Die Schatten werden länger von Memories_of_the_Moon ================================================================================ Kapitel 4: Die Schatten werden länger ------------------------------------- Das Geräusch des Instruments ließ die Gefährten von ihrem Essen aufblicken und die Gespräche verstummen. Aragorn eilte sofort in die große Thronhalle, in der vor gar nicht so langer Zeit noch Denethor, Vater von Faramir und Boromir, Truchsess von Gondor, sein Amt ausgeübt hatte. Dort traf er auf Eomer, bereits in voller Kriegsmontur, der ihm berichtete, dass die verbliebenen Männer, die sich Saurons Zorn stellen sollten, zum Aufbruch bereit seien. Nach Absprache mit Gandalf und den übrigen Gefährten vereinbarte Aragorn mit Eomer, dass sie sich in einer Stunde auf den Weg machen würden. Außerdem erkundigte er sich nach dem Befinden Eowyns, Eomers Schwester. Sie war vor wenigen Tagen in der Schlacht um Minas Tirith dem Hexenmeister von Angmar im Kampf gegenübergetreten und dabei schwer verletzt worden. Aragorn wusste, dass Eomer am liebsten keinen Moment von ihrer Seite gewichen wäre, obwohl sie sich dank der elbischen Heilkünste bereits auf dem Weg der Besserung befand. Aragorn konnte Eomers Hin- und Hergerissensein nur allzu gut nachempfinden, schließlich hatte auch er einst vom drohenden Tod seiner Geliebten, Arwen, erfahren müssen, hatte aber aufgrund seiner Verpflichtungen nicht an ihre Seite eilen können. Er erinnerte sich noch immer an jedes noch so kleinste Detail seiner letzten Begegnung mit Arwen: Er hatte sich frühmorgens aus Bruchtal fortstehlen wollen, um sich nicht vor Arwen rechtfertigen zu müssen und um ihnen beiden den Abschied zu erleichtern. Sie aber hatte ihn abgefangen und da hatte er ihr zu ihrem eigenen Wohl – das hatte er jedenfalls damals geglaubt – zum ersten und letzten Mal eine Lüge aufgetischt. Ihr gesagt, dass ihre Liebe ein Traum gewesen sei. Ihr den Abendstern zurückgeben wollen. Sie aber hatte ihm versichert, dass die Halskette ein Geschenk gewesen sei und er sie behalten solle. Er hatte Arwen damals wirklich ziehen lassen wollen; er hatte ihre Beziehung beenden wollen, um sie in die Unsterblichen Lande segeln zu lassen und ihr dort ein besseres Leben zu ermöglichen. Wenn er doch nur damals schon geahnt hätte, wie schwer der Abschied für ihn werden würde... Schließlich hatte er erreicht, was er wollte, und trotzdem war er nicht glücklich... „Aragorn?“ Eine Stimme holte ihn in das Hier und Jetzt zurück. Erstaunt bemerkte der Angesprochene, dass der große Saal auf einmal so gut wie menschenleer war; nur noch Gandalf war da. Und der blickte ihn besorgt an; zumindest schien es Aragorn so. „Lass die Vergangenheit ruhen, mein Freund“, sprach Gandalf. „Du kannst sie nicht mehr ungeschehen machen....“ „...und ich auch nicht“, murmelte er, mehr an sich selbst gewandt. „Es ist die Gegenwart, auf die wir unsere Blicke richten müssen“, fuhr Gandalf fort, wieder zu Aragorn sprechend. „Vieles ist geschehen, doch wie ich schon einst zu Frodo sagte: Es liegt nicht in unserer Macht, zu entscheiden, welche Karten uns das Schicksal zuspielt. Wir können nur bestimmen, was wir mit der Zeit machen, die uns gegeben ist. Und denke immer daran, dass das Licht der Freundschaft selbst in der dunkelsten Stunde noch leuchtet...“ Abwesend blickte Gandalf in die Ferne, als ob er etwas sehen würde, das für andere Augen unsichtbar war. Dann war der tranceartige Moment auch schon wieder vorbei und Gandalf sah Aragorn mit seinen von Weisheit sprechenden Augen an. „So manches Pferd hat seinem Reiter schon einen Wink in die richtige Richtung gegeben...“ Und dann war der Zauberer auch schon zur Tür hinaus, noch bevor Aragorn eine Erklärung zu dieser rätselhaften Aussage einholen konnte. Und obwohl er nicht den blassesten Schimmer hatte, was ihm sein Freund damit sagen wollte, machte er sich auf zu den Ställen; sein Gefühl sagte ihm, dass Gandalf – wie üblicherweise – auch diesmal Recht behalten sollte. Auf dem Weg zu den Ställen konnte Aragorn beobachten, wie die letzten Vorbereitungen abgeschlossen wurden. Männer verabschiedeten sich von ihren Frauen und Kinder, im Wissen, vielleicht nie mehr zurückzukehren. Doch trotz all dieser Abschiede sah Aragorn in den Gesichtern dieser Menschen Mut und Hoffnung. Er wusste, dass jeder von ihnen alles gab und geben würde, um ihren Familien eine bessere Zukunft ermöglichen zu können. Eowyn hatte ihm einst gesagt, dass dies sein Verdienst sei; dass die Männer ihm sogar in den sicheren Tod folgen würden. Ob diese Schlacht tatsächlich den sicheren Tod oder aber den Sieg bringen würde, konnte Aragorn nicht sagen. Es erschien ihm auf einmal alles so ungewiss; wie er schon einst zu Elrond, Arwens Vater, gesagt hatte, behielt er keine Hoffnung für sich. Und dennoch konnte er es sich nicht erlauben, Zweifel oder Unsicherheiten offen an den Tag zu legen. Er war der zukünftige König; die Menschen zählten auf ihn und vertrauten seinen Entscheidungen. Als Aragorn die Ställe betrat, erblickte er keine Menschenseele und er atmete erleichtert auf. Was für ein Tag! Gemächlich ging er zur Box seines Pferdes Brego, mit dem ihn eine besondere Geschichte verband: Das Tier war in einer Schlacht verwundet worden und ließ nach diesem Schock keinen Menschen mehr an sich heran. Aragorn aber gelang es, Brego mit Hilfe elbischer Methoden zu beruhigen und seit diesem Zeitpunkt waren die beiden unzertrennlich. Nachdem er das Tier begrüßt hatte, setzte er sich ins Stroh, um einen Moment inne zu halten. Er schloss die Augen und lauschte dem Geräusch der scharrenden Hufen und der wiehernden Pferde. Doch plötzlich horchte er auf. Zuerst glaubte er zu träumen, doch nachdem er sich in den Arm gekniffen hatte, stellte er fest, dass da tatsächlich jemand sang. Leise und wohlklingend. Aragorn konnte die Worte nicht verstehen, daher erhob er sich und folgte neugierig der Stimme. Als er näher kam, merkte er, dass es ein elbisches Lied war. Und das konnte eigentlich nur eines bedeuten... Und tatsächlich stieß Aragorn auf Legolas, der seinem Pferd ein elbisches Lied vorsang. Anderen Menschen wäre das vielleicht seltsam erschienen, doch da Aragorn selbst in Bruchtal unter Elben aufgewachsen war, wusste er, dass die Elben eine ganz andere Verbindung zu Tieren hatten als Menschen. ______________________________________________________________________________________ Legolas war aus der Thronhalle geflüchtet, als er diesen Ausdruck auf Aragorns Gesicht gesehen hatte. Diese unverkennbare Miene, die der Elb nur allzu gut kannte. Er hatte Arwen beinahe selbst vor sich sehen können, so sehnsüchtig hatte Aragorn an sie gedacht. Normalerweise ertrug Legolas diese Gemütszustände seines Freundes geduldig, doch an diesem Tag hatte er es einfach nicht ausgehalten. Daher hatte er beschlossen, in die Ställe zu gehen; Arod, sein treues Pferd, hatte ihm schon so manches Mal tröstend zur Seite gestanden. Natürlich hatte Legolas die Anwesenheit der anderen Person in den Ställen sofort gespürt, hatte aber nicht weiter darauf geachtet und damit begonnen, Arod ein Lied vorzusingen. Er hatte wahrgenommen, wie sich ihm jemand genähert hatte und als die Person schon beinahe hinter ihm gestanden war, hatte er auch intuitiv gewusst, dass es Aragorn war. Dennoch drehte sich Legolas nicht sofort zu ihm um, sondern wartete damit, bis der letzte Ton des Liedes verklungen war. Als er seinen Freund dann anblickte, wurde er von den Zweifeln und der Angst, die aus dessen Blick sprachen, beinahe überwältigt. Manchmal vergaß er beinahe, dass Aragorn kein Elb war, kannte er doch die elbische Lebensweise und beherrschte er doch mühelos die elbische Sprache. Und doch machten ihn vor allem seine Gefühle so menschlich; diese Verletzbarkeit, die die Elben unter einer Maske aus Kühlheit verbargen, war es, das Legolas so sehr bewunderte. Auch er selbst war einst ein scheinbar „kaltes, gefühlsloses“ Geschöpf gewesen, hatte aber dank der Freundschaft zu Aragorn gelernt, wie erlösend dieses offene Zur-Schau-Tragen von Gefühlen sein konnte. Er hatte gelernt, die Maske abzulegen und mehr auf sein Herz zu hören; wenn auch nur in der Gesellschaft seiner engsten Freunde. Außerdem verstand Legolas dadurch auch das menschliche Verhalten viel besser und wusste einfühlsamer darauf zu reagieren. Daher trat er ohne zu zögern auf Aragorn zu und umarmte ihn. Dieser versteifte sich im ersten Moment, erwiderte die Umarmung dann aber dankbar. „Die Schatten werden länger, mein Freund“, sagte Legolas, „und auf unser aller Schultern liegen Pflichten und Verantwortung. Alle Blicke sind heute auf dich gerichtet und Vieles mag von dir erwartet werden. Doch sollst du wissen, dass du nicht alleine in diese Schlacht ziehst, denn deine Freunde werden mit dir sein und dir helfen, diese Bürde zu tragen.“ Er wartete einen Augenblick, um dann fortzufahren: „Was auch immer zwischen uns geschehen ist, Aragorn, ist geschehen. Doch jetzt ist die Gegenwart, mein Freund, und hier und jetzt entscheidet sich unser aller Schicksal. Doch wie das Licht Earendils die Dunkelheit durchdringt, wirst du Saurons Macht brechen.Und ich werde mit dir gehen, in den Sieg oder in den Tod. Du hast meinen Bogen.“ Aragorn standen nach dieser Ansprache beinahe die Tränen in den Augen. Er fühlte, wie sein Mut und seine Entschlossenheit zurückkehrten. Legolas überraschte ihn immer wieder aufs Neue. Es gab so vieles, das er seinem Freund noch sagen wollte.... Doch der Elb hatte Recht; das Hier und Jetzt war entscheidend. Und auch Gandalf wurde nicht umsonst „Der Weis(s)e“ genannt. „Hannon le, mein Freund“, meinte Aragorn. „Danke!“ Hosted by Animexx e.V. 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