few weeks and I… I will go back to Japan. Therefore I have to resign.” Er schluckte. “I am sorry. I want you to know that I am very proud of having been a part of this team for the past five years.” “And we were proud of having you here. You did extraordinary things, Shinichi.” Montgomery lächelte freundlich, stützte seine Ellenbogen auf der Glastischplatte des Konferenztisches ab, an dem sie saßen, legte seine Fingerspitzen sacht aneinander, langsam, Finger für Finger. „Actually, I think, Scotland Yard won’t be the same without Sherlock Holmes. That’s why I can’t accept your resignation.” Shinichi starrte ihn an, seine Kinnlade schien fast den Boden zu streifen. „I don’t think you can‘t…” “Oh, I do. You signed a ten-year contract, and you’re bound by it. But before starting to yell at me, please hear me out.” Er hatte die Hand gehoben, Shinichi, der gerade drauf und dran gewesen war, mit ihm in eine Debatte einzusteigen welches RECHT sein Arbeitgeber tatsächlich über sein Leben hatte, schloss den Mund. „Fine.“ „Thank you.“ Er blickte zu Dr. McCoy auf, der immer noch hinter Shinichi an der Wand lehnte. „Please, Dr. McCoy, would you care to go and fetch my guest?” “Happily so.” McCoy wandte sich um, ging zur Tür hinaus und ließ sie offen. Shinichi, der sich ebenfalls umgedreht hatte, wandte sich seinem Chef zu. „I am afraid I don‘t understand, Sir.” “Oh, you will. Just wait a few more moments.” Der Mann grinste unverschämt. Shinichis Verwirrung wuchs – doch als er zu Heiji blickte, sah er, dass auf dessen Zügen immer noch dieses breite Lächeln lag – wenn es sich nicht sogar noch verbreitert hatte. Heiji bemerkte Shinichis fragenden Blick, klopfte ihm auf sein Knie. „Wart’s mal ab.“ „Sag mal, weißt du was?!“, zische Shinichi genervt. „Was wird hier eigentlich gespielt, ich meine…“ „Beruhig dich, Shinichi.“ Ran griff seine Hand. „Keiner will dir was Böses.“ Sie warf ihm ein warmes Lächeln zu. Er schaute sie an, schluckte. Dann seufzte er, schüttelte den Kopf. „Das ist gemein, wisst ihr. Da gibt man fast den Löffel ab und dann…“ Was er eigentlich hatte sagen wollen, blieb ihm im nächsten Moment im Hals stecken, als er sich, nachdem er draußen am Gang gedämpfte Stimmen vernommen hatte, sich der Tür zugewandt hatte. Den Mann, der das Zimmer nun betrat, kannte er nur zu gut. Er erhob sich langsam, ein Ausdruck puren Erstaunens auf seinem Gesicht. „Inspektor Meguré.“, murmelte er leise. Inspektor Jûzô Meguré war in der Tür stehengeblieben wie angewurzelt – dann griff er sich an den Kopf, nahm seinen Hut ab knetete ihn nervös. „Kudô.“ Er schüttelte den Kopf, schluckte hart, betrachtete den Sohn eines seiner besten Freunde eingehend. „Was machst du für Sachen.“ Ein sorgenvoller Ausdruck huschte ihm übers Gesicht, wurde ersetzt durch ein erleichtertes Lächeln. Langsam setzte er seinen Hut wieder auf, trat einen Schritt auf seinen alten Freund zu, griff ihn an der Schulter. Shinichi streckte die Hand aus, drückte Megurés Finger, schüttelte dann den Kopf, ein leichtes Grinsen auf den Lippen. „Es tut gut, Sie zu sehen – aber was zum Henker machen Sie hier?“ „He got a call.“ Montgomery, der augenscheinlich den Sinn des Satzes aus dem Kontext erschlossen hatte, bedeutete ihm, sich wieder zu setzen. Shinichi kam der Bitte nach, während Meguré den Tisch umrundete, neben Montgomery Stellung bezog. „And a cordial invitation.“, fügte der japanische Polizist jovial hinzu. „That’s right.“ Er und Meguré setzten sich ebenfalls. „Listen, after what happened that day in the autopsy, and while you were recovering in hospital, Dr. McCoy here, Jenna and me sat together and discussed how you would decide to continue with your life; I mean, it was pretty clear to everyone here that you are very much attached to that brave, beautiful and clever girl next to you. That’s why we… decided to talk to her. And to your obviously best friend, Mr. Hattori, to find out and predict what you might want to do.” Shinichi starrte ihn sprachlos an. „You did – what?“ „Well, Miss Môri told us, that she would very much like to bring you back with her to Japan, and we all were quite convinced that you would agree. After all, everything that kept you away from your friends and family over the past five years was that terrible lie you believed was the truth.” Er unterbrach sich kurz, nahm einen Schluck Wasser. „She and Mr. Hattori gave us information about whom you used to work with in the past, and whom you would most likely contact in order to… find new employment.” Er zog die Augenbraue hoch. „Of course I considered the FBI, too, and Agent Akai left no doubt that he would happily have you join their ranks, but he also doubted you would consider that option.” Shinichi nickte. “That’s true. I would not.” “Hm.” Montgomery nickte. “So, what’s left was to contact Inspector Meguré, as you called him, by now Commissioner Meguré, and ask him if he would agree to my plan.” Shinichi, der Meguré ein anerkennendes Nicken zugeworfen hatte, zog die Stirn kraus. „Your plan, Sir?“ „Well, now, our plan.“ Montgomery nickte. „Listen… Shinichi. I don’t want to mess with your plans for your future. No one has deserved happiness, peace and a family more than you. I don’t want to deprive you of that. On the other hand, no one can argue against the fact, that you’re an insanely popular person, a gifted detective like no other, a sort of hero to London’s citizens. No one else has given them the reassurance that there’s actually some good work done in Scotland Yard. They believe in their Sherlock, now more than ever, to be frank. You haven’t seen the news of the past three weeks. They were full of praise.” Er verdrehte die Augen. “Some were clearly exaggerated, and very pathetic, but the message is clear.” Er seufzte. “So, what we wanted to offer you, and Agent Akai, too, by the way – he just can’t join us today, as there’s a lot of clean-up to do within the FBI as it has turned out that one of their leading agents was the boss of a major crime organization – is the offer to actually fire you. And not employ you as an official detective again.” Shinichi starrte ihn an, wie vom Donner gerührt. „What, now? You just told me you can’t let me leave, and now you’re telling me, I am just not going to be employed at Scotland Yard, but-…” Dann blinzelte er. “No official detective…?”, murmelte er, starrte auf die Tischplatte, die Augenbrauen nachdenklich zusammengezogen. Langsam formte sich in seinem Kopf eine Idee davon, was dieser Plan sein könnte, von dem Montgomery da sprach. „Wait...“ Er blickte auf. „You want to –…“ Montgomery grinste breit, genauso wie Meguré, dessen mittlerweile leicht graumelierter Oberlippenbart sich gewaltig in die Breite zog. „Yes – we want to share you, actually. We want you to be Sherlock Holmes – Shinichi Kudô - the consulting detective. We just make sure you’ll not run out of cases. So you’ll have a contract with Commissioner Meguré, and one with us, and with the FBI, giving you the freedom where to life and accept private cases, too, if you want. If you ever should feel bored, that is.” Shinichis Mund war trocken geworden. „And of course we all accept and encourage you to take an extended leave for holidays before returning to work, Kudô.”, fügte Meguré an. Shinichi starrte ihn an, griff nach dem Wasserglas, das Montgomery vor ihm abstellte, leerte es in einem Zug. „So – will you accept?“, fragte er gutgelaunt, als Shinichi das Glas zurück auf den Tisch gestellt hatte. „Happily.“ Shinichi grinste ihn breit an, ergriff zuerst Montgomerys, dann Megurés Hand, schüttelte sie. „Honestly, thanks so much. This is – beyond my wildest dreams.” Es war Nachmittag geworden, bis sie mit Jenna im Schlepp, die ebenfalls zur Verlobungsparty am Abend eingeladen worden war, Scotland Yard verließen; sie hatte sich den Rest des Tages frei genommen, war verboten gut drauf. Man hatte sie kurzfristig in die Pläne ihres Chefs eingeweiht, und sie war mehr als glücklich, dass dieser Abschied kein Lebwohl für immer sein würde. Shinichi, das sah man ihm an, war ein großer Stein vom Herzen gefallen. Er hatte sich im Anschluss noch brav von McCoy unter die Lupe nehmen lassen, und war dann mit den anderen zurück in seine Wohnung gefahren; vor der er nun stand, und die Tür aufschloss. Drinnen wartete der Rest der Mannschaft, mittlerweile komplettiert durch Eri und Agasa, die darauf brannten, die Ereignisse der letzten Stunden zu erfahren, bevor sie im Anschluss ins Restaurant aufbrachen, um ausgelassen zu feiern. Die Stunden waren im Flug vergangen. Shinichi stand am Geländer der Dachterasse des kleinen Lokals, in dem sie gegessen hatten, genoss die kühle Brise, die ihm um die Nase wehte. Er erinnerte sich an die Ereignisse ein paar Stunden zuvor; der Professor hatte an sich halten müssen, nicht loszuheulen wie ein Schlosshund, als er ihn gesehen hatte. Und er konnte sich lebhaft an das Gespräch erinnern, das Eri mit ihm geführt hatte, kurz vor dem Essen. Ich… Shinichi, ich kann dir kaum sagen, wie leid es mir tut. Ich habe so oft darüber nachgedacht – was wir ihr antun – was wir dir antun. Und nie – nie hatte ich die Courage, ihr oder dir die Wahrheit zu erzählen. Was bin ich… für ein Mensch. Das war- unfassbar schäbig, kaltherzig und verantwortungslos von uns und ich kann dir nicht sagen, wie unendlich dankbar ich dir bin, dass du… dass du das verzeihen kannst. Dass du uns Ran nicht wegnimmst. Dass du… Er hatte den Kopf geschüttelt. Sein Mund war trocken geworden, ein Kloß in seinem Hals. „Lass es uns vergessen, Eri.“ Sie hatte ihn wortlos umarmt. Nun war es dunkel, draußen. Die Nacht war hereingebrochen über London, die Sonne vor etwas mehr als zwei Stunden untergegangen, die Luft des überhitzten Tages aber immer noch angenehm warm; der Duft von gegrilltem Gemüse, Fisch und mediterranen Kräutern stieg in seine Nase. Das Leben in der Großstadt war immer noch nicht im Geringsten zur Ruhe gekommen; und er würde es auch nicht wirklich – selbst in den ganz frühen Morgenstunden, wenn die meisten Einwohner schliefen, rührte sich in irgendwelchen Ecken und Winkeln noch Leben, blinkte das eine oder andere Licht einer Reklame oder eines Nachtclubs. Und dann, wenn die Sperrstunde auch diese Etablissements zur Ruhe zwang, dann standen die Ersten bereits wieder auf und machten sich auf den Weg zur Arbeit. Wie jeden Tag. Doch anders, als all die anderen Tage zuvor, ging das alles nicht an ihm vorbei. Hinter ihm hörte er Shiho den Professor tadeln, der ihn ihren Augen wohl wieder das Falsche oder zuviel aß; er hörte Kogorô grölen und lachen, der eindeutig einen in der Krone hatte, mittlerweile, und dann verstummte, weil er seiner Frau einen Schmatz auf die Wange drückte, wie er aus dem Augenwinkel bemerkte. Shinichi grinste, seufzte leise. Akai und Jodie hatten es doch noch geschafft; beide sahen etwas geschlaucht aus, was zuindest aber Jodie nicht davon abhielt, gutgelaunt den Abend zu genießen; Akai war wie immer ein eher stilles Wasser. Er war, wie Shinichi nun wusste, befördert worden, hatte James‘ Platz eingenommen. Da liegt ein hartes Stück Arbeit vor dir, mein Freund. Shuichi bemerkte seinen Blick, hob sein Glas, nickte. Shinichi hob seins ebenfalls, prostete ihm über die Entfernung hin zu. Seine Eltern saßen am Tisch, unterhielten sich mit Jenna, Kazuha und Sonoko, warfen ihm immer mal wieder einen Blick zu, das wusste er. Es würde wohl dauern, bis sie ihm glaubten, dass alles in Ordnung war. Dass er es im Griff hatte. Und dass er darauf vertraute, dass jemand auf ihn aufpasste, das auch zuließ. Ran. Er schluckte; es war etwas mehr als anderthalb Monate her, als er an jenem Abend nach Hause gekommen war, mit dem Bild von Ayakos Leiche im Kopf, das diese ohnehin schlecht verheilte Wunde von Rans Tod, dieser Lüge, an die er so lange geglaubt hatte, wieder aufgerissen hatte. Ran trat neben ihm, verschlang seine Finger in seinen, lehnte sich an ihn. Er ließ seinen Kopf auf ihren sinken, atmete den Duft ihrer Haare ein. Sie sah zauberhaft aus; sie trug ein duftig-leichtes, bordeauxrotes Sommerkleid. Rot wie Blut… wie die Liebe, wie das Leben. Die Farbe passte. Und sie stand ihr ausgezeichnet – sie schien zu strahlen, von Innen heraus zu leuchten. Sie stand neben ihm, so unfassbar lebendig, so nah, dass er ihre Wärme spürte, den Hauch ihres Atems an seinem Hals. Ihre Haut unter seinen Fingern, ihren Herzschlag, so nah an seinem. Kurz spürte er ihn noch einmal, diesen unbegreiflichen Schmerz. Sein Atem stockte. Ran blinzelte, spürte, wie er abdriftete - drückte sich an ihn, schlang ihre Arme um seine Mitte, lehnte ihren Kopf an seine Brust, atmete aus. Hoffte, das würde reichen. Fühlte, wie er sie an sich presste. Er seufzte, drückte ihr einen Kuss aufs Haar. „Woran denkst du?“, flüsterte sie leise. „Daran, wie sehr sich die Welt ändern kann, wenn sich die eigene Perspektive auch nur ein kleines Bisschen verschiebt. Und wie rasant das passieren kann.“ Er lächelte, gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. Ran schloss die Augen, hörte seine leise Stimme, spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht, als er redete. „Irre ist das…“ Sie lachte, schlang ihre Arme um seinen Hals, küsste ihn stürmisch, raubte ihm den Atem. „Noch Platz für ein Dessert?“, fragte sie dann neckend. „Na, für Dessert ist doch immer Platz.“, grinste er, ließ sich von ihr zurück an den Tisch zu den anderen ziehen, die sie mit johlendem Gelächter empfingen. Er warf einen Blick zurück in die Nacht. In der Ferne drehte sich das London Eye, leuchtete wie ein Feuerwerk vor dem blauschwarzen, mit Sternen übersäten Firmament. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)