Dunkler als schwarz von Leira (Shinichi x Ran) ================================================================================ Kapitel 56: Weiß ---------------- Kapitel 56: Weiß Jenna hatte nicht selbst gesehen, wie Ran und Shinichi aus dem Gebäude gekommen waren. Sehr wohl aber hatte sie die Sirene des Krankenwagens gehört. Sie war zurückgelaufen um Hilfe zu holen, nachdem der Feueralarm endlich verhallt war, und hatte danach keinen Weg mehr zurück gefunden durch die Ansammlung von Menschen, die sich dicht an dicht, eng wie einer Sardinendose, halbkreisfrömig um den Eingang aufgestellt hatten und ihr den Blick verstellten, geschweige denn ihr einen Durchgang gelassen hätten. Unruhe hatte sie erfasst. Sie musst keine Detektivin zu sein um zu wissen, für wen man den Krankenwagen gerufen hatte. Die Sirene war mittlerweile schon lange verstummt, nur das Licht der Warnbeleuchtung zuckte blau über den Hof und die Glasfront von Scotland Yard, wo sie durch die Menge zwei Sanitäter erspähen konnten, die unschlüssig auf die Szene zu ihren Füßen blickten – ein dritter redete in ein Handy und schlug die Fahrertür des Krankenwagens zu. Jenna ahnte, dass das nichts Gutes bedeutete. Wenn es die Sanitäter nicht mehr eilig hatten, bedeutete das selten etwas Gutes. Mühsam schob sie sich durch die Menge, drückte sich zwischen Körpern durch, die ihr keinen Platz machen wollten, war fast vorderster Front angekommen, als hinter ihr Jackson Montgomerys Stimme laut wurde. Keuchend kam er angehechelt, winkte ihr zu, bedeutete ihr, zu warten; offenbar hatte man ihm, dem deutliche höheren Tier als sie selbst eins war, bereitwilliger den Weg geebnet. Jenna hob die Hand zum Zeichen, dass sie ihn gesehen hatte, schob sich nun deutlich langsamer durch die Menge, hörte bald ein lautes Schnaufen neben sich, sah ihren Vorgesetzten im Augenwinkel. „Detective Sergeant Watson…“, schnaufte er atemlos. „What has happened there in the basement? Was there a bomb? We were just arresting that man when the fire alert started. Why was the ambulance…“ Er verstummte schlagartig, als er denselben Anblick vor Augen hatte wie sie. Seine Frage beantwortete sich schlagartig von selbst. Jenna stand wie versteinert da, hatte den Atem angehalten – und um sie herum stand die Zeit still. Sie hatten sich gerade ihren Weg durch die vordersten Reihen gebahnt, ihr Blick fiel nun frei auf den Bereich vor dem Eingang zum Gebäude. Es schien fast surreal – so viele Menschen waren auf dem Platz versammelt, und kaum ein Laut drang an ihre Ohren, bis auf diesen einen, hell pfeifenden Ton der Nulllinie, die das EKG immer noch zeigte, ihnen optisch und akustisch um die Ohren schlug, dass sie verloren hatten. Dass er verloren hatte. Und wie sie starrten alle nur hin auf diese eine Szene vor ihren Augen. Er lag da, rücklings auf dem Pflaster im Innenhof des Yards. Sherlock Holmes, ihr Held, bleich wie der Tod selbst. Neben ihm kauerte Ran, in ihrem weißen Kleid, schlanke Finger in den dunklen Stoff seines Sakkos gekrallt, auf ihrem Gesicht Schmerz in einer Intensität, die Jenna niemals in ihrem Leben vorher gesehen hatte. Und nie hatte sehen wollen. Sie sah, wie die Sanitäter sich von ihm abwandten, den Koffer mit dem Notfallset schlossen, den Defibrilator wieder wegpackten. Sie nahm wahr, wie Ran nach Luft schnappte und kaum welche bekam. Sie weinte nur leise, war seltsam still, strich ihm mit einer Hand immer wieder durch die Haare, die ihm wirr im Gesicht klebten. Dann zogen sie ihm den Pulsmesser vom Finger – und die Stille war vollkommen. Jenna japste, schnappte nach Luft wie eine Ertrinkende, unwillkürlich, hielt sich die Hand vor den Mund, um ihren Schrei zu unterdrücken, spürte, wie ihre Finger zitterten. No! Langsam trat sie näher, ihre Beine wackelig wie die eines jungen Fohlens, blieb ein paar Meter vor ihm stehen. Sie betrachtete Ran, die seinen Kopf hielt, ihm immer noch die Haare aus dem Gesicht streichelte und so beunruhigend ruhig war. Ihre Lippen schienen ein lautloses Mantra zu beten, wisperten Worte in sein Ohr, die er nicht hörte. Nie mehr hören würde. Er lag da bleich, regungslos, ohne Atmung und ohne Puls. Tot. Diese Wahrheit erschlug sie fast. That can’t be… He can’t be… dead. Sherlock… Ran schien, wenn überhaupt, nur am Rande mitzubekommen, dass die Sanitäter ihre Bemühungen eingestellt hatten. Niemand sagte etwas, niemand wagte, sie anzusprechen, als sie ihn festhielt und immer neue Versprechen in sein Ohr flüsterte, die sie wahrmachen wollte, wenn er selbst nur eines hielt… Das, bei ihr zu bleiben. Nie mehr wieder fortzugehen. Dabei hatte Ran sehr wohl bemerkt, was passiert war. Sie spürte, so sehr sie es sich auch wünschte, keinen Atemzug Shinichis auf ihrer Haut, und egal wie geduldig sie wartete, unter den Fingern, die sie auf seine Brust gelegt hatte, als die Sanitäter von ihm abgelassen hatte, schwieg sein Herz. Es riss sie auseinander, wenn sie daran dachte, was das hieß – und es löschte jeden Funken Vernunft in ihrem Kopf, wenn sie Wärme unter ihren Fingerspitzen fühlte, aber keinen Herzschlag. Kein Leben. Sie kniff die Augen zusammen, als das Gefühl von Machtlosigkeit sie übermannen wollte, wehrte sich dagegen, einfach aufzugeben, schlug unwirsch die Hand eines Santitäters beiseite, der sie wegziehen wollte, um ihn auf die Trage zu heben, hielt die Handfläche von sich gestreckt, um deutlich zu machen, dass man gefälligst weder sie noch ihn anfassen sollte. Dann legte sie die Hand zurück auf seinen Kopf, streichelte seine Wange. „Du hast es doch versprochen, Shinichi...“ Ihre Worte tröpfelten unendlich langsam von ihren Lippen, tonlos. Yusaku, der immer noch auf dem Boden kniete, in seinen Kopf immer noch der Ausnahmezustand, als ihn diese Worte aus seiner Lethargie rissen. Heiji neben ihm schien es ähnlich zu gehen. Er sah sie an, sah, wie eine Träne über ihre Wange rollte, sich ihre Lippen zu einem traurigen Lächeln krampften. „Du hast es versprochen, erinnerst du dich? Mehrmals… Shinichi… heute, vor ein paar Stunden erst.“ Sie atmete stockend ein und aus, ihre Finger ballten eine Faust in den Stoff seines Hemds. „Weißt du, ich… ich kann verstehen, dass es schwer ist für dich, und schmerzhaft. Ich hab‘ gesehen, wie müde du warst… wie weh das tat. Wie furchtbar…“ Sie schluckte hart. „Ich kann verstehen, dass du eine Pause brauchst. Dass du Ruhe willst und Stille, aber nicht das, Shinichi, nicht… so.“ Ihre Nase berührte fast die seine. „Du hast so mutig gekämpft bisher, du warst so unendlich stark, so unglaublich tapfer… gibt jetzt nicht auf…“ Ihre Stimme verlor sich, als sie die Augen zusammenkniff. Gib nicht auf… Jenna starrte sie an, verstand keins ihrer Worte, und fühlte doch die Macht, die von ihrer Stimme ausging, fühlte, wie sich ihr eigener Puls beschleunigte. „Du hast es mir versprochen. Und du wolltest es doch halten, dieses Versprechen, du wolltest nie wieder eins brechen, du…“ Sie hatte in die Innentasche seines Sakkos gegriffen, das Flugticket herausgezogen, dass dort immer noch steckte – zerknittert, aber immer noch da. „Zeig mir, dass du kein Lügner bist… halt nur dieses eine Versprechen… Nur dieses eine…!“ Nur dieses eine… Ihre Stimme verebbte zu einem kaum mehr hörbaren Wispern, ihre Finger zerknüllten das Ticket fast, als sie ihn mit festem Blick anschaute, fordernd und flehend gleichermaßen, kaum mehr als ein paar Zentimeter trennten ihr Gesicht von seinem. „Komm zurück zu mir…!“ Komm zurück, komm zurück, komm zurück… Jenna schluckte hart, als sie sah, wie Ran sich ihm weiter näherte, bis einfach keine Luft mehr zwischen sie passte. Sie sah diesen Kuss, und es schnitt ihr die Luft ab, brachte ihren Puls ins Stolpern, als sich vor ihr ausbreitete, mehr als zuvor, was diese beiden Menschen miteinander verband. You’ve been waiting for this so long… it can’t be over before it has begun… It mustn‘t… Ein Kuss, so zart, dass ihre Lippen die seinen kaum zu berühren schienen, und doch so intensiv, dass das Gefühl, das diese junge Frau in diesem weißen, vom Dreck der Straße beschmutzten Kleid, das ihr nass am Körper klebte, für den Mann in ihren Armen empfand, jeder spürte. Liebe. Ran zitterte vor Verzweiflung, Angst und Kälte, und doch war es das, was sie verbreitete – dieses eine, übermenschlich mächtige Gefühl. Sie hatte ihre Stirn auf seine gelegt, fühlte, wie die Anstrengung der letzten Stunden, die Angst und Verzweiflung sie müde machten, versuchte, ihre gepresste Atmung unter Kontrolle zu bringen, da sie die Verzweiflung kaum noch Luft holen ließ. Vermouths Worte von gerade eben gingen ihr nicht aus dem Sinn. Was, wenn sie nicht stimmten…? Angel. Sie konnte ihre Stimme fast neben sich hören, kniff die Augen zusammen, schüttelte heftig den Kopf. Sharon… was, wenn ich nicht genug bin…? Was, wenn diese Ruhe so viel schöner ist als dieses Versprechen eines Lebens mit mir… nach diesem Leben, das er führen musste, bisher, mit so viel Schmerz, so viel Leid, so viel Angst und Hass und… Aber das war doch nicht alles, Shinichi. Dein Leben war nicht immer so. Erinnerst du dich… an die Zeit davor? Und an diesen einen Abend, diese eine Nacht… Reicht das, um dich zu überzeugen…? Ist das Beweis genug…? Sie schluckte hart. Was, wenn ich nur seine Achillesferse bin… Just devil… and no goddess at all… No angel… Eine weitere Träne lief ihr über ihre blasse Wange. Im nächsten Moment schien alles an ihr zu Stein zu erstarren. Sie riss die Augen auf, hielt den Atem an, wagte kaum der Meldung glauben zu schenken, die ihre Fingerspitzen, die wieder unter sein geöffnetes Hemd auf seine Brust gewandert waren, an ihr Gehirn sendeten. Und so wartete sie, blendete die fragenden Blicke Jennas, Yusakus und Heijis aus. Schnappte nach Luft, wimmerte unterdrückt, als sie es wieder fühlte. Fein, müde und zögernd, aber spürbar. Sein Herz. Sie fuhr auf, starrte forschend in sein Gesicht, strich ihm mit vor Nervosität und Aufregung fliegenden Fingern über die Haut, merkte nicht, wie ihr die Tränen übers Gesicht liefen, haltlos nunmehr. Woran er sich erinnerte, war dieses seltsam warme Gewicht auf seiner Brust, das ihm das Atmen schwer machte. Waren diese fast spinnenbeinartig gespreizten Finger, die sich in den Stoff seines Hemds und seines Sakkos krallten, und nicht zu lösen waren. Und da war noch… dieses unheimlich beruhigende Geräusch, begleitet von dieser Bewegung. Regelmäßig, ein und aus, auf und ab. Rans Atem, ihr Oberkörper, der sich in dessen Rhythmus bewegte, und seinen dazu animierte, sich ihm anzupassen, es ihm gleichzutun. Er fühlte sich wie erschlagen, als er die Augen öffnete. Ihre Finger kitzelten die Haut an seinem Hals, als sie sich bewegte, sich ein wenig näher zog und schob, ihm dabei ein ersticktes Aufstöhnen entlockte, als sie ihren Ellenbogen in seinen Bauch stützte. Sie merkte es, korrigierte ihre Haltung, indem sie sich nach vorne beugte – und ihm auf ganz andere Weise den Atem raubte. Shinichi schnappte nach Luft, als sie langsam ihre Lippen von seinen löste, nicht, ohne noch einmal kurz nachzusetzen, ehe sie seinen Kopf in beide Hände nahm, ihre Stirn auf seine sinken ließ. „Danke.“, wisperte sie heiser. Ihr heißer Atem strich ihm übers Gesicht, und er konnte die Tränen in ihrer Stimme bereits hören, ehe sie sich ihre Bahn über ihr Gesicht suchten. Er hob eine Hand, unendlich langsam, strich ihr übers Haar, ihren Arm, ehe er wieder kraftlos an seine Seite sank. „Danke, dass du nicht aufgegeben hast …“ Ran… Als er etwas sagen wollte, legte sie ihm den Finger auf die Lippen, schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein. Lass… lass nur. Ruh… ruh dich jetzt aus, Shinichi. Wenn… wenn du wieder aufwachst, werde ich da sein.“ Sie sah das erschöpfteste aller Lächeln über seine Lippen huschen, erwiderte es, strich ihm dann zart eine verschwitzte Strähne aus der Stirn, bemerkte, wie er wegdämmerte in ihren Armen und gestattete es erst dann den Sanitätern, ihn transportfertig zu machen, als er sicher wieder schlief. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)