Last Desire 13 von Sky- ================================================================================ Kapitel 12: Die Augen eines Opfers, die Hände eines Täters ---------------------------------------------------------- Entsetzen und Fassungslosigkeit zeichneten sich auf ihren Gesichtern ab. In Dathans Augen sammelten sich Tränen und er ging langsam zu Lacie hin. Insgeheim hoffte er noch, dass dies nur ein böser Traum war und sie noch nicht tot war. Immerhin hatte sie ihm doch versprochen, dass es für sie alle ein glückliches Ende nehmen würde. Und sie hatte niemals ihr Wort gebrochen. Es war nie davon die Rede gewesen, dass sie einfach so sterben würde. Sie hatte zwar ein wenig merkwürdig gewirkt, seit sie erfahren hatte, dass sie ein Proxy-Prototyp war, aber das war ja auch eigentlich verständlich gewesen. Aber… dass sie sich einfach so opferte und starb… war das wirklich von Anfang an von ihr geplant gewesen? Wieso hatte sie mit niemandem darüber gesprochen und alles mit sich selbst ausgemacht? „Lacie?“ Seine Hand strich sanft über ihre Wange, die sich aber mit einem Male so kalt anfühlte. Und der Blick seines Vaters, der von unsäglicher Trauer erfüllt war, ließen ihn erahnen, dass es nichts mehr brachte. „Sie ist tot, Nivkha“, sagte er langsam und kämpfte mit den Tränen. Weinend drückte er ihren leblosen Körper an sich und ließ seiner Trauer freien Lauf. Nastasja hingegen stand regungslos da, als stünde sie unter Schock. Sie konnte nicht glauben, dass Lacie das wirklich getan hatte und dass sie von Anfang an tatsächlich geplant hatte zu sterben. Und wieder musste sie wieder an diese Worte denken, die Lacie zu ihr gesagt hatte, als sie zum letzten Mal Klavier gespielt hatte: Jedes Lebewesen stirbt für sich allein. Das hatte sie also damit gemeint. Lacie wollte diesen Weg alleine gehen, weil sie wusste, dass sie das tun musste. Um das Projekt erfolgreich zu beenden und Alice zurückzuholen, musste sie sterben. Es war von Anfang an so vorherbestimmt gewesen, dass sie sterben musste und sie hatte das genau gewusst. Und sie hatte niemandem etwas davon gesagt, damit keiner sie aufhalten würde. Sie war diesen Weg ganz allein gegangen und war für sich allein gestorben… Alice stand immer noch regungslos da und wirkte, als stünde sie unter Schock. Sie starrte ins Leere und ließ ihr Schwert fallen. Dann aber regte sich etwas in ihr. Der Glanz kehrte wieder in ihre Augen zurück und es schien so, als würde wieder das Leben in sie zurückkehren. Sie begann am ganzen Körper heftig zu zittern, sank in die Knie und vergrub schluchzend ihr Gesicht in den Händen. Sie weinte ohne Hemmungen und wirkte völlig aufgelöst. Von Hass oder Wut war nichts mehr zu sehen. Nastasja sah dies und kam zögernd näher. „Alice?“ Die schwarzhaarige Engländerin sah zu ihr hoch und tatsächlich… es war wieder sie. Es war ihre alte Freundin Alice. „Nastasja…“ Ihre Stimme zitterte und Sturzbäche von Tränen flossen ihre weißen und wunderschönen Wangen hinunter. „Es tut mir leid…“, sprach sie leise und ihre Stimme klang schwach und zitterte so heftig, dass sie kein Wort hervorbrachte. „Es tut mir alles so leid, was ich dir und deiner Familie angetan habe. Ich… ich… ich wollte doch nie, dass irgendjemand sterben musste… Ich wollte doch niemandem wehtun…“ Nastasja, die den unendlichen Schmerz und die Hilflosigkeit in der Stimme ihrer Freundin hörte, wurde selbst von ihren Gefühlen übermannt und sie kämpfte selbst mit den Tränen. Ohne zu zögern nahm sie Alice in den Arm und weinte. Sie war so unsagbar froh, endlich wieder ihre beste Freundin zu sehen und nach so langer Zeit wieder ihre wirkliche Stimme zu hören. „Ich bin so froh, dass du wieder da bist“, sagte Nastasja einfach und das war nun endgültig zu viel für Alice. Sie wusste, dass sie viele schlimme Dinge getan hatte. Sie hatte ihre besten Freunde getötet, Nastasja ihren Sohn Jeremiel weggenommen und Frederica foltern lassen. Nastasja hätte allen Grund dafür, sie zu hassen. Und doch war sie froh, wieder ihre alte Freundin im Arm halten zu können. Aber wieso? Wieso hasste Nastasja sie nicht? Verdient hätte sie es doch alle Male. „W-warum?“ Das war das Einzige, was sie hervorbringen konnte. Danach brachte sie trotz Mühen kein Wort mehr hervor. „Das war nicht deine Schuld, Alice. Diese schrecklichen Dinge, die alle passiert sind… keiner von uns hat Schuld daran. Dieser Alpha-Proxy… das warst nicht du gewesen. Und ich weiß, dass auch ich Fehler gemacht habe. Ich bin nicht für dich da gewesen und habe nicht gesehen, wie schlecht es dir wirklich geht. Wenn ich mehr für dich da gewesen wäre, dann wären viele Dinge vielleicht nicht passiert. Und dafür möchte ich mich auch entschuldigen.“ Schließlich lösten sich die beiden Freundinnen und Alice stand auf. Die Verletzung an ihrem Arm als auch die Schusswunden, die Jeremiel ihr zugefügt hatte, hatten sich längst wieder zurückgesetzt. Ihre strahlend blauen Augen ruhten nun auf ihrem Vater. Sie zögerte noch, genauso wie er. Es war viel passiert und viel zutage gekommen. Geheimnisse und Probleme, die nie offen ausgesprochen worden waren, sodass sich zwischen ihnen eine deutliche Distanz gebildet hatte. Alice hatte bis zu ihrem Unfall alles geheim gehalten und alles still schweigend ertragen. Die Vergewaltigungen, das Mobbing, der immense Erfolgsdruck, ihre Tablettenabhängigkeit, ihre seelischen Wunden und ihre Träume, die sie seinetwegen aufgegeben hatte. Watari senkte den Blick und wirkte unglücklich. Er konnte seiner Tochter nach alledem, was er erfahren hatte, nicht in die Augen sehen. Schließlich aber nahm er all seinen Mut zusammen. „Alice, es tut mir alles so leid. All die Jahre habe ich nicht gesehen, was du wirklich wolltest und wie sehr du unter den Erwartungen gelitten hast, die ich an dich gesetzt hatte. Ich wollte immer nur dein Bestes und dass du das Größtmögliche aus deinem Potential herausholst.“ „Hättest du mich wenigstens ein einziges Mal gefragt, was ich will, wäre es vielleicht nicht ganz so schief gelaufen zwischen uns beiden. Alles was ich wollte, war doch nur deine Anerkennung. Ich wollte, dass du mich meinen eigenen Weg gehen lässt und mir das Gefühl gibst, dass du mir vertraust und mich liebst, selbst wenn ich keine Ärztin geworden wäre. Und mein Wunsch war es, meinen eigenen Weg zu gehen und das zu machen, was mir Freude bereitet und womit ich glücklich werden kann. Mag sein, dass ich das Zeug dazu habe, Chefärztin zu sein oder sogar im Krankenhausvorstand zu sitzen. Aber dass ich die Fähigkeiten dazu habe, heißt doch noch lange nicht, dass ich das auch wirklich will. Glaub mir, ich habe mir oft genug gewünscht, ich wäre nicht intelligent. Dann hättest du auch nicht diese ganzen hohen Erwartungen an mich gestellt. Die Arbeit im Krankenhaus und das Medizinstudium waren für mich eine einzige Tortur gewesen. Ich hatte schon immer eine große Abneigung vor Krankenhäusern und ich musste mich jedes Mal überwinden, es zu betreten. Selbst Jahre später ist es für mich eine Qual gewesen, die du dir nicht vorstellen kannst. Nicht nur, weil die Kollegen mich schikaniert haben, sondern insbesondere auch, weil ich Angst vor Will hatte… Joseph hatte mir immer wieder angeraten, dir endlich reinen Wein einzuschenken und dir die Wahrheit zu sagen. Und als Will mich vergewaltigt und auch noch geschwängert hatte, da wollte ich endlich aus diesem Alptraum raus und mit dir reden. Ich wollte dir endlich sagen, was ich wirklich wollte und dass ich es nicht mehr aushalte und ich schon längst innerlich kaputt bin, aber du hast mir ja nicht zugehört! Dir waren deine Freunde wichtiger gewesen als ich und dann schleifst du mich zu denen und kommst mir mit der Idee an, dass ich mich mit Will treffen sollte. Kannst du dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe? Du warst der Einzige gewesen, der mir hätte helfen können und du hast es nicht einmal für nötig gehalten, mir zuzuhören, obwohl du gesehen hast, wie schlecht es mir ging. Stattdessen waren dir immer nur deine eigenen Interessen wichtig. Wie konnte ich denn noch länger darauf vertrauen, dass du mir helfen würdest? Du warst nie für mich da gewesen!“ „Ich weiß“, sagte Watari mit kraftloser Stimme und senkte den Blick. In seinem Gesicht zeichneten sich Schuld und Reue ab und er wusste, dass er diesen Fehler niemals wieder gut machen konnte. Ihm waren seine eigenen Interessen in diesem Moment wichtiger gewesen als seine Tochter und das war einfach unverzeihlich gewesen. Hätte er ihr damals zugehört, dann wäre es nicht soweit gekommen. Er hätte ihr helfen können und dann hätte es diesen Unfall vielleicht nicht geben müssen. Und sie wäre nicht zum Alpha-Proxy geworden. Wenigstens dieses eine Mal, wo sie all ihren Mut zusammengenommen hatte, da hätte er ihr zuhören müssen. Immer und immer wieder hatte ihn dieser eine Abend verfolgt und an ihm genagt. 27 Jahre lang hatte ihn die Frage gequält, worüber Alice mit ihm hatte sprechen wollen. Nun wusste er es und das machte es nicht weniger schlimm. Sie wollte ihm die ganze Wahrheit erzählen und ihm ihr Herz ausschütten. Und sie wollte ihm von der Vergewaltigung erzählen. Und er hatte ihr einfach nicht zuhören wollen, weil ihm andere Dinge wichtiger gewesen waren. Dass seine Tochter ihm nicht gleich in den Arm fallen würde, konnte er nur zu gut verstehen. Zwischen ihnen beiden war so viel gewesen. Sie hatte seinetwegen so gelitten und er hatte nicht hingesehen. Er hatte es nicht gesehen und wollte es auch nicht sehen, weil er sich im Grunde seine Illusion von seiner perfekten und vorbildlichen Tochter nicht zerstören wollte. Ja, er wollte sich damals eine perfekte Tochter schaffen, weil Alice mit Schönheit und hoher Intelligenz gesegnet war. Doch er hatte nicht sehen wollen, dass es für sie selbst ein einziger Fluch war. Sie wäre lieber dumm und hässlich zur Welt gekommen, dann hätte es nicht diese hohen Erwartungen an sie gegeben und sie wäre nicht dem Hass, dem Neid und den Argwohn der anderen ausgesetzt gewesen. „Ich hätte mehr für dich da sein müssen und dir ein besserer Vater sein sollen. Weißt du, Lacie hat sich wirklich bemüht gehabt, dass ich dich besser verstehen kann und sie wollte, dass ich auch verstehe, was du wirklich willst. Sie hat mir eines deiner Bücher ins Krankenhaus gebracht und ich habe es gelesen.“ Als Alice hörte, dass ihr Vater ihr Buch gelesen hatte, durchfuhr sie ein eisiger Schreck und für einen Moment lang war Angst zu sehen. Angst vor seiner Reaktion und seinem Urteil. Sie wusste, dass er die Schriftstellerei nur als ein Hobby betrachtete und nicht mehr. Und nun hatte er eines ihrer Bücher gelesen. Insgeheim hatte sie sich immer davor gefürchtet, dass er die Wahrheit erfuhr und er ihre Bücher schrecklich fand. Doch als sie sein Lächeln sah und er dann auch noch sagte „Es war ein sehr schönes Buch und ich könnte nicht stolzer auf dich sein, Alice. Du bist eine wirklich hervorragende Schriftstellerin“, da brach sie wieder in Tränen aus. Sie konnte es in diesem Moment einfach nicht fassen, dass er tatsächlich ihr Buch lobte und sagte, sie hätte Talent dafür. Er hatte tatsächlich ihre Arbeit und ihre Leidenschaft anerkannt. Von Emotionen überwältigt umarmte sie ihn und noch nie in seinem Leben hatte L seinen Mentor so glücklich gesehen wie in diesem Moment. „Danke, Papa…“ Papa… wann hatte sie ihn das letzte Mal so genannt? Da war sie noch ein kleines Mädchen gewesen und hatte noch hübsche Kleidchen getragen. Damals waren sie wirklich ein Herz und eine Seele gewesen, bevor… …bevor ich ihr Leben zerstört habe… „Alice… verzeihst du einem dummen alten Mann seine unzähligen Fehler und kannst ihm vielleicht irgendwann eine allerletzte Chance geben?“ Einen Moment lang antwortete Alice nicht und schien nachzudenken. Doch dann spürte Watari plötzlich einen stechenden Schmerz in seinem Unterleib. Etwas Hartes bohrte sich in seinen Körper hinein und als er den Blick senkte, erkannte er, dass Alice ihm ein Messer in den Bauch gerammt hatte. Ein eiskaltes Lachen ertönte und mit Entsetzen sah er, dass dieser wahnsinnige und hasserfüllte Blick in ihre Augen zurückgekehrt war und nicht mehr Alice, sondern der Alpha-Proxy vor ihm stand, der wieder die Kontrolle übernommen hatte. „Hast du im Ernst geglaubt, dass dir deine Sünden so schnell vergeben werden, du alter Bock? Pah! Dass ich nicht lache! Du wirst sterben und wenn ich mit dir fertig bin, werden die anderen dir ebenfalls folgen. So leicht lasse ich euch nicht davonkommen.“ „Watari!“ Nastasja und Dathan waren sofort bei ihm und fingen ihn auf, als er zusammenbrach. Sofort aber schwand wieder der mörderische Glanz in Alices Augen und als sie das Messer in ihren Händen sah und das Blut, da weiteten sich ihre Augen. Sie ließ das Messer fallen und wich entsetzt zurück. „Was… was hast du getan?“ rief sie, wohl wissend, dass der Unborn sie hören konnte. „Warum hast du das gemacht?“ „Ich tue doch nur, was du dir selbst wünschst, meine kleine Alice. Ich töte die Menschen, die dein Leben zerstört haben. Und damit auch ihn. Oder hast du geglaubt, dass du mich so schnell loswirst, nach allem, was ich für dich getan habe?“ „Nein! Hör auf!“ rief sie und presste eine Hand gegen ihren Kopf. „Ich will das nicht mehr. Es sind schon genug wegen dir gestorben und ich habe schon einmal meine besten Freunde verloren!“ „Wegen mir? Alice, machst du es dir da nicht vielleicht ein bisschen zu einfach? Immerhin war es doch dein Wunsch gewesen, das alles endlich zu beenden. Warum sonst hättest du gewollt, dass ich in deinem Körper lebe? Du wolltest mich in deinem Körper, damit du dich an denen rächen kannst, die dein Leben zerstört haben.“ Alice kämpfte erheblich mit sich. Sie hatte Mühe, den Unborn wieder unter Kontrolle zu bringen, dessen Wille immer stärker wurde und drohte, sie wieder so massiv zu beeinflussen. „Nein, das stimmt nicht!“ rief sie und schlug mit der Faust gegen einen der Metallbehälter und hinterließ einen großen Riss im Panzerglas. „Ich habe deine gute Seite einzig und allein in mein ungeborenes Kind fahren lassen, weil ich es einfach nicht über mich bringen konnte, eines Tages mein Baby zu töten, um dich zu vernichten. Ich habe an Elohims Ziele geglaubt und wollte, dass mein Kind genauso wie Joseph und ich für eine bessere Welt kämpft und Elohims Macht nutzen wird, um dich endlich zu vernichten und diesen Hass zu bekämpfen! Ich konnte doch nicht meinem eigenen Kind diesen ganzen Hass aufladen und ich werde dir nie verzeihen, dass du James auf meinen Sohn gehetzt und ihm so schlimme Dinge angetan hast, genauso wie den anderen Proxys. Ebenso wenig werde ich dir verzeihen, dass du meine besten Freunde umgebracht hast. Du Mistkerl hast mich doch nur benutzt…“ „Mum…“ Eine fast schon angsterfüllt klingende Stimme ertönte und Elohims Aura war verschwunden. Stattdessen stand jetzt Elion da, der sofort mit seinem anderen Ich die Plätze getauscht hatte, als er erfahren hatte, warum seine Mutter ihn zu einem Proxy gemacht hatte. Sie hatte das nicht getan, weil sie ihn hasste oder weil sie ihn als irgendein Tötungswerkzeug benutzen wollte. Nein, sie wollte, dass er den Hass bekämpfte, den sie auf sich geladen hatte, um ihn davor zu beschützen. In seinen Augen waren so viele Emotionen lesbar. Fassungslosigkeit, Angst, Verwunderung, Hilflosigkeit… Alice sah ihn an und hatte Tränen in den Augen. Sie wich vor ihm zurück. Wohl aus Angst, sie könnte wieder die Kontrolle verlieren. „Elohim war viel zu stark, als dass ein menschlicher Körper solch eine gewaltige Kraft aushalten kann. Deshalb musste ein Teil von ihm auf dich übergehen, es ging nicht anders. Und ich musste mich entscheiden. Entweder der Hass… oder die Liebe. Es mag sein, dass du durch Umstände gezeugt wurdest, die nicht schön sind. Dein Vater war ein widerlicher und sadistischer Vergewaltiger, aber… ich konnte dich trotzdem nicht hassen. Du warst doch ein Teil von mir… mein Kind… Ich konnte dir diesen Groll nicht aufladen, ich hab es einfach nicht übers Herz gebracht, dir das anzutun. Also habe ich dir stattdessen Elohims gute Seele überlassen. Jene, die sich nach Frieden und Harmonie sehnte, weil ich trotz der ganzen Umstände das Beste für dich wollte und mir gewünscht habe, dass wenigstens du glücklich wirst, wenn ich es schon nicht werden kann. Aber… sein anderes Ich konnte das nicht akzeptieren. Es hat ihn gehasst und so wollte es ihn vernichten. Es wollte dich töten, was ich gerade noch verhindern konnte. Aber ich war nicht stark genug um zu verhindern, dass er und James dich und die anderen so sehr quälen. Ohne meine Hoffnung und meine Träume, die ich mit Lacies Erschaffung verloren hatte, hatte ich auch gleichzeitig keine Kraft zum Kämpfen mehr, wodurch ich dem Zorn Elohims vollständig verfallen bin. Es tut mir leid, Elion. Es tut mir leid, was du meinetwegen durchmachen musstest und ich wünschte, ich hätte die Kraft besessen, das alles viel früher zu beenden und dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Dann hätte es niemals so weit kommen müssen… Ich wollte doch nie jemandem etwas Böses. Alles, was ich wollte, war eine Welt, in der ich mit meiner Familie glücklich leben kann… wo ich mit Joseph und meinem Kind unbeschwert leben konnte, ohne in diesen nie enden wollenden Kreislauf der Gewalt und des Schmerzes gefangen zu sein. Aber stattdessen habe ich mein ganzes Leben lang immer nur die falschen Entscheidungen getroffen, weil ich immer wieder nur auf andere gehört habe. All die Jahre habe ich nur auf meinen Vater gehört und bin etwas geworden, das ich gehasst habe. Und dann musste ich so dumm sein und auf Elohims Zorn hören. Letztendlich bin ich zu einem Monster geworden, das selbst jenen wehtut, welche ich niemals verletzen oder in Gefahr bringen wollte. Ich habe meine besten Freunde getötet und mein einziges Kind im Stich gelassen. Und das ist unverzeihlich…“ „Mum…“ Elion sah aus, als wolle er gleich in Tränen ausbrechen. Zu hören, dass seine Mutter ihm Elohims gute Hälfte überlassen hatte, weil sie ihn vor dessen Zorn und Hass beschützen wollte, ließ ihn all diese schlimmen Dinge vergessen, die er erlebt hatte. Die jahrelange Gefangenschaft, die grausamen Experimente und die Übergriffe von James Brown und die Tatsache, dass er gezwungen wurde, Ezra zu töten. Seine Mutter hatte ihn nie gehasst, obwohl er bei einer Vergewaltigung gezeugt worden war. Sie hatte ihn trotz allem geliebt und wollte ihn vor Elohims Zorn beschützen und hatte sich stattdessen selbst seine dunkle Seite aufgeladen. Sie hatte es nicht übers Herz gebracht, ihn zu töten und ihn stattdessen am Leben gelassen. All die Jahre war er sich sicher gewesen, dass seine Mutter ihn hasste und immerzu hatte er sich gefragt warum. Und nun erfuhr er, dass Alice ihn trotz allem geliebt hatte und einfach nur nicht imstande gewesen war, ihn vor Elohims Hass zu beschützen. Stattdessen war sie selbst von ihm vereinnahmt worden und hatte nicht mehr die Kraft besessen, sich ihren eigenen Willen zu bewahren. Der Unborn hatte sie genauso manipuliert, wie er Elohim und Liam manipulieren wollte. Nämlich indem er sie genau da traf, wo sie verwundbar waren. Und in Alices Fall waren das einfach zu viele Dinge gewesen. Und da sie ihre Träume und Hoffnungen an Lacie verloren hatte, war sie nicht in der Lage gewesen, sich gegen diese Manipulation zu wehren. „Ich bin eine wirklich furchtbare Mutter gewesen“, schluchzte sie und sah ihren Sohn mit vor Tränen glänzenden Augen an. „Aber… zumindest hast du eine bessere Mutter gefunden, die dir die Liebe geben kann, die du verdienst. Es tut mir leid, dass ich dich nicht beschützen konnte und dass ich nicht für dich da war. Und es tut mir leid, dass ich dich zu so etwas Schrecklichem gezwungen habe. Ich…“ Alice konnte kaum noch ihre Stimme beisammen halten. Sie zitterte am ganzen Körper, während unaufhörlich Tränen flossen. Sie lächelte, aber es wirkte so unendlich traurig und verzweifelt. Genauso wie Andrews Lächeln damals, als er selbst so unter diesem Erfolgsdruck gelitten hatte, der auf ihn gelastet und ihn letztendlich in den Tod getrieben hatte. „Ich bin wirklich stolz auf dich, mein Schatz. Und ich bin froh, dass du eine so wunderbare Familie gefunden hast, die sich besser um dich kümmern kann als ich.“ „Mum, du kannst doch nichts dafür, dass…“ Damit wollte Elion auf sie zugehen und in den Arm nehmen, doch da ergriff Alice die Panik und sie stieß ihn von sich. „Komm mir nicht zu nahe!“ rief sie und sah ihn angsterfüllt an und wich vor ihm zurück. „Bitte… ich will dir nicht wehtun.“ Einen Moment lang blieb Alice stehen und es war nicht klar erkennbar, was sie vorhatte. Doch als der Unborn erneut mit Gewalt versuchte, sich in ihr breit zu machen und sie sich nur mit ungeheurer Willenskraft selbst davon abhalten konnte, Elion anzugreifen, lief sie plötzlich zu Nastasja hin und schlug ihr mit gewaltiger Kraft in die Magengrube. Als die Russin von dem heftigen Schlag völlig benommen war, riss Alice ihr die Spritze aus der Hand, entfernte sich von der Gruppe und legte ihren linken Arm frei. Als ihre beste Freundin erkannte, was sie da vorhatte, überkam sie Entsetzen. Lacie hatte ihr gesagt gehabt, dass das Serum Alice nicht in dem Sinne helfen konnte, wie es bei Elion und Sheol der Fall war. Im Gegenteil. Weil der Unborn sich in ihrem gesamten Körper ausgebreitet hatte wie ein Parasit und ihre Seele nicht mehr menschlich war, weil sie mit Elohim verschmolzen war, würde es sie töten. Nastasja überkam Panik, als sie erkannte, was ihre beste Freundin da vor hatte und versuchte sie aufzuhalten. „Alice, nicht! Wenn du das tust, bringt es dich um!“ Doch Alice ließ sich nicht von ihrem Entschluss abbringen. Sie stieß Nastasja und Watari von sich, die sie aufhalten wollten und rief „Das ist meine Entscheidung! Ich werde nicht zulassen, dass Elohims Zorn noch weiter außer Kontrolle gerät und ich irgendjemanden in Gefahr bringe. Ein einziges Mal will ich die richtige Entscheidung treffen, ohne dass mir irgendjemand reinredet und mir sagt, was ich tun oder lassen soll. Und es ist meine Entscheidung, dass ich den Unborn zerstören werde und damit auch endlich diesen ganzen Alptraum beende, der schon viel zu lange anhält. Ich werde nicht zulassen, dass er mir noch die letzten Menschen nimmt, die mir wichtig sind und ebenso werde ich nicht zulassen, dass er meinem Sohn und den anderen Proxys nur noch mehr Leid zufügt. Deshalb muss ich das hier tun und Elohims Zorn mit mir nehmen, wenn ich sterbe. Also haltet mich nicht auf!!!“ Und bevor sie jemand daran hindern konnte, stach sich Alice selbst die Nadel in den Unterarm und injizierte sich schließlich selbst das Serum… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)