Dunkler als schwarz von Leira (Shinichi x Ran) ================================================================================ Tag 8 - Kapitel 38: Holmes und Watson ------------------------------------- Tag 8 Kapitel 38 – Holmes und Watson Und für noch jemanden war diese Nacht eine schlaflose gewesen. Jenna fühlte sich am nächsten Tag wie frisch gerädert. Sie hatte nicht seine Akte eingesehen – sie war sich schon schäbig vorgekommen, als sie ihn gegoogelt hatte, wie hätte sie sich gefühlt, hätte sie seine Akte gelesen? – aber sie hatte versucht, sich in den Fall von damals einzulesen, mehr und tiefer, als sie es bei ihrer ersten Internetrecherche schon getan hatte. Es war ihr schwer genug gefallen, gingen ihr Montgomerys Worte einfach nicht aus dem Kopf. Und auch nicht die Bilder, die damit einhergingen. Heroin? Es passte einfach nicht. Ihr Boss…? Nein. Die einzige Substanz, die sie ihn regelmäßig konsumieren sah, war Koffein. Ja, er sah abgearbeitet aus. Blass, schlaflos. Aber er zeigte keine dieser Anzeichen für Drogenkonsum. Keine auffälligen Unregelmäßigkeiten im Bewegungsablauf, die auf Schmerzen in den Gelenken oder Krämpfe deuten würden. Keine geweiteten Pupillen, keine Schweißausbrüche oder Schüttelfrost, keine Erkältungssymptome, nichts. Er sah nur müde aus. Sehr müde zwar, ausgelaugt… aber das war durchaus mit seinen privaten Problemen und dem anstrengenden Fall zu erklären. Was auch immer los war, das war es nicht. Wenn er dann also aber kein gewöhnlicher Drogensüchtiger gewesen war – wofür dann das Diamorphin? Sie hatte Google kurz bemühen müssen, bis sie herausgefunden hatte, dass man es in seltenen Fällen auch für eine Substitutionstherapie verwendete. Was sie genausoweit gebracht hatte, wie sie vorher gewesen war. Substitutionstherapien waren schließlich für Drogenabhängige gedacht. Von welcher Substanz hatte man ihn mit Diamorphin abbringen müssen, sollte sie mit ihrer Theorie richtig liegen? An diesem Punkt ihrer Nachforschungen hatte sie ihre Stirn ein paar Mal gegen die Tischplatte geklopft – und mit Bitterkeit bemerkt, dass sie wirklich nicht sehr viel über ihren Chef wusste. Auch die Recherchen zu seinem großen Fall erwiesen sich nicht als sehr aufschlussreich. Jenna erfuhr wie groß die Organisation gewesen war, wo ihr Hauptquartier gelegen hatte, und sie erfuhr jede Menge Namen – unter anderem von Leuten, die ihr tatsächlich ein Begriff waren – aber nicht, was er damit zu tun hatte. Er war über eine Woche weg gewesen, wohl… das zumindest erfuhr sie aus einem mehr oder weniger reißerischen Bericht eines mehr oder weniger gut aufgestellten Klatschblattes, das sich ebenfalls mit seiner „Flucht“ beschäftigt hatte – und aus „Insiderkreisen“ erfahren haben wollte, dass der „Erlöser der japanischen Polizei“ wohl anderthalb Wochen in den „Fängen von grausamen Verbrechern“ gewesen war. In dieser Zeit musste es passiert sein. Mit dieser unbefriedigenden Antwort war sie gegen halb drei Uhr ins Bett gewankt – um um sechs wieder von ihrem Wecker hochkant rausgeschmissen zu werden. Manchmal fragte sie sich wirklich, ob ihr Bett einen Schleudersitz hatte, von dem sie nichts wusste, der aber auf das Signal des Weckers hörte und darauf prompt reagierte – auch heute war so ein Morgen, als sie sich vom Boden hochrappelte, auf dem sie gelandet war, als sie sich im Kampf mit ihrer Decke über die Bettkante gerollt hatte. Die Welt hatte sich gegen sie verschworen. Heute stand das Verhör mit Brady an, die Untersuchung seiner Wohnung – und heute würde sie mit ihrem ehemaligen Partner und Vorgesetzten reden, das zumindest hatte sie sich vorgenommen. Reden. Über das, was sie von ihm noch nicht wusste. Sie wusste zu viel, und gleichzeitig zu wenig, als dass sie noch einen Tag länger warten konnte. Jenna musste wissen, woran sie an ihm war. Sie seufzte in ihren Kaffee, der seit ein paar Minuten vor ihrer Nase stand und kalt wurde. Kleine, konzentrische Ringe brachten die spiegelglatte Oberfläche in Wallung, ehe sie sich die Tasse an ihre Lippen setzte, das lauwarme Gebräu auf Ex runterkippte, das Gesicht vor Abscheu verzog – er war bitter geworden, stellte sie fest – und schließlich entschlossen aufstand. Sie verließ ihre kleine Erdgeschosswohnung, klemmte sich hinter das Steuer ihres mokkabraunen Minis und kurvte ihn mit entschlossener Miene durch die morning rush hour Londons ins Yard. Es war seltsam, sich nicht mit Sherlock zum morgendlichen Briefing zu treffen. Allein durchquerte sie die Lobby, um die Treppe in den zweiten Stock zu nehmen – sie nahm nie den Lift – und sich von Jillian McDermitt sagen zu lassen, dass der Anwalt von Brady um neun Uhr kommen würde. Sie merkte der Sekretärin an, wie mitgenommen selbst sie war. Sie hatte ihn gehen sehen, gestern, die Wut kaum verborgen auf seinem Gesicht, gepaart mit einem Ausdruck von Enttäuschung und Bitterkeit, den sie sich kaum erklären konnte. Auf ihre Rufe hatte er nicht reagiert – sie hatte auch nicht ernsthaft versucht, ihn aufzuhalten. Sie hatte Montgomery gesehen, im Gegensatz zu Shinichi, der eher bleich gewesen war, rot wie ein Hummer im Gesicht, vor Wut schäumend. Er hatte ihr nur ein paar Anordnungen hingebellt bezüglich der Pressekonferenz und war dann abgedampft. Sherlock nicht wie gewohnt gedankenversunken an ihrem Tisch vorbeigehen zu sehen, ein freundliches Lächeln und ein „Good Morning, Lady Dermitt“ auf den Lippen, mit dieser Stimme, die fast akzentfrei und wohlklingend tief Worte an sie richtete. „Good morning, Sergeant Watson.“ Sie lächelte der rothaarigen, blassen jungen Frau zu. „Did you hear something…?“ „No.“ Jenna schüttelte den Kopf. „He’s devastated, that’s all I could gather from him yesterday. Exhausted, angry, because…“ Jillian schaute sie aufmerksam an, wartete darauf, das sie weitersprach. „Well, anyway. I wanted to visit him today and have a look at how he does. I guess, though I don’t like the way they came – he could do with some free days. Some time off… he had none since I first met him.” “He had none since he started here in the first place. For five years, that is.”, korrigierte Jillian sie. Jenna schaute sie entsetzt an. “I didn’t know that.” Sie schluckte, seufzte leise. „He’ll do good if he cares a bit about himself…“ “Well.”, begann die Sekretärin langsam. „I’d wish he could do that. But I fear, this day will not help him to find some peace of mind.” Sie schob Jenna die heutige Ausgabe des Reporters zu, sah sie ernst an. Jenna las nur die Schlagzeile, und merkte, wie ihr Mund schlagartig austrocknete. TOO MUCH OF SHERLOCK HOLMES? Hastig rollte sie die Zeitung zusammen – und erst jetzt merkte sie, dass die Leute hier herumrannen wie Hühner, in deren Hühnerstall der Fuchs eingebrochen war. Es herrschte pures Chaos und helle Aufregung, und daran konnte nur eins Schuld sein. „Well. I’d better be off and plan that day – as I have to plan it on my own.“ Damit ging sie, langsam und scheinbar ruhig, auch wenn ihr Puls raste. Sie schluckte, bog in das Großraumbüro der Sergeants ab, setzte sich nach einem kurzen Hallo an alle an ihren Platz und begann leise und für sich an ihren Fragen für Brady zu arbeiten. Sie würde das Verhör wohl nicht alleine führen, also würde sie die Fragen nach der „Organisation“, beziehungsweise den Hintermännern seiner Tat versteckt stellen müssen. Abgesehen davon war sie der Ansicht, wenn Brady wirklich so ein kleiner Fisch war, würden sich diese Leute ihm gegenüber nicht als ominöses Verbrechersyndikat geoutet haben. Sie musste das schlau anstellen. Etwa eine halbe Stunde später stand ein mehr als angeödeter DI McIntosh in der Tür, schaute sie an, seine Arme vor der Brust verschränkt. „Watson?“, fragte er in die Runde – und Jenna räumte ihre Notizen und die Akte zusammen, stand auf. „That would be me, Sir.“ Godfrey McIntosh war ein bulliger, übergewichtiger Mann mit fleischigen Händen und einem krebsroten Gesicht. Sein Bauch hing ihm über den Bund seiner Hose, seine Haare waren an seinen Schädel geplättet – Jenna hatte mit ihm noch nicht viel zu tun gehabt. Und insgeheim wurde ihr langsam klar, wieviel Glück sie nicht nur mit Shinichis Intelligenz und Kombinationsgabe hatte, von dem sie so viel lernen konnte – nein, auch seine äußere Erscheinung war von der Art, mit der man gerne zusammenarbeitete. McIntosh roch bis hierher nach Schweiß und kalten Kaffee. Dennoch stand sie auf, schob ihren Stuhl unter ihren Tisch und trat zu ihm raus auf den Gang. „Well, Watson.“ McIntosh räusperte sich. „I hope, you are well prepared. I won’t hide that I consider this action as a total waste of time. Had Sherlock been more…“ „SI Kudô.“, korrigierte Jenna ihn unwillkürlich, fiel dabei in den sich gerade Bahn brechen wollenden Redeschwall ihres Kollegen – und Vorgesetzten. „What?“, hakte der ungläubig ein, sah sie scharf an. Jenna schluckte, wandte dann den Kopf, während sie den Gang entlang gingen. „SI Shinichi Kudô.“, wiederholte sie. „And this interrogation is not unnecessary. If you have a suspect, you have to question him. No matter how much he has already confessed at his capture, he has the right to repeat or to repeal his confession within the presence of an attorney.“ Sie wandte den Kopf wieder ab, schaute stur geradeaus, zog ihre Unterlippe zwischen ihre Zähne. Eigentlich war sie nicht der Typ, der gern aufmüpfig wurde, aber das konnte sie weder auf sich noch auf ihrem Partner sitzen lassen. „And yes. I am well prepared.“, setzte sie nach, bevor sie die Tür zu Verhörraum drei aufstieß. Brady, kalkweiß wie die Wand, vor der er saß, sowie sein Anwalt, eine Gestalt, die Jenna das Blut in den Adern gefrieren ließ, warteten bereits auf sie. Jemanden wie ihn hatte sie noch nie gesehen. Smart, auf eine distanzierte Weise gutaussehend, mit einem absolut symmetrischen, makellosen Gesicht, kantig und scharf geschnitten, fast wie aus Marmor gemeißelt – so glatt, und mindestens genauso unlesbar war es. Ein Mann, an dem alles abzuperlen schien wie Flüssigkeiten in einer Teflonpfanne. And that’s what they provide as duty solicitors nowadays? McIntosh neben ihr schien etwas ganz ähnliches zu denken, wie sie bemerkte, als sie ihm einen kurzen Blick zuwarf; dann wandte sie sich wieder ihrem Gegenüber zu. Er schien etwas… Ausländisches an sich zu haben, aber sie konnte nicht genau festmachen, was es war. Als er jedoch zu sprechen anfing, mit einer Stimme die jegliche Emotion ausblendete, sachlich und nüchtern, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. „Good morning.“, begrüßte er sie mit akzentfreiem Englisch. Er trug einen dunkelgrauen, scheinbar maßgeschneiderten, weil perfekt sitzenden Anzug und keine Krawatte – dafür hatte er den ersten Hemdknopf geöffnet. Er setzte sich gelassen wieder hin, bedeutete auch seinem Mandanten, sich zu setzen und lehnte sich nun entspannt zurück. Sie fröstelte, als sie Platz nahm – der Blick aus seinen Augen war stechend, ganz ähnlich dem von SI Kudô, wenn er verhörte – nur sollten doch eigentlich sie selbst hier in dieser Position sein. Jenna. Get a grip! „Good morning, Mr Brady. My name is Detective Sergeant Jenna Watson and this is…“, sie deutete auf DI McIntosh, der sich in den Stuhl neben ihr fallen ließ, „Detektive Intendent Godfrey McIntosh. We are conducting this interview today. If you and your lawyer don’t mind, I would switch on the tape now…“ “Where’s he?” Bradys dünne Stimme zitterte im Raum. Jenna, die gerade das Diktiergerät auf dem Tisch platziert hatte, stutzte. Und sie bemerkte auch den scharfen Blick, den der Anwalt dem jungen Künstler zuwarf. „Sherlock. Where is he? Isn’t this his case, can’t he…?“ Er schluckte, leckte sich über seine trockenen, aufgesprungenen Lippen. “No.” McIntosh nahm es ihr ab, dem Mann eine Antwort zu geben. „SI Kudô…“, er warf Jenna einen abschätzigen Blick aus einem Augenwinkel zu, während sie sich damit beschäftigte, ihre Unterlagen vor sich auszubreiten, „is currently not available. But rest assured, we, too, know how our work is done properly.“ Ein ekelhaftes Grinsen huschte über seine wulstigen Lippen. Jenna schluckte nur – dann wandte sie sich dem Anwalt zu. „Well – Mr…“ „Kuro. Der Anwalt lächelte unverbindlich. „Jinsuke Kuro. And, no – don’t bother yourself with switching on that thing. My client wants to withdraw his confession. Furthermore, he wants to issue a complaint against the mentioned SI Kudô – my client was illegally interrogated by him, while they drove from Madame Toussaud’s to Scotland Yard after his arrest, obviously without the presence of his lawyer. SI Kudô must have known that this was a criminally liable action.“ „What?!“ Jenna starrte ihn an. „But your client has confessed voluntarily! And he had been at the crime scene! The trainee has identified him as the man who drugged him and locked him in! His DNS is on the clothes he put on, there were his hairs sticking to it! No matter what has happened in a car afterwards…“ „Right, right. But none of your arguments proves him of being involved with the murder itself. So he will withdraw his confession, definitely, Miss Watson. It’s his good right to do so.“ Der Anwalt lächelte spöttisch – dann stand er auf, überging den entrüsteten Ausdruck auf Jennas Gesicht ob der Missachtung ihres polizeilichen Ranges – genauso wie der Tatsachen, die sie ihm gerade entgegengeschmettert hatte. „The complaint will follow up the next days. I am very clear about the fact that you don’t even think about letting my client leave this place because you are still and rightly suspecting him of murder – you’ve been very frank about this, just now.” Er zog Bradys Stuhl zurück, zwang ihn so zum Aufstehen. “That’s why I would very much appreciate, if you could provide us with a silent room where we can settle down to talk about this case and his defence. Thank you so much...“ Jenna starrte ihn an wie vom Donner gerührt und mit ungläubig offen stehendem Mund – erst ein paar peinliche Sekunden später merkte sie auch, dass ihr die Kinnlade heruntergeklappt war. Unwirsch schloss sie ihren Mund wieder – so fest, dass ihre Backenzähne fast knirschten. „Of course.“, presste sie hervor. „Of course. I’d recommend the room we currently provide for your client.“ Sie stand auf, langsam, räumte dann betont gelassen ihre Unterlagen wieder zusammen, steckte das Diktiergerät weg, schob ihren Stuhl penibelst genau und gerade unter den Tisch. „If you and your client would accompany me, please, I’ll guide you there.“ Damit verließ sie das Zimmer – ein mehr als zufriedener McIntosh seilte sich gleich vor der Tür ab. Man sah ihm an, dass er es genoss, seine junge Kollegin knöcheltief in der Scheiße waten zu sehen, die sie und ihr oberschlauer Partner sich selbst aufgehäuft hatten. Jenna führte die beiden eine kurze Strecke weiter, gefolgt von den Wachmännern, die aufpassten, dass ihr Gefangener nicht flüchtete, zeigte ihnen die Zelle und kehrte ihnen ohne ein weiteres Wort – aber mit einem sehr durchdringenden Blick, zielgenau abgeschossen in Bradys Richtung – den Rücken. Sie dampfte vor Wut wie ein überkochender Teekessel. Anmerken lassen durfte sie sich das natürlich nicht. Und so ging sie nur hinaus, auf dem Weg schon den Hausdurchsuchungsbefehl herausziehend aus ihren Akten, zu ihrem Wagen. Sie würde sich ihre Beweise dann eben anders suchen müssen. Der Schlag traf ihn unerwartet – aber nicht überraschend. Brady heulte auf, wohl wissend, dass ihn niemand hören würde, wich zurück bis an die Rückwand der Zelle, presste sich gegen die kalte, harte Mauer, in seinem Kopf nichts als der intensive Wunsch, einfach von ihr verschlungen zu werden, einbetoniert, unerreichbar für diesen Mann, der mit eisigem Blick vor ihm stand. Langsam trat er näher, zog dabei eine flache, silberglänzende Schatulle aus mattiertem Aluminium aus seiner Sakkotasche. „I guess you knew that this end was unavoidable, Eduard. Nobody will come and rescue you from here. You already painted enough pictures for us… the quintet is completed.” Eduard starrte ihn angsterfüllt an – sein Magen fühlte sich an, als befände sich ein Kilo Gips darin, der langsam abband und ihn von innen heraus versteinern ließ. Diese Worte verhießen nichts Gutes. Flache Aluminiumschatullen in den Händen dieses Mannes wohl auch nicht, schoss es ihm durch den Kopf. Er hatte ihn sofort erkannt, trotz der Verkleidung, die er trug, als er heute in seine Zelle getreten war. Er war der blonde Asiate, Kurosawa. Allerdings konnte er sich nicht vorstellen, woher sie ein fünftes Bild hatten. Sie hatten die Zeichnung von Sherlocks Freundin – aber das ergab nur eine Summe von vier. Es hingen aber noch zwei von Merediths Kleidern in der kleinen Lagerhalle am Apple Market… ihrem zweiten Quartier. Er merkte, wie ihm der Schweiß ausbrach, als Gin vor ihm stehen blieb, einen halben Meter von ihm entfernt. Der Geruch von kaltem Rauch, der im Stoff seines Anzugs hing, stieg ihm in die Nase, schien dort die kleinen Härchen zu verätzen und dann seine Lunge hinunterzubrennen. Wie eine Maus die Katze beobachtete er voll unruhiger Furcht Gins schlanke Finger, die nun einen Schließmechanismus an dem Etui betätigten und so es aufschnappen ließen. Zum Vorschein kam, eingebettet in schwarzes Schaumstofffutter… eine Edelmetallspritze. Der blonde Mann zog sie mit seinen langen Fingern fast liebevoll heraus, ließ einmal das Licht der Zelle über das polierte Metall blitzen, bis zur Spitze der Injektionsnadel. Aus Eduard Bradys Kehle wand sich ein Wimmern – es klang fast nicht mehr menschlich, ein kläglicher, klagender Laut, wie der, den ein kleiner Hund hören lässt, nachdem man ihn getreten hat. Und genau so fühlte er sich jetzt. Gin bedachte ihn mit kaltem Blick. „Don’t look at me like that, Eduard. It is not my fault – you shouldn’t have let them catch you. Now you are a risk for us – and as I told you, you are of no use any longer…” „But you have only four pictures yet! And only, if you want to use that drawing of this Japanese girl already…!“ Seine Stimme klang weinerlich – und doch hatte er eine gewisse Lautstärke erreicht. Verzweiflung sprach aus seinem Blick, die allerdings nichts war im Vergleich zu dem, was ihn gleich übermannen und ins Dunkel reißen würde. „False.“ Gin schüttelte tadelnd den Kopf, ließ einen Tropfen der Substanz, die im Bauch der Spritze schwamm, aus der Spitze quellen. „False, I’m sorry. We allowed ourselves to take one more picture from your flat. The matching girl is already within our possession…“ Er lächelte breit. „… and that was the plan from the start on. Your girlfriend would have been the last victim – and you would have died after her.“ Brady erstarrte. „But things have developed a different way – and I consider it more suitable, if the honor of wearing the white dress is passed on to Sherlock’s girlfriend… And as you are now within the grip of Scotland Yard, you must be put to silence.“ Er seufzte. „But well, on the bright side – you do not have to watch her die. Unlike him.“ Er hielt inne, als er das laute Keuchen vernahm. Brady stand vor ihm, starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, seine Brust hob und senkte sich hektisch. Es war klar zu sehen, woran der in diesem Moment dachte. Meredith! Dann heulte er auf. „Noooooo!“ Er stürzte sich auf Bourbon, sein Gesicht wutverzerrt, getrieben von blinder Verzweiflung, Angst und Schmerz. „No! Not her! Not-“ Er versuchte, auf den Mann einzuschlagen – Gin jedoch wischte ihn mit einer ausholenden Bewegung seines Armes zur Seite, ohne auch nur einen Tropfen der Ampulle zu verlieren. Eduard landete am Boden, stieß sich hart den Kopf. Blut rauschte in seinen Ohren, überlaut, vor seinen Augen tanzten Sterne. „It’s your own fault.“ Gins Stimme klang sachlich – und kam doch nur wie durch Watte an Eduards Ohren an, sank wie durch Gelee gebremst in sein Gehirn. „You little fool, you have lain a trace for him, haven’t you? The flowers, am I correct? You want to tell him where he’ll find his last victim. But you made one big mistake…“ Er lachte leise. „Sherlock Holmes is not the only bright mind in this game. I got curious about that rosemary twig, too, and I made my researches. But I let you continue… you are luring him into our trap, the sooner, the better. Nevertheless, you won’t live to see the trap close on him. Anyway, my congratulations, Edward, your last piece was your masterwork.“ Er griff Eduards Arm, presste ihn unwirsch gegen die Mauer, als dieser sich wehrte, schob einen Ärmel zurück. Gezielt presste er die Spritze durch die Haut am Handgelenk, geradewegs in die Vene, die sich deutlich gewölbt unter der dünnen, fahlen Haut abzeichnete. Er drückte den Kolben durch, langsam, bemerkte, wie sich Bradys Körper entspannte. „Good night, you great artist.“ Automatisch verstaute er Injektion und Schatulle wieder sachgemäß, ging zur Tür und klopfte. Als der Wärter öffnete und einen Blick hinein, an seiner Schulter vorbei, warf, lächelte er nachsichtig. „Er schläft. Das alles nimmt ihn ziemlich mit. Einen schönen Tag noch, Detective.“ Damit trat er auf den Gang, bemerkte zufrieden wie der Wärter die Tür anstandslos wieder schloss, und verschwand fast unbemerkt aus den heiligen Hallen von New Scotland Yard. Jenna ihrerseits stand jetzt etwa fünf Minuten in der Wohnung des Künstlerpärchens – und fand es auf erschreckende Weise unverändert. Von Meredith fehlte jede Spur – tatsächlich schien seit ihrem letzten Besuch hier nichts passiert zu sein. Die Betten waren unbenutzt, das Geschirr stand genauso in der Spüle wie vorher auch. Die rußgeschwärzte Kochstelle hatte niemand sauber gemacht. Im Kühlschrank trocknete ein Stück Käse ein und in der Obstschale überzog sich eine Mandarine mit weißgrünem Pelz – Jenna fröstelte, schluckte hart. Es war gespenstisch – wenn auch nicht verwunderlich. Meredith war offenbar tatsächlich verschwunden; und Brady saß bei ihnen ein. Jenna runzelte die Stirn. Dennoch schien irgendetwas komisch hier. Als würde etwas fehlen. Sie verließ die Küche, schritt ruhig und routiniert, aufmerksam ihre Augen über die Einrichtung gleiten lassend, durch die wenigen Zimmer. Im Bad fiel ihr nichts weiter auf – auch in Merediths Arbeitszimmer nicht. Sie bemerkte die Reste der Wildseide, die dort bereits vor zwei Tagen gehangen hatten – weiß und hell silbergrau gefärbt. Sie schluckte. Ihr war klar, wovon diese beiden Fetzen erzählten. Auf der Leinwand hingegen befand sich nichts… und das beunruhigte sie fast noch mehr. Brady konnte keine Bilder mehr malen, aber offenbar gab es noch zwei weitere Kleider. Sie schluckte. Entweder hatte er auf Vorrat produziert – wogegen die kurze Zeitspanne und der noch sehr feuchte Zustand des letzten Bildes sprachen. Das hieß, sollte SI Kudô Recht haben, dann müssten die Hintermänner dieser Verbrechensserie Bilder aus anderer Quelle haben. Unschlüssig verließ sie das Arbeitszimmer und betrat das kleine Schlafzimmer der beiden. Jenna ließ ihre Augen über die Einrichtung, über die Wände wandern, um zu sehen, was sie vielleicht vorhin nicht bemerkt hatte – als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. Über dem Bett war sie. Eine Stelle, die dunkler war als die Farbe drumherum. Ein rechteckiger Fleck, mit einem kleinen schwarzen Punkt an der oberen Kante. The picture hung there, two days ago. Merediths picture. Meredith fühlte, wie ihr ein Schauer eisiger Tropfen den Rücken hinabrieselte, ihre Atmung zum Erliegen brachte und ihre Nackenhärchen dazu, sich aufzustellen. Sherlock was right! I’ve got to tell him! Shinichi seinerseits saß nach einer mehr als unruhig zu nennenden Nacht sehr ernüchtert vor seinem Morgenkaffee. Lustlos rührte er in seiner Tasse, in der es nichts zu rühren gab, eigentlich – er trank den Kaffee immer schon schwarz. Seine Haare standen wirr, noch wirrer als sonst, von seinem Kopf ab, wie als ob er versucht hätte, sich mit Schweizer Krachern zu frisieren und der leichte Grauschleier eines Barts hatte sich über seine Wangen gelegt, bildete die passende Ergänzung zu den graublauen Schatten unter seinen Augen. Ihm ging das Gespräch mit Sharon gestern nicht aus dem Kopf. Mittlerweile waren seine Kopfschmerzen fast nahezu verschwunden – nicht allerdings die Erinnerungen an seinen Traum. Es stimmte… immer, wenn er unter dem Einfluss dieser Droge gestanden hatte, hatte er von Rans Tod halluziniert – allerdings zuerst war dem immer ein euphorischer Höhenflug vorangegangen. Davon hab ich gestern reichlich wenig mitbekommen… „Gerade gestern wäre so ein kleiner Trip echt nett gewesen.“, murmelte er leise, lächelte zynisch in sein Kaffeespiegelbild. Dann schüttelte er den Kopf, wischte sich über die Augen. Aber das spricht eigentlich gegen diese Droge… die Wirkung war nicht die gleiche. Und auch der Inhalt des Traums war… seltsam. Sie hat mir nie eine Botschaft überbracht. Sie hat mir nie… meine Vergangenheit gezeigt. Er schluckte, trank seinen Kaffee auf Ex aus, sog scharf die Luft ein, als die Flüssigkeit sich den Weg seine Kehle hinunterbrannte. Ist sie mir damals wirklich nachgelaufen? Der Gedanke löste nun doch wieder Kopfschmerzen bei ihm aus. Wenn sie wirklich hatte nachlaufen wollen… nicht auszudenken, was hätte passieren können, hätte man sie auch gefunden. Womöglich hätte man ihr auch das Gift verabreicht. Womöglich wäre sie daran gestorben. Unwillig schüttelte er den Kopf – dann raffte er sich auf und ging ins Badezimmer. Irgendwann musste er sich schließlich rasieren und anziehen, und es war ohnehin schon später Vormittag. Und außerdem… hatte er etwas vor. Gerade, als er aus dem Badezimmer kam, klingelte es an seiner Wohnungstür. Shinichi zog die Augenbrauen hoch – dann ging er zur Tür, presste auf den Türöffner und öffnete die Tür zu seinem Appartement, darauf wartend, wer gleich die Treppen heraufschnaufen würde. Es waren Heiji und sein Vater – und er sah genau, was dieser in seiner Hand hielt. Eine Zeitung. Und die Headline ließ nichts Gutes ahnen. TOO MUCH OF SHERLOCK HOLMES? The rise and fall of Detective Superintendent Shinichi Kudô Als er wenige Minuten später an seinem Küchentisch saß, das Zeitungspapier zwischen seinen Fingern, musste er feststellen, dass auch der Rest des Artikels nicht besser wurde. We all loved him. We all admired him. We all considered him to be the new embodiment of our alltime-hero, our personalized knight of justice and truth – We all saw Sherlock Holmes in him. Him? You know whom I’m talking about. SI Shinichi Kudô, Scotland Yard’s brightest brain. That’s what we all believed. What now? Some of you might have already got the news that he is off duty and gone on holiday – the first holidays in five years. Not surprising, one might think – after five years of continuous work one might need some time off. To relax. To recover. But now, you’ll hear the real reason for this holiday. You’ll read what Scotland Yard so eagerly swept under the rugs of their offices over the past five years. It seems, that we all have been blinded… for five years. The case about one of the cruellest and most frightening murderers of the past years is finally solved – yet not closed, as it seems. By yesterday it got obvious, that at least one life more could have been saved. One whole live of love, of pain, of joy and fear, of friendship and family… extinguished by “The Artist”, now known as Eduard Brady, a young student of fine arts at the UAL, our most renomméed school for young talents like him. Troubled and shaped by a sad, hard past, a life of loss and being abandoned, crime and drugs, he had his go on those four girls – one of them being his own girlfriend. It is rumoured, that she wanted to leave him – so, perhaps, he willingly fitted her in his row of murders. But she was rescued – so what girl do we talk about? We talk about Juniper Torres, victim number three, a stunning beauty, working as a newcomer model for various magazines, making her way to the shimmerhing heaven of high fashion. High cheekbones, a skin the colour of coffee with not more than a drop of milk in it, big, hazelnut eyes, and hair, curling in shiny, black waves over her shoulders. A gorgeous picture. And how could she have been saved? Easy enough. If the police, on the top of them SI Shinichi Kudô, aka Sherlock Holmes, had kept him arrested. What?! Will you say. And YES!, I say: they had him captured the day before she got killed! So why on earth did they not keep him in investigative custody? No one knows for sure. But rumour says, SI Kudô let him leave because of lack of evidence – he commanded a young sergeant to shadow him. But why? What good should this action do? He thinks, and it is not rumour telling us this, but a trustworthy source within the Yard, that there was someone else setting up the masterplan for this crime. Now – the girl got killed, and it is proven that it was Brady, no one else. No other mastermind to be seen. And now, think. Another guy pulling the strings in this crime case? Who could come into his mind? Yes. What he was thinking about is that mysterious organization he got arrested five years ago. Poor chap, one might say. Perhaps he’s anxious there are some left out there, hunting after him. Maybe this is true. But another fact seems more liable. SI Kudô, perhaps soon DI Kudô again, was suspended from service yesterday. Not because of making a wrong decision concerning that painter – they got him, by the way, and this time he’ll rest arrested for the rest of his life, be sure of that – but because of something that was found in his office. Now, take a seat, if you’re not sitting already. It was a flask of heroine. And again, we know something special from our source at Scotland Yard. There is a notice in SI Kudô’s file. He was treated five years ago with a substitution therapy. A drug substitution therapy. We all know what that means. Could it be, that our admired detective has a bit too much in common with our beloved fictional figure? Dealing with drugs is no bagatelle. So… it seems that the pressure was too much for this young man. He is, after all, just twenty-five years old. And with this disturbing past, dealing with murder and death since the age of fifteen, it might not surprise that he looked for peace and distraction. We all see Sherlock Holmes in his stories giving himself a shot of cocaine, and we see Watson next to him, critizizing him. We swallow hard, because we know, drugs are bad, and being bored is no reason to take them. But thinking about this man, Shinichi Kudô, a man of our police forces, taking that stuff, ruining both his carreer and his health – Scotland Yard, have you had a look at him, lately? - , swallowing hard does not do the trick. And now, let us conclude, let us play Sherlock Holmes, for once in this case. We know about his mistake, this wrong, this very wrong decision. And from our reporter we know, that he is suffering headache, a tremor in his hands, obvious sleeplessness and has no appetite. So, with all we know from his file, this case and information that he himself gives us… what is our verdict? It might be just stress, that makes him look so worn. But it might be drug addiction as well… And now, the last evidence will be delivered… there was a bottle of heroine found in the drawer in his desk – and this is the very reason why SI Kudô is suspended for now. We all know which of those two options we have is the right one. It is unsettling, it is disturbing, and it makes one think about how a Superintendent can be drug addicted and is not discovered until he makes a mistake another one has to pay for – the name of which is in this case Juniper Torres. Our star has fallen deeply. Er hatte es kommen sehen und dennoch zog ihm der Artikel den Boden unter den Füßen weg. Sein Vater schaute ihn mit ernstem, musternden Blick an, als er das Zittern in den Fingern seines Sohnes bemerkte, der die Zeitung beim Lesen fast zerriss – und nichts anderes hätte dieses Klatschblatt wohl verdient. Als er fertig war, faltete er sie stattdessen fein säuberlich zusammen, sehr kontrolliert, zog die Falzkanten nach und legte sie vor sich auf den Tisch, schob sie in mit beiden Händen in die Tischmitte. Sein Blick war unfokussiert, sein Teint blass, seine Lippen fast blutleer. Und er schien kaum zu atmen. „Shinichi.“ Yusaku sprach ihn an, mit leiser Stimme. Er hatte den Artikel heute morgen gefunden – oder besser gesagt, der Artikel hatte ihn gefunden. Wie jeden Tag hatte eine Auswahl an Zeitungen neben dem Frühstücksbuffet gelegen; der Grund, warum er sich entgegen seiner Gewohnheit heute intensiver damit beschäftigt hatte als sonst, waren die Blicke des Personals gewesen. Es war schließlich bekannt, dass er sein Vater war. Yusaku Kudô hatte seine Frau mehr oder weniger sitzen lassen, war zu Heiji ins Hotel gefahren, hatte den jungen Mann kurzerhand ins Taxi gezogen und war hierher gefahren – und nun saßen sie beide Shinichi gegenüber, der seinerseits immer noch wie schockgefroren schien. Als er nun aufsah und ihre Blicke sich kreuzten, schluckte Yusaku hart. Heiji neben ihm war aufgestanden, durchmaß den kleinen Raum unruhig mit langen Schritten wie ein Panther im zu kleinen Käfig. „Das… war’s dann wohl.“ Shinichi lächelte bitter. Seine Stimme klang rau, und unsicher griff er sich an den Hals. „Ich denke, nicht einmal ein DI wird noch reichen. Wahrscheinlich kann ich morgen meine Habe in einem Karton abholen. Und das Land verlassen, am besten.“ Er lächelte matt, konnte die Bitterkeit in seiner Stimme nicht verbergen. Warte ein, zwei Stunden, dann wissen es alle. Dann weiß ganz Großbritannien, dass du drogensüchtig warst. Und morgen weiß es in Japan auch jeder… ich fürchte fast, das Land zu verlassen allein reicht nicht. Den Planeten verlassen wohl eher. Langsam ließ er seinen Kopf in seine Hände sinken, knetete mit seinen Fingern seine Haare, atmete langsam ein und aus, versuchte, sich zu sammeln und scheiterte. Heiji blieb stehen, schaute ihn an. „Haste ne Ahnung, wer diese „Quelle“ sein soll?“ Und erst diese Frage schien ihn tatsächlich wieder aufzuwecken. Er hob den Kopf, schaute Heiji ernst an; Verwirrung zeichnete sich in seinem Gesicht ab. „Wie?“ „Na, se spekuliert hier ja nich‘ wild ins Blaue… sie scheint genau Bescheid zu wiss‘n, das heißt, sie muss Insiderinformationen haben. Aber von wem?“ „Du hast Recht.“ Er strich sich über den Hals. Shinichi leckte sich über die Lippen, die langsam trocken und spröde geworden waren. „Es muss jemand gewesen sein, der meine Akte einsehen konnte. Es bleiben nur eine Handvoll Leute übrig; außer die Putzfrau hat gestern mal reingeschnuppert, als sie bei Montgomery sauber gemacht hat; die Akte lag auf seinem Schreibtisch.“ Er lachte hohl. Dann zog er sein Mobiltelefon heraus. „Montgomery, McCoy, Henderson, Jenna. Zumindest mit ersterem sollte ich reden, es werden eine Unmenge an unangenehmen Fragen auf das Yard...“ Er wurde unterbrochen, als das Telefon in seiner Hand zu klingeln anfing. Als er die Nummer erkannte, stutzte er – hob dennoch ab. „Listen, I don’t know where this woman got that information…” Shinichi schluckte. “Hello, Richard.“ Heiji blickte auf – sein Vater unterdessen runzelte nur fragend die Stirn. Shinichi hingegen lauschte mit gerunzelter Stirn seinem ehemaligen Partner bei Scotland Yard. Er hörte den Mann am anderen Ende der Leitung schnaufen. Lang – und schwer. „Yeah. Shinichi.“ „Now, please – believe me, I did not let one word slip –…” “Wow, wait, Richard. Don’t tell me that means, you actually talked to Miss Shelley?” Stille am anderen Ende der Leitung und ein leises “Crap!“ waren die Antwort. „Yeah.” Er knurrte das Wort fast, sein Widerwillen war deutlich zu hören. “In fact, she visited my office yesterday. Thought she could talk me into blabbing about you and your past by offering me…” “… the revenge you might desire. Or not. It’s not up to me to judge this…” Er konnte die Bitterkeit in seiner Stimme nicht ganz vertreiben. Henderson schien sie nicht zu hören – oder sie geflissentlich zu ignorieren. “I told her to leave. I told here that I am an officer of Scotland Yard and would not climb my career ladder over your back. She left.” “Ah.” Er fing die fragenden Blicke Heijis und seines Vaters ein. “So you are suggesting that she looked for another source.” “Yeah. Listen, I won’t blame anyone here, but have you talked to Jenna yet…?” “Jenna?” Shinichi schluckte hart. „No way…“ Er hörte, wie sein früherer Partner zögerte, wusste, er zerstörte sich gerade seinen gekämmten Schnurrbart, weil er bei Situationen, die ihn in eine emotionale Zwickmühle brachten, immer mit den Fingern in den struppigen Haaren suchte, ganz so, als könne er die Antwort daraus hervorzaubern. „Listen. I am very well aware that we are not best buddies at the moment. But I think, you are in a situation that does not allow you to not pursue every hint and every trace there is. Talk to her. Talk to everybody.“ Ihm schwirrte der Kopf; einerseits glaubte er nicht, dass Richard ihn anlog; andererseits wollte er auch nicht glauben, das Jenna etwas erzählt hatte. Noch dazu, wo sie bis gestern zumindest von seiner Drogensucht nichts gewusst hatte, und also auch, wenn überhaupt, erst seit gestern nach dem Studium seiner Akte oder einem Gespräch mit Montgomery davon wusste. Andererseits war Henderson, unabhängig von McCoy, schon der zweite, der ihn auf ihre Fährte setzte. Warum? Er schüttelte den Kopf, unwillig. „Does Montgomery already know?“ „Yeah.“ Er hörte, wie sich sein ehemaliger Partner räusperte. „He’s boiling anger like a kettle of water on fire. Actually, he’s the one that told me to call you. At the moment he’s questioning Jenna, anyway. Wants to find out how and where this Information leaked out, and actually, he wanted to me not only to confirm to you that it wasn’t me, but actually to ask you, whether…” “I have in my anger turned into a whistleblower. Yeah, sure. Tell him to…“ Er verdrehte die Augen und verkniff sich, was er sagen sollte. „Tell him, I am still angry because of yesterday. But not yet angry enough to ruin both my life and my career on this entire planet. Despite this – the article does not actually read like a confession of an addict, does it?” “No; but you know the yellow press. And I take it, you’ve more than once encountered that woman. I guess, she’s not so neat with…” “Sticking to the truth. Yes. Ah, no, she isn’t, I mean. Well. Have fun investigating who was that mole in your backyard, then. Goodbye.“ Damit legte er auf. Shinichi ließ die Hand sinken, starrte eine Weile blicklos auf das leise tutende Handy, bis das Zeichen, dass der andere Gesprächsteilnehmer aufgelegt hatte, erstarb. Er legte auf, schnaubte. „Nicht zu fassen.“ Yusaku hob beredt eine Augenbraue, kommunizierte seine Frage, ohne sie aussprechen zu müssen; Heiji gestaltete seine Äußerung weniger subtil. „Die glauben net im Ernst, dassde selber dieser Skandalnudel von einer Reporterin…“ „Skandalnudel?“ Shinichi hob eine Augenbraue, lächelte matt, indem er müde einen Mundwinkel hochzog, strich sich die Stirnfransen aus dem Gesicht, fahrig. Yusaku musterte ihn wortlos. „Glaub mir, ich hätt ganz andere Namen für sie, aber das lässt meine gute Erziehung net zu.“ „Gute Erziehung?“, echote Shinichi erneut, brachte seinen Freund damit endgültig auf die Palme. „Sag mal, was denkste eigentlich, wer de…!“ „Ist da was dran, Shinichi?“ Die leise, nichtsdestoweniger ernste Stimme des Schriftstellers riss die beiden aus ihrem kurzen Wortgefecht. „Was, bitte?“, entgegnete Shinichi gereizt. „Dass ich dieser Pressetussi…“, er brach ab, warf Heiji einen schrägen Blick zu, der bissig lächelte, „und ja, auch ich denke gerade noch an meine Kinderstube, erzählt hätte, was damals passiert ist? Dass ich ne Substitutionstherapie gemacht hab? Klar. Nein.“ „Das meinte ich nicht.“ Yusaku schluckte hart, sah seinen Sohn dennoch ruhig in die Augen. „Du weißt, wofür ich diesen Artikel halte. Und du weißt, dass ich immer hinter dir stehe. Aber du musst zugeben, dass einige Dinge, über die sie da schreibt, nicht von der Hand zu weisen sind. Dinge, die sie erst dazu gebracht haben dürften, nachzuforschen, über dich.“ Shinichi erbleichte, merkte, wie seine Hände kalt wurden. „Du willst nicht im Ernst sagen, dass…“, begann er leise. Heiji horchte auf; den Tonfall kannte er bei Shinichi nicht, und er ahnte, dass er ihn auch lieber nicht kennen lernen wollte. Der Blick des jungen Mannes war starr geworden, seine Stimme unterkühlt, und er schien fast die Luft anzuhalten. „Nein. Aber kannst du ausschließen, dass man es dir verabreicht hat, ohne dass du es merkst?“ Der suspendierte Superintendent schluckte, schaute dann weg; eine Weile antwortete er nicht, sondern starrte gedankenverloren aus dem Fenster, knetete seine Finger. Als er schließlich sprach, war seine Stimme merklich ruhiger geworden. „Du weißt, wer unter mir wohnt?“, fragte er schließlich leise, während er sich seinem Vater wieder zuwandte. Yusaku lächelte verschmitzt. „Ich schon. Anscheinend du jetzt auch.“ Shinichi nickte geschlagen. „Seit gestern.“ „Und wie kommst du darauf…?“, setzte Yusaku an, ehe er von Heiji unterbrochen wurde, der zwar bis jetzt geduldig geschwiegen hatte, dem nun aber so langsam der Kragen platzte. „Sagt mal, könntet ihr eure Geheimsprache beenden und…“ „Sharon.“ Shinichi hob den Kopf, schaute seinen Freund sachlich an, der hinter seinem Stuhl stand und die Rückenlehne festhielt. „Was bitte?“ „Wer bitte.“, korrigierte Shinichi ihn und fuhr fort, ehe Heiji ihn unterbrechen konnte. „Aber ja. Sharon. Du hast mich richtig verstanden.“ Yusakus Blick haftete immer noch auf seinem Sohn. „Wie kommst du jetzt darauf?“ „Weil sie mir die gleiche Frage gestern schon stellte.“ Shinichi ließ sich zurücksinken, seufzte lange, betrachtete seine schmalen Hände, rieb sich über die Finger. „Ich hatte gestern einen… nennen wir es… kurzen Blackout.“ „Du bist umgefallen?“ Heiji zog sich den Stuhl zurecht, ließ sich auf die Sitzfläche fallen. „Ja.“ Unwillig verzog Shinichi das Gesicht. „Ich meine, wen wundert‘s. Es war ein furchtbarer Tag, gestern, nach nicht wirklich viel weniger schrecklichen Tagen davor, ich hab wenig geschlafen, wenig gegessen, viel gearbeitet und viel nachgedacht und gestern bin ich einfach… heimgekommen und…“ „Ohnmächtig geworden.“ Yusaku schaute ihn an. „Shinichi…“ Der hob die Hand, schüttelte den Kopf. „Ich hab… geträumt.“ „Halluziniert“, unterbrach ihn sein Vater; während in seinen Augen die Sorge wuchs, schien sein Sohn nur gereizter zu werden. „Nenn es wie du willst“, fauchte er, merkte doch, dass seine Anspannung nur von einer Angst herrührte; der Angst, dass wirklich etwas dran war. Dass er schon wieder nicht mehr allein Herr über seine Gedanken war. Heiji starrte ihn an. „Und?“, murmelte er leise. „Und was?“, seufzte Shinichi, fingerte an seiner Uhr, schluckte. „Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob ich es wissen will. Und ich weiß nicht, wie – ich meine, ihr müsst mir glauben, ich hab garantiert nicht selbst – ich würde nie – nie wieder will ich…“ Abhängig sein. „Das weiß ich.“ Yusaku schluckte. „Aber wenn du das Gift intus hast, solltest du dir Klarheit darüber verschaffen. Und wer überhaupt…?“ Shinichi zuckte mit den Schultern. „Lass das bitte meine Sorge sein. Abgesehen davon - ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, wer ein Motiv hätte. Ich meine… sowohl Henderson als auch McCoy haben ihre Vermutung schon geäußert, wer mir vielleicht etwas anhängen wollen könnte; allerdings das in Bezug auf meine Karriere, nicht bezüglich meiner… Gesundheit.“ Heiji wusste sofort, auf wen Shinichi anspielte. „Sie meinen, Jenna hätte dir das Diamorphin in die Schublade gesteckt und dich bei der Presse verpfiffen?“ Ungläubig riss er die Augen auf. Shinichi nickte nur kurz, währen Yusaku ihn fragend anschaute. „Jenna ist meine Partnerin bei Scotland Yard.“, er lächelte müde. „Jenna Watson.“ Der Schriftsteller lachte kurz auf. „Und wie war euer Verhältnis?“ „Hervorragend.“ Shinichi, der immer noch auf seine Uhr gestarrt hatte, hob den Kopf. „Wirklich gut. Im Ernst.“ Heiji nickte bestätigend. „Mag se auch. Helles Köpfchen, und scheint eigentlich…“, er grinste kurz, „im besten Sinne um dich besorgt zu sein.“ Shinichi seufzte laut. „Ich mag’s auch nicht glauben. Aber ich wäre ein schlechter Ermittler, würd ichs ausschließen. Aber wie…“ „Konfrontier se.“ Heiji fixierte ihn starr. „Du weißt, das klappt am Besten. Ich bin mir eh fast sicher, sie wird dich heut noch heimsuchen. Spätestens nachdem se die Zeitung gelesen hat. Vielleicht seh ich sie hernach noch, dann schick ich sie dir gleich vorbei – ich muss mich jetzt dann mit Kogorô noch treffen, wir sollen noch einen Abschlussbericht verfassen. Und dann wollen die Mädels einkaufen gehen, und ich nehme an, es ist dir Recht, wenn ich…“ „Ein Auge auf sie werfe. Ja bitte.“ Shinichi nickte langsam, massierte sich die Schläfen. „Ich nehme an, du gehst zurück in eure Hotel?“, fragte er, an seinen Vater gewandt. „Versuch, sie ein wenig zu beruhigen, ich nehme an, sie hat den Artikel sicher auch schon gelesen. Sieh zu, dass sie nicht gleich loszieht um diese Schnepfe von einer Reporterin zu finden.“ Er grinste schief, stand langsam auf. Yusaku seufzte, erhob sich ebenfalls, folgte ihm und Heiji zur Tür. Und gerade, als er die Tür öffnete, um die beiden in den Flur zu verabschieden, erschallte die Türglocke erbarmungslos laut direkt über ihren Köpfen. Draußen, mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Türklingel gepresst, ihr Blick entschlossen auf eben jenen Knopf gerichtet, stand… Jenna. Ihr Kopf war hochrot und mit nervösen Flecken übersät, ihre Haare standen wirr, als sie ihn anblickte, erschrocken – Indiz dafür, dass sie offenbar bis gerade eben in ihrem Mini gesessen hatte und sich die Frisur zerzaust hatte auf der Suche nach den richtigen Worten. Sie zitterte merklich, hörbar sogar, als die Seiten der Zeitung in ihrer Hand raschelten. Sie war bleich, ihre Lippen zusammengepresst zu einem schmalen, blutleeren Strich, ihre Augen rot und glasig. Er konnte nicht sagen, ob sie geweint hatte; sicher war, sie war erschüttert. Und noch sicherer war – egal, wer ihm etwas Schlechtes wollte; sie war es nicht. „Sir…“, begann sie mit zitternder Stimme, merkte, wie sie versagte, als sie die beiden Männer hinter seinem Rücken bemerkte. „I… I don’t know why I am here, actually. I am sorry. I am for sure disturbing you. I’ll better leave. Please…“ „Don’t be stupid.“, meinte Shinichi ruhig, trat zur Seite und griff sie am Ärmel ihrer Jacke, um sie hereinzuziehen. „They were already leaving. And don’t call me Sir, Jenna.“ Er verabschiedete seinen Vater und Heiji mit einem kurzen Nicken, drückte dann die Tür hinter ihr zu, bedeutete ihr, ihre Jacke auszuziehen. Sie stand da, schien fast ein wenig geschockt, nun tatsächlich hier zu sein; sie war noch nie in den vier Wänden ihres Vorgesetzten gewesen, und unter normalen Umständen wäre ihr nie eingefallen, ihn daheim zu besuchen. Allerdings, nachdem sie heute die Zeitung gelesen hatte und den Tumult in der Arbeit erlebt hatte, hatte sie es nicht mehr länger ausgehalten. Sie musste sie wissen. Die Wahrheit. Und zwar von ihm selbst. Ungelenk zog sie sich die Jacke aus, ließ zu, dass Shinichi sie am Garderobenhaken aufhängte, schluckte hart, die Zeitung immer noch in ihren verkrampften Fingern. „As for the reason why you are visiting me, Jenna – I guess, it is not too daring to assume it has something to do with that paper in your hand. Especially with one certain article. One prominent fact. You want to know whether if it’s true ore not.“ Jenna schluckte. „Montgomery has… indicated yesterday that you had… contact with…“ „Drugs.“ Das Wort klang laut und scharf in ihren Ohren, auch wenn seine Stimme nicht lauter geworden war, auch nicht eisiger oder härter. Im Gegenteil; er schaute sie ruhig an. Wie immer. „Yeah. Drugs.“, murmelte sie leise. „And that paper says, you had a substitution therapy, and I am so sorry, but I…“ “Yes.”, unterbrach er sie kurzerhand. „What, yes…?“, kroch es ihr langsam über die Lippen, obwohl sie die Antwort wohl schon kannte. „Yes.“, wieder holte Shinichi leise. „Yes, I was an addict. And yes, I had to undergo a substitution therapy. But I guess, a bit more context would be useful for you to understand in what kind of situation I’ve been back then – and in what great a mess I seem to be now. So please, do come in. I think, it’s about time to talk straight.” Sie seufzte, während sie an ihm vorbeitrat, wagte kaum, ihm in die Augen zu sehen. Er schloss die Tür hinter sich. „In fact, I came to ask you some questions. And no. I haven’t read your personal file, though Montgomery strongly recommended that.“ Sie schlüpfte aus ihren Schuhen. Dann bemerkte sie seinen Blick, als sie sich wieder aufrichtete, schluckte hart. „I wanted to hear your explanation. I wanted to hear it from my partners lips.“ Shinichi kniff die Lippen zusammen. „If this is indeed the case, you should definitely take a seat, Jenna…“ Er strich sich über die Haare. „Would you like to have a cup of tea? People say, a cup of tea solves every problem. Well, at least, helps solving problems. Besides… we are in England.“ Ein kurzes Lächeln strich ihm über die Lippen, brachte sie dazu, es zu erwidern. Ein paar Minuten später saßen sie zu mit einer Tasse Tee vor sich am Tisch in Shinichis Wohnzimmer. „Nun.“ Er schluckte. „You already know quite a lot. You know about my case, you know that I’ve vanished for about ten days. And as you are a clever girl and an officer of Scotland Yard, you might have been counting one and one together and are assuming that this incident is likely to have occurred at that time. I was their hostage; they have crossed our plans to destroy them. Our plans, that means, my plan – and the plan of the FBI.” Jenna hob erstaunt die Augenbrauen, sagte jedoch nichts. „Our intention was to push them into self-destruction. We wanted them to grow nervous because of fake news of them being uncovered and unveiled. We wanted them to make mistakes. We had planted a nice little computer virus into their system; this programme spread those false information while smuggling out names, data, addresses of their headquarters and so on straight towards the servers of the FBI. It went… well, at first, despite my capture, which was part of the plan. But of course, they did not want to just sit down, wait and drink tea until the FBI would run their walls, no. They planned their counterstrike, and to aim it precisely, they wanted information from me. I did not intend to give it freely.” Er schaute auf seine Hände, die auf der Tischplatte ruhten, flach und ausgestreckt. „That was the very beginning.“ Shinichi schluckte. „They had caught me, but they did not figure out what I had done while roaming their place. They did not know that the rumours were faked. They panicked. They wanted to find out what I knew. And as I was not very willing to provide the information they asked for, they started to treat psychopharmaka on me.“ Er starrte in seinen Tee, sah Jenna nicht an, als die Erinnerung an diese Zeit in Fetzen vor seinem inneren Auge auftauchten und wieder verschwanden; er hörte nur, wie sie die Luft einsog; und anhielt. Ihr entsetzter Blick brannte auf seiner Haut. „It was called HLZG 0405.“ Zögernd hob er den Blick, sah in Jennas nussbraune Augen, die ihn abwartend anblickten. Mitgefühl und Angst sah er darin. Angst vor dem, was er ihr erzählen würde. Und in diesem Moment ging ihm auf, dass sie beide ihre Partnerschaft mittlerweile wohl weit über eine rein berufliche Zusammenarbeit gehoben hatten. Sie brachten ihn nicht zurück in seine Zelle. Und als er nun wieder aufwachte wusste er, er war in der Hölle angekommen. Shinichi seufzte, kratzte sich gedankenverloren am Handgelenk. „First came some sort of dumbness in my arms and legs. Then I blacked out, right into some sort of… euphorical trip. After this I would wake up again, with a clear mind, at first; this was when they tried to make me talk. Shortly after came the withdrawal – some sort of hallucination of the worst kind, accompanied by physical symptoms and more fever dreams; after this, it began all over again.” Er hielt kurz inne. „I never told them anything, at least not voluntarily. But I… fantasized. And at some point, I called her name. Ran’s. They caught her, brought her into their quarters. The plan was to ask me in front of her.” Sie saß da, als man ihn hereinführte. Shinichi, den man gerade noch mehr den Gang entlang gezerrt und gezogen hatte, als dass er freiwillig und aus eigener Kraft hätte gehen können, erstarrte auf der Stelle, fühlte, wie sich scheinbar jeder einzelne Muskel in seinem Körper versteifte, mit dem festen Willen, so zu bleiben, offensichtlich. Zu Stein erstarrt. Und er lachte nur. Wie immer stand er im Gegenlicht, weder für Ran noch für ihn war sein Gesicht erkennbar – Anokata. Gin stieß ihn ins Zimmer, mit einer Wucht, die ihn taumeln ließ. Er stolperte und stürzte unter ihren Blicken, rappelte sich wieder hoch. „Setz dich doch.“ Shinichi schluckte, atmete schwer. Sein Blick glitt zu Ran, die ihn ansah, mit schier unermesslicher Furcht in ihren blauen Augen. Ihr Gesicht sprach von Schock, ihre ganze Haltung von Angst und Entsetzen. „Setz dich… sagte ich.“ Shinichi wandte sich um, langsam. Dann ging er zu dem Stuhl, ließ sich nieder, wehrte sich nicht, als man ihm die Hände an die Lehne fesselte. Er hatte dieses Spiel verloren. „Ich habe mich bereits ein wenig mit unserem Gast unterhalten. Ein sehr höfliches Kind, muss man bemerken. Und ausgesprochen hübsch – für die Tochter eines verkappten Detektiven, immerhin.“ Shinichi verbiss sich den Kommentar. „Also…“ Gin trat hinter Ran, wohl auf ein unsichtbares Zeichen von ihm. „Du weißt, was wir wissen wollen. Ich finde es müßig, diese Fragen jeden Tag aufs Neue zu wiederholen. Du siehst nun, wer hier ist – und weil ich dir diese Fragen nicht mehr stellen will, wird sie es tun. Und für jede falsche Antwort… oder gar Verweigerung…“ Shinichi wandte sich nicht um, schaute auch Ran nicht an, starrte nur stur geradeaus, ließ seinen Blick sich irgendwo in dem Quadratmeter Luft vor seiner Nase verlieren. „Für jedes Mätzchen, das du machst, wird sie es sein, die dich bestraft. Lügner müssen bestraft werden, das siehst du doch genauso.“ Shinichi zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Er wagte kaum, den Blick zu heben, tat es doch – sah die Träne aus ihrem Augenwinkel laufen, als sie ihn ansah, in ihren Augen diese eine, unausgesprochene Frage. >Warum hast du es mir nicht gesagt… Shinichi?< „Nun gut. Wenn ich dich bitten dürfte, meine Liebe. Vielleicht zeigt er sich dir gegenüber mitteilsamer.“ Ran nahm mit zitternden Fingern ein Blatt Papier, das Gin ihr hinhielt. Ihre Lippen bebten, als sie die erste Frage vorlas. „Wo ist Sherry?“ Sie sah auf, verwirrt. „Wer oder was ist Sherry, Shinichi? Und wer… wer sind diese… was hast du…“ Shinichi schüttelte hilflos den Kopf. „Ich dachte, sie hätten sich dir vorgestellt. Das hier ist der Grund… warum ich mich die letzte Zeit über so wenig gemeldet habe. Das hier… ist der Fall, Ran.“ Langsam sah er auf, blickte ihr in die Augen. „Ich wollte… dass du nicht in Gefahr gerätst, deshalb habe ich dir nichts erzählt – das… klappte gut, bis… jetzt.“ Er stöhnte auf, leise, unterdrückt. Ran warf ihm einen beunruhigten Blick zu. „Und Sherry… ist ein ehemaliges Mitglied dieser Organisation. Sie versteckt sich. Sie haben ihre Eltern und ihre Schwester umgebracht… und sie werden auch sie umbringen.“ Er lächelte bitter. „Aber was soll ich machen… wenn ich es ihnen nicht sage, dann…“ Shinichi sah sie an, Verzweiflung lag in seinen Augen; sie sah ihm an, dass er in einer Zwickmühle steckte. Ran schaute ihn an, in ihren Augen ein schwer zu deutender Anblick. „Hat sie verdient, dass du sie beschützt, Shinichi…?“ Er sah sie an. „Sie ist… kein schlechter Mensch.“ Unwillkürlich rang er nach Atem, schluckte hart, spürte Rans fragenden Blick auf sich ruhen. „Dann darfst du ihnen nicht sagen, wo sie ist.“ Sie beugte sich vor, ohne dass jemand sie hindern konnte – strich ihm über die Wange, sacht. „Denn seien wir ehrlich… wir sind beide hier und sie werden uns nicht gehen lassen.“ Ihre Stimme zitterte kaum. „Da… sollten wir versuchen, ein anderes Leben zu schützen, wenn es in unserer Macht steht.“ Shinichi starrte sie an, sein Herz raste, schlug ihm bis zum Hals und schien viel zu viel Blut auf einmal in sein Hirn zu pumpen. „Ich liebe dich, Ran… Das… das ist es, was ich dir unbedingt noch sagen wollte… Egal wie das hier endet, ich… liebe dich…“ Dann sah er Gin, der auf ihn zutrat. Spürte zwei Hände, die ihn am Kragen packten, hochrissen und gegen die Wand drückten – sein Kopf prallte unsanft gegen die gekachelte Mauer – und der kurze, scharfe Schmerz riss ihn in die Realität zurück. Erschrocken schnappte er nach Luft, blickte desorientiert um sich, suchte nach ihr. Aber Ran… Ran – war nicht da. >Was habt ihr mit ihr gemacht? Wo ist sie?!< Seine Gedanken rasten durch seinen Kopf, doch ehe er sie artikulieren konnte, spürte er Gins Unterarm, der ihm die Luftröhre abdrückte, als er sich gegen ihn lehnte. „Du hältst dich wohl für besonders schlau. Warte nur, wir kriegen dich schon noch zum Reden – sie sollte bald da sein…“ Shinichi starrte ihn an, als sich die Wahrheit langsam in seinem Kopf manifestierte. >Wovon redet er? Von Ran etwa?< „Wir werden ja sehen, ob sie in Wirklichkeit auch so ein Samaritergen hat wie du. Und ich bin gespannt auf das, was du zu erzählen hast, wenn du zusehen musst, wie wir…“ Den Rest hörte Shinichi nicht mehr. In seinem Kopf kreiste nur ein Gedanke wie im Karussell, ließ ihn sich auf einmal seltsam leicht und schwerelos fühlen. Losgelöst. Euphorisch. High. „Ihr habt sie nicht…“, wisperte er leise, lachte dann. Ran war nicht da. Wirklich nicht da. Noch nicht, zumindest. Das was er gesehen hatte, war nichts weiter als ein weiterer Fiebertraum gewesen, ein neuer Versuch, ihn mürbe zu machen. „Du hast keinen Grund zu lachen, Detektiv.“ Gin spukte ihm das Wort ins Gesicht. Shinichi grinste nur, schnappte nach Luft. „Ich denke schon.“ Er schloss die Augen, atmete aus, langsam. Ein winziges Lächeln lag auf seinen Lippen, als er die Genugtuung spürte, nichts verraten zu haben. „Nein, ich denke nicht…“ Tief und zufrieden schmiegte sich diese Stimme in sein Ohr. Die Stimme des Bosses. Shinichi, der gerade dem Drängen der aufkeimenden Ohnmacht nachgeben hatte wollen, fuhr jäh hoch, merkte, wie sich jeder seiner Muskeln verspannte, hielt den Atem an, unwillkürlich. „Schließlich hast uns nun endlich dein ach so gut gehütetes Geheimnis verraten, Kudô…“ Er bekam davon nichts mehr mit. Sein Bewusstsein glitt ohne weitere Gegenwehr zurück in das dunkle Loch, aus dem man es gerade gerissen hatte. Er schluckte. „As I proved to be a very tough nut which was not likely to break anytime too soon, they decided to confront me with her. They knew from my dreams that I had… someone I loved. They staged her… arrival, I do not know how they did it. I dreamt it up, I guess, they told me that they had her, pretended a questioning and that was enough for me to hallucinate the rest. I was… quite a few days already within their walls and well… you know how drugs work.“ Er wischte sich über die Stirn. „Well. I mentioned her name, then, and it was not very difficult for them to proceed from there. They found her, and they caught her.” Kurz hielt er inne, nahm einen Schluck Tee, biss sich auf die Lippen. „It was in one of those waking hours. She did not realize what was wrong with me.“ Er biss sich auf die Lippen, bis er Blut schmeckte. „Her capture was rather short, but…“ Er lag auf dem Boden, zitternd und schwitzend gleichzeitig, seine Augen verdächtig glänzend. Ran hätte ihn fast nicht mehr wieder erkannt, als sie die Tür öffneten, sie hineinstießen. Sharon blieb hinter ihr stehen, eine Hand auf ihrer Schulter, als Gin und Wodka zu ihm hintraten, ihn hoch zogen. „Bist du wach? Schau an, wer da ist!“ Der Blick aus seinen Augen, als er sie erkannte, erschütterte sie ins Mark. Das heiser gewisperte „Nein!“ aus seinem Mund, kaum zu hören und doch voller Angst und Entsetzen ließen bei ihr keinen Zweifel mehr übrig, dass sie beide in großen Schwierigkeiten steckten. „Weiß der Boss schon…?“, fragte sie leise. „Nein.“ Gin drehte sich um, ließ Shinichi los, der sich mit Mühe an der Wand aufrecht hielt. „Aber gleich. Solange können sich unsere Turteltäubchen voneinander verabschieden…“ Er lachte, drehte sich zu Shinichi um. „Na – dir ist das Grinsen wohl vergangen?“, wisperte er leise – so leise, dass nur Shinichi es hörte. „Wart nur ab… das wird ein sehr amüsanter Tag noch werden mit euch zwei…“ Damit ging er – Vodka folgte ihm. Sharon war die Letzte die die Tür schloss – sie warf ihm einen langen Blick zu, den er müde erwiderte. Er hatte die Hoffnung aufgegeben. Und so stand sie nun vor ihm, Ran. Lebendig und wunderschön und voller Angst. Und er wusste, er würde sie nicht einmal in die Arme nehmen können, weil er kaum selber auf den Beinen stehen konnte. Langsam ließ er sich mit dem Rücken an der Mauer zu Boden gleiten – Ran tat es ihm gleich, blieb neben ihm sitzen. „Es tut mir Leid…“, wisperte er dann langsam, wischte sich mit kalten Fingern den Schweiß von der Stirn. „Das ist meine Schuld… du bist nur hier wegen mir…“ „Shinichi… was haben die mit dir gemacht?“ In ihrer Stimme klang Sorge und Beunruhigung. Sie streckte ihre Hand aus, strich ihm über die Stirn, spürte die Feuchtigkeit unter ihren Fingern. Er war patschnass geschwitzt. „Shinichi, was ist das… was haben sie dir angetan…?“ Er war ihrem Blick ausgewichen, hatte nur den Kopf geschüttelt. „Das spielt jetzt keine Rolle mehr, Ran…“ Reuevoll schaute er sie an – wollte ihr sagen, was er angestellt hatte. Wer er gewesen war. Dass es ihm Leid tat. Dass sie jetzt sterben würden. Weil er einen Fehler gemacht hatte. Er sah auf. „The fact, that there was no questioning that day, that nothing more happened, was sheer luck. It had absolutely nothing to do with my… brilliance. “ Er spuckte das Wort förmlich aus, wie einen ekelhaften Geschmack, der einem auf der Zunge lag. Unsicher lehnte er sich zurück, sah sie an, mit diesem Blick. „We could not have sat there for the quarter of an hour, I just wanted to tell her how I got into that mess, when it began. A loud, high-pichted tune. A siren. It was the alarm.“ Er sah auf, die Lippen aufeinandergepresst. „And we could her them, running, their footsteps were overhead and underneath us, everywhere – they all fled, driven by panic and fear. The black rats left the sinking ship. The good news for us – the alarm unlocked all doors. Ours included.“ Shinichi atmete durch. „Later on I realized it must have been Sharon sabotaging the system, she was always so fond of Ran… I guess she did not want her to get hurt. I gripped her hand, ran out with her, straight into Sharon’s arms, and she took her outside. I ran back.” Shinichi hielt inne, Jennas entsetzten Blick auf sich spürend, sah auf. Müde wischte er sich mit der Hand übers Gesicht. „I needed to know who he is.“ Er schluckte. „That sounds insane, I know. But I needed to know whom I was to thank for all of this. And I saw him, standing amidst the inferno. At the end of a hallway, a black silhouette surrounded by an ocean of fire, flames licking with burning tongues at his legs and hands. I did not wait to see what would happen to him. I only heard him… laugh.“ Tief holte er Luft. „I didn’t know why he was laughing at all – I don’t know it down to the present day. I just heard the explosion and took to my heels, ran for my life. The boss had inducted the self-destruction mechanism, the whole building collapsed, nothing should remain to tell about the organisation, no matter if dead or alive.“ Er rieb sich über den Nasenrücken. „I found Ran some time later in a little alley; and there they had already been waiting for us. I… realized too late that this had been their plan all along. They led us flee, destroyed everything so that the FBI would not find anything. The must have known that Sharon was about to change sides, I cannot imagine that she had been planning this with them. They sensed that the FBI was close on their heels, but they would not let us go without a decent goodbye. And this was the moment they let my darkest nightmares come true.“ Shinichi hob beide Hände, massierte sich die Schläfen, um seinen Kopfschmerz in Schach zu halten, der während der letzten Minuten angefangen hatte, seinen Kopf zu zerlegen, schluckte hart. „I mean, I was a wreck. Ran fought… bravely, but she had never had a chance against Gin. He stabbed her with that sword, and left her with me… promisining me he would come back one day to deal with me as well.“ Unwillkürlich wischte er sich über die Augen, fuhr sich übers Gesicht. Spürte seltsam kühle Haut und Feuchtigkeit unter seinen Fingern und verfluchte sich und diese Organisation einmal mehr. „She died in my arms, stopped breathing. I did not know she could be revived in hospital; her father told me she was dead and… I left. I did not look back. Wasn’t able to look anywhere for the next weeks.“ Er rieb sich das Handgelenk. „The memories I have from these days are very vage. They are mainly impressed by my fever dreams. I know my parents did not waste time, they took me to LA, tried to help me.” Shinichi seufzte, als seine Gedanken zurückdrifteten zu jenen Tagen, in denen die Realität an ihm vorbeigezogen war wie ein Stummfilm mit Bildrauschen. „They tried a substitution therapy. With diamorphine. That’s why this fact is on my record. I was treated officially.” Langsam hob Shinichi den Kopf. „I never took drugs deliberately or voluntarily. And I never had a relapse. But nevertheless, I am regarded as an ex-addict.“ Laut seufzte er. Jenna schaute ihn nachdenklich an. Einige Momente zogen an ihnen vorüber, in denen keiner sprach. Shinichi sah ihr an, dass er ihr mächtig zu denken gegeben hatte; Jenna studierte ihre kurzgeknabberten Fingernägel, ihre Augenbrauen trafen sich fast in der Mitte. „That‘s…“, begann sie schließlich, presste ihre Lippen kurz aufeinander. „… an exciting story.“ „Indeed.“ Er seufzte leise. Sie wandte sich um, sah ihn fest an. „Then… somebody has…“, sie bemerkte seinen Blick, lächelte kurz, „… smuggled that flask of heroine into your desktop drawer?“ Langsam nickte Shinichi, blickte auf, sah in ihre braunen Augen. „Yeah. And do you know that there are persons who believe that you did it?“ Jenna schrak auf, starrte ihn an. Dann atmete sie ein, langsam, versuchte, den Schock zu verdauen. „Do you believe this?“ Shinichi schaute sie musternd an, schwieg kurz. „Would I have told you all of this, if I did?“, bemerkte er schließlich leise, der Anflug eines Lächelns huschte über seine Lippen. „No, to be honest, I don’t believe that you are involved in this. But we have to face the fact that there really is someone within the walls of Scotland Yard who wants to give me a bad name. More than that. Besides…“ Er nickte auf die Zeitung, die Jenna immer noch in ihrer Faust hielt, „someone musst have been blabbing out.“ Jenna hob die Augenbraue. „Your file was in Montgomery’s bureau. It’s not locked, just like you never lock yours. Everybody could have gained access, so why not she, as well? I heard she had a little chat with…“ „… Henderson, yes. He already called me, reassuring me that he was not the one to tell about my past. But even if you are right, I don’t think that she put that flask into my bureau. That has to be someone else. A member of Scotland Yard.“ Jenna nickte bedächtig. „Does Montgomery know about…“ „The HLZG? For heaven’s sake, no. And I won’t tell him. Never.“ Shinichi stand auf, schüttelte den Kopf, trat ans Fenster und blickte gedankenverloren über die Stadt, ehe er weitersprach. „This, Jenna, was the darkest chapter of my life, and only a very few persons know the full story – most of them only hear the text with blackened parts…“, er lächelte bitter über sein eigenes Wortspiel. „You know the full version and I take it for granted that you remain silent about this…“ Dann schaute er Jenna wieder an. „The way you look at me tells me that this was not the only reason you came to visit me. Am I correct?“ Jenna nickte langsam mit den Kopf. Ihre Miene war ernst geworden. „Yes – you are.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)