Drowning von attackonpsycho (LawxRuffy) ================================================================================ Kapitel 13: A Million Reasons ----------------------------- Manchmal versuchte ich, in die Köpfe anderer Leute zu sehen, um ihr Handeln nachvollziehen zu können. Es war mir wichtig, dass ich wenigstens versuchte, wie sie zu denken. Immerhin war ich schon immer einer dieser Menschen, die alle möglichst gut verstehen wollten. Geheimnisse, welche mir dabei im Weg standen, hasste ich mehr als alles andere. Es war eine unglaubliche Ironie, dass es in meinem Leben momentan nur so von Geheimnissen wimmelte. Außerdem hatte ich keine Ahnung, wann oder wie diese gelüftet werden sollten. Das war das Problem. Ich würde nie jemanden verstehen können, wenn alles so blieb, wie jetzt. Nicht Harry, nicht Kid und schon gar nicht Law. Wobei Letzterer das größte Problem war. Beinahe sein ganzes Verhalten verursachte tausende Fragen in meinem Inneren, welche schreiend nach einer Antwort verlangten. Er war zweifelsohne ein Schauspieler, welcher fast immer nach seinem selbstentworfenem Drehbuch spielte. Dinge, die nicht in diesem verzeichnet waren, brachten ihn aus seiner Rolle und zeigten den wahren Law. Den Law, der nicht jede Szene kannte und genaustens wusste, wie er sich zu verhalten hatte. Momente wie diese hatte es noch nicht oft gegeben. Doch immer, wenn sich welche dieser Art ereignet hatte, hatten sie sich magisch angefühlt, beinahe nicht real. Wie damals in dieser einen Nacht, nach der Party bei Nami. Oder bei dem Spaziergang, nachdem Law aus einem Alptraum erwacht war. In diesen Momenten hatte er seine Maske fallen lassen und mir den Menschen gezeigt, welcher sich dahinter versteckte. Law hatte so schutzlos gewirkt, so perplex. Ein riesiger Kontrast zu dem, was er mich vorher hatte sehen lassen. Wäre ich mir nicht ganz sicher, dass er es gewesen war, hätte ich ihn in diesen Situationen für einen ganz anderen Mensch gehalten. So war es jetzt auch. Ich spürte die Spannung in der Luft und seine Wut, als würde er in Flammen stehen. Die Funken schienen mich zu berühren und ich zuckte leicht zusammen. Irgendwie hatte ich in diesem Moment ein wenig Angst vor ihm. Ich hatte ihn noch nie dermaßen aufgebracht gesehen. Dass seine Mutter und er ein schlechtes Verhältnis zueinander hatten, war nicht zu übersehen gewesen. Doch auch diesem sogenannten Vergo gegenüber, welchen Law erwähnt hatte, schien er eine starke Abneigung zu empfinden, vielleicht noch eine viel größere. Natürlich konnte ich mir den Grund dafür nicht wirklich erklären, doch ich wusste, dass sich bei dem Abendessen einige Antworten ergeben würden. Auch, wenn sich dieses Wort so harmlos anhörte, dass es so schien, als wäre es ein ganz normales Treffen. Doch das war es nicht. Es war ein Treffen, welches unsere gesamte Reise und den Aufenthalt enorm beeinflusste. Ein wenig unruhig betrachtete ich Law dabei, wie er die Einkäufe in der Küche abstellte, gleich nachdem wir uns unsere Jacken und Schuhe ausgezogen hatten. Ich machte die Tür hinter mir zu, welche darauf mit einem lauten Knirschen ins Schloss fiel. Sofort hörte ich die Schritte aus dem Wohnzimmer und sah kurz darauf Kid, welcher sich in unserer Abwesenheit angezogen hatte. Er trug nun ein orangenes, weites T-Shirt und eine Jogginghose, sowie ein schwarzes Stirnband, welches seine roten Haare hochstehen ließ. Er betrachtete mich grinsend, ehe er sich auf den Weg in die Küche machte. „Was gibt’s zum Futtern? Ihr habt echt lange gebraucht“, gab er besser gelaunt von sich und ich folgte ihm in den Raum. Allerdings stoppte er schon kurz nach dem Betreten und sah mit zusammengezogenen Augenbrauen zu Law, welcher sich inzwischen an den Küchentisch begeben hatte. Seine Stirn lag auf seiner Handfläche und das Gesicht hatte er von uns abgewendet. Der Schwarzhaarige wirkte in diesem Moment unglaublich überfordert. Er gab keinen Laut von sich, doch die Haltung, welche er einnahm, zeigte wie von selbst, welche Gefühle in ihm toben mussten. Etwas überfordert von diesem Anblick wandten sich Kids bernsteinfarbenen Augen an mich und sahen mich fragend an. Automatisch verzogen sich meine Lippen zu einem schmalen Strich und ich schüttelte lautlos meinen Kopf. Ich wusste nicht einmal, was ich ihm mit dieser Geste sagen wollte. Momentan fielen mir einfach keine Worte ein, welche die Situation verständlich erklären würden. Außerdem wollte ich es Law überlassen, mit seinem besten Freund über das Vorkommnis zu reden. Es fühlte sich für mich immer noch so an, als wäre meine Anwesenheit, was diese Sache anging, ziemlich ungewollt. Natürlich war es kein schönes Gefühl, doch gleichzeitig konnte ich es Niemandem verübeln. Sie waren vor wenigen Wochen noch Fremde für mich gewesen und nun war ich so tief in ihr Leben eingedrungen, wie niemand zuvor. Wobei diese Tatsache Kid viel weniger auszumachen schien, als Law. Ich schob dies auf den Fakt, dass der Rothaarige auch eine ganz andere Persönlichkeit war, als er. Man konnte sie nicht richtig miteinander vergleichen, dafür waren sie viel zu verschieden. Kid gehörte, auch wenn er dies wahrscheinlich niemals zugeben würde, zu der Menschenart, die emotional und impulsiv auf Dinge reagierte. Wahrscheinlich neigte auch ich eher zu dieser Verhaltensweise. Law dagegen schien sich immer rational zu verhalten. Die ersten Gespräche mit ihm waren immer so distanziert abgelaufen, dass sie mir das Gefühl gegeben hatten, ihn niemals wirklich zu kennen. Doch nun, genau in diesem Moment und an diesem Ort, fühlte es sich so an, als ob ich ihn kennenlernen würde. Als ob ich andere Seiten finden würde, emotionale Seiten, die er unterdrücken wollte. Ich wusste nicht warum er das tat. Doch jeder Mensch hatte Gründe dafür, wie er sich verhielt, dies wusste ich nur zu gut aus eigener Erfahrung. „Law?“, Kids perplexe Stimme war das einzige Geräusch, welches in diesem Moment erklang. Ansonsten herrschte eine Totenstille, welche die Spannung in der Luft nicht unbedingt löste. Im Gegenteil. Das Atmen fiel mir schwer und ich machte mir auch irgendwie Sorgen um Law. Wie so oft drehten sich meine Gedanken nur um ihn. Und um seine Geheimnisse, von denen es nun wirklich viel zu viele gab. Der Schwarzhaarige hob darauf, entgegen all meiner Erwartungen, seinen Kopf und blickte mit trüb wirkenden Augen zu Kid. Ich war davon ausgegangen, dass er sein gesamtes Umfeld ignorieren würde. Dass er, wie immer, alleine gegen alles kämpfen wollte, was in ihm vorging. Als ob dieser den Blick sofort deuten konnte, schritt er auf Law zu und setzte sich neben ihn auf einen Holzstuhl. Seine Hand fuhr beruhigend über dessen Schulter, hinunter zu seinem Oberarm, während Kids Augen mit einer Mischung aus Besorgnis und Unmut über den Schwarzhaarigen strichen. Auch ich näherte mich ihnen, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Habt ihr etwa... ihn getroffen?“, fragte Kid. Seine Stimme klang unglaublich verbittert, so als ob er es nicht über sich bringen konnte, über diese Person zu sprechen. Auch sein Blick wurde in diesem Moment von Wut übernommen, wodurch die Funken der Besorgnis in den Hintergrund rückten. „Nein“, Law seufzte und massierte sich mit einer Hand den Nasenrücken. Er schloss seine Augen kurz, als ob er sich dadurch beruhigen wollte, ehe er wieder zu Kid sah. In seinen grauen Irden tobte derselbe Sturm, wie noch am Tag davor. „Es war Camilla“, fügte er schließlich nach einigen Sekunden hinzu. Mit einem Mal klang er wieder viel gleichgültiger und auch gefasster. Der kleine, wirklich unscheinbare Moment seiner Schwäche war schon wieder nach wenigen Sekunden verschwunden. So, wie ich es von ihm kannte. „Camilla?“, knurrte Kid sogleich. Seine Augen funkelten bedrohlich auf, als ob das Goldene in ihnen glitzern würde. Dann schüttelte er leicht den Kopf. „Was wollte sie?“, fragte der Rothaarige mit einer Stimme, die nur zu eindeutig von Wut zeugte. Ich war mir sicher, dass er versuchte, sie zu unterdrücken, damit man nicht bemerkte, wie sehr ihn diese Frau aufregte. Allerdings funktionierte es nicht. Seine Mühen waren völlig umsonst, wenn wir alle es sowieso mitkriegten. Er war nicht Law und hatte somit keine Maske, welche er lange tragen konnte. Seine fiel zu Boden, wenn etwas geschah, was er nicht vorhergesehen hatte. Laws dagegen, hielt stand, zumindest meistens. Bei dieser Sache hatte sogar seine angefangen, zu bröckeln. Wie lange es wohl dauern würde, bis sie fallen würde? Ob es solch einen Moment überhaupt gab? Ich wusste es nicht. Das einzige, was ich sagen konnte, war, dass Kid kein Schauspieler war. Wahrscheinlich würde er es auch niemals sein. „Ein Abendessen“, sagte Law schlicht. Er fokussierte dabei die gelbliche Tischdecke, welche sicherlich schon einmal weiß gewesen war. Ich bemerkte seine tiefen Atemzüge, mit denen er sich kontrollierte und schüttelte nur ganz leicht den Kopf. Für wen tat er so, als ob er stark wäre? Warum zeigte er nicht einfach, dass es ihn bedrückte, seine Mutter getroffen zu haben? Wir waren Freunde, zumindest ging ich davon aus. Waren Freunde nicht dafür da, dass man mit ihnen jegliche Sorgen und Ängste teilte? Ich sah es jedenfalls so und ich hatte nicht wirklich wenige Freunde, weshalb meine Annahme nicht falsch sein konnte. „Ein Abendessen?“, fuhr Kid ihn an. Seine bernsteinfarbenen Augen funkelten zuerst verwirrt, ehe ihr Ausdruck ins Ungläubige schritt. Der gesamte Gesichtsausdruck des Rothaarigen schrie beinahe danach, dass er seinem besten Freund nicht glaubte. Doch als dieser jenes mit einem Nicken bestätigte, entwich ihm auch die restliche Selbstkontrolle. „Warum?“, entkam es diesem sogleich. „Ich meine, was will sie damit bezwecken? Sie weiß, dass du sie nicht mehr sehen möchtest“, fuhr er aufgebracht fort, während er seine Hände vor seiner Brust verschränkte und sich im Stuhl zurücklehnte. Ich stand in dieser Zeit nur da und beobachtete aufmerksam ihre Konversation. Dass sie sich so verhielten, als ob ich nicht da wäre, war mir in diesem Moment egal, solange sie nicht wollten, dass ich ging. Denn das würde mir zeigen, dass sie mir nicht vertrauten, mich im Grunde genommen gar nicht dabei haben wollten. „Aber sie möchte mich wiedersehen“, erwiderte Law mit belegter Stimme. Seine Augen glitten noch immer über den Tisch, ehe er seinen Kopf hob. Der intensive Blick, welcher mich darauf traf, brachte mich beinahe zum Zusammenzucken. Seine grauen Irden betrachteten mich durchdringend, doch konnte ich nicht deuten, was er mir sagen wollte. „Sie hat euch auch eingeladen“, obwohl ich dies mitbekommen hatte, bezog er mich in das Gespräch mit ein und betrachtete mich dabei, wie ich vor dem Tisch stand und ihnen lauschte. Er schien Kid in den Sekunden der darauffolgenden Stille ausgeblendet zu haben. Seine Sinne fokussierten in diesem Moment nur mich, wie zuvor am Morgen. Und dies war mir erneut mehr als nur unangenehm. Jede Regung meinerseits wurde von seinen grauen Augen analysiert und strengstens bewacht. In Situationen wie diesen fragte ich mich immer, was ihm wohl durch den Kopf ging, wenn er mich ansah. Ich wollte wissen, was er über mich dachte und mir gegenüber empfand. Denn auch, wenn er es mir nur selten gezeigt hatte, glaubte ich, dass er es ebenfalls spürte. Zumindest musste er dies tun. Dass etwas Besonderes zwischen uns lag, konnte er nicht mehr ignorieren, auch wenn keiner von uns beiden wusste, was genau es war. Kid schnaubte, was Law dazu veranlasste, seinen Blick von mir abzuwenden. Es war, als hätte ich den Atem angehalten, denn als er wegsah, musste ich tief Luft holen, um mein Herz zu beruhigen. Es klopfte laut gegen meinen Brustkorb, brachte mich schon beinahe zum Wanken. Würde ich nicht sicher auf zwei Beinen stehen, wäre ich sicherlich umgekippt. Dann löste der Rothaarige plötzlich seine Arme und fuhr sich leicht seufzend durch das Haar. Die Augen schloss er für einen Moment, ehe er einen kurzen Blick mit Law und anschließend mit mir wechselte. „Und haben wir diese Einladung angenommen?“, fragte Kid, nun eher an mich gewandt. Neugier blitzte in seinen Augen auf. Da ich mich mit einem Mal angesprochen fühlte, verzog ich meine Lippen zu einem schmalen Strich. „Indirekt, glaube ich. Wobei sich Essen, meiner Meinung nach, nicht wirklich schlecht anhört“, kam es von mir, weshalb sie beide gleichzeitig seufzten, als sie diese Worte vernahmen. „Typisch“, kommentierte Kid meine Meinung, ein kleines Grinsen trat auf seine Lippen. Doch wenige Sekunden später war es bereits wieder verschwunden und eine Mischung aus Ernst und Nachdenklichkeit spiegelte sich in seiner Miene wieder. Er schien mehr aus meiner Antwort interpretieren zu wollen, als möglich. „Sie will ansonsten hierher kommen“, sagte Law sogleich, als ob er wissen würde, woran sein bester Freund dachte. Er schien sogar richtig zu liegen, da dessen Augenbrauen sich augenblicklich in die Höhe zogen, als ob er nicht glauben könnte, was der Schwarzhaarige soeben von sich gegeben hatte. „Will sie einen Streit mit Harry provozieren?“, kam es missbilligend von Kid. Er zischte diese Worte beinahe. „Warum das?“, fragte ich darauf überaus verwirrt. Diese Frage entkam mir wie von selbst, ich konnte nichts gegen das Interesse tun, welches in meinem Inneren aufflammte. Immerhin musste es etwas zwischen Laws Eltern und Kids Vater geben, dass die Situation um einiges komplizierter machte, als sowieso schon. „Du musst wissen“, meinte der Rothaarige nach kurzer Bedenkzeit und lehnte sich an eine Küchentheke, „dass sie sich nicht leiden können.“ Er wechselte einen kurzen Blick mit Law, welcher mir nichts verriet, ehe er fortfuhr. „Schon früher haben sie immer Streit gehabt, weil Law hier war. War ihrer Meinung nach kein guter Umgang. Immerhin gibt es immer diese Familien in der Stadt, von denen man weiß, dass sie Probleme haben. Und da passt es einer wohlhabenden Familie nun mal nicht, wenn ihr Kind bei solchen Leuten abhängt.“ Er schloss kurz die Augen und wirkte für einen Moment schon fast belustigt. „An Weihnachten vor ein paar Jahren gab es einen riesigen Terror, weil Law nicht Zuhause war.“ Kid lachte leise auf, während ihm diese Erinnerung durch den Kopf ging. „Du hättest dabei sein müssen, es...“, wollte er mir erzählen, doch in diesem Moment unterbrach Law ihn. Sein warnender Blick streifte ihn nur kurz, ehe er wieder zu mir sah. Seine Augen waren leer, wie so oft. „Was Kid damit sagen wollte; Es würde einen riesigen Streit geben, wenn unsere Eltern aufeinandertreffen. Sie wohnen in zwei ganz verschiedenen Vierteln, so gehen sie sich sonst immer aus dem Weg“, fasste er sich kurz, obwohl ich Kids Variante bevorzugt hätte. Immerhin hatte ich noch nie von Geschichten aus ihrer Vergangenheit gehört. Verdammt, ich wusste nicht einmal, ob Law Einzelkind war oder andere, kleine Dinge dieser Art. Und das nur, weil er mich nicht an sich heran ließ und mir so wenig Informationen geben wollte, wie möglich. Als ob es ihm nicht passen würde, dass ich ihn kennenlernen wollte. „KID!“, eine laute Stimme ließ uns alle drei gleichzeitig zusammenzucken. Sie durchschnitt die Luft und damit auch die Spannung, welche darin lag, wie ein Messer. Natürlich war es Harry, welcher nach seinem Sohn rief. Und dem Klang seiner Stimme nach zu urteilen, störte ihn irgendetwas gewaltig. „Wo bleibt mein verdammtes Frühstück?“, kam es kurz darauf, sodass ich mir ein Auflachen doch noch verkneifen musste. Der Typ wusste wirklich, wie man eine unangenehme Situation mit einem Mal beendete. Doch ich glaubte, dass wir innerhalb dieser Konversation zumindest unbewusst zu dem Schluss gekommen waren, diese Einladung anzunehmen und heute Abend zu Laws Mutter zu gehen. Auf diese Weise würden wir eine vermeintliche Auseinandersetzung verhindern, doch gleichzeitig, würde ich endlich die Chance haben, Law kennenzulernen. Es war mir wichtig, dass ich meinen Mitbewohner kannte. Vielleicht gab es auch andere Gründe dafür, dass ich unbedingt mehr über ihn wissen wollte, doch wenn es so war, fielen sie mir nicht ein. Ich nahm einfach hin, dass er mich mehr interessierte, als er vielleicht sollte und dachte gar nicht zu lange darüber nach. Denn dies würde nur erneut dazu führen, dass ich irgendwann mit meinen Gedanken und Spekulationen in einer Sackgasse stand, aus welcher ich nicht mehr umkehren konnte. Und das wollte ich vermeiden. Vor allem am heutigen Tag, wo noch so vieles auf uns zukommen würde. „Gleich, Dad“, kam es genervt von Kid zurück und er verdrehte kurz darauf die Augen. Ich musste mich daran erinnern, wie Law gesagt hatte, dass Harry uns sicherlich ausnutzen würde, wenn wir hier waren. Dass er tatsächlich recht hatte, ließ mich leicht schmunzeln. Doch so war es fast immer. Ich hatte noch nie mitbekommen, dass er sich bei einer Sache geirrt hatte. Es war, als könnte man ihm jede Matheaufgabe vorsetzen – er würde immer das richtige Ergebnis wissen, auch wenn er den Rechenweg noch nicht genaustens ausgeführt hatte. Darauf packten wir stumm die Einkäufe aus und räumten sie in die alten Schränke, welche schon ihre besten Tage hinter sich hatten. Währenddessen herrschte Stille, bis wir uns daran machten, unser wohlverdientes Essen zu machen. Zwar bestand es nur aus Toast, Ei und Speck, allerdings reichte dies vollkommen. So hungrig wie ich war, würde ich alles essen, was man mir vorsetzte. Mit beladenen Tellern setzten wir uns ins Wohnzimmer zu Harry. Er saß bereits auf einem der Sofas, mit einem Kreuzworträtsel in den Händen und betrachtete kritisch die Teller, welche wir ins Zimmer trugen. Im Hintergrund brutzelte der Kamin kaum merklich und spendete angenehme Wärme. Das Zimmer wirkte durch das regnerische Wetter ziemlich dunkel, weshalb Kid eine Lampe anschaltete und sich kurz darauf neben seinen Vater setzte. Law und ich setzten uns gegenüber von ihnen ebenfalls auf eine Couch und begangen schweigend zu essen. Diese bedrückende Stille, welche seit dem Ende des letzten Gespräches zwischen uns lag, machte mich unruhig. Gleichzeitig sorgte sie dafür, dass ich mich überhaupt nicht wohl fühlte – im Gegenteil. Momentan würde ich sogar lieber in der Küche sitzen und alleine essen. Die Stille, welche mich dort umgeben würde, wäre angenehmer, als diese. „Wir gehen heute Abend zu Laws Mutter“, sagte Kid irgendwann, während er den Rest seines Spiegelei aß. Seine Augen betrachteten dabei den kleinen Teller, während sein Vater wahrlich überrascht seinen Kopf hob und Kid musterte, als ob er einen schlechten Scherz gemacht hätte. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist“, gab er nach einer mir ewig vorkommenden Zeit zu bedenken, dabei blieb er erstaunlich ruhig. Er runzelte die Stirn und lehnte sich zurück, um Law einen fragenden Blick zuzuwerfen. Doch dieser schien ihn nicht zu bemerken, er war viel zu sehr in Gedanken verloren. Zum ersten Mal konnte ich mir vorstellen, woran er dachte. Doch ich wusste nicht, ob es auch das war, was ich vermutete. „Wir werden sehen“, kam es darauf von Kid, welcher gedankenverloren mit einem Stück Holz in den Flammen des Kamins herumstocherte. Er wirkte ebenfalls abwesend. Seinem finsterem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, ging ihm eine Erinnerung durch den Kopf, welcher er eher ungern nachhing. Ich verstand ihn gut. Im Leben gab es nun mal viele Momente, die man am Liebsten für immer vergessen würde. Es wäre eine Erleichterung, wenn es uns Menschen nicht unterbunden werden würde, schwere Schicksalsschläge einfach aus unseren Gedanken streichen zu dürfen. Doch gleichzeitig würde uns diese Fähigkeit verändern und dafür sorgen, dass wir nicht auf die Welt vorbereitet waren, wie sie in Wirklichkeit war. Natürlich hatte sie viele schöne Seiten – dies hatte mit meine Heimatstadt in den letzten Wochen mehr als nur zu deutlich gezeigt – doch gleichzeitig war sie skrupellos und voller Schmerz. Dies waren zwei riesig große, nicht zu bändigende Gegensätze, vergleichbar mit Sonne und Regen oder auch Feuer und Wasser. Doch trotzdem konnte beides in der Welt bestehen und in einigen Momenten konnte das Glück oder aber der Schmerz überwiegen. Manchmal, da gab es eben Regen, wenn die Sonne schien. Die Stille zwischen uns war bedrückend. Selbst Kids Vater wirkte weniger bedrohlich, auch er war in seinen Gedanken verloren. Der einzige Unterschied zwischen den Dreien und mir bestand darin, dass sie alle über das Gleiche oder zumindest etwas Ähnliches nachdenken müssten. Ich hing währenddessen meinen eigenen Gedanken nach und versuchte durch Mimik und Gestik zu erschließen, was hier vor sich ging. Dies war ziemlich schwer, wenn man Informationen hatte, welche nur in fraglichen Bruchstücken vorhanden waren. Ich sah, wie Laws Augen Kid und das Feuer musterten. Die Flammen leuchteten in seinen grauen Seelenspiegeln. In seinem Blick lag etwas, was ich schon fast als Furcht deuten würde, wäre mir dieser Gedanke nicht total suspekt. Immerhin hatte ich noch nie gesehen, dass Law Angst vor etwas hatte. Ich hatte so einiges von ihm noch niemals zu Gesicht bekommen. Doch dieser Ort, ihre Heimat, zeigte mir innerhalb eines Tages ein Vielfaches der Facetten, die ich in den letzten Wochen kennengelernt hatte. Ob dies gut war, war allerdings fraglich. Gleichzeitig fragte ich mich, vor was er sich fürchten könnte, als ich ihn plötzlich aufstehen hörte. „Ich werde mich etwas ausruhen“, hörte ich ihn sagen, allerdings ähnelte Laws Stimme in diesem Moment viel eher einem gehässigem Zischen. Etwas verwundert sah ich zu ihm auf und beobachtete ihn dabei, wie er mit verkrampften Schritten zur Tür schritt. Kurz bevor er den Raum verließ, drehte er sich allerdings noch einmal um. „Und lass das Feuer in Ruhe, Kid.“ Seine Worte klangen unbeschreiblich finster. Die Flammen loderten noch immer in seinen Augen, obwohl er nun viel weiter von ihnen entfernt war. Trotzdem glaube ich, dass ihre Intensität zugenommen hatte, so aggressiv wie sie zu leuchten schienen. Tiefes Rot überdeckte das Grau, verbarg den Sturm in seinen Augen. Dann verließ er den Raum, ohne auch nur ein weiteres Wort zu sagen. So, wie er es immer tat. Wenn es Fragen gab, Fragen, die sich nach Antworten sehnten, dann gab er mir keine. Er ging einfach, ließ mich mit ihnen zurück, ohne Rücksicht darauf zu nehmen. Trotz dessen konnte ich es ihm einfach nicht verübeln, so sehr ich es auch wollte. Man spürte seine Abwesenheit sofort. Doch auch wenn er gegangen war, hatte er die Anspannung nicht mit sich genommen. Ich bemerkte den strengen, fast schon vorwurfsvollen Gesichtsausdruck, welchen Kid erlangte, als ich wieder zurück sah. Harrys Blick bohrte sich in die Augen seines Sohnes, welcher mit undeutlicher Miene zur Tür blickte. Ich konnte diesen Blick nicht deuten und wusste nicht, wofür er diesen erhielt. Genau in diesem Moment wurde mir somit erneut klar, wie wenig ich wirklich wusste. Gleichzeitig erschien mir nun nur zu deutlich das Band vor Augen, welches sie eng miteinander verknüpfte. Ich wollte, dass ich ebenfalls Teil dieses Bandes wurde, doch zugleich war ich mir im Klaren darüber, dass dies niemals wirklich funktionieren würde, zumal ich ihnen in der Vergangenheit nicht beigestanden hatte. Somit würde es niemals so stark werden wie ihres. „Was war das?“, fragte ich belegt. Inzwischen klang meine Stimme allerdings nicht mehr ganz so verwirrt, wie es mein Inneres war. Sie sollten ruhig bemerken, dass ich dabei war, die Puzzleteile zusammenzusetzen. Ich wollte nicht mehr derjenige sein, der nichts wusste und von ihrer Geheimniskrämerei verwirrt wurde. Inzwischen hatten sie mich so tief in diese Sache reingezogen, dass ihnen kaum etwas anderes übrigblieb, als mich wissen zu lassen, was an diesem Ort einmal passiert war. Doch mein Gefühl sagte mir, dass es dauern könnte, bis sie genau dies realisieren würden. Wie lange wusste ich nicht und ich konnte es ebenso schlecht einschätzen. Es war einfach eine verdammt schwierige Situation. „Er mag kein Feuer“, flüsterte Kid nur. Seine Stimme klang erstmals monoton, doch wenn man genauer hinhörte, kam es einem fast schon so vor, als ob er sich gerade erst daran erinnern würde. Wie ein plötzliches Realisieren. Ich schüttelte nur leicht den Kopf und sah Harry dabei zu, wie er einen Schluck von seinem Tee nahm. Sein gleichgültig wirkendes Gesicht verriet mir ebenso wenig, wie der Satz, der soeben über Kids Lippen gestolpert war. Mit von Gedanken gefülltem Kopf richtete ich mich schließlich auf, packte mein Geschirr und ging wortlos in die Küche. Ich braucht Zeit, um Nachzudenken. Zeit, um mich auf das Treffen vorzubereiten. Denn eigentlich hatte ich keine Ahnung, was mich erwarten würde. Ich wusste nicht einmal, wie ich diese Camilla einschätzen sollte. War sie ein guter – oder doch eher ein schlechter Mensch? Hatte sie Law Unrecht getan und hasste er sie aus diesem Grund so sehr? War sie für seine Alpträume zuständig, welche ihn heimsuchten? Und was hatte es mit der Abneigung, wie Kid sie benannt hatte, gegen Feuer auf sich? Wieder einmal türmten sich Fragen, doch in letzter Zeit war ich an dies gewöhnt, sodass es keinesfalls etwas Neues für mich war. Trotzdem war mein Körper angespannt und voller Aufregung auf das bald Kommende. Wenn diese Fragen eine Antwort bekommen würden, war ich mir sicher, Law verstehen zu können. Zwar wusste ich nicht warum ich dies wollte, allerdings hatte ich das Gefühl, dass es wichtig war. Außerdem wollte ich immer noch mein Ziel erreichen und in meiner neuen Heimat glücklich werden. Wie sollte ich dies auch schaffen, wenn mich ständig Geheimnisse belasteten und tausende Fragen durch meinen Kopf strichen, aufgrund welcher ich mich auf nichts anderes konzentrieren konnte? Der restliche Tag verging beinahe noch langsamer als die Autofahrt und ich war meinen Gedanken und Fragen somit restlos ausgeliefert. Ich half halbherzig beim Aufräumen oder schaute Fern, zusammen mit Kids Dad. Dieser war verdammt schlecht gelaunt, da sein liebstes Footballteam haushoch verloren hatte. Wenn ich vorher schon Angst vor ihm gehabt hatte, war das Gefühl, welches mich nun heimsuchte, gar nicht mehr auszudrücken. Es gab sicherlich Niemanden, der so finster drein blicken konnte, wie er in diesem Moment, weshalb ich stets darauf achtete, genügend Distanz zwischen uns zu halten. Mit jeder Sekunde die verging, schien die Aufregung in meinem Körper zu steigen. Mein Mund war unglaublich trocken, während ich mir immer wieder leicht nervös auf die Unterlippe biss, wenn mein Blick in Richtung Uhr glitt. Um halb Sieben kam Kid schließlich in das Wohnzimmer. Er sah so aus, als ob er vollkommen fertig mit seinen Nerven wäre, zumindest sagte mir dies meine Intuition. Umgezogen hatte er sich auch nicht, wahrscheinlich zog er es vor in Jogginghose, Schlabbershirt und nicht gekämmten Haaren aufzukreuzen. Mir sollte es recht sein, immerhin war es nicht meine Mutter, der er begegnete. Selbst wenn würde ich ihn nicht dazu zwingen, etwas anderes zu tragen. Dies war seine eigene Entscheidung. Er nickte mir bloß zu, um mir zu signalisieren, dass ich ihm in den Flur folgen sollte. Ich warf noch einen kurzen Blick in die Richtung seines Vaters, welcher mit leicht zusammen gekniffenen Augen den Fernseher musterte. So, als ob er uns nicht bemerken würde. Dann richtete ich mich auf und folgte meinem rothaarigem Mitbewohner aus dem Raum heraus, um meine Schuhe anzuziehen. Law war noch nicht da, wir würden wohl auf ihn warten müssen. Die ganze Situation wirkte unglaublich suspekt. Ich hatte niemals gedacht, dass ich eines Tages hier sein würde und auch noch Laws Familie kennenlernte, wenn ich doch nicht einmal gewusst hatte, dass er eine besaß. Immerhin erzählte er nie oder nur ungern von sich. Die Tatsache, dass er so geheimnisvoll war, hatte mich allerdings nur noch neugieriger gemacht, sodass das Ganze langsam wie ein kleines Spiel auf mich wirkte. Mein unergründliches Ziel war es, Law verstehen zu können und seine Aufgabe war es, dies zu verhindern. Dafür gab es keinen Grund und gleichzeitig gab es in diesem Spiel auch keine Regeln. Alles war erlaubt. Ich zog mir meine dreckigen Sneakers an und zog fast schon automatisch Laws schwarze Jacke vom Kleiderhaken, um mich in den warmen Stoff zu kuscheln. Sofort strich mir sein angenehmer Geruch in die Nase, vermischt mit dem Duft von Vanille und Himbeeren. Ich hätte lange einfach nur herumstehen und meine Nase in der schwarzen Parka vergraben können, würde ich genau in diesem Moment nicht die leisen Schritte hören, welche von der Treppe kamen. Nur ganz langsam näherte er sich dem Ende, sein wachsamer Blick streifte erst Kid und dann mich. Ich erschauderte automatisch bei der Intensität, welche noch immer darin lag. Es war unbeschreiblich zu sagen, wie er mich fühlen ließ, oder was genau er in mir auslöste. Seine Augen strichen von meinen eigenen zu der schwarzen Jacke, welche ich trug und trotz allem legte sich ein winziges, fast schon nicht erkennbares Lächeln auf seine Lippen. Es ließ mein Herz schneller schlagen, ohne, dass ich etwas dagegen unternehmen konnte. „Lasst uns gehen“, seine Stimme klang etwas heiser, als er den Blick von mir abwand und stattdessen die letzte Stufe hinter sich legte. Unten angekommen zog er sich seine schwarzen Vans an, ehe er eine zweite Jacke vom Harken nahm. Kid und ich nickten synchron. Ich fragte mich, ob die Beiden genauso aufgeregt waren wie ich, allerdings bezweifelte ich dies. Denn sie hatten wenigstens eine Vorstellung davon, was ihnen bevorstand, während ich keine Ahnung hatte. Sie kannten Laws Mutter, wussten, was in der Vergangenheit vorgefallen war – ich jedoch nicht. Es war unfair, dass wir nicht auf einer Ebene standen, sondern die beiden weit von mir entfernt waren. Ich wollte diese Entfernung überwinden, auf ihre Ebene hinaufsteigen, doch dafür fehlten noch Stufen, welche mich dorthin bringen würden. Wir stiegen in Laws Sportwagen, wobei Kid ihm das Fahren ohne jegliches Murren überließ. Fast hätte ich ihm einen anerkennenden Blick dafür geschenkt, wäre da nicht diese Spannung in der Luft, die mir dies verbot. Es wäre mehr als nur unpassend gewesen, eine derartige Gestik einzubringen, so lange diese Hitze anhielt. Hier drinnen fühlte es sich wie geschätzte dreißig Grad an, wenn nicht noch heißer. Meine Hände prickelten unangenehm, als ich mich auf den Rücksitz fallen ließ und Law dabei beobachtete, wie er das Auto startete. Das Radio ging wie auf Kommando an und erlöste uns von der bedrückende Stille, die sonst niemand zerbrechen wollte. „The future that we hold is so unclear but I'm not alive until you call“, sang Jason Chen in niedriger Lautstärke. Ich folgte automatisch dem Text, schloss die Augen und lehnte meinen Kopf an die kalte, von Regentropfen benetzte Fensterscheibe. „There are a million reasons why I should give you up“, erklang es, „but the heart wants what it wants“, fuhr ich in Gedanken fort und lächelte leicht über die große Spur von Wahrheit, die in diesen wenigen Worten lag. Ja, das Herz wollte, was es wollte. Dies war unveränderlich und egal wie sehr man versuchte, den Willen des Herzens zu ändern, so würde dies niemals funktionieren. Im Endeffekt war das Herz eben stärker als der Kopf. Wenn es also wollte, dass ich Law kennenlernte, das Rätsel löste, dann konnte ich nichts daran ändern, auch wenn mein Kopf mir genau dies vermitteln wollte. Doch da war noch etwas anderes, was mein Herz von mir verlangte. Allerdings konnte ich dies nicht hören, dafür war es viel zu leise. Doch ich war mir sicher, dass ich irgendwann dazu in der Lage sein würde. Vielleicht würde sich diese vage Zeitangabe schon bald ereignen, vielleicht aber auch nicht. Ich wusste nicht genau, wie ich es einschätzen sollte. Die Bäume an den Straßenrändern zogen schneller an mir vorbei, als ich sie überhaupt wahrnehmen konnte. Wir waren außerhalb der Stadt, umgeben von Wald und Wiesen, wie sie in Tennessee üblich waren. Der Himmel war dunkelgrau und voller bauschiger Wolken, welche nur darauf zu warten schienen, es endlich regnen zu lassen. Die steinigen Straßen waren dabei ziemlich leer, nur wir befanden uns auf der Fahrbahn. Doch auch, wenn wir in Wirklichkeit alleine, ganz nah beieinander saßen, fühlte ich mich, als ob die beiden ganz weit von mir entfernt wären. Wie eine unsagbar lange Mauer, die uns voneinander trennte und eine unüberwindbare Distanz schuf. Doch diese Mauer würde fallen. Die restliche Autofahrt verlief ebenfalls sehr still. Nicht einmal Kid meldete sich zu Wort. Stattdessen kaute er auf seiner Oberlippe herum, was einerseits nervös, andererseits frustriert auf mich wirkte. Law allerdings schien ruhig, wenn man sein Gesicht betrachtete. Es waren nur leichte Zuckungen seiner Hände am Leder des Lenkrades, welche verrieten, dass ihn diese Sache ganz und gar nicht kalt ließ. Ich war mir sicher, dass er nicht vor gehabt hatte, jemals wieder seine Mutter zu treffen oder zumindest nicht in absehbarer Zeit. Wie ich es schon vermutet hatte, ließ dieses Aufeinandertreffen unsere Reise eine ganz andere, unerwartete Wendung nehmen, wie niemand sie vorausgesehen hatte. Law hatte sicherlich deswegen zu Beginn nicht mitkommen wollen. Er wollte nicht in die Heimatstadt zurück, wo er auf seine Familie hätte treffen können. Warum er sich letztendlich umentschieden hatte, konnte ich nicht sagen. Vorstellen konnte ich es mir auch nicht. Einige Minuten später entdeckte ich ein Haus in direkter Nähe. Nun ja, „Haus“ war vielleicht nicht ganz der passende Begriff, wenn man bedachte, wie unfassbar groß es war. Schon von weitem stach es durch ein helles Weiß zwischen den Bäumen des umliegenden Waldes hervor und zog meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Ein hölzernes, braunes Flachdach ließ das Haus wiederum mit der Natur verschmelzen, während die großen Fenster davon zeugten, dass alles relativ offen war. Die große, weiße Eingangstür war zwischen vielen Blumen und Bäumen zu sehen, welche sich auf dem umliegenden Garten befanden. Balkone und Terrassen waren zu der anderen Seite gerichtet, allerdings konnte man die Anfänge der weißen Eisenzäune erkennen, welche auf diese Distanz aus dem Blickfeld gerieten. Ich hatte wirklich nicht mit einer Villa gerechnet, als ich auf Camilla getroffen war. Selbstverständlich war ich davon ausgegangen, dass sie nicht gerade wenig Geld hatte, doch das veränderte wiederum alle meine Vorstellungen. Nun verstand ich zu gut, was Kid meinte, wenn er sagte, dass Law Eltern ihm alles bezahlen konnten. Sie schienen immerhin das Geld dazu zu haben. Als wir durch das bereits geöffnete Tor, direkt an der holprigen Straße fuhren, staunte ich immer noch nicht schlecht. Auch der Innenhof war überdurchschnittlich groß, kein Vergleich zu dem von Kids Vater. Außerdem war er so sauber, dass man vom Boden hätte essen können, wenn man es wollte. Rundherum gab es einen großen Garten mit mehreren kunstvoll geschnittenen Büschen und vielen Blumen. Das Gras strahlte in einem hellen Grün und schien auf den Zentimeter genau abgeschnitten worden zu sein, während einige Weidenbäume und Tannen das wenige Licht der Sonne nur spärlich hindurch scheinen ließen. Das gesamte Äußere des Hauses spiegelte unglaubliche Perfektion wider, sodass ich fast schon ungläubig betrachtete, wie ungewöhnlich schön es hier aussah. Gleichzeitig war es merkwürdig, wie neu dies alles auf mich wirkte. Fast, als stände das Haus erst seit ein paar Monaten, als mehreren Jahren, obwohl dies natürlich nicht möglich sein konnte. Immerhin hatte Law hier bereits als Kind gelebt. Dieser parkte sein Auto direkt vor dem Eingang, neben drei anderen. Darunter ein Maserati und zwei Porsche, wie ich mit halb geöffnetem Mund feststellte. Manche hatten gleich mehrere Autos, während ich nicht einmal einen Führerschein besaß, weil mir das Geld dazu fehlte. Für mich war die Sache somit ziemlich dumm gelaufen. Als der Motor ausging, schien die Stille noch viel schlimmer als zuvor. Das Bedürfnis, ihnen beiden Fragen zu stellen, kam unwillkürlich wieder hoch, doch versuchte ich es zu unterdrücken. Die Spannung im Wagen war ohnehin schon kaum ertragbar. Ich sollte die Situation nicht noch schlimmer machen, als sie bereits war. Doch das war unglaublich schwer. Besonders, als wir aus dem Wagen stiegen und uns der Tür mit jeder Sekunde näherten. Mein Herz schlug laut und ich beobachtete Law dabei, wie er mit gleichgültigem Blick die Hauswand vor uns musterte. Es war unfassbar, dass ich in so geringer Zeit die Chance bekommen würde, alles zu erfahren, was ich wissen wollte. Doch natürlich gab es immer Wendungen, die einen überraschten. Ich hätte diese nicht außer Acht lassen sollen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)