Dunkler als schwarz von Leira (Shinichi x Ran) ================================================================================ Kapitel 15: Konfrontiert ------------------------ KAPITEL 15 – KONFRONTIERT Er war fertig mit der Welt, als er endlich vor seiner Wohnung ankam, freute sich auf seine Couch, auf die er sich einfach nur fallen lassen wollte, den Kopf endlich ausschalten, diesen Tag ad acta legen, zumindest bis zum Morgen. Er hatte Heiji abgeschüttelt und war Jenna losgeworden, hatte sich noch kurz das neue Gemälde in der Autopsie angesehen, das nun neben dem von Ayako hing - und wollte nun einfach seinen Kopf ausknipsen, bis morgen früh, es zumindest versuchen – bis er sich auseinandersetzen musste mit der Wahrscheinlichkeit, dass die Schwarze Organisation ihm nun tatsächlich wieder auf der Spur war. Ein Schauer von Angst und Aufregung gleichermaßen rieselte ihm über den Rücken. Was wäre, wenn das nun alles ein Ende fände. Allerdings… Er schluckte hart. Ran ist hier. Und wenn sie auch hier sind… Dann… Nein. Nein! Er schüttelte den Kopf. Beruhige dich. Du hast noch keine Beweise, nicht einmal einen wirklich stichhaltigen Hinweis, außer die Geister, die du ständig siehst… Auch wenn du glauben willst, dass sie es sind. Weil du es satt hast, sind wir ehrlich, Kudô… es geht schon viel zu lange so, und stell dir nur mal vor… Du hättest vielleicht eine echte Chance, auf eine Zukunft, jetzt, da… Aber du willst sie nicht besiegen um den Preis, den du das letzte mal fast bezahlt hättest. Was also nun? Abwarten, Augen und Ohren offen halten, mehr kannst du nicht tun… vorerst. Umständlich sperrte er die Tür auf, stieß sie auf – und ihm blieb ihm das Herz stehen, für einen Moment. Auf der Couch saßen seine Eltern. Und sie schauten ihn an – zwei Paar blaue Augen, den seinen nicht unähnlich, unverwandt auf ihn gerichtet, und schienen zu versuchen ihn zu durchleuchten wie ein Röntgengerät einen gebrochenen Arm. Er wurde blass, merkte förmlich, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich – um in der Folge vermehrt wieder genau dahin zu strömen. Shinichi atmete aus, laut, schnaubend, drehte sich um, ohne die Tür aus der Hand zu lassen. „Mrs HUDSON!!!“ Ungehalten schallte seine Stimme durchs Treppenhaus. Er atmete ein weiteres Mal gepresst aus. Unten hörte man eine Tür aufgehen, dann waren die eiligen Schritte einer älteren Dame, die die Treppe rauftrippelte, zu vernehmen. Schließlich erschien sie, nur ein wenig außer Puste, in der Tür – eine in wolligen Tweed gekleidete, runzelige Gestalt, vom Alter gebeugt und mit schlohweißem Haar, ihre klaren blauen Augen voll mildem Erstaunen auf ihren Untermieter gerichtet. „Yes, Sherlock, darling? You don’t have to shout that loud, I’m old, but not deaf, you know…“ Der Singsang ihrer Stimme brachte ihn fast noch mehr auf die Palme. Er strich sich mit einer Hand über die Augen, versuchte, sich zu beruhigen. „Mrs. Hudson.“, begann er dann langsam, und merklich leiser. „Would you please explain this…?“ Er unterstrich seine Frage mit einer bezeichnenden Geste zum Sofa hin. Sie schien ein kleines Bisschen überrascht ob seiner Erregtheit. „Well, they said, they were your parents, so I let them in.“ Shinichi zog die Augenbrauen hoch. „Oh. Of course. That explains everything.” Yusaku Kudô beobachtete seinen Sohn mit ernstem Blick. Man musste kein Detektiv sein um herauszufinden, dass ihr Besuch Shinichi nicht eben willkommen war. Und so, wie er aussah, ahnte Yusaku auch, warum. Er sah abgehetzt und erschöft aus, und er mochte diesen Anblick bei seinem Sohn nicht – denn bis zu der Sache mit Conan war Shinichi das nie gewesen. Was auch immer das Leben ihm als Herausforderung gestellt hatte, er hatte es mit Links bewältigt, war immer im Reinen mit sich, zufrieden mit seinem Leben gewesen. Vielleicht zu zufrieden. Dieses Blatt hatte sich gewendet. Die Brocken, die ihm sein Schicksal mittlerweile zwischen die Beine warf, um zu sehen, wann er stolpern und fallen würde, waren bei weitem größer. Vielleicht waren sie zu groß. Es will nicht aufhören, nicht wahr, Shinichi… Dieses Leben will dich keine Minute in Ruhe lassen. Die Stimme seines Sohns riss ihn aus seinen Gedanken. “Great to know that you’re letting anybody maintaining to be related to me in my apartment. For anything you know, they could be murderers.” “Oh, come on, Sherlock, you don’t have to be a detective to see that this man looks very much like you, so he must be your father. Anyway, do these people look like killers?” “Most killers do not look like…”, er suchte sichtlich nach Worten, verdrehte ungeduldig die Augen, schüttelte dann den Kopf, kapitulierend, „whatever a killer should look like in your imagination, Mrs Hudson. There is no scheme, and there exists no factory, where they are produced in masses and series, you know...” Shinichis Stimme klang immer noch schneidend scharf; dann atmete er aus, gepresst. “Mrs Hudson, could we agree on that you don’t let anybody unknown to you into my apartment? Never again?” “Of course.” “Thank you.” Shinichi seufzte resigniert, strich sich ein weiteres Mal mit seiner rechten Hand über die Augen, ließ sie kurz an seiner Nasenwurzel verweilen, massierte sie sacht mit Daumen und Mittelfinger um das leise Pochen, das in seinem Kopf dumpf zu hämmern anfangen wollte, im Zaum zu halten. „But they are your parents…?“, hakte sie nach, als sie sich zum Gehen wandte. „Unfortunately, they are. Have a nice day, Mrs Hudson.“ Shinichi schloss die Tür hinter ihr. „Unglücklicherweise?“ Yusaku hob eine Augenbraue, runzelte seine Stirn missbilligend. Shinichi zeigte sich unbeeindruckt. „Ihr kommt nicht unbedingt gelegen, muss ich sagen. Leider.“ Shinichi lehnte sich gegen das Türblatt, langsam, atmete aus. „Was wollt ihr hier? Und warum könnt ihr euch nicht ankündigen?“ Yusaku stand auf, trat einen Schritt näher. „Ja, Sohnemann, wir freuen uns auch, dich zu sehen. Danke, der Flug war angenehm. Und nein, keine Sorge, der Weg hierher war kein Problem, wir haben ein Taxi genommen, wenn wir auch ein wenig im Stau…“ Shinichi seufzte, starrte kurz an die Decke. „Danke, hör auf, ja, ich hab verstanden. Herzlich willkommen, schön euch zu sehen. Und nun - Was. Wollt. Ihr. Hier?“ „Uns überzeugen, dass es dir gut geht. Was offensichtlich nicht der Fall ist, Sohnemann.“ Yusaku hatte seinen Tonfall nicht im Geringsten geändert – der Blick aus seinen Augen ließ seine Missbilligung jedoch nur allzu deutlich erkennen. Shinichi verzog das Gesicht unwillkürlich, versuchte abzuwiegeln. „Ich bin im Stress, das ist alles. Das ist mein erster Fall als Superintendent, ich will…“, begann er; weiter kam er allerdings nicht. Yusaku schnitt ihm mit einer energischen Geste das Wort ab. „Womit wir beim Punkt wären, Superintendent… wann wolltest du uns denn sagen, dass man dich befördert hat?“ Er blickte seinen Sohn fragend an; sein Blick war stechend scharf. „Lass mich raten, du hast es vergessen. Genauso wie du offensichtlich vergisst, zu essen. Oder zu schlafen. Shinichi…“ Shinichi fühlte sich ertappt, allerdings nur kurz – er blickte seinen Vater kalkulierend an, dann schweifte sein Blick zu seiner Mutter. „Ihr wart also so frei, meinen Kühlschrank und mein Schlafzimmer zu durchsuchen, nicht unbedingt die feine englische Art, um im Kulturkreis zu bleiben, aber nachvollziehbar, wenn ihr herausfinden wolltet, was ich so mache. Das mit dem Essen kann ich ja nachvollziehen, aber der Schlaf?“ „Dein Wecker ist auf halb sechs Uhr früh gestellt.“ Ein leises Stöhnen entwich seinen Lippen. „Na und? Ja, ich schlafe schlecht, auch das ist nichts Neues für euch, warum soll ich wach im Bett liegen und die Decke anstarren?!“ Yukiko seufzte lautlos. Sie hatte ihren Sohn genau beobachtet – und im Prinzip sah er genauso aus, wie sie erwartet hatte. Durchaus gepflegt, aber einen Tick zu hager; blass, abgearbeitet, gestresst. Und aufgewühlt. Das konnte eigentlich nur eines heißen. „Du weißt es.“ Shinichi zuckte bei den Worten seiner Mutter merklich zusammen. Langsam trat er in den Raum, sank er auf die Tischkante, starrte zu Boden. Er wusste sofort, worauf sie anspielte – ein Abstreiten war sinnlos. Und auch gar nicht intendiert, eigentlich hatte er es ihnen ja selber sagen wollen. „Heiji ist der Verbindungsmann aus Japan, er ist gestern angekommen. Nun, was soll ich sagen – er hat mich über meinen Irrtum aufgeklärt.“ Seine Stimme klang seltsam rau – dann hob sich sein Blick, in seinen Augen ein fragender Ausdruck. „Woher wisst ihr es? Ich wollte euch gestern anrufen, aber ihr gingt nicht ans Telefon. Was sich ja mittlerweile selbst erklärt…“ Er gestikulierte ziellos in der Luft, seufzte. Yukiko sah ihn mitfühlend an, ging nicht auf seine Frage ein. „Sie ist auch hier.“ „Auch das weiß ich schon.“ Er hörte auf, mit den Händen in der Luft zu arbeiten und steckte sie in seine Hosentaschen, zog seine Unterlippe zwischen seine Zähne, blickte zur Seite. „Also habt ihr sie getroffen?“ „Hast du mit ihr geredet?“ Yusakus Augenbrauen rutschten fragend nach oben, ging nicht auf seine Frage ein. Ran hatte mit keiner Silbe erwähnt, dass sie sich schon gesehen hatten. „Nein!“ Shinichi schüttelte den Kopf, heftig. „Heiji und ich waren auf dem Weg zum Tatort, wir trafen sie auf der Westminster Bridge, zusammen mit den anderen, Kazuha, Shiho und Sonoko. Ich habe nicht mit ihr geredet… nicht über… das. Ich… wollte nicht mit ihr reden. Ich werds auch nicht tun. Ich hab ihr nahegelegt, London zu verlassen, hier läuft ein Mörder rum, der ein Auge auf junge Frauen geworfen hat, und in dessen Zielgruppe sie leider perfekt passen. Davon abgesehen aber… denke ich wirklich, sie ist besser dran ohne mich. Ihr auch. Nach allem was war und immer noch ist, ist wohl jeder besser dran ohne mich.“ Er stand auf, langsam, ging zur Tür, öffnete sie. „So, ihr habt mich jetzt gesehen, ihr seht, ich lebe noch – also, wenn ihr jetzt gehen würdet? Ich würde gern…“ Yusaku schaute seinen Sohn streng an. „Du wirfst uns raus?“ „Nein.“ Shinichi schüttelte müde den Kopf. „Ich bitte euch, zu gehen. Jetzt. Ich nehme an, ihr seid noch etwas länger in der Stadt, vielleicht können wir uns unterhalten, wenn es etwas ruhiger ist, am Besten dann, wenn der Fall vorbei und gelöst ist. Für heute will ich für meinen Teil einfach nur meine Ruhe haben. Der morgige Tag dürfte anstrengend genug sein, auch ohne…“ Er seufzte, schüttelte den Kopf, als er den unglücklichen Ausdruck auf dem Gesicht seiner Mutter sah. Hilflos sah er sie an, wusste er doch, was sie wünschte. „Bitte. Mischt euch nicht ein.“ „Aber sie lebt, Shinichi!“ Nun war es Yukiko, die sich zu Wort meldete. Sie war aufgestanden, berührte ihren Sohn an den Schultern. Shinichi wand sich aus ihrem Griff, Gereiztheit und Abwehr zeichneten sein Gesicht. „Und damit das so bleibt, werde ich mich fernhalten von ihr. Mindestens so lange, bis der letzte Rest auch eingebuchtet ist, danach vielleicht… melde ich mich bei ihr. Wenn es ein Danach dann noch gibt.“ Er schluckte hart. „Aber!“ „Nein!“ Shinichi schüttelte energisch den Kopf; seine Stimme war merklich lauter geworden. „Ich bin erwachsen, das ist mein Leben, also misch dich nicht ein, Mama!“ Er wollte gerade noch etwas nachschieben, als eine Stimme hinter ihm ihn davon abhielt. „Du triffst diese Entscheidung aber nicht allein.“ In diesem Moment schien die Zeit still zu stehen. Er hielt den Atem an, wagte kaum, sich umzudrehen, wusste er doch, wem diese Stimme gehörte. Langsam hob er die Hand, griff sich an die Stirn, als ihm mit einem Schlag die Hitze ins Gesicht, in den Kopf stieg, sich in einem leisen, aber beständig intensiver werdenden, schmerzhaften Pochen manifestierte. Er konnte das Adrenalin fast auf der Zunge schmecken, das sein Herz zum Rasen brachte, seine Finger so eiskalt, gefühllos und schweißnass werden ließ. Diese Stimme. Ran. Dann tat er es doch. Drehte sich um, langsam, wie in Zeitlupe fast, nur um bestätigt zu sehen, was er ohnehin wusste. Ran stand in der Tür, die in die Küche führte, trat nun in den Raum. Ihre langen, schokoladenbraunen Haare reichten ihr fast bis an die Hüfte. Ihre kornblumenblauen Augen hafteten an ihm, sahen ihn an mit einer Mischung aus unfassbarer Erleichterung und Mitleid… und Angst. Shinichi fuhr herum, seine Augen suchten Blickkontakt mit seinen Eltern; seltsamerweise wichen sie ihm nun beide aus. „Warum habt ihr sie hergebracht?“, wisperte er dann leise. Seine Stimme klang gequält; ein Ton, der sie alle schaudern machte. Ran sah ihn aufmerksam an, merkte, wie sie zu frösteln begann; erst langsam begriff sie, was er wirklich durchgemacht hatte. Wie sehr er litt. Nur worunter genau erschloss sich ihr nicht – waren es Schuldgefühle? Sicherlich. Aber schließlich hatte er sie doch aus freien Stücken verlassen, eigentlich… das zumindest war es, was sie dachte. Yukikos leises Seufzen durchbrach die Stille und riss sie aus ihren Gedanken. „Weil du sie immer noch liebst, ich weiß das, du weißt das, die ganze Welt weiß das, Shinichi! Und weil es Zeit wirst, dass du wieder glücklich…“ In dem Moment, als sie das Wort gesprochen hatte, hätte sie es am liebsten zurückgenommen. Sie biss sich auf die Zunge, sah ihm ins Gesicht, beobachtete, wie er immer blasser wurde und konnte den Ausbruch förmlich kommen sehen. Sie hätte es eigentlich wissen müssen. „GLÜCKLICH?“ Er schrie fast. „Ich bin glücklich, wenn man mich in Ruhe lässt! Versteht ihr das nicht? Ist das denn so schwer zu kapieren? Ich bin gegangen, aus Tokio, ich bin aus den Staaten weg, ist das denn kein deutliches Zeichen, dass ich allein sein will?! Allein! Ich will…“ Er atmete schwer, versuchte, sich zu sammeln. „Verdammt, ihr wisst doch, warum ich gegangen bin, warum also tut ihr das!?“ Shinichi schluckte, bekam sich wieder einigermaßen in den Griff. Er wollte sie nicht anschreien, aber die Situation brachte ihn gerade ein kleines Bisschen um den Verstand. Wie es immer der Fall war, wenn es um Ran ging. Sein Hirn, sonst ein tadellos funktionierender Apparat, hing sich auf wie ein überforderter Computer, überhitzte und stürzte ab. „Aber du machst dir doch was vor!“ Yukiko schaute ihn drängend an. Ihre Stimme war erstaunlich leise. „Du belügst dich doch, Shinichi! Du läufst weg, weil du Angst hast –“ „Ja, verdammt, ich habe Angst! Messerscharf analysiert, Mutter.“ Ein bitteres Lachen entfloh seiner Kehle. „Und du redest dich leicht. Glücklich, ja, klar. Du hast es nie spüren müssen, wie es ist, wenn der Mensch, den du so unfassbar…“ Er hielt inne, begann sich die Schläfen zu massieren, als es in seinem Kopf langsam wieder verstärkt zu pochen anfing. Seine Finger fühlten sich immer noch eisig und steif an; als alles Massieren nichts half, ließ er die Hände wieder sinken. Er spürte Rans Blicke in seinem Rücken fast körperlich, als er sich sammelte, erneut ansetzte. „Du hast das nie erleben müssen...“ Er hielt inne, als er ein Geräusch hörte, hinter sich. Langsam drehte er sich um. Ran stand hinter ihm, kreideweiß, hatte sich unwillkürlich an eine Stelle knapp unterhalb ihrer Brust gefasst. Dort, wo sein Schwert sie getroffen hatte. Ihre Augen hafteten an ihm, das klare Blau sanft leuchtend in der Abendsonne – und in ihnen stand nur diese eine Frage. Unausgesprochen. Er schluckte hart, merkte, wie ihm etwas die Luft abschnürte, bei dem Gedanken, der sich ihm aufdrängte, als er versuchte, diesen Blick aus ihren Augen zu interpretieren. Zum ersten Mal kam ihm in den Sinn, dass sie es vielleicht gar nicht wusste. Nicht wusste, was in jener Nacht passiert war, nachdem sie bewusstlos geworden war, nachdem sie gestorben war. Dass sie gestorben war. Und er fragte sich, ob er nicht der einzige gewesen war, dem man nicht die volle Wahrheit erzählt hatte. Unwillkürlich erstarrte er, fühlte sich, als würde er von innen heraus versteinern, hielt den Atem an und glaubte, keinen weiteren Atemzug mehr tun zu können, als das Gefühl, sich zur sprichwörtlichen Salzsäule zu verwandeln, weiter von seinem Körper Besitz ergriff. Er riss sich zusammen, wandte sich ab. Weiß sie es nicht? Warum weiß sie es nicht? Und er entkam ihr dennoch nicht. „Shinichi?“ Zögernd hatte sie seinen Namen ausgesprochen, leise, kaum lauter als ein Wispern. Zitternd hing er im Raum und hörte sich in seinen Ohren dennoch an wie ein Schrei. Alles, was er gerade noch hatte sagen wollen, war in seinem Kopf verpufft wie eine Rauchwolke. „Was… was meinst du damit…?“ Yusaku schluckte hart, als er den fassungslosen Ausdruck auf dem Gesicht seines Sohns bemerkte. Er musterte ihn eingehend – man konnte ihm förmlich ansehen, wie er haderte, wie er nach Worten suchte. Shinichi holte Luft – dann drehte er sich zu seinen Eltern um, in seinem Gesicht stand der Schock zu lesen, so deutlich, als wäre das Wort in Großbuchstaben auf seine Stirn tätowiert. Yukiko schaute ihn starr an, merkte, wie in ihr das schlechte Gewissen wühlte. Ihn in so eine Situation zu bringen hatte sie nicht beabsichtigt. Sie hatte zusammenbringen wollen, was zusammengehörte, davon, dass Ran keine Ahnung von den wirklichen Geschehnissen dieses Abends hatte, hatte sie nichts wissen können. Oder etwa doch? Wir hätten mit ihr reden sollen… vorher. Dann riss seine Stimme sie aus ihren Gedanken. Shinichis Ton war merklich leiser und deutlich milder, als er nun sprach. Irgendwer musste mit Ran reden, mit diesem Halbwissen konnte man sie nun so nicht stehen lassen - und er hatte eine dumpfe Ahnung, wer dieser jemand sein würde… aber er hätte einen anderen Zeitpunkt gewählt, einen anderen Ort wahrscheinlich auch. Einen anderen Aufhänger für dieses Gespräch und eine andere Ausgangsposition ebenfalls. Nun konnte er sich keines dieser Dinge mehr aussuchen. Nur eines – er wollte allein sein mit ihr. „Ich… lass das ungern so im Raum stehen.“ Abwesend strich er sich über die Ärmel seiner Jacke, streifte mit seinen Fingern das Band seiner Armbanduhr, rückte es gerade, spürte das Leder auf seiner Haut kleben. „Ich weiß, ihr wollt nur das Beste für mich. Und ihr wisst, dass ich denke, dass das Beste für alle ist, wenn ich mein Leben allein lebe. Wir können darüber diskutieren, wenn ihr wollt – allerdings, nicht jetzt.“ Shinichi schaute seine Eltern mit ernstem Blick an. „Ich würde gerne kurz mit Ran allein sein. Ihr könnt gern unten warten, es wird nicht lange dauern.“ Ran starrte ihn an, ihre Arme um ihren Oberkörper geschlungen, als versuche sie, sich aufzuwärmen, nachdem die Anspannung jedes Quäntchen Wärme aus jeder einzelnen Faser ihres Körpers vertrieben zu haben schien - sie hatte den Wechsel des Tonfalls in seiner Stimme wohl bemerkt. „Würdet ihr… uns also allein lassen? Bitte?“ Yusaku schaute seinen Sohn missmutig an. „Das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen, Sohnemann.“ Shinichi lächelte bitter. „Und auch das hab ich befürchtet. Wie gesagt. Gleiche Diskussion, andere Zeit, anderer Ort.“ Damit öffnete er die Tür. Er bemerkte sehr wohl die glasigen Augen seiner Mutter, und er konnte nicht abstreiten, dass ihm der Anblick einen Stich versetzte – allerdings, ändern konnte er daran auch nichts. Und langsam, dachte er, gewöhnte er sich fast daran, dass es in seinem Leben so viele Dinge gab, die er nicht ändern konnte. Er schloss hinter ihnen Tür, drehte sich zu Ran um. „Ich sag dir, wie es ist. Mir wäre lieber, auch du gingst jetzt. Allerdings, ich fürchte…“ „dass du mich so schnell nicht loswirst. Gut geschlussfolgert, Sherlock.“ Sie sah ihm an, dass das gesessen hatte, und frage sich, seit wann es ihm nicht mehr schmeichelte, wenn man ihn so nannte. Das leicht spöttische Grinsen, dass sie sich kurz auf die Lippen gezwungen hat, verzog sich. Ran war immer noch blass im Gesicht, ihr Herz schien immer noch eine Etage höher als üblich zu schlagen, aber immerhin hatte sich jetzt wieder soweit im Griff, dass sie seine Finger am Türgriff aufbiegen konnte, sie selber ins Schloss drückte und sich vor ihm aufbaute. Lange sagte keiner von beiden etwas, einzig und allein das Geräusch ihres Atmens erfüllte den Raum. „Du hast vorhin deinen Satz nicht beendet.“, begann sie schließlich zögernd. Er wich ihrem Blick aus, presste die Lippen aufeinander. Ran sah ihm ins Gesicht, berührte seine Wangen mit ihren Fingerspitzen, merkte, wie er schauderte. „Stimmt auffallend.“ Shinichi trat einen Schritt zurück, entzog sich ihrer Berührung. Sie blickte kurz auf ihre Fingerspitzen, verwirrt, spürte ein leises Prickeln unter ihren Fingerkuppen. Unwillig zog sie ihre Unterlippe zwischen die Zähne, biss kurz darauf, ehe sie sprach. „Be- beendest du ihn für mich? Würdest du mir den Gefallen tun...?“, murmelte sie leise, fragend, merkte, wie dieser kalte Schauer, der ihr schon vorher aufreizend langsam den Rücken hinabgerieselt war, erneut seinen Weg über ihre Wirbelsäule suchte. Sie hatte das Gefühl, jedes Härchen ihres Körpers stellte sich einzeln auf, so intensiv war der Schauder, der sie ergriff, als sie in Gedanken den Satz vollendete, den sie eigentlich gar nicht mehr vollständig hören wollte. Denn, wenn er das gedacht hatte, all die Jahre… „Ich würde es nicht als Gefallen bezeichnen.“ Seine Stimme klang tonlos, und als er aufblickte, stand in seinen Augen pure Angst. Sie fing an, zu zittern, schaute ihn nur an, unverwandt, merkte, wie es in ihr wühlte und tobte, eine Macht sie überwältigte, die sie fast in Fetzen riss. Wenn das stimmte… dann hatten sie beide mit einer Lüge gelebt, die ihr Leben für Jahre ruiniert hatte. Sie starrte ihn an ohne zu blinzeln, wartete auf die Explosion. Er schloss die Augen, ließ seinen Kopf nach hinten sinken, kniff die Augen zusammen, als könne er so die Bilder ausblenden, die in seinem Kopf auftauchten, von einer Ran, die in seinen Armen lag, die ihn anlächelte – und doch so unendlich müde aussah. Von einer Ran, die zitterte und bebte, von einer Ran, die schwer gegen ihn sank. Von einer Ran, die starb. Er schnappte nach Luft, verscheuchte die Erinnerungen energisch, versuchte es zumindest, ehe er ansetzte. „Ahnst du nicht, wie das Ende lauten muss? So wie du mich ansiehst, weißt du es doch schon…“ Unwillig schüttelte er den Kopf, als sie schwieg, ihn nur ansah, mit blauen Augen, in denen die Furcht deutlich zu lesen war, die Angst vor seinen Worten. Und das Entsetzen. „Ran, du bist damals in meinen Armen…“ Unwillkürlich brach er ab, rang mit sich. Ein Gefühl von Kapitulation überwältigte ihn. Die letzten Tage, die letzten Stunden, waren einfach zu viel gewesen, und es schien, als forderten sie ihren Tribut, ungeduldig, unnachgiebig, mit lauter, bohrender Stimme, Macht und Gewalt. Er ballte die Hände zu Fäusten, nahm sich zusammen, für dieses eine Wort. „…gestorben...“ Das Wort, gewispert und kaum lauter als ein leiser Atemzug, stand wie eine Wand zwischen ihnen, für Sekundenbruchteile, es verhallte, ehe diese Mauer zusammenkrachte und den Blick freigab auf das Chaos. Gepresst atmete er aus, blickte auf den Boden, merkte, wie alle Spannung von ihm abfiel, ihn einfach hängen ließ wie eine Marionette, deren Fäden man gekappt hatte. Leer, kraftlos. Es kostete ihn Mühe, sie wieder anzusehen. Sie knetete ihre Hände, starrte auf einen Punkt vor sich in der Luft, ehe sie ihren Blick hob. Er wusste nicht zu sagen, ob sie verstanden hatte, was er ihr gerade mitgeteilt hatte. Oder ob ihr Geist nun einfach zumachte, sie abschottete, weil die Wahrheit einfach zu grausam war – und zu entsetzlich in ihren Konsequenzen. „Du… bist damals gestorben, Ran… nachdem Gin dich verletzt hatte. Du hast nicht mehr geatmet, und du hattest keinen Puls mehr…“ Unendlich langsam kamen ihm die Worte über die Lippen. Shinichi schluckte, strich sich über die Augen. Er sah sie an, merkte, wie sie unsicher wurde, wie ihre Welt ins Wanken geriet und begriff, dass es hier nicht um ihn ging. Hier und jetzt ging es nicht um ihn. Sie hatte es wirklich nicht gewusst. „Als der Krankenwagen kam, warst du nicht mehr am Leben. Ich weiß nicht, für wie lange du tatsächlich herztot warst. Aber für mich… warst du es fünf Jahre lang. Bis gestern.“ Und erst jetzt schaute sie auf. Richtete ihre Augen auf ihn, immer noch atemlos, erblickte ihn, sah ihm an, wie die Erinnerung ihn fast überwältigte, ihn erfasste wie ein Tsunami und mit sich riss, mit Wucht, und er ihr nichts, rein gar nichts entgegenzusetzen hatte. Und dennoch war er es, der sie festhielt, als er merkte, wie ihre Beine unter ihr nachzugeben drohten, als ihr klar wurde, mit welchem ungeheuerlichen Gedanken er fünf Jahre gelebt hatte. Langsam zog er sie in den Raum, hielt sie fest, als er merkte, wie unsicher ihre Schritte wurden, ließ sie sich aufs Sofa setzen. „Man hat dir das nicht gesagt.“ Sie schaute ihn nur fassungslos an, wirkte wie betäubt als sie dann ganz langsam den Kopf schüttelte, nur ein wenig. „Nein.“ Mehr als dieses kleine Wort schaffte sie nicht. Er biss sich die Lippen blutig, schaute sie lange an, ehe er sprach, versuchte, Worte zu finden, die diese Geschichte nicht ganz so furchtbar klingen ließen, wie sie war, und scheiterte. Das war einfach nicht zu verharmlosen, nicht schönzureden. Er griff ihre Hände, streichelte mit seinen Daumen unbewusst über ihre Finger. Er wusste, er wollte sie beruhigen, ihr den Rest der Geschichte so schonend beibringen, wie möglich – wenn er es schon tun musste. „Im Wesentlichen war es das.“ Er atmete tief ein und aus, versuchte, sich zu sammeln. „Du erinnerst dich, dass Gin… dass Gin dir sein Katana…“ Sie nickte, sah ihn dann an. Er war so unendlich blass geworden, dass selbst aus seinen Lippen jede Farbe gewichen war. „Er… und die anderen sind danach gegangen. Man hat sie bis heute nicht gefasst. Dich… ließen sie zurück mit mir. Ich hab… den Krankenwagen mit dem Handy gerufen, das Sharon mir in die Hand gedrückt hatte, aber er… kam zu spät. Du… hast in meinen Armen aufgehört zu atmen, Ran. Du… du bist gestorben.“ Er blinzelte, als ihm die Erinnerung an diese Sekunden seine Fassung, die er sich gerade so mühsam zurück erobert hatte, verlieren ließ. Unwillig strich er sich über die Augen, rieb seine Finger. Er fühlte fast das Blut an ihnen kleben, dabei war es heute nur Wasser. „Das ist der Stand, auf dem ich geblieben bin. Ich dachte, bis gestern, dass du tot bist. Gestorben, wegen mir. Ich wusste nicht, dass die Sanitäter dich reanimieren konnten. Ich wusste nicht, dass man dich im Krankenhaus hatte retten können. Mir sagte man, dass du tot wärst. Deswegen… bin ich weg, ohne ein Wort. Deswegen hab ich dir nie erklärt, warum ich gegangen bin. Ich… ich wusste nicht, dass ich dir noch irgendetwas hätte erklären können, so… so einfach ist das.“ Sie starrte ihn an. Auf seinen Lippen lag das bitterste Lächeln, dass sie jemals dort gesehen hatte. Und sie merkte, wie ihre Augen zu brennen anfingen, wie Scham ihre Wangen glühen ließ. Sie hatte immer gedacht, er hätte sie einfach allein gelassen – nie war sie auf den Gedanken gekommen, er könnte aus diesem Grund gegangen sein. Eigentlich hatte sie auch geglaubt, er hatte gewusst, dass sie das Attentat überlebt hatte. Wenn er das aber nicht wusste… und er dachte, all die Jahre… Sein Gesicht tauchte vor Rans innerem Auge erneut auf, als sie verstand. Sie sah sein bleiches Gesicht, seine zitternden Hände, seine blutleeren Lippen jetzt – und von heute Nachmittag. Und ahnte nur vage, wie sich seine Welt heute buchstäblich in seine Einzelteile zerlegt hatte, um ihm dann vor die Füße zu fallen, ein einziger großer ungeordneter Haufen nunmehr ungültiger Fakten, ein wirres Durcheinander. Wie muss sich das angefühlt haben… Sie verstand, warum er sie so angesehen hatte. Verstand, warum er es in Tokio nicht mehr ausgehalten hatte, ohne ein Wort gegangen war, mit niemandem mehr hatte reden wollen. Hielt man sich vor Augen, dass er sich die Schuld an ihrem vermeintlichen Tod gegeben hatte, blieb nicht eine Frage offen. Selbst seine abweisende Reaktion von vorhin machte Sinn. Er gab sich immer noch die Schuld, der Schock musste einfach tief sitzen, auch jetzt noch. Sie strich sich mit zitternden Fingern eine verirrte Haarsträhne hinter die Ohren, merkte, wie in ihr lang verdrängte Erinnerungen an die Oberfläche traten, Erinnerung an sein Gesicht, an seine Stimme, die sie nur wie durch Watte hörte, seine Worte, deren Sinn sie nicht verstand, wohl aber den flehenden Klang in seiner Stimme und diese Verzweiflung in seinen Augen. Diese nicht zu begreifende, ein schier überwältigendes Ausmaß annehmende Angst, die ihn in ihren Klauen gehabt hatte, fest, und ihn seither nicht losgelassen hatte, wohl. Die Angst, dass sie in seinen Armen starb. Und das seelenfressende Gefühl, daran schuld zu sein. „Das hat man mir nicht erzählt, nein… ich wusste, ich lag im Koma deswegen, aber nicht, dass ich… tot gewesen war.“ Er schaute von seinen Händen auf, als ein nasser Fleck auf seiner Haut erschien. Ran sah ihn an, Tränen rannen erneut über ihre Wangen. „Ich dachte, du wärst einfach so weg…“ Shinichi schüttelte nur den Kopf. „Aber wer hat dir denn gesagt, dass ich tot bin…?“ Er blinzelte, kurz. Schrecken durchzuckte ihn wie ein Blitz, seine Gedanken rasten. Dein Vater, Ran. Dein… Vater. Der auch dir offensichtlich nicht einen Ton erzählt hat. Der… dich von mir so gründlich fernhalten will… Weil er mich hasst. Weil er mir das wohl nie verzeihen wird. Und irgendwie kann ihn sogar verstehen. „Ich… keine Ahnung. Ich stand ziemlich neben mir.“ Shinichi seufzte, dann zuckte er mit einem entschuldigenden Lächeln die Schultern. Er log sie an, und wusste selbst nicht so recht wieso. Nein, doch, er wusste es. Wenigstens ihrer Familie sollte sie noch vertrauen können, wenn er schon nicht da sein konnte für sie. Er hatte kein Recht, ihr das Vertrauen in ihre Eltern zu nehmen… wegen seiner Dummheit. „Ich… keine Ahnung, ehrlich. Das ging zum einen Ohr rein… und blieb nachhallend drin. Ich weiß nicht einmal mehr, wie ich nach Hause gekommen bin.“ Das ist nicht einmal gelogen. „Das… verstehe ich.“ Unsicher rutschte sie auf dem Sofa. „Und… ich verstehe jetzt auch… deine Reaktion heute. Du… musst ja fast geglaubt haben, einem Geist gegenüberzustehen.“ Sie lachte – es klang verzweifelt. Shinichi versuchte ein kleines Lächeln. „Du weißt, ich glaube nicht an Geister.“ Ein ernster Ausdruck machte sich auf ihrem Gesicht breit, ihre Augen blickten ihn starr an. „Warum hast du nie… nachgeforscht? Ich meine… wenn ich tot wäre, dann…“ „Das Gleiche hat mich Heiji auch schon gefragt.“ Shinichi ließ ihre Hände los, stand auf, ging unruhig ein paar Schritte auf und ab, massierte sich die Schläfen. „Ich… war fertig, einfach. Ich… verstehst du nicht? Ich dachte, du wärst tot. Gestorben, getötet, wegen mir. Wegen meiner Dummheit, meiner Arroganz, meiner… törichten Gedankenlosigkeit, gnadenlosen Selbstüberschätzung, ich… war dabei gewesen, und im Krankenhaus hatte man mir das bestätigt, welchen Grund hätte ich gehabt, das nicht zu glauben. Abgesehen davon… hätte ich es niemals auf deine Beerdigung geschafft, auch wenn ich mich schäme, das zuzugeben, aber… ich meine, erstens… war ich Schuld daran und zweitens… wärst du es gewesen…“ Und drittens… Er stockte, atmete tief ein und aus. „Und ich wollte… will… euch nicht in Gefahr bringen, also die anderen. Ich sagte doch bereits, sie sind noch da… Außerdem…“ Shinichi schluckte hart. „…wäre es mir in den ersten Wochen kaum möglich gewesen. Ich weiß nicht, wie viel meine Eltern auch diesbezüglich bereits ausgeplaudert haben.“ Er merkte, wie seine Stirn, seine Wangen zu glühen begannen. „Sie erwähnten… dass es dir nicht gut ging, hinterher.“, murmelte Ran leise. Forschend sah sie ihn an. „Und mehr musst du auch nicht wissen.“ Shinichi hielt ihrem Blick stand. Ran presste ihre Lippen aufeinander, unwillig, verzichtete aber fürs Erste darauf, nachzubohren. „Und jetzt?“ „Jetzt will ich, dass du gehst. Du kennst nun meine Gründe, du weißt jetzt, was passiert ist… ich möchte, dass du zurück nach Tokio gehst, zu deiner eigenen Sicherheit, ich weiß nicht, wie genau sie mich beobachten, wie nahe sie vielleicht an mir schon dran sind. Noch dazu scheint die Presse gerade mal wieder einen Narren an mir zu fressen, und ich will dein Bild nicht auch noch in der Zeitung, sonst…“ „Shinichi.“ Sie schluckte, starrte ihn an, streckte ihre Hand aus, berührte seine Brust – und allein dieses Geste reichte, um ihn abzuwürgen. „Aber ich will nicht gehen. Ich sagte es bereits. Ich…“ In ihren Augen lag ein bittender, fast flehender Ausdruck. „Ich hatte so gehofft, mich nicht in dir getäuscht zu haben, und jetzt weiß ich, dass ich richtig lag! Wie könnte ich jetzt einfach gehen, dich noch einmal allein lassen…“ Langsam bohrten sich ihre Finger in den Stoff seines Hemdkragens, krallten sich fest. „Sieh dich an, du kannst mir nicht erzählen, dass dir dein Leben guttut, deine Mutter hat doch Recht, du… machst dich kaputt. Grundlos.“ „Ich glaube kaum, dass ein Katana im Bauchraum seiner Freundin kein Grund sein kann, sich schuldig zu fühlen…“, begann er leise. Ran schien ihm gar nicht zuzuhören. Sachte zog sie ihn näher, bis ihre Stirn die seine berührte. Shinichi schloss die Augen, fühlte sich auf einmal seltsam wehrlos. Er spürte ihren Körper, fühlte fast ihren Herzschlag, war überwältigt, schlicht und einfach – sie war so… lebendig, sie war am Leben und sie war… ihm so nah. In ihm erwachte langsam etwas, das er so lange betäubt hatte, weil seine bloße Existenz ihm sein Leben noch mehr zur Hölle machte, als es das ohnehin schon war. Die Liebe zu Ran, und… die Sehnsucht nach ihrer Nähe. Dieses unfassbar schöne Gefühl, das nur sie ihm gab. Du darfst das nicht. Reiß dich zusammen. Sie ist in Gefahr, wenn sie bei dir ist… „Ich liebe dich. Ich will bei dir sein.“ Er hörte ihre Stimme heiser an seinem Ohr, hörte ihr Verlangen, wusste, dass es wahr war. Dass es stimmte, wenn sie sagte, sie liebte ihn. Immer noch. Nein, nein, nein… Shinichi presste die Augen zusammen, schüttelte den Kopf, bis Ran ihn mit beiden Händen festhielt. Und er kapitulierte. Fest zog er sie an sich, wollte mit jeder Faser seines Körpers fühlen, dass sie am Leben war, kein Traum, kein Trugbild, diesmal. Wollte spüren, wie sie atmete, und nicht aufhörte damit. Er fühlte den Stoff ihres Kleids unter seinen Fingern, erahnte darunter ihre warme Haut; roch den Duft ihrer Haare, der sich um nichts von dem Geruch aus seiner Erinnerung unterschied und merkte, wie es ihn fast zerriss, viel mehr noch, als es ihn ohnehin schon an den Rand des Wahnsinns brachte, wenn er ihr Foto ansah. Denn er wusste, so sehr er es sich wünschte, es durfte nicht sein. Dass es jetzt sogar möglich war, aber er sich jeden Weg dahin verbaut hatte, schien ihm schier unerträglich. Ran blieb fast der Atem weg, als sie sie spürte, diesen Schmerz, das Leid, den Wunsch nach Nähe – nach ihrer Nähe. Sie küsste ihn auf die Nasenspitze, vergrub ihren Kopf an seinem Hals, zog ihn noch fester an sich. Langsam begriff sie, wie es für ihn gewesen war, sie sterben zu sehen. Und fünf Jahre mit dem Gedanken zu leben, dass sie tot war. Kein Vergleich dazu, ohne ihn wieder aufzuwachen und zu denken, er sei einfach nur abgehauen. „Shinichi…“ Er presste die Augen zusammen, sagte nichts. In ihm herrschte Chaos, wie ein Sturm auf hoher See. Tief atmete er ein, und wieder aus. Dann schob er sie langsam etwas von sich. Er sah ihr an, wie aufgewühlt sie war; und dennoch schaffte sie es, ihm in die Augen zu sehen und zu lächeln. Dein Lächeln… Es fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht, wie ein Fall ins kalte Wasser. Und dann zerbrach es, das schöne Bild. Der Traum, der Wunsch… zersprungen in tausend Stücke, zerborsten zu seinen Füßen. Kurz blieb ihm die Luft weg, als ihm klarwurde, was er tat. Weg war dieses selige Wohlgefühl in ihrer Nähe, dieses irre, berauschende Gefühl, das alles andere in den Hintergrund zu rücken schien. Er sah sie lächeln, kurz bevor sie starb. Sah, was er angerichtet hatte, damals. Und wusste, was er zu tun hatte, damit sich das keinesfalls wiederholte – sie lebte, das sollte so bleiben. Und das hieß, sie lebte – und zwar ohne ihn. Und er ohne sie. „Ich liebe dich...“ Nein…! Die Worte hallten in seinem Kopf wieder. Und er sah ihr Lächeln vor sich, das langsam matter wurde, kraftloser, aber nicht erlosch… Ich liebe dich… Nie erlosch. „Nein.“ Er blinzelte, rieb sich über die Augen. Fast schien es ihm, als würde er aufwachen aus einem Traum. Einem schönen Traum, diesmal, aber nichtsdestoweniger… ein Traum. „Nein?“ Ran sah ihn verwirrt an. „Es geht nicht. Nein. Ich… ich will das nicht. Sie sind noch irgendwo da draußen, wenn sie erfahren, dass du… dass ich… dass wir beide…“ „Das ist mir egal!“ Rans Stimme klang flehend und trotzig gleichermaßen. „Aber mir nicht!“ Mit einem Mal kehrte die Kraft zurück in seinen Körper. Er drehte sich um, öffnete die Tür, bugsierte sie in den Flur. „Shinichi!“ Ihr erschrockener Blick versetzte ihm einen Stich. Er presste die Lippen zusammen, schaute sie hilflos an. „Aber mir nicht! Versteh doch Ran, bitte… ich will nicht nochmal schuld sein, wenn… sie sind immer noch da, und sie werden keine Gelegenheit verpassen, noch einmal zuzuschlagen. Und ich will nicht, dass du nochmal zum Spielball wirst. Nein.“ „Ich kann diese Entscheidung doch wohl selber treffen! Und wer garantiert dir, verdammt nochmal, dass…“ Ran merkte, wie sie langsam wütend wurde. „Ich liebe dich! Ich will bei dir sein! All die Jahre dachte ich…“ „… dass du tot wärst, wegen mir! Und es war die Hölle!“, fiel er ihr ins Wort, schluckte, zitterte. Sein Atem ging schwer, sein Gesicht war leichenblass. „Weißt du wie das war? Dieser Ausdruck auf deinem Gesicht, als dieses Schwert dich traf, und ich merkte, was ich falsch gemacht hatte, was ich nicht bedacht hatte, ich erkennen musste, wie verdammt unfähig ich bin, weil ich dich nicht beschützen konnte…“ Seine Stimme klang bitter. „Als du zu Boden sankst, so schwer verletzt, wegen mir… Ran, und ich dir nicht helfen konnte… nichts… nichts tun konnte.“ Seine Stimme versagte. „Und du sagtest nur… sagtest nur…“ „… dass ich dich liebe…“ Ran war ebenfalls bleich geworden. Shinichi nickte stumm, ohne sie anzusehen, dann schüttelte er den Kopf. „Ich… mach das sicher nicht noch einmal mit. Auf keinen Fall. Halt dich raus aus meinem Leben. Du musst das verstehen, ich bitte dich. Ich bin… ich bin nicht gut für dich. Nicht, solange sie da draußen noch warten.“ Er starrte sie an, sein Atem ging schnell und flach, schaffte es kaum, genügend Sauerstoff in seine Zellen zu transportieren. „Du ahnst nicht, wie froh ich bin, dass du lebst. Wie unsagbar… froh.“ Er lächelte ein verzweifeltes Lächeln, strich ihr über die Haare, zögernd. Ran war den Tränen nahe. „Aber damit es genau dabei bleibt, lass mich in Frieden. Such dir jemand anderen, Ran, der dich glücklich macht, du hast es verdient, du solltest nicht warten, bis… bis ich vielleicht irgendwann durch mit dieser Sache bin. Ich… werde dich lieben bis zum Ende meiner Tage, du wirst auf ewig die Einzige sein für mich… aber… mehr kann ich dir nicht geben, fürchte ich.“ Er strich sich über die Augen, sah mit einem Mal furchtbar müde aus. „Du weißt jetzt, warum ich gegangen bin. Das muss reichen. Es tut mir Leid...“ Er schob sie aus der Tür, schloss sie hinter ihr, lehnte sich dagegen. Er hörte, wie draußen etwas an der Tür schabte, wusste, sie hing genauso am massiven Holz des Türblatts fest wie er. Bitte geh einfach. Er stieß sich von der Tür ab, wankte in den Raum und ging kraftlos zu Boden, als er sie draußen Schluchzen hörte. Und wieder weinst du. _______________________________________________________________________ Joa, Leute… Ich muss gestehen, langsam isses selbst mir zuviel. Ich weiß nicht, was ich noch anstellen soll – drei Kommentare in zwei Wochen sind schon ein wenig… wenig. Ich bitte, ich fordere, ich ändere den Laderhythmus, und ich hab das Gefühl, es ändert alles nichts. Und ich frag mich halt, woran es liegt – seid ihr im Urlaub, ist das Wetter zu schön, denkt ihr, mich interessiert es nicht, was ihr über meine Geschichte denkt? Ich würde mich wirklich freuen über jeden und sei es auch ein noch so kurzer Kommentar…! Ehrlich… euer Feedback ist das einzige, was ich hier als Belohnung haben kann, und ehrlich, der, dem diese Geschichte gefällt, könnte das doch auch mal erwähnen. Lob tut gut – und Kritik hilft einem, zu lernen. Wenn ihr gern öfter lesen wollt, schreibt mir ne Mail – sollte ich genügend Stimmen kriegen, ändere ich das wieder. Allerdings waren bis jetzt die meisten noch für den zweiwöchigen Abstand. Ansonsten – ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen; natürlich kanns nicht ohne Drama gehen  Liebe Grüße, Eure Leira   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)