Die Schatten werden länger von Memories_of_the_Moon ================================================================================ Kapitel 10: Der Prinz und der Waldläufer ---------------------------------------- Aragorn blickte hinter sich. Er konnte erkennen, dass sie direkt auf die Klippen zusteuerten, doch schaffte er es nicht, seine Hand aus den Gurten und Riemen am Warg zu befreien. Unaufhaltsam jagte das Tier auf den Abgrund zu und schleifte Aragorn mit. Und dann fiel er auch schon.... Als Legolas und Eldarion Aragorns Gemächer betraten, herrschte dort reges Treiben: Frauen mit Tüchern und Schüsseln eilten von einem Ort zum anderen, während studiert aussehende Männer in Grüppchen beieinander standen und von irgendwelchen Phänomenen faselten. Eldarion wusste nicht warum, doch dieser Anblick entfachte in ihm einen unbeschreiblichen Zorn; es war einfach viel zu laut hier. Sein Vater war schließlich der König; warum achtete man seine Privatsphäre nicht? „Raus hier!“, befahl Eldarion wütend. „Alle. Sofort.“ Eingeschüchtert verließen alle den Raum; Eldarion war nicht dafür bekannt, dass er die Stimme erhob und schon gar nicht, dass er Befehle gab. Auch Legolas hatte ihn noch nie so angsteinflößend erlebt; er schien ihm auf einmal größer und älter zu sein, irgendwie königlicher. Dankbar nickte der Elb Eldarion zu. Dann taten beide einen tiefen Atemzug und betraten Aragorns Schlafgemach. „Aragorn, nad no ennas. Da draußen ist etwas“, warnte Legolas, dessen Elbenaugen auch all die Feinheiten wahrnahmen, die anderen verborgen blieben, seinen Freund. „Man cenich? Was siehst du?“, fragte Aragorn den Elben leise. „Der weiße Zauberer, er nähert sich“, kam die Antwort von Legolas. Und tatsächlich trafen sie auf eine weiß gekleidete Gestalt, die in weißes Licht gehüllt war. „Wer bist du? Zeige dich!“, verlangte Aragorn. Und in diesem Moment wurden Aragorn, Gimli und Legolas Zeugen eines Wunders: Es war nicht wie erwartet Saruman, der aus dem Licht heraustrat, sondern Gandalf. Aragorn traute seinen Augen kaum. „Das ist nicht möglich; du bist gefallen...“, meinte er ungläubig. „Gandalf, der Graue, so hat man mich genannt... Ich bin Gandalf, der Weiße. Und ich kehre zu euch zurück, am Wendepunkt der Gezeiten.“ In Aragorns Schlafgemach ging es schon etwas ruhiger zu. Nur Eowyn, Faramirs Frau, und des Königs Leibarzt waren im Zimmer. Als sie die beiden Männer erblickten, traten sie augenblicklich auf sie zu. Ihre Mienen verrieten nichts allzu Gutes.... „Er lebt noch?“, fragte Legolas, sich auf das Schlimmste gefasst machend. Der Arzt nickte. „Ja, aber das ist auch schon das einzig Positive, das ich Euch berichten kann, Herr...“ „Wieso? Was fehlt ihm?“, mischte sich Eldarion ein. „Das kann ich leider nicht genau sagen, Herr“, entschuldigte sich der Arzt. „Seine Majestät hat sich aufgrund eines Sturzes schwere Kopfverletzungen zugezogen. Außerdem gibt es mehrere Prellungen und einige Rippen sind gebrochen...“ „Wird er es schaffen?“, wollte Eldarion ungeduldig wissen. „Ich weiß es nicht, Herr“, antwortete der Arzt bedauernd. „Es tut mir Leid...“ „Schon gut.“ Legolas versuchte angestrengt, irgendwie optimistisch zu bleiben. „Ithroniëll wird bald hier sein... Kann ich zu ihm? Ist er wach?“ „Nein, er ist noch immer bewusstlos“, bedauerte der Arzt. „Aber Ihr könnt natürlich zu ihm, Herr.“ Nur mühsam konnte sich Aragorn im Sattel halten. Hätte Brego ihn nicht gefunden, läge er jetzt wahrscheinlich immer noch halbtot am Ufer dieses Flusses... Hatte er sich das vorhin nur eingebildet, oder hatte ihn Arwen tatsächlich geküsst und mit ihm gesprochen? Na ja, jedenfalls lebte er noch. Und das war die Hauptsache... Als er in Helms Klamm ankam, traf er dort vor des Königs Festung auf Legolas. Der schien nicht sonderlich überrascht zu sein, Aragorn lebendig vor sich zu sehen und meinte nur: „Le abdollen. Du kommst spät.“ Aragorn sah ihn verwirrt an; so einen Empfang hatte er sich nach seiner Rückkehr von den Toten nicht erwartet. Legolas musterte seinen Freund genauer und sah, dass er verletzt war. „Du siehst furchtbar aus...“ Beide lachten. Da streckte der Elb Aragorn seine Hand hin. Darin war... der Abendstern! Aragorn hatte ihn bei seinem Sturz über die Klippen verloren und schon geglaubt, ihn nie wiederzusehen. Dankbar sah er seinen Freund an. „Hannon le. Danke.“ Als Legolas die Vorhänge des Bettes zur Seite zog und seinen Freund erblickte, erschrak er sehr. Aragorns Haut war schneeweiß, seine Augen waren geschlossen und er atmete kaum. Hätte Legolas es nicht besser gewusst, er hätte ihn für tot gehalten. Als er sah, dass Eldarion den Tränen nahe war, legte er ihm eine Hand auf die Schulter und meinte dann an Eowyn gewandt: „Könntest du dich bitte um Eldarion kümmern? Wir kommen hier schon zurecht...“ Eowyn bejahte. Sie nahm Eldarion liebevoll an der Hand und er ließ sich ohne Wenn und Aber aus dem Raum führen. Besorgt blickte Legolas den beiden nach. Manchmal vergaß er fast, dass Eldarion beinahe noch ein halbes Kind war... Dann setzte sich Legolas an Aragorns Bett, während der Arzt draußen auf Ithroniëll wartete. Er konnte nichts mehr für den König tun; alle Hoffnung ruhte jetzt auf der elbischen Heilkundigen. Legolas strich Aragorn eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ú-eglan anim. Verlass mich nicht.“ Jetzt galt es nur noch zu warten.... ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Als Ithroniëll einige Stunden später in Minas Tirith ankam, war Aragorn zwar noch am Leben, doch noch immer bewusstlos und Legolas und der Arzt hatten sich mehrmals versichern müssen, dass er überhaupt noch atmete. „Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte“, sagte die Elbin entschuldigend, als sie Aragorns Gemächer betrat. Viele, viele Jahre waren vergangen, seit Legolas sie das letzte Mal gesehen hatte. Damals war er noch beinahe ein Kind gewesen. Ithroniëll, die einige Jahre älter als er war, hatte zu dieser Zeit einige Wochen im Düsterwald verbracht. König Thranduil, Legolas' Vater, zählte sie zu seinen engsten Freundinnen und hatte sie eingeladen, die Bräuche und Sitten der Waldelben kennen zu lernen. Legolas hatte die Elbin damals schon sehr bewundert; er hatte sich sogar ein wenig in sie verliebt... Letzteres hatte mit der Zeit wieder nachgelassen, doch auch wenn er seitdem nur mehr ab und zu von ihr gehört hatte, hatte er sich doch des Öfteren an Ithroniëll erinnert. „Legolas Thranduilion! Legolas, Thranduils Sohn!“ Auch sie schien sich an ihn zu erinnern. Sie kam auf ihn zu und umarmte ihn herzlich, eine für Elben ungewöhnliche Begrüßung. „Ithroniëll!“ Legolas erwiderte die Umarmung freundschaftlich. „Mae govannen! Sei willkommen! Boe ammen i dulu lîn. Wir brauchen deine Hilfe. Es geht um Leben und Tod...“ Ithroniëll nickte ernsthaft. „Ich weiß; ich habe gehört, was passiert ist... Ich mache mich unverzüglich an die Arbeit.“ Mit diesen Worten wandte sie sich dem Patienten zu. „Aragorn in Dunedain.... Telin le thaed. Ich komme, um dir zu helfen. Lasto beth nîn. Hör auf meine Stimme.“ Darauf folgte ein elbischer Singsang, während Ithroniëll sich Aragorns Wunden genauer ansah. Nach ungefähr einer Viertelstunde unterbrach die Elbin ihre Tätigkeit und wandte sich an Legolas: „Dies hier könnte etwas länger dauern...Vielleicht solltest du dich etwas hinlegen....“ „Nein, nein!“, wehrte Legolas ab. „Ich würde lieber hier bleiben, wenn es dir nichts ausmacht...“ Ithroniëll hatte nichts dagegen einzuwenden. „An die Arbeit!“ In den nächsten Stunden kämpften die beiden um das Leben des Königs, wobei sie sich elbischer Magie in Kombination mit Heilkräutern aller Art bedienten. Die Minuten schienen nur so vorbei zu fliegen, während sich die Elben im stetigen Wettlauf mit der Zeit befanden. Und mit jeder Minute, die verstrich, schien Aragorn blasser und blasser zu werden. Vermutlich bildete Legolas sich das nur ein, doch musste er sich mehrmals zusammennehmen, um die Hoffnung nicht zu verlieren. Dann, eine Ewigkeit später, tat Ithroniëll kund: „So, geschafft. Das Schlimmste müsste überstanden sein....“ Erst jetzt merkten die beiden Elben, wie müde und erschöpft sie eigentlich waren. „Ich werde im Vorraum schlafen“, verkündete Ithroniëll. „Für den Fall, dass ich hier gebraucht werde....“ Legolas nickte. „Ich bleibe noch eine Weile bei ihm. Ich kriege jetzt sowieso kein Auge zu...“ Als Ithroniëll eine halbe Stunde später noch einmal in das Zimmer lugte, um nach ihrem Patienten zu sehen, huschte ein Lächeln über ihre Lippen: Legolas war, an Aragorns Bett sitzend, eingeschlafen, wobei sein Kopf auf dem Oberkörper des Königs ruhte. Auf leisen Sohlen schlich Ithroniëll in das Zimmer und deckte den Elben behutsam zu. „Ni ernil ar ni tauristar.... Der Prinz und der Waldläufer...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)