Last Desire 13 von Sky- ================================================================================ Kapitel 13: Die Zeit des Abschieds ---------------------------------- Kaum, dass Alice sich das Serum gespritzt und damit auch ihr eigenes Schicksal besiegelt hatte, ging eine heftige Erschütterung durch das Gebäude und das Geräusch einer Explosion war plötzlich zu hören. Das klang nicht gut. Und als L schon fragen wollte, was denn da los war, da ging auch schon der Alarm los. Sofort eilte Alice zu einer Sprechanlage und wählte eine Nummer, dann nahm sie den Hörer ab. Irgendetwas stimmte da nicht und sie wusste, dass irgendetwas mit den Generatoren passiert sein musste. Schlimmstenfalls ein Störfall am Reaktor. Und das wäre eine Katastrophe! Normalerweise waren die einzigen Zwischenfälle die Ausbrüche der Proxys gewesen, aber einen ernsten Zwischenfall mit den Generatoren oder dem Reaktor hatte es bis dato noch nie gegeben. Es dauerte einen Augenblick, bis endlich jemand ranging. „Was ist da unten los?“ fragte Alice und sogleich schrie jemand regelrecht in den Hörer hinein „Der ENSOF-Reaktor ist überlastet. Durch die Explosion von Generator 2 und 4 sind die Kühlsysteme komplett ausgefallen. Der Reaktor ist dabei, sich zu überhitzen und die manuelle Kühlung ist auch vollkommen wirkungslos. Wenn wir nichts unternehmen, geht der Reaktor hoch!“ „Wie viel Zeit bleibt uns noch und wie groß würde der Radius ausfallen?“ „Wir haben maximal fünf bis sechs Minuten und der Radius würde einen Durchmesser von knapp 25 Meilen betragen, wenn der Reaktor nicht umgehend entladen wird.“ Sämtliches Blut wich aus Alices Kopf, als sie das hörte. Das war die wohl größte Katastrophe, die passieren konnte. Wenn der ENSOF-Reaktor sich noch weiter erhitzte und die Energie nicht schnellstens freigesetzt wurde, die gespeichert war, dann würde alles in einem Radius von umgerechnet 40 km zerstören! Und fünf Minuten waren viel zu wenig Zeit. Das würden sie nie und nimmer schaffen, um von hier zu entkommen. Es gab nur eine einzige Möglichkeit. „Sofort die Evakuierung einleiten. Bringen Sie alle transportfähigen Proxys umgehend in Sicherheit und geben Sie im gesamten Gebäude roten Alarm raus. Und machen Sie, dass Sie da sofort rauskommen. Ich kümmere mich um alles Weitere.“ Damit legte sie auf und wandte sich den anderen zu, die schon ahnten, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. „Schlechte Nachrichten“, sagte Alice und sammelte ihr Schwert vom Boden auf und steckte es wieder ein. „Zwei der Generatoren sind kaputt und das Kühlsystem des ENSOF-Reaktors ist funktionsunfähig. Der Reaktor ist dabei, sich immer weiter zu erhitzen und weil die eingespeicherte Energie nicht entweichen kann, wird die dabei entstehende Explosion alles in einem Radius von 40 km zerstören und das in weniger als sechs Minuten.“ Entsetzen zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab. Das reichte nie und nimmer, um von hier zu entkommen. Sie würden von der Explosion in Stücke gerissen werden und tausende von Menschen würden sterben! „Das heißt, wir werden alle draufgehen?“ rief Beyond, als er die Situation erfasst hatte. Alice eilte zu L und drückte ihm eine Karte in die Hand. „Ich werde mich um den Reaktor kümmern. Da mein Körper ohnehin nicht mehr menschlich ist, kann ich den Reaktor manuell bedienen und damit die Explosion so weit verringern, dass es lediglich die Anlage zerstören wird. Mehr kann ich leider auch nicht tun. Mit der Karte hier kommt ihr über einen Fluchtweg nach draußen. Ich erkläre euch den Weg unterwegs, da wir sonst zu viel Zeit verlieren. Haltet euch genau an den vorgeschriebenen Weg, dann kommt ihr hier raus.“ „Und was ist mit dir?“ fragte Nastasja und ergriff ihren Arm. „Du wirst dabei draufgehen, wenn du hier nicht schnellstens verschwindest.“ „Ich werde so oder so sterben und ich will wenigstens dieses eine Mal die richtige Entscheidung treffen. Wenn ich mich nicht um den Reaktor kümmere, werdet nicht nur ihr, sondern auch tausende von anderen Menschen dabei sterben. Und indem ich die Energie des Reaktors freisetze, wird damit auch Ain Soph befreit werden. Also lass mich das bitte tun, damit ich wenigstens die Chance dazu habe, zumindest ein einziges Mal in meinem Leben das zu tun, was ich will!“ Da sie kaum eine andere Wahl hatten, blieb Nastasja nichts anderes übrig, als dem Wunsch ihrer besten Freundin schweren Herzens Folge zu leisten. Mit Tränen in den Augen umarmte sie sie zum Abschied. „Ich weiß, dass ich nicht das Recht habe, dich um irgendetwas zu bitten“, sagte Alice schließlich und sah dabei zu Elion. „Aber bitte kümmere dich gut um meinen Sohn, ja? Und hab ein Auge auf Papa.“ „Das tue ich“, versprach Nastasja. Zum Abschied gab Alice auch Elion eine Umarmung, der seinen Schmerz nicht unter Kontrolle halten konnte und weinte, als seine Mutter ihn in den Arm nahm. „Mum… ich will nicht, dass du gehst. Bitte…“ „Es tut mir leid, aber es geht nicht anders. Es ist die einzige Möglichkeit. Bitte pass gut auf dich auf und verzeih mir, dass ich all die Jahre nicht für dich da war. Und sei nicht traurig, ja? Du hast bei Nastasja ein wunderbares Zuhause und sie ist wirklich eine großartige Mutter. Eine bessere, als irgendein anderer Mensch jemals sein wird.“ Damit gab sie ihm einen Kuss auf die Stirn und wandte sich ihrem Vater zu. Dessen Verletzung hatte Dathan inzwischen zurückgesetzt, doch es hatte den alten Mann sehr geschwächt und er war kaum noch bei Bewusstsein. Sein Gesicht war blass und Liam und Dathan mussten ihn stützen, da er nicht alleine stehen konnte. „Alice…“, sprach er mit schwacher Stimme. „Bitte geh nicht. Ich will dich nicht noch einmal verlieren. Bitte… komm mit uns zurück nach Hause.“ Ein trauriges Lächeln zeichnete sich in diesem wunderschönen Gesicht ab und immer noch konnte Alice nicht aufhören, Tränen zu vergießen. Sanft strich sie mit ihrer Hand über die Wange ihres Vaters und schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht“, sagte sie leise. „Es geht nicht anders, Papa. Ich werde so oder so sterben. Bitte verzeih mir…“ Damit wandte sie sich ab und ging los. Niemand hielt sie auf, denn sie alle wussten, dass sie gehen musste. Es war ihre eigene Entscheidung. Watari versuchte noch, ihr hinterherzueilen und sie zurückzuhalten. „Nein, Alice!“ rief er und wollte gehen, doch Liam hielt ihn zurück. „Lassen Sie sie gehen.“ „Ja aber…“ Watari sank zusammen und sah seiner Tochter hilflos hinterher, wobei sich Tränen in seinen Augen sammelten. „Ich kann doch nicht mein einziges Kind in den Tod gehen lassen, so ganz alleine. Ich habe sie doch schon ein Mal im Stich gelassen…“ Da er sich nicht beruhigen ließ und der Mafiaboss kein Risiko eingehen wollte, setzte er Watari kurzerhand außer Gefecht und trug ihn auf dem Rücken. Nastasja blieb bei Elion, der ebenfalls sehr unter dieser Situation litt, während Dathan Lacies Leiche mitnahm. Sie hatte für ihn und für sie alle so viel getan, dass sie es nicht verdient hatte, an solch einem Ort zurückgelassen zu werden. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg und erneut kam es zu einer heftigen Erschütterung, die dieses Mal aber stärker war als zuvor. Teilweise bildeten sich tiefe Risse in den Wänden und Staub rieselte von der Decke. Sie wussten, dass ihnen die Zeit davonlief und umso mehr beeilten sie sich, schnellstmöglich hier rauszukommen, bevor das ganze Gebäude zusammenstürzte. Liam und Dathan gingen dieses Mal voran, die sich von Alice den Weg beschreiben ließen. Alice hatte versucht, sich vor den anderen nichts anmerken zu lassen, aber ihr tat alles weh. Ihre Knochen fühlten sich an, als würden sie regelrecht zerfressen werden und als würde durch ihre Adern pure Säure fließen. Überall rannten Mitarbeiter vorbei, die dem Evakuierungsaufruf gefolgt waren und nun schnellstmöglich raus wollten. Sie eilte in Richtung der Proxyzellen und betätigte den Schalter, der die Türen öffnete. Nachdem sie tief Luft geholt hatte, wies sie mit ihrer Alpha-Stimme an „Alle sofort raus hier und bringt euch in Sicherheit! Los!“, woraufhin mehrere Proxys, die teilweise noch wie Kinder aussahen, ihre Zellen verließen und dem Befehl ihres Alphas widerstandslos Folge leisteten. Na wenigstens hat diese Fähigkeit auch ihr gutes, dachte Alice und ging weiter. Zumindest kann ich auf diese Weise die restlichen Proxys hier raus bringen. Sie ging den Gang runter, doch als sie die Treppen erreichte, überkam sie ein entsetzlicher Schmerz, der von ihrem gesamten Körper Besitz ergriff und ihr Innerstes gänzlich verkrampfen ließ. Sie stützte sich an der Wand ab und erbrach einen Schwall Blut. Schwer keuchend ging sie die Stufen hinunter und obwohl sie starke Schmerzen hatte und kaum noch laufen konnte, musste sie schmunzeln. „Eines muss man dir lassen, Nastasja. Das Mittel wirkt besser, als ich selbst erwartet habe. Wenn das so weitergeht, wird von meinem Körper nichts mehr übrig bleiben.“ „Glaubst du allen Ernstes, dass du auf diese Weise davonkommst, Alice?“ Tja, anscheinend würde sie ihn doch nicht ganz so schnell loswerden. Naja, ein Gesprächspartner war besser als keiner und so war sie in den letzten Minuten ihres Lebens nicht so ganz alleine. Auch wenn sie auf seine Gesellschaft genauso gut verzichten konnte. Ein bitteres Lächeln zeichnete sich auf ihre Lippen ab, als sie sich die Treppen hinunterschleppte. „Du kannst tun und lassen was du willst, aber wenn meine beste Freundin etwas macht, dann auch richtig. Wenn das Serum mich schon umbringt, dann nehme ich dich höchstpersönlich mit ins Nichts. Sie alle haben gekämpft, um dich aufzuhalten, da darf ich auch nicht einfach so klein bei geben. Also tu mir den Gefallen und sei still, damit ich mich auf meine Arbeit konzentrieren kann.“ Als sie den Reaktor-Raum erreichte, spürte sie schon die kochende Hitze. Die Luft flimmerte und weißer Dampf vernebelte den Raum. Das sah überhaupt nicht gut aus. Schnell zog Alice ihre Handschuhe an und ging zum Schaltpult und sah sich das Ganze näher an. Tatsächlich war das Kühlsystem aufgrund der beiden explodierten Generatoren ausgefallen. Und wenn sie die anderen Generatoren nicht ausschaltete, würde es zu einer Kettenexplosion kommen, die eine gewaltige Verwüstung anrichtete. Also fuhr sie die Generatoren herunter, sodass kurzzeitig der Strom ausfiel. Dafür aber aktivierte sich das Notstromaggregat, welches den Komplex noch mit genügend Strom versorgte, sodass die Türen und Aufzüge und auch das Tor funktionierten. Zudem lief wenigstens noch die Notbeleuchtung, sodass das Gebäude evakuiert werden konnte. Allerdings gab es da jetzt ein Problem: sie musste den Reaktor manuell abschalten und sie war sich nicht ganz sicher, ob sie es in ihrer jetzigen Verfassung noch schaffte. Aber sie musste es versuchen. Allein schon, weil sie nicht zulassen wollte, dass noch jemand wegen diesem Projekt sterben musste. Sie öffnete den Sicherheitskasten und gab den Sicherheitscode ein und ließ ihre Netzhaut abscannen. Und während sie damit beschäftigt war, den Reaktor zu deaktivieren und die gespeicherte Energie freizulassen, da musste sie wieder an Joseph denken und an den Tag, als er ihr von seinem Plan erzählt und ihr das Buch geschenkt hatte. Das Buch, mit dem er ihr seinen Heiratsantrag gemacht hatte. „Es tut mir leid, Joseph“, sagte sie schließlich. „Letzten Endes haben wir unser Utopia doch nicht gefunden… Es tut mir leid, dass ich so dermaßen versagt habe.“ Damit ergriff sie nun das erste Ventil und begann es zu drehen. Ein brennender Schmerz durchfuhr ihre Hände, als sie die glühende Hitze spürte. Es stank nach verbranntem Fleisch und sie hätte am liebsten losgelassen. Es tat so unendlich weh und sie wusste, dass ihr Körper das auch nicht länger mitmachte. Schlimmstenfalls würde sie durch diesen gewaltigen Schmerz einen Schock erleiden. Und in dem Zustand konnte sie auch nicht ihre Kräfte einsetzen. Sie biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien und hatte das erste Ventil geöffnet. Als sie zum zweiten ging, sah sie nicht auf ihre Hände und wusste auch so, dass diese völlig verbrannt waren. Die Lederhandschuhe waren für solche Temperaturen nicht ausgelegt, aber in dieser Situation blieb ihr kaum etwas anderes übrig. Wenn sie nicht schnell die Ventile aufdrehte und im Anschluss die Energiebehälter zerstörte, würde die gespeicherte Kraft, mit der Ain Soph wiedererweckt werden sollte, eine verheerende Zerstörung anrichten. Und da durfte sie sich nicht von ein paar Schmerzen und verbrannten Händen aufhalten lassen. Das zweite Ventil war weitaus schwerer zu öffnen. Sie musste ihre ganze Kraft aufwenden und spürte schon gar nicht mehr den Schmerz ihrer verbrannten Hände. Ihr Körper befand sich in einem Schockzustand und machte es ihr somit leichter, auch das letzte Ventil zu öffnen. Und kaum, dass diese offen waren, schlug sie mit ihrem Schwert einen riesigen Riss in die beiden Behälter. Eine weitere heftige Erschütterung ging plötzlich durch das Gebäude und kaum, dass der Riss in den Behältern sich vergrößerte, wurde eine so gewaltige Kraft freigesetzt, dass sie Alice von den Füßen riss und sie gegen die Wand schleuderte und ihr kurzzeitig das Bewusstsein raubte. Sie stürzte zu Boden und erbrach einen weiteren Blutschwall. Das Atmen war ihr kaum noch möglich und sie konnte sich kaum noch bewegen. Die Wucht der freigesetzten Kraft hatte mehrere Metallsplitter aufgewirbelt, von welchem einer sie in den Unterleib und einer in den rechten Oberschenkel getroffen hatte. Sie versuchte wieder aufzustehen, zog den Splitter heraus und wollte zur Tür gehen, doch sie konnte nichts mehr sehen. Alles war so verschwommen, dass sie fast gar nichts mehr erkennen konnte. So ein Mist. Das Serum hatte ihren Körper bereits so weit zerstört, dass sie allmählich ihr Augenlicht verlor. Und wahrscheinlich würde sie sich auch gleich nicht mehr bewegen können. Fast vollkommen blind tastete sich Alice vor, was ihr aber mit verbrannten Händen mehr als schwer fiel, doch sie schaffte es tatsächlich, irgendwie zur Tür zu gelangen. Diese schloss sie hinter sich und kämpfte sich noch ein Stück weit den Gang hinunter, doch dann gaben ihre Beine endgültig nach und sie brach zusammen. Erschöpft lehnte sie sich mit dem Rücken zur Wand und spürte, wie das ganze Institut zu beben begann. Überall bildeten sich weitere Risse an den Wänden und Teile der Decke stürzten ein. Das Gebäude war im Begriff, komplett einzustürzen. Durch die immense Kraft, die freigesetzt worden war, hatte es zu große Schäden erlitten und nun würde die „Geburtsstätte“ Ain Sophs von eben jener selben zerstört werden, weil ihre Kraft zu stark war, als das etwas sie noch weiterhin im Zaum halten konnte. Alice wusste es, sie hatte von Anfang an gewusst, dass nichts und niemand es vermochte, Ain Soph unter Kontrolle zu halten. Denn sie war grenzenlos. Sie und Joseph hatten auch nie beabsichtigt gehabt, sie gefangen zu halten. Nein, sie wollten lediglich dafür sorgen, dass sie wieder zurückkehren konnte. Und mit Lacies Tod war der letzte Schritt vollbracht und sie hatten wenigstens einen kleinen Teil ihres Ziels erreicht. Sie hatten Ain Soph und Elohim zurückgeholt. Aber zu welchem Preis? Es hatte einfach viel zu viele Leben eingefordert, weil der Zorn und der Hass Elohims nicht ruhen konnten. „Alas my love, you do me wrong, To cast me off discourteously. And I have loved you so long Delighting in your company. Greensleeves was all my joy, Greensleeves was my delight. Greensleeves was my heart of gold, And who but my Lady Greensleeves…” Ihre schwächer werdende Stimme wurde von dem lauten Grollen des Reaktors übertönt, aber sie wollte auch nicht gehört werden. Sie sang einzig und allein für sich und war inzwischen auch nicht mehr in der Lage zu sehen, ob da überhaupt noch jemand sonst war. Alles, was sie noch erkennen konnte, waren Schatten und nicht mehr. Sie bedauerte ihr Schicksal nicht, sondern war froh, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Wenigstens ein einziges Mal hatte sie die richtige Entscheidung getroffen und das getan, was sie wollte, ohne sich von irgendjemandem bequatschen zu lassen. Trotzdem wäre sie gerne mit den anderen mitgegangen, anstatt hier alleine zurückzubleiben und zu sterben. Tja, dachte sie und lächelte traurig. Es ist, wie Lacie gesagt hat: jedes Lebewesen stirbt für sich allein. „Na, du siehst ja vielleicht bescheiden aus.“ Als Alice eine Stimme hörte, erschrak sie und sah auf, erkannte aber nichts außer einem verschwommenen Schatten. Ihre Welt war schon dabei, vollständig im Dunkeln zu versinken. „Wer… wer ist da?“ rief sie ins Getöse hinein. „Sehen Sie lieber zu, dass Sie hier rauskommen. Das ganze Gebäude wird gleich einstürzen!“ „Ich weiß, aber das kümmert mich nicht. Und wenn du mal genauer hinschauen würdest, müsstest du längst erkannt haben, dass ich keiner von diesen Menschen bin. Und demnach ist diese kleine Explosion auch keine sonderliche Bedrohung für jemanden wie mich.“ Alice runzelte verwundert die Stirn und versuchte über ihr Gespür zu erkennen, wer da vor ihr stand. Und was sie wahrnahm, raubte ihr fast den Atem. Es war eine so gewaltige Macht, dass es ihr fast den Verstand geraubt hätte, wenn sie sich noch eine Sekunde länger darauf eingelassen hätte. Ihr Herz begann vor Angst zu rasen. Das war definitiv kein Mensch… und auch kein Proxy oder ein Sefira. Nein, es war viel älter und viel mächtiger… „Was… was willst du von mir?“ „Nun, ich wollte mir mal persönlich den Menschen ansehen, der es geschafft hat, ein solches Durcheinander anzurichten. Und wie ich feststellen muss, ist das Ergebnis eher enttäuschend. Aber es ist nicht das Äußere, was hier zählt, sondern die Taten. Und wenn man sich bei mir je einer Sache gewiss sein konnte, dann der Tatsache, dass ich niemals einen guten Dienst vergesse. Du hast Elohim gerettet und mir Ain Soph zurückgebracht. Für dich und deinen Joseph mag es als einfacher Traum von einem Utopia begonnen haben, aber letzten Endes habt ihr mehr bewirkt, als ihr euch vorgestellt habt. Durch euren Verdienst ist der Verrat an Elohim zutage gefördert worden und die alte Ordnung wird für immer in sich zerfallen. Stattdessen wird nun eine neue entstehen. Wer hätte gedacht, dass zwei kleine Insekten es schaffen, einen so gewaltigen Einfluss auf etwas auszuüben, was sich weit außerhalb der Grenzen eures kleinen Universums befindet?“ Alice schwieg, als sie das hörte und wusste auch nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie und Joseph hatten tatsächlich etwas bewegen können? Ihr Projekt war also letzten Endes doch nicht gänzlich gescheitert, wie zunächst angenommen? Aber es stimmte schon. Sie hatten es geschafft, Ain Soph und Elohim zurückzuholen. Und das war eigentlich schon ein kleines Wunder. „Dann haben all die Menschen und Proxys nicht völlig umsonst ihr Leben lassen müssen…“ „So sieht es aus. Aber… deswegen bin ich nicht hier. Ich wurde von einem alten Freund gebeten, mich um die verlorenen Seelen jener Opfer zu kümmern, die zum Opfer des Hasses geworden sind. Und du gehörst auch zu ihnen, Alice Wammy.“ Tränen sammelten sich in ihren Augen, als sie das hörte und sie lächelte unglücklich. „Ich verdiene es nicht, weiterzuleben. Mein ganzes Leben ist sowieso ein einziger Scherbenhaufen. Wirklich alles habe ich falsch gemacht. Wegen mir sind meine besten Freunde gestorben… wegen mir ist Joseph tot und wegen mir mussten so viele ihr Leben lassen. Simrah, Samsara, Sariel und Lacie. Ich weiß, dass ich nicht das Recht habe, überhaupt so etwas wie eine Bitte an irgendjemanden zu richten bei der Schwere meiner Sünden.“ „Aber…?“ „Aber… wenn ich es dürfte… wenn ich nur einen selbstsüchtigen Wunsch äußern darf… nur eine Bitte…“ Und hier wurde Alice wieder von ihren heftigen Schluchzern unterbrochen, denn sie wurde wieder von ihren Gefühlen überwältigt und schaffte es kaum, weiterzusprechen. „Dann würde ich mir nur eine kleine Chance erbitten. Eine einzige Chance, damit ich meine ganzen Fehler wieder gut machen kann. Ich will es wenigstens dieses Mal besser machen und die richtigen Entscheidungen treffen.“ Diese letzten Worte schrie sie heraus, als wollte sie der ganzen Welt diesen letzten Wunsch mitteilen. Sie wusste, dass sie nicht das Recht hatte, um diese Chance zu bitten, denn sie hatte ja schon diese zweite Chance gehabt, als sie von Joseph wiederbelebt wurde. Aber selbst die hatte sie vertan und ihr Leben nur noch mehr zerstört. Irgendwie schien sie ein Talent dafür zu haben, sich selbst alles immer kaputt zu machen. Egal, was es auch war. Eine Weile lang schwieg die Gestalt vor ihr. Dann aber konnte Alice noch mit Mühe erkennen, wie diese ihr eine Hand reichte und sagte „Wenn das so ist… dann wird es für dich Zeit, Alice Wammy. Es wird Zeit für dich zu gehen.“ Einen Augenblick lang zögerte Alice noch unsicher. Normalerweise müsste sie Angst davor haben, aber seltsamerweise hatte sie keine Angst. Nein, sie war irgendwie erleichtert, als die Gestalt vor ihr sagte, dass es nun Zeit war für sie zu gehen. Es erfüllte sie mit einer gewissen Erleichterung, als würde mit einem Male eine schwere Last von ihr abfallen. Die Erleichterung über die Gewissheit, dass es endlich vorbei war. Es war alles ein für alle Male vorbei und sie würde nun endlich frei sein von all den Ketten und Lasten, die sie hatte ertragen müssen. Ja… sie war frei. „Ja“, sagte sie schließlich und ergriff mit dem letzten Rest ihrer Kraft die Hand der Person und lächelte befreit. „Es wird Zeit zu gehen…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)