Dunkler als schwarz von Leira (Shinichi x Ran) ================================================================================ Kapitel 35: Die Story seines Lebens ----------------------------------- Kapitel 35 – Die Story seines Lebens Sie hatte sie diskutieren sehen, ihn und dieses Mädchen, und sie hatte sie gehen sehen, zusammenbrechen sehen, hatte geahnt, dass sich ein ganz und gar großartiges Drama abgespielt hatte. Und sie hatte ihn das Yard verlassen sehen, zusammen mit diesem Pathologen, der neben ihm bei der Pressekonferenz gesessen hatte. McCoy, wenn sie sich recht erinnerte. Victoria Shelley lächelte verhalten. Er war blass gewesen, sah überspannt aus, seine Augen von Sorgen umwölkt und er schien eigentlich nicht in der Laune zu sein, noch irgendwohin zu gehen – aber der alte Forensiker hatte ihn am Arm gepackt und nicht losgelassen. Und sie hätte ein Stück ihrer Seele verkauft für diese Story – ungeheuer lockend war die Versuchung gewesen, ihnen hinterher zu laufen und ihnen die Infos aus der Nase zu ziehen – oder eine wilde Geschichte aus dem zu machen, von dem, was sie abstritten. Sie nahm, was sie kriegen konnte. Allerdings war sie momentan auf der Jagd nach einem noch größeren Fisch. Als sie in die Lobby gegangen war, getarnt mit einer sauberen, dunklen und recht biederen Kombination aus einem hochgeschlossenen Blazer und überknielangen Rock (den sie sich extra hatte kaufen müssen, weil ihre Garderobe so etwas gar nicht hergab) und sich als die „neue“ Sekretärin ausgab, hatte sie es dann gehört. Der Fall war gelöst – und Sherlock Holmes beurlaubt. Und in ihr hatte alles zu juchzen und tanzen angefangen, denn es war klar, glasklar, dass hier nicht alles glatt gelaufen war diesmal. Dass an diesem Gedanken, an dieser Vermutung, die ihr dieser Fremde gestern Nacht in den Kopf gepflanzt hatte, durchaus etwas dran sein könnte. Man schickte einen Superintendent, so kurz nachdem er seinen Fall gelöst hat, nicht in Urlaub. Und erst Recht sah der entsprechende Superintendent dann nicht so aus wie SI Kudô gerade eben. Victoria Shelley zupfte ihre blütenweiße Bluse zurecht und marschierte sicheren Schrittes über den polierten Steinboden der Lobby, tat so, als gehöre sie schon zum Inventar und ließ sich von keinem fragenden Blick beunruhigen – und verströmte dadurch eine Selbstsicherheit, die sie vor lästigen Nachfragen schützte. Sie ging zum Aufzug, stellte sich in die Kabine zwischen die anderen Beamten und Angestellten und las die Beschreibung der Stockwerke – sie wusste, DI Henderson arbeitete im Morddezernat. Sie brauchte nur die dazu passende Etage. Ganz wie sie gehofft hatte, war DI Richard Henderson in seinem Büro. Sie hatte geklopft, war dann aber ohne auf ein „Come in“ zu warten, einfach in das Büro getreten und hatte die Tür hinter sich entschlossen zugedrückt. Vor ihr, in einem abgewetzten Ledersessel in einem leicht muffig riechenden Büro saß ein etwas untersetzter, wenngleich schlanker Beamter mit fliehendem Haaransatz, der sie über seine Brille hinweg fragend anschaute. Er hatte nicht eine Regung gezeigt, weder mimisch noch gestisch, hatte einzig und allein innegehalten in seiner Schreibarbeit und sah nun die junge Frau vor sich konsterniert an. „May I help you, Miss?“, fragte er schließlich gedehnt, lehnte sich zurück. Er freute sich nie über Unterbrechungen und Störungen, allerdings waren sie auch selten so attraktiver Natur. „Oh. I am sure you may”, lächelte Vicky gewinnend zurück, zeigte ihre makellos weißen Zähne zwischen ihren sinnlich rot geschminkten Lippen. „You are DI Richard Henderson.” Eine Augenbraue rutschte nach oben, ein Stift wurde beiseite gelegt. Henderson sah sie an, abwartend. „This knowledge is easy enough to gain. It reads so on the sign at the door of this office. So yes, I am DI Henderson. But who are you?” Seine Stimme war immer noch leise, höflich zwar, aber dennoch von einem frostigen Klang begleitet, der sein Missvergnügen über die Unterbrechung seiner Arbeit eloquent zum Ausdruck brachte. „Oh. How impolite of me.“ Die junge Reporterin kramte in ihrem Handtäschchen nach ihrer Visitenkarte, reichte sie dem Detective und nahm ungefragt auf dem Stuhl vor ihm Platz, schlug ihre Beine übereinander, ließ ihren Rock dabei ganz bewusst ein Stückchen ihren Oberschenkel hinaufrutschen. Die Falten auf der Stirn des Detectives wurden tiefer. „Reporter from… the Reporter. Hm. Lady, I am afraid, you have found yourself lost. The press department is…” Doch ehe er ausholen konnte, hatte sie ihn auch schon unterbrochen. Ihre zierliche Hand schwebte vor ihm in der Luft, ihr manikürter Zeigefinger nur wenige Zentimeter vor seinen Lippen entfernt, die sie ihm mit ihrer Bewegung versiegelt hatte. „Hush.“ Sie lächelte kokett, schenkte ihm einen Augenaufschlag, der, wie sie wusste, bei Männern immer wirkte. „I don’t think I am lost. I am exactly where I wanted to be… I would so much love to have a little chat with you… with Detective Superintendent Kudô’s former partner, if I am not mistaken…” Nun war es an Henderson, sich interessiert nach vorne zu beugen. Er streckte die Hand aus, hob das Telefon aus seiner Station, drückte eine Taste. „DI Henderson, how may I help you?”, ertönte eine leise säuselnde Frauenstimme aus dem Hörer. „I am not to be disturbed the next half of an hour.“ Damit legte er den Hörer zurück auf die Gabel. „What is it exactly, that you want to know about SI Kudô?”, fragte er dann ruhig, lehnte sich wieder zurück. „Well… you know I write those articles concerning the case…“ “… concerning SI Kudô’s private life, rather…” “and I wonder. I mean, information is hardly to gain from him, but I mean, I have eyes in my head. And I realized that SI Kudô’s physical constitution changed, somehow. It’s not… much, but obvious, I mean.” “Ah.” Henderson schaute sie ruhig an. “What kind of changes do you mean?” Victoria zog ein gespielt besorgtes Gesicht, impfte ihrer Stimme einen Hauch leiser Beunruhigung ein. „Well… he’s kind of pale. Shadows under his eyes. He looks so tired, all the time. Haggard. Unconcentrated. He told me he suffered a headache, last night when I met him. And his hands were shaking… just as if he had a tremor…” “Ah.”, wiederholte DI Henderson. “And now you came here to show your concern and sympathy about SI Kudô’s health state? Why don’t you ask him?” Er lachte, hob die Hand, als er sah, wie ihre Gesichtszüge kurz entgleisten. Er ahnte, worauf sie hinauswollte, hatte das bereits geahnt, als sie sich vorgestellt hatte – dennoch, er wollte ihr nicht aus der Hand fressen. Nicht sofort, hieß das. Das hier war nicht nur ihre Chance. „Well…, I guess you don’t ask him, because he is not very… eager to provide information about himself. So… what do you want from me now? I was his partner, as you know. Why don’t you ask Sergeant Watson for…” “I was wondering…”, unterbrach sie ihn. „…if you, as his former partner, knows if he suffers some sort of… illness.“ “As I just try to tell you, why don’t you ask…”, fiel er ihr ins Wort. Victoria lächelte immer noch, als sie antwortete, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, auch wenn sie der Gegenwind seitens des Beamten irritierte. Sie hätte gedacht, allein ihre Person und die Chance, die sie ihm bot, und die er sehr wohl gerochen hatte, das sah sie ihm an, würde ihn zu Wachs in ihren Händen werden lassen. “Because I take it that you, who has worked almost five years with him, knows better, if not even… best.” Sie lächelte immer noch, aber er merkte, wie es in ihren Mundwinkeln zu zucken anfing. Er wusste genau, worauf sie hinauswollte, auf seine Akte nämlich; und sie wusste genau, dass er wusste, worauf sie anspielte. Und sie wusste, dass er sie gelesen hatte. Dass er jedes Detail kannte, das in ihr stand. Allerdings, er war Polizist bei Scotland Yard. „Why don’t you talk straight what you want from me? This is not about an illness…” Er lächelte gewinnend. Und an Victorias Lippen, die nun ihr Lächeln aufgaben, an ihrer Haltung, die sich anspannte, erkannte er, dass er gewonnen hatte. Sie beugte sich vor, zog ihren Rock wieder in eine angemessenere Position, fixierte ihn mit ihren Augen ohne zu blinzeln. „That’s right, you got me. I see my tricks don’t work with you. So – yes. I am here to learn about the real reason why Sherlock was sent on holiday today. Don’t tell me it’s the closed case and his need for sun on his skin and a good lie-in.” Ein schmales Lächeln kräuselte Hendersons Lippen. “Well. May I ask why you are assuming that me, an officer of Scotland Yard, should be willing to give any intimate information to a reporter of a piece of yellow press and therefore endanger his own career, let alone destroying the life of another person even more?” Victoria Shelley lehnte sich langsam zurück, schlug ihre Beine wieder übereinander. Ihr selbstsicheres Lächeln schlich sich langsam zurück auf ihre Lippen. „Rumour had it, that you don’t like SI Kudô much. Rumour had it, too, that this dislike results from a promotion, that was due for you but given to him.” Henderson zog seine Augenbrauen hoch, enthielt sich einer Antwort. „Well… I guess, this sucks, doesn’t it?“ „I am a professional. And SI Kudô did a great job back then.” “Well, but wasn’t that sheer luck? I mean… how long was he working for the Yard? Four years, five? And you?” „Five. And it’s been twelve years for me.“ Henderson schaute sie kühl an. „So – let’s assume that I am indeed a bit pissed off because of this – you still did not tell me how I would profit from this act of treason. And you know that it is this, what you want from me – you want intimate information about SI Kudôs file. This is a breach on data security, and as he is an officer of Scotland Yard, this assault would weigh even more.” Die Reporterin blinzelte ihm zu. „Nobody would ever know that you passed on that information to me. I am confidential with my sources; besides, there is another person who could be blamed for this.” Sie lächelte kurz. “And…” Victoria zog das Wort in die Länge. “I’ll give you revenge. I am just after a good story, and dragging London’s hero through the mud by uncovering his disturbing past will be a. Very. Good. Story…“ „So it’s just your carreer you are interested in?“ „Nothing else.“ Sie lachte leise. „My work is everything I ever cared for, and, frankly, I didn’t want to work for a tiny leaflet like the Reporter for the rest of my life. And I know when to grab my big chance. It is waving at me just now – so – will you reach out for my hand?” “He might lose his job when we do this.” “Which would be just fine with me. What about you?” DI Henderson ließ sich zurücksinken, legte die Fingerspitzen aneinander, grinste sie breit an. „I am of the opinion, that you should better leave my office, Miss Shelley.“ Sie starrte ihn an, traute ihren Ohren kaum. „Yes, you may trust your ears. There’s the door.” Er hob die Hand, deutete auf einen Fleck hinter sie. „But…“ „My answer is no. It is indeed true that I don’t like him that much since his promotion, yes. But I would never use his back to climb my own career ladder. Very unlike you, as it seems. And now leave my office, or I’ll make you leave.” Sie stand auf, wortlos, verzog sich ohne ihn noch einmal anzusehen. Vor der Tür atmete sie aus, gepresst. Das war nicht so gelaufen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Bereit aufzugeben war sie allerdings noch lange nicht. Sie straffte die Schultern; würde ihr niemand erzählen, was in der Akte stand, dann würde sie eben diese verdammte Akte selber suchen müssen. Und sie hatte schon eine Ahnung, wie sie sie finden würde. Sie vermutete, dass die Akte wohl im Büro seines Chefs liegen könnte. Eventuell hatte er sie erst vor kurzem konsultiert – ein Versuch war es wert. Sie streckte den Rücken durch, ging dann sicheren Schrittes zurück ins Treppenhaus, suchte sich auf dem Plan unauffällig die Lage des Büros von AC Jackson Montgomery heraus, klemmte sich ihr Tablet unter den Arm, um den Eindruck einer fleißigen Angestellten zu machen, die auf dem Weg zum Meeting war, und schritt sicheren Schrittes die Flure und Treppen entlang. In der Chefetage angekommen, geriet sie nun doch etwas ins Schwitzen. So unauffällig wie möglich, versteckt hinter einer Gruppe Sergeants, die plaudernd aus der Mittagspause kamen, schlich sie sich am Tisch der Chefsekretärin vorbei, um sich danach ebenso unbemerkt wieder abzuseilen und den Korridor zum Büro des ACs zu suchen. Sie hatte bewusst diesen Zeitpunkt gewählt; um die Mittagszeit war die Chance am größten, die Leute unbeschäftigt vorzufinden – oder auch gar nicht. Letzteres war ihre Hoffnung in diesem Moment. Mit dem Plan, sich damit zu entschuldigen, sich in der Tür geirrt zu haben auf dem Weg zum Press department (ja, sie hatte vor, sich als Reporterin zu outen, sollte Montgomery tatsächlich hier sein), klopfte sie an die Tür und wartete. Durch zitternde Nasenflügel atmete sie langsam aus, lauschte angestrengt und hatte fast Angst, eine eventuelle Antwort durch das laute Rauschen des Bluts in ihren Ohren nicht zu hören. Jeden Moment konnte jemand hinter ihr im Gang auftauchen. Niemand antwortete. Langsam streckte sie die Hand aus, schickte Stoßgebete zum Himmel, als sie mit Schweißnassen Fingern die Klinke ergriff und langsam nach unten drückte. Pretty, pretty please… Die Tür ging auf. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Ein Zurück gab es nicht. Flink huschte sie hinein, schloss die Tür hinter sich, eilte zum Schreibtisch. Sie ließ ihren Blick über den Tisch schweifen, merkte sich die Anordnung der Dinge, und fing dann an, die Akten eine nach der anderen kurz anzuheben, die dort lagen. Als sie sie tatsächlich fand, hätte sie fast vor Triumph aufgeschrien. Fieberhaft schlug sie sie auf, ihre Finger zitterten so sehr, dass ihr die Blätter fast vom Tisch glitten, als sie sie überflog. Hastig und mit von kaltem Schweiß klebrigen Fingern weckte sie ihr Tablet aus dem Standby-Modus und fing an, die Seiten zu fotografieren. Und was sie dort las, verschlug ihr den Atem gänzlich. Als sie an diesem Tag Scotland Yard verließ, schien sie durch die Hallen mehr zu schweben als zu gehen. Sie fühlte sich so high, dass sie nicht glaubte, dass ihre Füße den Boden überhaupt noch berührten. Wie sie unerkannt aus dem Büro entwischt war, bevor der AC aus seiner Mittagspause zurückgekehrt war, wusste sie nicht mehr. Die Blicke, die ihr die vorbeieilenden Beamten zuwarfen, waren ihr egal - ihnen mochte ihr breites Grinsen, das, wäre es ihr anatomisch nur möglich gewesen, von einem Ohr zum anderen gereicht hätte, vielleicht sogar einmal um ihren Kopf herum, befremdlich vorkommen. Sie selber konnte es kaum abstellen, auch wenn ihr die Backen mittlerweile schmerzten. Victoria Shelley hielt das Tablet in ihrem Arm fest, ihren Schatz, der Schlüssel zu ihrem Erfolg, der Beweis für die Story ihres Lebens. Denn schwarz auf weiß zu lesen war darauf… die Story seines Lebens. Sie trat ins Freie und konnte einfach nicht mehr an sich halten – sie blieb stehen, jubelte auf, lachte laut, anhaltend und schallend und ihr waren die Blicke der Passanten immer noch herzlich egal. Was sie in den letzten fünfundzwanzig Minuten erfahren hatte, war zu gut um wahr zu sein, zu unglaublich, um real zu sein – aber das beste daran war, es war alles beweisbar. Schwarz auf Weiß zu lesen in seiner Akte in Scotland Yard. Drug substitution therapy with Diamorphine. God… Sherlock Holmes was a freaking yunkie! I’ll rip that mask off his face… I’ll tear his clothes off his body, I’ll crawl under his skin… I’ll leave him naked in front of the whole of London, no, better, the whole of Great Britain – the whole world! Gosh, I bet the news agencies of his mothercountry will pick that up, too… His fucking reputation will be destroyed… no brilliant SI Kudô any more, no saviour of the police, no Sherlock Holmes, though… Thinking of it, Sherlock Holmes seemed to be more of Sherlock Holmes than we all knew… nice headline for my article… Sie hielt inne, lachte in sich hinein. Vor ihrem inneren Auge erschien der Titel ihres Artikels. Und darunter die vielen, vielen Worte, die sie schreiben würde. Sie konnte es kaum erwarten. This is amazing. This is awesome. This will certainly make me famous over night… This will certainly brake his neck. Sie hielt inne, als ihr schlechtes Gewissen, während ihrer Karriere als Sensationsreporterin geschrumpft auf ein kleines, zärtliches Wesen mit noch kleinerer, fiepsiger Kinderstimme, sie mit leisen Worten mahnte. Sie zerstörte das Leben eines Menschen mit diesem Artikel. Sie konnte nicht beweisen, dass er Drogen nahm, jetzt. Auch nicht, obwohl in seinem Schreibtisch Diamorphin gefunden worden war, wie es in der Akte zu lesen gewesen war. Unter Umständen zerstörte sie den guten Ruf eines verdienten Polizisten, zerstörte sie das Leben eines Menschen, der in seinem Leben ohnehin schon viel ertragen hatte müssen. Sie hatte immerhin keine Ahnung, warum er diese Ersatztherapie hatte durchziehen müssen; darüber stand nichts in der Akte. Und kurz, ganz kurz, hörte sie nichts, nur die kleine Stimme, die ihr dies zu bedenken gab. Sie wusste es nicht. Sie kannte diesen Mann nicht. Sie schrie die zarte Stimme nieder. Wie immer. Es war ihr egal. Well, it’s his own fault. He just should have given me another story. He had his choice. Jodie war nach den Ereignissen im Yard zurück zu James Black gefahren. Sie hatte sich bedeckt gehalten, als der Streit zwischen Shinichi und Ran eskaliert war; ihr war klar gewesen, dass nichts, was sie dazu beitragen konnte, hilfreich wäre. Sie hatte Shuichi mit einem kurzen Handzeichen klar gemacht, dass sie nachkommen würde und zunächst zu James fahren würde. Sie hatte den alten Agenten noch gar nicht getroffen, und hielt es langsam für dringend an der Zeit, mit ihm ihr Handeln abzusprechen. Und mit ihm über Shinichi zu reden. Gedankenverloren ließ sie ihre Augen über die Gebäude schweifen, die an ihrem Fenster vorbeizogen, während der Taxifahrer sie souverän durch die Straßen der Stadt chauffierte. Allerdings, Sinn für die schöne Architektur hatte sie nicht; ihre Gedanken hingen an Shinichi. Du hast sie schon wieder angelogen, cool guy. Sie seufzte. Ihr war bekannt gewesen, was er durchmachen hatte müssen. Sie war dabei gewesen, als Vertreterin des FBI, als er seine Aussage gemacht hatte, damals in Megurés Büro. Sie hatte ihn angehört, als er mit heiserer Stimme erzählt hatte, was er und Shuichi geplant hatten, wie der Stein ins Rollen gekommen war. Nur nicht darüber was passiert war, dort drinnen, mit ihm. You certainly did not want to talk about that. Sie hatte es ihm angesehen. Jodie hatte keine Ahnung gehabt, ob es Mégure und Takagi aufgefallen war, aber sie hatte es gemerkt. Die fahrigen Bewegungen seiner Finger. Der leicht fiebrige Glanz in seinen geröteten Augen, den sich die anderen vielleicht mit Shock und Trauer erklärten. Der bleiche Teint, die dunklen Schatten in seinem Gesicht. Und die Tatsache, dass er fast nie seine rechte Hand von seinem linken Handgelenk genommen hatte, darauf bedacht gewesen war, dass der Ärmel seines Sweatshirts fast über die Hälfte seiner Hand reichte. Sie waren nach draußen gegangen, zusammen, um auf Meguré zu warten, der ihn nach Hause hatte fahren wollen – er war nur noch kurz mit der Fertigstellung des Berichts zugange gewesen. Und sie hatte seinen Arm gegriffen, ohne Vorwarnung, den Ärmel zurückgeschoben – und ihr war fast schlecht geworden. Panisch hatte er ihr seinen Arm entrissen, den Ärmel wieder darübergezerrt, sie erschrocken angestarrt, angsterfüllt. „Shinichi…“ Sein Name war ihr langsam über die Lippen gekrochen. „Shinichi, what have they done to you? Du hättest ihnen das sagen sollen, den beiden police officers, right there…” Er hatte nur den Kopf geschüttelt, seine Augen waren zu Boden geglitten, und sie hatte es gesehen, dieses Gefühl, das so typisch war für sie alle. Scham. „Shinichi, dafür kannst du nichts. They have made you an addict. You need help! You must…“ Er hatte den Kopf gehoben, sie so fest angesehen, wie er konnte. Und sie erinnerte sich genau an den verzweifelten Glanz in seinen Augen, an den starren Blick, den er auf sie geheftet hatte. „Gar nichts muss ich. Und Sie… behalten das bitte für sich, Miss Jodie. Sie wissen nichts…“ Sie hatte ihm an die Stirn gegriffen, den Kopf geschüttelt. „You are feverish, Shinichi. You know the symptoms of the withdrawal are already approaching. Du wirst es nicht verstecken können…!” Shinichi hatte sich gegen die Wand sinken lassen; er hatte gewusst, dass sie Recht hatte. Sein Blick war den Gang entlang gewandert, ehe er geantwortet hatte. „Ich will nicht, dass jeder das weiß. Ich will nicht, dass die Welt weiß, dass ich ein…“ Junkie bin. Sie hatte die Worte in ihrem Kopf vervollständigt. Ein paar Wochen später hatten sie es im Büro alle Schwarz auf Weiß gelesen. Und nun saß sie hier, in der luxuriösen Suite von James Black, in der Hand eine Tasse Darjeeling, auf dem Tisch vor sich ein paar vorzügliche Scones mit Clotted Cream und Erdbeermarmelade. James Black saß ihr gegenüber, nippte seinerseits an seiner Tasse, schaute sie mit einem milden Lächeln an, wie immer; leichte Lachfältchen umkränzten seine Augen, zeugten heute mehr denn je von einem intensiv gelebten Leben, voller Freude – und auch voller Leid und Sorge. „Jodie.“ „Could we have prevented that?“ Sie schaute auf, gedankenverloren. Er hatte ihre Gedanken wohl gelesen, denn das gütige Lächeln schwand von seinen Lippen, machte Sorgenfalten auf seiner Stirn Platz. „What do you mean? Him, being made an addict? Her, being hurt, almost killed?” Jodie seufzte laut. “I don’t know. Both, I think. I have the feeling we have failed. You know we would never have come this far without him. Now… to see what consquences have followed his sacrifice for us, makes it even worse. The amendment in his file is putting him on constant surveillance, they think, he was a junkie, but he never was, we both know that he was forced into addiction. We know what horrible impact this drug had on both, his mind and his body, but instead on putting the fullstop at the end of this episode, it’s on his record and hunding after him everywhere he goes, just like his own shadow. And then, there are them, those few filthy black rats that are still out there, forbidding him to lead the life he deserves, a free life, a life among his friends, his family. A life with Ran. I…” Sie schluckte hart. “They have argued today. And I am afraid, it’s finally over. They seemed to have reached the point of no return.” James Black zog die Augenbrauen hoch. „Impossible.“ „Oh, I thought the same. But… well.” Sie zögerte kurz. „Did you ever know, why he thought she was dead?“ “No.” James nippte an seinem Tee. „He would never tell. Even a few days ago, this information was not to be gained from him.“ „It was her father. She didn’t knew about that. And he… he lied to her when it came to that question…“ Sie beobachtete, wie James seine Tasse sinken ließ, sie mit auf die weiße Tischdecke gehefteten Blick auf die Untertasse zurücksetzte. „That must have been a severe blow for him. For both of them. I take it, she knows, too, by now?” “Yeah.” Jodie nickte bedächtig, ehe sie nach einem der Scones griff und ihn sich zur Hälfte in den Mund schob. „What are we going to do now? I must confess, we can hardly ignore that the situation has changed a lot, now, with him being no longer an officer of Scotland Yard…” James starrte sie an, hob seine Hand, gebot ihr Einhalt. „What?“ „Oh.“ Jodie spülte ihren Bissen mit einem Schluck Tee ihre Kehle hinunter. „That are the recent news, sadly. Because of his misjudgement – but moreover because of some special part in his record that is considered as valid proof for this “misjudgement” he made.” “They are dragging his past to present? Why?” Jodie atemete durch, sah James Black lange an, bevor sie sprach. „They’ve found a flask of diamorphine in his desk.“ Bevor James doch ansetzen konnte, seinem Erstaunen Luft zu machen, fuhr sie fort. „He sais, it’s not his. There were no fingerprints found, no DNA traces otherwise or any sign of actual use. But you can imagine, what consequences had to follow up to this discovery. You are a leader of a big investigative agency, too. How would you have reacted?” James lächelte schmal. “I’d have heard my agent on that topic, and decided afterwards. But I guess my assumption is right that there was no much listening to Shinichi?” “Well, listening yes, but I guess, this had no impact on the decision of his boss, whatsoever. They don’t believe him when he says, that he considers the Black Organization to be back in that game. His boss rather believes that he has some undealt problems concering his past and is therefore not able to do his job properly.” James ließ sich zurücksinken in seinen Stuhl, schaute Jodie ernst an. „So, the result of this day is, the Yard has imprisoned the wrong man, has fired its best investigator and is closing the case, that is likely not finished at all, as there might be members of the Organization hiding behind, pulling the strings secretly.“ “Jup.” Jodie seufzte schwer. “Is there anything that we could do about his suspension? I can hardly bear the fact that he got dismissed because of this… fact in his file… he cannot sign responsible for.” “What could we do? Talk with Montgomery? Do you think, he’d be happy to see agents of the FBI mixing up things in his territory? Do you think, he’ll like to be faced with his own inability to treat his employees right? Rather…” “Not. Yeah.” “Besides, I don’t think, Shinichi would want that. I guess, he’ll much more like to sort things out by himself – or his boss to show up on his very knees at his doorstep, when he realizies, what a big sorehead he had been.” Er schmunzelte ein wenig, entlockte auch Jodie ein Lächeln. „Yes. I guess, you are right.“ „I dearly hope so.“ James griff nach seiner Teetasse. „Nevertheless, I’ll talk to Shinichi tomorrow. As he is no longer working fort he Yard, there’s no problem if he works for us, inofficially, of course. But I guess, for today, we should give him a rest.” Jodie nickte langsam. “Well then, thankyou for your time, James. I’ll be off to meet Shu. I don’t care if Scotland Yard does not believe in the black man – I do.” Damit stand sie auf, rückte ihre Brille gerade und verabschiedete sich. Yusaku hatte sich mit Heiji ein Taxi geteilt und hatte ihn auf dem Weg bei Kazuhas Hotel abgesetzt, um auf die Mädchen aufpassen zu können. Er war im Anschluss dann selbst zurück in seine Residenz gefahren, bzw. hatte sich fahren lassen von einem Taxifahrer, der sich über ein ordentliches Entgelt für seine Dienste freute, zurück zu Yukiko. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht, der sich langsam abzeichnete, als er ihr die Ereignisse des Tages resümierte, spiegelte wieder, wie er sich fühlte. Schuldig. „Aber er wäre sonst gestorben, Yusaku. Wir konnten…“ Er lächelte bitter, sparte sich, ihr zu sagen, was die Antwort seines Sohnes auf dieses Argument gewesen war. Stattdessen schluckte er, schlüpfte aus seiner Jacke und hängte sie auf. „Mich macht momentan viel mehr unruhig, wer ihm da was untergejubelt hat… wer ihm da offensichtlich etwas anhängen will. Denn seien wir ehrlich, das muss jemand gewesen sein, der im Yard arbeitet. Unter den Leuten, denen er vertraut, steckt ein Mitglied der Organisation, Yukiko… oder aber jemand, der seine Akte kennt und der ihm die Suppe abermal so richtig versalzen will.“ Er schaute sie ernst an – dann wandte er sich ab, trat an das Fenster ihres Zimmers, zündete sich eine Zigarette an und schaute hinaus in die hereinbrechende Nacht. Shinichi… Du bist wohl nirgends sicher… und kannst keinem vertrauen. Heiji seinerseits wurde bereits erwartet, als er ins Hotelzimmer von Kazuha und Shiho kam. Er sah müde aus, und abgeschlagen. Die Ereignisse hatten sich überschlagen heute – was ihn allerdings wirklich niederschmetterte war nicht allein Shinichis Suspendierung, sondern der Grund dafür. Gedankenverloren hatte er die Tür geöffnet, war in seinen Gedankengängen stehen geblieben, hielt den Türknauf in der Hand, sich der Blicke, die ihm die beiden Mädchen zuwarfen, nicht bewusst. Kudô… und während all der Zeit warst du allein… Warum haste nichts gesagt, Idiot? Er schluckte, merkte erst beim dritten Mal – und erst, als sie vor ihm stand und seine Wange mit zarten Fingern berührte - dass Kazuha ihn ansprach. „Heiji? Alles in Ordnung?“ Heiji blinzelte. Dann schüttelte er den Kopf. „Ne.“ Er seufzte, schloss nun doch endlich die Tür hinter sich, trat ins Zimmer. „Ne, kann man so wirklich nich‘ sag’n.“ Langsam atmete er durch, schluckte hart. „Die hab’n ihn heut vom Dienst suspendiert.“ Er schluckte hart, ließ sich auf den Schreibtisch sinken, der im Zimmer stand. Ran, Sonoko und Shiho schauten ihn bass erstaunt an, zu keiner Reaktion fähig. Ran, ohnehin bleich und verweint, hatte sich der Farbe ihres alabasterweißen Bettbezugs angeglichen. Er hob den Kopf, sah sie an. „Aber so wie du mich grad ansiehst, is das nicht der einzige Tiefpunkt seines Tages heute.“ Ran schluckte hart, wandte den Kopf ab, bekümmert. „Sie hat mit ihm Schluss gemacht, weil sie heut erfahren hat, dass er ihr nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte, als sie ihn fragte, wer ihm erzählt habe, das sie tot sei, damals.“ Shiho schaute ihn eindringlich an. „Warum hat man ihn suspendiert?“ Heiji zögerte kurz. „Unter anderem wegen… seiner Entscheidung bezüglich Brady, den er ja laufen gelassen hatte, vorgestern… und der dann gestern ein Mädel umgebracht hat.“ Er rieb sich die Haare im Nacken, brachte sie in noch mehr Unordnung, als sie es ohnehin schon waren. „Weil er… einen größeren Fisch dahinter vermutete… deshalb wollte er den Köder weiterschwimmen lassen. Ich hätt’s nich‘ anders gemacht.“ „Er denkt, die Organisation isses.“ Kazuha schaute ihn an. Heiji warf ihr einen kurzen, erstaunten Blick zu. „Jap, das denkt er. Aber beweisen kanners nich‘, und deswegen… er trägt hier einfach ein großes Paar Schuhe in London, und momentan scheinen sie ihm nich‘ zu passen… ihrem Mr. Holmes.“ Ran zog die Augenbrauen zusammen. „Aber ihr habt ihn doch heute gekriegt. Brady, meine ich. Und überhaupt, warum glauben sie ihm nicht? Er arbeitet seit fünf Jahren hier, und ich wette, er liefert exzellente Ergebnisse ab, Paps sagte schon, Superintendent wird man nicht so jung und nicht nach nur fünf Jahren…“ „… was auch stimmt…“, murrte Heiji. „… da könnte man doch meinen, sie vertrauen ihm mehr...?“ Rans Unmut wuchs. „Leider spricht außer der Tatsache, dass er nur Indizien, aber keine Beweise hat, noch was gegen ihn.“ Heiji krampfte seine Finger um die Tischkante. „Aber da fragste ihn selber. Wenn er dir nochmal zuhört, Ran. Ehrlich, was haste dir dabei gedacht, ihn abzuservieren? Er leidet wie ein Hund seit Tagen deswegen. Und du…“ Ran schluckte. „Ich erklärs dir nicht auch noch, Heiji. Könnt ihr Männer nicht verstehen, dass wir Frauen auch gern die Wahrheit wissen wollen… man muss uns nicht vor allem beschützen. Und noch weniger wollen wir angelogen werden. Erst Recht nicht von dem, den wir lieben…“ Sie rieb sich die Finger, und erst jetzt sah er, dass sie zitterte. „Ich war enttäuscht. Ich… er war gestern so… hart, so abweisend, und dann zu erfahren, dass er mich bei der ersten Gelegenheit, bei der wir uns unterhalten haben, wieder angelogen hat… seine Motive in allen Ehren, und wäre das die einzige Lüge, die er mir je aufgetischt hat, würd ich keinen Ton von mir geben. Aber so geht das seit Jahren, und ich weiß, er… hat noch mehr Geheimnisse vor mir, und wenn ich dich so höre… „Da frag ihn mal selber…““ Sie lachte hohl, freudlos. „Dann weiß ich nicht, ob ich wissen will, was da noch alles kommen kann, das ich nicht weiß, über den Menschen, von dem ich glaubte, ihn zu kennen wie keinen anderen, Shinichi Kudô.“ Heiji sah sie an, seine Lippen zu einem feinen Strich zusammengepresst. „Wenn du so denkst, solltest du ihn wohl auch nicht fragen, Ran.“ Er stand auf, langsam. „Ich geh mir einen Kaffee holen. Dann schieb ich Wache, bis Akai kommt. Wenn ihm auch sonst keiner glaubt, ich nehm‘ ihm ab, dass sie’s sin‘.“ Damit ging er – und ließ eine Ran mit sehr flauem Gefühl in der Magengegend zurück. Ein Gefühl, das sie bis in einen unruhigen Schlaf begleitete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)