Dunkler als schwarz von Leira (Shinichi x Ran) ================================================================================ Kapitel 40: Zeilen aus der Vergangenheit ---------------------------------------- Kapitel 40 – Zeilen aus der Vergangenheit ~ Für Ran Er hatte nie gedacht, dass er doch noch dazu kommen würde, ihr diesen Brief zu geben. Unschlüssig saß Yusaku Kudô auf der Kante ihres King-size-Doppelbettes ihres Hotelzimmers, drehte und wendete den Umschlag in seinen Händen, auf dem in der immer etwas hastig wirkenden Schrift seines Sohnes „Für Ran“ geschrieben stand. Yukiko trat näher, schaute ihn nachdenklich an – dass sie den Raum überhaupt betreten hatte, merkte er erst, als sie eine Hand auf seine Schulter legte, sich ihr zartes Parfum in seine Nase schlich. „Was hast du da?“ Sanft klang ihre Stimme an sein Ohr. Als er aufsah, kam er einmal mehr nicht umhin, sich zu wundern – sie war immer noch so schön, wie an dem Tag, an dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte – als Schauspielerin in einem Film. Große, blaue Augen, klar und tief wie das Meer vor Japans Küste, rotblondes, volles Haar das ihr in großzügigen Wellen über die Schultern fiel – zusammen mit dieser frechen Locke, die sich in ihre Stirn kringelte, und sie immer noch so jung aussehen ließ wie vor zwanzig Jahren. Er liebte sie. Und der Brief in seinen Händen brach ihm das Herz, denn er ahnte, was darin stand. Die Worte, die dein Herz dir diktierte, Shinichi… nicht dein Verstand. Denn Zeit zum Nachdenken konntest du kaum gehabt haben. Ich hab ihn ihr nie gegeben, weil ich nicht wusste, dass sie lebte… wie du auch, dachte ich, sie wäre tot. Es wird Zeit, dass sie endlich erfährt, was du ihr sagen wolltest. Gerade, da du es ihr momentan nicht sagen willst… Du zerstörst dein Leben, Shinichi. Ich weiß, du ahnst, was dir entgeht… aber wirklich wissen tust du es nicht. Sonst würdest du sie festhalten und nie mehr loslassen. Er griff nach Yukikos Hand, zog sie neben sich aufs Bett, reichte ihr den Umschlag, wortlos. Sie nahm ihn entgegen, schluckte, als sie die Schrift ihres Sohns erkannte. „Woher…?“, begann sie, brach ab, als sie bemerkte, dass er sie ansah. „Er hat ihn mir gegeben, an dem Tag, als er in die Höhle des Löwen ging.“ Langsam zog er sich die Brille von der Nase, massierte sich die Nasenwurzel. „Er gab ihn mir mit der Bitte, ihn ihr zugeben, falls ihm was passiert. Ich hab ihn ihr nicht gegeben. Wie du auch wusste ich nicht, dass sie noch lebt. Sonst hätte ich ihn ihr längst geschickt, in der Hoffnung, dass sie ihn endlich zur Vernunft bringt.“ Yusaku stand auf, schaute sie an. „Verdammt, dass sie beide so stur sein müssen! Sie gehören zusammen… aber seit Jahren reden und rennen sie aneinander vorbei. Er stößt sie ständig von sich… und es scheint, als habe er es diesmal geschafft, sie…“ Yukiko seufzte leise. „Sie hat ihm viel verziehen.“ Er lächelte bitter. „Aber das wird sie ihm ohne Erklärung nicht verzeihen. Und ich… finde auch, er ist sie ihr schuldig. Er… mein Gott, du hast ihn gesehen, damals. Du siehst ihn heute, Yukiko. Und ich…“ Er zog sie hoch, langsam, legte seine Arme um sie, vergrub seine Nase in ihren Haaren. „Es wird Zeit, dass sie liest, was er zu sagen hatte. Und was er ihr momentan anscheinend nicht sagen will.“ Sacht zog er den Brief aus ihren Fingern, fühlte ihre Lippen an seinem Ohr, als sie ihm einen Kuss auf seine Wange hauchte. „Sie hat ein Recht auf die Wahrheit. Und wie du ja weißt… ist er ja ein großer Fan der Wahrheit.“ Langsam ließ er sie los, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Bis später, Yukiko.“ Eigentlich hatte sie sich nur kurz frisch machen wollen – nun stand sie unschlüssig in ihrem Zimmer, schaute in ihr Spiegelbild. Die anderen tranken nach dem Shoppingtrip, den sie nun endlich nachgeholt hatten, nach den Wirren der letzten Tage, bereits in der Hotellobby einen Cappuccino – und sie hatte sich kurz abgeseilt, um mal fünf Minuten Zeit für sich zu haben. Sie hatten Spaß gehabt – es versucht, zumindest. Sie waren die Oxford Street entlangflaniert, hatten ihre Garderobe aufgestockt, hatten geplaudert und getratscht, und Ran wusste, wie sehr sie sich angestrengt hatten, Kazuha und Sonoko zumindest. Shiho, das ahnte sie, war sauer, auch wenn sie das nie zeigen würde. Sie war ruhig, wie immer. Sagte kaum ein Wort, betrachtete sie nur mit diesem nachdenklichen, bohrenden Blick, der jede ihrer Entscheidungen und Worte in Frage stellte, die sie am Vortag getroffen oder gesagt hatte. Und einmal mehr fragte sie sich, was das mit ihr und Shinichi war. Akai war ihnen gefolgt wie ein Schatten – irgendwann hatte sie ihn fast vergessen, so formvollendet hielt er sich im Hintergrund. Dennoch wusste sie, dass er sie nie aus den Augen ließ. Sie nicht – und Shiho nicht. Und nun stand sie da, blickte in ihr blasses Gesicht, sah den Glanz in ihren Augen, der sie ein wenig glasig schimmern ließ, sah den verwirrten, zerrissenen Ausdruck in ihnen. Sie wusste nicht mehr, wem sie glauben oder trauen konnte. Seit gestern fühlte sie sich nicht mehr zuhause – nirgends. Mit ihrem Vater hatte sie seither nicht mehr gesprochen. Denn wenn auch Shinichi viel gelogen hatte – mit einem hatte er Recht gehabt. Sie konnte ihm nicht verzeihen, dass ihr Vater mit ihm und auch ihr so umgegangen war. Shinichi war, ungeachtet allen Dingen, die passiert waren, ihr Freund seit Kindertagen, und sie war in ihn verliebt gewesen, schon bevor diese Sache mit Conan begonnen hatte – und sie traute sich wetten, ihrem Vater war das klar gewesen, so abschätzig, wie er sich immer über ihn geäußert hatte. Es schien fast, als habe er nur auf einen Moment gewartet, ihn endlich endgültig aus ihrem Leben streichen zu können – und die Grausamkeit und Konsequenz, mit der ihre Eltern das getan hatten, stieß ihr mehr als sauer auf. Es stieß sie ab. Sie hatte ihr Handy abgeschaltet, als ihre Mutter zum fünften Mal angerufen hatte – sie hatte keinen Anruf angenommen, denn sie ahnte, sie rief an, weil ihr Vater ihr gesagt hatte, dass ihre Lüge nun aufgeflogen war. Sie konnte einfach nicht mit ihr reden; jetzt zumindest nicht. Shinichi zu sehen, gestern, diese Hoffnungslosigkeit und Selbstverachtung in seinen Augen zu lesen hatten sie fast ihre Wut auf ihn vergessen lassen. Das einzige, das sie hatte nicht sofort umfallen lassen, war ihre Enttäuschung. Und der Schrecken darüber, dass er ein solch großer Lügner war, ein solch kompromissloser Lügner, dass er sich mit seiner Lüge auch noch selbst verletzte. Das war nun fast vierundzwanzig Stunden her – ein ganzer Tag, den sie nun mit dem Gefühl verlebt hatte, dass er für sie Geschichte war. Gestorben war. Shinichi hatte sich nicht gemeldet, mit keiner Silbe. Sie fragte sich, ob es ihm genauso bescheiden ging wie ihr. Ja, er tat ihr Leid. Er war suspendiert worden, das musste ihn schwer treffen. Er hatte wahrscheinlich nicht einmal einen Fehler gemacht – in beruflicher Hinsicht nicht. Was sie betraf jedoch sehr wohl. Sie fühlte sich immer noch hintergangen und betrogen. Und dass er sich nicht meldete, keine Entschuldigung oder Erklärung anbot, sich einfach abwandte von ihr und nicht einmal den kleinen Finger rührte, geschweige denn um sie kämpfte, ließ sie sich fragen, wie viel sie ihm wert war. Gut, er hatte gewollt, dass sie von ihm wegblieb. Jedoch… sie glaubte kaum, dass er sich ein solches Ende ersehnt hatte. Das kann nicht dein Wunsch gewesen sein, Shinichi… Sag mir, warum verhältst du dich so… Warum benehmt ihr alle euch so… Was denkt ihr euch dabei…? Verbindet mir die Augen und dreht mich im Kreis, so lange, bis ich nicht mehr weiß, wo oben und unten ist, wo links und rechts… So lange, bis sich alles dreht und ich nicht mehr weiß, was Wahrheit und was Lüge ist. Fest presste sie die Lippen aufeinander, ballte die Hände zu Fäusten. Dass er nicht kam, um sie um Verzeihung zu bitten, um sie zu sehen, um… irgendetwas zu tun, zu sagen… verletzte sie. Und sie merkte, wie sie weich wurde, wie sie wieder den ersten Schritt machen wollte, weil sie sich angezogen fühlte von ihm wie die Motte vom Licht, weil ihr Herz nach ihm schrie, so laut, dass ihr Verstand fast taub geworden war – was ihn gleichzeitig auch unempfindlicher gegenüber der Stimme ihres Herzens machte. Ein Teufelskreis. Sie liebte ihn. Immer noch. Egal wie weh er ihr tat, sie verzieh ihm, immer wieder. Suchte immer wieder nach Gründen, die ihn rechtfertigten. Aber etwas verbot ihr, diesmal wieder nachzugeben. Er war der, der den ersten Schritt machen musste. Sie war so tief in ihren Gedanken versunken, dass sie fast zu Tode erschrak, als sie auf einmal Schritte hinter sich hörte. Sie wirbelte herum, griff haltsuchend nach der Lehne des Stuhls, der vor der Kommode stand in dessen Spiegel sie gerade gesehen hatte, mit der anderen Hand hatte sie einen Parfumflakon gegriffen, bereit, ihn auf ihren Gegner zu schleudern. Mit der Person, die in ihrem Zimmer stand, hätte sie nie im Leben gerechnet. „Hallo, Ran.“ Ran atmete aus, merkte, wie die Anspannung, die sie gerade ergriffen hatte, wieder wich. „Herr Kudô.“ Sie holte Luft. „Sie haben mich erschreckt…“ Langsam ließ sie ihre Hand sinken, stellte den Flakon wieder ab. „Das war nicht meine Absicht.“ Sie schloss die Augen kurz, ließ seine Stimme in ihrem Ohr nachklingen. Sie klang der Stimme seines Sohns sehr ähnlich – wenn auch ein wenig tiefer. Und bei weitem nicht so gehetzt, nicht so unruhig, nicht so gejagt. „Schickt Shinichi Sie?“, fragte sie dann. Er horchte auf – Ablehnung und Hoffnung gleichermaßen schwangen in ihrer Stimme. Als sie ihn lachen hörte, schaute sie ihn verwirrt an. Es war ein trauriges Lachen, das seine Augen nicht erreichte, die sie unverwandt anblickten – dunkel, aber voller Zuneigung. Väterlich. „Gewissermaßen stimmt das sogar, Ran. Allerdings…“ Er wischte sich über die Stirn. „Allerdings sollte ich diesen Botengang vor fünf Jahren schon machen.“ Sie starrte ihn an, hielt die Luft an. „Du erinnerst dich sicher, er…“ Ran sah ihm an, wie er mit sich rang. „Wollen Sie sich setzen?“ Sie bot ihm einen der Stühle an, die um einen Tisch gruppiert waren, nahm ihm gegenüber Platz. „Ich weiß… von Agent Akai, wie er es eingefädelt hat.“, fing Ran seinen Gesprächsfaden auf. „Sehr… gut.“, murmelte der Schriftsteller gedankenverloren. „Nun… dann weißt du, dass er… es gemacht hat, damit man erstens… Shiho nichts antat und zweitens, wir alle anderen nicht… in Gefahr gerieten. Er… brachte uns alle außerhalb der Schusslinie, nahm das temporäre Gegengift und wartete darauf, dass sie ihn holten. Ich… sah ihn, kurz bevor…“ Er biss sich auf die Lippen. „Er hatte Angst, dass… es schieflaufen könnte. Dass er…“ Ran starrte ihn an, sprachlos. Akai hatte nichts davon erzählt. In seiner Darstellung hatte er ein toughes Bild von ihm gezeichnet – den selbstlosen Retter, den Draufgänger, den Verfechter der Wahrheit, Shinichi Kudô. „Gleichwohl sah er keinen anderen Weg. Nicht, um Shiho zu retten… und auch für seine eigene Zukunft nicht. Eure… Zukunft.“ „Herr Kudô…“ „Nein, Ran, bitte. Hör mir zu.“ Sein Gesicht verzerrte sich kurz. „Du weißt, dass er dich liebt. Er hat… manchmal eine seltsame Art, das zu zeigen, das weiß ich. Dennoch… keiner kann dir… besser sagen, wie sehr ihn der Gedanke, dass du tot wärst, zugrunde gerichtet hat, als ich. Er war kurz davor, sich selbst aufzugeben, Ran. Die haben ihn da drin fast umgebracht, aber das war nichts im Vergleich zu dem, was er danach durchmachte. Was du gesehen hast, als ihr geflohen seid, war nur die Spitze des Eisbergs. Und danach… als er nach Hause kam und ihm der Gedanke klar wurde, er langsam das Ausmaß begriff, was dein Verlust für ihn bedeutete, hielt ihn… hielt ihn fast nichts mehr. Und glaub mir, Jahr für Jahr, Monat für Monat, Tag für Tag quälte ihn der Gedanke, dass er dich nicht hatte beschützen können… dich nie wieder zu sehen. Dich für immer verloren zu haben. Ran...“ Er sah sie eindringlich an. Sie schluckte, schaffte es nicht mehr, seinem Blick standzuhalten, schaute auf die Tischplatte, auf der sie ihre Fingerspitzen plattdrückte, so fest, dass aus ihnen das Blut wich, sie einen leicht gelblichen Farbton annahmen. „Ich hab ihn gesehen. Tage, Nächte, zerfressen von diesem Gefühl von Schuld, das er sich auflud, jeden Tag eine Schippe mehr, und unter dessen Last er fast zusammengebrochen ist. Die Trauer, der Verlustschmerz, Ran… er dachte, du wärst für immer aus seinem Leben verschwunden, du, die er doch… um jeden Preis, und sei er sein eigenes Leben, schützen wollte. Stattdessen hatte er dich in tödliche Gefahr gebracht, das…“ Er brach ab, schüttelte den Kopf, knitterte den Umschlag in seinen Händen, den er während er sprach aus seiner Sakkoinnentasche gezogen hatte, legte ihn auf den Tisch und strich ihn wieder glatt, als er merkte, was er tat. „Die letzten Jahre hat er nicht gelebt, Ran. Starr, eingefroren, nicht in der Lage, aufzustehen und irgendetwas zu tun, irgendetwas zu denken, so war er, als er ankam, in dieser Nacht, und so war er Wochen danach – und zum Teil ist er das auch heute noch der Zustand, in dem er sich befindet. Er… ich wollte ihn nie so sehen. Und ich wusste nicht, wie ich ihm helfen konnte, wenn er… wenn er…“ Er brach ab, merkte, wie dieses Gefühl von Hilflosigkeit in ihm aufstieg, dass sich damals seiner bemächtigt hatte. „Ran, du kennst ihn so nicht, deshalb weißt du nicht, wie du umgehen sollst damit.“ Er wartete, bis sie ihn ansah. „Er hat Angst, Ran. Dieses Gefühl ist nicht nur dir vorbehalten.“ Sie merkte, wie ein leiser Schauer sie ergriff. „Er hat… entsetzliche Angst.“ Ran presste ihre Lippen aufeinander. „Du weißt, was Angst aus uns macht. Sie lässt uns nicht mehr klar denken. Dinge sagen, die wir anders meinten. Dinge tun, die wir bereuen. Ran…“ Drängend sah er sie an. „Shinichi tut das nur, weil er es nicht überlebt, wenn dir noch einmal etwas passiert. Du bist… der Funke, der sein Feuer am Brennen hält, und als solcher verpflichtet, auf dich aufzupassen, weil du ihn sonst mit dir reißt, Ran, wenn dein Funke erlischt. Er braucht dich wie die Luft zum Atmen. Du kanntest ihn vor fünf Jahren und schau ihn dir jetzt an – sag mir, was blieb von ihm… wieviel von dem Shinichi, der vor fünf Jahren mein Sohn war, existiert denn heute noch…“ Yusaku brach ab, merkte, wie seine Stimme kratzig wurde und räusperte sich. „Ich wünsche mir, was du dir wünschst. Ich will ihn glücklich sehen. Ich will euch beide glücklich sehen. Allerdings ist er wohl etwas schwierig momentan und… es gibt diese eine Sache, die ihn an einer Rückkehr hindert. Du weißt, was ich meine.“ Ran holte tief Luft, schaute auf. „Die Organisation.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Wispern. „Richtig.“ Yusaku nickte. „Sie beherrscht sein Denken und Handeln mehr, als er es zugeben will. Er wird immer alles tun, um dich zu schützen, aber vielleicht hindert ihn das manchmal, das zu tun, was er eigentlich tun müsste… und es lähmt ihn, wenn er sieht, dass er dich gefährdet, wenn er agiert. Deshalb musst du ihm den Rücken freihalten und dich fernhalten, wenn er sich in den Kampf stürzt, und dass er das tun wird, wissen wir beide. Er wird das nicht auf sich sitzen lassen… er ist kein Mann der halben Sachen. War er noch nie.“ Er seufzte. „Aber du darfst ihn nicht aufgeben, Ran. Bitte gib ihm… diese eine, letzte Chance. Verbau ihm nicht den Weg zurück… oder nach vorn.“ Langsam schob er den Umschlag über den Tisch. „Den gab er mir, vor fünf Jahren. Ich sollte ihn dir geben, falls ihm etwas passierte. Ich dachte… du wärst tot, deswegen gab ich ihn dir nie. Ich denke, es ist an der Zeit, dass du ihn liest.“ „Was… steht drin?“, fragte sie mit zitternder Stimme. „Das weiß ich nicht. Aber… Ran, bitte versprich mir, rede mit ihm. Ein letztes Mal. Lass ihn… lass ihn nicht fallen.“ Ran strich mit ihren Fingern über das Papier. „Sie wissen, dass ich ihn liebe.“ Ihre Lippen zitterten. „Aber ich… es… ich kann nicht so weitermachen. Ich kann nicht… nicht wenn ich nicht endlich alles weiß.“ Yusaku lächelte verständnisvoll. „Dann ließ den Brief. Und rede mit ihm. Triff dich mit ihm. Versuch es… bitte nur noch einmal. Dieses eine, letzte Mal.“ Sie schaute auf. „Aber wird er denn kommen? Er machte nicht den Eindruck, als wolle er seine Meinung ändern. Und ich war… ich war nicht gerade entgegenkommend. Ich hab ihm gestern… den Rest gegeben, wohl, nach der Suspendierung.“ „Lass das mal meine Sorge sein.“ Yusaku lächelte. “Sei einfach… heute um neunzehn Uhr am Big Ben. Ich werde schon dafür sorgen, dass er auch da sein wird.“ Damit stand er auf, bedeutete ihr sitzen zu bleiben. „Ich finde allein raus, Ran, mach dir keine Umstände. Ich… danke dir für deine Zeit.“ Als er die Türe hinter sich schloss, hörte er das leise Reißen von Papier. Ich hoffe, du fandest damals die richtigen Worte, Sohnemann… momentan ist es ja mit deiner Beredsamkeit nicht so weit her. Damit drehte er sich um, ging langsam den Hotelflur entlang. Ran stockte der Atem, als sie die Blätter aus dem Umschlag zog. Es waren insgesamt drei, und sie alle engst beschrieben, beidseitig, mit der immer gleichen, kleinen, regelmäßigen Schrift. Sie hätte sie unter tausenden wieder erkannt, und das, obwohl sie sie jetzt schon seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte. Unwillkürlich schluckte sie – und merkte, dass ihr Mund seltsam trocken geworden war, sich in ihrer Kehle ein Kloß gebildet hatte. Unsicher leckte sie sich mit ihrer Zunge über ihre Lippen, griff nach der Flasche Wasser, die auf dem Tisch bereit stand und schenkte sich ein Glas ein, leerte es in einem Zug, ehe sie es über sich brachte, die Blätter auseinander zu falten, ihre zitternden Finger über die Zeichen gleiten zu lassen. Tief holte sie Luft – dann begann sie zu lesen. Ran, bitte verzeih, dass ich dir das, was nun folgt, nicht persönlich sage. Eigentlich hättest du es verdient, dass ich dir bei dieser Beichte gegenübersitze – und mir all das anhöre, was du dazu zu sagen hast. Und ich bin mir sicher, das wäre einiges gewesen, und genauso sicher bin ich mir, dass ich alles davon verdient hätte – jedes einzelne Wort. So… läuft dieses Gespräch nun etwas einseitig ab – aber ich verspreche dir, sollte das, was gerade im Gange ist, und in dessen Getriebe auch ich ein Rädchen bin, auch nur annähernd so laufen, wie ich geplant habe, dann höre ich mir gern alles an. Und werde es ertragen. Wenn nicht… und das ist wohl wahrscheinlicher der Fall, wenn du diesen Brief liest - dann kennst du jetzt wenigstens die Wahrheit. Als letzte von allen. Der erste Punkt, der dir bitter aufstoßen dürfte. Du wirst dich fragen, warum ich dir das nicht alles viel früher erzählt habe. Wirst dich fragen, warum ich dir nicht vertraut habe. Du wirst enttäuscht sein, dass ich dich so angelogen und dein Vertrauen missbraucht habe. Du wirst dich fragen, ob du dich nicht wirklich in mir getäuscht hast, wenn ich dich schon so täuschen konnte – was meinen Verbleib in den letzten zwei Jahren betrifft. Und all das kann ich verstehen. Denn du hattest Recht mit deiner Ahnung. Ich… war Conan. Vielleicht weißt du das jetzt schon, hast es von anderen erfahren. Ich würde jetzt gerne sagen, ich hatte keine andere Wahl, als es vor dir geheim zu halten. Das wäre allerdings gelogen und eigentlich wollte ich jetzt ja aufhören damit, nicht? Nach zwei Jahren, in denen ich in einer Lüge gelebt habe, soll jetzt Schluss sein. Mein… erster Impuls war, es dir zu sagen. Gleich, als du kamst, damals, zu Professor Agasa und den kleinen Conan fandest. Conan… war damals noch keine Stunde alt. Ran schluckte, hielt kurz inne. Man hatte ihr erzählt, dass er Conan gewesen war, ja. Allerdings wusste sie nichts über die genauen Umstände – und wie sie glaubte, wusste darüber wohl keiner wirklich Bescheid. Sie hatte natürlich darüber nachgedacht – und das Zeitfenster war entsprechend klein gewesen. Irgendwann zwischen dem Zeitpunkt, als er weggelaufen und sie zurückgelassen hatte mit der Äußerung, doch schon einmal vorzugehen – und ihrem Auftauchen bei Agasa. Sie schluckte, ließ ihre Augen weiter über die Schriftzeiten gleiten. Du erinnerst dich doch sicher daran… wir sind damals ins Tropical Island Rainbow Land gegangen, weil du es dir wünschtest, wenn du Karatestadtmeisterin würdest. Ich wär auch mit dir hingegangen, hättest du nicht gewonnen… aber das gehört wohl nicht hierher… Wir… hatten an dem Abend viel Spaß, und eigentlich hätt‘s dabei bleiben sollen. Stattdessen stießen wir auf dieses Grüppchen, das mit uns in die Achterbahn stieg – ich muss dir den Fall wohl nicht in Erinnerung rufen. In dieser Achterbahn sah ich sie zum ersten Mal. Ich weiß nicht, ob du dich noch an sie entsinnen kannst – zwei Gestalten, ganz in schwarz gekleidet, der eine hager, groß, mit langen, hellen Haaren. Der zweite kleiner, etwas untersetzt, mit Sonnenbrille. Mir waren sie sofort suspekt – mit diesem Fall hatten sie jedoch nichts zu tun. Ich weiß noch, als der Fall gelöst war standen wir wieder draußen, schlenderten langsam zum Ausgang – und du hast geweint. Du hast wegen ihm geweint, der sterben musste – du hast um das Mädchen geweint, das ihren Freund verloren hatte… und ich traue mich wetten, auch wegen der Täterin hast du geweint, weil sie dir Leid tat. Weil dich ihr Dilemma mitnahm. Du leidest mit ihnen allen… und am meisten leidest du mit mir. Ran schluckte. Sie konnte die Bitterkeit seiner Stimme fast in ihren Ohren klingen hören. Die Reue. Ich weiß noch, ich war nicht sehr sensibel. Ich nahm das damals viel gelassener, als ich es heute tue, denn schauen wir der Wahrheit ins Gesicht – ich war ein arroganter Schnösel. Völlig geblendet vom Erfolg, völlig gefangen im Rausch der Suche nach der Wahrheit, des Lösens von Fällen… die Presse, die Aufmerksamkeit, die man mir schenkte verdrehten mir wohl gehörig den Kopf. Ich sah‘s… zu sachlich, sehr distanziert, sah nur die Herausforderung meiner grauen Zellen und verdrängte ganz gerne das, was damit einherging… menschliche Tragödien. Immer wenn ich merkte, dass es mich doch packte, versuchte ich, es wegzuschieben. Ich war nicht schuld daran. Ich hatte diese Verbrechen nicht begangen. Ich löste sie nur. Überführte die wahren Schuldigen und glaubte, damit so etwas wie Gerechtigkeit erreichen zu können. Was für ein Humbug. Ran zuckte zusammen, schluckte hart. Ihr war die Zeit damals noch deutlich in Erinnerung… die Artikel in der Zeitung über ihn, die Publicity, die er genoss, die Mädchen, die ihn umschwärmten wie Ameisen einen angelutschten Lolli. Die vielen Liebesbriefe, mit denen er ihr vor der Nase gewedelt hatte, erschienen ihr vor Augen – dennoch, ausgegangen war er nur mit ihr. Um sie dann stehen zu lassen. Sie hatte sich ein wenig verlassen gefühlt. Sie war etwas sauer gewesen und hatte Angst gehabt, um ihn. Sie hatte gespürt, dass etwas in der Luft lag. Dennoch hatte sie immer daran geglaubt, dass sein Einsatz etwas Gutes hatte. Dass er der Wahrheit half. Nun stand er hier und sah in seinem Tun keinen Sinn mehr, kritisierte sich und sein Verhalten und verurteilte sich zusätzlich, auch noch seine Freundin im Stich gelassen zu haben. Sie biss sich auf die Lippen, seufzte leise. Langsam wurde ihr klar, wie sehr er sich wirklich verändert hatte. Ich Hornochse hab dich stehen gelassen, wo du doch weintest. Hab versucht, es abzuwiegeln, und ich schwöre – mit den besten Motiven und dilettantischer Unfähigkeit, ein Mädchen zu trösten. Und dann sah ich einen von ihnen wieder. Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, wie er hinters Riesenrad lief, und setzte im Folgenden meiner gnadenlosen Dummheit die Krone auf – ich ließ dich stehen und lief ihm hinterher. Mein Gott. Mich packte der Ehrgeiz, die Neugier, ich dachte, du kämst schon klar, und du ahnst nicht, wie es mich… schmerzt, wenn ich daran denke, dass ich dich für einen Fall hab stehen lassen. Was für ein ignoranter Bastard ich war. Ich dachte, mein Leben wäre gut so; gewissermaßen fühlte ich mich wohl unbesiegbar, nicht aufzuhalten und ich ahnte nicht einmal im Traum, dass sich daran etwas ändern könnte. Es änderte sich in der folgenden Viertelstunde fundamental. Ran merkte, wie sich ihre Finger ins Papier bohrten. Sie hörte ihn fast nach Luft ringen, als er nach Worten suchte – sie hatte ihn in den letzten Tagen so oft gesehen, wenn er versuchte, etwas zu erklären und die richtigen Worte zu finden, dass sie ihn nun fast vor sich sah. Den Oberschüler, der versuchte, ihr klarzumachen, was passiert war. Versuchte, zu erklären, warum er ihr so wehgetan hatte. Das, was ich dir nun erzähle… hat keiner je von mir gehört. Ich lief dem Kleineren hinterher, beobachtete ihn, wie er ein Geschäft abwickelte und passte nicht auf, witterte den Fall meines Lebens – tja, den bekam ich. Und zuerst einmal war es der Fall auf meine Nase, aber sowas von. Ich sah ihn einfach nicht kommen… Ihn. Gin. Ran schob den Brief weg, japste nach Luft. Er kam von hinten – ich war so abgelenkt durch das, was ich sah, dass ich ihn nicht hörte. Wie gesagt, ich witterte die Sensation. Den größten Coup meiner Karriere. Das sollte er werden… Ich weiß nicht, was es war. Ein Stock, ein Knüppel… Ein stumpfer Gegenstand, würden die Forensiker sagen. Gewalteinwirkung eines stumpfen Gegenstands auf den Hinterkopf. Von den Minuten, die dem folgten, hab ich nicht wirklich viel mitbekommen. Ich hörte sie reden. Ich sah die Grashalme vor meiner Nase und ihre Schuhe. Sie sprachen davon, dass sie mich loswerden müssten, weil ich sie gesehen hatte, und dass sie mich nicht erschießen könnten, weil vom Fall noch zu viele Polizisten herumlaufen würden. Man hätte den Schuss gehört und sie womöglich geschnappt. Deshalb… beschlossen sie, ein neuartiges Gift auszuprobieren. Es wäre im Blut nicht nachweisbar und war am Menschen noch nicht erforscht. Ich konnte mich nicht wehren, ich war von dem Schlag auf meinen Schädel noch halb weggetreten, als sie mir das Zeug in den Mund schoben und mich dazu brachten, es zu schlucken. Dann gingen sie, wollten lieber jetzt als gleich verschwunden sein, und wurden nicht Zeuge dessen, was ihr Gift bewirkte. Ich dachte wirklich, ich würde sterben. Mit den Details will ich dich verschonen, du hast… mich oft genug gesehen, kurz bevor es wieder losging und ich denke, du kannst dir vorstellen, dass es kein Spaziergang ist, in Minuten um Jahre zu altern oder jünger zu werden und etwa einen Meter und 35 Kilo an Größe und Körpermasse zuzulegen oder zu verlieren. Wie du jetzt weißt, starb ich nicht. Ich war geschrumpft und zu meiner Schande bekam ich es zunächst gar nicht mit. Zu meiner Verteidigung möchte ich anführen, dass man nicht alle Tage zur Größe eines Zehnjährigen zusammenschrumpft. Nun. Ich saß im Gras, als die Polizei mich fand. Sie nannten mich Kleiner und redeten… nun… wie mit einem Kind mit mir. Sie kamen mir erstaunlich groß vor… und es erschien mir doch durchaus etwas faul. Allerdings begriff ich erst, als ich auf der Wachstation des Vergnügungsparks mein Spiegelbild sah, was wirklich geschehen war. Ich türmte, lief im strömenden Regen heim – wollte in mein Haus und kam nicht mal bis an die Türklinke hoch. Wie erbärmlich. Dann brach der Professor durch die Mauer seines Hauses und seines Gartens, wohl weil eins seiner neuen Experimente in die Luft geflogen war – und nach einiger Überzeugungsarbeit glaubte er mir, wer ich war. Wir gingen also in mein Haus, ich zog mir… passendere Klamotten an, ein erniedrigendes Erlebnis, ich sag‘s dir – aber wenn ich eins an diesem Abend bereits lernte, dann das, dass man sich so etwas wie Stolz nicht leisten kann. Der Professor bläute mir ein, dir nichts zu sagen. Ich sage das jetzt nicht, um mich aus der Verantwortung zu ziehen… hier fing lediglich alles an. Er meinte es dabei wirklich nur gut mit dir, du kennst den Professor… er ist wie ein Großvater für mich. Er befürchtete, dass du in Gefahr gerätst, wüsstest du, wer ich bin… denn sobald die Organisation herausgefunden hätte, wer Conan war, wäre wohl keiner von euch mehr sicher gewesen. Hätten sie gewusst, dass ich noch lebte, hätten sie mich nachträglich noch töten wollen… und um mich aus meinem Versteck zu locken, wäre ihnen wohl alles Recht gewesen. Eigentlich war das Humbug und eine reine Panikreaktion… und ganz ehrlich, bei den vielen Menschen, die es hinterher dann wussten, hätte ich fast schon eine Annonce in die Tokyo Times setzen könnten. Wahrscheinlich wollte er den Personenkreis begrenzt halten, der davon wusste, damit die Gefahr, dass jemand etwas ausplauderte, möglichst überschaubar blieb. Sicherlich wollte er dich auch schützen… allerdings… Wenn wir beide ehrlich sind, reichte doch eigentlich deine Freundschaft zu mir, um dich zu gefährden. Ob du da nun vorher wusstest, dass ich Conan bin oder nicht, welche Rolle spielte das…? Sie hatten dich ja gesehen, mit mir… Ich fürchte, der Grund, warum du nichts wissen durftest, war viel banalerer Natur. Wir… ich benutzte den Status deines Vaters, um an Verbrecher ranzukommen, in der Hoffnung, möglichst bald an eine Spur zu kommen, die mich zu ihnen führte. Ich brauchte eine Probe des Gifts, um ein Gegengift herstellen zu können… Deshalb zog ich zu euch. Und deshalb sagte ich dir nichts. Wollte es zumindest vorerst nicht. Jeder Plan, es in naher Zukunft zu tun, wurde jedoch am gleichen Abend noch von dir zunichte gemacht, als du auf meine… zugegebenermaßen etwas unsportlich gestellte Frage, ob es in deinem Leben jemanden gäbe, den du liebst… antwortetest,… Ran merkte erst jetzt, dass sie die Luft angehalten hatte. …dass ich dieser jemand sei. Ich. Du… hast keine Ahnung, wie sehr ich mir das gewünscht habe. Auch wenn ich weiß, dass… wir damals noch Teenies waren und das alles noch nicht vergleichbar war mit der Intensität, zu der sich dieses Gefühl noch auswachsen sollte – an diesem Abend veränderte ich mich. Mir war klar, dass ich dich beschützen wollte. Vor jedem körperlichen Leid und auch vor jedem unangenehmen Gefühl. Ich… ich wollte dich nicht in irgendwelche Unannehmlichkeiten bringen– und eine davon wäre es gewesen, wäre dir klar geworden, wem du dieses Geständnis gerade gemacht hattest. Und jede Minute, die diesem Zeitpunkt folgte, zählte dazu. Wie hätte ich bei euch leben können, hättest du gewusst, wer ich wirklich war? Es wäre anfangs schon schwierig gewesen, spätestens ab London… absolut undenkbar. Ich wollte, dass du glücklich bist und sorgenfrei, möglichst sorgenfrei, heißt das. Ich wusste, du machtest dir Gedanken, wo ich abgeblieben war, aber wir beide wissen… das war nichts im Vergleich zu dem, was du empfunden hättest, hättest du gewusst, mit wem ich mich angelegt hatte und in welchen Schwierigkeiten ich wirklich steckte. Ich wollte meine Probleme um jeden Preis von dir fernhalten… Und ich schämte mich jeden Tag mehr, dass ich dich und mich erst in diese Situation gebracht hatte. Zwischenzeitlich wünschte ich mir fast, du würdest mich endlich loslassen oder mich vergessen… du warst so oft so unglücklich wegen mir, dass ich mir manchmal denke, ich kann das alles nie wieder gut machen – ungeschehen machen kann ich es ohnehin nicht. Ich hab dich in vollem Bewusstsein angelogen… und das ohne wirklich guten Grund – die einzige Begründung, dir auf diese Weise weh zu tun ist die, dass ich dich auf andere Weise nicht verletzen wollte… wie paradox ist das. Und nun sitze ich hier und… weiß, in ein paar Stunden geht es los und egal was passiert, es wird nicht mehr in meiner Hand sein. Ich hab den Stein ins Rollen gebracht und seh‘ nun der Lawine zu, die er auslöst… „Und du wusstest, dass sie dich überrollt, nicht wahr, Shinichi…?“, flüsterte sie leise. Und damit du jetzt auch noch den Grund für dieses Schreiben erfährst… Erzähle ich dir auch noch den letzten Teil der Geschichte. Vielleicht weißt du mittlerweile auch ein wenig über Shiho Bescheid… Ran schluckte. Jetzt kams. Shiho. Shiho ist ein ehemaliges Mitglied der Organisation. Ihr Name dort lautete Sherry – wie auch Gin und Vodka (der andere Mann) trug sie einen Decknahmen, der an ein alkoholisches Getränk angelehnt ist. Shiho war in der Organisation eine Forscherin – wie auch ihre Eltern, die von der Organisation ermordet worden sind. Shiho hatte eine Schwester, Akemi… sie arbeitete ebenfalls in der Organisation, war ein eher kleines Licht – und, nebenbei bemerkt, die Freundin von Agent Shuichi Akai. Sie tauchte eines Tages bei uns auf, du erinnerst dich sicher… sie nannte sich Masami Hirota. Sie war… im eine Milliarde Yen Raub verwickelt. Sie brauchte das Geld, um ihre Schwester aus der Organisation freizukaufen. Ran schluckte hart, blickte auf. Sie starb während der Ermittlungen… ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst. Ich… erkannte, wer sie war, und was ihr Plan war und wollte ihr hinterher, sie davon abzuhalten. Sie… überwältigte mich, sperrte mich ein, und ich kam zu spät… wurde nur noch Zeuge, wie er sie erschoss. Wie Gin sie ermordete. Shiho… sagten sie davon zunächst nichts. Sie hatten nie vorgehabt, sie laufen zu lassen, zu wertvoll war ihr Können in der Organisation. Als sie erkannte, dass man Akemi umgebracht hatte, beschloss sie sich das Leben zu nehmen. Mit ihrem Gift. Es hatte dieselbe Wirkung wie bei mir – wie du weißt. Und da sie schon vermutet hatte, dass ich noch lebe (sie statteten unserem Haus Besuche ab, und beim zweiten Mal stellte sie fest, dass die Kinderklamotten weg waren), suchte sie mich. Und ich… freundete mich mit ihr an. Ich hoffte, sie würde mir helfen können, irgendwann wieder ich selbst zu werden und sie versuchte wirklich alles, was in ihrer Macht stand, um diesen Zustand zu beenden. Ich zwar zuerst noch misstrauisch ihr gegenüber, aber Shiho… ist im Grunde ihres Herzens kein schlechter Mensch. Eine… geschundene Seele, das ist sie. Jemand, der nie etwas wie Halt und Freundschaft in seinem Leben gekannt hatte. Und ich wollte nicht, dass ihr etwas passierte. Sie hatte genug gelitten in meinen Augen… ich wünschte ihr den Neustart. Aber als man… sie entdeckte, als sie einmal selbst das Gegengift nahm um die Kinder im Wald aus der brennenden Hütte zu retten, fing es an, eng zu werden, und ich wusste, ich musste mir etwas einfallen lassen. Der erste Coup war der Fall auf dem Bell Tree Express. Der zweite ist dieser hier. Ich hoffe, du verstehst das nicht falsch. Sie ist für mich wie eine Schwester, wir teilen einiges… aufgrund unseres Schicksals. Ich häng mit ihr da drin… Ach, wie sag ich das. Es muss ein Ende haben, einfach. Ich ertrage dieses Leben nicht mehr länger, indem ich nicht ich sein kann… und ich ständig fürchten muss, dass Leute, die mir nahe stehen, verletzt werden. Und selbst wenn du mich nach dem hier allen in die Wüste schickst, will ich dir dabei in die Augen sehen können – und zwar ohne, dass du vor mir auf die Knie sinken musst. Ich will, dass du endlich in Sicherheit bist. Dafür werde ich sorgen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Es muss hart sein für dich, nun zu erkennen, dass ich nicht der bin, den du so lange in mir sahst. Den Ritter in strahlender Rüstung, den Verfechter von Wahrheit und Gerechtigkeit. Ich bin ein Lügner. Ich weiß, ich hab dich bestimmt enttäuscht. Das… wollte ich nie. Ich wollte so gern all das sein, was du ihn mir sahst. Wahrscheinlich bin ich nichts von dem. Wahrscheinlich weiß ich selbst nicht mehr, wer ich bin. Wahrscheinlich spielt es auch keine Rolle mehr, ob ich das weiß. Ich weiß nur… Dass ich nun hier und heute sitze und an nichts mehr denken kann außer an dich… weil es in meinem Leben sonst nichts mehr von Bedeutung gibt. Ich hoffe wirklich, du… verstehst, warum ich das alles getan habe… und jetzt tun muss. Und ich hoffe, irgendwann… kannst du mir vergeben. Es tut mir Leid, wie nichts zuvor in meinem Leben mir je leidgetan hat. Und mein wahrscheinlich größter Fehler in diesem Leben war der, dich nicht nach Hause zu bringen, an jenem Abend, im Tropical Land, als du weintest. Es tut mir so unsagbar Leid, Ran. Ich… liebe dich. Shinichi. Sie spürte nicht die Tränen, die ihr über die Wangen liefen, stumm. Sie schluchzte nicht, schnappte nicht nach Luft. Sie hatte das Atmen fast eingestellt. In ihrem Kopf hämmerten seine Worte nach, echoten scheinbar von den Wänden ihres Schädels, bis sie es kaum mehr aushielt. Es tut mir Leid. Ich liebe dich. Kraftlos sank ihr Kopf in ihre Hände, mit denen sie ihre Ohren zu hielt, als würde sie dadurch seine Stimme abstellen können. Sie presste ihre Augen fest zu, als sie endlich doch unendlich mühsam die Luft zurück in ihre Lungen strömen ließ – sie wusste nicht, was es war, in ihrer Brust, dass sie fast zum Platzen brachte und ihr gleichermaßen den Atem raubte. Nein, falsch. Eigentlich wusste sie es ganz genau. Es tut mir Leid. Er hatte es damals getan. Sein Leben riskiert. Für sie. Für eine Zukunft mit ihr. Ich liebe dich. Und er tat es wieder. Es tut mir Leid. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)