Dunkler als schwarz von Leira (Shinichi x Ran) ================================================================================ Kapitel 29 – Der Baron der Nacht -------------------------------- Kapitel 29 – Der Baron der Nacht Es war spät geworden, als er endlich nach Hause gekommen war. Das Gespräch mit der jungen Reporterin hallte ihm immer noch in den Ohren nach, hämmerte ihm jedes einzelne Wort tiefer in seinen Schädel – und er fragte sich, was sie eigentlich wusste. Ob sie überhaupt wirklich etwas wusste, oder ob sie nur so tat als ob, mit ihm nur spielte, um ihn weich zu klopfen. Sie war, das musst er wohl zugeben, eine Frau, die ihren Job verstand. Sie wusste, wie sie ihre Quellen fand und anzapfte, ohne sie auszutrocknen, sie hatte es drauf, sich bei Leuten einzuschmeicheln und ihnen ihre Geschichten zu entlocken, und war dabei skrupellos genug, sie auch gegen sie zu verwenden. Und sie verfügte ganz offensichtlich über eine ganz ordentliche Beobachtungsgabe. Shinichi strich sich über sein Gesicht, schluckte hart. Es würde ihn nicht verwundern, hätte sie auch einen Spion in Scotland Yard. Käme das allerdings raus, wäre die Kacke mächtig am Dampfen und die Karriere des Betreffenden ruiniert. Shinichi seufzte leise. Dennoch… wenn sie diese Andeutungen nicht haltlos machte, wenn sie wirklich einen Wink bekommen hatte, einen Hinweis, wenn sie wusste… Gott, nein. Alles, nur das nicht. Das darf niemals jemand erfahren. Er ließ sich aufs Sofa sinken, schob sich mit seinen Zehen die Schuhe von den Füßen, atmete aus. Allein das mit Ran war schon eine Katastrophe. Aber wenn die Öffentlichkeit erfuhr, was in seiner Akte stand… Aber wer kennt die denn schon…? Montgomery, aber ausgeschlossen, dass der dieser Presseschnepfe etwas erzählt hat. Jenna hätte Zugang, aber ich bezweifle, dass sie sie überhaupt gelesen hat, und ausgeplaudert hätte sie es gleich dreimal nicht. McCoy hat Zugriff, weil er nicht nur Pathloge ist, sondern auch psychologischer Berater, und als solchem wird man ihm vielleicht meine Akte sogar automatisch vorgelegt haben – zumindest aber gesagt haben, dass er mich auf dem Plan haben soll. Was er nie hatte, denke ich… Denn wie er ja sagte, wenn ich neben Jenna hier noch so etwas wie einen Freund habe, dann wohl ihn. Mein früherer Partner und der Commissioner. Eine überschaubare Zahl, eigentlich. Shinichi seufzte, starrte unwillig in das Spiegelbild, das ihm der dunkle Laptopbildschirm zeigte, der noch von der gestrigen Recherche auf dem Sofa stand. Es stimmte schon, er sah etwas… heruntergekommen aus, um es mit böser Zunge zu sagen. Sein Teint war eine deutliche Spur zu blass – er war nie braungebrannt gewesen, aber diese bleiche Gesichtsfarbe war nicht sein Standard. Er bemerkte sehr wohl, dass seine Wangenknochen und seine Kinnpartie ein wenig zu scharf geschnitten waren, und er konnte auch die dunklen Ringe unter den Augen nicht leugnen. Und tatsächlich gefiel ihm dieser Anblick nicht wirklich – und bereute zum ersten Mal, die letzten fünf Jahre nicht ein wenig pfleglicher mit seiner Gesundheit umgegangen zu sein, gerade danach… Aber mal Butter bei die Fische – wundert’s wen? Ich weiß, ich hab die letzten Jahre wohl ein wenig zu viel gearbeitet – gut, ein wenig sehr zu viel, vielleicht – aber so durch die Mangel gedreht wie das hier hat mich das alles nicht. Ich mach‘ mir Sorgen, das ist es. Und vielleicht ist es auch Angst… Aber nur Dummköpfe haben keine Angst, und wie sollte ich sie nicht fürchten, nachdem, was ich erlebt habe. Diese Angst lässt mich die Dinge im rechten Licht sehen, und ich hoffe auch, sie hilft mir, meine Entscheidungen diesmal ein klein wenig überlegter zu treffen. Er seufzte leise. Vielleicht sollte ich aber trotzdem heute mal ein wenig früher versuchen, zu schlafen. Diese grauen Schatten schauen grässlich aus. Sonst muss ich meine Mutter noch bitten, mit Makeup nachzuhelfen… wobei, wenn wir grad dabei wären, sollte sie mir wohl gleich das ganze Gesicht verkleistern. Ironisch grinste er sein Spiegelbild an. Andererseits, ein wenig am Fall arbeiten sollte sich schon noch… das alles muss doch jetzt endlich mal einen Sinn ergeben. Und ich sollte mal darüber nachdenken, wo wir unser nächstes Opfer finden könnten. Also nur ein kleines Nickerchen... Er gähnte, dann seufzte er, langsam, ließ sich zur Seite sinken, bis er längs auf seiner Couch lag, fand diese Position mit einem Mal äußerst entspannend und angenehm. Im nächsten Moment war er weggenickt. Er war aufgewacht, ein weiteres Mal – und diesmal wunderte es ihn wirklich. Shinichi fühlte sich erschöpft, wie immer, wenn der Rausch vorbei war – fühlte sich enttäuscht, wie immer, weil er wusste, dass es wieder nur die Droge gewesen war, die ihm diese Dinge vorspielte, die ihm Ran herbrachte... Er zitterte unwillkürlich, seine rechte Hand zuckte, und kam doch nicht los von dem Ledergurt, der sie festhielt. Es juckte an der Stelle, wo sie die Nadel ansetzten – es war immer die gleiche Stelle, und seine Haut über seinen Handwurzelknochen zeigte bereits mit einer deutlichen Verfärbung erste Reaktionen auf die unangemessene Behandlung. Er schluckte, versuchte es zumindest. Sein Mund war trocken, seine Lippen spröde – und er wollte gar nicht wissen, wie sein Spiegelbild momentan aussah. Sein Herz raste immer noch – und er wusste nicht, ob es die Nachwirkungen seines Traums waren, ob es immer noch… der Gedanke an ihre bloße Nähe war, die das Adrenalin durch sein System pumpte, in ihm diese Aufregung erzeugte, ihn kaum zu Atem kommen ließ – oder ob es die Droge war. Fakt war, dass er selbst kaum glauben konnte, wie real es sich diesmal angefühlt hatte. Ihr Name lag noch auf seiner Zunge… und er meinte fast, den Kuss immer noch auf seinen Lippen prickeln zu spüren. Ganz leicht. >Ran…< Er schloss die Augen, versuchte, zur Ruhe zu kommen und konnte nicht. Und in diesem Moment war ihm klar, dass es nicht der Traum war, der ihn immer noch im Ausnahmezustandsmodus laufen ließ. Es war das Halluzinogen. Diese Symptome waren echt. Shinichi schnappte nach Luft, als sich ein seltsam stechender Schmerz in seiner Brust einstellte, ließ ihn schaudern, aus seiner Lethargie erwachen. Auf einmal drang das grelle Licht der Lampe nicht mehr gedimmt an seine Augen – sondern schien ihm fast den Sehnerv wegzubrennen. Er stöhnte auf, wollte die Augen schließen, als sich ein Schatten in seine Sichtachse schob. „Ran…“ Das Wort hing in der Luft – ausgesprochen von der Stimme, die er hasste, seit er sie das erste Mal gehört hatte. Jetzt allerdings verursachte ihm diese Stimme keine Abscheu – sondern pure Panik. >Nein… nein… sag nicht, ich hab… bitte…!< „Ran heißt sie also…“ >Nein…!< Shinichis Atem stockte, als er sich die Tragweite dieses Satzes gewahr wurde. Alles in ihm schien auf einmal anzuhalten – sein Atem, sein Herz, sein Denken. Alles. Sie wussten ihren Namen. „Weißt du, wir fragten uns seit Tagen, wie das Mädchen heißt, das dich so zum Lächeln bringt, Kudô…“ Ein gehässiges Lachen drang an sein Ohr, laut und unangenehm, riss ihn zurück aus seiner Starre. Shinichi wandte den Kopf ab, kniff die Augen zusammen, als sich seine Wahrnehmung verschob, grelle Konturen um den schwarzen Mann zu tanzen schienen. Er zerrte an seinen Fesseln, wollte sich die Ohren zuhalten, als der Mann weiterredete. „… und dir doch gleichzeitig solchen Schmerz zufügen kann!“ Seine Stimme war laut geworden am Ende des Satzes, hatte ihm das letzte Wort fast ins Ohr gebrüllt. In Shinichis Kopf schien etwas zu explodieren, ließ ihn aufschreien. Er roch den kalten Rauch im Atem des Mannes, schauderte, bäumte sich auf, wollte weg hier, weg… Doch er konnte nicht. Und sie lachten ihn aus. „Ran Morî, also. Den Nachnamen herauszufinden war leicht, sie ging mit dir in eine Klasse, nicht wahr? Eine Sandkastenliebe, wie rührend. Dann sollten wir die junge Dame doch mal herholen… wer weiß, ob sie dich nochmal zum Lächeln bringen kann…!“ Shinichi versuchte, sich über die Lippen zu lecken, sich zu räuspern, versuchte krampfhaft, die Angst in seinen Gedanken zu bändigen. „Ich weiß nicht, wen…“, fing er schließlich an, seine Stimme zitternd und rau. Er wollte abstreiten, leugnen. Lügen. „Ach.“ Die Stimme kam näher. „Wage es ja nicht, es zu dementieren, Kudô, ich rate dir, mach nicht den Fehler… mich für blöd verkaufen zu wollen.“ Gefahr schwang in ihr mit. Shinichi schloss die Augen, verzog das Gesicht. Der Geruch des kalten Rauchs dieser widerlichen Zigaretten in seinem Atem biss ihn in der Nase. Er würde ihn nie vergessen. Sofern er überhaupt noch die Chance bekam, irgendetwas zu vergessen, jemals wieder. „Du bist sicherlich ein schlaues Bürschen, und als solches solltest du auch eines wissen…“ Shinichi öffnete den Mund, wollte etwas erwidern, ließ es, als die Stimme erneut an sein Ohr drang. „… nämlich, wann du verloren hast.“ „Nein…!“, stöhnte er heiser. „Nein! Sie hat… sie ist…“ Er verstummte, als jemand sein Kinn packte, mit einem Griff, der dem eines Schraubstocks gleichkam – rauchiger Atem streifte erneut sein Gesicht, drang an sein Ohr, leise, wispernd und doch schmerzend wie tausend Nadeln, bohrend. „Dann sag uns was wir wissen wollen – und es wird vorbei sein…“ Shinichi wollte sich aus dem Griff winden, schnappte nach Luft. „Nein…“ „Dann holen wir sie her… und du weißt, was wir dann machen, Detektiv…“ Shinichi keuchte. „Nein… lasst sie… in Ruhe…“ Er brachte die Worte kaum über die Lippen, seine Stimme hörte sich seltsam fremd an in seinen Ohren. „Dann sag uns, wo Sherry ist. Und wer hier drin ein Maulwurf ist. Wir wissen, es gibt sie… irgendwoher musst schließlich auch du deine Informationen haben, abgesehen von Akai und diesem alten Silberrücken vom FBI, und dieser Blondine mit dem Brillen-Tick…“ Shinichi starrte in die Lampe, merkte, wie sich um ihn alles drehte. „Nein…“ Er merkte, wie sein Kopf langsam wieder abschalten wollte. Es war zu viel heute gewesen. Zu viel. „Nein… hört auf – hört auf… Lasst sie in Ruhe… lasst… bitte…“ Er schüttelte den Kopf, langsam und mühevoll. Vor seinen Augen hob sich die Spritze. Sie lächelte, wie sie immer lächelte, als sie sah, mit welchem Blick er die Nadel mittlerweile ansah. Selbstverachtend und verlangend gleichermaßen. Er schnappte nach Luft, als es ihn überkam. Die Gier danach. Und in seinen Augen diese unausgesprochene, aber nicht minder drängende Bitte, ihn davor zu bewahren, was gleich kam. Diese Bilder abzustellen, es nicht soweit kommen zu lassen, dass er sich das wieder ansehen musste. Weil er wusste, dass das das einzige Mittel war, das ihn retten konnte, vor dem, gleich folgte – was dem Rausch immer folgte. „Du weißt, mit „Bitte“ kommst du hier nicht weiter, auch wenn ich es schätze, dass mein Gast endlich Manieren zeigt. Ich bezweifelte bereits, dass du welche hast.“ Dumpfes Gelächter schallte an sein Ohr. „Willst du es dir nicht überlegen, ob du nicht doch reden magst? Sicher nicht? Du ahnst, der Entzug diesmal wird grauenhaft sein… die Dosis war hoch.“ Fast ernsthaft besorgt hörte sich die Stimme des Bosses an – die Genugtuung konnte er jedoch nicht ganz aus ihr verbannen. „Sag uns, was wir wissen wollen. Und du bekommst es… du weißt, sie wird wieder da sein, sie wartet auf dich… und sie wird lächeln, für dich, deine Ran. Du magst es doch so, wenn sie lächelt…“ Gins dreckiges Lachen ertönte im Hintergrund, stach in seine Ohren. Shinichi verzog das Gesicht angeekelt, ertrug kaum, wie er über Ran sprach. Wie er über seine Gefühle für sie sprach. Und er fühlte zum ersten Mal etwas wie Angst, als er sich bewusst wurde, wie verletzbar er geworden war… wegen ihr. „Nun, wenn du nicht willst, dass sie nie wieder lächelt…“ Der Boss hielt inne, als er sah, wie sein Kopf wegknickte, er mit einem leisen Aufstöhnen die Augen halb schloss, als die ersten Lichter in seinem Kopf ausgingen. Er schloss sie nie ganz. Schließlich schlief er nicht. „…sagst du uns, was wir wissen wollen!“ Er griff nach seinem Kinn, starrte ihn wütend an – allerdings ahnte er, dass es bereits zu spät war. Und seine Vermutung wurde bestätigt. „It’s too late. You took too long.“ Sharons sachliche Stimme drang nur noch gedämpft an sein Ohr. „He’s almost gone. And you’ll be lucky enough, if he survives that overdose.“ Shinichis Augen starrten geradewegs in die Lampe, seine Pupillen weit, unfokussiert, unfähig, sich zu schließen, obgleich sie sie immer mehr blendete. „Holt sie mir. Bringt sie mir her. Wir werden ja sehen, ob er dann redet… wenn sie da ist…“ Damit beugte er sich über Shinichi, seine Lippen so dicht an seinem Ohr, dass er das geschmackvolle Aftershave, vermischt mit dem kalten Rauch teurer Zigarren riechen konnte – es stach so sehr in seine Nase, dass es ihn kurz klar werden ließ. „Wir werden ja sehen, ob du zusehen willst, ob du erleben willst, wie man ihr das antut, was du jetzt gleich sehen wirst, Kudô… es sei denn, du stirbst jetzt.“ Shinichi stöhnte auf, wollte schreien, sich freiwinden – und war doch zu keiner Regung fähig. Er bemerkte noch, wie Brandy sich aus seinem Blickfeld entfernte, zusammen mit der Injektion. Das letzte was er sah, war die Gestalt des Bosses, ein Katana in der Hand haltend, in der Tür – er stand im Gegenlicht wie der personifizierte Tod, ein schwarzer Schatten mit einer todbringenden Waffe. Und er fand sich, wie immer, in einer Welt jenseits des Untersuchungsraumes wieder. Die Luft war schwül, ein in der Ferne bereits grollendes Gewitter lag in der Luft, gab ihr fast ein Eigengewicht, das ihn niederpresste, auf seine Schultern drückte, ihm das Atmen schwer machte. Shinichi war gelaufen, raus aus dem Gebäude, ohne sich umzublicken, ohne zu wissen, wohin, einfach nur weg. Nun stand er um Atem ringend hier, und wunderte sich, dass sie doch so einfach hatten entkommen können– irgendetwas musste faul sein an der Sache, aber er wusste nicht, was. Egal, dachte er, Hauptsache schnell weg hier. Weg hier, und die Polizei einschalten. Und das FBI. Unruhig schaute er sich um, sah niemanden, wandte sich dann ihr zu, als er fühlte, wie ihre schlanken, kühlen Finger seine Hand kurz drückten, sacht. Ran sah ihn an, ebenfalls vom Laufen etwas außer Atem, in ihren Augen spiegelte sich der Mond. Er schaute sie an, unendlich erleichtert, mit ihr hier zu sein, sie rausgebracht zu haben aus diesem Loch, ohne dass ihr etwas passiert war. Nun musste er sie nur noch in Sicherheit bringen… Ran musterte ihn, ein Ausdruck von Sorge in ihrem Gesicht, fühlte sich von ihr fast wie durchleuchtet, wusste, sie suchte nach Anzeichen für das, was sie ihm angetan hatten. Er schüttelte den Kopf, schluckte hart, konnte sich ihrem Blick kaum entziehen. Dann riss ein weiterer Donnerschlag aus seiner Paralyse, ließ ihn sich hektisch umblicken. „Wir sollten weitergehen. Überhaupt, du solltest nicht hier sein, woher wusstest du überhaupt, dass ich…“ Sie sah ihn nur an, antwortete nicht, in ihren Augen, auf ihrem ganzen Gesicht ein Ausdruck unsäglicher Erleichterung. „Ich hatte Angst, sie sagten, wenn ich nicht mitkomme, dann…“ Sie schluckte schwer, griff sich an den Hals. Er sah, wie ihre Lippen bebten, wie sehr sie sich zusammennahm, um nicht einfach loszuheulen. Sie schmiegte sich an ihn, legte ihre Arme um seinen Rücken. Shinichi wand sich frei, vorsichtig, schüttelte den Kopf. „Aber du…, Ran, du bist doch wahnsinnig, wenn ich daran denke, was die dir hätten antun können. Ich… du sollest mich doch hassen, wenn du schon weißt, wer ich war… dass ich dich angelogen habe, so lange. Und sag mir nicht, dass du darunter nicht gelitten hast. Warum bringst du dich selbst in Gefahr, wegen mir? Ich…“ Sie schüttelte den Kopf. „Das ist jetzt nicht wichtig.“ „Aber…“ „Shinichi.“, fiel sie ihm erneut ins Wort, lächelte sanft, als sie das schlechte Gewissen, die Reue, auf seinem Gesicht sah. Shinichi seufzte, merkte, wie ihm unbehaglich wurde. „Du weißt, dass ich Conan war, ich…“ „Halt die Klappe, Shinichi.“, unterbrach ihn Ran einfach, hob die Hand, berührte seine Wangen vorsichtig mit ihren Fingerspitzen. Shinichi schluckte, spürte sein Herz bis zum Hals schlagen. Zögernd legte er seine Hände um seine Taille, spürte, wie sie ihm entgegenkam, ihren Körper gegen seinen lehnte, zog sie weiter an sich. Er seufzte leise, schaute sie an, sah ihr in die Augen und konnte seinen Blick unmöglich abwenden. Sie lächelte immer noch. „Du solltest mich wirklich hassen. Ich bin kein guter Umgang für dich, dein Vater hatte wohl doch Recht…“, begann er. „Idiot.“, murmelte sie leise. „Ich weiß doch, warum du das getan hast… warum du…“ Sie presste ihre Lippen zusammen, auf ihre Züge trat ein Ausdruck von Kummer und Sorge, als sie daran dachte, was er hatte durchmachen müssen. „Ich liebe dich.“, murmelte er leise. Seine Stimme klang heiser und rau, und er schämte sich fast, ihr dieses Geständnis nicht mit festeren Worten machen zu können. „Das weiß ich.“ Sie strich ihm über die Wange, lächelte ihn strahlend an. „Du sagtest es bereits, in London. Damals war ich etwas…“ „Überrascht?“ „Überfahren, wohl eher.“ Sie lachte leise. „Aber ich bin dir noch die Antwort schuldig…“ Er atmete leise aus, sagte nichts. „Ich… ich liebe dich auch, Shinichi Kudô. Ich liebe dich. Und ich nehm dich jetzt mit nach Hause… du kannst vergessen, dass…“, begann sie mit leiser Stimme. Doch diesen Satz sollte sie nicht beenden. Etwas überrascht hielt sie unwillkürlich den Atem an, als sie seine Lippen auf ihren spürte, merkte, wie ihr Herz auf einmal bis zum Hals schlug. Wohlige Wärme breitete sich von ihren Fingerspitzen in ihren ganzen Körper aus, als sie den Kuss erwiderte, die Nähe zu ihm in vollen Zügen genoss. Allerdings währte dieser Moment der Zweisamkeit nicht lange. Gelächter hallte von den Mauern der Häuser wieder. Ein eisiges, grausames Lachen. Und es verfehlte seine Wirkung nicht. Shinichi fuhr herum, sah ihn in der Gasse stehen und fühlte sich, als hätte jemand einen Eimer Eiswasser über ihm ausgeschüttet, ein eiskalter Schock, der ihn schlagartig in die Realität zurückkatapultierte. Erstarrt, zu keiner Bewegung fähig, blickte er ins Gegenlicht der Scheinwerfer eines schwarzen Porsches, wie ein Reh in der Nacht, das starr vor Schreck und Überraschung auf der Straße stehenbleibt und dem heranrasenden Wagen entgegenblickt, an seine Rettung vor dem unvermeidbaren Crash nicht eine Sekunde dachte. Shinichi starrte auf die schwarze Silhouette, die vom Scheinwerferlicht umstrahlt wurde wie eine himmlische Erscheinung – nur kam diese hier wohl eher aus der Hölle. Hinter ihr türmten sich die dunklen Gewitterwolken voller Unheil über Tokio auf. Strähnen seines hellen Haars leuchteten auf wie Spinnweben, als der Wind sie streifte, mit ihnen spielte. Gin. >Das hätte kein Hollywood-Regisseur besser inszenieren können…< Ran krallte ihre Finger in seine Hand; sie waren von einem Moment auf den anderen kalt und klamm geworden. Er zog sie hinter sich, versuchte, sie mit seinem Körper zu beschützen, überlegte fieberhaft. „Du musst versuchen wegzurennen, Ran. Ich werde versuchen, ihn zumindest ein wenig aufzuhalten.“ Sein gewisperter Vorschlag war kaum zu hören. Ran fixierte ihn mit aufgerissenen blauen Augen, unfähig zu sprechen, schüttelte aber entschlossen nur den Kopf. „Bitte!“ Er sah sie flehend an. „Nein! Ich lass dich nicht…“ Jegliche Fluchtpläne wurden im nächsten Moment allerdings ohnehin vereitelt. Gin trat näher, zog mit einer fließenden Bewegung seine Waffe. Ein silberner Lichtreflex hüpfte über die polierte Klinge des Katana, das er locker in seiner Hand hielt. >Die Waffe vom Boss? Warum…< Shinichi schluckte, erinnerte sich daran, das Samuraischwert bei seiner ersten und einzigen Begegnung nach seiner Ankunft im Büro des Bosses gesehen zu haben. >Warum hat Gin es?< „Du dachtest wohl, du kommst davon, Kudô?“ Shinichi sparte sich die Antwort; er überlegte, wie groß ihre Chancen waren, wenn sie einfach loslaufen würden; allerdings war er noch etwas angeschlagen, und Ran… Ran, das ahnte er, würde ihn nicht zurücklassen. Nicht noch einmal alleine weggehen. Shinichi kaute auf seiner Unterlippe, merkte, wie seine Kiefer vor Anspannung schmerzten, als Gin keine zwei Meter vor ihnen stehenblieb, versuchte, herauszufinden, wie der Mann seinen Angriff führen würde. Dem ersten Hieb wich er aus und stutzte; er hätte nicht gedacht, dass er auch nur den Hauch einer Chance hatte. Wie recht er damit gehabt hatte, bewies ihm der Tritt in die Magengegend, der ihn im nächsten Moment auf den Asphalt schickte; er prallte hart auf, schlug sich den Kopf am Boden an, sah kurz schwarze Kreise vor seinen Augen tanzen. Gin unterdessen wandte sich Ran zu, versuchte, sie zu fassen zu kriegen. Sie wich ihm aus, so gut sie konnte; zumindest war es das, was er mitbekam, solange sein Schädel noch benebelt war. Er wischte sich über die Augen, stemmte sich hoch, nahm all seinen Willen zusammen, sein Denken wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Gerade, als er sich dann soweit aufgerappelt hatte, passierte es. Gin schnappte nach ihrem Arm, bekam sie zu fassen und hielt sie fest wie die Kiefer einer Bärenfalle, als sie sich wand, nach ihm trat, um sich zu befreien. Shinichi, der bis eben noch überlegt hatte, wie er ihn angreifen sollte, um Ran zu helfen, hielt auf einmal völlig still. Seine Augen starrten auf das rasiermesserscharfe Schwert, das Gin in der Hand hielt, und auf Ran, die keine Chance hatte, sich loszureißen, so sehr sie sich auch wehrte. „Bitte… lass sie doch gehen…“ Seine Worte verhallten leise in der Dunkelheit. Gin sah ihn an, ein feines, triumphierendes Lächeln kroch auf seine Lippen, kräuselte seine Mundwinkel, ehe er lauthals zu lachen anfing. Rans Gesicht verzerrte sich vor Qual. Shinichi starrte sie an, schnappte nach Luft. >Ran…< Er hob sein Schwert, setzte es ihr zart an die Kehle; die scharfe Klinge ritzte einen feinen Strich in ihre Haut. Seine Augen wanderten zu Shinichi, der den kleinen Blutstropfen, der sich aus der feinen Wunde drückte, beobachtete, wie er ihren Hals entlang hinabperlte, in ihrem weißen Kragen versickerte und zu einer roten Blume erblühte. Gin lächelte immer noch. Endlich hatte er ihn da, wo er ihn schon so lange hatte haben wollen. In der Falle. „Na, wie fühlst du dich jetzt, Kudô? Hast du Angst?“ Shinichi antwortete nichts darauf. Er war blass geworden, bleicher als er es jemals gewesen war, und eine namenlose Kälte hatte von ihm Besitz ergriffen. Sein Herz raste, schlug unglaublich schmerzhaft gegen seinen Brustkorb, als sie ihn langsam übermannte, seine Gedanken vollends zum Stillstand brachten – diese unsägliche Angst um Rans Leben. Er wusste, dass Gin sie nicht gehen lassen würde. Unwillig blinzelte er, als seine Augen zu brennen anfingen, als er Ran ins Gesicht sah; Panik und Angst füllten ihre Augen. „Du hast uns lange genug zum Narren gehalten, es musste dir doch klar sein, dass du am Ende dafür bezahlst…“ Er lachte leise. Der Oberschüler biss sich auf die Lippen, schmeckte Blut. Gins Lächeln wurde noch einen Tick kälter. Alles was Shinichi sah, war ein silberner Blitz in der Dunkelheit, alles was er spürte, war namenlose Kälte, die ihn erfasste und mit sich riss, ihm jede Luft zum Atmen raubte, und alles was er hörte, war ihr Schrei. „Ran!“ Er hatte sie nie so schreien gehört. So markerschütternd, gellend, schmerzerfüllt schreien gehört. „Shinichi…!“ >Ran…< Er erwachte mit einem Schlag, war hochgefahren und gerade im Begriff von der Couch zu rutschen, als er sich abfing; sein Atem raste. Trocken versuchte er zu schlucken, als er sich über die Augen wischte, sie mit den Handballen massierte, bis schwarze Kreise in seinem Sehfeld tanzten. Sein Mobiltelefon brummte in seiner Sakkotasche, hatte ihn ganz offensichtlich aus dem Schlaf gerissen – wenn man von Schlaf überhaupt reden konnte. Erneut versuchte Shinichi zu schlucken; er konnte kaum eingenickt sein, und ein Blick auf die Uhranzeige seines Smartphones, ehe er den Anruf entgegen nahm, bestätigte ihm dies. Kaum eine halbe Stunde. Aber das reichte auch… Dann hob er ab – den Anrufer hatte er vom Display bereits ablesen können. „Shuichi.“, seufzte er ins Telefon. „Was gibt’s?“ „Müde?“ Akais Stimme klang wie immer höchst sachlich durch den Äther. Shinichi blinzelte, grinste dann säuerlich. „Könnte daran liegen, dass du mich geweckt hast – ich bin gerade auf dem Sofa eingenickt, nicht, dass…“ „Es mich etwas anginge.“ Der Agent lachte. „Ich bin gerade gelandet. Jodie kommt in etwa zwei Stunden an.“ „Ah.“ Shinichi setzte sich ein wenig weiter auf, fuhr sich durch die Haare. „Also soll ich dich und sie jetzt abholen, in euer Hotel fahren und auf den neuesten Stand bringen.“ „Ich bitte darum.“ Shinichi seufzte, ließ den Kopf in den Nacken sinken, bewegte seine Schultern in kreisenden Bewegungen. Die Muskulatur schmerzte ein wenig, fühlte sich verspannt an. „Also schön. Aber dir muss klar sein, dass das jetzt ein wenig dauert. Ich fahr gut ne Stunde raus nach Heathrow. Ich nehme an, von dort rufst du an?“ „Exakt.“ Shinichi stand auf, langsam. „Dann such dir mal besser ein Café, wo du warten kannst. Ich ruf an, wenn ich am Flughafen bin. Das Hotel hab ich dir schon gebucht, du wohnst, wie du dir denken kannst, im selben wie Shiho und die anderen. Im Zimmer nebenan, ließ sich… einrichten, netterweise.“ Er konnte Akais grinsen fast hören. „Scotland Yard macht’s möglich?“ Shinichi lächelte dünn, sparte sich die Antwort. „Bis später.“ Er tippte auf das Display, würgte damit den FBI-Agenten ab, steckte das Handy nachdenklich zurück in seine Sakkotasche. Zu behaupten, er würde sich darüber freuen, jetzt nochmal Stunden im Auto zu verbringen, wäre gelogen – dennoch erleichterte ihn die Ankunft der Agents, das musste er zugeben. Ein weiteres Paar Augen, das ihm die Arbeit ein wenig abnehmen konnte. Dann hielt er inne. Er spürte sein Herz immer noch bis zum Hals schlagen. Das war er gewesen – der Alptraum, der zur Wirklichkeit geworden war. Er fragte sich, woher das alles kam, nicht zum ersten Mal; vor ein paar Stunden erst der Flashback im Loft, nun das Déjà-vu dieses Alptraums, die Träume all die Nächte vorher, es war fast, als ob… Nein, ausgeschlossen. Woher denn… Er bog kurz bevor er die Wohnung verließ ins Badezimmer ab, klatschte sich eine Ladung eiskalten Wassers ins Gesicht, um wach zu werden. Die Szene mit Gin und Rans Foto kam doch ganz klar von dem Bild und dem Loft… ich meine, so nah war ich Gin schon lange nicht mehr, und dann muss ich fürchten, dass Ran etwas zustößt, da… kann das Kopfkino wohl angehen. Und daraus resultiert wohl auch der Traum gerade eben. Es ist einfach… die Vergangenheit holt mich ein. Das ist es. Die Erinnerungen kommen hoch, eine nach der anderen, manche mit, andere ohne Vorwarnung, aber es sollte mich nicht wundern. Und es sind nur Träume. Das alles ist nicht echt und noch dazu längst vergangen. Er blickte in sein Spiegelbild. Vorbei. Nun denn. Shinichi griff nach seinem Schlüsselbund, verließ seine Wohnung. In seinem Kopf spukte immer noch sein Lachen – und in dieses Lachen mischte sich James‘ Stimme von heute Nachmittag. Was ist, wenn er noch da ist… Langsam stieg er die Treppen hinab. Kann das möglich sein? Ich hab ihn doch gesehen. Mitten in den Flammen. Aber auch da trug er seine Maske, das weiß ich… ich wollte sie ihm doch vom Gesicht reißen, ich wollte wissen, wer der Mann war, der mir das angetan hat, der Tokio das angetan hat… Der es geschafft hat, eine solche Organisation aufzubauen… Ich wollte es wissen. Aber dann explodierte alles, das Feuer kam zu schnell. Und ich bekam Angst um Ran. Er drückte sich gegen die Haustür, stolperte hinaus in die Nachtluft, atmete tief ein. Die Feuersbrunst, die Hitze der Explosion würde er nie vergessen. Es hatte sich angefühlt, als würde die Luft brennen, als reiche sie allein aus, um ihn anzusengen, ihn in Flammen aufgehen zu lassen. Die Nachtluft strich kühl über sein Gesicht, wusch den Gedanken fort. Wer immer das war, ist verbrannt. Ganz sicher. Aber ob er es war…? Langsam trat er auf den Gehsteig, setzte sich in seinen Wagen, fuhr los, bemühte sich, all diese Gedanken zu vertreiben, als er sein Auto auf die Straße lenkte. Der Verkehr hatte sich schon etwas beruhigt, man sprach schon von Off-peak – die Rushhour war einigermaßen vorbei. Ruhig lenkte er sein Fahrzeug durch die Stadt, konzentrierte sich auf den Verkehr und fing an, wider Erwarten, es zu genießen, seinen Kopf dadurch zu leeren. Diese Träume machten ihn fertig, langsam, fast noch mehr, als es sein Wachzustand machte, jeden Tag. Ich hätte zu gern einen echten Beweis… Dass sie hier sind. Dass sie dahinterstecken. Aber noch… Sie lassen einfach nichts übrig. Sie machen keine Fehler. Und Brady wird nichts sagen, selbst wenn wir ihn finden, weil er Angst hat um Meredith, und… … ich kann das verstehen. Er schluckte, dachte an Ran, die wahrscheinlich im Bett lag und schlief. Oder nicht schlafen konnte, einmal mehr, wegen ihm. Shinichi wusste, ihre Argumente waren nicht von der Hand zu weisen, und er wusste auch, er tat ihr verdammt unrecht. Allerdings kam er gegen die Angst diesmal einfach nicht an. Ihm war klar, dass ein Leben mit ihm wohl immer ein wenig gefährlich sein würde für sie. Als Polizist machte man sich immer Feinde, und damit musste man klarkommen. Allerdings – fast jeder Polizist hatte Familie und Freunde, und fast immer ging es gut. In der Regel kam keiner zu schaden. Allerdings… Bei dir ist das schon passiert. Jemand kam zu schaden. Jemand hätte sterben sollen. Du bist ein gebranntes Kind, Kudô. Deshalb gehst du kein Risiko mehr ein, weil du gemerkt hast, wie schlimm das ist, wie weh das tut, was das aus dir macht. Du bist ein Feigling, Kudô. Du tust das nicht nur wegen ihr, sondern auch wegen dir. Vor allem wegen dir… Weil du ihn nie wieder spüren willst, diesen Schmerz. Weil du weißt, dass du diese Schuld nicht ertragen kannst. Ist das nun einfach nur menschlich, oder schon schwach? Der Flughafen war immer noch voll. Wahrscheinlich, dachte Shinichi bei sich, gab es auch gar keinen Zeitpunkt am Tag, an dem es in Heathrow nicht zuging wie im sprichwörtlichen Bienenstock. Flugzeuge landeten und flogen ab, wurden be- oder entladen. Passagiere kamen an oder verließen die großen Hallen, strömten in den Gängen zwischen den Terminals hin und her, kauften ein in Duty-Free Shops, ließen sich durch all die Kontrollen schleusen, oder saßen irgendwo in einem der vielen, überfüllten Cafés und tranken eines der zuckersüßen, mit hippen Namen betitelten Getränke, vorzugsweise einen Frappu-, Cappu- oder Schokoccino und plauderten, passten dabei mehr oder weniger gut auf ihr Gepäck und ihre Kinder auf. Oder man saß still für sich in einer Ecke und schockierte die Bedienung damit, einfach einen schwarzen Kaffee zu bestellen, so wie er. Shinichi musste nicht lange suchen, um ihn in der Menge zu finden, nachdem er ihm den Namen des Cafés genannt hatte – und er ließ es sich nicht nehmen, mit dem zweiten schwarzen Kaffee die Bedienung restlos vom Hocker zu hauen. Nun saßen sie sich also gegenüber, zwei Gestalten im Anzug über ihren Kaffeebechern hängend und schwiegen sich fürs Erste an. Und natürlich war es nicht Akai, der anfing zu reden. Shinichi warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. „Wie war dein Flug?“, begann er schließlich. Akai schaute auf, fing dann an zu lachen, kurz. „Was – wir haben uns fünf Jahre nicht gesehen und du fängst an, Smalltalk zu machen?“ Shinichi lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste kurz. „Scheint so.“ Er machte eine kurze Pause. „Ich wollte wohl mit der Tür nicht ins Haus fallen. Und ich bin wohl tatsächlich etwas müde. Wie du dir vorstellen kannst…“ „Ist in deinem Leben momentan die Hölle los. Oh ja. Ich kann mir das gut vorstellen. Das hier war im Übrigen eine gute Hilfe dabei, meiner Vorstellungskraft auf die Sprünge zu helfen.“ Akai griff neben sich, ließ dann eine zerfledderte Zeitung auf den Tisch zwischen ihnen fallen. Auf der Titelseite prangte ein Archivbild seiner selbst, darunter der Titel. THE ARTIST’S SECOND STRIKE – AND NO NEWS FROM SHERLOCK HOLMES With a whole day delay we are able to present you with the latest developments concerning the case that is shaking the whole city of London – the Artist has presented us with his new victim, the day before yesterday. Erin Shaughnessy was a promising young girl, a natural beauty – though we were not admitted to have a look for ourselves at the crime scene, the pictures provided by the Scotland Yard press departure still show her stunning features, as does the picture, that has been found at her side in the Champaign gondola of the London Eye. We know that she was the fiancée of a handsome young man named Cedric Bakersfield, currently under psychological treatment as he seemed to have tried to commit suicide when learning of the death of his beloved one. She was stabbed, that is all that we know. New Scotland Yard hardly is giving any news to us – and no news at all can be gained from the leading investigator, SI Shinichi Kudô, better known to us all as Sherlock Holmes. Though our reporter met him at the crime scene, he did neither give nor confirm any information concerning the possible culprit. We are not sure, of course, but the goings-on in New Scotland Yard seem to be dubious; they never showed themselves very open towards the media, but they have never been so tight-lipped before. One might guess, they have something to hide themselves; and if we have a closer look at our dearest Sherlock, we might have found the reason for this lack of information provided to the press. He seems not only to be bothered with his own private life more that should be acceptable concerning his position as leading inspector (we have reported on this), but perhaps there is still more about this young man that we know. We have learned some days ago that he is into major crime investigation since the tender age of fifteen – now further digging has brought up the most interesting topic. He has, indeed, at the age of nineteen taken on the challenge of defeating Japans most frightening and biggest crime organization – the so-called Black Organization. He therefore has let himself been caught – one does not need much fantasy to imagine what could have happened to a young man in the hands of his arch-enemy within ten days he spent there as a hostage. Nobody knows what they have done to him there – he never told anyone who would say a word to the press – but…” Shinichi stöhnte auf, schob die Zeitung von sich und ersparte es sich, sich weitere Spekulationen über seinen desolaten Geisteszustand nach zehn Tagen Geiselhaft in der Organisation zu Gemüte zu führen. „Da scheint eine Reporterin ja einen mächtigen Narren an dir gefressen zu haben…“, grinste Akai. „Die ist nur beleidigt.“ Shinichi seufzte, massierte sich die Schläfen. „Sie käut nur wieder, was ganz Japan schon seit Jahren weiß. Aber für Großbritannien ist das alles neu und aufregend und sie kennen mich nicht – ich bin Ausländer, das scheint ihnen jetzt erst aufzufallen…“, er grinste spöttisch, „… und da der Fall so schleppend läuft und wir jetzt schon zwei Morde haben, beziehungsweise drei, das weiß die Öffentlichkeit nur noch nicht… brauchen sie jetzt einen Sündenbock, beziehungsweise die Zeitung eine Story. Und, was soll ich sagen – ich hab schon immer Stoff für gute Stories abgeben.“ Er ließ sein Gesicht in seine Hände sinken, seufzte leise. „Und was denkst du?“ Akai lehnte sich zurück, sah ihn nachdenklich an. „Ich weiß nicht. Ich habe eine Ahnung, natürlich, sonst hätte ich dich nicht angerufen.“ Shinichi zog den Umschlag aus seiner Sakkoinnentasche, schob ihn über den kleinen Kaffeetisch, ehe er seine Tasse an die Lippen setzte um einen Schluck zu trinken. Akai öffnete ihn; sein Blick blieb ausdruckslos wie eh und je, einzig ein schmales Lächeln zog einen seiner Mundwinkel nach oben. Shinichi sah ihn an, seufzte. „Das ist eigentlich ganz typisch für ihn.“, meinte der Agent schließlich, reichte Shinichi das Bild und den Umschlag, nachdem er es ausreichend betrachtet hatte. „Das schon, ja. Aber ein Haar am Kleid der ersten Leiche, das zu Gin passt? Ein Kleid, auf das Gin gegossen wurde, sodass es danach riecht? Das ist eigentlich schon wieder eher die Art von Vorschlaghammer, die…“ „… eher unüblich ist für sie. Besonders der Gin, allerdings.“ Akai nickte nachdenklich, das schmale Grinsen immer noch auf den Lippen. „Also ein Trittbrettfahrer?“ Shinichi lachte hohl. „Ja, aber wer? Die Geschichte über die Organisation ist nachzulesen, aber weiß jemand, wie Gin aussieht? Außer uns, meine ich?“ Der Agent wiegte seinen Kopf nachdenklich. „Eher unwahrscheinlich. Also ein niedriges, eher in groben Rastern denkendes Mitglied, das jetzt Rache üben will oder als Vorhut geschickt wurde… oder aber Gin benutzt bewusst eine ein wenig deutlichere Sprache, um dich…“ „Zu verunsichern? Zu verhöhnen? Zu…“ „Von allem ein wenig.“ Akai seufzte. „Oder aber das ist ein irrer Zufall, und das alles das Werk eines Neiders, Stalkers, was auch immer – das Foto von Ran könnte darin begründet sein, dass man jetzt deine Vergangenheit ausgräbt und er oder sie deine Schwachstelle sucht und sie hier gefunden zu haben glaubt. Schwarz ist in westlichen Kulturkreisen die Farbe des Todes. Gin ist in London kein unübliches Getränk, und der Mann oder die Frau könnte sich beim Verüben der Tat Mut angetrunken haben und den Rest verschüttet; Blond ist…“ „… keine unübliche Haarfarbe, ich weiß, ich weiß, ich weiß…!“ Shinichi winkte ungeduldig ab. „Aber solang es möglich ist, und dass es möglich ist, weiß ich von James, muss ich sie mit auf dem Plan haben…“ „Solltest du auch.“ Akai nickte langsam. Dann hob er den Kopf, als er in der Menge ein bekanntes Gesicht erblickte. Shinichi folgte seinem Blick, dann hob er die Hand, um ihr zu signalisieren, wo sie saßen – und Jodie Starlings Gesicht erhellte sich, als sie ihn sitzen sah. Sie zog ihren Koffer eilig durch die Menge der Reisenden, nicht darauf achtend, wie vielen Leuten sie ihn über die Zehen schleifte, und zog Shinichi, der, um sie zu begrüßen aufgestanden war, kurzerhand an sich, drückte ihn fest. „Oh, cool guy!“ Sie schob ihn etwas von sich, bemerkte den verlegenen Ausdruck ob so viel unverhofften Körperkontakts und lachte laut. „Oh, won’t you, silly boy! It’s so good to see you!” Sie seufzte laut, musterte ihn, kam nicht umhin, etwas wie Sorge zu verspüren, als sie in sein müdes Gesicht blickte. „It really is.“ Er lächelte kurz, nahm ihr den Koffer ab, stellte ihn beiseite und zog ihr einen Stuhl zurecht. „Da haben Sie Recht, Jodie, es… tut wirklich gut, Sie zu sehen.“ Er strich sich über die Stirn, nahm nun selber wieder Platz. „Das hättest du auch früher haben können, dummer Junge. Du weißt, dass wir jederzeit…“ „Und Sie wissen auch, warum ich mich nicht gemeldet habe. Ich wollte nicht mehr daran erinnert werden. Nichts mehr damit zu tun haben. Ich weiß nicht, ob Sie wussten, dass ich…“ Er brach ab. Jodie wechselte einen kurzen Blick mit Akai. „Er wusste nicht, dass Ran die Attacke überlebt hatte. Und jetzt schau mich nicht so an, Jodie, du weißt, ich hätte es ihm gesagt, hätte ich gewusst, dass er das nicht mitbekommen hat.“ Akai warf ihr einen nüchternen Blick zu. „Mittlerweile sind die Fakten wieder gerade gerückt und Ran ist auch hier, und das ist wohl mit ein Grund, warum ein gewisser Jemand noch weniger schläft als wohl sonst schon.“ Jodie starrte ihn an, seufzte bedrückt; sie sparte sich, nachzufragen, warum er die Wahrheit so lange nicht gekannt hatte. Sie konnte es sich denken – sie hatte einen ähnlichen Fall schon einmal erlebt, damals, als… Kurz, ganz kurz, huschte ihr Blick zu Shuichi. Auch er war verschwunden, hinterher, hatte mit keinem mehr darüber geredet und als er wiedergekommen war, war er ein anderer gewesen, in vielerlei Hinsicht. Shinichi jedoch hatte es auf die Spitze getrieben. „She won’t be hurt again, I promise.“ Shinichi lächelte sie an, matt. „Of course, she won’t.“ Er drückte die Schultern nach hinten, streckte kurz seinen Nacken, atmete tief durch. „Jodie, darf ich Sie bitten, sich alles Weitere von Shuichi erklären zu lassen? Wir haben noch eine Stunde Rückfahrt vor uns, und wie Sie sich wohl denken können… wird der Tag morgen die Hölle. Wir haben mittlerweile das ehemalige Hauptquartier unseres Mörders, mutmaßlich Gin, gefunden, und damit den Tatort… und ich fürchte, morgen werden wir die dazu passende Leiche bekommen, und das alles… wird sehr unangenehm werden.“ Shinichi stand auf, langsam, sich der fragenden Blicke Jodies und Akais bewusst. „Mein Boss glaubt, ein gewisser Eduard Brady wäre der Mörder. Nun. Ich hab besagten Eduard Brady gestern verhört und nicht in Untersuchungshaft genommen, ich denke, den Rest können Sie sich jetzt denken – die Mühlen mahlen hier diesbezüglich nicht anders als beim FBI.“ Er schob den Stuhl unter den Tisch, griff nach Jodies Koffer, versicherte sich, dass die beiden ihm folgten und verließ den Flughafen, um die Agents in ihrem Hotel abzuliefern. Es war nach Mitternacht, als sie im Hotel ankamen, und er ahnte, sie alle schliefen bereits; dennoch wollte er Heiji, Kogorô und die Mädels noch darüber informieren, dass die Verstärkung nun eingetroffen war. Jodie und Shuichi standen hinter ihm, als er der Tür zu Rans Hotelzimmer klopfte; seine Finger waren schweißnass, und er fragte sich gerade, warum es ihn so aufregte, so nervös machte, hier zu sein, als die Tür aufging. Ihm entgegen blickte eine ziemlich genervt blickende Sonoko im rosa Rüschenpyjama, die kurz davor schien, ihm an die Gurgel zu springen; und auch wenn er nahelag, sie in diesem pinken Kleinemädchentraum gesehen zu haben war wohl nicht Grund eins auf ihrer Liste, ihm den Hals um zudrehen. „Du hast Nerven, dass du dich traust hier aufzukreuzen, Kudô, nachdem was du heute abgezogen hast?! Und um diese Uhrzeit! Ich hoffe, du hast eine gute Entschuldigung parat, sonst…“ „Sonoko.“ Ran erschien hinter ihr, schaute ihn wach an. Shinichi schluckte, merkte, wie trocken seine Kehle auf einmal geworden war. Ran trug ein kurzärmeliges, rotes Nachthemd, schaute ihn mit zerzausten Haaren aus etwas verquollenen Augen an. Sie sah so ungeheuer verletzlich aus in diesem Moment. Dass sie verletzt worden war, sah man ihr immer noch an. „Hör auf, ich denke…“, begann sie dennoch mit ruhiger, verständnisvoller Stimme; und hielt inne, als sie die beiden FBI Agenten hinter Shinichi auftauchen sah, griff sich unwillkürlich die Decke vom Bett, hielt sie vor ihren Körper und merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Shinichi schluckte, merkte, wie in ihm ein leises Schuldgefühl seine winzigen Nadeln in den Bereich piekte, an dem sein Gewissen saß. Er hätte sich denken können, dass sie alle schon schliefen, und er wusste, dass es Ran nicht angenehm war, von anderen so gesehen zu werden. „Ich… bin nur hier, um euch mitzuteilen, dass… die Agents Akai und Starling vom FBI eingetroffen sind.“ Er räusperte sich, als er sich bewusst wurde, dass seine Stimme zu bröckeln drohte. „Sie… werden auf euch aufpassen, also macht es ihnen nicht schwerer als nötig, bleibt zusammen und tut bitte, was sie sagen.“ Shinichi fand nicht den Mut, ihr ins Gesicht zu schauen. „Gu- Gute Nacht und entschuldigt die Störung. Bitte.“ Damit schloss er die Tür, sich Rans drängnedem Blick wohl bewusst, stöhnte lautlos auf, als er das Türschloss klicken hörte. Den Blick Jodies ignorierend ging er eine Tür weiter, klopfte auch hier, hoffte, dass er nicht wieder wen aus dem Schlaf riss – es war Heiji, der ihm hier öffnete. „Hey, Kudô, was –… ah.“ Er hob die Augenbraue, winkte kurz. „Alles klar. Wir sehn uns morgen?“ „So sieht’s aus.“ Shinichi seufzte leise. „Gute Nacht.“ Damit wandte er sich den beiden Agents zu. „Ihre Zimmer sind jeweils rechts und links von diesen beiden Räumen. Ich denke, Sie machen das unter sich aus.“ Er wischte sich über die Augen, gähnte unterdrückt. „Wenn es nun in Ordnung wäre…“ „… go to bed. Sleep well, Shinichi, we’ll get into touch tomorrow.“ Jodie lächelte ihn an – er versuchte, es zu erwidern, etwas schief zwar, aber immerhin, ein kleines Grinsen huschte über seine Lippen. Dann hob er die Hand zum Gruß, drehte sich um und verließ das Gebäude ohne ein weiteres Wort. Es wurde Zeit, dass er ins Bett kam.   _____________________________________________________________________________________________________ Ja, Leute... ich weiß, diesmal hat's über Gebühr lange gedauert, und ich entschuldige mich vielmals, gerade, da ich ja auch nicht immer den Mund halte, wenn mir von eurer Seite mal wieder das Feedback fehlt ;///) Bitte verzeiht also; als Entschädigung gibt's nach diesem Kapitel hier gleich das nächste! Ich hoffe, ihr habt Freue daran - FROHE WEIHNACHTEN!!! Eure Leira :) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)