Last Desire 13 von Sky- ================================================================================ Kapitel 11: Schmetterlingskokon ------------------------------- Watari sah fassungslos auf die blutende Wunde an Alices Arm, der von unzähligen Narben gezeichnet war. Von seiner Tochter solche Dinge zu hören, tat ihm unendlich weh und wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, hätte er so vieles anders gemacht. Er hatte nie darüber nachgedacht, dass er Alice damit verletzen könnte, dass er nie einfach mal gesagt hatte, dass er sie so liebte wie sie war und er stolz auf sie war. Stattdessen hatte er sie mit seinen hohen Erwartungen in die Tablettensucht und in die Depression getrieben. Er hatte sie unter einen solchen Leistungsdruck gesetzt, dass es doch nur selbstverständlich war, dass sie Angst gehabt hatte, ihm von ihren Problemen zu erzählen. „Alice, es tut mir wirklich leid. Aber glaub mir, ich wollte dich niemals durch Nastasja ersetzen lassen. Das hast du völlig falsch verstanden. Natürlich bin ich sehr stolz auf dich gewesen. Als du Chefärztin geworden bist, da…“ „Ich wollte aber nie Chefärztin werden“, unterbrach Alice ihn und wurde laut dabei. „Ich habe es gehasst. Ich habe jedes Mal Magengeschwüre und Kopfschmerzen gekriegt, wenn ich dort arbeiten gehen musste. Schon als kleines Kind hatte ich Angst vor Krankenhäusern und wollte nie dort arbeiten. Ich habe es allein deinetwegen gemacht, weil du es so wolltest. Aber das ist jetzt auch egal.“ Sie ließ von Nastasja ab und wischte sich die Tränen weg. Dathan half seiner Freundin hoch und ging vorsichtig mit ihr zurück, falls Alice wieder ausrasten sollte. „Warum hast du Elion diese Dinge angetan und wer ist der Vater?“ Unglücklich lächelte Alice und wich dem Blick ihres Vaters aus. „Sein Vater ist Will“, erklärte sie schließlich und ihre Stimme klang mit einem Male sehr schwach. „Er hat mich bei der letzten Vergewaltigung geschwängert. Dabei… dabei wollte ich Joseph heiraten und mit ihm eine Familie gründen. Ich wollte Kinder mit ihm haben, stattdessen werde ich vergewaltigt und von meinem Vergewaltiger schwanger. Was für ein beschissenes Leben, nicht wahr? Du Nastasja standest in der Gunst von Eva und hattest sie und Frederica und hattest mit Henry Kinder trotz der Tatsache, dass du nicht fähig bist, Kinder zu bekommen. Das ist so ungerecht gewesen… du hast immer alles bekommen… ich konnte das einfach nicht akzeptieren. Du hast mir meinen Vater und meinen besten Freund weggenommen und all den Ruhm und die Bewunderung geerntet, während ich nichts hatte außer dem Selbsthass, meine Probleme, meine Depression und die Scham, dass ich von Will vergewaltigt wurde. Ich wollte das einfach nicht akzeptieren.“ „Hast du mich deshalb meiner Mutter weggenommen und für die Proxy-Experimente benutzt?“ fragte Jeremiel und sein Blick war sehr ernst und gefasst. Er war fassungslos über die ganze Geschichte und hatte auch aufrichtiges Mitleid mit Alice, dass ihr all das passiert war. Und nun erklärte das auch ihre fehlende Liebe für Elion und warum sie ihn für die Experimente missbraucht hatte. Weil sie von ihrem eigenen Vergewaltiger schwanger wurde, konnte sie einfach nicht die Liebe für ihn aufbringen, die eine Mutter normalerweise für ihr Kind empfinden sollte. So etwas war einfach nicht möglich. Alice lachte und fuhr sich durchs Haar. Es war ein unendlich trauriges Lachen und ihre Tränen hörten nicht auf zu fließen. „Ja“, gab sie schließlich zu. „Ich wollte deiner Mutter wenigstens etwas nehmen, das ihr wichtig ist. Und da sie eben mit Zwillingen schwanger war, dachte ich mir einfach: ich nehme ihr die Kinder weg um sie dort zu treffen, wo es ihr wehtat. Es war ein gerechter Ausgleich für mich. Und was macht Joseph? Er lässt ihr einfach eines der Kinder drin, anstatt sie beide zu nehmen. Und dann nimmt er selbst das auf seine Kappe, weil er sich die Schuld an der Situation gab. Aber als du dann mit deiner Familie ein so glückliches Leben geführt hast und dann auch noch damit begonnen hast, herumzuschnüffeln und mein Projekt zu sabotieren, da ist mir endgültig der Kragen geplatzt. Nicht nur, dass du so dreist warst, mir alles wegzunehmen, du hast auch noch die Frechheit besessen, mir meinen Traum und den von Joseph zu zerstören. Und das konnte und wollte ich nicht akzeptieren. Du hast einfach nicht kapiert, wann Schluss ist und dafür musstest du büßen. Und dass ich diesen Psychopathen James auf Frederica gehetzt habe, kannst du mir ja wohl auch nicht zum Vorwurf machen. Sie hat immerhin Joseph getötet! Sie hat mir den Menschen weggenommen, der mir alles bedeutet hat und der mich als Einziger wirklich verstanden hat. Diese Hexe hat es doch nicht anders verdient als zu leiden. Ja, ich wollte, dass sie leidet und in diesem Zustand dahinvegetiert, weil sie mir die Person genommen hat, die ich über alles geliebt habe und die nichts Unrechtes getan hat. Joseph traf keine Schuld an der ganzen Situation und ich wollte nie, dass er meinetwegen sterben musste… Aber… nun ist auch alles egal. Es ist eh zu spät. Ich habe nichts mehr. Joseph ist tot, das Projekt steht vor dem Zusammenbruch… ich habe rein gar nichts mehr, woran ich noch glauben und worauf ich noch hoffen kann…“ „Das liegt daran, weil du deine Wünsche und Träume verloren hast.“ Eine plötzliche Stimme ließ sie alle aufhorchen und tatsächlich hörten sie das Geräusch von Absätzen. Lacie hatte den Raum betreten und kam nun langsam näher. Erleichterung kam bei den anderen auf. Dass Lacie hier war, konnte nur bedeuten, dass sie es geschafft hatte und nun gekommen war, um Alice zu helfen. Und bei sich hatte sie etwas, das Beyond bekannt vorkam: nämlich die Spritze mit dem Serum. Hatte sie sie etwa diesem Proxy tatsächlich abnehmen können? Aber wie? Alice war für einen Moment lang sprachlos, als sie Lacie sah und konnte es nicht glauben. Sie lachte ungläubig und schüttelte den Kopf. „Sieh an, wenn das nicht Proxy-Zero ist. Der Prototyp, der sich für einen Menschen hält. Hast du dein Leben als „Lacie Dravis“ etwa satt und bist du deshalb zurückgekommen? Oder bist du so dumm?“ Lacie kam näher und war erstaunlich ruhig und gefasst. Irgendetwas hatte sie vor, das war nicht zu übersehen. Nur ließ sich einfach nicht erkennen, was es war. Als sie bei Nastasja war, drückte sie ihr das Serum in die Hand und ging alleine weiter. „Nein, das ist es nicht“, erklärte sie. „Mir ist so einiges klar geworden, was dich und mich betrifft. Und ich weiß jetzt, wieso du wirklich so hoffnungslos bist und deine Menschlichkeit abgelegt hast. Als du dein Neshama auf mich übertragen hast, da hast du auch all deine Wünsche und Träume verloren. Deinen Herzenswunsch, Schriftstellerin zu werden und Joseph zu heiraten, mit Dathan befreundet zu sein, den du nicht retten konntest. Und auch deine Liebe zu deinem einzigen Kind und die glücklichen Erinnerungen mit Nastasja und Henry. All diese Träume und Sehnsüchte, die dir Hoffnung gegeben haben… die hast du mir überlassen und sie selbst verloren. Deshalb konnte ich ein glückliches Leben als Lacie Dravis führen. Aber ich kann dir deine Träume zurückgeben und dir auch deine Freude wiedergeben.“ „Ich hatte niemals Freude am Leben und ich brauche die Hilfe eines Prototyps nicht! Ich brauche niemanden von euch, um mein Ziel zu erreichen. Ich werde mir selbst Gerechtigkeit verschaffen und das alles ein für alle Male zu Ende bringen. Wenn ich schon mein ganzes Leben nur leiden musste, dann werde ich gewiss nicht mehr die Einzige sein, die leidet. Das ist meine einzige Hoffnung!!!“ Damit griff Alice an und wollte auf Nastasja losgehen, doch Elohim ging dazwischen und wehrte den Angriff ab. Beim Zusammenprall der Waffen wurde eine immense Druckwelle freigesetzt, die einige der Glasbehälter sprengte, welche daraufhin mit einem lauten Krach zerbarsten. Liam kam direkt dazu, um Elohim zu helfen, Dathan hingegen blieb bei den anderen. Alice erwies sich als unerbittliche Gegnerin. Ihre Angriffe waren blitzschnell und sie ließ keinen Moment der Schwäche ungenutzt. Obwohl sie es mit zwei Gegnern zu tun hatte, konnte sie diese problemlos in Schach halten und fest stand, dass der Kampf hart werden würde. Ihre Verzweiflung und ihr Wunsch nach Vergeltung schalteten all ihr Schmerzempfinden aus und sie kannte keinerlei Zurückhaltung mehr. Es war klar, was sie wollte. Nämlich, sie alle töten. Elohim konnte ihr einigermaßen die Stirn bieten, musste aber schnell feststellen, dass seine andere Hälfte unfassbar stark geworden war. Und so langsam begann er daran zu zweifeln, dass sie so schnell die Sache zu Ende bringen konnten, wie sie zuerst gedacht hatten. Schließlich aber gelang es Alice, Liam gegen einen der Behälter zu schleudern und sprang über Elohim drüber und attackierte dieses Mal Jeremiel, der geistesgegenwärtig zur Seite sprang und schoss. Die Kugel streifte Alices Wange, doch sie ignorierte dies einfach und schlug mit Schwert nach ihm, um ihm den Kopf abzuschlagen. Dathan aber ging noch rechtzeitig dazwischen und konnte den tödlichen Schlag abwehren. „Alice, bitte hör auf damit“, rief er und drängte sie mit Mühe zurück. „Das bist doch nicht du. Du warst doch damals ein so netter Mensch gewesen. Du hast mich immer im Krankenhaus besucht und versucht, mir Kraft zu geben.“ „Das interessiert mich nicht mehr!“ rief die wutentbrannte Engländerin und wollte erneut angreifen, doch Elohim schlug sie zurück und trennte sie wieder von den anderen. „Ich habe doch eh nichts mehr… Joseph ist tot und wenn ich mit euch fertig bin, wird diese Hexe dafür büßen. Ich sperre sie wieder ins Institut ein und werde dafür sorgen, dass sie in der Zelle versauert und nie wieder rauskommt.“ Es hatte keinen Sinn. Alice war durch Worte nicht mehr zur Vernunft zu bringen. Sie war so in ihrem Schmerz und ihrem Hass gefangen, dass sie nichts anderes mehr fühlen konnte und sie wollte nur noch, dass andere genauso leiden mussten wie sie. L und Beyond sahen den Kampf und tauschten kurze Blicke aus. „Das sieht echt übel aus“, bemerkte der Serienmörder, der sein Messer für den Ernstfall bereithielt. „Ich glaub, mit der ist nicht mehr zu reden.“ „Offenbar nicht“, stimmte L zu und wirkte besorgt. „Das sieht ernst aus und in dem Zustand ist Alice wirklich alles zuzutrauen. Wir… Watari!“ L hatte zu spät gemerkt, dass der alte Mann dabei war, auf die Kämpfenden zuzulaufen, um seine Tochter selbst daran zu hindern, noch weiterzukämpfen. Beyond reagierte geistesgegenwärtig genug, um ihn zusammen mit Jeremiel festzuhalten. „Machen Sie keinen Unsinn, Watari. Wenn Sie da jetzt dazwischen gehen, werden Sie noch sterben.“ „Hey, bring mich nicht in Versuchung, ihn loszulassen.“ Jeremiel warf Beyond einen kurzen strafenden Blick zu und hatte erheblich Mühe, den 74-jährigen zurückzuhalten. „Lasst mich los“, rief er und war völlig von der Rolle. „Wenn niemand Alice aufhält, dann wird sie…“ Bevor er weiterreden konnte, hatte Jeremiel ihm die Pistole auf den Hinterkopf zu schlagen und ihn damit vorübergehend außer Gefecht gesetzt. Dass der alte Mann seine Tochter schützen und ihr helfen wollte, war ja verständlich und keiner machte ihm einen Vorwurf deswegen. Aber dennoch wollte keiner riskieren, dass er sich in das Kampfgeschehen einmischte und sein Leben aufs Spiel setzte. „Kommen Sie doch zur Vernunft, Watari“, rief der Blondschopf, der ihm mit der Pistole eins über den Kopf gezogen hatte. „Wir können da nichts ausrichten. Alice ist nicht mehr unter Kontrolle zu bringen und wenn Worte nicht helfen, müssen wir eben Gewalt anwenden.“ „Aber ihr könnt sie doch nicht töten. Sie kann doch nichts dafür, dass sie so geworden ist. Lacie, es muss doch eine Möglichkeit geben, wie wir meine kleine Alice zurückholen können. Bitte!“ „Jetzt im Augenblick nicht, Watari. Wir müssen auf das richtige Timing warten.“ „Und wann soll das sein?“ „Überlasst das nur mir.“ Na großartig. Hoffentlich schaffte Lacie das auch, denn so wie Alice abging, hatte Lacie mit Sicherheit nur eine einzige Chance und das würde nicht gerade einfach werden. Und sie hatten auch keinen blassen Schimmer, was sie denn eigentlich vorhatte. Beyond ergriff schließlich L’s Hand und wirkte ernst. Er hatte irgendwie im Gespür, dass irgendetwas Schlimmes passieren würde und er hatte insbesondere Angst um L. „L, bleib ja hinter mir, egal was auch passiert.“ Doch ganz überraschend stellte sich Jeremiel vor die beiden und lud seine beiden Smith & Wessons durch. „Bevor du noch draufgehst, kümmere ich mich lieber darum.“ „Wie? Hey, jetzt hör mal…“ „Nein, du hörst mir zu“, unterbrach der ältere Lawliet-Zwilling ihn und Beyond wurde nun endgültig sprachlos. So energisch und durchsetzungsfähig kannte er den Kerl ja gar nicht und irgendwie war ihm auch, als würde etwas Charismatisches von ihm ausgehen. „Du bist für meinen Bruder der wichtigste Mensch im Leben und du bist auch schon oft genug in Gefahr geraten. Also überlass das besser mir, wenn Alice uns angreifen sollte.“ „Ich bin kein kleiner Junge verdammt!“ „Dann hör auch auf damit, dich wie einer zu benehmen und akzeptier es endlich.“ Beyond gab es auf, sich gegen Jeremiel durchsetzen zu wollen. Stattdessen wandte er sich L zu und bemerkte „Dein Bruder hat sich tatsächlich ganz schön verändert, seit er hier ist.“ Ein lauter Knall hallte durch den Raum, als ein weiterer Glasbehälter zu Bruch ging und Elohim durch eine Druckwelle von den Füßen gerissen wurde. Erneut griff Alice die Gruppe an und stieß Dathan und Liam beiseite. Sie hatte es dieses Mal auf Watari abgesehen und machte sich bereit zum Angriff. Jeremiel regierte sofort und schoss. Er traf sie ins Bein, in den Arm und in die Seite, doch sie merkte es nicht mal und wollte schon zuschlagen, um ihm mit dem Schwert den Schädel zu spalten, aber da war L dieses Mal zur Stelle. Er stützte sich am Boden ab und trat ihr direkt ins Gesicht. Dieser Tritt kam Beyond mehr als bekannt vor. Mit dem hatte Naomi Misora ihn vor knapp zweieinhalb Jahren abgewehrt, als er versucht hatte, sie hinterrücks zu erschlagen. Ich fasse es nicht, dachte er sich, als er das sah. Der tritt ja genauso zu wie diese Misora. Sag bloß, die hat ihn noch auf diese Idee gebracht… Als Alice durch diesen Tritt kurz benommen war, wollte Nastasja die Chance nutzen um sie anzugreifen und zu überwältigen. Doch da hatte sie schon ihr Schwert wieder griffbereit und reagierte schneller. Sie richtete die Klinge auf die Russin und wollte schon zustoßen, doch da wurde die 30-jährige zur Seite geschubst und das Schwert durchbohrte stattdessen Lacies Brust. Es ging mit erschreckender Leichtigkeit durch ihren Körper und spießte sie regelrecht auf. Für einen Moment herrschte entsetzte Stille im Raum. Erst als Alice die Klinge wieder herauszog und Lacie zusammenbrach und sich auf dem Boden eine Blutlache zu bilden begann, da zeichnete sich Entsetzen und Fassungslosigkeit auf Elohims Gesicht und das der anderen ab. „Lacie!“ rief der Unvergängliche und wollte zu ihr hin, doch er wurde unvorsichtig und das nutzte Alice aus, um ihm einen Hieb mit dem Schwert zu versetzen und ihn mit dem Kopf gegen die Wand zu stoßen. „Na, wie fühlt es sich an?“ fragte diese fremdartige Stimme, die wieder zurückgekehrt war und wieder hatte da der Alpha-Proxy selbst die Oberhand über Alice. „Es ist schlimm, jemanden vor seinen Augen sterben zu sehen, den man liebt. Ruft das nicht Erinnerungen an deinen Sohn Kohen wach, den sie vor deinen Augen hingerichtet haben? Erinnerst du dich an seine verzweifelten Angstschreie und wie er nach dir gerufen hat, als sie ihn umgebracht haben? Du hast aber auch rein gar nichts dazugelernt. Dabei hättest du doch wissen müssen, dass du mich brauchst, wenn du jene beschützen willst, die du liebst. Du bist schwach und du bist es schon immer gewesen. Du wirst immer schwach sein, solange du an deinen bescheuerten Träumen festhältst. Wenn du ihr Leben wirklich retten willst, dann solltest du endlich begreifen, dass dein Platz hier ist. Gib es auf, immer nur irgendwelchen Illusionen nachzujagen und in Träumen zu leben. Alice hat es auch endlich eingesehen, dass es für diese Welt keine Hoffnung gibt und dass es so etwas wie Existenzberechtigung nicht gibt. Alles, das entsteht, ist es wert, dass es vernichtet wird. Alles was lebt, muss sterben. Du kennst die Gesetze der vergänglichen Welt. Sie sind unantastbar und deshalb wird auch diese Welt eines Tages aufhören zu existieren und niemand kann etwas daran ändern. Besonders nicht diese erbärmlichen kleinen Insekten, die sich Homo Sapiens nennen. Sie sind nicht dazu bestimmt, überhaupt zu existieren und deshalb ist es unsere Pflicht, sie alle zu vernichten, wenn wir auf diese Weise etwas an diesem Zustand ändern wollen. Wenn du Lacie und deinen Sohn retten willst, dann schließe dich mir an und wir werden das Elend dieser Welt ein für alle Male beenden. Wir werden die wahren Götter werden, so wie es uns seit je her vorbestimmt ist. Und dann werden wir endlich diese glückliche Welt zurückholen, in der du allein mit deiner Familie gelebt hast und die du dir so sehr zurückwünschst.“ Damit streckte sie ihre Hand aus und wartete darauf, dass Elohim sie ergriff. Doch er zögerte unsicher. Die Erinnerung an damals war noch so präsent und immer, wenn er an Kohen zurückdachte, der vor seinen Augen gestorben war und den er nicht hatte retten können, kamen diese quälenden Schuldgefühle zurück. Er war unfähig gewesen, ihn zu retten, genauso wie er unfähig gewesen war, Lacie vor diesem Angriff zu beschützen. Er war überhaupt unfähig, irgendjemanden zu beschützen… Doch dann geschah etwas, womit keiner von ihnen gerechnet hatte. Lacie stand wieder auf. Wankend kam sie wieder auf die Beine, atmete schwer und hustete Blut. Sie presste eine Hand auf ihre blutende Wunde und kam langsam näher. Nastasja und Dathan wollten sie davon abhalten, denn bei dieser schweren Verletzung würde sie mit großer Wahrscheinlichkeit noch verbluten, wenn sie nicht schnellstens verarztet wurde. Doch die verwundete Proxy stieß sie einfach beiseite und ging weiter. „Du irrst dich“, erklärte sie und kam mit wankenden Schritten näher. „Jedes Lebewesen, jedes Ding das existiert, ist Ain Sophs Vermächtnis. Indem sie gestorben ist, konnten wir überhaupt geboren werden und es macht uns zu Fragmenten der Ewigkeit. Darum ist jede Form von Leben ein Geschenk. Unsere Existenzberechtigung liegt darin, weil wir leben und weil wir geboren worden sind. Deshalb ist unser Leben so kostbar, weil es kurz und vergänglich ist und wir es deshalb auch nicht einfach verwerfen sollten. Ganz egal wie hart unser Leben ist. Und dabei spielt es keine Rolle, ob du nun ein Unvergänglicher, ein Mensch, oder ein Proxy bist. All diese Dinge… all das, was du über diese Welt ohne Hoffung gesagt hast, rührt nur allein daher, weil du damals deine Träume verloren hast, Alice. Du hast vergessen, wer du wirklich bist und was du dir vom Leben erhofft hast. Deine glücklichen Erinnerungen mit Nastasja und Henry, deine Hochzeitspläne mit Joseph, die Liebe für dein Kind und dein größter Herzenswunsch, Schriftstellerin zu werden… all das hast du verloren, als du mich erschaffen hast. Als ich deinen Brief gelesen habe, da habe ich es verstanden, was wirklich in dir vorgeht und warum du so etwas Trauriges denkst. Und ich habe verstanden, was ich für eine Rolle in dieser Geschichte spiele. Die Karten, die Madame Arcana gelegt hat, sagten mir, ich solle mich darauf besinnen, wer ich wirklich bin. Und du… du wirst nur dann deinen wahren Traum erfüllen können, wenn du beide Seiten wieder ins Gleichgewicht bringen kannst. Verstehst du es? Ich bin du, ich trage deine Hoffnungen, deine Wünsche und deine Liebe in dir, die du damals verloren hast. Ich bin dein Licht, was du verloren hast. Und im Grunde genommen bin ich nichts als ein Kokon, der weder eine Raupe, noch ein Schmetterling ist. Ich bin ein Gemisch aus beidem und weder du noch Ain Soph. Und um die zu werden, die ich wirklich bin, muss ich diese letzte Grenze überschreiten und dir deine Wünsche, Träume und Hoffnungen zurückgeben. Und wenn ich sterbe, dann werde ich zu einem Ganzen werden und kann damit die Grenzen der Vergänglichkeit für immer hinter mich lassen. Dann… dann werde ich… wieder…“ Sie schaffte es nicht, die letzten Worte auszusprechen. Während sie die ganze Zeit die völlig verwirrte Alice im Arm gehalten hatte, wurde sie immer blasser und verlor immer mehr an Kraft. Elohim, der so langsam verstand, was Lacie damit meinte, versuchte sich wieder aufzurichten und rief „Nein Lacie, tu das nicht!“, um sie davon abzuhalten. Doch es war schon zu spät. Denn da wich bereits der letzte Rest an Kraft aus Lacies Körper und sie brach zusammen. Tränen sammelten sich in ihren Augen und dennoch… obwohl sie wusste, dass sie sterben würde, lächelte sie. Ja, sie wirkte in diesem Moment sehr glücklich. Denn sie war sich sicher, dass sie nicht einfach so verschwinden würde. Nein… ihr Tod würde nur ein vorübergehender Zustand sein. Dessen war sie sich ganz sicher. Langsam schlossen sich ihre Augen und dann starb Lacie Dravis. Elohim sank neben ihr zu Boden, nahm sie in den Arm und brach in Tränen aus, während Alice wie erstarrt da stand und mit einem fassungslosen Blick ins Leere starrte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)