Dunkler als schwarz von Leira (Shinichi x Ran) ================================================================================ Kapitel 8: Werewolf ------------------- KAPITEL 8 – WEREWOLF Wie er erwartet hatte, waren sie in den Feierabendverkehrsstau geraten. Shinichi seufzte leise, aber dennoch hörbar genervt und beobachtete mit wachen Augen den Verkehr, durch den er sich bohren musste – und war entsprechend wortkarg. Heiji, der gerade per Email von seinem Handy aus offenbar seinem Vorgesetzten oder aber Kazuha ein kurzes Update gab – Shinichi wusste sein konzentriertes Gesicht in der Hinsicht nicht exakt zu deuten – steckte nun sein Smartphone weg. Er ließ ein paar Sekunden verstreichen, in denen er seinen Chauffeur schweigend musterte – so lange, bis eben jener ihm einen kurzen Blick aus seinen Augenwinkeln schenkte. „Hab ich was am Mundwinkel oder was ist?“ Seine Augen blickten ihn fragend an. Heiji lächelte schmal, schüttelte dann mit ernster Miene den Kopf. „Willst du mir mal erzähl‘n, was damals eigentlich passiert is‘, Kudô?“ Shinichi hatte seinen Blick wieder abgewandt, studierte konzentrierter als je zuvor das Heck des Autos vor ihm – Heiji war diese offensichtlich abweisende Reaktion nicht entgangen. Jedes Gefühl von Genervtheit war verflogen – im Gegenteil, Shinichi wünschte sich fast, der stockende Verkehr wäre sein einziges Problem. Stattdessen näherten sie sich jetzt zu allem Überfluss auch noch ihrem Ziel, Heijis Hotel. Wobei, vielleicht wurde er ihn da schnell los. Träum weiter, Kudô. Langsam atmete er aus, überlegte, ehe er antwortete. „Lass mich nachdenken, Hattori, will ich das?“ Er tat so, als würde er grübeln. „Nein. Will ich nicht.“ Sein Tonfall klang trocken wie der Staub auf dem Armaturenbrett, den die Londoner Straßenluft durchs Fenster blies, und ganz offensichtlich versuchte er mit dieser angestrengten Sachlichkeit, die er an den Tag legte, zu überspielen, wie sehr ihn „das, was damals eigentlich passiert ist“, wie Hattori es nannte, belastete, auch wenn er sich das selber nicht eingestehen mochte. Es war ihm nicht Recht, dass das immer noch ein so sensibles Thema war. Tatsache war, er hatte in den letzten fünf Jahren versucht - ach was; alles Menschenmögliche daran gesetzt traf es wohl eher - um daran nicht mehr zu denken. Nie mehr wieder daran denken. Und so schluckte Shinichi hart, wandte sich kommentarlos wieder dem Geschehen auf der Straße zu, blickte stur geradeaus - und hoffte, dass das Thema damit gegessen war. Der Kommissar aus Osaka jedoch ließ nicht locker; was war auch anderes zu erwarten gewesen, von einem Mordermittler und leidenschaftlichem Detektiv… und einem gutem Freund. Heiji verdrehte die Augen, schüttelte dann unwillig den Kopf. „Ne, so leicht kommste mir nich‘ davon, Kudô.“ Er beobachtete seinen Fahrer, der keine Miene verzog, und zog innerlich seinen Hut vor so viel Selbstbeherrschung. „Hier is keiner mehr, der dich vor meinen Fragen rettet; keine Sekretärin, kein Aufzug, kein Telefonat, keine Jenna. Du wirst mir jetzt endlich mal die ganze Geschichte erzählen. Du bist vor fünf Jahr‘n abgehau‘n, ohne ein Wort zu sagen, einfach so verschwunden. Ich weiß nich‘, ob du jemals daran gedacht hast – an das, wasde anderen antust mit deinen Kamikazeaktionen. Du warst über ne Woche weg. Wir haben uns Sorg’n gemacht, verdammt nochmal. Ich… hab mir Sorg‘n gemacht. Ich will wissen, ob zu Recht.“ Der Osakaner schluckte, schaute nachdenklich aus dem Beifahrerfenster, sah die Menschen gesichtslos an sich vorbeifliegen, hunderte, in der Rushhour Londons. Dann wandte er sich seinem Freund wieder zu, räusperte sich, setzte ein entschlossenes Gesicht auf. „Du warst von einem Tag auf den anderen weg. Einfach so, ohne ein Wort. Irgendwann erfuhr ich, dassde in ihren Händen bist… und als dann alles vorbei war, hastde mit keinem mehr geredet und am nächsten Tag warstde aus Japan verschwunden, spurlos. Kein Mensch weiß, was passiert is, in die Akte durft ich nich‘…“ „Na immerhin.“, meinte Shinichi nüchtern, unterbrach damit Heijis Redeschwall. Seine Augenbrauen waren zusammengerutscht, trafen sich fast in der Mitte, als er die Stirn runzelte. „Für gewöhnlich sind Fallakten geheim. Solltest du…“, und er gab sich diesmal keine Mühe, den leichten Anflug von Spott in seiner Stimme zu verbergen, „doch wissen, Herr Kommissar Hattori.“ Der warf ihm einen angesäuerten Blick zu, sein Mundwinkel zuckte kurz, wurde allerdings schnell wieder ernst. „Dennoch. Um ehrlich zu sein, dacht‘ ich nich‘ mehr, dich nochmal lebend zu sehen, als Haibara mal durchblicken hat lassen, was die da anstellen mit ihren…“ Er hielt inne, als er merkte, wie Shinichis Handknöchel weiß hervortraten, als sich seine Finger um das Lenkrad krampften. Und er sah auch genau, wie gepresst sein Atem ging. Der Osakaner Polizist schluckte, hob dann eine Hand, wollte sie ihm beruhigend auf den Unterarm legen, oder auf die Schulter – und ließ sie wieder sinken. Irgendetwas an Shinichi hinderte ihn daran. „Haste eigentlich überhaupt schon mal mit jemandem drüber geredet?“ Shinichi seufzte laut, ließ sich gegen die Rückenlehne seines Sitzes sinken, setzte den Blinker und bog nach einem Blick über die Schulter, um keinen Radfahrer zu gefährden, auf den Hotelparkplatz ein. „Gezwungenermaßen und nur in Auszügen.“ Er schluckte. „Wen hatte ich denn, wie du sagtest, ich bin fortgegangen. Meine Eltern, gut, die kriegten es sowieso mit… noch mehr wohl auch, dass ich mit den Nerven völlig am Ende war, wegen Ran. Um ehrlich zu sein, hat das auch alles andere irgendwann ziemlich nebensächlich erscheinen lassen, als mir wirklich bewusst wurde, dass ich sie nicht mehr wiedersehen werde, in diesem Leben.“ Er hielt an, schaltete den Motor ab. „Wir sind da.“ Heiji warf einen Blick nach draußen, schaute die Hotelfassade hoch. „Wir sehen uns morgen, ich hol dich…“, fing Shinichi an, schickte sich an, den Motor wieder anzulassen. „Ich dacht‘, ich bin dein Freund. Ich dacht‘, du würdest mir vertrauen.“ Heiji unterbrach ihn. Seine Stimme war absolut ruhig, verriet nicht, wie sehr die Tatsache, dass sein Freund ihn damals einfach außen vor gelassen hatte, aufwühlte. Und wie sehr ihn der bloße Versuch Shinichis, ihn auch heute wieder ohne Antworten abzuwimmeln, aufregte. Shinichi biss sich auf die Lippen, nahm die Hand vom Zündschlüssel. „Das hat doch damit nichts zu tun.“, murmelte er tonlos. Der Osakaner wandte sich zu ihm um, schaute ihn durchbohrend an; in seiner Stimme lag nun doch eine gewisse Schärfe, als er sprach. „Und womit dann, Kudô? Du hast mir nich‘ gesagt, als es eng wurd‘ für dich. Du hast mir nich‘ gesagt, was du vorhattest, mich nich im Geringsten eingeweiht in deine Pläne. Du hast dich hinterher nie bei mir gemeldet. Was denkste, was für’n Eindruck hat das bei mir hinterlass‘n?“ Er beobachtete wie Shinichis Kopf ein wenig sank, sein Blick auf seine Hände fiel, die das Lenkrad immer noch festhielten, als gäbe es allein ihm noch Halt. „Was willst du denn hören?“ Nicht der Hauch eines Gefühls schwang in seiner Stimme, leise wie das Surren der Klimaanlage hing dieser Satz im Innenraum des Wagens, kaum zu vernehmen im Verkehrslärm, den die angrenzende Straße in die Kabine schickte. Er wandte sich um, in seinen Augen eine Kälte, die Heiji so noch nie gesehen hatte. Und sie gefiel ihm nicht. „Sag mir, was soll ich dir jetzt erzählen…?“ Der Osakaner schaute ihn unbehaglich an. „Shinichi, ich…“ „Nein.“ Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Nein. Du machst dir keine Vorstellung, was da ablief. Du weißt, ich pack ne ganze Menge, aber das… das will ich einfach nur vergessen. Und darüber reden hilft mir nicht, das endlich hinter mir…“ Er hielt inne, als er Heijis sarkastisches Gelächter hörte. „So siehste aus, Kudô. Das blühende Leben. Deinen Taktik scheint hervorragend aufgegangen zu sein.“ Heiji bemühte sich nicht, den Sarkasmus aus seiner Stimme zu filtern. „Die pure Freude am Leben, mein Freund. Wie frisch…“ Shinichi wandte sich ihm zu, merkte, wie er langsam ärgerlich wurde. „Das hat damit nichts zu tun. Du weißt, ich dachte, Ran…“ „Und das is tatsächlich alles?“ Shinichi wand sich unter seinem forschenden Blick. „Verdammt, ich hab deine Eltern angerufen, damals, als du weg warst! Ich hab mir Sorgen gemacht, als du einfach verschwunden warst, am nächsten Tag! Weißt du eigentlich, dass ich geholfen hab, nach dir zu suchen? Ich hab diese zehn Tage kein Auge zugetan, verdammt! Und dann kommste zurück, und alles was ich von dir gesehen hab, war deine Rückseite, als Meguré dich zum Auto gebracht hat. Ich dacht mir, ich besuch dich am nächsten Tag – aber was is? Du bist weg! Und weder der Professor noch Haibara konnten mir sagen, wo de bist!“ Er schnappte nach Luft, war rot geworden vor Ärger und Wut, in seiner Schläfe pochte deutlich eine Ader, illustrierte anschaulich sein aufgebrachtes Gemüt. Shinichi schaute ihn betroffen an, schluckte trocken, wandte sich beschämt ab. „Als ich angerufen hab in LA, ging keiner dran. Die ersten Tage, Wochen, hab ichs fast täglich probiert, und nie hob einer ab. Und als ich dann mal durchkam…“ Heiji atmete schwer. „Einmal kam ich durch. Und ich war so erleichtert, endlich…“ Er schnaufte tief durch; seine Erregung stand ihm quer ins Gesicht geschrieben, ließ seinen Puls in die Höhe schnellen, als er zurückdachte, an diese zehn Tage. An die Zeit, in der sie alle irgendwann den Glauben verloren hatten, ihn lebend wieder zu finden, weil die Zeit verstrich, ohne ein Zeichen von ihm. Ohne einen Hinweis, wo er war. Und dann das. „Dein Vater war dran. Er klang müde und erschöpft, völlig abgekämpft, und er sagte, du wärst nich‘ zu sprechen. Ich solle nich‘ mehr anrufen. Das wars. Er hat einfach aufgelegt. Und ich hab… nich mehr angerufen.“ Shinichi schaute ihn zögernd an. „Wusstest du, dass ich angerufen hab?“ Shinichi atmete langsam aus. „Kann sein, dass sie’s mir gesagt haben.“ Er starrte auf seine Finger, zog seine Unterlippe zwischen die Zähne, ließ seine Finger vom Lenkrad gleiten, hinterließ dabei eine schwitzig-feuchte Spur, die schnell trocknete. Heiji schaute ihn ernst an. Er war leise geworden, seine Wut war verraucht, als er Shinichis schuldbewussten Gesichtsausdruck sah, sah, wie sein bester Freund mit sich kämpfte. „Was soll’n das heiß’n…?“ Shinichi atmete langsam aus. „Es tut mir Leid. Ich… hatte sie gebeten, niemandem zu sagen, wo ich war, und ich war… wohl auch nicht das, was man gemeinhin bei Verstand nennt, ich bekam in diesen Wochen wohl wenn überhaupt nur die Hälfte mit. Ich wollte keinen Kontakt mehr zu euch. Du weißt, warum. Abgesehen davon…“ Er hob den Kopf, kurz, warf ihm einen flüchtigen Blick zu. „Was war los mit dir? Ich hätte deinen Vater am Telefon fast nich‘ erkannt, Shinichi, und ich…“ Heijis Stimme war leise, jedoch hatte er ihr eine wohl bemessene Dosis an Unnachgiebigkeit eingeimpft, sein Blick, der nun unverwandt auf Shinichi ruhte, spiegelte pure Entschlossenheit. „Es ist doch egal, Heiji. Was passiert ist, lässt sich nicht mehr ändern, ich habs überlebt, das is doch alles, was…“ Sein Satz brach ab, als er Heijis forschendem und zugleich forderndem Blick begegnete, stöhnte leise auf. „Du lässt mich nicht gehen, bevor du’s nicht weißt.“ Heiji schluckte, wandte den Blick ab. „Ich habs mir heut morgen im Aufzug schon gedacht. Es gab noch einen anderen Grund, warum du nicht nachgeforscht hast, was aus Ran wurd. Du sagtest, du konntest nich‘. Zuerst dacht‘ ich, das wär rein… psychologisch. Dann fiel mir das Verhalten deines Vaters am Telefon wieder ein. Und ganz ehrlich – so langsam fürchte ich, es steckt noch mehr dahinter, und was es auch is, es steckt dir immer noch in den Knochen. Ich mein, schau dich an… das is nich‘ nur zu viel Arbeit…“ Er zögerte. „Ich bin kein großartig einfühlsamer Mensch, das weißte. Aber ich merk doch, dass da was is… und ich will dir doch nur helfen.“ Shinichi rieb sich die Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger, seufzte dann laut auf, als er sich gegen die Rückenlehne fallen ließ. „Und du denkst, du bist der richtige Mann für diesen Job, ja?“ Heiji sah ihn unverwandt an, überging den nagenden Zynismus in Kudôs Stimme. „Ich bin dein Freund.“ Shinichi atmete aus, langsam, presste sein Rückgrat noch fester gegen das Polster der Rückenlehne. „Na schön, ich will heute auch nochmal ins Bett, irgendwann. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“ „Tu ich nich.“ Shinichi warf Heiji einen schrägen Blick zu. „Warts ab.“ Dann holte er tief Luft, ließ noch einen Augenblick verstreichen, ehe er begann. „Du weißt, mein Ziel war immer, den Laden irgendwann hochgehen zu lassen. Allein der Zeitpunkt, an dem es schlussendlich passierte, kam unerwartet und ungeplant. Zu früh, für meinen Geschmack. Und andererseits hatte es mir ja auch kaum schnell genug gehen können, damit, endlich dieses Dasein zu beenden. In letzter Konsequenz spielte es allerdings keine Rolle, was vernünftig gewesen wäre oder was ich wollte. Schlussendlich hatte ich das wann… und auch das wie… nicht so ganz in der Hand.“ Shinichi schluckte, wandte sich zu Heiji um. „Ich hätt‘s gern besser geplant. Länger geplant. Einen Plan B gehabt. Allerdings musste ich handeln, und zwar schnell, als etwas passierte, mit dem ich so nie gerechnet hätte, zugegebenermaßen. Du erinnerst dich vielleicht an den Vorfall, als Ai als Shiho die Kinder gerettet hatte, damals im Wald. Die Kleinen hatten zufällig ein Video gedreht, auf dem sie drauf war. Und… Kogorô hatte das Video von Ai alias Shiho ins Internet gestellt, weil die Detective Boys sie suchten, um ihr zu danken.“ Er lächelte bitter. „Eine nette Geste wohlerzogener Kinder, aber für uns beide…“ „Der Super-GAU.“, murmelte Heiji, nickte verstehend. „Klar, das zwang dich zum Handeln.“ „Ein öffentlicher Internetauftritt einer Totgeglaubten, allerdings… das war der größtmögliche anzunehmende Unfall, den wir uns vorstellen konnten. Und es dauerte nicht lange, da stießen sie auf dieses Video, und uns schlug die Stunde null… die Organisation hatte einen Hinweis dafür, wo sie als nächstes sein würde. Ganz blöd sind die da nämlich auch nicht.“ Er fuhr sich mit plötzlich schweißnassen Händen durch die Haare, blickte durch die Windschutzscheibe nach draußen, sein Blick verlor sich irgendwo in der Luft vor der Parkplatzmauer, als er sprach. „Sie hatten es auf sie abgesehen, als wir im Bell Tree Express mitfuhren. Auf dem Video trug sie den Teilnehmerring, deshalb schlussfolgerte die Organisation, dass sie mit von der Partie war. Ich ahnte, dass sie sie suchen würden, ich wusste, dass Vermouth wusste, dass sie Ai war. Das Ding konnten wir nur drehen, weil Kid und meine Mutter sowie Agent Akai vom FBI mitspielten, um Shihos Tod neu zu inszenieren… sonst wäre mein schöner Plan ganz schön schief gelaufen. Dennoch, eine meiner besseren Aktionen. Im Gegensatz zu manch anderer, die da folgte.“ Er lachte bitter. „Vermouth wusste also von Ai, und sie wusste von mir. Mich wollte sie schützen, ich nehme an, weil ich der Sohn ihrer besten Freundin war, und wohl, weil ich ihr mal das Leben gerettet habe – andere Geschichte,“ schob er ein, würgte damit Heijis Frage ab, bevor sie seine Lippen verlassen konnte, „ - Ai jedoch stand auf ihrer Abschussliste, frag mich, warum… ich schätze, wegen irgendeinem organisationsinternen Kram, eine persönliche Rechnung, schätze ich. Was Vermouth betrifft, bin ich mir über ihre Motive und ihre Alter Egos immer noch nicht ganz sicher, aber das tut jetzt noch nichts zur Sache. Bourbon, der sich als Kogorôs Assistent Toru Amuro ausgab, wusste noch nichts davon – allerdings wurde auch er langsam stutzig, als er mich und Kogorô ein paar Mal miteinander einen… Fall lösen…“, seine Stimme wurde leise, „sah. Und dann forschte er nach… befragte die, die damals Shiho eingesperrt hatten, und musste erkennen, wie unmöglich ihre Flucht als Erwachsene aus ihrem Gefängnisloch eigentlich gewesen war. Forschte nach, woher Conan eigentlich kam und ob man Shinichi Kudô beerdigt hatte, denn eigentlich sollte der laut Gin und Vodka ja tot sein.“ Shinichi drehte den Kopf, schaute Heiji nachdenklich an. „Im Nachhinein wundert es mich, dass sie nicht viel früher schon mal auf dem Friedhof oder im Verstorbenenregister nachgeschaut haben. Nur, weil sie das versäumten, konnte dieses Possenspiel überhaupt so lange laufen.“ Er wischte sich über die Augen, ließ die Hand dann müde wieder aufs Lenkrad sinken. „Also, er forschte er im Auftrag der Organisation zusammen mit Gin nach. Sie glichen die Daten des Verschwindens von Shiho mit der Schulanmeldung Ais ab, und das Gleiche taten sie bei Conan und Shinichi, für dessen Tod sie ja keinen Beweis gefunden hatten… finden konnten… weil es einfach keinen gab. Und dann setzten sie sich in letzter Instanz mit dem Gift auseinander, das mir das alles eingebrockt hat, Apoptoxin 4869… und fanden heraus, was die Nebenwirkung war. Ganz blöd sind die da drin auch nicht, und auch wenn Shiho eine begnadete Chemikerin war, und immer noch Geheimnisse mit sich rumträgt, die die am liebsten alle wüssten, so war sie doch nicht die einzige helle Birne in diesem dunklen Verein.“ Ein schiefes Grinsen rutschte ihm über die Lippen; seine Augen blieben weiter dunkel und ernst blickend auf seinen Fingern haften. „Was soll ich sagen… damit war der Fall für sie klar. Was sie nicht wussten, bestenfalls ahnten, war, dass nicht nur sie mich, sondern auch ich zumindest Bourbon im Auge behielt, und deshalb ahnte, dass die Organisation etwas plante – und dass Vermouth mich warnte. Sie schickte mir eine Nachricht. Und ich musste handeln, schnell… also brachte ich Ai mit dem Professor in Sicherheit, schickte sie auf eine Erfindermesse nach Sapporo, natürlich, ohne ihr etwas zu sagen und versendete meine Mails. Ich nehme an, Meguré oder Black hat sie dir gezeigt.“ Heiji nickte, seufzte leise. „Ja, deine beeindruckende Dokumentation über Conan Edogawa, über die Leute in der Organisation und deine Drohung mit der Emailadresse hab ich gelesen. Den Film jedoch hat man mir nich‘ gezeigt…“ „…wahr wohl auch besser so.“, schob Shinichi ein. „Nun, wie auch immer. Dein kleiner Plan hat ja prima funktioniert…“ Heijis Stimme troff vor Sarkasmus. „Stimmt auffallend.“ Shinichi lächelte kurz. „Kaum nen halben Tag später stand Bourbon auf meiner Matte und bat mich, in sein Auto zu steigen, oder so ähnlich… er hatte es ja nicht weit, und stand wohl in der Gunst des Bosses besser als Gin, der es ja erwiesenermaßen versäumt hatte, mich richtig umzulegen, als er die Gelegenheit hatte…“ Heiji hörte ihm gar nicht richtig zu. „Aber – dennoch, Kudô…und überhaupt… Ai hat sich so einfach wegschicken lass’n? Wie ging das denn, ich mein, wir beide kennen sie doch, die hätte dich nie…“ Erst jetzt wandte Shinichi sich von der Welt jenseits der Windschutzscheibe ab, die im Wesentlichen aus einer grauen Mauer mit dem Schild „Privatparkplatz Hotel Haido – nur für Gäste“ bestand, schaute Heiji ruhig ins Gesicht. Das schmalste aller Lächeln zierte seine Lippen. „Ich hab… den Professor ein bisschen eingeweiht in die Sache, die ich da plante. Und meine Eltern gebeten, für Ai und ihn ein sicheres Plätzchen zu besorgen. Manchmal wundert mich selber, was mein Vater alles mit ein paar Anrufen hinkriegt. Ihn davon zu überzeugen, mich meine Sache allein regeln zu lassen, war weitaus schwieriger. Er hatte mich ja schon mitnehmen wollen, als ich gerade ein paar Wochen Conan war, und wollte alles andere irgendwelchen Freunden bei Interpol überlassen..." „Dein Vater hat Kontakte zu Interpol…?“, begann Heiji ungläubig, doch Shinichi winkte unwirsch ab. „… ihm zu eröffnen, dass ich mich nun in die Höhle des Löwen begeben würde, war eine harte Nummer. Ihn davon abzubringen, mir irgendwie helfen zu wollen, noch schwieriger. Tatsache war, mir war nicht zu helfen. Deshalb habe ich auch dir nichts gesagt.“ Er biss sich kurz auf die Lippen, ließ seinen Blick über das Armaturenbrett wandern. „Du hättest mir nicht helfen können, auf keine Weise und zu keiner Zeit. Auf dich auch noch aufzupassen wäre zu schwierig geworden, eine unplanbare Unbekannte in dieser ohnehin sehr ungleichen Gleichung…“ „… auf mich aufpassn? Wie bitte? Also ich kann schon selber ganz gut auf mich auf-…“ „Jaja.“ Shinichi würgte ihm mit einem müden Lächeln und einer unwirschen Handbewegung ab, fuhr unbeirrt fort. „Also bin ich lieber allein gegangen, statt dich grundlos in Gefahr zu bringen.“ „Und dein Vater hat das hingenommen?“ Heijis Augenbrauen wanderten nach oben. Sein Missmut war ihm immer noch deutlich ins Gesicht geschrieben, und zwar einmal quer und einmal senkrecht, sah man genau hin. Shinichi schluckte, strich sich seine Haare aus der Stirn. Er wusste, Heiji war ein fähiger Detektiv, aber ihn einzuweihen, ihn mitzunehmen oder irgendwo außen zu postieren… wäre in seinen Augen zu gefährlich gewesen. Dass Heiji das anders sah, war ihm klar, schon immer gewesen, hatte ihn aber nicht umdenken lassen. „Nicht ohne Widerrede, was mich aber nicht aufhalten konnte – schließlich wollte ich ja auch nicht seine Zustimmung, nur seine Hilfe bei Ai. Er fand meinen Plan übers Knie gebrochen und unausgereift. Und im Endeffekt hatte er Recht damit, das Schräge daran ist – mir war das auch klar. Dennoch war es die einzige Chance, die ich hatte, diese Sache mit möglichst wenig Schaden auf unserer Seite zu beenden. Und deshalb habe ich Bourbon beobachtet, weil er mir als der greifbarste schien, und weil… auch er ein Doppelagent war, dem ich zwar nicht bedingungslos vertraute, aber bei dem hoffte, die besten Chancen zu haben. Und als es soweit war, habe ich die nötigen Schritte eingeleitet…“ „Und du bist sicher, Bourbon, dass er nichts ahnt?“ Gin lächelte spöttisch, blickte sein Gegenüber gelassen an, pustete feine Kringel blauen Rauchs in die Luft zwischen ihnen, ignorierte, oder besser genoss, das angewiderte Gesicht des Mannes. „Ganz sicher…“ Bourbon lehnte sich zurück, verschränkte seine Arme. „Du weißt, ich hab zuverlässige Quellen.“, meinte er dann trocken. „Ich möchte ja wissen, warum wir das machen…?“, begann Chianti gelangweilt, setzte sich auf eine Tischkante und überkreuzte ihre langen Beine, die der schwarze, eng anliegende Lederjumpsuit auch heute wieder perfekt in Szene setzte. „Ach ja, sagt nichts. Gin muss sein Ego streicheln.“ Sie schaute ihn spöttisch an, lächelte breit, zwinkerte mit ihrem Auge. Der Schmetterling flatterte kurz mit seinem Flügel, unheilverkündend wie eh und je. „Dass ihr Männer immer so ein Theater draus machen müsst. Du hättest ihn mit ihr in die ewigen Jagdgründe schicken sollen, als du die Gelegenheit hattest. Aber nein, fünf Jahre sitzen wir rum und drehen Däumchen und schauen zu, wie er sein langweiliges Leben führt.“ Sie rümpfte die Nase. „Arbeiten, essen, schlafen. Fälle lösen. Gut, dass er ein schlaues Bürschchen war, durften wir ja erfahren.“ Chianti lächelte kalt, warf Bourbon einen berechnenden Blick zu. Das ist er noch. Ein trauriges Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ich seh dennoch nicht, warum der Boss seinerzeit nicht einfach kurzen Prozess gemacht hat. Oder wir mit Shiho, der kleinen Verräterin, die immer noch am Leben ist und uns unbekümmert unter der Nase herumläuft – Akai-“ Chiantis Stimme klang unangenehm in seinen Ohren, ihr meckernder Ton nervte ihn und der bohrende Blick, starr, ohne zu blinzeln, wie der einer Schlange, die ihr Opfer hypnotisiert, brannte fast ein Loch in seine Haut. Chianti blinzelte nur bewusst, wie es schien. Nur dann, wenn der Schmetterling mit seinen Flügeln schlagen sollte. „…passt auf sie auf, und hinter Akai steckt das FBI – hinter uns niemand mehr, abgesehen davon, dass wir uns in Japan, geschweige denn Tokio, kaum blicken lassen können, nach Kudôs Aktion. Du weißt, wie schwer es seitdem ist, überhaupt unerkannt zu reisen. Wenn wir uns ihm gleich offenbaren, weil du nicht warten kannst, können wir unsere Rache vergessen.“ Gin warf ihr einen scharfen Blick zu. „Und deswegen tun wir das. Es reicht einfach nicht, ihn nur umzubringen. Ich will es genießen. Einmal nur… will ich ihn zermürben, ihn in Fehler treiben, jedes unangenehme Detail seines Lebens ans Licht zerren, bis ihm keiner mehr glaubt – bis er selbst sich nicht mehr glaubt. So wie er es mit uns gemacht hat. Ausziehen bis auf die Knochen.“ Er lachte leise. „Und wenn es soweit ist, und er am Boden liegt… wird es mir eine Freude sein, ihn von seinem jämmerlichen Dasein zu erlösen. Bis dahin… spielen wir dieses Spiel.“ Bourbon warf ihm einen kurzen Blick zu. „Na, dann pass lieber auf. Du weißt, was er das letzte Mal angezettelt hat, als man ihn zu lange am Leben ließ, weil der Boss noch spielen wollte. Kudô ist keine Maus, und ihr seid keine Katzen. Er wird sich wehren, er ist nicht blöd, auch wenn ihr ihm einen ordentlichen Schlag versetzt habt, das letzte Mal. Ich an eurer Stelle, hätte den Sack damals zugemacht. Und auch das sagte ich euch. Ich hab euch…“ „… gewarnt, jaja. Spar dir den Atem.“ Gin drückte seine Zigarette aus, schüttelte den Kopf. Wie immer waren seine Augen unter seinen Haaren und dem breitkrempigen Hut, den er auch in Innenräumen kaum jemals abnahm, nicht zu sehen. Bourbon seufzte. „Du weißt, der Boss hätte nie erlaubt, dass du sein Mädchen umbringst und ihn ziehen lässt, ihn weiterhin eine Gefahr sein lässt, für die Organisation. Es hat mich gewundert, dass er sich ohnehin so lange mit ihm amüsiert hat, seinerzeit.“ Gin zog tief den Rauch seiner Zigarette ein, ließ ihn langsam durch seine Lippen entweichen. „Du weißt, was der Boss wollte, warum er ihn nicht gleich losgeworden ist. Kudô hat es geschafft, sich… unterhaltsam… genug zu machen, um ins Hauptquartier zu kommen – und er wollte die Antworten. Du weißt, der Boss hatte eine Schwäche für Menschen, die es intellektuell mit ihm aufnehmen konnten, egal, ob er nun Freund oder Feind war. Wir haben ja gesehen, wie sehr er es genossen hat, sich mit ihm zu beschäftigen.“ Er kniff die Augen zusammen. „Was meine Rache allerdings betrifft, geht dich das herzlich wenig an, Bourbon. Der Boss ist Geschichte, ihn wird’s damals nicht interessiert haben, und genausowenig tut es das heute – er hat den Laden in die Luft gejagt und sich gleich mit.“ Er lachte kalt. „Nach bester Samurai-Manier nimmt der gescheiterte Krieger sich das Leben… Schade nur, dass er es nicht damit tun konnte.“ Er blickte zu dem Katana, das an der Wand hing, lächelte schmal. „Ich hab mir erlaubt, es zu retten. Honjo Masamune, das legendäre Samuraischwert…“ Bourbon schluckte hart. „Sollte er doch noch nicht tot sein, hast du ein Problem, Gin… du weißt, Anokata…“ Der Angesprochene schnitt mit einer scharfen Handbewegung Bourbon das Wort ab, der gerade noch einmal seine Stimme erheben wollte, bereits Luft geholt hatte. „Hör auf mich zu langweilen und lass das lahme Gewäsch, Bourbon. Der Boss ist tot. Es gibt keine Organisation mehr, für die Kudô eine Gefahr sein könnte – es gibt nur noch uns. Und wir werden uns unsere Genugtuung holen und zu Ende bringen, was wir vor fünf Jahren begonnen haben, wir werden ihn vernichten, diesen kleinen dreckigen Schnüffler. Und zwar gründlich, endgültig und erfolgreich… und dann kaufen wir uns Sherry.“ Bourbon schaute ihn aus Halbmondaugen lang an, ehe er mit spöttelnder Stimme Gins Selbstbeweihräucherung unterbrach. „Ja, klar. Euer Erfolg springt einem ins Gesicht. Großbritanniens bester Ermittler seit Conan Doyles Erstausgabe von Sherlock Holmes im Strand Magazine buchtet die Kriminellen reihenweise ein - dem habt ihrs aber gezeigt…“ Heiji starrte ihn fassungslos an. „Und das war also dein Plan? Dich zu stellen, wenns eng wird…?“ „Nein.“ Shinichi schaute ihn verärgert an. „Ich musste sicher sein, dass ich interessant genug war, damit man mich nicht einfach gleich erschießt. Und ich musste dafür sorgen, dass die anderen sicher sind. Ran. Die Môris. Ai, der Professor… du.“ Er schluckte hart. „Ich habe also das FBI kontaktiert und eingeweiht. Und mit ihnen diesen Plan ausgeheckt. Ich würde reingehen, ein Computerprogramm, einen Trojaner installieren, der heimlich die Daten ihrer Rechner abzog und sie würden ein Auge auf alle anderen haben, unauffällig, und sie in Sicherheit bringen, wenn nötig. Damit der Boss der Organisation auch glaubte, dass ich es ernst meinte, dass es sich lohnt, mit mir zu reden bevor man mich liquidiert, habe ich ihm diese Mail geschickt. Und an James Black und Meguré, damit sie einen Beweis haben für meinen… Fall. Und damit der Boss sieht, wer in meinem Team spielt, natürlich.“ Shinichi schluckte hart. „Damit war ich drin in der Sache… mit einem einigermaßen konkreten Plan, wieder rauszukommen, denn damals dachte ich ja noch, ich hätte das alles in der Hand, zumindest das meiste. Haibara und der Prof waren weg, zusammen mit meiner Mum. Mein Vater hielt sich in Tokio auf, wie du ja erfahren hast, begleitete das FBI und die Polizei. Als der Zeitpunkt kam, also… als dank der erfolgreichen Installation des Trojaners die nötigen Daten sie endlich erreicht haben würde, sollten sie mit der Emailadresse den Namen und Aufenthaltsortes des Bosses recherchieren. Tatsächlich dauerte das zu lange – wer sie wirklich ins Hauptquartier brachte, war Ran. Sie orteten ihr Handy, das sie immerhin bis knapp vor die Tore des Gebäudes hatte bringen können, bevor man sie aufgriff …“ Er hielt inne, als er seinen Gesprächspartner neben sich nach Luft schnappen hörte, wandte sich um und sah Heiji, der krebsrot im Gesicht geworden war. „Ja, das hab ich mitgekriegt. Und damals wie heut frag ich mich - warum hast du nicht gleich die Mailadresse vom Boss nachverfolgen lassen, Kudô!?“ Heiji fuhr ihn wütend an. „Verdammt, wenn du die hattest, warum dann das Ganze?! Konnteste den Hals nicht voll genug kriegen, musstest du’s unbedingt allein durchziehen, war dir das alles noch nicht genug des Ruhms, du -“ „Weils nicht so einfach war!“, fauchte Shinichi zurück, mit nicht minder Wut in der Stimme. Er fixierte seinen Freund mit zornfunkelnden Augen, brachte sich mühsam unter Kontrolle. „Denkst du das wirklich? Hast du in all den Jahren, in denen wir befreundet waren, denn nichts über mich gelernt? Mir gings nicht um Ruhm oder Ehre oder sonstwas dergleichen…“ Er wurde leise, wandte sich ab. „Ich wollte ein Ende, ja. Ich wollte, dass keiner wegen mir zu Schaden kommt. Ich wollte sicher sein, dass wenn jemand über diese Klinge springen musste, nur ich allein derjenige war. Ich hatte Mist gebaut, damals. Und ich… ich hatte Angst, ganz einfach. Ich gebe gern zu, ich hatte nicht viel Ahnung, wen ich mir da an Land gezogen hatte, als ich ihnen vor sieben Jahren am Rummelplatz nachgejagt bin. Und auch einige Zeit danach noch nicht… ich hielt sie bestenfalls für etwas besser organisierte, etwas skrupellosere Verbrecher. Aber ich kann dir sagen, als ich vor fünf Jahren den Schlussstrich gezogen habe, war mir sehr klar, mit wem ich mich da angelegt hatte. Und ich hatte… die nötige Portion Respekt.“ Shinichi schluckte hart. Heiji starrte ihn sprachlos an. „Glaubst du nicht, das war mein erster Gedanke, als ich an die Adresse gekommen bin? Recherchier den Inhaber und nimm den Verein hoch, Kudô!“ Er lachte bitter, schüttelte etwas hilflos den Kopf, ehe er weitererzählte. „Ich hätt‘s sofort getan. Noch an dem Tag, als ich sie herausgefunden habe! Ich wollte Takagi anrufen und ihn nachforschen lassen. Bis Ai mir erklärte, dass jeder, der die Adresse recherchierte, schneller tot wäre, als er die Nummer in irgendeine Suchmaske eintippen könnte.“ Shinichi atmete schwer. „Beweise, Rezepturen, Zeugen, alles vernichtet, ehe irgendwer einen Fuß in diese Festung setzen konnte, alle Vögel längst ausgeflogen, dafür viele unschuldige Tote, nein!“ Der junge Detektiv fasste sich mühsam. „Das war es nicht, was ich wollte. Ich wollte sie alle. Und ich wollte das Gegenmittel zu diesem verfluchten Apoptoxin. Ich wollte Beweise und Namen sichern, damit die Polizei an den Ort führen. Ich wollte das endlich beenden, und als ich die Chance kriegte, nutzte ich sie. Nutzten wir sie.“ Mit klammen Fingern wischte er sich über das Gesicht. Heiji starrte ihn an, bemerkte, wie aschfahl Shinichi geworden war. „Und warum bist du da selber rein? Und nicht wer vom FBI? Oder warum hat es diese Hondo nicht gemacht, warum mussten die da dich…“ Shinichi seufzte leise. „Hidemi war immer noch unter strenger Beobachtung. Das FBI hatte noch keinen neuen Agenten, den man einschleusen konnte, und selbst wenn, hätte es zu lange gedauert, bis er sich da drin ein Grundvertrauen erworben hätte. Die Zeit hatten wir aber nicht. Wie ich schon sagte, sie wussten, wer Ai war. Und ich.“ Er seufzte. „Unser Leben war ohnehin in Gefahr, ich sollte ja schon tot sein, schon vergessen? Also warum dann nicht so? Ich hatte nur die Wahl zwischen Zeugenschutz und – dem hier. Kampf. Und ich bin niemand, der wegläuft…“ Zumindest war ichs damals nicht. Er schluckte hart, sammelte sich. „Ich wollte das. Ich wollte mein Leben wieder. Ich wollte… Ran. Und Shihos Freiheit. Deshalb bin ich gegangen. Mein Leben als Einsatz für mein Leben… das schien nur fair für mich. Und als Bonus die Sicherheit von euch allen, Shihos Freiheit… mir erschien das durchaus das Risiko wert.“ Shinichi hob den Kopf, schaute Heiji fest an, lächelte schmal. „Versuch nicht, mir weiszumachen, du hättest anders gehandelt, an meiner Stelle. Ich war viel freier als Hidemi es sein konnte – sie musste darauf achten, ihre mühsam erarbeitete Position nicht zu verraten, die Arbeit von Jahren nicht zunichte zu machen, falls sie scheiterte oder aufflog. Ich konnte da drin ausbrechen und tun was ich wollte, ich war ihnen ohnehin auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Und bis zu dem Zeitpunkt, als Bourbon mich dem Boss übergab – den ich während der ganzen Zeit dort nicht gesehen habe, zumindest nicht mehr als seine Silhouette“, merkte er an, als er sah, wie Heiji zu einer Frage ansetzen wollte, „er saß immer im Gegenlicht oder ganz im Schatten - lief alles leidlich nach Plan. Es funktionierte alles, bis zu dem Zeitpunkt, als ich den Trojaner installierte, der Itakuras Verschlüsselungssoftware knackte. Und ich dachte, ich könnte, was dann auch immer kommen würde, ertragen, bis man mich rausholte oder sich eine Gelegenheit zur Flucht ergab. Ich meine, ich hatte mittlerweile doch etwas… Übung.“ Sein Lächeln war bitter geworden, Sarkasmus färbte seine Stimme, hinterließ einen schalen Geschmack auf seiner Zunge. Heiji wusste, worauf er anspielte. Er hatte oft genug mitbekommen, was Shinichi ausgehalten hatte, immer dann, wenn Conan kam oder sich verabschiedete. „Tatsächlich muss ich sagen, ich rechnete mit vielem… aber mit dem, was dann passierte, nicht.“ Shinichi schluckte hart, merkte, wie die Erinnerung seine Sicht trüb werden ließ, und wusste, auch jetzt, nach fünf Jahren, war er die Bilder noch immer nicht los geworden. Wahrscheinlich würde das nie der Fall sein. Unwillkürlich rieb er seine Armbanduhr, drehte sie um sein Handgelenk. „Was…?“ Heiji merkte, wie ihn fröstelte. Shinichi ließ sich langsam nach hinten sinken. Er sah ihn aus dem Augenwinkel an. „Zunächst wollten sie einfach wissen, was ich so großspurig in dieser Mail, beziehungsweise meiner Videobotschaft angekündigt hatte. Ich meine, damit war zu rechnen, und das tat ich auch. Sie brannten darauf zu erfahren, wohin Ai verschwunden war. Und wie ich so viel hatte über diesen schwarzen Misthaufen hatte herausfinden können. Sie wollten die Namen der Maulwürfe und Verräter hören. Sie wollten sich rächen dafür, dass ich sie an die Polizei und das FBI verpfiffen hatte, mit diesem Beweisvideo. Wollten ihren Spaß wohl haben, mit mir. Ich war die meiste Zeit, bis dahin zumindest, nicht wirklich gefährlich gewesen. Wohl aber lästig. Aber ich war dabei, etwas zu lästig zu werden, und damit dann sehr wohl gefährlich.“ Er lächelte bitter, schaute auf seine Finger, die unruhig auf das Lenkrad trommelten. Heiji beobachtete ihn beunruhigt. „Gut, das war ja mein Ziel gewesen. Ich wollte ihre Aufmerksamkeit von Shiho zu mir ziehen. Wollte verhindern, dass sie mich kleines Licht auspusteten, bevor ich irgendetwas hatte anzünden können, den Großbrand hatte legen können, dort drin.“ Shinichi schloss die Augen. „Das hatte also geklappt. Gleich als ich ankam, gaben sie mir ein Gegengift, ein Geschenk für mich, denn das erleichterte mir vieles – welchen Nutzen das für sie hatte, erschloss sich mir nicht. Vielleicht wollten sie einfach ihrem Widersacher in die Augen sehen. Vielleicht fanden sogar sie es zu absurd, das, was kommen sollte, mit einem Grundschüler anzustellen.“ Heiji starrte ihn fassungslos an, ein eisiger Schauer rann ihm über den Rücken, prickelte unangenehm in seinem Nacken nach, als er seinen Freund so bitter lachen hörte. Kudô… Er blickte ihn von der Seite an, sah diesen seltsam blicklosen Ausdruck in Shinichis Augen, der ihm verriet, dass er gerade mit den Gedanken nicht in der Gegenwart war. Heiji ahnte, woran sein Kollege gerade dachte – und schwieg, so sehr ihn dessen Schweigen auch beunruhigte. Irgendwann war er wieder zu sich gekommen – wie erwartet hatte man ihm die Hände gefesselt; und er wunderte sich auch nicht, dass er sich im Kofferraum eines Wagens wiederfand. Ihm war klar gewesen, dass er kaum Business class ins Hauptquartier fahren würde. >Wohl eher Holzklasse.< Er schluckte, schloss kurz die Augen, als er den pochenden Kopfschmerz hinter seinen Augen bemerkte. >Der war auch nicht zimperlich… sind die wohl alle nicht.< Er spürte, wie das Plastik der Kabelbinder in seine Handgelenke schnitt, fühlte, wie die Schnalle hart gegen seine Knöchel drückte – und wohl irgendeinen Nerv oder ein Gefäß abklemmte, denn er spürte nichts mehr in seinen Fingerspitzen seiner rechten Hand, etwas, das ihn beunruhigte – allerdings, und das war ihm klar, steckte er in weit größeren Schwierigkeiten und hatte andere Sorgen, als eine eingeschlafene, taube Hand. Ihm war heiß, und der Schweiß rann ihn in kleinen Tropfen über die Haut, klebte seine Haare an seine Stirn. Er ahnte, er lag in einem Kofferraum, gedämpft drang das Motorengeräusch zu ihm durch – viel lauter jedoch klang das Rauschen seines Bluts in seinen Ohren, sowie sein durch den Knebel, den man ihm verpasst hatte, gepresster Atem. Er stöhnte auf, als er sich bewegte, und die Kopfschmerzen sich intensivierten – intuitiv wollte er an die Stelle am Hinterkopf greifen, ein aussichtsloses Unterfangen. Man hatte ihn ja – mal wieder – niedergeschlagen. Shinichi schluckte erfolglos – der Knebel in seinem Mund, wahrscheinlich ein Geschirrlappen aus Agasas Küche, saugte seinen Speichel weg, bevor er sich in seiner Mundhöhle sammeln konnte. Er schloss die Augen, versuchte, ruhig zu sein. Genau das hatte er doch gewollt. Genau das war der Plan gewesen. Und so lag er da, spürte jede Kurve und jede Bodenwelle, und wartete. Seine Gedanken waren nicht bei dem, was kommen würde. Was ihn erwartete. Er hatte eine kleine Ahnung, was ihn erwartete, und er wusste, es würde kein Vergnügen werden. Dennoch, trotz dieses Wissens, hatte er sich dafür entschieden – und nun würde er es aussitzen müssen. Schließlich hatten sie einen Plan. Es ging um alles, er durfte nicht kopflos werden, indem er der Panik erlaubte, die Kontrolle über ihn zu übernehmen – auch wenn er Angst hatte. Und das konnte er nicht leugnen. Shinichi starrte in die stickige Dunkelheit, atmete langsam aus. Irgendwann hielt der Wagen an, der Motor erstarb. Anscheinend waren sie angekommen – dass dem tatsächlich so war, bestätigte ihm Bourbon, der die Heckklappe öffnete und das künstliche Licht einer Parkgarage in den Kofferraum strömte. Shinichi blinzelte, als die Helligkeit ihn kurz blendete. Im Zwielicht einer Tiefgarage erschien Bourbons Gestalt. „Wie schön. Du bist wach. Dann müssen wir dich nicht tragen.“ Damit zog ihn der Mann aus dem Wagen, ließ ihn kaum auf die Füße kommen, als sich bereits ein weiteres Paar Hände um ihn kümmerte – ein starkes Paar Pranken, die zu einem untersetzten Mann gehörten, mit Hut und Sonnenbrille. Wodka. „Sieh einer an, du kleiner Schnüffler. So sieht man sich wieder.“ Er lachte hohl. „Gin wird sich freuen, dich zu sehen. Mal kucken, ob er sich an deine Visage erinnert. Er sagt ja immer, er vergisst sie alle.“ Ein weiteres Lachen entwich seinen Lippen, als er ihm einen Stoß nach vorne gab, um ihn zum Gehen zu bewegen – und ihn damit ins Stolpern brachte. „Na na. Schwächelst du etwa schon?“ Bourbon lächelte ihn breit an. Dann ging er voran, wandte sich nicht um – er wusste auch so, dass die beiden ihm folgten. Shinichi blickte ihn kurz an, zog die Augenbrauen hoch. Dann schubste man ihn weiter – durch eine Tür in ein Labyrinth aus grellweißen Gängen mit grauem Linoleumboden, der im Licht der Neonröhren glänzte. Wenn er geglaubt hatte, sie würden ihn sofort zum Boss bringen, hatte er sich jedoch getäuscht. Was er zuerst sah, war das Innere einer etwa sechs Quadratmeter großen Zelle, in die man ihn stieß. Sie war rundum weiß, blendend hell erleuchtet, und über der Tür blinzelte ihn ein Kameraauge an. >Sie machen sich nicht einmal die Mühe, etwas zu verstecken.< Leider hatten sie sich auch nicht die Mühe gemacht, ihm den Knebel aus dem Mund zu ziehen oder die Fesseln abzunehmen. Mit Mühe hatte er sich an die Wand gerobbt und aufgesetzt, und zerrte an seinen Händen. Erfolglos. Er stöhnte frustriert auf, ließ sich zurücksinken – bekam er die Hände nicht frei, dann bekam er auch den Knebel nicht aus seinem Mund. Und sie ließen ihn warten. Irgendwann wusste er auch, worauf sie warteten. Seine Kehle schien wie ausgetrocknet, seine Zunge fühlte sich unnatürlich groß und wattig in seinem Mund an, erschwerte ihm das Atmen. In seinen Fingern spürte er mittlerweile gar nichts mehr, so sehr er auch versucht hatte, sie in Bewegung zu halten. Was er allerdings sehr wohl spürte, war etwas ganz anderes. Hitze. Shinichi warf der Kameralinse einen verächtlichen Blick zu. Warteten sie darauf, dass er sich zurückverwandelte? >Ganz offenbar ist das der Plan…< Die sechs Stunden für die verringerte Dosis waren ganz offenbar verstrichen. Er versuchte, sich von der Kamera wegzudrehen. Wollte ihnen die Genugtuung nicht geben, ihn leiden zu sehen. Allerdings ahnte er, dass es egal sein würde, wie er es anstellte – die Kamera hing hoch genug, um ihn immer im Blickfeld zu haben. Und er wusste, wenn es soweit war, würde er keine Kontrolle mehr über sich haben. Und es kam soweit. Er stöhnte in seinen Knebel, fand ihn zum ersten Mal nützlich – er erstickte seine Schreie, und er eignete sich hervorragend, um darauf herumzubeißen. Er riss die Augen auf, als die Schmerzen anfingen – plötzlich, wie immer, aber unerwartet heftig. Brennend, bohrend zuckten sie wie ein Stromschlag durch seinen Körper, auf der Suche nach einer geeigneten Austrittsstelle, scheinbar, ließen auf ihrem Weg seine Muskeln verkrampfen, verspannen, seine Nerven vor Überreizung fast kapitulieren. Und er schrie. Krümmte sich, wand sich, wollte sich bewegen, seine Hände um seine Brust schlingen, gegen seinen Brustkorb pressen, und es ging nicht – noch immer hielt das Band aus Plastik seine Arme auf seinem Rücken. Er keuchte, bekam kaum Luft, verschluckte sich und konnte kaum Husten, glaubte, ersticken zu müssen. Er fühlte, wie jede Zelle einzeln vor Qual zu schreien schien – und zum ersten Mal fragte er sich, was mit ihm eigentlich geschah. Was mit all der Größe, all den überschüssigen Zellen passierte. Apoptose war der Name für den Selbstmord von Zellen. Und würde dieser Selbstmord nicht aufhören, dann starb er. Es war tatsächlich erleichternd, als seine Hände endlich durch die Fessel rutschten, er sich den Knebel aus dem Mund zerren konnte, um nach Luft zu schnappen wie ein Ertrinkender. Schließlich lag er auf dem Boden, Arme und Beine flach ausgestreckt, die Wange am Fußboden, atmete flach und schnell, wie ein kleiner Vogel auf der Flucht vor der Katze. Dann ging die Tür auf, und sie kamen, um ihn zu holen. Und er war nichts in ihren Händen. Sie stellten ihn auf die Füße, mussten ihn dreimal hochheben und wieder hinstellen, weil ihm die Beine versagten. Im Gegenlicht stand ein Mann, eine schwarze Silhouette – neben ihm, und erkennbarer, weil deutlich näher, standen Vermouth, Gin, Bourbon. Hinter ihnen gruppierte sich eine Horde weißgewandeter Chemiker – und ihre Anwesenheit verhieß ihm nichts Gutes. Shinichi fragte sich, in welchem Raum sie wohl waren; seine malträtierten Sinne ließen ihn im gleißend hellen Licht kaum etwas erkennen. Eine Liege. Ein Ständer für einen Tropf. Ein OP-Wagen aus Edelstahl, dessen Tischplatte er nicht sehen konnte – wahrscheinlich wollte er das auch gar nicht. So blieb ihm der Ausblick auf das, was ihn vielleicht gleich erwartete, erspart. Ihm drehte sich fast der Magen um. Und jetzt wusste er auch, was für eine unbarmherzige Lampe das war. Es war eine OP-Beleuchtung. Dies war ein Untersuchungsraum. Er war im Labortrakt, ganz offensichtlich. „So, so so…“, hallte eine seltsam körperlose Stimme durch die Stille. Conan ahnte, dass sie zu dem Mann im Gegenlicht gehörte. Und er ahnte auch, wer das war. „Ich hoffe, du verzeihst mir meine Neugier, Shinichi Kudô.“ Ein heiseres Lachen ertönte. „Meine Neugier und meine schlechten Gastgebergewohnheiten. Es war unhöflich, dich so lange warten zu lassen, wo deine Einladung doch so… ausgesprochen eindringlich war. Aber ich wollte mich doch zuerst mit eigenen Augen überzeugen, ob diese beeindruckende Vorführung, die du mir hast zukommen lassen, stimmt.“ Der kleine Junge warf ihm einen aufgesetzt genervten Blick zu. „Und? Zu welchem Schluss sind Sie gekommen? Bin ich ein Lügner oder nicht?“ Gelächter hallte durch den Raum, lauter, als er es erwartet hatte – und er fragte sich zum ersten Mal, ob die Stimme nicht aus einem Lautsprecher kam. Ob der Schatten, der vor ihm stand, wirklich der Boss war oder nur eine Puppe. „Du hast Humor, das gefällt mir. Offenbar stimmt es, was man sich von dir sagt, Shinichi Kudô – oder Conan Edogawa. Du bist ein furchtloser Detektiv… oder einfach einer der größten Dummköpfe, der hier rumrennt.“ Bewegung kam in die Menschen um ihn herum, er fühlte sich fast von den Füßen gerissen, als Vodka, der irgendwann hinter ihm erschienen sein musste, ihn packte. Er strampelte kurz, ließ es wieder bleiben, als er einerseits merkte, wie sinnlos das war, und zweitens, wie selten dämlich das aussehen musste. Er war ein Kind und hatte ihnen nichts entgegenzusetzen. Punkt. Er schluckte, hörte auf, sich zu wehren, versuchte stattdessen, in der schwarzen Silhouette ein Gesicht zu sehen. „Und was haben Sie jetzt vor? Ich muss zugeben… das hier lässt nicht viel Spielraum für Fantasie…“ Er nickte in Richtung des Untersuchungstischs. Der Boss lachte leise. „Ach das? Das muss dich nicht beunruhigen. Noch nicht.“ Er ließ die letzten zwei Wörter drohend im Raum schweben. „Nun. Da ich es nicht liebe, auf meine Feinde schon herabzusehen, wenn sie noch nicht am Boden liegen…“, eine Kunstpause ertönte, „muss ich wohl den eben gesehenen Vorgang rückgängig machen. Aber freu dich, Kudô. Es wird das letzte Mal sein.“ Shinichi starrte ihn sprachlos an, schluckte trocken. Er wusste genau, in welcher Konstitution er sich befand. Nie hatte er sich getraut, zweimal in so kurzer Zeit das Gegengift zu nehmen. Niemals gleich nach dem Abklingen der Wirkung, so experimentierfreudig er gemeinhin auch mit diesen Gegengiften gewesen war. Ein Schweißtropfen rann ihm die Schläfe entlang nach unten – und er wusste, dass er es sah. „Angst, Kudô?“ Shinichi versuchte erneut, seine Kehle zu befeuchten, und erneut gelang es ihm nicht. So räusperte er sich, ehe er zu einer Antwort ansetzte. „Verwirrung, vielmehr.“ Er versuchte, seinen Stand etwas zu entspannen, seiner Stimme mehr Selbstsicherheit zu verleihen. „Bitte korrigieren Sie mich, falls ich Ihre bisherigen Aktionen falsch interpretiert haben sollte. Wir stimmen darin überein, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, meiner Bitte Folge zu leisten und mich hierher zu bringen, weil Sie tatsächlich neugierig darauf sind, wer ich bin und… oder was ich weiß.“ Der Boss lächelte. „Damit liegst du richtig.“ „Dann… scheint es mir, mit Verlaub, als wenig zielführend, wenn Sie nun riskieren, Ihre Informationsquelle auszutrocknen, bevor Sie sie angezapft haben, um die bösen Wörter verhören und töten nicht zu verwenden.“ Ein bitteres Lächeln schlich sich auf Shinichis Lippen. „Du hast Recht, ich spiele mit Risiko. Gerade du solltest das aber doch verstehen, Kudô…“ Ein leises Lachen plätscherte durch den Raum. „Risiken einzugehen macht das Spiel erst interessant… und du, mein junger Freund, bist nur aus einem einzigen Grund hier.“ Sein Lachen wurde lauter, biss in Shinichis Ohren. „Um mit dir zu spielen…“ Der Schatten winkte, und eine junge Frau kam heran, eine Kapsel in ihrer Hand. Sie ging vor ihm in die Knie, ohne ihn anzusehen, kniff ihm ohne Vorwarnung die Nase zu – und als er den Mund aufriss, um nach Luft zu schnappen, schob sie ihm die Kapsel zwischen die Kiefer, hielt ihm dann mit erstaunlich viel Kraft eisern den Mund zu, indem sie seinen Unterkiefer gegen seinen Oberkiefer presste. Bis er schluckte. Shinichi verdrehte die Augen, als der Schmerz ihn mit scharfen Klauen packte und mit sich zerrte. Er merkte nicht, wie er auf dem Boden aufschlug – der Schmerz des Aufpralls war nichts im Vergleich zu dem, was sich gerade durch seine Glieder bahnte, mit heißen, weißglühenden Nadeln. Hörte nur gedämpft das Gelächter der Personen, die um ihn herum standen und ihm zuschauten. Er ahnte, dass sie dabei war. Vermouth. Dass sie ihm zuschaute, dass sie ihn beobachtete… Und er kämpfte. Sein Organismus ging fast in die Knie, er spürte es. Die Rückverwandlung war gerade erst vorbei gewesen, ihn so schnell wieder diesen Prozess retour ertragen zu lassen war fast mehr, als er aushalten konnte. Er fühlte, wie sein Kopf abschalten wollte, seinen Körper einfach ausschalten – sein rasendes Herz anhalten, seinen fliegenden Atem zum Erliegen bringen, weil es zu viel war, die Belastung zu hoch. Er zitterte und krampfte, Faser für Faser verzog und verzerrte sich, bis die Krämpfe seinen Herz erreicht hatten – es fast wie eine Papierkugel zusammenknüllte, nur um es im Anschluss wie einen Luftballon fast bis zum Platzen auszudehnen. Aber es schlug weiter, unruhig, unregelmäßig, krampfhaft zwar – dennoch, es schlug. Er befahl sich, weiter zu machen, nicht aufzugeben – Shihos Leben hing an seinem Erfolg. Und wahrscheinlich nicht nur ihrs. Er schrie auf, laut, als er es nicht länger aushalten konnte. Schnappte nach Luft, versuchte, tief zu atmen, weil ihm die Sinne schwanden, als seine Zellen zu wenig Sauerstoff erhielten, da er fast hyperventilierte. >Die wollen mich sterben sehen… die wollen mich hier einfach nur sterben sehen, das… deswegen bin ich nicht hier. Das darf nicht passieren. Das. Darf. Nicht. Passieren…!< Fest kniff er die Augen zusammen, presste die Lippen aufeinander, zwang sich, tief durch die Nase zu atmen. „Nein…“ Er krallte die Hände in den Boden, hustete und keuchte, zischte das Wort fast stimmlos in den Raum. „Was, nein…?“ Die Stimme klang beunruhigend nah an seinem Ohr. Dunkel, durchdringend… grausam. „Ich…“ Er schluckte, zog sich auf die Knie, gestützt auf seine Unterarme, berührte mit der Stirn den kalten Fliesenboden. „Ich…“ Shinichi rang um jeden Atemzug. „Wir warten.“ Belustigung klang in der Stimme. Heiße Luft streifte seine Wange, und ein paar schwarzer Lederschuhe tauchten in seinem Sichtfeld auf. „Ich… sterbe heute nicht.“ „Ich fürchte, wir konnten dich nicht hören.“ Kalt drang die Stimme an sein Ohr. Shinichi sog die Luft ein, tief. Sein Herz schlug ihm immer noch bis zum Hals – aber langsam schien es abzuebben. Der Schmerz war auf ein dumpfes Pochen herabgesunken, das er ertragen konnte – und so richtete er sich auf, hob den Kopf. Als er hoch ins Licht blinzelte, sah er nichts als schwarze Schatten, und doch lag in seinen Augen Entschlossenheit in ihrer Reinstform. „Ich. Sterbe. Heute. Nicht.“, erklärte er bestimmt, schaffte es, ihnen dabei in ihre Gesicht zu sehen, ohne zu blinzeln – oder besser dorthin, wo er ihre Gesichter vermutete. „Beeindruckend.“, erklang die Stimme erneut. Shinichi rieb sich über die Augen, die immer noch wegen der Helligkeit schmerzten. Die Stimme lachte. „Wie schön. Der Spieler entscheidet sich, das Spiel noch nicht zu verlassen… also auf in Runde zwei, Detektiv…“ Eine kurze Pause folgte. „Allerdings wird sich dieses Gespräch noch etwas verzögern, ich hoffe, du verstehst das. Leider hast du uns ziemlich viel Ärger bereitet mit deiner kleinen e-mail… ein paar unserer Leute sind etwas nervös geworden, als es die Kunde machte… anscheinend hat die Polizei ein kleines Informationsleck.“ Ein heiseres Lachen waberte durch den Raum. „Deshalb müssen wir zuerst einmal Schadensbegrenzung betreiben. Aber sei unbesorgt. Du wirst deine Gelegenheit noch bekommen, mit mir zu reden. Ich brenne geradezu darauf…“ Sein Ton verebbte zu einem gefährlichen Flüstern. „Detektiv Shinichi Kudô…“ Damit hatten sie ihn zurück in seine Zelle gebracht und allein gelassen, in blendend weißer Hölle – und so war er die meiste Zeit auf dem Rücken gelegen, hatte sich die Augen zugehalten und gewartet – und dabei wirklich jedes Zeitgefühl verloren. Shinichi blinzelte – die Stille im Auto war fast greifbar, und sie war es auch gewesen, die ihn aus seinem kurzen Gedankenausflug wieder zurückgerufen hatte. „Ich hatte, wie du ja jetzt weißt, den Auftrag, einen Virus ins System zu spielen, und ich nutzte die erste Gelegenheit, die sich mir bot, um das zu tun. Ich brach aus, als so ein Mädchen mir was zu essen brachte, kurz nach meiner Festnahme, ich glaube, es war am zweiten Tag – so wie wir es geplant hatten, ich war über den Umgang der Organisation mit ihren Gefangenen gut informiert durch Akai. Ich schaffte es, in den Serverraum zu gelangen und die Software zu installieren, man hatte mir ja den Weg erklärt. Bis dahin lief auch alles noch nach Plan. Die Organisation ahnte nicht, wie sehr die Kacke wirklich am Dampfen war, der Virus simulierte einen Hackerangriff – und als sie alle panisch begannen, ihre Daten von den Server zu holen, dazu natürlich all ihre Passwörter eingaben, saugte der Virus genau das alles ab. Er arbeitete im Verborgenen, wurde von keinem ihrer Anti-Spyware-Programmen aufgespürt, entschlüsselte die Dateien und lieferte zwar langsam, aber beständig, Daten ans FBI. Namen und Codenamen, Adressen, Daten über Verbrechen, Laboraufzeichnungen. Das, was Shiho noch brauchte…“ Er schluckte. „Nachdem sie mich wieder eingefangen hatten, fingen sie an, mich zu verhören. Und nachdem ja einfaches Fragen erwartungsgemäß wenig fruchtete, versuchten sie es mit…“ Kurz hielt er inne, müde, jeder Zynismus war von ihm abgefallen. Heiji schaute ihn abwartend an, seine Gedanken rasten – um mit den nächsten Worten gänzlich zum Erliegen zu kommen. „…versuchten sie es mit einer Droge.“ Shinichis Stimme war sachlich, erstaunlich nüchtern. Er hatte die Lippen aufeinandergepresst, den Blick ernst und starr auf seine Fingerspitzen gerichtet. Heiji schluckte hart, kniff die Lippen zusammen. „Mit Droge meinste…“ „Richtig. Eine süchtig machende, sich auf Körper und Psyche eher ungesund auswirkende Substanz.“ Shinichi schaute ihm geradewegs ins Gesicht, auf seinen Lippen ein zynisches Grinsen, in seiner Stimme beißender Spott und abgrundtiefe Abscheu. Heiji starrte ihn sprachlos an, schluckte hart. Shinichi massierte sich die Schläfen, merkte erst jetzt, wie trocken sein Mund geworden war, versuchte zu schlucken, schaffte es nicht, und räusperte sich stattdessen mühevoll, ehe er fortfuhr. „Es war ein Halluzinogen. HLZG 0405 war der Name. Werewolf nannten sie sie, weil es, wie so viele Halluzinogene, zweifach wirkte – in Phase eins kam die Euphorie, in Phase zwei die Depression. Und beides jenseits irgendeiner Kontrolle meinerseits. Ich war abgemeldet, während der Film lief.“ Er seufzte lautlos, versuchte, sachlich zu bleiben, als er sprach. „Ein irres Zeug war das, machte mit meinem Hirn, meinem Denken, was es wollte. Ich versuchte mir einzureden, dass es ist nur dieses Zeug war, nur das Gift, dass es alles nicht echt war, hab versucht, in einem Eckchen meines Hirns noch klar zu bleiben, und schaffte es doch nur kurz, immer… dieses Ringen um meine Selbstbeherrschung, im wahrsten Sinne des Wortes Herr über mich zu bleiben, wurde von Mal zu Mal härter und letzten Endes verlor ich immer. Mitzubekommen, wie einem etwas die Kontrolle über die eigenen Gedanken entreißt, nicht nur den Körper jenseits einer Steuerung durch das eigene Bewusstsein zieht sondern einem sogar das Denken vernichtet, brachte mich an den Rand des Wahnsinns, das… kann ich dir sagen.“ Shinichi hielt inne. Sein Gesicht hatte eine rötliche Farbe angenommen, und erst, als er weiter sprach, erkannte Heiji, warum. Scham. Er schämte sich. „Ich war nach kurzer Zeit schon ziemlich süchtig, auch wenn ich diesen Kontrollverlust hasste. Ich hab mir die ersten Male verboten, darüber nachzudenken. Ich kam mir fürchterlich schwach vor. Und das wollte ich nicht sein. Durfte ich nicht sein.“ Er schüttelte den Kopf, starrte seine Finger an, die Unruhig die Konturen des Lenkrads nachfuhren. „Zuerst realisierte ich gar nicht, was mit mir geschah. “ Er ließ seine Hände vom Lenkrad sinken. „Nach der dritten Nacht, also meinem vierten Tag da drin hatte jegliches Gefühl für Realität und Traum verloren, konnte kaum unterscheiden zwischen den Momenten, in denen ich tatsächlich klar war, oder mir die Droge etwas vorgaukelte. Ab da konnten sie mir praktisch alles verkaufen. Und ab da schien’s erst richtig interessant zu werden für sie.“ „Was… was hast du…?“ Shinichi schluckte hart, wischte sich über die Stirn. „Darüber will ich nicht reden.“, murmelte er tonlos. Heiji lief ein eisiger Schauer über den Rücken. „Ran…?“, murmelte er leise. „Du hast…“ „Heiji… was verstehst du eigentlich nicht an den Worten „Darüber will ich nicht reden“?“ Shinichis Stimme klang rau – und dennoch klang noch eine Spur von Ärger und Unwillen in ihr nach. „Also Ran.“ Heiji atmete langsam aus, wandte den Blick ab, beobachtete die Oberflächenstruktur des Armaturenbretts. Shinichi schwieg, schluckte, atmete langsam und gepresst aus. Heiji hörte es, schaute ihn aus dem Augenwinkel an. Kurz herrschte Stille im Wagen, ehe der Osakaner wagte, erneut das Wort zu ergreifen. „Kudô…“ Heiji klang erschüttert – und er war es auch. Shinichi schüttelte den Kopf, schaute ihn an, lächelte bitter. Shinichi schüttelte den Kopf, ein winziges, trauriges Lächeln huschte über seine Lippen, als er mit einem Blick voll Bedauern seine Finger betrachtete. Schluckte dann hart, schaute dann auf, aus dem Fenster. „Muss ich dir mehr sagen? Du siehst, was der Glauben, sie sei gestorben, wegen mir, aus mir gemacht hat.“ Unwillig schüttelte er den Kopf, riss sich dann wieder zusammen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie verspannt Heiji neben ihm saß, stumm und mit aufgerissenen, unfokussierten Augen den Kopf schüttelte. „Nein, musste nich‘.“, flüsterte er tonlos. Shinichi räusperte sich. „Natürlich… war es das. Dahin wollten sie mich bringen. Desorientiert, weitgehend willenlos, abhängig. Ihr Ziel war wohl, mich zu zermürben, bis ich ihnen freiwillig die Antworten präsentieren würde, in den kurzen Phasen, in denen ich einigermaßen klar war zwischen letztem Trip und Entzugswahnvorstellung.“ Er wischte sich über die Augen, seufzte still. Heiji fasste sich an die Stirn, merkte, wie sein Magen sich zusammenzog, hörte Shinichis Stimme kaum, als er sprach. Ihm wurde fast übel. „Dieses Szenario von Euphorie, von Glück mit ihr dauerte so lange, wie die Droge vorhielt. Und dann kam… der Alptraum. Ihr Schmerz, jedesmal, weil ich sie nicht beschützen konnte, weil ich nicht da war, weil ich unfähig war. Ich war es, der sie ins Elend stürzte. Und jedes Mal riss es mich auseinander, weil ich es nicht unterscheiden konnte von dem, was Realität heißt, so sehr sich die kleine Stimme in meinem Kopf abmühte, mich zu überzeugen, hinterher. Realität war eine Fiktion für mich. Und Fiktion war so fürchterlich real.“ Er hielt inne, blickte aus der Windschutzscheibe nach draußen an die Wand. „Ich frag mich, warum ich hinterher nie Popcornreste gefunden hab, die müssen sich köstlich amüsiert haben bei jeder Vorstellung…“ Er lachte hohl, wischte sich fahrig übers Gesicht, fühlte kalten, klebrigen Schweiß unter seinen Fingern, rieb sie und streifte sie dann unwirsch an seiner Hose ab. „Es… hat mich fast umgebracht, was diese Droge mit meinem Kopf, mit meinem Körper anstellte – und irgendwann sahen sie sich zum Handeln gezwungen, schließlich hatten sie ja immer noch nicht, was sie wollten, nur… einen Namen. Und den nutzten sie. Ich erinnere mich an diesen Tag – weil es der Tag war, an dem er sich mal Zeit nahm, etwas länger mit mir zu reden. Ich sah ihn mit seinem Schwert, mit diesem antiken Samurai-Katana im Gegenlicht des Fensters stehen, spürte seinen Blick auf mir, ahnte, dass er nicht mehr lange warten würde, dass er kurz davor war, den letzten Schritt zu tun, um mich endgültig kleinzukriegen, endlich die Antworten aus mir rauszupressen, die sie so gerne haben wollten.“ „Ran.“, murmelte Heiji. „Ran.“, bestätigte Shinichi. „Und ich wusste, ich musste weg hier, schnell, wenn ich das vermeiden wollte. Und sie holten sie, das weißt du. Der einzige Grund, warum wir überhaupt wieder rauskamen, bevor Ran etwas Schlimmeres passierte, war Sharon. Sharon ist total vernarrt in Ran…“ „Diese Schlange. Vermouth.“ Chianti sah aus, als würde sie gleich Gift und Galle speien. „Sie wollte ihm ja fast ein Placebo gegeben. Nur gut, dass wir sie durchschaut haben… sie und ihren kleinen Plan – ihm nur eine ganz leichte Dosis zu geben, und seine kleine Freundin rauszuschmuggeln. Was für ein Naivchen – es war rührend, wie sie mir vertraute, als ich sie rausbrachte, ihr versicherte, dass er schon draußen wäre...“ Sie kicherte amüsiert. „Aber was sie mit Kudô zu schaffen hatte, verstehe ich bis heute nicht.“ Gin lachte lauthals. „Ich schon.“ Bourbons Kopf ruckte auf, Chianti starrte ihn an. „Du wusstest… dass sie…?“ Der Mann lächelte arrogant. „Natürlich, Bourbon. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht, nachdem sie sich so auffällig benahm. Ich fand heraus, dass ihre Mutter mit Kudôs Mutter befreundet war, und das ließ mich aufhorchen. Und nachdem ich ihren Gesichtsausdruck gesehen habe, als er… am Boden lag, dem Tod näher als dem Leben, weil ihn sein überdosierter Drogenrausch fast den Verstand gekostet hat und damit seinem Herzen fast den Garaus gemacht hätte… da ahnte ich, dass sie sich das nicht mehr viel länger anschauen würde und ihn schonen wollte, bis die endlich kamen, um ihn zu retten, für die er den Kopf hinhielt – das FBI. Es war allerdings auch herzzerreißend, als er vom Tod seiner Freundin halluzinierte. Deshalb auch mein Plan.“ Er grinste böse, hob den Kopf – und Bourbon konnte seine hellen Augen kalt funkeln sehen. „Ich wollte live erleben, wie es ihn zerstört, wenn man seine Freundin wegen seiner Dummheit umbringt. Und. Es. War. Fantastisch.“ Gin lachte schallend. „Sharon wollte dafür sorgen, dass ich am nächsten Tag nur eine sehr geringe Dosis bekam, damit ich mich zumindest kurz erholte. Du weißt, was dann passierte. Das FBI bekam die letzten Hinweise und stürmte das Quartier. Und ich konnte tatsächlich entwischen, zusammen mit Ran, die sie ja… tatsächlich geholt hatten, um zu sehen, wie gesprächig ich in ihrem Beisein wäre. Ich holte mir ein Handy, und… schickte Ran vor, mal wieder. Sharon wollte sie rausbringen und ich wollte noch einmal zurück, ich wollte… den Boss finden, den man noch nicht erwischt hatte. Ich sah ihn von weitem, kurz bevor die Explosion weite Teile des Gebäudes einriss. Ich rannte also raus, bis ich merkte, dass das Gift doch zu hoch dosiert gewesen war – oder ich einfach schon viel zu abhängig war. Ich war körperlich am Ende und stand am Rande eines neuen Fiebertraums.“ Shinichi blickte kurz auf, massierte sich die Schläfen. „Was dann passierte, weißt du. Es war nicht Sharon, die Ran rausbrachte, und mir hinterherschickte, sondern Chianti. Wahrscheinlich war auch sie es gewesen, die mir die letzte Dosis dieses Gifts verabreicht hatte. Und Chianti war es auch gewesen, die mich überhaupt in diese Richtung geschickt hatte – von wegen, dort wäre das FBI. Tatsächlich lauerten sie uns auf, wir hatten keine Chance, Gin stach Ran nieder, ließ mich zurück mit dem Versprechen, sich um mich auch noch zu kümmern… irgendwann.“ Kraftlos ließ er sich in den Sitz sinken. „Das wars also.“ Kurz entstand Stille im Raum. Heiji schaute ihn an, zögernd. „Warum warst du nicht zu erreichen?“ Shinichi schluckte. „Ist das nicht offensichtlich? Ich war körperlich am Ende und stand unter Schock wegen Ran.“ Er lächelte bitter. „Ich kam zu meinen Eltern nach Hause und geriet in der Nacht in den Entzug. Ich hatte ihnen da noch nicht erzählt, was los war mit mir, ich muss sie in Angst und Schrecken versetzt haben, vor allem meine Mum. Ich wollte es mir selber kaum eingestehen, dass ich ein Wrack war, das bereits am nächsten Tag nach diesem Zeug jammerte, weil…“ Shinichi schüttelte frustriert den Kopf. „Weil du hofftest, sie im nächsten Traum am Leben wieder zu finden.“ Heijis Stimme war kaum zu hören. „Richtig.“ Shinichi schaffte es nicht, ihm ins Gesicht zu sehen, fixierte das Parkplatzschild mit blicklosen Augen, einen Ausdruck tiefster Abscheu gegen sich selbst auf dem Gesicht. Er schämte sich wegen seiner eigenen Schwäche, das war deutlich zu sehen. Heiji merkte, wie in ihm das schlechte Gewissen immer lauter wurde. Langsam wünschte er sich, er hätte ihn nicht dazu gebracht, ihm das alles zu erzählen; es war deutlich zu sehen, wie sehr in die Erinnerung daran mitnahm. „Ich hoffte so sehr, das nur geträumt zu haben. Verdammt, ich hatte es doch schon so oft geträumt, und es war nicht wahr gewesen, so realistisch, aber niemals wahr… und auf einmal war es das… es war Realität geworden, und das brachte mich fast um den Verstand, mehr noch, als es diese Droge konnte. Ich wünschte mir so sehr, sie noch einmal zu sehen, einfach zu vergessen, was passiert war, hoffte irgendwie immer noch, dass ich nur wieder Gefangener meiner eigenen Albträume war, ich…“ Mit ernster Miene starrte er aus dem Fenster. „Die Entscheidung, nicht in Tokio zu bleiben, fiel entsprechend leicht. Zunächst einmal entschied ich gar nichts – meine Eltern taten das. Und als ich wieder leidlich klar im Kopf war, war mir klar, dass ich nicht zurück wollte. So wollte ich erstens keinem unter die Augen treten, und zweitens brauchte ich den Abstand, um wieder in die Wirklichkeit zu finden… und einen Ort, an dem mich nicht alles an sie erinnerte, an meine Schuld, auch wenn das wohl in der ersten Zeit die eher untergeordnete Rolle spielte. Ich entkam mir selber nicht, also war es egal, wo ich war.“ Unwirsch massierte er sich seine Schläfen. „In den ersten Tagen kann ich kaum ich gewesen sein. Ich erinnere mich nur bruchstückhaft… an Fieberträume, daran, einfach nur dazuliegen, eine verachtenswerte Kreatur, die sich völlig hängen ließ. Ich hasste mein Leben, weil ich an Ran dachte, an Ran, die tot war, wegen mir, und ich lag hier und lebte immer noch. Immer noch.“ Er lächelte bitter. „Was für eine Ironie. Sie war tot und ich war entkommen, wieder mal. Ich verdiente dieses Leben nicht. Ich hätte doch schon vor Jahren sterben sollen an diesem Gift, stattdessen war ich geschrumpft und hatte sie in all das hineingeritten, und am Ende bezahlte auch noch sie meine Rechnung. Das war nicht fair.“ Er stöhnte auf. „Das war einfach nicht fair in meinen Augen. Und noch dazu, stärker noch als diese Schuld, die mich fast auffraß, war dieses Verlustgefühl, das ich nie für möglich gehalten hätte. Sie…“ Shinichi biss sich auf die Lippen. „Sie fehlte mir. Der Gedanke, sie nie wieder zu sehen, nie wieder zu hören, raubte mir das letzte bisschen Verstand in diesen Tagen. Der Wunsch, sie wiederzubekommen, schien schier übermächtig und die Unmöglichkeit, das zu bewerkstelligen… ich konnte diesen Gedanken kaum begreifen. Geschweige denn, ertragen.“ Shinichi kaute auf seiner Unterlippe, wagte es nicht, Heiji anzusehen. „Ich… erinnere mich an meinen Vater, der an meinem Bett saß, und mir vorlas. Ernsthaft.“ Er räusperte sich. „Der Mann las mir vor! Er las mir tatsächlich vor. Aus seinem neuen Roman, als alles andere nichts mehr half. Ich erinnere mich auch an meine Mutter, die meine Hand hielt, mir die Stirn kühlte. Ich mag gar nicht daran denken. Ich war nicht ich.“ Ein langes Seufzen entfloh seinen Lippen. „Sie kümmerten sich um mich wie um einen sechsjährigen Jungen. Und mehr war ich wohl auch nicht.“ Ein bitteres Lachen füllte kurz die Kabine des Autos. „Ein kleines, krankes Kind. Ein kleines, krankes, trauriges Kind…“ Nachdenklich strich er sich über die Augen. „Ich glaube, ich hab mich nie richtig dafür bedankt. Der Grund, warum ich wieder auf die Beine kam, ist nur die Sorge meiner Eltern.“ Er lächelte traurig. „Nun… Als ich dann eine Zeitlang clean und einigermaßen wiederhergestellt war, stellte sie vor die Tatsache, dass ich sie verlassen würde. Ich… hatte mich bei Scotland Yard beworben, mir Referenzen vom FBI besorgt. Sie sahen das nicht gern, aber sie ließen mich ziehen, weil sie verstanden, dass ich die Luftveränderung brauchte. Ich ging also nach England, und versuchte, aus mir das Beste zu machen. Und das ist der Status Quo bis heute.“ Er setzte sich wieder gerade hin, räusperte sich. Stille breitete sich aus, als Heiji sacken ließ, was er gerade gehört hatte. Bis er schließlich doch noch einmal ansetzte. „Träumst du immer noch davon?“ Seine Stimme klang leise durch die Fahrgastzelle. Shinichi zuckte zusammen, wandte sich doch, wenn auch widerwillig, Heiji zu. „Wovon…?“ „Davon, mit ihr zusammen zu sein.“ Heiji schluckte. Er wusste, er ging auf dünnes Eis. Ein wehmütiges Lächeln umspielte Shinichis Lippen. „Nein, eher nicht… ich dachte ja, dass sie tot ist. Ich hab eher… von diesem Abend geträumt. Aber manchmal, ja. Wenn ich an die Minuten denke, die dem vorangegangen sind, als sie mich gefunden hat in dieser Gasse, und wir für ein paar Minuten glaubten, in Sicherheit zu sein.“ Er schloss die Augen. „Als sie sagte, dass sie mich liebt, trotz all dem Mist, den ich verbockt hab…“ Heiji sah in sein Gesicht, konnte das Lächeln von seinen Lippen bröckeln sehen Stück für Stück, bis nichts weiter als ein bitterer Zug um die Mundwinkel übrig geblieben war. Shinichi starrte blicklos in die paar Quadratzentimeter Luft vor seinen Augen, ohne wirklich etwas wahrzunehmen, schluckte hart. Und beinahe hätten wir uns geküsst… stattdessen hat er in dir gegeben, Ran, deinen ersten Kuss. Ein Kuss ohne Liebe, nur aus Hass gegeben, nur um dir weh zu tun – und mir. Das sollte ein Kuss nicht tun… Bitterkeit stieg in ihm hoch, ein fahler Geschmack auf seiner Zunge, ein dumpfes Brodeln in seinem Bauch. Der Gedanke daran, wie dieser Mann mit ihr umgegangen war, was er ihr gestohlen hatte, entfachte in ihm einen nie für möglich gehaltenen Zorn. Heiji schaute ihn an, sah, wie eine Kälte in seine blauen Augen Einzug hielt, die Heiji dort nie vermutet hätte. _________________________________________________________________________________ So. Mehr sag ich dazu heute mal nicht. Nächste Woche kommt das Kapitel später, weil ich im Urlaub bin – ich denke, ich hab euch auch so genug Stoff zum Nachdenken gegeben, wie das hier weitergehen kann… Danke an die sechs Kommentare zum letzten Kapitel, ich kanns nicht deutlich und oft genug sagen - ich freu mich unendlich, wenn sich jemand die Zeit nimmt, mir ein Feedback zu hinterlassen, für diese Geschichte, die so irre viel Arbeit macht. Sie wird gut ein Jahr zu laden brauchen, Leute, und an dieser Geschichte schreib ich bestimmt schon vier Jahre. Ihr habt keine Ahnung, wie sehr da ein paar Kommentare motivieren! Beste Grüße, Leira Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)