Schicksalsschläge von lunalinn (OS-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 7: Scherbenhaufen ------------------------- Manchmal weiß sie nicht, ob sie ihn liebt oder hasst. Vielleicht ein wenig von beidem…doch wenn sie ihn nicht lieben würde, würde sie doch nicht bei ihm bleiben oder? Natürlich gibt es noch den Jungen, doch den könnte sie ja mitnehmen. Er ist jetzt 7 Jahre alt, er würde es sicher verstehen und zudem ist er hier ebenso unglücklich wie sie selbst. Er hasst die Schule, auf die er geht und er hasst seine Klassenkameraden. Ständig kommt er mit schmutziger oder zerrissener Kleidung nach Hause. Er weint nie vor ihnen, doch sie weiß, dass er es tut, sobald er in seinem Zimmer ist. In dieser Hinsicht ist er ihr ähnlich, so wie er ihr in allem sehr ähnlich ist. Manchmal, wenn Tobias ihn anschreit, versucht sie ihn zu beschwichtigen. Er ist ja nur ein Kind, klein und viel zu dünn, wie soll er sich gegen die Schikane wehren? Doch Tobias ist das egal. Immer, wenn ihr Sohn mit diesem zerknirschten Blick nach Hause kommt, die Hände in dem viel zu großen Hemd vergraben und die Lippen fest zusammengepresst, möchte sie ihn in den Arm nehmen und ihn trösten. Das Problem ist nur, dass nichts, was sie sagen könnte, irgendetwas ändern kann. Weil sie das weiß und weil Tobias ihr mehrmals gesagt hat, dass sie ihn nicht verweichlichen soll, lässt sie es bleiben. Meistens hört sie still zu, wie Tobias ihn zusammenstaucht, weil er sich das gefallen lässt. Innerlich weiß sie, dass es falsch ist, dass sie etwas tun müsste…doch sie weiß nicht was. Tobias und sie streiten viel zu häufig, sie will es in solchen Momenten nicht provozieren.   Als Eileen ihn kennengelernt hat, fand sie seine herrische Art anziehend. Ein Mann, der weiß, was er will und vor allem, ein Mann, der sich für sie, das dürre, blasse, immerzu mürrisch dreinblickende Mädchen, interessiert. Mit seinen funkelnden Augen und seinem bissigen Humor hatte er sie sogar zum Lächeln gebracht. Sie hatte sich in seine schroffe Art verliebt, in sein markantes Gesicht mit der Hakennase und in die Berührungen, die ungemein zärtlich sein konnten. Es hatte ihr geschmeichelt und obwohl Eileen gewusst hatte, dass ihr reinblütiges Elternhaus keinen Muggel an ihrer Seite dulden würde, hatte sie sich auf ihn eingelassen. Es war ihr egal gewesen, dass er nicht viel Geld gehabt hatte, dass er kein Zauberer war und auch wenn es zu Anfang schmerzhaft gewesen war, hatte sie mit der Familie Prince nach und nach abgeschlossen. Sicher war es eine Umstellung gewesen, auf alles zu verzichten, und sich an ein Leben ohne Zauberei zu gewöhnen, doch all das war ihr Tobias Snape wert gewesen. Sie hatte nicht darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn sie jemals Kinder bekommen sollten. Vielleicht hatte sie sich darüber auch einfach keine Gedanken machen wollen, denn es hätte ihr klargemacht, dass sie ihm ihre Herkunft nicht ewig verschweigen konnte. Möglicherweise hatte sie sich auch lediglich der Illusion hingeben wollen, dass Tobias Verständnis haben würde. Dass er sie genug lieben würde, dass ihm die Zauberei egal sein würde. Wie sehr sie sich doch geirrt hatte…   Es war einfach gewesen, es vor Tobias zu verbergen, als der Junge noch nicht da gewesen war. Doch bereits während ihrer Schwangerschaft hatte sie begonnen, sich unwohl zu fühlen. Was, wenn der Junge wie sie werden würde? Wenn er ein Zauberer werden würde? Es war sehr wahrscheinlich, dass er es von ihr erben würde. Doch sie hatte gehofft, dass sie es würde verbergen können, immerhin hatte sie sich auf das Kind gefreut. Sie beide hatten sich auf den Jungen, den sie Severus nannten, gefreut. Ein alter Name mit schönem Klang und Eileen war so glücklich gewesen, als sie ihn in den Armen gehalten hatte. Sie würde nie Tobias‘ stolzes Lächeln vergessen, wie er an ihrem Bett gesessen und sie beide beobachtet hatte, dabei ihren Arm streichelnd.   Mittlerweile kann sich Eileen nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal liebevoll zu ihr war. Wie gesagt, sie streiten oft, er schreit sie an, sie schreit zurück und manchmal denkt sie, gleich schlägt er zu. Wenn er sich in Rage brüllt und poltert, macht er ihr Angst und sie versucht einzulenken. Nicht selten rauscht er aus dem Haus, die Tür hinter sich zuknallend und kommt erst in der Nacht zurück – betrunken und so müde, dass er sich wortlos neben sie ins Bett fallen lässt und einschläft. Am nächsten Tag reden sie nicht darüber, wahren den Schein des Friedens, bis es erneut losgeht. Es dauert nie lange, weil er, seit er seinen Job verloren hat, noch launischer als zuvor geworden ist. Eileen spricht ihn nicht mehr darauf an, ob er schon etwas Neues im Auge hat, weil sie weiß, dass es im Streit enden wird. Sie selbst versucht sich einzureden, dass es ihr egal ist, und das funktioniert die meiste Zeit über ganz gut. Wenn sie aber ihren Jungen ansieht, wie er die Hemden seines Vaters und die zu kurzen Hosen tragen muss, tut er ihr so leid, dass es sie schmerzt. Er geht ja mittlerweile zur Schule, vielleicht sollte sie sich selbst Arbeit suchen…einen Halbtagsjob möglicherweise.   Während Sie darüber nachdenkt, hört sie die Tür und sie weiß, dass es Severus ist, der von der Schule kommt. Tobias ist nicht da, Eileen weiß nicht, wo er hingegangen ist, doch ihr Gewissen drückt, als sie sieht, wie ihr Sohn durchs Haus schleicht. Als er sie erblickt, murmelt er ein leises „Bin wieder da“ und geht die Treppe hoch in sein Zimmer. Seine Haare sind ungewohnt zerzaust und ein Knopf fehlt an seinem zu großen, grauen Hemd. Sie fragt sich, was nun wieder passiert ist, doch er spricht wenig und schon gar nicht über die Hänseleien. Eileen kennt das selbst, weiß, was die Leute über ihre Familie sagen, doch sie redet sich ein, dass es nicht wichtig ist. Spinner’s End ist nicht die schönste Gegend, doch sie hat sich daran gewöhnt wie an ihre Armut. Es ist jetzt ihr Leben und sie hat sich dafür entschieden. Wenn der Junge nur nicht darunter leiden müsste…   Sie sieht auf, als er nach einer Weile wieder herunterkommt. Er hat sich ein anderes Hemd rausgesucht, an dem die Knöpfe noch vollzählig sind, doch seine Haare sehen immer noch schrecklich aus. Sie sagt nichts dazu, sondern beobachtet ihn, wie er sich das Mittagessen aufwärmt, das sie am Vortag gekocht hat. Er ist sehr selbstständig, obwohl er noch ein Kind ist. Ein bisschen vermisst sie es schon, wie er sich als Kleinkind an sie geklammert hat. Zu dieser Zeit hat er noch gelacht, doch je mehr Tobias und sie streiten, umso mehr zieht sich ihr Sohn zurück. Eileen fragt sich unweigerlich, wie es soweit kommen konnte. Wenigstens setzt er sich zu ihr an den Tisch, isst dort stillschweigend die Spaghetti mit Tomatensoße. Sie betrachtet ihn und stellt wieder einmal fest, dass er ihr wirklich sehr ähnlich sieht. Blass und dünn, die schwarzen Haare und Augen…doch die Nase hat er von Tobias. Wenn sie in sein ernstes Gesicht sieht, viel zu ernst für ein Kind in seinem Alter, tut es ihr leid. „…wie war die Schule?“, ringt sie sich schließlich dazu durch, die Stille zu brechen. Er sieht nicht von seinem Essen auf. „Okay“, sagt er nur und sie wartet vergeblich darauf, dass noch mehr kommt. Er ist sehr viel verschlossener als noch vor ein paar Jahren, anscheinend hat er den letzten Rest Naivität verloren. Vielleicht hat Tobias ja Recht und er wird dadurch schneller erwachsen…doch ist das wirklich etwas Gutes?   „Was ist passiert?“, fragt sie ruhig und merkt, wie er kurz innehält. Beinahe ertappt und sie sieht, wie seine Haltung noch etwas mehr in sich zusammenfällt. Da er weiterhin stur auf seinen Teller sieht, kann sie seine Mimik nicht lesen. „Nichts“, lügt er und sie seufzt stumm. „Severus…“, mahnt sie leise und er schnaubt. Eine Weile sitzt er so da, ohne zu antworten oder sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Seine Lippen sind ein schmaler Strich und trotzdem ahnt sie, dass er etwas loswerden will. Tatsächlich öffnet er ein paar Sekunden später den Mund. „…ich wollte das nicht“, beginnt er und sie ist sofort alarmiert. Wenn er so anfängt, kann nichts Gutes dabei herauskommen…und es wäre nicht das erste Mal. Sie weiß, dass es nicht seine Schuld ist, aber Tobias wird sie ihm geben. Er versteht nichts von Zauberei und seine Abneigung dagegen macht sie traurig…und wütend. „Sie…wollten mich mit dem…Kopf in die Toilette stecken“, murmelt er und jetzt leuchten seine Wangen rot vor Scham. Eileen ist einerseits entsetzt von der Grausamkeit dieser Kinder, andererseits fragt sie sich, was ihr Sohn angestellt hat. „…die Fensterscheiben…“, spricht er weiter und man sieht ihm an, wie unangenehm es ihm ist. „Sie sind einfach…zersplittert…“ Natürlich weiß sie, dass so etwas passieren kann. Eileen erinnert sich selbst an ein paar Gemütsausbrüche aus ihrer Kindheit, bei denen etwas zu Bruch gegangen ist. Ein Gedanke reichte da schon, wenn man Pech hatte…und irgendwo in ihrem Hinterkopf flüstert eine kleine Stimme, dass es diese gemeinen Bälger verdient haben.   „Wurde jemand verletzt?“, fragt sie scheinbar ruhig, auch wenn sie innerlich sehr angespannt ist. Severus zuckt mit den Schultern. „…einer von ihnen musste ins Krankenhaus…“, brummt er und es hört sich nicht an, als täte es ihm leid. „…es weiß keiner, dass ich es war…“ Und das ist viel wichtiger, als die Frage, ob der Junge schwer verletzt worden ist. Jedenfalls empfindet sie so. Sie wird es Tobias nicht erzählen und Severus wird sowieso nichts sagen. Ihre Haltung lockert sich ein wenig und er bemerkt es, atmet auf. Sie tadelt ihn nicht, denn immerhin hat er unbewusst nur das getan, was Tobias von ihm verlangt hat. Er hat sich gewehrt, wenn auch anders, als sein Vater es sich wünscht. Er würde wütend werden, wüsste er es. „...in Hogwarts wird es anders werden…besser…glaub mir“, versucht sie ihn aufzumuntern und es scheint zu wirken. Seine dunklen Augen bekommen wieder mehr Glanz und sie weiß, dass er Fragen hat. Wenn Tobias dabei ist, darf er keine Fragen über Zauberei stellen. Tobias verbietet es, beleidigt in seiner Wut alles, was Eileen einmal wichtig gewesen ist…und wonach sie sich oftmals sehnt. Und gerade jetzt, wo sie allein sind und nach langem endlich wieder miteinander reden könnten, um ihre Beziehung zueinander zu verbessern…hören sie die Haustür.   Severus‘ Miene verschließt sich sofort, während sie selbst verstummt. Sie beobachtet ihren Mann, wie er einen knappen Gruß murrt und zum Kühlschrank geht. Er sieht müde aus und sie fragt sich, wo er gewesen ist. Keiner sagt etwas, während Tobias sich eine Flasche Bier öffnet. Er ist kein Alkoholiker, aber er braucht sein tägliches Bier. Es entspannt ihn, sagt er und sie akzeptiert es. Unangenehmes Schweigen senkt sich über sie und Tobias‘ Blick heftet sich erst auf sie und dann auf seinen Sohn. Anscheinend findet er diesmal nichts, was ihn genug aufregt, also bleibt er still. Eigentlich ist es ein gutes Zeichen, aber Eileen hasst diese Situation trotzdem. „Du könntest mal wieder einkaufen…der Kühlschrank ist fast leer“, bemerkt er dann in einem Ton, den sie nicht ignorieren kann. Ihre Augen werden schmal und sie spürt die Wut in sich kochen. Meistens kann sie diese schlucken, doch heute ist keiner dieser Tage. „Wenn wir mehr Geld hätten, wäre der Kühlschrank nicht leer!“, erwidert sie bissig, denn sie ist immer noch erbost darüber, dass Severus sich seinetwegen wieder zurückzieht. „Machst du mir jetzt Vorwürfe?!“, grollt er und macht einen Schritt auf sie zu. Sie erhebt sich sofort, weil sie mit ihm auf Augenhöhe sein will – so gut es eben geht, denn er ist viel größer als sie. „Ich erkläre dir nur, warum wir nicht mehr viel zu essen haben!“ „Natürlich, es ist ja immer meine Schuld!“, schnauzt er sie an und knallt das Bier auf den Tisch. In diesem Moment ignoriert sie, dass Severus zusammenzuckt und langsam blasser wird. Ihre eigene Wut ist zu groß, als dass sie darauf jetzt Rücksicht nehmen will.   „Das habe ich nicht gesagt!“, zischt sie zurück. „Geh du doch arbeiten, wenn du denkst, es ist so einfach!“, blafft er sie an und dann wird sein Blick gehässig. „Oder zaubere doch was auf den Tisch!“ Es ist pure Provokation, denn er weiß, wie weh es ihr tut, daran erinnert zu werden, was sie aufgegeben hat. Ihr verbietet er, darüber zu reden, aber es gegen sie zu benutzen, das ist in Ordnung. Zumindest für ihn. Anscheinend ist das Maß für ihren Sohn damit voll, denn dieser erhebt sich ruckartig und flüchtet geradezu aus der Küche. Eileen ist wütend auf ihren Mann…und auf sich selbst. „Das hast du toll hingekriegt!“, faucht sie ihn an und er sieht sie finster an. „Ich?! Sicher, ich bin ja immer an allem schuld!“, kommt es aggressiv zurück und er macht noch einen Schritt auf sie zu. Eileen weicht nicht zurück, doch sie spürt, wie ihr unwohl wird. Sie mag es nicht, wenn er ihr im Streit so nahe kommt, empfindet es als bedrohlich. „Ich kann nichts dafür, dass unser Sohn ein Feigling ist!“, grollt er und sie presst die Lippen aufeinander. „Rede nicht so über ihn!“ „Ich rede, wie es mir passt!“ „Dann kannst du direkt wieder verschwinden!“ „Das ist mein Haus!!“ Ein Wort gibt das andere und sie beginnen sich anzuschreien, wie sie es immer tun. Es endet auch wie immer…nämlich damit, dass Tobias in seinem Zorn die Flasche gegen die Wand schmettert und dann fluchend das Haus verlässt. Sie hört die Tür knallen und realisiert erst nach ein paar Sekunden, dass sie allein ist. Ihr Herz wummert heftig in ihrer Brust, ihr ist heiß und kalt…und sie merkt erst, dass sie weint, als ihr die Tränen vom Kinn in ihr hageres Dekolleté tropfen.   Schon wieder haben sie sich wegen einer Banalität angeschrien, zerstritten…und als sie den Blick auf den Scherbenhaufen vor sich richtet, meint sie, ihr Leben darin zu sehen. Denn das ist es, ein Scherbenhaufen und so oft sie diese Scherben zu kleben versucht, es gelingt ihr immer nur kurz. Während sie wie mechanisch nach dem Handfeger greift, erinnert sie sich daran, wie einfach und schnell damals alles mit Zauberei ging. Doch sie ist keine Hexe mehr, besitzt keinen Zauberstab mehr, denn sie hat mit ihrem alten Leben abgeschlossen. Es war ihr Wunsch und trotzdem sie ihren Mann soeben noch verflucht hat, so kann sie sich dennoch nicht von ihm lösen. Es gibt auch ein paar gute Momente…wenige Momente, in denen sie sich wieder annähern. Sie sind selten, aber sie sind ebenso präsent wie die Erinnerung an vergangene, glücklichere Zeiten. Es tut ihr so unendlich weh, als sie den Scherbenhaufen beseitigt und sie wünscht sich, sie hätte vorhin nicht die Beherrschung verloren. Unweigerlich muss sie an ihren Sohn denken. Sie sollte zu ihm gehen und mit ihm reden, doch sie weiß instinktiv, dass er das nicht will. Also wird sie ihn in Ruhe lassen und aufräumen…und dann das wenige Geld zusammenkratzen und einkaufen gehen. Vielleicht bessert sich Tobias‘ Laune, wenn sie auf ihn eingeht…sie will es wenigstens versuchen. Sie muss es versuchen, denn sie sieht keinen anderen Ausweg. Sie liebt ihn doch…oder hat ihn mal geliebt. Eigentlich weiß sie es nicht, aber es ist eine gute Ausrede, denn es ist besser, als sich einzugestehen, dass ihre Ehe nicht mehr zu retten ist. Oder dass sie ihren Sohn allmählich verliert. Also reißt sich Eileen zusammen, denn trotz allem ist sie eine Prince. Sie wischt sich die Tränen aus dem Gesicht, streicht sich die Haare zurück und strafft ihre eingesunkenen Schultern. Wenn Tobias zurückkommt, wird sie mit ihm reden…und versuchen, den Scherbenhaufen zu kleben. So wie immer.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)