Last Desire 9.5 Teil 1 von Sky- (Concealed Desire) ================================================================================ Prolog: Leben oder sterben? --------------------------- Es war so kalt… und er konnte nicht atmen. Er wollte atmen und die Augen öffnen, doch ihm fehlte die Kraft dazu. Und ihm tat alles weh. Alles um ihn herum war so dunkel und kalt. Womöglich war er ja tot. Ja… das war wahrscheinlich besser so. Er würde einfach vollständig in diese tiefe und grausame Dunkelheit versinken und nie wieder aus dieser herauskommen. Kein Schmerz und kein Leid mehr. Aber auch keine Freude und kein Glück. Nun, er verdiente dies sowieso nicht. Nicht nach alledem, was er getan hatte. Ein Monster wie er verdiente es nicht zu leben. „Hey… stirb mir jetzt bloß nicht weg, Mann… Wehe du wagst es, einfach so zu verrecken!“ Irgendwo rief ihn eine Stimme aus der Ferne. Und er glaubte so etwas wie Hundegebell zu hören. Merkwürdig, wer sprach da zu ihm? Nur sehr schwach spürte er, wie ihm das Wasser aus den Lungen gepresst wurde und wie diese Stimme ihn rief. Doch sogleich schien sie wieder in eine weite Ferne zu rücken, sodass er sie nicht mehr hören konnte. „Tja Elion, was willst du nun tun? Leben oder sterben?“ Da war noch eine Stimme, aber viel deutlicher und sie schien aus seinem Kopf zu kommen. Ach herrje, dachte als er dies realisiert hatte. Im Augenblick meines Todes beginne ich mir schon Stimmen einzubilden. Aber wer war diese Stimme? „Nun, du müsstest mich eigentlich kennen, Elion. Immerhin kennen wir beide uns schon eine ganze Weile. Aber es ist nicht schlimm, wenn du dich nicht erinnern kannst. In dem Fall fangen wir einfach von vorne an: ich bin Frederica.“ Frederica? Der Name kam ihm irgendwie bekannt vor, aber er schaffte es nicht, sich zu erinnern. „Wie schon gesagt: es ist nicht schlimm, wenn du dich nicht an mich erinnerst. Viel eher solltest du dich jetzt mehr mit der Frage beschäftigen, was du jetzt tun willst. Denn nun hast du die Wahl: entweder leben oder sterben. Da versucht dich nämlich gerade jemand zu retten und dir zu helfen. Aber solange du es nicht selbst willst, wirst du es nicht schaffen und du stirbst. Und ich dann auch mit dir. Du musst jetzt eine Entscheidung treffen, Elion.“ Eine Entscheidung? Ja aber wie sollte er sich denn entscheiden? Sollte er sterben und damit endlich aus diesem Elend erlöst werden, was er all die Jahre durchlebt hatte? Er wäre frei von jeglichen Schmerzen und hätte dieses ganze Martyrium endlich hinter sich. Aber wieso wurde er überhaupt vor die Wahl gestellt und warum drohte er überhaupt zu sterben? „Na weil du in den Fluss gestürzt bist, wenn du dich richtig erinnerst. Und nun hat dich jemand rausgezogen und versucht dich zu retten.“ „Hey, wehe du wagst es zu sterben. Jetzt atme endlich, verdammt!“ Diese Stimme in der Ferne rückte wieder näher und Elion verstand sie dieses Mal besser. Irgendjemand wollte nicht, dass er starb, sondern versuchte um sein Leben zu kämpfen. Ja, da gab es jemanden, der wollte, dass er lebte. „Nun, es liegt immer noch ganz bei dir, was du willst, Elion. Niemand kann dir diese Entscheidung abnehmen. Du hast die Wahl: den einfachen Weg zu nehmen und hier zu sterben, oder zu kämpfen und zu leben.“ Diese Stimme in der Ferne und auch das Hundegebell wurden lauter. Er spürte jetzt, wie jemand ihn in rhythmischen Intervallen auf den Brustkorb drückte und versuchte, ihn zu reanimieren. Wieso nur? Wieso wollte dieser Jemand ihn unbedingt retten, obwohl er doch wissen müsste, dass er es mit einem Monster zu tun hatte? Und als solches sollte er es besser nicht tun. Ich bin ein Monster. Ich darf nicht leben, weil ich sonst noch jemandem wehtun könnte. Warum rettet er mich denn? „Na weil du in seinen Augen kein Monster bist, sondern jemand, der dringend Hilfe braucht. Menschen mit einem guten Charakter helfen sich in der Not, selbst wenn sie sich nicht kennen.“ Und was denkst du? Bin… bin ich ein Monster? „Nun, es kommt darauf an, was für ein Monster man ist. Wenn ich ehrlich bin, denke ich, dass du ein Monster bist. Denn ich… ich bin auch eines. Doch es ist nicht schlimm, ein Monster zu sein. Solange du ein Monster zum Zweck bist.“ Ein Monster zum Zweck? Was bedeutete das? Und warum sollte das besser sein als ein Monster zu sein, das andere nur verletzte und sogar Menschen tötete? Wo lag darin denn bitte der Unterschied? „Du hast die Wahl, Elion. Du kannst ein Monster sein, das Menschen tötet. Oder du kannst ein Monster sein, das andere beschützt. Es kommt allein darauf an was du willst.“ Ich will niemandem wehtun. Nie… aber sie haben mich immer dafür gehasst, weil ich keine Menschen töten will. „Glaub mir, Elion. Es gibt Menschen, die dich verstehen und die dieselben Gedanken teilen. Du bist vielleicht von deinen Fähigkeiten her ein Monster, aber in deinem Herzen sieht es anders aus. Und das werden auch andere erkennen. Aber dazu musst du ihnen auch die Chance geben, das zu erkennen. Also was willst du jetzt tun? Wirst du aufgeben und sterben, ohne es zumindest versucht zu haben? Oder willst du kämpfen und den Leuten beweisen, dass du nicht das Monster bist, wovor sie sich fürchten sollten? Zumindest hält dieser Mensch, der dich mit aller Macht wiederzubeleben versucht, nicht für ein bösartiges Monster. Und das ist doch schon mal ein Anfang, dass wenigstens einer an dich glaubt und der Meinung ist, dass du es verdienst zu leben. Du musst jetzt so langsam deine Entscheidung treffen, Elion. Denn viel Zeit wird dir nicht mehr bleiben.“ Entscheiden? Elion wusste doch gar nicht, wofür er sich denn jetzt entscheiden sollte. Auf der einen Seite wollte er dieses Elend nicht mehr ertragen, das er Tag für Tag erleiden musste. Aber er wollte auch nicht sterben, zumindest ein Teil von ihm nicht. Leben oder sterben? Was sollte er tun? Schließlich, als er glaubte seine Entscheidung getroffen zu haben, da sammelte Elion ein letztes Mal seine Kraftreserven und riss die Augen auf. Er schaffte es, Luft zu holen und sah sehr verschwommen eine Gestalt neben ihm knien. Doch er konnte kaum etwas sehen. Alles wirkte so verschleiert und verschwommen und er glaubte in dieser schemenhaften Gestalt, die ihn wiederbelebt hatte, ein Mädchen mit langen brünetten Haaren zu erkennen. Er ergriff den Pullover seines Retters und schaffte es noch, zwei Worte hervorzubringen, bevor er endgültig das Bewusstsein verlor: „Hilf… mir…“ Kapitel 1: Eine neue Bleibe --------------------------- Das erste, was Elion wahrnehmen konnte war, dass er auf irgendetwas Weichem lag. Es fühlte sich vollkommen seltsam an, weil er es sonst immer gewohnt war auf dem harten Boden zu liegen und dort auch zu schlafen. So war das schon immer gewesen, seit er geboren worden war. Nun gut, es fühlte sich zwar nicht unangenehm an, war aber dennoch ziemlich ungewohnt für ihn. Des Weiteren war er in eine Decke gehüllt und ihm war auch nicht mehr so kalt wie zuvor, als er zuletzt bei Bewusstsein war. Als er die Augen öffnete, brauchte er erst eine Weile, um wieder einigermaßen sehen zu können. Er schaffte es, sich ein wenig aufzurichten und erkannte, dass er auf einer Couch lag. Auf der Lehne saß ein Mädchen mit langen weißen Haaren und sie hatte rote Augen. In der Iris ihres linken Auges leuchtete ein goldener Ring und sie wirkte ein klein wenig dünn und ihre Haut war schon fast ungesund blass. Irgendwie kam sie ihm bekannt vor, aber er konnte erst nicht mit dem Finger darauf deuten, wer sie sein könnte. Dann aber fragte er „Frederica?“ Sie wandte sich zu ihm um und wirkte überrascht. „Hey, du wachst auch schon auf? Ich hatte schon fast befürchtet, du würdest ins Koma fallen.“ „Wieso bist du hier und wo… wo bin ich?“ „Naja, im Grunde genommen bin ich eigentlich gar nicht hier. Was du hier siehst, ist eine Art Projektion von mir, da ich mir momentan mit dir diesen Körper noch teile. Da es aber dein Körper ist, bin ich lediglich ein sekundäres Bewusstsein und somit habe ich eine Art „Halluzination“ erschaffen, über die ich mit dir über Umwege kommunizieren kann. Ich dachte mir, dass du vielleicht Rat oder Hilfe brauchst. Allerdings ist das natürlich mit Einschränkungen verbunden. Was du nicht siehst oder wahrnimmst, kann ich ebenfalls nicht wahrnehmen, da wir ja im gleichen Körper leben und ich kann auch keine Kontrolle über deinen Körper ausüben. Deshalb kann ich auch nicht sagen, wo genau du jetzt bist. Ich gehe einfach mal stark davon aus, dass es sich um den Wohnort deines Retters handelt, der dich aus dem Fluss gezogen hat. Aber das kann ich nur vermuten.“ Elion setzte sich auf und spürte sogleich einen stechenden Kopfschmerz. So langsam begann sein Sichtfeld wieder klarer zu werden und er konnte einen ziemlich kärglich eingerichteten Raum mit einem Röhrenfernseher, einem DVD-Player und alte Möbel erkennen. Der Teppich auf dem Boden hatte schon bessere Tage gesehen und die Tapete an den Wänden war auch ziemlich alt. Der ganze Raum ließ auf eine recht kleine und ärmliche Wohnung schließen. Nachdem er wieder einigermaßen auf die Beine kam, sah er sich ein bisschen um und fand eine winzige Küche, die auch schon überall kaputt war. Es roch ein wenig muffig in der Wohnung, aber hier herrschte dennoch Ordnung und Sauberkeit. Auf dem kleinen Tisch stand ein Aschenbecher, wo auch schon mehrere Zigarettenstummel ausgedrückt worden waren. Das erklärte zumindest diesen leichten Nikotingeruch. Elion öffnete das Fenster, um wenigstens etwas frische Luft hereinzulassen. Draußen regnete es und es donnerte auch ein wenig in der Ferne. „Es scheint niemand hier zu sein“, bemerkte Elion und sah sich weiter um. Aber in dem Bad war auch niemand. Dafür hörte er aber jemanden ganz plötzlich „Archi! Archi!“ rufen. Archi? War das ein Name? Nun, die Stimme klang eindeutig danach, als wäre jemand in der Wohnung. Elion folgte dem Geräusch und betrat ein kleines und spärlich möbliertes Zimmer, wo es ein Bett und einen Schreibtisch als auch eine Kommode und einen Kleiderschrank gab. Auf einer Stange hockte ein schwarzer Vogel und davor saß ein ausgewachsener Rottweiler mit einem Nietenhalsband. Komisch, dachte Elion und sah sich um. Und ich dachte, ich hätte da jemanden gehört. „Archi! Mach Platz. Komm Archi, mach Platz!“ Er musste genauer hinsehen um zu erkennen, dass das der Vogel war, der da sprach wie ein Mensch. Und der Hund hörte sogar auf die Kommandos. Dann war Archi also der Name des Hundes. Elion ging näher hin, da sprang auch schon der Rottweiler auf und kam schwanzwedelnd auf ihn zugetrottet und ließ sich sogar streicheln. Also bösartig war der Hund auf jeden Fall nicht, der schien sogar jemand von der ganz zutraulichen Sorte zu sein. Der Vogel starrte Elion mit seinen pechschwarzen Äuglein an und rief wieder „Archi! Archi!“ woraufhin der Hund wieder zu ihm rüberlief, sodass man wirklich glauben konnte, der Vogel wäre das Herrchen. Aber es war auch erstaunlich, dass der Vogel genau wie ein Mensch sprach. „Das ist ein Beo“, erklärte Frederica, die Elion ins Zimmer gefolgt war. „Diese Vögel besitzen die große Begabung, Geräusche zu imitieren und auch zu sprechen wie Menschen.“ Soso, ein Beo. Das war sicher ein exotischer Vogel, fragte sich nur, wer sein Besitzer war. Elion ging näher zu dem Vogel hin, dann strich er vorsichtig über das schwarze Gefieder des Beos. „Na, wie heißt du denn mein Kleiner?“ „Aua, tust mir weh. Hör auf.“ Elion nahm seine Hand weg und war irritiert. Hatte der Vogel etwa gerade gesagt, dass es ihm wehtat? „Entschuldige…“ Frederica konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und erklärte „Vögel, die sprechen können, imitieren nur das, was sie gehört haben. Der Beo weiß gar nicht, was er genau von sich gibt. Er ahmt nur das nach, was man ihm vorgibt oder was er hört.“ „Dann heißt das, es tut ihm gar nicht weh?“ „Genau.“ „Du kennst dich ja gut aus.“ „Ich liebe Vögel. Sie vermitteln immer so ein wunderbares Gefühl der Freiheit… und es sind so schöne Tiere.“ „Hör auf, bitte. Tust mir weh. Hör auf. Hör auf. Aua.“ Schon ein wenig makaber, dass ein Vogel so etwas von sich gab. Aber diese Stimme… Irgendwie kam sie ihm bekannt vor. War das nicht die Stimme der Person gewesen, die ihn gerettet hatte? Warum brachte sie dann dem Beo so etwas bei? Vielleicht eine Form von schwarzem Humor oder so? Oder der Beo hatte es aufgeschnappt. „Würde mich ja mal interessieren, wie der Beo heißt. Archi ist ja schon ein sehr seltsamer Name für einen Rottweiler. Archi ist doch die Kurzform von Archibald, oder?“ „Ja. Und du hast schon Recht. Die meisten nennen ihre Kampfhunde eher Terminator, Spike, Killer oder so ähnlich. Aber der scheint ja ein ganz Lieber zu sein.“ Tatsächlich war der Hund sehr zahm, allerdings konnte Elion deutlich spüren, dass auch der Hund so seine Vergangenheit hatte. Als er ihn nämlich streichelte, da spürte er, dass die Welt der Hundekämpfe das Leben dieses Tieres ausgemacht hatte. Und auch alte Schmerzen waren dem Rottweiler in Erinnerung geblieben. Womöglich war der Hund aus einem Tierheim oder aus der Gosse gerettet worden. Nun begann sich Elion ein wenig mehr im Zimmer umzusehen. Dabei fand er mehrere Poster von Bands, die ihm aber überhaupt nichts sagten. „Linkin Park“, „Get Scared“ und noch andere. Ein besonders großes Poster war sogar eingerahmt worden und hatte auch einen Ehrenplatz. Es war eine Band, die sich „Scorpions“ nannte. „Hm, die Namen sagen mir alle nichts.“ „Das kommt auch daher, weil du von der Welt auch nichts gesehen hast. Offenbar ist dein Lebensretter ein Musikliebhaber. Ach Gottchen, da hinten sind auch Pink Floyd und Metallica versehen.“ „Du kennst dich mit Musik aus?“ „Ein bisschen. Henry hat gerne bei seiner Arbeit Musik gehört und Nastasja war sowieso immer eine, die auch gerne solch eine musikalische Unterhaltung gebrauchen konnte. Da wundert es mich ehrlich gesagt, dass L kein Rocker geworden ist.“ Nastasja… er konnte sich nur sehr verschwommen erinnern, dass er sie angegriffen und sie schwer verletzt hatte. Danach war er ins Wasser gestürzt und ohnmächtig geworden. Aber wieso hatte er sie angegriffen? Er konnte sich das nicht erklären. Vor allem weil sie für ihn doch immer wie eine Mutter war. Blut… da war so viel Blut gewesen… Elion versuchte sich zu erinnern, was genau passiert war, aber er schaffte es einfach nicht. „Irgendwie kann ich mich kaum erinnern was alles geschehen ist. Insbesondere was nach Mums letztem Besuch passiert ist. Ich weiß nur, dass ich oft ziemlich am Ende war und dass ich ab und zu bei Andrew gewesen bin und mit ihm viel geredet habe. Wir beide hatten uns gut verstanden, zumindest glaube ich das. Aber… Mum ist doch vor zwanzig Jahren gestorben. Wieso erinnere ich mich plötzlich, dass ich sie angegriffen habe?“ „Da fragst du leider die Falsche. Nastasja hat nicht mal mit mir über ihre Pläne gesprochen, weil sie niemandem vertraut hat. Ich gehe einfach mal von der ganz verrückten Theorie aus, dass sie wieder zum Leben erwacht und zu einer Unvergänglichen geworden ist, oder aber sie ist eine Zeitreisende. Etwas anderes wäre kaum möglich.“ „Und was ist jetzt mit ihr? Ich meine, ich habe sie angegriffen. Sie hat so schlimm geblutet… was ist, wenn ich sie getötet habe?“ Elion packte die große Angst, dass er endgültig die Kontrolle verloren und Nastasja tatsächlich getötet haben könnte. Das würde er sich niemals verzeihen wenn er ihr oder irgendjemand anderem etwas Schlimmes angetan hatte. „Und Andrew habe ich auch noch infiziert. Was, wenn er inzwischen auch schon tot ist?“ „Jetzt beruhige dich doch, Elion. Keine Angst, es geht ihnen gut. Nastasja hat überlebt und sie hat Andrew heilen können, genauso wie Sheol. Auch dich hat sie noch retten können, bevor der letzte Rest deiner Persönlichkeit zerstört worden wäre. Mein Vorteil ist, dass ich ja immer noch mit allen Lebewesen verbunden bin und deshalb kann ich das auch mit Gewissheit sagen. Du brauchst dir also auch keine Sorgen zu machen. Du hast niemanden getötet.“ Gott sei Dank. Etwas anderes hätte er sich auch nie im Leben verzeihen können. „Aber wieso kann ich mich nur so lückenhaft erinnern?“ „Das kommt daher, weil du durch den Unborn beeinflusst worden bist. Dadurch haben auch deine Erinnerungen Schaden genommen. Aber glaub mir, es ist mit Sicherheit sowieso besser, wenn du dich nicht erinnern kannst. Ich weiß selber aus Erfahrung, wie brutal und sadistisch James ist. Er hat mir bei Bewusstsein die Gebärmutter und die Eierstöcke entfernt, um einen Proxy für seine kranken Experimente heranzuzüchten. Nun, streng genommen war Sariel meine Tochter, wenn man es so betrachtet.“ „Sariel?“ „Ja, die siebte Proxy. Erinnerst du dich nicht an sie?“ Sariel… irgendwie kam dieser Name ihm bekannt vor, aber er konnte ihm einfach kein Gesicht zuordnen. „Nein“, sagte er schließlich und schüttelte den Kopf. „Es ist, als ob da irgendetwas komplett fehlen würde. Der Name Sariel kommt mir bekannt vor, aber da sind einfach keine Erinnerungen. Als wäre sie eine völlig Fremde gewesen. Aber komischerweise fühle ich mich irgendwie traurig, wenn ich diesen Namen höre. Und am liebsten würde ich weinen.“ „Verstehe“, murmelte Frederica und setzte sich auf das Bett. „Dann hat sie es also tatsächlich getan und deine Erinnerungen an sie gelöscht.“ „Wieso sollte sie das getan haben?“ „Weil sie nicht wollte, dass du traurig bist. Sie ist gestorben und sie hat ihre Seele zerstört.“ Frederica wandte den Blick ab und wenn sie wirklich da gewesen wäre, dann hätte man sehen können, dass sie das schlechte Gewissen plagte. Sie hatte Sariel versprechen müssen, Elion nicht zu sagen, dass sie ihn geliebt hat. Und Frederica selbst wusste, dass Elion seinerseits für Sariel Gefühle hatte, aber all das Unglück, das ihnen widerfahren war, hatte ihnen die Möglichkeit auf ein gemeinsames Glück genommen. Sariel hatte beschlossen, sich zu opfern, um ihre biologische Mutter zu retten und auch einen Weg zu finden, um das Projekt zu stoppen. Sie wollte, dass Elion, Sheol und Frederica gerettet wurden und sie wollte für sich selbst nur noch den Tod, weil sie das Leben einfach nicht mehr ertragen konnte. Auch wenn sie die ganze Zeit für Elion stark geblieben war, ihr Herz war bereits gebrochen und es hatte sie nur noch der Wunsch durchhalten lassen, den Plan zu Ende zu führen und ihre Seele zu zerstören, um ihrem Dasein ein Ende zu bereiten. Frederica selbst hatte es das Herz gebrochen, aber es war zumindest ein tröstlicher Gedanke, dass Sariel glücklich mit dieser Entscheidung war und dass sie vielleicht in einem anderen Leben das Glück fand, was sie vorher nie hatte. Zumindest glaubte Nastasja fest daran, vielleicht hatte sie auch Recht. Elion sah sich den Schreibtisch an und fand dort eine Liste. Es handelte sich offenbar um eine Art Ausgabenliste. Offenbar war sein Retter jemand, der sehr auf die Finanzen achtete. Unter anderem fand er Tierfutter auf der Liste, Eisenpräparate und Verbandszeug. Ach ja Verbandszeug! Was war denn mit seinen Wunden? Wo ihm doch das Serum gespritzt worden war, war ja fraglich, ob er überhaupt noch über seine Fähigkeiten verfügte. Elion krempelte seinen Pullover hoch und sah, dass seine Wunden sich tatsächlich zurückgesetzt hatten. Dann verfügte er also immer noch über die Kräfte eines Proxy. Nun, dann war seine Körperzeitschleife also noch aktiv und setzte sich um Punkt 0 Uhr wieder zurück. Fragte sich nur, wie lange er eigentlich ohne Bewusstsein gewesen war. Elion ging schließlich zum Kleiderschrank hin und machte an der Tür eine Entdeckung, die ihn nun gänzlich irritierte und aus dem Konzept brachte. Er sah da einen grauhaarigen jungen Mann mit einem gelben und einem blauen Auge, der sich genau synchron zu ihm bewegte. Wenn er einen Arm hob, tat es der Grauhaarige ihm gleich. Und als er näher kam, da kam sein Gegenüber auch näher. Schließlich legte er eine Hand auf die Glasfläche und der andere tat es auch. „Wer bist du?“ fragte er den jungen Mann auf der anderen Seite und auch dieser bewegte die Lippen. Frederica schüttelte den Kopf und klopfte ihm auf die Schulter. „Elion, das ist kein anderer. Das ist dein Spiegelbild. Es ist eine Spiegelung, damit du dich selbst sehen kannst, wie du aussiehst.“ Doch so wirklich konnte er es nicht glauben. Das war wirklich er? Aber das konnte doch gar nicht sein. Er war ein Monster, das hatten ihm alle immer gesagt. Eine Killermaschine, die vollkommen unmenschlich war. Und deshalb war er auch immer davon ausgegangen, dass er auch äußerlich auf andere wie ein Monster gewirkt haben musste. Aber seltsamerweise sah er wie ein normaler Mensch aus und das verwirrte ihn am allermeisten. „Du hast noch nie dein eigenes Spiegelbild gesehen, oder?“ „Nein, ich hatte auch Angst davor. Ich wollte nicht sehen, wie monströs ich vielleicht aussehen könnte. Aber jetzt… ich verstehe das nicht. Wieso sehe ich wie ein Mensch aus?“ „Weil du einer bist, zumindest größtenteils“, erklärte Frederica und gesellte sich neben ihn und auch sie war im Spiegel zu sehen. Zumindest für ihn. „Ich hingegen bin überhaupt nicht menschlich. Streng genommen bin ich nur aus dem Wunsch einer Unvergänglichen erschaffen worden, die wiederum von Eva erschaffen wurde. Ich bin nur ein winziges Fragment, aber dennoch gibt es genug Leute die sagen, dass ihnen das egal ist und sie mich als eine der ihren ansehen. Und das Gleiche gilt auch für dich, Elion.“ Aber er konnte es immer noch nicht fassen und war so durcheinander, dass mit ihm die Gefühle durchgingen. Immerzu hatte er sich vorgestellt, wie unheimlich und monströs er wohl aussehen musste, wenn die Menschen immer sofort erkannten, dass er ein Monster war. James hatte ihm immer wieder gesagt, er sei ein Monster und wäre nicht menschlich. Also warum hätte er da annehmen sollen, dass er menschlich aussah? Sie hatten ihn auch wie ein Tier und wie ein Monster behandelt und nun erkannte er zum allerersten Mal in seinem Leben, dass er wie ein ganz normaler Mensch aussah. Und noch nie war er so glücklich, sein eigenes Spiegelbild zu sehen. „Kopf hoch, Elion. Es hat doch nie jemand gesagt, dass du hässlich bist oder wie ein Monster aussiehst.“ Schließlich kehrten sie ins Wohnzimmer zurück, wo Elion aufgewacht war und er blieb ein wenig unsicher stehen. Denn er hatte nicht die geringste Ahnung, was er jetzt tun sollte. Als er das Fenster öffnete und hinausschaute, bemerkte er, dass es langsam dunkel wurde. Draußen waren schmutzige und heruntergekommene Straßen und Gassen zu sehen und es wirkte nicht sonderlich einladend. „Die Gegend sieht nicht sehr sicher aus.“ „Wir scheinen wohl im Ghetto zu sein. Diese Orte sind für gewöhnlich ziemlich heruntergekommen und ärmlich, weshalb hier auch Kriminalität an der Tagesordnung ist. Die meisten leben hier, weil sie sich keine bessere Wohnung leisten können.“ Während Elion so aus dem Fenster schaute, begann der Hund aufgeregt zu bellen und man konnte hören, wie ein Schlüssel im Schloss umgedreht wurde. Sofort ging der Grauhaarige vom Fenster weg und hörte sogleich auch Schritte und wie die Tür zugeknallt wurde. Zögernd folgte er dem Geräusch in die Küche und sah dort eine etwas klein geratene Person stehen. Sie war allerhöchstens 1,55m groß, hatte sehr langes brünettes Haar, welches zu einem Zopf zusammengebunden war und durch den sehr zierlichen Körperbau ließ sich sehr schlecht sagen, ob es sich um ein Mädchen oder einen Jungen handelte. Er oder sie trug einen blaugrauen Kapuzenpullover und darunter noch einen dunkelroten Rollkragenpullover, eine etwas zerschlissene Jeans mit einem Gürtel und Sneakers, die auch schon ihre besten Tage hinter sich hatten. „Entschuldigung?“ Sofort wandte sich die Person zu Elion um und sah ihn mit Augen an, die sehr kühl und abweisend wirkten und auch der Gesichtsausdruck ließ vermuten, dass es sich um einen Zeitgenossen handelte, der wohl nie lachte. „Ach, du bist auch endlich mal wach“, kam der Kommentar und auch der Ton klang etwas ruppig, aber vermutlich war das nicht so böse gemeint. „Du hast fast drei Tage durchgeschlafen und ich hatte zuerst befürchtet, du wärst ins Koma gefallen. Du bist bei mir zuhause. Kannst meinetwegen auch gerne erst mal hier bleiben, wenn du keine Bleibe hast. Wie heißt du?“ „Elion. Und… bei wem darf ich mich für die Rettung bedanken?“ „Bei mir. Ich bin Ezra Parker.“ Ezra? Dann war das also ein Junge? Nun, man konnte ihn aufgrund der langen Haare, dem zierlichen Körper und der geringen Größe auch locker für ein Mädchen halten. „Hast mir echt einen verdammten Schrecken eingejagt, als du da durchs Wasser getrieben bist. Ich hab fast zwei Minuten damit verbracht, dich zu reanimieren und ehrlich gesagt hätte ich dich gar nicht erst bemerkt, wenn Archi nicht so gebellt hätte. Hast echt verdammtes Glück gehabt.“ „Danke für die Rettung.“ „Lass stecken.“ „Ähm… sind deine… Eltern gar nicht da?“ Hierbei blickte Ezra ihn mit einem so dermaßen düsteren und tödlichen Blick an, als hätte Elion ihn aufs Übelste beleidigt. Und er wirkte auch ziemlich stinksauer. Mit einem etwas abweisenden und gereizten Tonfall erklärte er „Ich wohne allein hier. Und damit das klar ist: ich bin 18!“ „Oh entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“ „Ja, ja ich weiß. Wegen meiner Größe und meinem Aussehen wirke ich eher wie ein kleines Mädchen. Du glaubst nicht, wie oft ich mir das schon anhören musste. Also spar dir den Rest einfach, okay? Leg dich besser wieder hin. Nachdem du beinahe abgekratzt wärst, brauchst du verdammt noch mal Ruhe.“ Damit ging Elion wieder zurück ins Wohnzimmer, nahm sich Decke und Kissen und machte es sich nach alter Gewohnheit auf dem Fußboden bequem. Nun gut, es war weniger komfortabel als die Couch, aber es war eben Gewohnheitssache. Frederica ihrerseits setzte sich neben ihn. „Irgendwie hab ich das Gefühl, er ist sauer auf mich.“ „Ach was, das bildest du dir ein“, erklärte das Albinomädchen und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Couch. „Er wirkt eher ziemlich verschlossen und außerdem kennt er dich nicht. Nimm das erst mal nicht so persönlich, immerhin scheint er sich doch um dich zu sorgen.“ „Meinst du wirklich?“ „Klar. Ich denke, man muss bei ihm einfach ein bisschen zwischen den Zeilen lesen.“ Vielleicht hatte sie ja Recht… Womöglich hatte er Ezra gerade nur auf dem falschen Fuß erwischt. Gerade wollte er sich eine etwas bequeme Liegeposition aussuchen, da kam auch schon Ezra herein und sah ihn entgeistert an. „Was soll das werden, wenn’s fertig ist? Wieso liegst du auf dem Boden?“ Elion, seinerseits verwirrt über Ezras Verhalten, setzte sich auf und erklärte „Ich habe schon seit meiner Geburt auf dem Fußboden geschlafen. Das ist bei mir Gewohnheit.“ „Nichts da, du schläfst gefälligst auf der Couch!“ Nun, da Elion sich im Haus eines anderen befand, musste er sich wohl an die Regeln halten und so nahm er wieder auf der Couch Platz. „Ich komm gleich mit dem Essen. Und wehe du liegst schon wieder auf dem Fußboden!“ Damit verschwand Ezra wieder in die Küche. So langsam hatte Elion das Gefühl, als wäre Ezra allgemein ein sehr übellauniger und reizbarer Mensch. Oder er hatte einfach nur einen schlechten Tag. Kapitel 2: Ungewohnte Freiheit ------------------------------ Ezra kam schließlich mit dem Essen ins Wohnzimmer. Es gab einen vegetarischen Eintopf und der etwas kurz geratene 18-jährige erklärte „Ich esse grundsätzlich kein Fleisch. Wenn du ein Problem damit hast, musst du es nur sagen.“ Aber Elion kam das auch ganz gelegen und erklärte „Ich esse auch nichts, wofür irgendjemand oder irgendetwas sterben musste. Sag mal, der Vogel und der Hund da in dem Zimmer… sind das deine Haustiere?“ Ezra nickte und öffnete sich eine Dose Bier, Elion selbst begnügte sich da lieber mit einem Glas Wasser. „Archi habe ich von einem meiner Kunden, der hier in der Gegend Hundekämpfe veranstaltet. Er hat ihn fast totgetreten, also habe ich ihn gekauft und mitgenommen. Und Sammy lag in einer Gasse mit einem gebrochenen Flügel. Seitdem verlässt er die Wohnung nicht und ich kümmere mich um ihn.“ Offenbar schien Ezra sehr tierlieb und einer von der hilfsbereiten Sorte zu sein. Nun, seine große Tierliebe sprach doch eigentlich für einen guten Charakter, zumindest war Elion dieser Ansicht. Er selbst liebte ja auch Tiere. Nach einer Weile sagte der 18-jährige „Ich will dich nicht großartig ausquetschen oder so. Aber als du mich um Hilfe angefleht hast, da hab ich natürlich erst mal wissen wollen, wen ich da eigentlich zu mir hole. Aber ich hab keine Papiere bei dir gefunden und da hatte auch noch jemand mit einem Messer auf dich eingestochen. Bist du vielleicht überfallen worden?“ „Ehrlich gesagt habe ich nur sehr vage Erinnerungen. Und…“ Elion zögerte, denn er war sich nicht sicher, was er sagen sollte. Die Wahrheit? Nein, die wäre sowieso alles andere als glaubhaft. Aber sollte er dem Menschen eine Lüge auftischen, der ihn gerettet und bei sich aufgenommen hatte? Frederica räusperte sich und meldete sich zu Wort. „Du solltest ihm vielleicht doch besser die Wahrheit sagen. Mein Gefühl sagt mir, dass er schon irgendetwas ahnt.“ Da Elion aber kein Wort hervorbrachte, brach Ezra schließlich das Schweigen. Er aß den letzten Bissen von seinem Eintopf und holte im Anschluss ein Medikamentendöschen aus der Tasche seines Kapuzenpullovers hervor, nahm eine Kapsel heraus und schluckte sie. Elion erhaschte einen Blick auf das Etikett und sah, dass es Eisenpräparate waren. Das würde zumindest erklären, wieso der Junge so blass im Gesicht war und auch ein wenig müde wirkte. So etwas waren deutliche Symptome. Das hatte er mal aufgeschnappt, weil Sariel eine Zeit lang anämisch war. „Als ich dich hergebracht habe, da habe ich auch deine Wunden versorgt. Du hattest ziemlich schlimme Verletzungen, aber mir ist da etwas Merkwürdiges aufgefallen. Als ich nämlich gerade dabei war, mir das Blut von den Händen zu waschen und wieder zurückkam, da waren deine Wunden plötzlich weg. Es sind nicht mal Narben zurückgeblieben. Und noch etwas ist mir aufgefallen: auf deinem Hinterkopf war ein merkwürdiges Tattoo zu sehen. Es sah wie ein Strichcode aus. Kann es sein, dass du in irgendwelche dubiosen Sachen verwickelt bist?“ Elion erkannte wohl, dass es keinen Sinn machen würde, Ezra zu belügen und entschloss sich deshalb, gleich die ganze Wahrheit zu sagen. Auch auf das Risiko hin, dass der Junge ihn hochkant vor die Tür setzen würde (was er ihm auch nicht sonderlich verübeln konnte). Er atmete tief durch und murmelte „Das Ganze ist etwas schwierig zu erklären. Die Wahrheit ist, dass ich kein normaler Mensch bin. Genauer genommen bin ich ein Monster. Meine Gene wurden während der Zeugung von etwas infiziert, das man als Unborn bezeichnet. Und dabei entwickelte ich gewisse Fähigkeiten. Mein Körper setzt sich um Punkt 0:00 Uhr zurück und deshalb sind auch meine Verletzungen verschwunden. Man könnte mich sogar töten oder zerstückeln, um Mitternacht bin ich vollständig wiederhergestellt. Auch meine Sinne funktionieren anders, da durch meine Haare Nervenstränge verlaufen, die meine Wahrnehmung verstärken können. Allerdings kann ich das inzwischen unterdrücken, sonst würden mich die einfachsten Dinge völlig überfordern. Problematisch ist aber, dass mein Haar dadurch äußerst schmerzempfindlich ist. Fakt ist also, ich bin kein richtiger Mensch, sondern ein Hybrid und ich bin in einem Institut aufgewachsen.“ Ezra starrte ihn mit einem Blick an, der nur schwer erkennen ließ, was er gerade dachte oder fühlte. Er sagte nichts und hatte immer noch diesen mürrischen und finsteren Blick. Dann aber fragte er „Bist du geflohen?“ „Nein, ich wurde zu einem Einsatz rausgeschickt. Du musst wissen, es gab noch mehr als mich. Wir wurden gedrillt, jeden Auftrag auszuführen und auf Ungehorsam folgten Folterungen, Experimente und andere Methoden, um uns zu brechen. Wir waren insgesamt sieben gewesen, aber vier von uns wurden entsorgt. Das heißt, sie wurden bei lebendigem Leib auseinandergenommen und verwertbare Organe wurden für andere Forschungen weiterverwendet und man stirbt endgültig. Der Unborn, mit dem ich infiziert worden bin, hätte mich wahrscheinlich getötet, aber mir konnte noch rechtzeitig ein Serum gespritzt werden, welches den Prozess stoppt. Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass damit auch meine Fähigkeiten schwinden, aber dem ist wohl nicht so. Soweit ich erfahren habe, ist eine von uns tot und der andere konnte in Sicherheit gebracht werden. Ich weiß, dass das ziemlich verrückt klingen muss. So etwas klingt sicher ziemlich abenteuerlich und unglaubwürdig.“ „Verrückt ist gar kein Ausdruck“, betonte der 18-jährige und nahm einen Schluck aus der Bierdose. „Wenn ich nicht selbst gesehen hätte, dass du wie durch ein Wunder völlig geheilt warst, würde ich dir jetzt auch kein Wort glauben. Aber da ich es gesehen habe, habe ich auch keinen Grund, an dieser verrückten und abenteuerlichen Geschichte zu zweifeln. Außerdem hätte mir jeder andere, der mich anlügen wollte, mir irgendetwas anderes aufgetischt. Vielleicht, dass er an Menschenhändler geraten oder in Mafiageschäfte verwickelt war. Die Liste der Ausreden ist unendlich lang. Aber du bist mit der wohl verrücktesten Geschichte gekommen, die genauso gut aus einem Science-Fiction, oder aus einem Marvel-Comic stammen könnte. Deshalb glaube ich dir deine Story auch. Oder zumindest zu einem gewissen Teil. Also erzähl mal: was hast du jetzt vor? Willst du wieder in dieses Institut zurückgehen?“ „Nein“, sagte Elion und dachte nach. Ehrlich gesagt wusste er nicht, was er tun wollte und wohin er gehen sollte. Irgendwie hatte er das Gefühl, als würde ihm etwas Wichtiges fehlen oder als wäre er auf der Suche nach etwas. „Ich weiß nicht genau, wohin ich gehen und was ich eigentlich tun soll. Ich habe mein ganzes Leben in diesem Institut verbracht und bin nur zu den Einsätzen draußen gewesen und das waren nur zwei Male.“ Wieder sah Ezra ihn schweigend an und wirkte recht mürrisch, aber es mochte auch daran liegen, weil er immer so aussah und man es leicht als unfreundlich oder aggressiv werten konnte. Wahrscheinlich versuchte er in Wahrheit nur seine wahren Gefühle zu verbergen und sich seinem Gegenüber nicht in die Karten sehen zu lassen. Ein äußerst vorsichtiger und extrem misstrauischer Mensch. Schließlich aber wandte der 18-jährige den Blick ab und sein Ausdruck verlor einiges an Härte als er sagte „Du kannst gerne erst mal hier bleiben. Hier ist sowieso genug Platz für zwei Leute.“ „Danke Ezra. Aber wieso hilfst du mir eigentlich obwohl du doch jetzt weißt, dass ich ein Monster bin?“ Der Junge schnaubte leise und trank den letzten Schluck Bier. „Muss ich dafür unbedingt einen Grund haben? Und überhaupt: für mich siehst du nicht wie ein Monster aus und auf mich wirkst du auch nicht wie eines, zumindest noch nicht. Und überhaupt warst du es doch, der mich um Hilfe angefleht hat. Wenn man mich um Hilfe bittet, dann helfe ich eben auch.“ „Dann warst du dieses Mädchen gewesen?“ „Ein Wort noch darüber und es gibt Tote“, knurrte Ezra und stand auf, um das Geschirr in die Küche zu bringen. „Tut mir Leid“, entschuldigte sich Elion und wollte helfen, doch das ließ der 18-jährige gar nicht erst zu, sondern wies ihn etwas schroff an, sich auszuruhen. „Wer fast drei Tage durchschläft, dem muss es doch beschissen gehen. Ich bin gleich eh wieder weg, also leg dich hin, hier ist eh nichts zu tun.“ „Wohin gehst du?“ „Arbeiten. Halbtags arbeite ich im Supermarkt und ich hab nachher noch einen Kunden. Wenn jemand anklopfen sollte, dann mach nicht auf, verstanden? Mach niemals auf, wenn jemand klopft oder anklingelt. Es sei denn, es ist die alte Mrs. Willows, dann darfst du ihr ruhig öffnen. Warte aber, bis du jemanden hörst und halte ja die Klappe. Das wird sonst nur Ärger geben, wenn rauskommt, dass jemand bei mir wohnt. Wenn ich rausgehe, schließe ich die Wohnungstür ab. Wenn jemand versuchen sollte, die Tür gewaltsam aufzubrechen, dann kannst du über die Feuertreppe in den Hinterhof entkommen. Diese erreichst du über das Fenster in meinem Zimmer. Soweit alles verstanden?“ Elion nickte, wunderte sich aber schon über diese Vorsichtsmaßnahmen und wollte natürlich wissen, wieso der ganze Aufwand betrieben wurde. Die Erklärung war etwas beunruhigend. „Im Haus kommen regelmäßig Schutzgelderpresser rein. Die kommen unangemeldet her um abzukassieren. Wenn man zahlt, hat man seine Ruhe. Wenn nicht, dann werden sie ungemütlich und dann auch meistens ziemlich gewalttätig. Da ich alleine hier wohne, brauch ich nur für mich selbst zu zahlen. Aber wenn sie von dir erfahren, verdoppelt sich das natürlich und ich komm mit den beiden Jobs gerade mal so über die Runden. Also deshalb dürfen sie nicht erfahren, dass du bei mir wohnst, kapiert?“ Nun, das erklärte natürlich alles. Aber wieso machten diese Leute überhaupt so etwas? Als er diese Frage stellte, war Ezras Antwort einfach. „Die arbeiten für die Mafia. Eine Gruppe, die sich auf Schutzgelderpressung konzentriert und wer nicht zahlen kann, der landet mal locker mit Knochenbrüchen im Krankenhaus. Die sind echt gefährlich, also denk daran: hau über die Feuertreppe ab, wenn sie in die Wohnung einbrechen sollten. Du kannst dann bei Mrs. Willows klingeln und bei ihr dann so lange bleiben, bis ich zurück bin.“ „Kann man gegen diese Schutzgeldeintreiber nichts machen?“ Ezra lachte bitter bei dieser Frage. „Was denn bitteschön? Die Bullen in der Gegend sind doch sowieso korrupt und kriminell. Auf die kann man sich hier nicht verlassen. Ich muss jetzt auch langsam los. Mein Kunde wartet schon.“ Damit schnappte sich Ezra eine kleine Umhängetasche und ging. Man hörte nur noch, wie die Wohnungstür abgeschlossen wurde und Elion blieb wieder alleine zurück. Er wandte sich an Frederica, die es sich ebenfalls auf dem Sofa bequem gemacht hatte. Sie lehnte sich zurück und seufzte leise. „Da sind wir beide ja an einem spannenden Ort gelandet, oder? Hast du Angst, oder wieso siehst du so bedrückt aus?“ „Ich frage mich, wie Ezra mit diesen Typen fertig werden soll. Er wirkt nicht gerade danach, als hätte er eine Chance gegen so gefährliche Individuen.“ „Das weiß er auch, deshalb hat er dir auch nahe gelegt, selbst nicht so verrückt zu sein. Nun, eigentlich wärst du in der Lage, mit diesen Kerlen fertig zu werden. Aber das ist deine Entscheidung und nicht meine. Aber es ist schon süß, dass du dir Sorgen um ihn machst.“ „Warum denn nicht? Er hat mich immerhin bei sich aufgenommen und ich will auch nicht, dass er wegen mir noch Ärger mit irgendwelchen Schlägertypen bekommt. Aber mich würde ja interessieren, was er denn für Kunden hat.“ „Tja, da musst du ihn wohl nachher fragen, wenn er wieder zurückkommt.“ Elion schwieg und versuchte noch, das alles für sich irgendwie sortiert zu bekommen. Diese ganze Situation war noch ziemlich ungewohnt und vor allem wunderte er sich, dass Ezra gar nicht so reagiert hatte, wie er sich das eigentlich vorgestellt hatte. Zuerst war er davon ausgegangen, dass Ezra ihm nicht glauben, oder ihn vielleicht auch rausschmeißen würde. Er hätte es ihm nicht mal übel genommen, da er immerhin ein Monster war. Aber stattdessen hatte der Junge ihm sogar danach noch angeboten gehabt, dass er hier bleiben könne. Wieso eigentlich? Das wurde ihm immer rätselhafter, denn bisher hatte er außer Nastasja keinen anderen Menschen kennen gelernt, der ihm helfen wollte oder überhaupt einen Gedanken an ihn verschwendet hatte. Er war immer der Ansicht gewesen, dass die Menschen ihn alle so behandeln würden und dass Nastasja die einzige Ausnahme wäre. Aber Ezra hatte ihn gerettet und zu sich nach Hause gebracht. Er hatte sich um ihn gekümmert und wollte ihm selbst jetzt noch helfen, wo er doch die Wahrheit wusste. Das war Elion noch nie passiert und deshalb verstand er es auch nicht. „Frederica, wieso hilft er mir denn? Ich meine, er kennt mich nicht und wir haben uns noch nie getroffen. Kannst du mir das erklären?“ Das Albinomädchen musste kurz überlegen, um sich eine passende und hilfreiche Antwort zurechtzulegen. Dann erklärte sie „Es gibt einfach Menschen, die sehr sozial sind und anderen helfen, weil sie es als selbstverständlich ansehen. Und als Ezra gehört hat, was James und die anderen dir und den anderen angetan haben, da hatte er Mitleid und wollte dir helfen.“ „Mag sein. Aber irgendwie scheint er wohl jemand zu sein, der seine Gefühle nicht gerade nach außen trägt. Er macht einen ziemlich genervten und auch aggressiven Eindruck, aber vielleicht ist das ja auch, weil er sich nicht in die Karten gucken lassen will, oder?“ „Scheint so. Solche Menschen hab ich auch schon kennen gelernt. Raue Schale und weicher Kern. Du kannst aber rein theoretisch in Ezras Seele hineinblicken, wenn du ihn berührst.“ „Das will ich aber nicht. Bisher war es nie sonderlich angenehm gewesen zu sehen, wie die Menschen hinter der äußeren Fassade wirklich sind. Denn jeder hat eine dunkle und grausame Seite und die will ich nicht sehen.“ Und außerdem hatte er insgeheim Angst, dass vielleicht noch irgendwo in ihm Überreste des Unborns existieren und er beim Aufbau einer mentalen Verbindung Ezra genauso infizieren könnte wie Andrew. Deshalb war es besser, wenn er jegliche Art von Hautkontakt vermied, um kein Risiko einzugehen. Leise Schritte von Pfoten waren zu hören und der Rottweiler kam ins Wohnzimmer. Er sprang auf die Couch und ließ sich von Elion streicheln. „Auf jeden Fall scheint dich der Hund sehr zu mögen“, bemerkte Frederica, als sie das Bild sah. Der Grauhaarige nickte und begann Archi den Nacken zu kraulen. „Offenbar haben Tiere keine so große Angst vor Monstern wie Menschen.“ Schweigend saß er auf der Couch und dachte nach. Er fragte sich, was er eigentlich tun sollte. Irgendwie war er vollkommen ratlos und er fühlte sich so, als ob da irgendetwas fehlte. Und das entging auch Frederica nicht. „Sag schon, was beschäftigt dich?“ „Ich fühl mich so fremd in dieser Welt. Immer wieder frage ich mich, was ich hier soll und warum ich überhaupt da bin. Ich meine, ich habe zuvor nur für diesen einen Zweck existiert, nämlich zu einem vollwertigen Proxy zu werden und Menschen zu töten. Es gab für mich nichts anderes, aber nun habe ich nichts. Keine Aufgabe, keine Pflichten, keine Experimente… es ist, als wäre ich in einer Welt aufgewacht, die nicht meine ist.“ „Das ist ja auch kein Wunder. Du bist endlich frei, Elion. All die Jahre haben sie dich eingesperrt und das seit deiner Geburt. Da ist niemand mehr, der dich zu irgendetwas zwingt. Du hast jetzt die Chance, selbst deine Entscheidungen zu treffen!“ Das war ja schön und gut, aber wenn er ehrlich war, war er damit ziemlich überfordert. Im Grunde genommen war er aufgrund der Tatsache, dass er alles vorgeschrieben bekam und von der Welt isoliert worden war, völlig unselbstständig und konnte mit dieser gewonnenen Freiheit nicht umgehen. „Schon eine gewisse Ironie“, sagte Frederica schließlich und zog die Beine an, dann legte sie den Kopf zurück und starrte zur Zimmerdecke hinauf. „All die Jahre hast du doch so viel gemalt und warst in deinem Kopf frei, während dein Körper gefangen war. Und nun, da dein Körper frei ist, da ist es nun dein Kopf, der gefangen ist. Du musst das irgendwie ins Gleichgewicht bringen, ansonsten wirst du immer mit diesem Problem konfrontiert werden. Aber mach dir deswegen jetzt nicht so viele Sorgen. Du bist erst heute wieder wach und da ist es verständlich, wenn du mit der ganzen Situation überfordert bist. Ich wäre es an deiner Stelle auch.“ „Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Eigentlich sollte ich nach Mum suchen, aber ich habe das Gefühl, als würde ich noch nach mir selbst suchen.“ „Weil das Serum deinen Gedankenschaltkreis wiederherstellt und deine Persönlichkeit so sehr zerfressen war, dass du sie erst wieder finden musst. Du bist auf der Suche nach dir selbst und solange kannst du nicht zu Nastasja und den anderen gehen, weil du dich selbst in der Hinsicht vollkommen blockierst.“ Nun, das konnte gut möglich sein. Nein, es war sogar sehr wahrscheinlich. Aber wie konnte man seine Persönlichkeit „wiederfinden“? „Wie soll ich das anstellen, wenn ich nicht weiß, wer ich bin?“ „Wenn du es nicht sagen kannst, dann kann dir das auch kein anderer sagen. Manche Dinge brauchen einfach Zeit, Elion. Du wirst schon deine Antworten finden, aber du musst dich auch in Geduld üben. Keiner kann dir sagen, wer du wirklich bist, denn jeder sieht dich anders und das muss nicht unbedingt mit dem übereinstimmen, was du von dir denkst.“ Es war schon ziemlich schwer und Elion war überfragt, wo er anfangen sollte zu suchen. Vielleicht sollte er einfach alles erst ruhig angehen und die Dinge auf sich zukommen lassen, so wie Frederica gesagt hatte. „Dir ging es doch auch nicht anders, Frederica. Ich meine, du warst ganz alleine in dieser Welt, hattest keinen Namen und keine Identität. Nur einen Körper, der nicht dir gehörte.“ „Ich weiß, deshalb verstehe ich dich auch so gut. Auch ich habe lange Zeit nicht gewusst, wer ich wirklich bin, aber als ich Nastasja getroffen habe, da wusste ich, was meine Aufgabe ist und wer ich bin. Am besten kannst du erkennen, wer du wirklich bist, wenn du jemanden hast, der dir wichtig ist.“ Na toll, dann konnte das schlimmstenfalls noch sehr lange dauern. „Hey, jetzt nicht so niedergeschlagen sein. Ich war knapp 418 Jahre ganz allein und hatte überhaupt niemanden, bis ich Nastasja in Russland getroffen habe. Und du bist nicht alleine, immerhin bin ich ja bei dir und ich stehe dir als Freundin zur Seite.“ „Danke.“ Sie saßen eine Zeit lang auf der Couch und es war sehr still. Für Elion nichts schlimmes, denn er war diese Stille gewöhnt und sie hatte auch etwas Beruhigendes. Aber dennoch gab es da ein Geräusch, was er noch nie zuvor gehört hatte und was ihn neugierig machte. Es klang wie ein leises Klopfen und als er zum Fenster sah da bemerkte er, dass es der Regen war, der gegen die Scheiben prasselte. Nach einer Weile stand er auf, ging zu Ezras Zimmer, öffnete das Fenster und stieg auf die Feuertreppe. Sogleich spürte er den Regen, wie er auf seine Haut fiel. Er spürte es in seinem Haar und es war ein so neuartiges und auch so angenehmes Gefühl, dass er es kaum zu beschreiben vermochte. Natürlich wusste er, dass es Regen war und wie dieser zustande kam. Immerhin hatte er genug Bücher über all die wundersamen Dinge gelesen, die sich außerhalb des Instituts zutrugen. Aber es war das allererste Mal in seinem Leben, dass er den Regen spürte. Frederica stand neben ihn und betrachtete den Himmel. „Weißt du, ich habe mal da so einen wunderbaren Spruch gelesen. Wenn ich der Regen wäre, dann könnte ich mich mit den Herzen der Menschen verbinden. Genauso wie der Regen Himmel und Erde miteinander verbindet, ohne dass sie sich berühren. Ich liebe das Geräusch des Regens, weil man da einfach seine Gedanken vergessen kann. Aber du solltest doch besser reingehen, sonst werden deine Sachen noch ganz nass.“ „Hm… du hast wohl Recht. Ich sollte…“ Elion sprach nicht zu Ende, denn er sah da jemanden, wie er sich die Straße entlang schleppte und ziemlich taumelte. Da schien wohl irgendjemand Probleme zu haben. Kurzerhand kletterte der Grauhaarige die Feuertreppe herunter und gelangte schließlich in die Gasse. Er lief zur Straße und sah schon die Person, die sich da voranschleppte und zusammenzubrechen drohte. Gerade noch rechtzeitig konnte er denjenigen auffangen und erkannte erschrocken, dass es Ezra war. Und jemand hatte ihn ziemlich übel zugerichtet. Kapitel 3: Das Gesetz des Stärkeren ----------------------------------- Da Ezra sich kaum auf den Beinen halten konnte, trug Elion ihn in die Wohnung und legte ihn vorsichtig aufs Bett ab. Nicht nur, dass die Kleidung durchnässt war, er hatte Verletzungen im Gesicht und zudem sehr starke Schmerzen. Auf dem ersten Blick sah es so aus, als wäre er brutal zusammengeschlagen worden. „Ezra, was ist passiert? Wer hat dir das angetan?“ „Das ist nichts und jetzt verschwinde!“ rief er gereizt und war ziemlich aggressiv drauf. „Ich komm allein klar und jetzt hau ab!“ Aber Elion spürte, dass der Junge entsetzliche Schmerzen haben musste und da konnte er ihn doch nicht einfach so alleine lassen, ohne wenigstens seine Wunden zu versorgen. Er wusste ja, dass bei Menschen die Verletzungen unglaublich lange brauchten, um zu verheilen. Und wenn die Wunden nicht versorgt wurden, konnte es sogar noch schlimmer werden. „Ezra, ich will doch nur helfen. Hör mal, ich sehe doch, dass es dir schlecht geht und…“ „Ich will keine Hilfe, von niemandem! Also fass mich gefälligst nicht an und verpiss dich endlich!“ Nun wurde der klein geratene Junge richtig aggressiv und stieß Elion grob weg. „Lass mich endlich alleine und hör auf zu nerven.“ „Aber ich kann dich doch nicht einfach so verletzt hier lassen.“ „Natürlich kannst du das, verdammt. Leg dich einfach auf die Couch und gut ist. Echt, du nervst langsam. Also jetzt mach endlich einen Abgang oder es kracht!“ Obwohl Ezra immer lauter und angriffslustiger wurde, blieb Elion ruhig und fühlte sich irgendwie mies, ihn so zu sehen. Er war dem 18-jährigen nicht mal böse, dass dieser ihn so attackierte, sondern hatte das Gefühl, dass dieses aggressive Gebärden nur dazu da war, weil Ezra sich fürchtete. Aber wovor hat er Angst, fragte sich Elion. Hat er Angst vor mir und will er mich deshalb so schnell loswerden? Oder hat er Angst davor, dass man ihm zu nahe kommt? In diesem Fall konnte er einfach nur an ein verletztes Tier denken, das alles und jeden attackierte, weil es sich schützen wollte. Vermutlich war das ja auch bei Ezra so. Womöglich verhielt er sich deshalb so, weil er sich schützen wollte. „Ezra, ich kann einfach nicht wegsehen, wenn du Schmerzen hast. Also lass mich dir bitte helfen.“ „Warum willst du mir helfen? Mal ehrlich, du hast doch sicher nur irgendwelche Hintergedanken, oder?“ „Nein, aber du hast mich gerettet, deswegen will ich doch zumindest diese Schuld begleichen und dir helfen. Hör mal, ich kann deine Wunden zurücksetzen, dann sind sie genauso verschwunden wie meine und du hast dann auch keine Schmerzen mehr. Aber dazu muss ich wissen, was für Verletzungen du hast.“ „Dann verzichte ich lieber.“ Warum nur ist er so stur und leidet lieber, als dass er sich helfen lassen will? Offenbar kann er mir einfach nicht vertrauen. Elion versuchte es zu verstehen, aber es war dennoch recht schwer. Dann aber kam ihm ein Gedanke, als er diese Angst in Ezras Augen sah, die der 18-jährige so sehr zu verstecken versuchte. Konnte es sein, dass er sich vielleicht schämte? „Ezra, du musst dich nicht schämen und du brauchst auch keine Angst zu haben.“ „Ich habe keine Angst und hör gefälligst auf, mir irgendetwas einreden zu wollen. Verpiss dich aus meinem Zimmer und hau ab! Ich hab die Schnauze voll, weiter mit dir herumzudiskutieren, du Freak!“ Und als er sich aufrichten wollte, da wurden die Schmerzen zu viel und er fiel aufs Bett. Elion wollte gerade nachsehen, ob er vielleicht das Bewusstsein verloren hatte, doch kaum, dass er näher kam, da holte Ezra aus und schlug ihn ins Gesicht. „Komm mir nicht zu nahe!“ Obwohl der Schlag nicht sonderlich heftig war, geriet Elion dennoch aus dem Gleichgewicht und taumelte zurück. Etwas verwundert presste er eine Hand auf seine Wange, wo ihn der Schlag getroffen hatte und eine Weile stand er da und sagte nichts. Er sah Ezra an und fragte sich, was ihm wohl widerfahren war, dass er so heftig reagierte, wenn man ihm so nahe kam, während er verletzt war und sich kaum bewegen konnte. Wie konnte er Ezra denn helfen, ohne dass er so eine Angst hatte? Vielleicht war es besser, sich ihm etwas vorsichtiger zu nähern. Womöglich fand sich ja irgendwie ein Kompromiss, sodass er ihm helfen konnte, ohne ihm zu nahe zu kommen. Elion atmete leise aus und wartete, bis auch der 18-jährige zumindest ein klein wenig ruhiger geworden war. „Du kannst mich meinetwegen gerne schlagen. Du kannst mich treten, mir den Arm brechen und mich sogar töten. Ich stehe wieder auf und am nächsten Morgen ist alles bei mir so, als wäre nie etwas gewesen. Aber obwohl ich auch keine Schmerzen mehr spüre, vergesse ich sie nicht. Ich erinnere mich wie schmerzhaft es ist, verletzt oder getötet zu werden und allein die Erinnerung daran ist schlimm genug. Aber du… du musst beides ertragen. Du wachst nächsten Morgen auf und hast immer noch Schmerzen und sie werden nicht so schnell weggehen. Glaub mir, ich weiß wie schlimm das ist. Aber wenn es dir zu unangenehm ist, dann werde ich auch nicht nachfragen. Und wenn du nicht willst, dass ich deine Wunden sehe, dann gib mir wenigstens die Chance, einen Kompromiss zu finden. Als erstes musst du dringend raus aus den Klamotten, bevor du noch krank wirst. Ich kann mir die Augen verbinden, wenn das hilft und wenn ich nicht aufpasse, kannst du mir ruhig noch mal eine reinhauen.“ Immer noch war Ezra extrem misstrauisch und wurde offenbar das Gefühl nicht los, als hätte Elion irgendwelche Hintergedanken. Aber da er so langsam erkannte, dass er ihn nicht wirklich loswerden konnte, grummelte er missmutig und sagte „Wenn’s dich glücklich macht. Im Schrank liegt mein Pyjama. Den kannst du mir rausholen.“ Elion war schon froh, dass Ezra sich wenigstens auf diesen Kompromiss eingelassen hatte. Er ging zum Kleiderschrank hin und fand, als er ihn geöffnet hatte, tatsächlich einen Pyjama und entdeckte sogleich noch etwas, was er noch nie gesehen hatte. Es waren kleine Kleidungsstücke, die wie Hände aussahen. Er holte sie heraus und wandte sich an Ezra und zeigte sie ihm. „Was ist das?“ „Das sind Handschuhe.“ „Und wozu trägt man die?“ „Entweder, weil man sonst kalte Finger bekommt, weil man bei Verbrechen keine Fingerabdrücke zurücklassen will oder weil man mit irgendetwas nicht in direkten Hautkontakt kommen will. Ich hab sie mal getragen, aber sie sind mir viel zu groß. Kannst ja mal gucken, ob sie dir passen. Dann muss ich sie wenigstens nicht wegschmeißen.“ Elion zog sich die schwarzen Lederhandschuhe an und stellte fest, dass sie ihm tatsächlich ganz gut passten. Super, dachte er und behielt sie auch gleich an. Dann gehe ich zumindest kein Risiko ein, versehentlich noch eine mentale Verbindung aufzubauen, wenn ich ihn berühren sollte. Wenn der Unborn vielleicht doch noch nicht ganz verschwunden ist, könnte ich ihn schlimmstenfalls infizieren und damit würde ich ihm auch nicht sonderlich helfen. Er legte den Pyjama raus und ging noch ins Bad, um ein Handtuch zu holen. Ezra war völlig durchnässt und musste abgetrocknet werden und dann trockene Kleidung anziehen. Im Bad fand er im Schrank ein Handtuch und kam schließlich wieder zurück, wobei er von dem 18-jährigen mit einem feindseligen Blick gestraft wurde. „Was willst du damit?“ „Du bist nass und musst dich abtrocknen. Da du dich aber kaum bewegen kannst, mach ich das. Ich verbinde mir die Augen und pass auch auf. Du hast ja die Möglichkeit, mir einfach eine reinzuhauen, wenn ich nicht vorsichtig bin.“ „Nicht nur das: ich kastrier dich eigenhändig wenn du es wagen solltest, mich zu verarschen.“ Doch davon ließ er sich auch nicht sonderlich abschrecken. Stattdessen ließ er sich von Ezra ein Tuch geben, mit welchem er sich selbst die Augen verband. Natürlich wusste er, dass es alles andere als praktisch war und es sich äußerst schwierig gestalten würde, ihm beim Umziehen zu helfen. Aber wenn das die einzige Möglichkeit war, ihm zu helfen, dann blieb kaum etwas anderes übrig. „Okay Ezra, ich hab mir jetzt die Augen verbunden und fang jetzt an, in Ordnung?“ „Mach…“, kam es gereizt zurück und das deutete der Proxy einfach mal als ein ja. „Wenn irgendetwas sein sollte, dann sag es mir ruhig.“ Von Ezra kam nur ein genervtes Schnauben und sogleich begann Elion, ihm dabei zu helfen, den Kapuzenpullover auszuziehen. Das klappte so einigermaßen gut und als er das geschafft hatte, zog er ihm auch sogleich den Rollkragenpullover darunter aus. „Ist dir mit zwei Pullovern im Sommer nicht irgendwie warm?“ „Ich friere immer“, antwortete der 18-jährige knapp. „Meine Eisenwerte sind ständig im Keller, daher kommt das.“ Nachdem die nassen Pullover ausgezogen waren, half er ihm noch aus der Jeanshose heraus. Schließlich begann er nach dem Handtuch zu tasten, was er eigentlich in greifbarer Nähe hingelegt hatte, um nicht zu lange danach suchen zu müssen. Aber dann bekam er es von Ezra ins Gesicht geworfen. Er sagte nichts dazu und konzentrierte sich darauf, schnell weiterzumachen und es auch für den Jungen nicht noch unangenehmer als nötig zu machen. Er beeilte sich so gut es ging und begann nun mit dem schwierigsten Teil, nämlich Ezra dabei zu helfen, den Pyjama anzuziehen. Doch wie sich herausstellte, konnte sich der 18-jährige gerade noch gut genug bewegen, um einen Teil der Arbeit selbst zu erledigen. Als er fertig war, sagte er „Kannst die Augenbinde wieder abnehmen“, wobei sein Ton nun nicht mehr ganz so aggressiv und schroff war wie zuvor. Elion nahm das Tuch wieder ab und sah, wie sich Ezra nun die Haare abtrocknete. Anschließend holte dieser aus der Schublade des kleinen Schränkchens neben seinem Bett ein weiteres Medikamentendöschen und schluckte zwei Tabletten. Es waren Schmerzmittel und offenbar nahm er sie schon öfter mal. Zuerst dachte Elion daran zu gehen, aber da beschäftigte ihn noch eine Frage, die er dem 18-jährigen stellen wollte. „Warum willst du eigentlich keine Hilfe annehmen, Ezra? Du machst dir das Leben doch nur selber schwer.“ „Lass das mal meine Sorge sein. Ich brauche keine Hilfe. Hilfe brauchen nur die Schwächlinge in dieser Welt und es sind die Schwächlinge, die dann zu Fußabtretern werden und hinterher in der Gosse landen. Das sind die Versager der Gesellschaft und die müssen sich ständig helfen lassen und ziehen dann andere mit hinunter. Und ich bin kein Schwächling, hast du kapiert?“ Doch so wirklich wollte das nicht bei Elion ankommen, denn so ganz verstand er Ezras Denkweise nicht. Er konnte nicht nachvollziehen, wieso es falsch sein sollte, einfach mal Hilfe anzunehmen, wenn es einem dadurch besser ging. „Wieso denkst du denn, dass man ein Schwächling ist, wenn man andere um Hilfe bittet? Ich meine, es braucht doch eine gewisse Stärke, um Schwäche einzugestehen.“ „Wer Schwäche eingesteht, ist ein Vollidiot und sonst nichts“, entgegnete Ezra, wobei er ziemlich laut wurde und das Döschen mit den Schmerzmitteln zurück in die Schublade warf und diese zuknallte. „In so einer Welt überlebt man nur, wenn man stark ist und keine Schwäche zeigt. Du hast doch überhaupt keine Ahnung, also spiel dich nicht als Moralapostel auf.“ „Ja aber ich verstehe deine Denkweise einfach nicht. Wenn du meinst, dass jeder, der Hilfe braucht, ein Schwächling ist, dann musst du mich doch auch für einen halten.“ „Bist du ja auch. Ohne meine Hilfe wärst du Fischfutter geworden oder würdest jetzt aufs Meer hinaustreiben. Alleine kommst du doch nicht zurecht. Genauso ist auch Archi einer, weil er ohne mich einfach verreckt wäre und der Köter ist selbst zu dumm dazu, um meine Stimme von Sammys zu unterscheiden. Wer zu Boden fällt, der sollte gefälligst von alleine wieder aufstehen, denn du kannst von niemandem erwarten, dass er dir hilft. Wenn man nicht aus eigener Kraft aufstehen kann, sollte man besser einfach liegen bleiben.“ „Offenbar spricht da der Schmerz aus ihm“, bemerkte Frederica, die das ganze Szenario mitverfolgt hatte und mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen lehnte. „Wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, dann muss er furchtbar viel durchgemacht haben, dass er jetzt so etwas denkt.“ „Ich finde es nicht schlimm, wenn man auch mal Hilfe annimmt. Dann geht es einem doch wenigstens besser und Hauptsache ist doch, man kommt wieder auf die Beine, als überhaupt nicht.“ Doch der 18-jährige verzog nur verächtlich die Mundwinkel und schüttelte den Kopf über Elions Naivität. „Glaub mir, wenn du ein Mal am Boden liegst, dann wird niemand da sein, um dir zu helfen. Entweder du schaffst es und überlebst, oder du bleibst liegen und verreckst elendig. Und eines steht fest: ich werde überleben.“ Hier sprach purer Kampfgeist aus ihm und obwohl er sich vor Schmerzen kaum bewegen konnte, dachte er nicht daran, Schwäche zu zeigen und Hilfe anzunehmen. „Aber wenn du der Ansicht bist, dass man alleine wieder auf die Beine kommen sollte, wieso hilfst du mir und warum hast du Archi und Sammy gerettet?“ Natürlich stellte das einen extremen Widerspruch zu Ezras Ansichten dar und Elion versuchte auch ihm irgendwie klar zu machen, dass das alles totaler Quatsch war. „Wenn du wirklich so denken würdest, dann hättest du mich doch gar nicht retten müssen.“ „Hey, nur weil ich der Meinung bin, dass nur die Starken überleben und man sich auf niemanden verlassen sollte, heißt das noch lange nicht, dass ich ein Unmensch bin, klar?“ Irgendwie wurde Elion das Gefühl nicht los, dass Ezra nicht von ganzem Herzen hinter dieser Meinung stand, dass man gefälligst am Boden bleiben sollte, wenn man es nicht aus eigener Kraft auf die Beine schaffte. Wahrscheinlich waren es schlimme Erinnerungen, die da aus ihm sprachen. Elion setzte sich schließlich zu ihm ans Bett, faltete die Hände und betrachtete ihn nachdenklich. „Hattest du denn nie jemanden, der dir geholfen hat? Nicht mal deine Eltern?“ „Hör mir bloß damit auf“, schnaubte der 18-jährige und begann sich in seine Decke einzuwickeln, da ihm langsam kalt wurde. „So etwas wie die braucht man eh nicht. Eltern sind das Schlimmste, was einem passieren kann, glaub mir. Wenn sie überfordert sind, schieben sie dich ab und für sie bist du eh nur eine Belastung und mehr nicht. Oder du bist für die nur ein Mittel, um an Geld ranzukommen.“ „Hast du schlechte Erfahrungen gemacht?“ Ezras Blick verdüsterte sich und er drehte sich von Elion weg. „Schon gut“, sagte der Proxy und erhob sich. „Du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst. Aber ich denke nicht, dass alle Eltern grundsätzlich schlecht sind. Weißt du, als ich im Institut gelebt habe, da kam mich eine Frau sehr oft besuchen, die für mich wie eine Mutter war und ich habe sie auch Mum genannt. Sie ist ein sehr liebevoller Mensch und sie war immer für mich da, wenn sie mich gefoltert oder auf die anderen gehetzt haben, damit wir uns gegenseitig töten.“ „Schön und gut, aber sie war nicht deine Mutter. Was ist mit deinen echten Eltern, hm?“ „Nun, von meinem Vater weiß ich nichts und meine biologische Mutter ist die Leiterin der Experimente.“ „Siehst du? Deine eigene Mutter lässt Experimente an dir durchführen und hat dich doch fast mit diesem Ding gekillt, was dir so zu schaffen gemacht hat. Also erzähl mir nichts von irgendwelchen Geschichten. Man ist definitiv besser dran, wenn man als Waise aufwächst und auf niemanden angewiesen ist. Überhaupt ist man alleine besser dran.“ „Weil dann niemand da ist, der einen verletzen oder enttäuschen könnte, oder?“ Ezra sagte nichts darauf und drehte sich auch nicht zu Elion um. Er wollte einfach nichts dazu sagen, weil er wohl wusste, dass Elion den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Schließlich aber schickte sich der Grauhaarige an, das Zimmer zu verlassen, nahm aber die nassen Kleidungsstücke mit. „Ich werde die Sachen im Badezimmer aufhängen, damit sie trocknen können. Brauchst du noch irgendetwas?“ „Nein und jetzt verschwinde schon.“ Elion schloss die Tür leise hinter sich und ging mit den Sachen ins Bad um sie zu trocknen. Frederica folgte ihm und fragte sogleich „Und? Bist du zufrieden?“ „Nicht wirklich“, gab der Proxy zu und hängte den tropfnassen Kapuzenpullover in der Dusche auf, ebenso wie den Rollkragenpullover und die Hose legte er über die Heizung. „Ich kann einfach nicht sehen, wie er leidet und Schmerzen hat. Er hat mir das Leben gerettet und da möchte ich ihm schon gerne helfen. Ich meine, ich habe die Möglichkeit, ihm seine Schmerzen zu nehmen.“ „Und du bist nicht böse, dass er dich geschlagen und dich einen Freak genannt hat?“ „Er hatte einfach Angst und wusste sich nicht anders zu helfen in der Situation. Ich denke, dass diese ganze Aggression bei ihm eigentlich ein Zeichen von Angst oder Unsicherheit ist und deshalb bin ich ihm auch nicht böse deswegen.“ „Du scheinst ihn ja ziemlich gut zu durchschauen, oder?“ „Weil ich aufgrund meiner Fähigkeiten eben spüren kann, wie er sich fühlt. Sheol hat es immer als Geruch wahrnehmen können, das kennt man ja unter Synästhetikern. Ich nehme es irgendwie wahr, als würde ich es selber empfinden. Wenn ich ihn berühren würde, wäre alles viel intensiver. Deshalb finde ich die Handschuhe sehr praktisch.“ Elion betrachtete die schwarzen Lederhandschuhe, die ihm wirklich perfekt passten und obwohl es sich komisch anfühlte, war es spürbar besser als vorher. So konnte er es wenigstens ein bisschen besser kontrollieren und wurde nicht so vielen Reizüberflutungen ausgesetzt, wenn er andere berührte. Nun, wenn er sie am Ärmel berührte oder an der Kleidung, dann war das ja nicht schlimm, aber Hautkontakt war für ihn ein kleines Problem und es fiel ihm schwer, sich selbst gegen diese Wahrnehmung abzuschirmen. „Ich habe da so das Gefühl, als hättest du etwas vor, kann das sein?“ fragte das Albinomädchen und blickte ihn forschend an, wobei der goldene Ring in ihrer Iris fast zu leuchten begann. Nun, da sie sich beide momentan einen Körper teilten und sie ihn auch ohne Worte verstehen konnte, konnte er eben unmöglich seine Gedanken vor ihr verbergen. Er lächelte und nickte. „Ja, du hast es richtig erkannt. Aber ich will noch warten, bis er schläft.“ „Du hast doch nicht etwa vor, ihn auszuziehen und ihn zu untersuchen.“ „Nein“, rief er schon fast und sah sie entgeistert an. „So etwas würde ich nie machen. Nein, ich werde auf gut Glück seinen Körper um ein paar Stunden zurücksetzen in der Hoffnung, ihm so helfen zu können. Selbst auf das Risiko hin, dass er mir morgen den Kopf abreißen wird.“ „Du kannst es auch nicht sein lassen, oder?“ „Das lässt mir eben einfach keine Ruhe. Irgendetwas ist mit ihm passiert und er will nicht darüber reden. Und die Schmerzen, die er hat, wecken eben Erinnerungen an die Zeit im Institut. Auch wenn sie immer mehr verblassen und eher wie ein lange vergangener Alptraum wirken, so habe ich irgendwie das Gefühl, als…“ „Als wäre er du“, ergänzte Frederica und nickte nachdenklich. Ja, es stimmte. Elion fühlte sich bei Ezras Anblick an seine Zeit zurückerinnert, wo er in seiner Zelle lag und völlig am Ende mit seinen Kräften und seinem Lebenswillen war und sich nur noch den Tod herbeiwünschte, um von seinen Schmerzen befreit zu werden. Es war für ihn schon schlimm genug gewesen. Aber es tat ihm weh, Ezra so zu sehen. Er wollte niemanden leiden sehen, der eigentlich keinen schlechten Charakter hatte. Und Ezra hatte ihn gerettet und ihn bei sich aufgenommen. Deshalb wollte er ihm helfen um sich zumindest ein bisschen bei ihm zu bedanken. Also wartete Elion, bis es spät genug war und ging dann in Ezras Zimmer. Der 18-jährige schlief bereits tief und fest und so zog der Proxy einen Handschuh aus und legte seine Hand auf die Stirn des Schlafenden. Er atmete tief durch und brachte seine ganze Konzentration auf, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Nun gut, es kostete ihn nicht so viel an Energie, wie er erst befürchtet hatte, doch als er damit begann, Ezras Körper um ein paar Stunden zurückzusetzen, da spürte er starke Kopfschmerzen und er wusste, dass er schlimmstenfalls wieder Gehirnblutungen bekommen würde, aber der Tag war eh fast rum, da kam es auf die wenigen Stunden auch nicht mehr an. Nachdem er genug getan hatte und er der Ansicht war, dass es Ezra wieder gut gehen müsste, ging er ins Wohnzimmer, ließ sich erschöpft auf dem Fußboden nieder und schlief dort sofort ein. Kapitel 4: Bei Mrs. Willows --------------------------- Am nächsten Morgen wachte Elion mit leichten Kopfschmerzen auf und lag wieder auf dieser Couch. Auf dem Tisch stand ein Tablett mit Frühstück und eine Nachricht lag ebenfalls dabei. Gut, dass er sich damals selbst das Lesen und Schreiben beigebracht hatte, sonst könnte er nichts damit anfangen. In der Nachricht stand, dass Ezra mit Archi spazieren und danach noch einkaufen war. Zudem wurde er noch mal an die Hinweise erinnert, was das Öffnen der Haustür sowie das Verhalten eines bevorstehenden Einbruchs betraf. „Guten Morgen, Schlafmütze“, grüßte Frederica ihn gut gelaunt und hatte es sich im Schneidersitz auf dem Fußboden bequem gemacht. „Hast du gut geschlafen?“ „Ziemlich tief, denn ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich irgendwann auf die Couch gelegt hätte.“ „Dann war es Ezra gewesen. Ist mir ohnehin ein Rätsel, wie er das geschafft haben soll. Ich meine, du bist gut und gern 20cm größer und auch schwerer als er.“ Ja stimmt, eigentlich hat sie Recht. Dann würde sich ja sowieso die Frage stellen, wie Ezra mich überhaupt hierher bringen konnte. Vielleicht frage ich ihn das ja mal am besten, wenn er wieder zurück ist. Nachdem er sich gestärkt hatte, brachte er das Tablett in die Küche und begann aufzuräumen. Als er aber gerade dabei war den Abwasch zu machen, hörte er, wie die Haustür aufgeschlossen wurde und kurz darauf kam Ezra wieder und nahm Archi von der Leine. Mit schweren Tüten kam er in die Küche und stellte sie auf dem Tisch ab. „Bist ja auch mal endlich wach“, bemerkte er etwas kühl und begann sogleich die Einkäufe auszuräumen. „Ich hab die ganze Zeit versucht, dich aufzuwecken aber du hast so tief gepennt dass ich dachte, du wärst ins Koma gefallen.“ „Nun, wenn mein Körper Schäden erlitten hat, dann ist meine Schlafphase auch sehr tief. Da haben schon andere vergeblich versucht, mich aufzuwecken. Normalerweise ist mein Schlaf nicht so tief…“ Elion fragte sich, ob Ezra wohl sauer auf ihn war, weil er unerlaubt dessen Körper zurückgesetzt hatte, um ihm zu helfen. Nun, verübeln konnte er es ihm nicht, wenn er ehrlich war. Immerhin hatte der Junge ihm mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass er das definitiv nicht wollte. Eine Weile sagte der 18-jährige nichts, dann aber, als er gerade auf einen Stuhl stieg um im obersten Fach des Schranks ein paar Sachen einzuräumen, da fragte er etwas schroff „Sag schon, du hast doch irgendetwas mit mir gemacht, als ich geschlafen habe, oder?“ Elion begann nun damit, ihm die Sachen anzureichen, damit Ezra sie einräumen konnte und schwieg einen kurzen Moment, bevor er antwortete. „Ja. Als du eingeschlafen bist, habe ich den Zustand deines gesamten Körpers zurückgesetzt, weil ich auch deinen Wunsch respektieren wollte, dass ich deine Verletzungen nicht sehen soll. Ich konnte einfach nicht mit ansehen, dass du Schmerzen hast. Entschuldige, ich weiß ja, dass du das nicht wolltest.“ Ezra sagte nichts dazu und wirkte ziemlich schlecht gelaunt. Aber dann sagte er kurz und knapp „Danke“. Einen Moment lang schwieg er noch und fragte dann „Wieso hast du das nicht gleich gesagt, dass du das kannst?“ „Nun“, begann Elion und reichte die letzten Konserven an, bevor der 18-jährige vom Stuhl hinunterstieg und die Taschen wegräumte. „Es wäre ein geringerer Kraftaufwand für mich gewesen. Mein Körper erleidet einige Schäden, wenn ich meine Kraft zu oft oder zu stark einsetze. Angefangen von Gehirnblutungen bis hin zu Knochenbrüchen und anderen Geschichten. Manchmal kann ich sogar daran sterben, weil der menschliche Körper für so etwas eigentlich nicht geeignet ist. Meist erleide ich am Gehirn irgendwelche Schäden wie zum Beispiel Blutungen.“ Nachdem Ezra die Taschen weggeräumt hatte, kam er zurück in die Küche, kochte sich und Elion einen Kaffee, dann setzte er sich an den Tisch und zündete sich eine Zigarette an. Er bot dem Proxy auch eine an, doch der lehnte höflich ab. „Mum sagte mal, dass Rauchen eigentlich sehr ungesund ist.“ „Ich hab bis jetzt noch nichts gemerkt“, entgegnete der Junge mit dem fast schon mädchenhaften Erscheinungsbild trocken und öffnete noch schnell das Fenster, damit der Rauch entweichen konnte. „Ich rauche und trinke schon, seit ich zehn Jahre alt bin.“ „Aber ich dachte, dass das in den USA erst ab 21 Jahren erlaubt ist.“ „Bist du jetzt ein Bulle oder was? Ist doch eh scheißegal. Es schert sich doch sowieso niemand drum, also kann ich doch tun und lassen was ich will und ich bin eh erwachsen.“ „Rauchst du auch andere Sachen?“ Als Ezra das hörte, riss er die Augen weit auf und starrte Elion fassungslos und wütend an. „Spinnst du jetzt völlig?“ rief er und schlug mit der Handfläche auf den Tisch. „Ich nehme doch keine Drogen.“ „Entschuldige“, sagte Grauhaarige und hob beschwichtigend die Hände. „Das war doch nur eine einfache Frage und ich wollte dir auch nichts unterstellen. Alles, was ich von der Welt außerhalb des Instituts weiß, habe ich aus Büchern und weiß sonst nur das, was ich von Mum oder den Angestellten aufgeschnappt habe.“ Hier entspannte sich Ezra wieder ein wenig als er merkte, dass dies wirklich kein Angriff gewesen war und er nahm noch einen Zug von seiner Zigarette. „Nur weil man raucht und mal was trinkt, hat man doch noch lange nichts mit Drogen am Hut. Und so etwas fragt man auch nicht einfach so, kapiert?“ Schließlich drückte er seine Zigarette aus, schloss das Fenster wieder und trank auch seinen Kaffee aus. Er schnappte sich schließlich eine Einkaufstüte, die als einzige nicht ausgepackt worden war und wandte sich an Elion. „Ich gehe die Sachen runter zu Mrs. Willows bringen. Wenn du willst, kannst du mitkommen.“ Da der Proxy eh nichts Besseres zu tun hatte, ging er gerne mit und folgte Ezra nach draußen auf den Hausflur, ging mit ihm die Treppe runter in die untere Etage und blieb vor einer Tür stehen, an welcher ein Schild mit der Aufschrift „Martha und Ada Willows“ hing. Ezra klopfte an die Tür und rief „Mrs. Willows, ich bin es: Ezra!“ Es dauerte eine Weile, bis eine ältere Dame von knapp 70 Jahren mit schneeweißem Haar die Tür öffnete. Sie trug eine sehr altmodische Brille, machte aber für ihr Alter noch einen sehr rüstigen Eindruck und sie strahlte richtig, als sie sah, dass sie Besuch hatte. Da sie eine gebeugte Haltung hatte, wirkte sie fast so groß wie Ezra. Ihre Kleidung war etwas ärmlich und sie machte auch nicht gerade den Eindruck, als würde es ihr finanziell nicht sonderlich gut gehen und ein klein wenig ungepflegt wirkte sie auch. „Ach Elsa! Wie schön, dass du zu Besuch kommst. Und wer ist denn dieser junge Mann bei dir? Ist das dein Freund?“ „Mein Name ist Ezra, Mrs. Willows“, erklärte der 18-jährige ruhig und wirkte nun gar nicht mehr aggressiv oder gereizt, ganz im Gegensatz zu vorher. Die alte Dame machte ihnen Platz und als sie die Wohnung betraten, fanden sie ein furchtbares Chaos vor und es roch auch unangenehm. Aber das schien die alte Dame nicht sonderlich zu kümmern und Ezra bahnte sich seinen Weg durch die hohen Stapel von Krimskrams und alten Geräten, die vermutlich niemand mehr brauchte. In der Küche stapelte sich das schmutzige Geschirr und es sah so aus, als hätte hier noch nie jemand aufgeräumt. Aber Ezra beachtete das Chaos nicht wirklich und begann nun stattdessen Ordnung zu machen. „Wie geht es eigentlich Ada?“ fragte er und räumte die Einkäufe in den Kühlschrank. Im Anschluss begann er den Abwasch zu machen. „Ach ihr geht es ganz wunderbar. Sie freut sich ja jedes Mal, wenn Besuch da ist. Als ich ihr gesagt habe, dass du heute kommst, da hat sie…“ Ein lautes Stöhnen war zu hören und Elion dachte schon, dass da irgendjemand Schmerzen habe, woraufhin er losgehen und nachsehen wollte. Doch die alte Dame beruhigte ihn sofort wieder. „Das ist nur meine Enkelin, die nach mir ruft. Entschuldigt mich bitte ihr zwei.“ Mrs. Willows verließ die Küche um nachsehen zu gehen. Ezra hatte sich die Ärmel hochgekrempelt und spülte das dreckige Geschirr ab. Er sagte nichts und es war auch schwer zu erkennen, was ihm gerade durch den Kopf ging. Dann aber brach Elion das Schweigen. „Mrs. Willows hat es wohl nicht so ganz mit der Ordnung, oder?“ „Sie leidet am Messie-Syndrom und ist auch geistig nicht mehr ganz auf der Höhe. Deshalb vergisst sie immer, dass ich Ezra heiße und nicht Elsa. Sie lebt hier mit ihrer Enkelin Ada, die seit einem schweren Verkehrsunfall schwerstbehindert ist. Die Eltern sind dabei ums Leben gekommen und da es keine anderen Verwandten mehr gibt, muss sich Mrs. Willows um sie kümmern und sie ist aufgrund ihrer Demenz nur noch eingeschränkt dazu in der Lage. Wenn ich Zeit habe und nicht gerade arbeiten bin, dann helfe ich ihr so gut es geht, den Alltag zu bewältigen.“ „Was ist das Messie-Syndrom?“ „Die Leute fangen dann an, nutzlosen Krempel zu sammeln, der eigentlich Müll ist und horten ihn. Die Wohnung verkommt und sie können nichts wegwerfen.“ „Und warum machen sie das?“ Unsicher zuckte Ezra mit den Achseln, denn damit kannte er sich auch nicht so gut aus. „Ich denke, es hängt einfach mit dem Unfalltod von Adas Eltern zusammen. Eigentlich gehört Mrs. Willows in ein Pflegeheim, weil ihre Demenz schlimmer wird, aber sie hat kein Geld und sie will sich nicht von Ada trennen. Und wenn die irgendwo in ein Heim abgeschoben wird, hat sie niemanden mehr. Die einfachsten Dinge bekommt Mrs. Willows ja noch hin und sie kann sich auch mit Demenz gut um Ada kümmern. Aber sie ist nicht mehr in der Lage, Einkäufe zu machen oder andere Sachen zu machen und die erledige ich dann, damit sie sich auf die Pflege ihrer Enkelin konzentrieren kann.“ „Schlimm so etwas“, sagte Frederica schließlich und betrachtete das Chaos im Wohnzimmer. „Offenbar versucht die alte Dame, den Verlust ihrer Familie und die Behinderung ihrer Enkelin damit zu kompensieren, indem sie Dinge sammelt. Und wahrscheinlich versucht Ezra etwas Ähnliches, nämlich indem er seine eigene Hilflosigkeit damit zu kompensieren versucht, indem er allen hilft, die nicht alleine klar kommen.“ „Meinst du das im Ernst?“ „Klar doch. Oder hast du es noch nicht gesehen?“ „Was fragst du so bescheuert?“ fragte Ezra, der ja davon ausgehen musste, dass Elion diese Frage an ihn gerichtet hatte. Denn da Fredericas Erscheinung nur eine Halluzination war, die sie im Verstand des Proxys projiziert hatte, konnte sie niemand außer Elion sehen oder hören. Der Grauhaarige schüttelte nur mit dem Kopf und erklärte hastig „Ich habe nur mit mir selbst geredet. Sag mal Ezra, wieso bist du überhaupt hier gelandet?“ „Weil das Geld für nichts anderes reicht und es immer noch besser ist, als auf der Straße zu leben. Man gewöhnt sich irgendwann einfach daran. Man gewöhnt sich an alles und dann ist es einem auch irgendwann egal…“ Der Schmerz war deutlich in seiner Stimme zu hören und Elion spürte auch stark, dass dem Jungen viel auf der Seele lastete. Am liebsten hätte er ihn darauf angesprochen, aber so wie er Ezra einschätzte, würde dieser sofort wieder abblocken. Er half ihm beim Aufräumen der Küche und schließlich, als das ganze schmutzige Geschirr gespült und weggeräumt war, führte Ezra ihn in ein Zimmer, welches nicht so chaotisch und verwahrlost war wie der Rest der Wohnung. Stattdessen sah es aus wie das Zimmer einer Teenagerin. Im Bett lag ein Mädchen von vielleicht 19 oder 20 Jahren mit verkrüppelten Beinen, das nur noch Laute von sich geben konnte und nicht mehr in der Lage war zu sprechen. Mrs. Willows saß an ihrem Bett, streichelte ihr den Kopf und sprach mit ihrer Enkelin. „Sieh mal, wer dich besuchen kommt. Elsa ist hier und sie hat ihren Freund mitgebracht.“ Das Mädchen drehte ihren Kopf ein wenig und man konnte sehen, dass ihre Augen leuchteten und sie sich freute. Elion schmerzte es sehr, dieses arme Mädchen in solch einer Verfassung zu sehen und er überlegte, ob er nicht vielleicht etwas tun könnte, um ihr zu helfen. „Elion, du solltest besser etwas vorsichtiger sein“, warnte ihn Frederica eindringlich. „Du weiß was passiert, wenn herauskommt, dass du über besondere Fähigkeiten verfügst. Sie werden dich wieder einsperren.“ Ja aber wenn ich nichts tue, dann wird dieses arme Mädchen doch für immer so bleiben. Und wenn schon die Großmutter kaum noch dazu imstande ist, ihr zu helfen, dann soll sie doch zumindest gesund werden. Er wandte sich an Ezra und fragte „Seit wann ist Ada behindert?“ „Das müssten zwei Jahre sein.“ Zwei Jahre also… Nun, das könnte ziemlich schwierig werden und wahrscheinlich werde ich gleich wieder Gehirnblutungen bekommen, aber ich will es wenigstens versuchen. „Wenn du willst, kann ich das für dich übernehmen“, bot Frederica überraschend an als sie merkte, dass sie ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen konnte. „Dann ist die Belastung für dich nicht so stark und du brauchst dich auch nicht mit ihr zu verbinden.“ Elion zog seine Handschuhe aus und ging zu Ada hin und beugte sich zu ihr herunter. Ezra sah das und runzelte die Stirn. „Was hast du vor?“ „Ich will ihr helfen“, erklärte der Grauhaarige und berührte vorsichtig die Schläfen des Mädchens. „Wenn ich ihren Körper um zwei Jahre zurücksetze, wird auch ihre Behinderung wieder verschwinden.“ „Das kannst du wirklich?“ „Ja, aber das könnte etwas schwierig werden. Ich will auch nicht zu viel versprechen. Aber so hätte das Mädchen doch wenigstens eine Zukunft und wenn sich Mrs. Willows nicht mehr um sie kümmern kann, dann soll sie doch wenigstens in der Lage sein, ein normales Leben zu führen. Lass es mich versuchen.“ Ezra beobachtete, wie Elion seine Stirn auf die des Mädchens legte und die Augen schloss. Einen Augenblick lang passierte nichts, dann aber schloss auch Ada ihre Augen und es sah aus, als würde sie einschlafen. Ihre Arme, die sie aufgrund der Spastik nicht bewegen konnte, sanken aufs Bett nieder und auch ihre Beine wirkten wieder völlig normal, als wäre es nie anders gewesen. Dann aber verlor Elion kurz die Kraft in den Beinen und sank erschöpft zu Boden. Sofort war der 18-jährige bei ihm und stützte ihn. „Hey, mach mir jetzt bloß nicht wieder schlapp, kapiert?“ Doch er sah, dass der Grauhaarige ziemlich erschöpft war und erst einmal sitzen bleiben musste. Nachdem er tief durchgeatmet und die Handschuhe wieder angezogen hatte, wischte sich Elion eine Haarsträhne aus dem Gesicht und erklärte „Ada wird ein oder zwei Tage durchschlafen, weil auch ihr Geist eine Zeit lang brauchen wird, um sich zu normalisieren und diese Veränderung anzunehmen. Danach sollte es ihr wieder deutlich besser gehen.“ Elion atmete schwer und sein Kopf dröhnte. Das Blut begann ihm im Kopf zu rauschen und ehe er sich versah, bekam er auch noch Nasenbluten. Ezra gab ihm ein Taschentuch und fragte „Packst du das?“ Etwas benommen nickte der grauhaarige Proxy und presste sich das Taschentuch gegen die Nase. „Ja, aber ich brauch eine Weile, bis ich wieder ganz auf die Beine komme…“ Nachdem Elion ein paar Male tief durchgeatmet und auch das Nasenbluten aufgehört hatte, stand er auf und wankte noch ein wenig. Er musste sich an der Wand abstützen und spürte, wie sein Kopf dröhnte und alles um ihn herum schien auf einmal zu wanken und schaukeln. Ezra stützte ihn und verabschiedete sich von Mrs. Willows, ohne ihr allzu viel zu erklären. Sie gingen hoch in die Wohnung zurück oder wollten es zumindest, denn da kam ihm auch schon ein stämmiger schwarzhaariger Mann südamerikanischer Abstammung entgegen, der offenbar auf dem Weg nach unten war. „Hey Emilio, wo willst du denn hin?“ fragte Ezra verwundert als er sah, wie gehetzt der Kerl war. „Ich mussen zur Pfandehaus. Ich haben hören, dass sie wieder kommen und ich nichts haben genug Geld hier.“ Damit stürmte der Mann die Treppen runter und nun beeilte sich Ezra umso mehr, Elion in die Wohnung zurückzubringen. „Scheiße, das hat mir noch gefehlt. Dabei waren sie doch erst Anfang der Woche da. Hoffentlich kommen die nicht zu mir rein.“ Schließlich hatten sie die Wohnung erreicht und als Ezra aufschloss, kam auch schon der Rottweiler herbeigetrottet, um sie zu begrüßen. „Jetzt geh schon weg, Archi!“ Der 18-jährige musste den Hund zur Seite drängen, weil der einfach stehen blieb und nicht die leisesten Anstalten machte, sich von der Stelle zu bewegen. „Echt, Archi ist zwar eine treue Seele, aber dumm wie ein Meter Feldweg. Na komm, ich muss dich erst mal verstecken, bevor die beiden noch schlimmstenfalls reinkommen. Ich hab denen schon am Montag das Schutzgeld gezahlt und die verlangen solche Summen, dass man das kaum bezahlen kann. Da du dich wohl kaum bewegen kannst, schließt du dich am besten im Bad ein, wenn du eh nicht in der Lage bist, über die Feuertreppe abzuhauen. Ich bring Archi auch gleich ins Bad, weil die sonst ziemlich gefährlich werden. Egal was auch passiert, du bleibst wo du bist, kapiert? Sobald du rauskommst und dich mit denen anlegst, endet alles im absoluten Desaster und wir sind geliefert. Also bleib im Bad, bis ich Entwarnung gebe. Komm unter keinen Umständen raus!“ „Okay. Und du kommst zurecht?“ „Frag nicht so dämlich. Natürlich komm ich mit denen klar.“ Damit brachte der 18-jährige ihn ins Bad und holte sogleich auch Archi herbei, der aufs Wort gehorchte. Ezra versuchte zwar, dem Hund einen Befehl zu geben, aber der hörte nicht und wollte seinem Herrchen wieder folgen, doch da schloss dieser die Tür hinter sich und Elion drehte den Schlüssel im Schloss, um abzuschließen. Danach zog er den Schlüssel heraus und schaute durchs Schlüsselloch um zu sehen, was sich im Flur abspielte. Er sah, dass Ezra unruhig war und machte sich Sorgen um seinen Retter. Wie gerne hätte er ihm geholfen. „Damit solltest du besser aufpassen“, warnte ihn Frederica, die ziemlich angeschlagen wirkte. „Du bist ohnehin nicht in Form und du könntest die Situation unnötig verschlimmern. Warte doch erst einmal ab was passieren wird. Es bringt auch nichts, sich so verrückt zu machen. Und außerdem darf man nicht vergessen, wie gefährlich die Mafia ist. Ezra hat da auch nicht ganz Unrecht, denn wenn man sich mit den Leuten anlegt, kann es schnell passieren, dass danach noch mehr Leute kommen und die sind noch viel gefährlicher. Glaub mir Elion, da musst du äußerst vorsichtig sein.“ Vielleicht hat Frederica ja Recht und ich sollte besser erst einmal abwarten. Womöglich haben wir ja auch Glück und diese Geldeintreiber lassen Ezra in Ruhe. Ein lautes Schlagen an der Tür ertönte und war so heftig, dass der Proxy schon glaubte, sie würde gleich aus den Angeln geschleudert werden. Eine laute Stimme von draußen rief „Hey Ezra, mach die Tür auf!“ und sie klang alles andere als freundlich. Verdammt, das mussten diese Schutzgelderpresser sein, die tatsächlich schon wieder auf der Matte standen, um zu kassieren. Aber wieso standen sie jetzt erneut vor der Tür, wenn sie doch schon diese Woche hier waren und Ezra sie gar nicht erwartet hatte? Elion musste wirklich mit sich kämpfen, um ruhig zu bleiben und abzuwarten, was passieren würde. Er hatte es Ezra versprochen und wenn es wirklich stimmte und die Situation noch schlimmstenfalls endgültig eskalieren könnte, dann war es gefährlich… Und er konnte nicht ganz so wirklich abschätzen, ob er gegen diese Kerle eine Chance hatte, wo er gerade sowieso schon so angeschlagen war, weil er so viel Kraft aufgewandt hatte, um Ada zu helfen. Blieb nur zu hoffen, dass Ezra wirklich Recht hatte und er mit diesen Kerlen auch fertig wurde. Denn Elion hatte bei der Sache überhaupt kein gutes Gefühl und er ahnte irgendwie, dass es noch richtig Ärger geben könnte. Kapitel 5: Gewalt ----------------- Es klopfte erneut heftig an der Tür und der 18-jährige eilte sogleich hin, um sie zu öffnen. Kaum, dass die Tür einen Spalt breit offen war, wurde sie regelrecht aufgestoßen. Zwei Männer von knapp 30 bis 35 Jahren kamen herein, die ihn zurückdrängten und einen nicht gerade freundlich gesinnten Eindruck machten. Einer war ein muskulöser und glatzköpfiger Riese mit diversen Tätowierungen und Piercings im Gesicht. Er trug eine Lederweste und sah aus, als würde er einer Rockergang angehören. Sein Begleiter sah aus, als hätte er vielleicht südamerikanische Wurzeln, hatte sein schwarzes Haar zurückgekämmt und war Bartträger. Er wirkte irgendwie wie ein mexikanischer Verbrecher aus einem Film. Ezra wirkte im Gegensatz zu den beiden ziemlich mickrig, klein und schwächlich. Nie im Leben konnte er es mit den beiden aufnehmen und das wusste er mit Sicherheit auch. Dennoch zeigte er nicht die geringste Spur von Angst oder Schwäche. Er richtete sich zu seiner ganzen (wenn auch sehr bescheidenen) Größe auf und sah die beiden Männer fest an. Wild entschlossen, um jeden Preis stark zu bleiben und keinen einzigen Moment ängstlich, eingeschüchtert oder schwach zu wirken. Doch obwohl er so stark und entschlossen wirkte, so führten sein sehr zierlicher und androgyner Körperbau sowie sein mädchenhaftes Aussehen und seine Größe von gerade mal 1,55m nicht gerade dazu, dass der Eindruck gestärkt wurde. Mit einem feindseligen Blick schaute er die beiden an und fragte „Was wollt ihr schon wieder hier? Ich hab euch doch schon das Geld für diese Woche gegeben.“ „Das schon“, sagte der tätowierte Glatzkopf und kam näher, wobei er Ezra langsam zurückdrängte, bis dieser mit dem Rücken zur Wand stand. „Aber der Boss hat eben bald Geburtstag und da solltest du dich geehrt fühlen, diese kleine Bonuszahlung für ihn entrichten zu dürfen. Es wird ein großes Geburtstagsgeschenk und deshalb solltest du beten, dass du die 300 Mäuse hast.“ 300$ pro Woche? Das waren ja 1.200$ pro Monat. Wie um alles in der Welt sollte Ezra das alles aufbringen, wenn er auch noch die Wohnung bezahlen musste? „Ich habe nur 150$“, erwiderte der 18-jährige und holte aus seiner Hosentasche ein paar zerknitterte Scheine hervor, doch sogleich wurde er gepackt und gegen die Wand gestoßen, dann rammte der Glatzkopf ihm sein Knie in die Magengrube und packte ihn anschließend an den Haaren. „Willst du mich verscheißern, du kleine Ratte? Soweit ich weiß, hattest du gestern einen ziemlich spendablen Kunden gehabt, der dich ordentlich rangenommen hat. Und bei dem hübschen Gesichtchen kann ich mir gut vorstellen, dass es eine Menge Leute gibt, die dafür zahlen, dich mal richtig durchzuficken.“ Ezra wehrte sich nicht und als er am Kragen gepackt und von den Füßen gerissen wurde, leistete er keinerlei Widerstand. „Ich musste ein paar Schulden zurückzahlen. Ich hab mir Geld geborgt, um auch die Zahlung für Mrs. Willows und Ada zu leisten.“ Der tätowierte Riese packte ihn etwas grob im Gesicht und betrachtete ihn. Der Mexikaner lachte. „Was können wir denn dafür, wenn du zu dumm bist, um mit Geld umzugehen? Und außerdem haben wir schon letztens ein Auge zugedrückt, weil wir so großzügig waren und dich deine ganzen Schulden haben beim Boss ableisten lassen.“ „Es ist die Wahrheit“, beteuerte Ezra und sah die beiden immer noch fest an. „Ich habe diese Woche nur noch 150$. Ich zahl den Rest, wenn ich Ende der Woche meinen Lohn kriege.“ Hier wurde er wieder heruntergelassen und der Glatzkopf tätschelte ihm mit einem höhnischen Lachen den Kopf, als hätte er ein Kind von sich. „Nun, unser kleiner Ezra ist schon ein lieber Junge, nicht wahr, Ramon? Zahlt sogar für diese durchgeknallte Oma und ihre Spasti-Enkelin das Geld und macht nur noch Schulden. Dabei hat er schon so extravagante und großzügige Kundschaft. Sag schon Ezra, wie viele Schwänze hat dein Arsch schon gesehen? Was durften deine Kunden denn so Hübsches mit dir machen? Ich hoffe sie haben dich ordentlich zugeritten, um dir endlich mal beizubringen, wo dein Platz in dieser Welt ist. Hm, ich kann mir schon denken, was die alles mit dir angestellt haben. Du bist sehr beliebt auf dem Strich, weil du so jung aussiehst.“ Damit wanderte seine Hand zwischen Ezras Beine und er grinste ihn lüstern an. Der 18-jährige sagte nichts und wandte den Blick ab, wehrte sich aber nicht. Man sah ihm aber an, dass es ihm mehr als unangenehm war und er sich am liebsten gewehrt hätte. „Hey Tyson, was hast du vor?“ „Na was denn wohl?“ fragte der Tätowierte und packte Ezra grob am Kiefer, um sein Gesicht zu sehen. „Wenn er die Kohle nicht hat, muss er es eben anders zurückzahlen. Und soweit ich weiß, ist unser kleiner Ezra sowieso jemand, der für Geld so ziemlich alles macht. Ist es nicht so, Ezra? Soweit ich weiß, bist du recht billig und eine ganz schön versaute kleine Schlampe. Der lässt Sachen mit sich machen, von dem anderen nur schlecht wird und ich sag dir: er ist wirklich eine Schlampe. Von wie vielen Typen lässt du dich eigentlich täglich durchficken, hä? Sollst ja eine richtig notgeile kleine Nutte sein.“ Immer noch sagte Ezra nichts und presste die Zähne zusammen, seine Hände ballten sich zu Fäusten, während sich sein ganzer Körper anspannte. Schließlich packte Tyson ihn im Genick und was der vorhatte, ließ sich leicht erkennen. „Der Boss selbst lässt auch nach dir fragen. Er will dich als besonderes Geburtstagsgeschenk haben und er ist auch bereit, einen Teil der Schulden zu erlassen, die dein Vater noch hatte. Du weißt ja, dass du bei ihm ganz schön in der Kreide stehst und der Boss mag es nicht, wenn jemand ihm Geld schuldet. Aber vorher musst du noch für das Geld aufkommen, was du uns schuldest. Und da das einzige, was du gut kannst wäre, dich durchficken zu lassen, könntest du so den Rest des Geldes abarbeiten. Soweit ich weiß, lässt du wirklich alles mit dir machen, nur für ein paar Mäuse. Was ist Ramon, willst du auch mal ran?“ „Scheiße Mann, ich bin doch keine Schwuchtel“, rief der Mexikaner und schüttelte den Kopf. Doch Tyson hatte schon seine Entscheidung gefällt und griff Ezra wieder zwischen die Beine, wobei er dieses Mal deutlich direkter ranging als vorhin noch. „Der sieht doch eh wie ein Mädchen aus. Und glaub mir, der geht total ab, wenn man ihn auch noch ordentlich verdrischt. Der steht richtig auf Schmerzen, ist es nicht so, du kleine Schlampe?“ Und damit schlug Tyson Ezra direkt ins Gesicht, woraufhin der 18-jährige zu Boden fiel. Sogleich drückte der Mafioso seinen Fuß zwischen Ezras Beine und sah mit Genugtuung auf sein Opfer herab. „Glaub mir, der treibt es mit jedem, wenn der fünf Mäuse springen lässt. Ist es nicht so, dass du dich von deinem Onkel hast ficken lassen für eine Schachtel Zigaretten?“ Als Ramon das hörte, musste sogar er lachen. „Oh Mann, das ist wirklich die Härte.“ Schließlich zerrte er den 18-jährigen an den Haaren hoch und musterte nun auch ihn genauer. „Nun, er hat wirklich ein niedliches Gesicht. Also gut Ezra, dann zeig doch mal, wie gut du im Bett bist.“ Hierbei holte er ein Messer hervor und drückte es dem Wehrlosen gegen die Halsschlagader. „Aber wenn du irgendein krummes Ding wagen solltest, dann mach ich wirklich ein Mädchen aus dir. Verstanden?“ „Ja“, sagte Ezra und so nahm Ramon wieder die Klinge weg und steckte das Messer wieder ein. „So ist es brav.“ Damit wandte sich der 18-jährige um und ging in Richtung seines Zimmers. Elion, der das alles durchs Schlüsselloch verfolgt hatte, stand auf und wollte sofort das Bad verlassen und dazwischen gehen, doch da hielt Frederica ihn ab. „Nein, nicht! Du bist nicht in der Verfassung zu kämpfen und wenn du ohnehin nicht gegen die beiden gewinnen kannst, bringst du Ezra in nur noch größere Gefahr.“ „Aber wenn ich nichts tue, dann werden sie ihn…“ „Ich weiß“, unterbrach sie und man sah ihr an, dass es auch für sie hart war. Aber leider waren ihnen die Hände gebunden. Elion war momentan nicht in der Lage, mit den beiden fertig zu werden und die Gefahr war viel zu groß, dass Ezra noch in akute Lebensgefahr geraten könnte. Und als er nach einer Zeit lautes Stöhnen aus Ezras Zimmer hörte, hielt er sich die Ohren zu und versuchte nicht daran zu denken, was diese Schweine da mit ihm machten. Er saß auf dem Boden des Bades und harrte stillschweigend aus. Er wartete lange Zeit, bis er hörte, wie eine Tür zugeknallt wurde und als er durchs Schlüsselloch schaute sah er, dass Ezra die Wohnungstür geschlossen hatte. Er schien nun allein zu sein. Elion schloss die Tür auf und eilte raus auf den Flur und sah, in welch schlechter Verfassung der 18-jährige war. Blut lief seine Beine hinunter, seine Lippen waren kreidebleich und sein zerzaustes Haar fiel über seinen nackten Körper. Und nun sah auch Elion auch den Grund, warum Ezra nicht gewollt hatte, dass man ihn so sah. An seinem linken Arm hatte er mehrere dunkle Flecken die aussahen wie alte Brandnarben, als hätte jemand auf seinem Arm Zigaretten ausgedrückt. Auf seinem Rücken zeichneten sich Narben von Striemen ab, als wäre er ausgepeitscht worden und auch auf seiner Brust und an seinem Bauchnabel fanden sich alte Narben, die von schwerer Misshandlung zeugten. Ezra sah wirklich schlimm aus und diese Mistkerle hatten ihn übel zugerichtet. Sein Gesicht und seine untere Hälfte waren schmutzig und Elion fühlte sich furchtbar, ihn so zu sehen. Behutsam legte er einen Arm um ihn und brachte ihn ins Bad. „Schaffst du es, alleine zu duschen?“ Keine Antwort. Ezra sah ihn nicht an und ging alleine weiter. „Ich hol dir schon mal ein paar Sachen.“ Elion ging in Ezras Zimmer und fand das Bett zerwühlt und ebenfalls beschmutzt vor. Allein dieser Anblick erinnerte ihn selbst an diese Zeit, wo er von Dr. Brown und den Angestellten und Wachmännern regelmäßig vergewaltigt worden war als Maßnahme dafür, um ihm die Menschlichkeit und damit auch sein gutes Herz auszutreiben. Er wusste, wie schlimm und wie unsagbar schmerzhaft und grausam das war. Und deshalb war es ihm ein Rätsel, wieso Ezra das mit sich machen ließ. Immerhin konnte er doch weglaufen und sich ein neues Zuhause suchen. Elion hatte damals nicht die Mittel dazu gehabt, weil er im Institut eingesperrt worden war und er niemanden töten wollte. Wieso nur war Ezra so unvernünftig und ließ das mit sich machen? „Na weil er in seinem Kopf gefangen ist“, erklärte Frederica. „Er ist so gefangen in seiner eigenen Welt und dem Gedanken, ganz alleine klar kommen zu müssen, dass er einfach nicht dazu in der Lage ist. Er sieht für sich selbst keinen Ausweg.“ „Dann will ich ihm helfen, da rauszukommen. Es kann doch nicht sein, dass er immer wieder so etwas freiwillig durchmacht, nur weil er denkt, er hätte keine andere Möglichkeit.“ Elion holte Ezras Sachen und brachte sie ins Bad. Im Anschluss ging er zurück ins Zimmer und machte sich sofort daran, die Bettwäsche zu wechseln. „Es muss doch einen Weg geben, wie ich ihm helfen kann.“ „Und wie willst du das anstellen?“ „Das weiß ich ehrlich gesagt noch nicht wirklich. Ich kenne mich in dieser Welt nicht aus und ich weiß auch nicht, wohin ich gehen sollte in dieser Situation. Aber vielleicht kennt Mum ja eine Möglichkeit. Ich meine, ich könnte mit Ezra zu ihr gehen und sie bitten, ihm zu helfen. Hauptsache, er kommt endlich von hier weg.“ „Glaubst du, das ist so einfach?“ fragte Frederica, die schon diese problematische Situation durchschaut hatte, wieso Ezra noch nicht schon längst abgehauen war. „Hast du gehört, was diese beiden Typen gesagt haben? Ezra zahlt nicht nur für sich selbst Schutzgeld, sondern auch für Mrs. Willows und ihre Enkelin. Wahrscheinlich ist er deshalb nicht von hier fortgegangen, weil er weiß, dass die beiden in große Gefahr geraten, wenn er sich nicht um sie kümmert.“ „Das ist ja auch schlimm, aber Ezra muss doch auch an sich selbst denken und erkennen, dass das, was er tut, doch eigentlich komplett falsch ist. Er lässt sich so schlimm zurichten und muss solche Schmerzen ertragen. Ganz zu schweigen davon wie er sich fühlen muss, dass er das mit sich machen lässt. Glaub mir, ich kenne das selbst und ich will nicht, dass das irgendjemand anderes erleiden muss. Ich will ihn vor diesen Mistkerlen schützen!“ Elion seufzte niedergeschlagen und senkte den Blick. Was war das nur für eine Welt, in der er jetzt lebte? Ezra musste Schutzgeld an irgendwelche schmierigen Mafiosi zahlen, musste dann auch noch Mrs. Willows unterstützen und ging neben seiner Arbeit im Supermarkt auf den Strich und verkaufte seinen Körper, um irgendwie über die Runden zu kommen. Das war doch kein Leben! Elion war schon immer einer von der sanften und mitfühlenden Sorte gewesen und konnte einfach nicht ertragen, wenn jemand wie Ezra so etwas durchmachen musste. Er wollte ihm so gerne helfen, aus diesem Elend herauszukommen, denn so viel stand fest: lange würde Ezra in dieser Welt nicht überleben, egal wie viel und wie hart er auch kämpfte. Irgendwann würde er zusammenbrechen und dann nie wieder auf die Beine kommen. Und bevor das passierte, wollte Elion einen Weg finden, um ihm zu helfen. „Kann es sein, dass du in diesem Jungen dich selbst siehst?“ fragte das Albinomädchen und sah ihn prüfend an, während sie auf dem Bürostuhl saß. Elion schwieg einen Moment und dachte nach. „Ein Stück weit. Ich meine, ich war auch in derselben Lage und ich habe es auch geschafft, da rauszukommen. Und… ich denke einfach, dass er etwas Besseres verdient hat. Er ist ein guter Mensch und er sollte so etwas nicht machen.“ „Magst du ihn sehr?“ Auf diese Frage konnte Elion keine direkte Antwort geben. Zugegeben, er hegte große Beschützerinstinkte für den Jungen und er war ihm auch unendlich dankbar dafür, dass er hier bleiben durfte. Aber ob er ihn auf diese spezielle Art und Weise gern hatte, das wusste er selbst nicht genau. Vor allem wusste er nicht, wie man so etwas überhaupt merkte. „Ich weiß es nicht wirklich. Aber selbst wenn es nicht so wäre, würde ich ihm trotzdem helfen. Selbst auf das Risiko hin, dass er mich hasst und vor die Tür setzt.“ „Schön und gut, aber ein Problem hast du: wie willst du ihn vor diesen Kerlen beschützen, wenn du doch niemandem wehtun willst, ganz egal wer es ist? Du hast nie gekämpft und jegliche Form der Gewalt vermieden, es sei denn, du konntest keinen Widerstand mehr leisten. Und wenn du niemanden verletzen willst, wie willst du Ezra vor diesen Leuten verteidigen?“ Elion seufzte niedergeschlagen und begann nun, das Bett neu zu beziehen. „Kann man denn nicht ein einziges Mal etwas ohne Gewalt lösen? Muss man sich denn unbedingt gegenseitig zusammenschlagen oder töten?“ „Manche Leute kennen einfach nichts anderes, Elion. Das ist leider die grausame Wahrheit. Glaub mir, ich wollte auch nie einen Menschen töten, aber… irgendwann ist einfach die Grenze erreicht, wo man keine Gnade mehr walten lassen kann. Und dann beginnt man auch mit Gewalt zu antworten. Nastasja sagte mir damals, dass es zwei Formen von Gewalt gäbe: destruktive und konstruktive Gewalt. Destruktive Gewalt ist nur dazu da, um andere Menschen zu unterdrücken, ihnen zu schaden und sie zu töten. Aber es gibt auch konstruktive Gewalt. Nämlich jene, die man anwendet, damit beide Seiten stärker werden, oder aber wenn man sich selbst bzw. jemand anderen beschützen will. Verstehst du das? Selbst das Rechtssystem der Menschen sieht vor, dass man Gewalt anwenden darf, um sein Leben oder das eines anderen zu verteidigen. Das nennt man Notwehr. Du hast das Recht, dich selbst oder andere zu schützen.“ „Aber es ändert nichts daran, dass man Gewalt anwendet.“ „Das Leben ist nun mal leider so, Elion. Deine Gedanken sind zwar löblich, aber sie sind auch absolut utopisch. Es kann keine rein gewaltlose Welt geben. Gewalt wird immer da sein und nicht jeder ist ein Pazifist so wie du. Manche wollen Gewalt, weil sie somit Macht über andere ausüben. Und wenn du dich nicht dagegen zur Wehr setzt, dann wirst du niemanden schützen können. Weder Ezra, noch dich selbst. Ich weiß, dass das hart und grausam ist, aber die Realität ist nun mal so. Wir können uns das nicht aussuchen, wir werden einfach hineingedrängt und müssen sehen, dass wir zumindest die beschützen können, die uns wichtig sind.“ Elion fühlte sich nach Fredericas Worten vollkommen demotiviert, hilflos und niedergeschlagen. Er hatte immer gedacht, dass wenigstens sie seine Ansichten teilen würde, dass man niemals Gewalt anwenden sollte, egal unter welchen Umständen. Doch auch sie schien der Meinung zu sein, dass Gewalt notwendig sei. Und das konnte und wollte er nicht akzeptieren. „Ist es denn so falsch, in einer gewaltfreien Welt leben zu wollen, wo Menschen wie du und Ezra ganz normal leben können, ohne Angst haben zu müssen?“ „Das habe ich nicht gesagt!“ „Aber es hört sich so an. Ich will niemandem wehtun. All die Jahre haben sie mich gefoltert, vergewaltigt und getötet, weil ich daran geglaubt habe, dass meine Ansichten richtig sind und dass jede Form von Gewalt falsch ist. Und jetzt sagst du mir auf einmal, es ist in manchen Situationen richtig, Gewalt anzuwenden. Wo ist da die Logik? Sag mir das mal, Frederica!“ „Ich habe nicht gesagt, dass Gewalt richtig ist. Das ist sie nie, aber es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen richtig und notwendig. Manchmal ist Gewalt notwendig, weil man dadurch auch Leben retten kann. Aber das heißt noch lange nicht, dass sie auch richtig ist!“ Elion wollte wieder zum Reden ansetzen, da kam Ezra herein und stützte sich am Türrahmen ab. Sein Blick wirkte ein wenig leer und er war immer noch kreidebleich im Gesicht. „Ezra, seit wann stehst du…“ „Mit wem redest du da?“ unterbrach der 18-jährige ihn und ging etwas wankend zu seinem Bett hin, auf welches er sich schließlich bäuchlings fallen ließ. Elion schnappte sich den Bürostuhl und setzte sich zu ihm hin. „Nun, ich habe eine andere Seele in meinem Körper und diese kommuniziert mit mir. Es ist eine alte Freundin von mir, die gestorben ist. Ich habe ihre Seele in meinem Körper aufgenommen, um sie wiederzubeleben und seit ich hier aufgewacht bin, sehe ich sie vor mir und wir unterhalten uns.“ „Ist sie auch so wie du?“ „Nicht direkt. Sie hatte schon vorher diese Fähigkeiten, bevor sie ins Institut verschleppt wurde und sie hat unter anderem einen guten Freund von mir zur Flucht verholfen, der ebenfalls dort gefangen gehalten wurde. Aber sag Ezra, brauchst du noch irgendetwas?“ Der Junge antwortete nicht, sondern blieb liegen und wirkte ziemlich fertig. Wenn der Proxy es nicht besser gewusst hätte, dann würde er fast davon ausgehen, dass Ezra kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Doch das ließ dieser nicht zu und blieb stark. „Weißt du Ezra, als du mich aus dem Fluss gezogen hast, da musste ich eine Entscheidung treffen. Ich konnte mich für das Leben entscheiden, indem ich meine Kraft behielt, oder aber indem ich einfach aufgebe und sterbe. Ich habe mich für das Leben entschieden, weil du mich retten wolltest. Obwohl ich ein Monster bin und ich nichts als Hass und Ablehnung erfahren habe, hast du um mein Leben gekämpft und das hat mir den Anstoß dazu gegeben, meinem Leben noch mal eine Chance zu geben. Dir habe ich es zu verdanken, dass ich nicht aufgegeben habe und deshalb möchte ich nun dir helfen, verstehst du?“ Ezra hob den Blick und sah ihn an. Immer noch war er kreidebleich im Gesicht und seine Lippen hatten so gut wie keine Farbe. Er holte aus der Schublade seines Nachtschränkchens das Döschen mit den Eisenpräparaten und nahm gleich zwei davon ein. Eine Weile sagte er nichts und wirkte nun nicht mehr so abweisend, gereizt und mürrisch wie sonst, sondern irgendwie viel verletzlicher. „Du bist echt ein absoluter Vollidiot“, sagte er schließlich und legte das Döschen wieder zurück. „Ich hab noch nie so einen Traumtänzer getroffen, der so krampfhaft einen auf heile Welt machen will wie du. Ernsthaft, es ist mir echt ein Rätsel. Obwohl du doch selbst ständig so scheiße behandelt worden bist, denkst du immer noch, dass sich alle Probleme lösen, wenn man keine Gewalt anwendet. Sag ehrlich, findest du das nicht auch irgendwie ziemlich lächerlich?“ „Ist es denn falsch, keine Gewalt anwenden zu wollen?“ „Wach doch endlich mal auf!“ rief Ezra und setzte sich auf, was sich aber nicht als sonderlich gute Idee erwies, da er fürchterliche Schmerzen in seiner unteren Körperhälfte hatte. „Die Menschen sind doch allesamt verlogen, habgierig und brutal. Denen macht es Spaß, die Schwächeren niederzumachen und auszunutzen. Und wenn sie keine Verwendung mehr für dich haben, dann werfen sie dich einfach weg und lassen dich in der Gosse zurück. Die Welt ist kein rosarotes Regenbogenparadies, wie du es dir vielleicht vorstellst. Sie ist kalt, grausam und man überlebt nur, wenn man alleine ist und keine Rücksicht auf andere nimmt. Wenn du das nicht kapierst, dann landest du irgendwann wieder dort, wo du keinen Weg mehr nach draußen findest. Also wach besser aus deinem Wunschtraum von einer heilen Welt wieder auf und werde endlich erwachsen.“ Elion sagte nichts dazu und betrachtete den 18-jährigen nachdenklich. Dann fragte er nach einer Weile „Was hat dich dazu gebracht, so etwas zu denken?“ „Weil ich es jeden Tag miterlebe, schon seit damals. Es hat sich doch eh nie jemand für mich interessiert und mich haben sie auch einfach weggeworfen, weil ich ihnen zu lästig geworden bin!“ „Sprichst du von deinen Eltern?“ Ezras Gesicht verfinsterte sich zusehends und man merkte deutlich, dass dieses Thema ein absolut rotes Tuch für ihn war. Dann aber wandte er seinen Blick ab und fragte „Was interessiert dich das denn schon?“ „Na weil ich dich verstehen will, Ezra. Ich weiß selbst wie schlimm es ist, so gequält, herumgeschubst und niedergemacht zu werden. Es verging fast kein Tag, wo sie mich nicht zusammengeschlagen, aufgeschlitzt oder vergewaltigt haben. Manchmal haben sie mich geschlagen und mit dem Messer auf mich eingestochen, noch während sie sich an mir vergangen haben. Ich habe das mehr als 25 Jahre ertragen und kenne eigentlich kaum etwas anderes. Deshalb kann ich auch verstehen, wie sehr du gelitten haben musst.“ Ezra schwieg und sein Blick nahm wieder an Härte ab. Stattdessen wirkte er nachdenklich so als überlegte er, ob er sein Geheimnis offenbaren sollte. „Woher soll ich wissen, dass du mich nicht verarschst?“ „Weil ich keinen Grund dazu habe.“ „Pah. Und wenn ich dir alles erzähle, wirst du doch sowieso abhauen und mich für das Letzte halten!“ „Werde ich nicht.“ „Ach ja? Selbst wenn ich dir erzähle, dass ich schon zwei Mal vorbestraft bin und meinen eigenen Vater mit einem Küchenmesser abgestochen habe?“ Kapitel 6: Schlimme Erinnerungen -------------------------------- Kaum, dass Ezra Elion dies gesagt hatte, schmiss er ihn hochkant aus dem Zimmer und schloss die Tür ab. Elion bekam gar nicht die Chance dazu, näher nachzufragen und höchstwahrscheinlich wollte der verletzte 18-jährige das auch nicht. Nun stand der Proxy vor der Tür und wusste nicht, was er sagen sollte. Ezra war vorbestraft und hatte seinen Vater getötet? Aber wieso hatte er das getan und warum erzählte er das? Er klopfte an die Tür. „Ezra, mach bitte auf. Können wir nicht in Ruhe miteinander reden?“ „Hau ab!“ kam es von drinnen, aber der Proxy bewegte sich nicht von der Stelle. „Warum gibst du mir nicht die Chance, es wenigstens zu verstehen?“ „Da gibt es nichts zu verstehen und jetzt lass mich in Ruhe.“ So langsam war sich Elion nicht mehr sicher, was dieses Verhalten bedeuten sollte. Warum nur warf Ezra ihn so plötzlich aus dem Zimmer und schloss die Tür ab, nachdem er ihm sein Geheimnis offenbart hatte? Fragend wandte er sich an Frederica. „Weißt du, was das zu bedeuten hat?“ Das Albinomädchen verschränkte die Arme und neigte ein wenig den Kopf zur Seite, dann erklärte sie „Wahrscheinlich hat er sich völlig in den Gedanken festgefahren, dass jeder ihn irgendwann enttäuschen und im Stich lassen wird, deshalb schottet er sich komplett in seiner eigenen Welt ab.“ „Aber das kann ihn doch auch nicht glücklich machen.“ „Glücklich nicht, aber so kann er sich selbst schützen.“ Elion lehnte seinen Kopf an die Tür und senkte den Blick. „Ezra, ich bleibe hier und warte, bis du die Tür aufmachst. Ich lasse dich nicht im Stich und ich gehe auch nicht fort.“ Es kam keine Antwort und so setzte er sich auf den Boden und wartete geduldig. Er wartete eine gefühlte Ewigkeit und erst als es draußen dunkel wurde, da öffnete sich die Tür und Ezra kam heraus. Und er war ziemlich verwirrt, als er Elion da sitzen sah. „Was machst du hier?“ Der Proxy, der fast schon eingeschlafen war, schreckte hoch und bemerkte, dass es schon komplett dunkel war. Müde rieb er sich die Augen und erklärte „Ich habe doch gesagt, dass ich warten werde.“ Der 18-jährige schüttelte den Kopf und konnte nicht glauben, dass der Kerl wirklich so bescheuert war und wie ein Hündchen da einfach so wartete. Das war doch mehr als erbärmlich. „Hast du keine anderen Hobbys?“ „Ich habe dir gesagt, dass ich warten werde und ich halte mein Versprechen.“ Ezra konnte das einfach nicht verstehen und fragte sich so langsam, was bei Elion wohl kaputt war. Der gab wohl niemals auf. Nicht nur, dass er stets und ständig nur am Helfen war und immer von einer gewaltfreien Welt redete wie ein Hippie, er gab auch einfach nicht auf. Wieso kann der mich nicht einfach in Ruhe lassen, wenn ihn das alles doch sowieso nicht angeht? Er hat doch gehört, was ich getan habe. Spätestens da hätte er doch abhauen müssen, weil niemand mit einem Mörder zusammenleben will. Der hat sie doch nicht mehr alle. „Wieso gibst du nicht endlich auf?“ „Weil ich dir helfen will, genauso wie du mir geholfen hast.“ „Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich dich im Wasser gelassen, verdammt. Lass mich gefälligst in Ruhe und kümmere dich um deine eigenen Sachen!“ Der Typ macht aber auch nur Ärger, dachte Ezra und atmete genervt aus. Langsam hab ich echt das Gefühl, der hat einen Dachschaden und zwar einen ganz gewaltigen. Wieso nur hört er nicht endlich auf und lässt mich in Ruhe, nachdem ich ihm schon hunderttausend Mal erklärt habe, dass ich keine Hilfe brauche? Und selbst jetzt machte er einfach keine Anstalten zu verschwinden. Ernsthaft, der ist ja noch schlimmer als jede Klette. Oder hat er keine Angst vor mir, weil er sowieso wieder am nächsten Morgen aufstehen wird, wenn ich ihn töten würde? „Ernsthaft, wieso interessierst du dich so für mich, nachdem ich dir schon erzählt habe, was ich getan habe? Oder willst du unbedingt sterben?“ „Nein, das nicht. Aber ich will verstehen, wieso du das getan hast. Ich glaube einfach nicht, dass du ein schlechter Mensch bist.“ „Ach ja? Woher willst du das wissen?“ fragte Ezra und wurde wieder laut und gereizt. „Du kennst mich überhaupt nicht und weißt gar nichts über mich. Und jemand, der einen anderen Menschen umbringt, kann unmöglich ein guter Mensch sein.“ „Ezra, ich mag zwar nicht viel von der Welt verstehen, aber ich verfüge über ein sehr gutes Gespür, auch was den Charakter der Menschen betrifft. Ich kann spüren, dass du sehr verletzt worden bist und dass dein Verhalten daher rührt, weil du Angst hast. Glaub mir, ich erkenne Menschen sofort, die aus niederen Absichten töten und du bist keiner von denen. Diese zwei Typen, die dich gezwungen haben, mit denen zu schlafen, die sind schlechte Menschen und es macht ihnen Spaß, andere leiden zu lassen. Und zu denen gehörst du ganz sicher nicht. Dass du deinen Vater getötet hast, geschah sicherlich nicht grundlos. Denn ich hab schon gemerkt, dass du sehr empfindlich auf das Thema Eltern reagierst. Du wirst komplett abweisend und aggressiv, da muss ich doch davon ausgehen, dass du schlimme Erinnerungen an deine Eltern hast. Insbesondere, weil du so negativ über Eltern überhaupt redest.“ Ezra schwieg und verkrallte seine Hände in die Decke. Schließlich aber schaltete er einen CD-Spieler an, der neben seinem Bett stand und ein Lied ertönte. Elion sah ihn neugierig an, denn er hatte zwar alles über solche Geräte gelesen, sie aber noch nie gesehen. Und vor allem war es das erste Mal, dass er eine andere Musik als die von seiner Spieluhr hörte. Es war eine sehr schöne Melodie und so fragte er „Was ist das?“ „Send Me An Angel von den Scorpions, meine Lieblingsband. Ich hab sie schon als kleiner Junge gerne gehört. Eigentlich waren das auch die einzigen schönen Momente meiner Kindheit.“ „Erzählst du mir mehr?“ Ezra zog die Beine an und nahm eine fast schon kauernde Haltung ein. Er sagte eine Zeit lang überhaupt nichts, aber Elion blieb geduldig. Schließlich aber hatte der 18-jährige doch noch die Kraft gefunden und senkte den Blick, der von unendlicher Traurigkeit zeugte. „Meine Mutter habe ich nie kennen gelernt. Kurz nach meiner Geburt ist sie nach Frankreich ausgewandert, um eine berühmte Künstlerin zu werden. Nicht einmal Briefe habe ich je bekommen und sie kam auch nie zu Besuch. Mein Vater hat schließlich wieder geheiratet, nachdem er sich scheiden ließ. Also war die Frau, die mich aufgezogen hat, meine Stiefmutter. Tessa war eigentlich ganz okay und auch mein Vater war damals sehr liebevoll gewesen. Aber… das änderte sich, als ich fünf war und mein Vater anfing Drogen zu nehmen und uns zu verprügeln. Zuerst geschah es nur, wenn er sich mit Tessa gestritten hatte, aber dann fing er auch an, mich zu schlagen.“ „Warum seid ihr nicht zur Polizei gegangen?“ „Weil mein Vater ein verfickter Cop war!“ rief Ezra und schlug mit der Faust aufs Bett und man sah die unbändige Wut in seinen Augen. „Er war Cop und hat ständig irgendwelche Kriminellen eingebuchtet. Aber weil er Stress hatte, begann er uns zu verprügeln und da Cops eben zusammenhalten, hat man weder mir noch Tessa geglaubt und dann drohte er uns noch, uns umzubringen, wenn wir abhauen sollten. Also sind wir da geblieben. Schließlich wurde es noch viel schlimmer… Er… er begann Interesse zu entwickeln. An mir…“ Elion sah ihn fassungslos an und verstand, was Ezra damit sagen wollte. „Dein Vater hat dich angefasst?“ Ezra nickte und man sah ihm deutlich an, dass er damit schwer zu kämpfen hatte. „Am Anfang waren es nur harmlose Sachen. Er hat Fotos von mir gemacht und oft die Nähe zu mir gesucht. Ich hab mir zuerst nichts dabei gedacht, immerhin ist er ja mein Vater, aber als es immer schlimmer wurde und er immer direkter wurde, da wurde mir unwohl. Ich hab schließlich gesagt, dass ich das nicht will, aber da hat er mich wieder verprügelt. Und als Tessa mal nicht da war und er seinen freien Tag hatte, da hat er mich vergewaltigt. Es geschah immer häufiger und ich hab mich lange Zeit nicht getraut, es meiner Stiefmutter zu sagen. Und als ich den Mut aufgebracht habe, da sagte sie einfach, ich hätte es mir selbst zuzuschreiben, weil ich so ein Schwächling bin und mir gefälligst selbst helfen sollte. Also habe ich die Übergriffe meines Vaters ertragen und als Tessa schließlich an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist, hab ich mich um sie gekümmert. Sie starb aber recht schnell und da war ich zehn. Nach ihrem Tod begann mein Vater mit dem Glücksspiel und geriet dabei an die Mafia. Bei den illegalen Pokerrunden machte er immense Schulden, die er selbst mit seinem Gehalt unmöglich bezahlen konnte. Und als er auch noch wegen des Verdachts auf Drogenkonsum suspendiert wurde, da fehlte auch das letzte bisschen Geld. Und die Mafia hat ihm immer mehr Druck gemacht.“ „Was ist dann passiert?“ „Da mein Vater nichts mehr auf die Reihe gekriegt hat, schickte er mich auf die Straße zum Klauen. Ich hab den Leuten die Handys und Portemonnaies aus den Taschen geklaut und sie dann verkauft. Von dem Geld sollte mein Alter eigentlich seine Schulden bezahlen, aber stattdessen hat er sich neuen Stoff besorgt. Er hat sich Koks reingezogen. Und da die Schuldenberge langsam immer größer wurden, begann Jeffrey Parson, der Boss der Mafia, seine Schläger vorbeizuschicken. Die haben meinem Vater den Arm und den Kiefer gebrochen. Schließlich kam der dann auf die Idee, dass ich die Schulden abarbeiten könnte, indem ich mit diesen Typen schlafen würde. Er hat mich also quasi verkauft und das ging so, bis ich 14 Jahre alt war. Kurz nach meinem 14. Geburtstag haben mich die Bullen geschnappt, als ich dabei war, gestohlene Handys zu verkaufen. Ich hab Sozialstunden gekriegt und bekam auch drei Monate Knast aufgebrummt, weil ich mich bei der Verhaftung so gewehrt habe, dass ich einen der Cops verletzt habe. Als ich wieder draußen war, war mein Vater natürlich stinksauer, weil seine Einnahmequelle nicht da war. Er meinte, dass er mir eine Lektion erteilen müsse und er war auch komplett zugedröhnt. Daraufhin schleifte er mich ins Schlafzimmer und vergewaltigte mich stundenlang und prügelte mich so lang durch, bis ich fast das Bewusstsein verlor. Als er endlich fertig war, nahm er ein Messer und wollte mich umbringen, weil ihm eingefallen war, dass da noch eine Lebensversicherung auf meinem Namen abläuft. Damit könnte er einen Teil der Schulden bezahlen. Ich konnte mich wie durch ein Wunder irgendwie befreien und das Messer an mich bringen. Als er mich zu Boden rang und mich erwürgen wollte, habe ich es ihm in die Halsschlagader gerammt und er ist daraufhin gestorben. Ich bin im Krankenhaus wieder aufgewacht und kaum, dass ich wieder stehen konnte, kam ich wegen dringendem Mordverdacht in Untersuchungshaft. Der Staatsanwalt wollte mich am liebsten auf dem elektrischen Stuhl oder mit der Giftspritze im Arm sehen und sagte, ich hätte meinen Vater aus Rache getötet. Aber es konnte bewiesen werden, dass ich ihn aus Notwehr getötet habe, weil er mich sonst erwürgt hätte. Also wurde ich freigesprochen und weil meine Verwandten mich nicht haben wollten und meine leibliche Mutter nichts von sich hören ließ, kam ich in Pflegefamilien unter. Da hat es aber auch nie lange gehalten.“ „Wieso?“ „Ich war ihnen zu anstrengend. Mit einem Kind, das seinen eigenen Vater getötet hat, wollten sich kaum irgendwelche Leute herumärgern und ich könnte ja einen schlechten Einfluss ausüben. Außerdem sprach sich schnell rum, was sonst noch zuhause abgegangen war. In der Schule wurde ich gemobbt und war als Schlampe verschrieen, die sich von älteren Männern ficken lässt. Und auch die Nacktfotos, die mein Vater von mir gemacht hatte, gingen überall rum und das hab ich mir natürlich nicht gefallen lassen und daraufhin gab es mehrere Schlägereien. Ich flog von der Schule und meine erste Pflegefamilie wollte mich in eine Besserungsanstalt abschieben.“ Elion schwieg und hatte den Blick gesenkt. Das war wirklich schrecklich, was Ezra alles durchgemacht hatte. Aber so langsam verstand er auch, was es mit diesem feindseligen und einzelgängerischen Verhalten auf sich hatte und wieso der Junge keine Hilfe annehmen wollte. Er war einfach zu oft verraten, verletzt und enttäuscht worden, als dass er noch zu irgendjemandem Vertrauen fassen konnte. „Wie viele Pflegefamilien hattest du?“ „Insgesamt fünf und alle haben mich aufgegeben. Meine zweite war ein echter Alptraum gewesen. Beide waren Mitglied einer Sekte, der „Vereinigung der wahren Christen“ und wollten meine verdorbene Seele reinigen und mich erlösen, indem sie mich im Keller angekettet und gefoltert haben. Sie meinten, sie müssten meine kranken Triebe austreiben, indem sie mich exorzieren. Meine dritte Pflegefamilie hat mich sofort in ein Internat abschieben wollen, weil ich mich mit den Kindern nicht so gut verstanden habe und mir diese Schikanen auch nicht gefallen lassen wollte. Meine vierte Familie war eine Lehrerfamilie und als mein Pflegevater sich an mich rangemacht hat, wollte seine Frau mich loswerden, weil ich angeblich ihren Mann verführt hätte. Meine fünfte wollte mich gar nicht erst, weil sie der Meinung war, dass ich sowieso ein hoffnungsloser Fall wäre. Ein Kind, dass mit älteren Männern in die Kiste steigt, zwei Mal vorbestraft war und den eigenen Vater getötet hatte, wäre ohnehin total verkorkst. Außerdem hat mein Vater Drogen genommen, da war ich in deren Augen auch nur ein Junkie. Jemanden wie mich kann man einfach nur aufgeben, so haben die über mich gedacht. Da sie mich sowieso nicht haben wollten, bin ich abgehauen und habe auf der Straße gelebt, bis ich 18 Jahre alt war. Danach bin ich hierher gezogen, nachdem ich auf dem Strich genug Geld verdient hatte, um mir die Wohnung zu leisten. Dummerweise hat mich dieser Parson wiedergefunden und seitdem will er nicht nur das Schutzgeld kassieren, sondern auch, dass ich die restlichen Schulden meines Vaters abbezahle. Wenn ich Urlaub von meinem Job im Supermarkt bekomme, verbringe ich dann die meiste Zeit bei ihm, um die Schulden abzuarbeiten. Kannst dir ja denken wie… Ach ja, ganz vergessen: meine zweite Vorstrafe habe ich wegen Vandalismus. Als meine zweite Pflegefamilie damit begann, ihre bescheuerten Exorzistennummern an mir durchzuführen, bin ich nachts in deren Kirche eingebrochen und hab dort alles verwüstet und mit Graffitis vollgeschmiert. Bekam daraufhin Sozialstunden aufgebrummt. Du siehst also, ich bin wahrlich ein hoffnungsloser Fall und durch und durch verkorkst. Wirklich jeder hat mich aufgegeben und keiner wollte mich so wirklich haben. Deshalb hab ich beschlossen, ganz alleine klar zu kommen. Für die ganze Welt bin ich doch sowieso nur Abschaum.“ „Das stimmt nicht“, rief Elion und sogleich ergriff er Ezras Hand und hielt sie fest. Der 18-jährige war völlig überrumpelt und zuckte zuerst zusammen bei dieser plötzlichen Berührung und ehe er sich versah, schloss Elion ihn in seine Arme. „Für mich bist du kein Abschaum, Ezra. Was dir passiert ist, war wirklich schrecklich und wenn dich diese ganzen Pflegefamilien abgeschoben haben dann nur, weil sie sich nicht die Mühe gemacht haben, dich zu verstehen.“ Ezra sagte nichts und rührte sich auch nicht. Elion spürte deutlich, dass der Junge völlig überfordert war und nicht wusste, wie er das einordnen sollte. Wie denn auch, wenn er noch nie wirklich Liebe und Zuwendung erfahren hatte und von der ganzen Welt immer nur verraten und enttäuscht worden war? Da war es doch nur verständlich, wenn er nicht damit zurecht kam, dass er jetzt Verständnis erfuhr. Vor allem aber war es ihm ein Rätsel, dass Elion jetzt noch für ihn da war und ihn nicht verurteilte oder sich von ihm abwandte. Dabei hatte er ihn immer so schroff behandelt, ihn einen Freak genannt und ihm auch eine reingehauen. Er hatte ihn stets und ständig unmöglich behandelt und dennoch konnte er ihn nie loswerden. Selbst dann nicht, als er ihm erzählte, dass er seinen eigenen Vater getötet hatte. „Warum?“ fragte der 18-jährige schließlich und machte immer noch keine Anstalten, Elions Umarmung zu beenden oder zu erwidern. „Warum tust du das? Ich hab meinen Vater getötet, in einer Kirche randaliert, diverse Diebstähle begangen und ich schlaf mit wildfremden Männern für Geld!“ „Ich weiß…“ „Ich habe dich einen Freak genannt und dich geschlagen!“ „Ich weiß…“ „Hör verdammt noch mal auf damit, immer „Ich weiß…“ zu sagen. Verarsch mich nicht.“ „Das tue ich nicht. Aber ich weiß, dass du das nicht aus Bosheit getan hast. Du hast dich gegen deinen Vater gewehrt, weil er dich sonst umgebracht hätte. Die Diebstähle hast du allein deswegen begangen, weil du deinem Vater helfen wolltest und die Kirche hast du doch nur verunstaltet, weil du wütend und verzweifelt warst. Du bist kein Abschaum und du bist auch kein hoffnungsloser Fall.“ Einen Moment lang sah es so aus, als würde Ezra tatsächlich nachgeben und seine Umarmung erwidern, oder seinen Emotionen endlich freien Lauf lassen. Doch stattdessen stieß er ihn von sich und das mit solcher Kraft, dass Elion vom Bett fiel. Der Proxy sah, wie aufgewühlt und durcheinander der Junge war. „Ezra…“ „Nein, lass mich in Ruhe.“ Elion stand auf und erkannte die Angst in Ezras Augen. „Was hast du? Wovor hast du Angst?“ „Ich hab keine Angst!“ log der 18-jährige und versuchte seine aggressive und abweisende Seite wiederzufinden, durch welche er deutlich mutiger und selbstbewusster wirkte, als er in Wirklichkeit war. Es war ein Schutzmantel, den er sich zugelegt hatte, weil er nicht wollte, dass jemand sah, wie schwach er war. Allein schon durch sein Äußeres und seine Größe war er anderen unterlegen und sein Leben kannte nur zwei Wege: überleben oder zugrunde gehen. Er war fest entschlossen, alles zu tun um zu überleben. Und wenn es bedeutete, dass er das Schlimmste machen musste, was ihm widerfahren konnte. Und das war, auf den Strich zu gehen und mit irgendwelchen Perversen zu schlafen, nur um an Geld zu kommen und nicht auf der Straße leben zu müssen. All die Jahre war es gut gegangen, solange er mit der Gewissheit leben konnte, dass es niemanden auf der Welt gab, der sich einen Dreck um ihn scherte. Er war niemandem wichtig und niemand war ihm wichtig. Das war der beste Weg für ihn gewesen, um es irgendwie zu schaffen und durchzuhalten. Aber nun war da jemand in sein Leben getreten, der ihn so nahm wie er war und hinter diese Fassade blickte. Jemand, der sein wahres Ich erkannte. Und genau das machte ihm Angst. Er fühlte sich schwach und angreifbar und das durfte nicht sein. „Hör auf damit“, brachte er mit Mühe hervor, da er verhindern musste, dass seine Stimme zu zittern begann. „Hör einfach auf…“ Elion spürte einen schmerzhaften Stich in der Brust und es tat ihm weh, dass Ezra das gesagt hatte. Was hielt ihn nur davon ab, einfach mal darauf zu vertrauen, dass es jemanden auf der Welt gab, der ihn nicht für einen hoffnungslosen Fall oder einen verkorksten Bengel hielt, der kriminell war und sogar seinen eigenen Vater auf dem Gewissen hatte? „Ezra, was hast du?“ „Glaubst du etwa, ich durchschau dich nicht?“ rief der 18-jährige und wirkte vollkommen aufgebracht. „Das ist doch nur eine Masche von dir, weil du mich auch ins Bett kriegen willst. Ist es das, was du willst, hä? Na komm schon, wenn es das ist was du willst, dann bitte sehr!“ Ezra begann schon damit, seinen Pyjama auszuziehen, doch da ergriff Elion seine Hand, um ihn davon abzuhalten. „Was soll das? Das ist es doch was du willst, oder? Du willst doch nur mit mir ins Bett und sonst nichts. Ihr seid doch allesamt gleich!“ Er wehrte sich heftig, doch Elion hielt ihn fest und nahm ihn wieder in den Arm. „Nein Ezra, ich will so etwas nicht. Ich will dir nicht wehtun.“ Und damit begann Elion zu singen. Er sang ihm das Lied, welches Nastasja ihm immer vorgesungen hatte, wenn es ihm schlecht ging und er geweint hatte. Es hatte immer eine so wunderbar beruhigende Wirkung auf ihn. Er kannte es auswendig und beherrschte es perfekt. Und tatsächlich spürte er, wie sich Ezra langsam beruhigte. Als er das Lied zu Ende gesungen hatte, legte er Ezra ins Bett, deckte ihn zu und holte aus seiner Tasche schließlich die kleine Spieluhr hervor. Jene, die immer Tears in Heaven spielte. „Mum hat mir damals diese Spieluhr geschenkt, damit ich wenigstens etwas während dieser einsamen und grausamen Zeit hatte, was mich trösten konnte. Ich denke, dass du sie jetzt mehr brauchst als ich. Ruh dich erst einmal aus, Ezra. Morgen können wir weiterreden, wenn es dir besser geht.“ Damit erhob er sich und verließ das Zimmer. Ezra sagte nichts, nicht einmal „danke“ oder so. Aber das machte nichts. Elion wusste, dass der Junge eine Zeit lang brauchen würde, um das alles erst mal zu verarbeiten. Er war schon froh genug, dass er endlich die ganze Wahrheit erfahren hatte. Kapitel 7: Ein kleines Gespräch ------------------------------- Am nächsten Tag wachte Elion erst gegen Mittag auf, als Archi gerade dabei war, ihm das Gesicht abzulecken. Er hörte Schritte und als er sich aufsetzte bemerkte er, dass Ezra gerade dabei war, das Essen zu machen. „Hast wirklich Recht, dich weckt anscheinend gar nichts auf. Komme gerade erst von der Arbeit wieder und du bist immer noch am pennen.“ Müde rieb sich Elion die Augen und brauchte einen Moment um wach zu werden. Er hatte bis zum Mittag geschlafen? Nun ja, eigentlich auch kein Wunder, nachdem er gestern so viel Kraft aufgewandt hatte, um der schwerstbehinderten Ada zu helfen. Da brauchte sein Körper auch eine Weile, um sich davon zu erholen. Sogleich kam der 18-jährige mit zwei Tüten zu ihm und gab sie ihm. „Ich hab dir mal ein paar Klamotten besorgt. Musst nur gucken, welche dir alle passen. Du kannst ja nicht jeden Tag dieselben Sachen anziehen.“ Elion war sprachlos als er erkannte, was Ezra da für ihn getan hatte. Und sogleich bekam er auch ein schlechtes Gewissen, denn er wusste, was der Junge dafür tun musste. „Ezra, ich… ich kann das nicht annehmen.“ „Natürlich kannst du und wenn nicht, dann hau ich dir eine rein! Ich hab da übrigens etwas, was dir gehört.“ Damit holte er etwas hervor, was Elion schon vermisst hatte. Doch er hatte angenommen, dass er es bei seinem Sturz in den Fluss verloren hatte: den Hyperkubus, den er von Nastasja bekommen hatte. „Wo hast du den denn her?“ „Als ich dich aus dem Wasser gezogen habe, da ist das Ding wieder reingefallen und ich hab erst mal eine ganze Weile suchen müssen. Aber da das Ding im Wasser sogar ein wenig geleuchtet hat, hab ich es doch noch finden können.“ Der Tesserakt… Elion wunderte sich schon, dass er nicht schon selbst auf den Gedanken gekommen war, danach zu suchen aber er war von Ezras Problemen so abgelenkt gewesen, dass er gar nicht daran gedacht hatte. „Danke, das war wirklich nett von dir.“ „Was ist das überhaupt für ein Ding?“ „Ein Hyperkubus, ein vierdimensionaler Würfel.“ „Ich kenn nur den Film Hypercube aber ich glaube nicht, dass das damit etwas zu tun hat, oder?“ „Keine Ahnung. Mum hat ihn gebaut und mir gesagt, ich solle gut darauf aufpassen und ihn niemals irgendjemandem geben. Aber sie hat mir nie gesagt, wozu er da war.“ „Und wieso hast du sie nie gefragt?“ „Weil sie kurz darauf gestorben ist.“ Daraufhin sagte Ezra nichts mehr und ging in die Küche zurück. Er wirkte ein wenig fitter als gestern, schien aber dennoch etwas angeschlagen zu sein. Schließlich aber rief er „Wenn du ins Bad gehst, kannst du mir deine Klamotten geben. Ich mach heute die Wäsche und da kann ich deine Sachen gleich mitwaschen.“ Nun, eine heiße Dusche konnte er wirklich gut vertragen und so ging Elion ins Bad und nahm auch die Sachen mit, die Ezra ihm mitgebracht hatte. Als er so unter der Dusche stand und das heiße Wasser auf ihn niederprasselte, da spürte er erst, wie wohltuend das eigentlich war. Er hatte noch nie heiß geduscht. Allerhöchstens hatte man ihn mit dem Schlauch abgespritzt und das war es auch schon. Und das Wasser war auch jedes Mal eiskalt gewesen. Aber nun duschte er das erste Mal mit heißem Wasser. Und das fühlte sich unbeschreiblich gut an. „So langsam scheinst du wohl den Luxus deiner Freiheit zu genießen, oder?“ Elion sah zwar wegen dem Duschvorhangs nichts, aber er hörte deutlich, dass es Frederica war. „Keine Sorge, ich guck dir schon nichts weg. Vergiss nicht, das ist lediglich eine Projektion von mir, die nur du sehen kannst. Sie ist nicht real, meine Stimme aber schon.“ „Trotzdem fühl ich mich schon etwas komisch dabei.“ „Wenn du willst, kann ich wieder verschwinden, wenn du deine Ruhe haben willst.“ Manchmal hatte Frederica schon ein merkwürdiges Timing. Na was soll’s, sie war ja da, um ihm zu helfen und deshalb war er immer froh und dankbar, wenn sie da war. Elion spürte insbesondere in seinem Haar diese wohltuende Temperatur und hatte sogleich das Gefühl, als wäre sein Körper wie neu geboren und als würde alles Alte und alle negativen Erinnerungen von ihm abgewaschen werden. „Zugegeben, es fühlt sich schon sehr angenehm an und da vermisse ich auch die Zeit im Institut auch nicht wirklich, wo ich in der Zelle auf dem Boden schlafen und mich mit eiskaltem Wasser abspritzen lassen musste.“ „Ich sagte ja, dass du dich noch daran gewöhnen wirst. Glaub mir, auch Andrew ist es sehr schwer gefallen, sich wieder im normalen Leben zurechtzufinden, nachdem er zehn Jahre lang im Institut eingesperrt war und unter James zu leiden hatte. Aber wenn er es schaffen konnte, dann wirst du es auch.“ Ja, das ganz sicher. Nachdem Elion das Wasser abgedreht hatte, begann er sich abzutrocknen. Er verzichtete aber darauf, sich die Haare trocken zu föhnen. Die heiße Luft war zu schmerzhaft für sein Haar, deshalb musste er es so trocknen lassen. Schließlich begann er nun damit, sich Klamotten rauszusuchen, die Ezra für ihn besorgt hatte. Er entschied sich für ein dunkelgrünes Shirt und eine Jeans. Wie immer zog er seine Handschuhe an und fand noch ein paar Armbänder, die er sich anlegte. Danach betrachtete er sich im Spiegel und stellte fest, dass die Sachen ziemlich gut passten. Und nun, da er den Tesserakt wieder um den Hals trug, war das Bild auch wieder vollständig. Frederica stellte sich neben ihn, lehnte ihren Kopf an seine Schulter und sah zufrieden aus. „Du wirkst so viel lebendiger als früher. Man sieht richtig, dass es dir wieder deutlich besser geht als vorher.“ „Ich fühl mich auch ganz gut. Allerdings mache ich mir noch wegen Ezra Sorgen. Er tut so viel für mich, obwohl er selbst bis zum Hals in Schwierigkeiten steckt. Ich will ihm helfen und überlegen, ob ich nicht vielleicht nach Mum suchen und sie fragen sollte. Sie wird wahrscheinlich einen Weg wissen, wie wir Ezra von diesen Typen wegholen und auch Ada und Mrs. Willows helfen können. Sie weiß doch immer einen Ausweg.“ „Hm, die Idee ist gar nicht so schlecht. Und was willst du Ezra sagen?“ „Ich werde gleich mit ihm darüber sprechen und hoffentlich wird er mit sich reden lassen. Da er kein Vertrauen zu anderen hat und insbesondere bei Eltern sehr empfindlich reagiert, will ich lieber vorsichtig sein.“ Ja, das war vielleicht das Beste. Fakt war jedenfalls, dass er alles tun wollte, um Ezra aus dieser Gegend rauszuholen und vor allem dafür zu sorgen, dass er nicht mehr auf den Strich gehen musste. Er wollte ihn vor diesen Kerlen beschützen, die ihn so brutal zusammenschlugen, während sie wie die Raubtiere über ihn herfielen. Das musste für ihn doch einfach nur die Hölle sein. „Und wie willst du ihn darauf ansprechen?“ Tja, das wusste Elion leider auch noch nicht so wirklich und wenn er ehrlich war, rechnete er auch mit erheblichem Widerstand bei Ezra. Denn nachdem er schon bei fünf Pflegefamilien gewesen war, würde er alles andere als begeistert von Elions Plänen sein. Aber weiterhin hier oder sogar noch auf der Straße leben zu müssen, war auch keine Lösung. Natasja war die Einzige, an die er sich wenden konnte, doch ob sie ihm verzeihen würde, dass er sie fast getötet hätte, war eine andere Frage. Er hätte beinahe den Menschen umgebracht, der ihm als Einziger jemals Liebe und Zuwendung gegeben hatte. Wahrscheinlich würde sie ihm das nie verzeihen, dass er das getan hatte, obwohl er doch niemals jemandem etwas tun wollte. Doch sogleich konnte Frederica ihn trösten. „Jetzt mach dir keine Gedanken deswegen. Nastasja weiß doch, dass du nicht du selbst warst und sie würde dir auch niemals die Schuld geben, ebenso wenig wie ich. Sie liebt dich wie ihr eigenes Kind, das hat sie dir gesagt gehabt, als sie dir das Serum verabreicht hat und deshalb darfst du dir auch nicht einreden, sie würde dir Vorwürfe machen oder dir die Schuld geben.“ Trotzdem fühlte sich Elion mies deswegen. Ebenso weil er auch Andrew in Gefahr gebracht hatte. Schließlich verließ er das Bad und ging in die Küche, wo Ezra den Tisch gedeckt hatte. Er hatte eine vegetarische Bolognese gekocht und wie Elion feststellen musste, hatte der Junge ein gutes Händchen, was das Kochen betraf. Nach dem Essen wuschen sie noch alles ab, dann ging der 18-jährige in den Flur und begann nun damit, Archi die Leine anzulegen. „Ich geh ein bisschen mit Archi raus. Kannst ja mitkommen, wenn du willst.“ Gerne nahm der Proxy das Angebot an, da er so auf die Weise auch etwas von der Welt sehen konnte, die ihm bislang immer verschlossen geblieben war. Sogleich nahm Ezra auch Regenschirme mit und erklärte „Es sieht verdammt nach Regen aus.“ Gleich schon im Hausflur trafen sie auf Mrs. Willows, die gerade dabei war die Post zu holen und grüßten sie. Die alte Dame grüßte Ezra wie immer irrtümlich als „Elsa“ und fragte, wer denn der hübsche junge Begleiter war. Nun, sie erklärten ihr die Sachlage noch mal in ruhigen Worten und sogleich fragte der 18-jährige „Brauchen Sie noch etwas, wenn ich eh schon mal unterwegs bin?“ „Ach nein, das ist wirklich lieb von dir, Elsa. Geh du nur schön mit deinem Freund aus und macht euch einen schönen Tag.“ Damit verabschiedeten sie sich auch wieder und als sie dann draußen an der frischen Luft waren, da spürte Elion schon die ersten Tropfen des Regens. Nun, in der Situation hätte er ja eigentlich seinen Regenschirm benutzt, wenn er gewusst hätte wie. Er beobachtete einfach schweigend, wie Ezra den Schirm aufspannte und machte es ihm anschließend nach. Und als er dann das prasselnde Geräusch der Regentropfen auf seinem Schirm hörte, war er mehr als verwundert darüber. Aber das Geräusch klang sehr schön. „Wozu gebrauchen die Menschen eigentlich diese komischen Schirme?“ „Weil sie nicht nass werden wollen. Erklärt sich doch von selbst.“ Der Regen nahm langsam zu und Elion ging neben dem etwas zu kurz geratenen Ezra her und betrachtete neugierig die Umgebung. Natürlich wusste er aus seinen diversen Büchern, dass diese merkwürdigen Gefährte auf den Straßen Autos waren und dass man diese Häuser mit den großen Fenstern und Reklameschildern „Geschäfte“ nannte, wo die Menschen Dinge einkaufen konnten. Es waren meist nur einfache Kleinigkeiten, die er nachfragen musste, aber ansonsten hatte er alles selbst über diese Welt gelernt. Aber diese Autos und Geschäfte selbst zu sehen, war natürlich etwas ganz anderes. Ezra bemerkte durchaus, dass Elion von diesen ganzen neuartigen Dingen völlig überwältigt war und stellte fest „Du scheinst ja tatsächlich kaum vor die Tür gekommen zu sein.“ „Hast du etwa an meiner Geschichte gezweifelt?“ „Das nicht, aber es fällt mir schwer, das alles zu glauben. Dafür bewegst du dich ja sehr selbstsicher.“ „Weil ich sehr viel aus Büchern gelernt habe. Das Lesen, Rechnen und Schreiben habe ich mir selbst beigebracht und so konnte ich sehr viel über die Welt lernen.“ Sie verließen irgendwann die belebten Hauptstraßen und gingen in Richtung Park. Der Regen wurde teilweise stärker und Elion nahm auch zum ersten Mal diesen unverkennbaren Geruch wahr, wenn es regnete. Er beobachtete, wie die Menschen alle davonliefen, um nicht nass zu werden, aber der Regen hatte auf ihn eine beinahe schon anziehende Wirkung. Und während sie so spazieren gingen, kamen sie auch ins Gespräch und Elion fragte nach einiger Zeit neugierig „Warum hast du eigentlich die Haare so lang?“ „Na weil meine Kunden eben darauf stehen, wenn ich viel jünger und vor allem mädchenhafter aussehe. Also ist es von Vorteil, wenn ich die Haare lang wachsen lasse. Und wie sieht es bei dir aus?“ „Meine Haare wachsen nicht, sondern haben eine konstante Länge. Außerdem kann ich sie mir nicht abschneiden, weil durch sie reizempfindliche Nerven verlaufen. Wenn ich es tue, fühlt es sich an, als würde man mir den Arm abschlagen. Manchmal kam es tatsächlich vor, dass sie mir meine Haare abgeschnitten haben, um mich zu bestrafen. Tatsächlich sind die Haare die größte Schwachstelle der Proxys.“ Zuerst blickte Ezra zu ihm hoch und schien wohl mit dem Gedanken zu spielen, Elions Worte zu prüfen und ihn an den Haaren zu ziehen, aber er ließ es doch. „Kannst du sonst noch irgendwelche Tricks außer dieser Zeitzurücksetzung?“ „Ich kann meine Kraft kurzzeitig sehr stark erhöhen, allerdings kann es dabei durchaus vorkommen, dass ich mir die Knochen brechen könnte, weil mein Körper nicht unendlich belastbar ist. Meist beschränke ich mich auf meine Kampfkunst, die alle Proxys lernen mussten. So haben wir auch gelernt, ohne unsere Fähigkeiten zu töten. Des Weiteren kann ich eine mentale Verbindung aufbauen und somit die Seele der anderen einblicken. Die wohl erschreckendste und tödlichste Fähigkeit der Proxys ist aber die Resonanzkatastrophe.“ „Reso-was?“ fragte Ezra, der mit dem Begriff überhaupt nichts anfangen konnte. Der Proxy überlegte kurz, wie er es am besten erklären konnte und hatte dann ein gutes Beispiel gefunden. „Du hast ja sicher schon mal davon gehört, dass Sängerinnen es schaffen, bei einem bestimmten Ton ein Glas zerspringen zu lassen. Das kommt daher, weil jedes Objekt eine eigene Resonanz hat und wenn diese angeregt wird, kommt es zu einer Schwingung bei der das Glas zerbricht. Durch unsere extrem gesteigerte Hirnaktivität können wir die Eigenresonanz anderer Dinge so stark erhöhen, dass wir sogar Menschen töten können, ohne sie anzufassen. Im Prinzip würden sie von innen her „explodieren“. So ungefähr funktioniert das. All das ist möglich, weil die meisten Mutationen im Gehirn liegen und die Nervenstränge in meinen Haaren sozusagen Verstärker sind.“ „Klingt echt gruselig…“ „Deshalb sagte ich ja, dass ich ein Monster bin.“ Als er das sagte, bekam er von Ezra einen Stoß mit dem Ellebogen in die Seite und dessen Miene verfinsterte sich deutlich. „Hör gefälligst auf damit, dich selbst so zu nennen. Ernsthaft, so langsam gehst du mir damit echt auf den Sack. Von allen auf der Welt du bist der Letzte, der sich ein Monster nennen sollte. Fuck, ich kenn genügend Arschlöcher, die man Monster nennen kann. Mag ja sein, dass du Möchtegern-Gandhi irgendwelche abgefuckten Kräfte hast, aber wenn du ein Monster wärst, dann hättest du mich doch schon längst gekillt oder sonst was gemacht. Stattdessen redest du von Gewaltlosigkeit und lässt dir sogar von mir eine reinhauen, ohne sauer zu werden. So langsam als habe ich eher die Befürchtung, du wärst Jesus 2.0.“ „Ist das schlimm?“ „Für mich ja, weil ich Religionen seit meiner zweiten Pflegefamilie einfach nur noch zum Kotzen finde.“ Als der Regen langsam zu einem regelrechten Platzregen wurde, suchten sie nun doch Schutz unter einer überdachten Bushaltestelle, wo sie warten wollten, bis der Regen etwas nachgelassen hatte. Elion betrachtete dieses Wetterschauspiel eine Weile und fragte dann schließlich „Was machst du denn so gerne, Ezra?“ „Ich hör gern Musik, am liebsten Rock oder irgendwelche Sachen querbeet. Ich wollte auch schon immer mal Gitarre spielen, allerdings hatte ich nie die Ruhe, die Zeit und das Geld dazu. Tja und ich mag eben halt Tiere. Ansonsten gibt es nicht viel…“ „Nicht mal irgendwelche Sportarten?“ Bei dieser Frage sagte Ezra ganz entschieden „Nee, mit Sport hab ich nichts am Hut. Wegen meiner beschissenen Anämie und dem Eisenmangel krieg ich jedes Mal Kreislaufbeschwerden und meine Ausdauer ist sowieso katastrophal. Und außerdem war ich für die meisten Sportarten eh viel zu klein. Oder hast du schon mal jemanden mit 1,55m Größe beim Basketball gesehen? Allerhöchstens beim Basketball in der Rollstuhlversion. Beim Baseball kacke ich auch total ab. Meine Arme sind zu schlapp zum Werfen und ich treffe auch nie den Ball. Ich bin eine absolute Niete, was Sport angeht. Ist ja nicht jeder so eine Sportskanone so wie du.“ „Mag ja sein, aber ich kann jedenfalls überhaupt nicht schwimmen. Wir haben das nie gelernt, weil es als nicht notwendig erachtet wurde, weil unsere Einsätze ja alle an Land stattfinden. Und gibt es irgendetwas, wovor du zum Beispiel Angst hast?“ „Ich hab vor gar nichts Angst!“ rief der 18-jährige empört und sprang auf, aber sie beide wussten, dass das eine verdammt große Lüge war. Aber er war nun mal ein Mensch, der niemals im Leben offen Schwäche zugegeben hätte. Und obwohl er sich gerade unmöglich aufführte, konnte Elion irgendwie nicht anders, als über diese Reaktion zu schmunzeln. Irgendwie war Ezra niedlich, wenn er sich so aufregte und auch Frederica, die bei ihnen saß, kicherte darüber. Aber schließlich stellte der Grauhaarige seine Frage anders. „Dann erzähl doch, was du am meisten auf der Welt hasst.“ Hier setzte sich der 18-jährige wieder hin und es sah aus, als würde der die vorbeigehenden Passanten am liebsten mit seinem finsteren Blick töten wollen. Dann aber schnaubte er und antwortete nach einigem Zögern „Ärzte.“ Da Elion ein wenig den Faden verloren hatte, musste er noch mal nachhaken. „Wie?“ „Ärzte“, wiederholte der Kleingeratene gereizt und sah stinksauer aus. „Ich kann diese scheiß weißen Kittelträger nicht ausstehen. Hinterher stechen sie dir zig mal so eine beknackte Nadel in den Arm und machen sich einen Spaß daraus, dir ständig irgendetwas zu spritzen oder Blut abzunehmen. Noch schlimmer sind Zahnärzte. Da kriegen mich keine zehn Pferde dorthin, weil ich mir von niemandem in der Kauleiste rumbohren lasse.“ „Aber musst du dich nicht wegen deiner Krankheit untersuchen lassen?“ „Weiß ich. Ich muss ständig zur Blutkontrolle und darauf hab ich keinen Bock. Ich hab meine Tabletten und gut ist, da muss ich mir nicht ständig Blut abnehmen lassen.“ „Kann es sein, dass du vor den Spritzen Angst hast?“ „ICH HAB KEINE ANGST!!!“ schrie Ezra und wurde dabei hochrot im Gesicht. Ein deutliches Zeichen dafür, dass Elion den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Der Junge hatte eine entsetzliche Angst vor Spritzen und ging wahrscheinlich auch deswegen nicht zum Arzt. Und aus ähnlichen Gründen schien er auch nicht zum Zahnarzt gehen zu wollen. Beruhigend legte Elion eine Hand auf die Schulter des aufgebrachten 18-jährigen und lächelte gutmütig. „Ich kann das verstehen. Medizinische Untersuchungen sind auch nicht gerade das, was ich gerne über mich ergehen lasse. Aber wenn ich ehrlich sein soll, hab ich auch so ein paar Sachen, vor denen ich große Angst habe. Als wir zum Beispiel ins Institut nach Amerika verlegt wurden, da mussten wir im Flugzeug fliegen. Und ich habe da eine entsetzliche Angst bekommen, weil ich noch nie geflogen bin und befürchtet habe, wir könnten abstürzen. Der Mensch ist eben nicht fürs Fliegen geschaffen… Und auch vor Schiffsfahrten würde ich mich jedes Mal gerne drücken, weil ich nicht schwimmen kann. Und ich mag keine Schmerzen, deshalb vermeide ich auch jede Form von Gewalt, weil ich auch niemandem wehtun will.“ Als Ezra hörte, wovor Elion Angst hatte, schaute er erst ungläubig drein, aber dann konnte er nicht anders als zu lachen. Es war das erste Mal, dass Elion ihn wirklich lachen sah und er konnte sich auch erst nicht erklären, wieso der kurz geratene 18-jährige so lachte. Aber dann konnte sich Ezra doch irgendwie wieder einkriegen, atmete tief durch und zum ersten Mal wirkte er nicht mehr so abweisend, verbittert und zynisch wie sonst, sondern wirkte etwas lockerer. „Sorry, aber ich musste mir gerade echt vorstellen, wie du im Flugzeug oder auf einem Schiff Panik schiebst. Das ist einfach zu hammergeil.“ Nun, Elion war ihm nicht böse drum, dass Ezra sich über seine Ängste amüsierte. Eigentlich meinte er das ja nicht so böse und er freute sich ja auch, dass der Junge mal lachte. Und nun war auch endlich die passende Stimmung, um ihn auf seinen Plan anzusprechen. Hoffentlich konnte er Ezra auch überzeugen. Kapitel 8: Ezras Misere ----------------------- Da es immer noch heftig schüttete, als wäre der Weltuntergang nahe, blieben sie an der Bushaltestelle sitzen und warteten. Ezra war inzwischen etwas lockerer und entspannter geworden und eigentlich war jetzt der Augenblick gekommen, um ihn auf etwas ganz Bestimmtes anzusprechen. Doch ein wenig haderte Elion noch, denn er befürchtete, dass der Junge abhauen würde, wenn er ihm von seinem Vorhaben erzählte. Er atmete ein paar Male tief durch und legte eine Hand auf Ezras Schulter, wobei er ihm tief in die Augen sah. „Ezra, ich habe seit gestern nachgedacht. Weißt du, das ist doch wirklich kein Leben. Ich sehe doch, wie schlimm dich diese Kerle behandeln und du leidest doch selbst darunter. Vielleicht wäre es das Beste, wenn ich Mum suchen gehe und sie um Hilfe bitte. Sie wird sicher einen Weg wissen, um dich vom Strich wegzuholen und dir zu helfen, ein vernünftiges Leben aufzubauen.“ Wie er schon bereits befürchtet hatte, war Ezra alles andere als begeistert und sein Blick als auch seine gesamte Körperhaltung standen auf Abwehr. „Was redest du da für einen Scheiß?“ fragte er und rutschte ein klein wenig von Elion weg und sah aus, als würde er gleich die Flucht ergreifen. „Du hast doch gesagt, sie wäre tot.“ „Das war sie auch, aber sie ist nach knapp 20 Jahren wieder zurück. Ich weiß auch noch nicht wieso sie wieder lebt, weil sie ja kein Proxy ist. Das muss ich selbst noch herausfinden. Aber sie ist wird dir mit Sicherheit helfen können.“ Doch Ezra war anzusehen, dass er das definitiv nicht wollte. Obwohl Elion das alles nur gut meinte und ihm helfen wollte, spielte sich bei ihm folgendes Denken ab, in welches er sich völlig verfahren hatte: „Elion’s Mum = Eltern = Pflegefamilien-Trauma Hilfe = Schwäche = wehrloses Opfer = Zielscheibe für noch schlimmere Grausamkeiten“ Man konnte ihm regelrecht im Gesicht ablesen, dass ihm gerade genau dies durch den Kopf ging und er deshalb komplett abblocken würde. „Vergiss es“, sagte Ezra entschieden und verkrallte seine Hände in seine Jeans, während er die Zähne zusammenpresste. „Das kannst du vergessen. Ich geh ganz sicher nicht zu ihr hin. Die fünf Pflegefamilien haben mir echt gereicht und deine Mum wird doch auch nur die Nase rümpfen und auf mich herabschauen, weil ich in ihren Augen doch nur ein verkommener Stricherjunge bin, der seinen drogensüchtigen Vater gekillt hat und sich höchstwahrscheinlich ebenfalls zudröhnt. Sie wird doch auch denken, ich wäre ein hoffnungsloser Fall und total verkorkst. Darauf kann ich echt verzichten. Das tue ich mir nicht noch mal an!“ Nun erhob sich auch Elion und hielt ihn an den Armen fest, um beruhigend auf ihn einzureden. „Beruhige dich doch erst mal. Mum ist nicht so und sie wird dir helfen, das verspreche ich dir.“ „Ich gebe einen Scheiß auf deine Versprechungen und mach da ganz sicher nicht mit. Lass mich bloß in Ruhe mit deinen bescheuerten Ideen. Ich brauche keine Hilfe und das habe ich dir mehr als deutlich gesagt. Ich hab auch kein Bock mehr, darüber zu sprechen.“ Damit wollte er gehen, doch Elion hielt ihn fest, um ihn aufzuhalten. So schnell wollte er ihn nicht abhauen lassen. Er musste ihm endlich die Augen öffnen und ihm klar machen, dass das so nicht weitergehen konnte. „Bitte überlege es dir doch mal. Glaub mir, Mum ist nicht so. Sie ist ein sehr liebevoller und unvoreingenommener Mensch. Sie hat sich selbst um uns Proxys gekümmert, obwohl wir quasi dazu herangezüchtet wurden, um Menschen zu töten. Nun gut, sie kann ein wenig schräg sein, aber würde dich niemals einen verkorksten und hoffnungslosen Fall nennen, Ezra. Bitte sei doch vernünftig und denk doch mal nach. Was ist dir denn lieber? Ein einziges Mal Hilfe anzunehmen, oder weiterhin in diesem Haus zu leben, dich zu prostituieren und dann auch noch von Mafiosi vergewaltigt zu werden? Das ist doch keine Zukunft und du willst das doch auch nicht. Ich kann deinen Körper zwar jedes Mal zurücksetzen, wenn sie dich vergewaltigen und zusammenschlagen, aber ich kann nicht deine Erinnerungen zurücksetzen. Irgendwann wird es dir den Rest geben und dann wirst du endgültig zusammenbrechen.“ „Das werde ich nicht, denn ich bin kein verdammter Schwächling, kapiert? Ich hab es all die Jahre alleine geschafft, da werde ich es auch weiterhin alleine schaffen. Ich brauche keine Hilfe, insbesondere nicht von irgendwelchen Eltern, die einen auf heile Welt machen und dann doch hinter meinem Rücken zu reden anfangen und meinen, ich würde mit Drogen zu tun haben, an AIDS leiden und mit jedem dahergelaufenen Typen ficken, wenn der einen Fünfer springen lässt. Es ist doch jedes Mal das Gleiche gewesen. Erst sagen sie dir, dass alles gut wird und sie dich so lieben wie du bist. Und kaum, dass du ihnen zu anstrengend wirst, schieben sie dich in eine Besserungsanstalt, in die Klapse oder in ein Internat ab, um dich loszuwerden. Es war doch jedes Mal das Gleiche und ich hab keine Lust darauf, das alles noch mal durchmachen zu müssen. Ich bin fertig damit und werde von nun an nur noch mir selbst vertrauen.“ Elion verstand es langsam nicht mehr und er fragte sich, wie er diesen Dickschädel überzeugen konnte, ihm wenigstens ein einziges Mal zu vertrauen und sich helfen zu lassen. „Vertraust du mir denn gar nicht?“ „Warum sollte ich?“ erwiderte der Kleingeratene gereizt und versuchte sich loszureißen, doch Elion hielt ihn immer noch fest. „Bis jetzt hat mich doch jeder verarscht. Woher soll ich denn wissen, dass du nicht anders bist?“ „Weil ich doch keinen Grund dazu habe.“ Und damit schloss Elion den 18-jährigen in seine Arme und drückte ihn fest an sich. Er wollte ihn nicht gehen lassen und damit zulassen, dass Ezra wieder in diese kalte und grausame Welt zurückkehrte, in welcher es für ihn keine Zukunft gab. „Ich will dich beschützen, Ezra. Du bist sehr wichtig für mich und ich will nicht zulassen, dass sie dir wieder so wehtun. Ich… ich mag dich sehr…“ Einen Moment lang war Ezra wie erstarrt, doch als er dann erkannte, was der Proxy damit sagen wollte, da kam es bei ihm augenblicklich zu einer Kurzschlussreaktion. Er riss an Elions Haaren, woraufhin dieser ihn losließ und vor Schmerz laut aufschrie. Nun, Ezra hatte schon damit gerechnet, dass er ihm damit wehtat, aber dass er so starke Schmerzen litt, das hatte er nicht erwartet. Der Grauhaarige sank in die Knie und stöhnte gequält und man hätte meinen können, ihm wären die Beine gebrochen worden. Doch der 18-jährige versuchte, seine Wut wiederzufinden und rief „Ich hab es doch gewusst. Du verdammter Wichser willst mir doch nur an den Arsch und mich durchvögeln, nicht wahr? Erst markierst du hier einen auf Jesus 2.0 und in Wahrheit willst du mich genauso ficken wie die anderen. Ich hab es doch gewusst!“ Damit wandte er sich ab und ging. „Ich will dich nie wieder sehen, hast du kapiert? Hau bloß ab und lass dich nicht mehr blicken.“ Mit Archi an der Leine verschwand er und ließ Elion alleine zurück. Es interessierte ihn im Moment nicht, was aus dem Proxy wurde, er wollte einfach nur nach Hause und seine Ruhe haben. Ernsthaft, wieso nur musste dieser Mistkerl alles nur kaputt machen, indem er plötzlich mit der Tour kam, dass er irgendwie Gefühle für ihn hatte? Damit war doch alles komplett ruiniert. Es hätte ja vielleicht noch eine ganz gute Freundschaft zwischen ihnen werden können, aber stattdessen kamen jetzt auch noch Gefühle ins Spiel und hier blieb ihm eben keine andere Wahl, als die Reißleine zu ziehen und Elion aus dem Weg zu gehen. Ansonsten würde alles doch wieder nur auf eine Riesenkatastrophe zusteuern und das konnte er überhaupt nicht gebrauchen. Es war doch auch jedes Mal das Gleiche mit der Liebe. Sein Vater hat auch jedes Mal gesagt, er würde ihn lieben und hat ihn schließlich an irgendwelche älteren Säcke verkauft, um seine Schulden zu bezahlen und dann hat er ihn fast umgebracht. Seine Pflegefamilien hatten auch gesagt gehabt, sie würden ihn lieben und auch sie hatten ihn irgendwann nur noch loswerden wollen und auch mit diesem widerlichen Lehrer, seinem vierten Pflegevater, war es nicht anders gewesen. Er hatte ihm auch gesagt, er würde ihn lieben und ihn dann gezwungen, ihm einen zu blasen. Manchmal fragte sich Ezra, ob auf seiner Stirn irgendwie das Wort „Fickopfer“ geschrieben stand, dass wirklich jeder ihm an die Wäsche wollte und alle ihn entweder von oben herab behandelten oder ihn fast krankenhausreif schlugen. Wieso nur muss das immer mich treffen? Ich habe mir das nie ausgesucht und ich kann mich auch nicht daran erinnern, jemals darum gebettelt zu haben, von meinem Alten missbraucht zu werden und dann auch noch von irgendwelchen perversen Säcken gefickt zu werden. So ein Scheiß. Da dachte ich echt, Elion wäre vielleicht nicht so, aber da habe ich mich auch wieder völlig getäuscht. Warum nur konnte es auch keine normale Freundschaft geben, ohne dass gleich schon wieder irgend so eine Friendzone oder ein Drama a la Shakespeare daraus wurde? So etwas wie Liebe gab es doch eh nicht, zumindest nicht die, von der man immer in diesen kitschigen Schnulzen las. Die Liebe war doch bloß eine Lüge und mehr nicht. Liebe bedeutete nichts als Schmerz und Verzweiflung und darauf konnte er wirklich verzichten. Lieber lebte er ganz alleine und kam auch alleine in dieser Welt zurecht. Das war immerhin besser, als wieder nur verarscht und enttäuscht zu werden. Die Menschen waren doch eh alle gleich und würden sich niemals ändern. Und mit Elion verhielt es sich nicht anders. Dabei hatte er so nett gewirkt und bei ihm hatte er das Gefühl gehabt, er könne ihm vertrauen. Aber letzten Endes hat es sich doch nur wieder gezeigt, dass er niemandem vertrauen durfte und auch Elion keine Ausnahme bildete. „Dieser verfickte Vollarsch. Soll der doch alleine zu seiner Mutter zurück, aber ich hab keine Lust auf diesen Scheiß. Ich werde nicht zulassen, dass sich dass alles wiederholt und es nur wieder Schmerz und Kummer gibt.“ Während er so darüber nachdachte, umschloss seine Hand die Leine fester und er spürte einen schmerzhaften Stich in der Brust. Am liebsten hätte er geschrieen, die Mülltonnen umgetreten oder die Fensterscheiben eingeworfen, aber das konnte er jetzt auch nicht gebrauchen. Er hatte schon eine Vorstrafe wegen Vandalismus, da konnte er nicht noch eine gebrauchen. Dann würde er doch in den Knast wandern. Sein Handy klingelte und er sah, dass es Parsons Nummer war. Scheiße, der hatte ihm noch gefehlt. Der rief sicher wegen seinem besonderen „Geburtstagsgeschenk“ an. Ezra nahm den Anruf an und fragte etwas unwirsch „Was gibt’s?“ „Guten Tag Ezra, haben Ramon und Tyson dir schon meine Nachricht übermittelt?“ „Meinst du bevor sie mir den Arsch aufgerissen haben, oder danach?“ „Hey, gib mir nicht die Schuld, wenn du nicht imstande bist, vernünftig mit Geld umzugehen. Oder vielleicht bist du auch viel zu wählerisch mit deinen Freiern. Soweit ich weiß, bist du heiß begehrt auf dem Markt und ich habe dir auch ein äußerst großzügiges Angebot gemacht. Deine ganzen Schuldenprobleme hättest du jetzt nicht, wenn du zu meinem persönlichen Haustier wirst.“ Ezras Magen verkrampfte sich, als er daran dachte. Er wusste, dass Jeffrey Parson regelmäßig bei Auktionen teilnahm und dass die Leute dort echt übel waren. Manche von denen standen darauf, ihre Sexsklaven brutal zuzurichten, sie wie Tiere zu halten und sie zu verstümmeln. Neill… er hatte das Pech gehabt, an Menschenhändler geraten zu sein und war an einen Auktionisten versteigert worden. Und dieser hatte ihm die Stimmbänder und die Augen entfernt sowie die Achillessehnen durchgetrennt. Danach hatte man nie wieder etwas von ihm gehört und die meisten in der Szene wussten, dass es für den armen Kerl eigentlich keine Hoffnung mehr gab. Und Parson war teilweise genauso schlimm. Ezra erinnerte sich an die Tage, als er mit ihm schlafen musste und was ihm da widerfahren war. Die Fesseln, diese ganzen widerlichen Kerle mit ihren Ledermasken und die Peitschen. Die Narben waren nie verblasst und insgeheim fürchtete er sich jedes Mal davor, wenn Parson ihn anrief. Denn er wusste, dass der Kerl einer von der Sorte war, von der nur ein Drittel der ersteigerten Sexsklaven länger als drei Jahre überlebte und die anderen waren mentale Krüppel geworden. Zwar hatte Ezra schon viele Erfahrungen in Sachen Sado-Maso machen können, aber Parson war bei weitem schlimmer als seine Schlägertypen, die er vorbeischickte. Manchmal kam es sogar vor, dass er seine Leute absichtlich zu ihm hinschickte, um ihn zu quälen, weil er sein Ziel nicht aufgegeben hatte, Ezra zu seinem Lieblingssklaven zu machen. Der 18-jährige wusste, dass er Parson nicht entkommen konnte. Der hatte seine Leute überall und Elion würde auch nichts ausrichten können. „Ich werde garantiert nicht zu deinem Spielzeug. Ich hab einen Job und eine Wohnung und ich werde das auch nicht aufgeben.“ „Du solltest besser aufpassen, Ezra. Meine Jungs sind ganz wild auf dich und es kann sein, dass ich sie nicht immer in Zaum halten kann. Nachdem Tyler und Ramon so von dir geschwärmt haben, wollen dich alle mal ordentlich rannehmen und du weißt, dass zum Beispiel Ronnie und Jack nicht so sanft und feinfühlig sind wie Ramon und Tyson. Die mögen es richtig hart und wenn du dich weiterhin so stur stellst, dann kann es vielleicht sein, dass die Jungs auf den Gedanken kommen, zu tun und zu lassen was sie wollen und dann kann ich für deine Sicherheit auch nicht immer garantieren.“ „Du kannst mich mal“, sagte Ezra mit trockener Stimme und legte auf, ohne auf eine Reaktion zu warten. Verdammte Scheiße, es wurde immer schlimmer und schlimmer. Nicht nur, dass ihn der Schuldenberg erdrückte, den er von seinem Vater aufgedrückt bekommen hatte, jetzt hatte er auch noch Stress mit Parson und nun wurde er vor die Wahl gestellt: entweder er verkaufte sich endgültig an ihn und wurde zu seinem Spielzeug, oder aber dieser Mistkerl würde ihm noch richtig üble Typen vorbeischicken. Was sollte er nur tun? Weglaufen konnte er nicht, Parson würde ihn sofort finden und wenn er nachgab und sich nach dem Willen dieses Mafioso richtete, dann war er auch so gut wie tot. Egal wie er sich entscheiden würde, es sah beschissen aus. Wie um alles in der Welt hatte er es nur geschafft, sein Leben in eine solche Katastrophe hineinzumanövrieren, dass es keine Alternativen als ein beschissenes Dasein als Sexsklave eines perversen und extrem sadistischen Mafiabosses gab? Und an wen konnte er sich denn wenden? An die Polizei? Pah, die waren sowieso keine Hilfe, weil die nur dann was machten, wenn es schon viel zu spät war und überhaupt: die Cops? Jene Sorte, der sein Vater angehört hatte? Nein, das war keine Alternative. Was blieb dann sonst? Tja, das wusste er leider selbst nicht. Elion zu fragen war ebenfalls ausgeschlossen. Der wollte doch auch nur das eine von ihm und war damit ebenfalls außen vor. In diesem Moment fühlte sich Ezra völlig hilflos und verloren und am liebsten hätte er geweint. Aber er konnte es nicht und vor allem wollte er es auch nicht. Niemand durfte sehen, wie er sich fühlte. Er wollte einfach nur noch nach Hause, sich ins Bett legen und schlafen. Mehr nicht. Einfach nur schlafen und diese ganzen Sorgen vergessen. Dieses Leben war auch total beschissen. Wieso nur hatte es ausgerechnet ihn so treffen müssen und wie konnte es nur dazu kommen, dass er so tief in der Scheiße landete? Was hatte er denn falsch gemacht? Blöde Frage, ich hab alles falsch gemacht. Genauso wie mein Vater, Tessa und meine Mutter. Wäre Tessa für mich da gewesen, als dieser Dreckskerl mich missbraucht hat, dann wäre es vielleicht nicht soweit gekommen. Wäre dieser scheiß Bauchspeicheldrüsenkrebs nicht gewesen, dann wäre sie vielleicht noch hier. Nein, wahrscheinlich hätte er sie auch umgebracht so wie fast auch mich. Und meine Mutter interessiert sich doch eh nicht für mich. Es gibt doch niemanden auf der Welt, den ich um Hilfe bitten kann. Ich bin ganz alleine, weil ich es ja selbst so wollte. Ja… wenn ich alleine bin, ist es besser so. Und alleine werde ich auch ganz sicher einen Ausweg finden. Bisher habe ich doch immer eine Lösung finden können, auch wenn es vielleicht nicht immer die angenehmste war. Aber das Leben ist nun mal echt mies und ein einziger Kampf. Ich habe das mit zehn Jahren erkennen müssen und danach bestand mein Leben doch nur aus Kämpfen. So ein verdammter Scheiß. „Wir zwei haben echt die Arschkarte gezogen. Nicht wahr, Archi?“ Der Rottweiler trottete brav neben ihm her und war derselbe treudoofe Archibald, wie Ezra ihn immer gekannt hatte. Nun, er wusste, dass der Rottweiler auch anders konnte. Immerhin war er ein Kampfhund und hatte auch an einigen Hundekämpfen teilgenommen. Auf Kommando konnte er schon zur Bestie werden, wenn er wollte. Ezra könnte ihn benutzen, um sich vor diesen gewalttätigen Kriminellen zu schützen. Aber ob das auf Dauer funktionieren würde, bezweifelte er. Die würden Archi einfach erschießen, wenn er sie angreifen sollte oder ihn endgültig totprügeln. Und das wollte der 18-jährige doch auch nicht, denn Archi war seine Familie. Denn Hunde wollten im Grunde nur geliebt werden und das war alles. Deshalb waren ihm die Tiere oftmals lieber als die Menschen. Mit einem geschlagenen Seufzer blieb Ezra an einer Ampel stehen und sah zu Archi herunter, der wohl zu spüren schien, dass mit seinem Herrchen etwas nicht stimmte und daraufhin leise Winsellaute von sich gab. Ezra setzte ein Lächeln auf und streichelte ihm den Kopf. „Jetzt mach dir mal keine Sorgen um mich, Dummkopf. Wir kriegen das schon wieder hin. Bisher haben wir doch alles geschafft und da werden wir alles andere auch schaffen, nicht wahr? Es wird alles wieder gut werden.“ Doch der Rottweiler sah ihn immer noch mit traurigen Augen an, so als spürte er, dass Ezras Worte deutlich an Überzeugung verloren hatten. Kein Wunder, denn der Kurzgeratene zweifelte doch selbst an seinen eigenen Worten. Ja, er zweifelte ernsthaft daran, dass es ihm dieses Mal gelingen würde, sich da so einfach wieder herausboxen zu können. Schlimmstenfalls würde er so enden wie Neill… oder wie die anderen unzähligen Stricherjungs, die in Parsons Fänge geraten und bei diesen unzähligen perversen Orgien in den Wahnsinn getrieben worden waren. Einige von ihnen sollen sich sogar die Zunge durchgebissen haben, um sich umzubringen. Und ich werde auch dort enden, weil ich das Pech haben musste, dass mein Vater ausgerechnet an ihn geraten musste. Echt, mein alter Herr macht mir sogar noch Ärger, lange nachdem er tot ist. Hoffentlich hat er es in der Hölle auch schön gemütlich und lacht sich tot, dass ich hier gucken muss, wie ich klar komme. Und hoffentlich leisten Mum und Teresa ihm auch Gesellschaft. Oh ja, I love to entertain you, Motherfuckers! Mit einem resignierten Seufzen erreichte Ezra schließlich die Wilshure Street und war damit zurück in seinem Viertel. Ja, das Viertel der Gewalt, Drogen, Schießereien und Kriminalität. Ein Ghetto, wo alles verkommen, verwahrlost und dreckig war. Das war die Welt, in welcher er gelandet war und wo er auch höchstwahrscheinlich sterben würde. Tolle Aussichten, aber es hatte eben nie für etwas Besseres gereicht. Na Hauptsache, ich kann ein eigenständiges Leben führen und muss mir nicht von irgendwelchen bescheuerten Pflegefamilien sagen lassen, wie verkorkst ich doch bin. Einer, der vorbestraft ist, sich prügelt, schon mit zehn Jahren zu trinken und zu rauchen angefangen hat, sich von alten Säcken ficken lässt und seinen drogensüchtigen Vater umgebracht hat, gehört doch sowieso hierhin. Das ist nun mal die Realität. Schon seit damals gehöre ich bereits zum Abschaum der Gesellschaft und deshalb wollte mich auch nie jemand haben. Nicht mal meine eigenen Eltern. Als Ezra die Tür raufging, hörte er teilweise Stimmen im Haus, dachte sich aber nichts dabei, da Emilio sich mal wieder mit seinen Leuten im Hausflur aufhielt und wahrscheinlich wieder mit Marihuana dealte. Er stieg die Treppen hoch bis in den dritten Stock und erreichte schließlich seine Wohnung. Sogleich, als er den Rottweiler von der Leine nehmen wollte, da hörte er Schritte und als er sich umdrehte, erkannte er zwei kräftig gebraute Männer mit ziemlich zwielichtiger Visage direkt auf ihn zukommen. Ezra wurde kreidebleich im Gesicht, denn er kannte diese Männer. Immerhin hatten sie ihm die Narben auf seinem Rücken zugefügt: Ronnie und Jack. „Hallo Ezra“, grüßten sie ihn und kamen mit einem alles sagenden Grinsen in die Wohnung und sogleich begann Archi bedrohlich zu knurren. Ronnie, ein knapp zwei Meter großer Schrank mit Kurzhaarschnitt und einem hässlichen Nasenpiercing kam direkt auf ihn zu und leckte sich über die Lippen. „Hast du uns zwei vermisst?“ Ezra erkannte, dass er schnell hier raus musste. Und da die beiden den Weg versperrt hatten, konnte er nicht an ihnen vorbei. Der einzige Fluchtweg, der noch blieb, war die Feuertreppe. „Archi, fass!“ Als Ezra den Befehl gab und den Rottweiler von der Leine ließ, stürzte sich dieser mit gefletschten Zähnen auf Ronnie und vergrub seine Zähne in dessen Arm. Als Jack nun versuchte, den 18-jährigen aufzuhalten, zog dieser ein Springmesser hervor und schnitt ihm damit in den Handrücken und als er sein Zimmer erreichte, da knallte er die Tür zu und öffnete hastig das Fenster. Doch gerade, als er durchklettern wollte, zerrte Jack ihn an den Haaren zurück und schleuderte ihn zu Boden. Ezra stürzte und das nächste, was er hörte war, wie ein Schuss fiel und wie Ronnie schrie „Scheiß Drecksvieh!“ Gleich schon, als er aufstehen wollte, trat Jack ihm ins Gesicht und drückte ihn zu Boden. „Du kleine Bitch bleibst schön brav da liegen. Du hast uns und dem Boss schon genug Ärger gemacht. Und da du es offenbar für nötig hältst, ihm auf der Nase herumzutanzen, werden wir zwei dir erst mal Manieren beibringen.“ „Und da deine scheiß Töle mir den Arm blutig gebissen hat, wirst du auch bluten!“ Ronnie kam ins Zimmer und war stinksauer. Wieder ergriff Ezra das Springmesser, um sich noch irgendwie verteidigen zu können, doch da trat Jack auf seine Hand und hinderte ihn daran. Beide packten ihn und warfen ihn aufs Bett. Im Anschluss rissen sie ihm die Kleidung herunter und fesselten ihm die Hände auf den Rücken. „So du kleine Schlampe, es wird Zeit für eine kleine Lektion. Die Kinderstunde ist jetzt vorbei und eines versprechen wir dir: diese Gegenwehr wirst du noch richtig büßen.“ Ezra versuchte sich noch irgendwie zu befreien, doch die Fesseln waren zu fest geschnürt und gegen die beiden hatte er eh keine Chancen. Aber eines stand fest: egal was die mit ihm auch anstellten, er würde ganz gewiss nicht um Gnade betteln oder schreien. Die würden keinen einzigen Ton aus ihm herausbekommen. Ronnie und Jack sahen sich an und wieder leckte sich Erster gierig über die Lippen. „Was meinst du wie lange wir brauchen werden, um diese kleine Sau ordentlich zum Schreien zu bringen?“ „Länger als eine halbe Stunde hält der nie und nimmer durch.“ „Ach wart’s ab. Soweit ich gehört habe, kann der ziemlich viel einstecken. Nicht wahr, Ezra?“ Der 18-jährige presste die Lippen zusammen und sagte nichts. Aber er ahnte, dass ihm noch Schlimmes bevorstehen würde. Kapitel 9: Ein Rettungsplan muss her ------------------------------------ Elion brauchte eine Weile, bis er sich von diesen entsetzlichen Schmerzen erholt hatte und musste sich erst einmal setzen. Sein Kopf schmerzte entsetzlich und kurzzeitig war ihm schwarz vor Augen geworden. „Hey, alles in Ordnung?“ Es war nicht Frederica, die da gesprochen hatte. Verwundert sah er auf und erkannte erst etwas unscharf eine Gestalt und musste ein paar Male blinzeln. Dann aber erkannte er einen blonden jungen Mann mit eisblauen Augen und die Iris der Augen war so hell, dass man das Gefühl hatte, als würden sie leuchten. Elion kannte dieses Gesicht. Das war doch Jeremiel Lawliet, der zweite Sohn von Nastasja. „Du… du bist doch Elion, richtig?“ „Äh ja. Und was machst du hier, Jeremiel?“ Der 25-jährige half ihm hoch und setzte sich zu ihm. „Ich hatte da so ein komisches Gefühl und deshalb bin ich hergekommen. Mum sagte, dass ich die Gegenwart von Proxys wahrnehmen kann und da momentan eh nach dir gesucht wird, dachte ich, ich komm mal her. Wir hatten uns schon gewundert, wo du bleibst und wieso du nicht zu uns kommst. Und Mum macht sich auch Sorgen.“ Sie machte sich Sorgen? Obwohl er sie fast umgebracht hatte? Elion senkte den Blick und unwillkürlich wanderte seine Hand zu dem Tesserakt. „Geht es ihr und den anderen gut?“ „Ja, wir sind gerade dabei, Sheol in unsere Familie zu integrieren. Zwar benimmt er sich hin und wieder etwas daneben und hat ziemlich viel Blödsinn im Kopf, aber er hat sich sehr zum Positiven verändert, seitdem das Serum bei ihm angeschlagen hat. Aber bei dir scheint es ja nicht sonderlich viel verändert zu haben, oder?“ „Nein. Ich habe mich entschieden, meine Kräfte zu behalten, um überleben zu können. Der Unborn ist zerstört oder zumindest gehe ich davon aus. Wie geht es Andrew?“ „Sehr gut sogar. Er und Oliver kennen kaum ein anderes Thema als die Hochzeit. Mum untersucht ihn zwar noch sicherheitshalber, aber er ist soweit geheilt. Kommst du etwa deswegen nicht zurück, weil du ein schlechtes Gewissen hast?“ Unsicher zuckte Elion mit den Achseln, denn so ganz wusste er es selbst nicht. „Ehrlich gesagt hatte ich das Gefühl, als müsste ich nach irgendetwas suchen. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte und wo mein Platz in der Welt ist.“ „Das kenne ich“, seufzte Jeremiel und begann seine gewohnte Sitzhaltung einzunehmen, die der seiner Mutter sehr ähnlich war. „Ich hatte keine Erinnerungen und wusste nicht, wer ich war und wo ich hingehörte. Aber dank Liam, Delta und Johnny weiß ich, was ich will und was ich dafür tun muss. Und wenn du Hilfe brauchst, dann komm doch mit und wir finden einen Weg. Mum würde sich sehr freuen, wenn du zu uns kommst. Wenn sie sich nicht gerade um Sheol kümmert, fragt sie sich auch die ganze Zeit, was mit dir ist und wie es dir geht. Sag mal, wo warst du eigentlich bis jetzt?“ „Ein Junge hat mich aus dem Wasser geholt und mich bei sich aufgenommen. Sein Name ist Ezra Alexis Parker und ich wollte ihm helfen, weil er momentan echt in Schwierigkeiten steckt. Er wird von der Mafia bedroht und muss auf den Strich gehen.“ „Die Mafia?“ fragte Jeremiel sofort und zog die Augenbrauen zusammen und er sah nun deutlich ernster aus. Elion erzählte ihm von den Schutzgelderpressern und was sie mit Ezra machten. Der ältere Lawliet-Zwilling hörte seinem Bericht aufmerksam zu, nickte bedächtig und legte dann sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, um nachzudenken. „Weißt du auch, wie der Boss der Mafia-Familie heißt?“ „Nein, ich hab nur mitgekriegt, dass diese beiden Schläger Tyson und Ramon heißen. Und offenbar hat sich der Boss von denen auch schon an Ezra vergriffen. Er setzt ihn vermutlich unter Druck, weil Ezras Vater Schulden bei ihm gemacht hat.“ „Hm, ich kann mal Liam fragen, ob er vielleicht den Kerl kennt und womöglich kann er ja helfen. Er ist ja selbst Mafiaboss und hat ziemlichen Einfluss in der Unterwelt. Dementsprechend kennt er viele Leute und wenn ich mit ihm rede, kann er vielleicht was drehen, dass diese Typen Ezra in Ruhe lassen.“ „Und das würde er wirklich tun?“ „Nun, er sagt selbst, dass er mir schlecht eine Bitte abschlagen kann und er ist auch nicht so böse wie er immer tut. Auch wenn er immer ziemlich finster aussieht, er kann auch ganz nett sein.“ Man sah Jeremiel deutlich im Gesicht an, dass er ziemlich verliebt war in diesen Liam. Nun, nachdem Elion schon so viel Negatives über die Mafia gehört hatte, war er sich nicht gerade begeistert und fragte sich auch, ob es überhaupt eine gute Idee war, einen Mafiaboss um Hilfe zu bitten. Aber wenn Jeremiel wirklich helfen wollte und es eine Möglichkeit gab, Ezra aus diesem Milieu herauszuholen, dann wollte er diese Hilfe gerne annehmen. „Und hast du inzwischen deine Antworten gefunden?“ „Tja“, sagte Elion und lehnte sich zurück, wobei er den grauverhangenen Himmel betrachtete. „Ehrlich gesagt bin ich mir noch nicht hundertprozentig sicher. Fakt ist, dass ich immer noch ein Monster bin. Womöglich werde ich auch immer eines bleiben und damit auch eine Gefahr für andere darstellen. Aber ich will Ezra unbedingt helfen. Er hat so viel durchmachen müssen und leidet auch selbst sehr unter der Situation, auch wenn er es nicht zugeben will. Das Schlimme an der ganzen Situation ist, dass er zu niemandem Vertrauen fassen kann, weil er schon so oft in seinem Leben enttäuscht und im Stich gelassen wurde. Insbesondere von seinen Pflegefamilien. Ich dachte, dass ich vielleicht Nastasja um Hilfe bitten könnte.“ „Sicher, aber L kannst du auch jederzeit fragen, ebenso wie Andrew und Oliver. Willst du mit zu uns kommen oder brauchst du noch eine Weile?“ Da war sich Elion noch nicht so wirklich sicher. Immerhin würde er auf die Menschen treffen, die er zusammen mit Sheol und Sariel angegriffen und bedroht hatte. Und auch Jeremiel schien zu merken, was dem Proxy durch den Kopf ging und so ließ er es auch, ihn weiterhin zu bedrängen. Stattdessen gab er ihm sein Handy und erklärte „Da drin sind sowohl Liams als auch L’s und die vom Rest der Familie eingespeichert. Wenn du uns brauchst, dann ruf irgendjemanden von denen an und wir werden dir helfen. Ich werde Mum und den anderen erst einmal sagen, dass es dir gut geht und dass du dich meldest, wenn etwas sein sollte. Aber es wäre schön, wenn du trotzdem mal vorbei kommst. Sheol fragte auch schon nach dir.“ Als Elion das hörte, konnte er es nicht wirklich glauben, denn mit Sheol hatte er sich noch nie wirklich gut verstanden. Insbesondere weil sie beide immer in der Vergangenheit gegeneinander gekämpft hatten und Sheol äußerst gefährlich und brutal war. Meist hatte er ein richtiges Vergnügen gehabt, die anderen Proxys während der Experimente abzuschlachten. Und nun sollte ausgerechnet er nach der Person gefragt haben, die er sonst immer als seinen schlimmsten Feind angesehen hatte? „Sheol hat nach mir gefragt? Wieso sollte er das tun?“ „Na weil er sich sehr verändert hat und dich als eine Art großen Bruder ansieht. Er ist ganz umgänglich und schlägt L gnadenlos beim Schach, allerdings hat er auch sehr viel Blödsinn im Kopf und benimmt sich wie ein typischer Teenager. Gestern hat er L und Beyond in einer sehr ungünstigen Situation erwischt und offenbar einen äußerst ungebührlichen Kommentar fallen lassen. Und das hat dann dazu geführt, dass Beyond und L ihn durchs ganze Haus gejagt haben und Sheol sich schließlich bei Rumiko verstecken musste. Auch äußerlich sieht er jetzt ganz anders aus und er macht ständig irgendwelche Späße, mit denen er L, Beyond und Mum in den Wahnsinn treibt.“ Elion lächelte schwach und konnte sich kaum vorstellen, dass Sheol jetzt wirklich so drauf war. Zwar waren seine Erinnerungen an die Zeit im Institut sehr schwammig und es gab viele Lücken, aber er kannte Sheol von einer ganz anderen Seite. Immerhin hatte dieser zu seinem reinen Vergnügen heraus mehrere Menschen aufgeschlitzt und ihr Innerstes im ganzen Raum verteilt. Das Blut klebte an den Decken und den Wänden und Sheol hatte mit einem fast schon unheimlichen Stepford-Lächeln da gestanden und ein ziemlich bizarres Lied gesungen, an welches sich Elion noch sehr gut erinnern konnte. Es klang ihm nämlich immer noch in den Ohren und Sheol hatte es auch gesungen, als er Amok gelaufen und dabei knapp ein Dutzend Männer in Stücke gerissen hatte. „London Bridge is falling down, Falling down, falling down. London Bridge is falling down, My fair lady. Build it up with human flesh, Human flesh, human flesh. Built it up with human flesh, My fair lady. Human flesh will rot away Rot away, rot away Human flesh will rot away My fair lady. Build it up with blood and clay, Blood and clay, blood and clay. Build it up with blood and clay, My fair lady. Blood and clay will wash away, Wash away, wash away. Wood and clay will wash away, My fair lady. Built it up with skulls and bones, Skulls and bones, skulls and bones, Built it up with skulls and bones, My fair lady. Skulls and bones will all fall down, All fall down, all fall down, Skulls and bones will all fall down Build it up with skeletons, Skeletons, skeletons. Build it up with skeletons, My fair lady. Skeletons will last so long, Last so long, last so long. Skeletons will last so long, My fair lady.“ Er war über und über mit Blut besudelt gewesen, hatte in dieser riesigen Blutpfütze getanzt wie ein Kind und dabei fröhlich dieses Lied gesungen. Selten war ihm ein Proxy untergekommen, der so krank im Kopf war. Außer vielleicht Marie, wenn sie wieder eine ihrer Phasen hatte. Marie hatte Nastasja sie genannt. Auch sie konnte extrem gefährlich sein wie Sheol, wenn ihre andere Seite „Mary-Lane“ erwachte. Sie war Proxy-06 gewesen und war schließlich entsorgt worden, weil sie nicht an die Stärke der anderen heranreichte. Dafür aber war sie die schnellste Proxy gewesen. Nicht einmal Elion und Sheol hatten mit ihrem Tempo mithalten können, aber letzten Endes hatte sie das auch nicht vor ihren Tod gerettet. Elion wollte gerade wieder zum Reden ansetzen, da spürte er auch schon deutlich die Anwesenheit einer Person, die kein Mensch war. Eine bedrohliche und unfassbar starke Kraft ging von ihr aus und wenn er es hätte beschreiben müssen, dann würde er es als die pure Finsternis bezeichnen. Ihm wurde schon fast unbehaglich zumute und als er aufschaute, sah er einen schwarz gekleideten knapp zwei Meter großen Mann mit schwarzem Haar und blutroten Augen. In der Iris seines rechten Auges leuchtete ein goldener Ring und er machte einen wirklich furchteinflößenden Eindruck. Doch Jeremiel schien das nicht zu stören. Im Gegenteil, er ging direkt auf den Mann zu und war überrascht, ihn zu sehen. „Liam, was machst du denn hier? Ich dachte, du hättest noch zu tun.“ „Als ich erfuhr, dass du erneut einfach so abgehauen bist, weil du schon wieder etwas gespürt hast, da habe ich mich auf den Weg gemacht weil ich geahnt habe, dass du dich wieder nur in Schwierigkeiten bringen wirst.“ Nun wandte der Unvergängliche den Blick zu Elion, dem schon anzumerken war, dass er großen Respekt vor Liam hatte. Er wusste, dass er keinerlei Chancen gegen ihn hatte, wenn dieser Kerl wirklich Ernst machte. Und mit Sicherheit würde das auch der Fall sein, wenn er es auch nur wagte daran zu denken, Jeremiel bloß falsch anzugucken. Ohne überhaupt nur ein Wort gesagt zu haben stand fest, wer hier das Sagen hatte und Elion wagte es nicht einmal daran zu denken, Liams Position infrage zu stellen. Das würde er noch bitter bereuen, wenn er es sich mit ihm verscherzte. Jeremiel hingegen schien diese kalte und düstere Aura gar nicht zu sehen oder er übersah sie einfach. Stattdessen umarmte er ihn und erklärte dann „Liam, ich habe Elion getroffen. Es ist alles in Ordnung, wir haben uns ein bisschen unterhalten und… er hat da ein persönliches Anliegen.“ Liams Blick verfinsterte sich und er verschränkte die Arme. Man hätte meinen können, er wolle Elion gleich eigenhändig den Kopf abreißen. Aber vielleicht täuschte das ja auch. „Ein persönliches Anliegen?“ Der Proxy bekam kaum ein Wort heraus, weshalb Jeremiel das Reden übernahm. „Elion wohnt zurzeit bei einem 18-jährigen Jungen namens Ezra Parker und dieser hat große Schwierigkeiten mit der Mafia. Die schicken offenbar regelmäßig Schutzgelderpresser zu ihm hin und die schrecken auch nicht mal vor Vergewaltigung zurück. Und nun überlegt sich Elion, wie er ihm helfen kann und ich dachte, du wüsstest vielleicht, welcher der Clans dahinterstecken könnte. Leider kennt Elion den Namen nicht.“ „In welchen Bezirk schickt er seine Leute hin?“ Elion musste nachdenken, denn so ganz wollte ihm der Name der Straße nicht mehr einfallen. Also half Frederica ihm auf die Sprünge. „Das ist die Wilshure Street.“ Und als er diese Information an Liam weitergab, nickte dieser und wandte den Blick ab, wobei er nachdachte. „Im Ghetto haben viele Clans ihre Geschäfte am Laufen. Aber was die Schutzgelderpressung von Mietern angeht, das klingt für mich entweder nach Rico Saluggi oder Jeffrey Parson. Saluggi hat sich aber hauptsächlich auf Drogengeschäfte konzentriert und erpresst Schutzgelder ausschließlich von Leuten, die eigene Geschäfte betreiben und bei denen dementsprechend auch was zu holen ist. Und Parson ist einer von der Sorte, mit der nicht gut Kirschen essen ist. Der Kerl ist ein alter Hase im Geschäft und zeichnet sich sehr durch seine Erfahrung und seine Kompromisslosigkeit aus. Außerdem pflegte er eine sehr enge Geschäftsbeziehung mit Fincher, mit dem du ja vertraut sein dürftest.“ Da Elion mit dem Namen nichts anfangen konnte, erklärte Liam es ihm. „Fincher war bis vor kurzem ein sehr hohes Tier auf der Menschenauktion. Dort werden Frauen und junge Männer als Sexsklaven versteigert. Meist kamen diese Leute vom Strich oder aus der Drogenszene. Und teilweise haben sie ihre ersteigerten Sklaven ziemlich brutal zugerichtet. Der letzte Sklave, den Fincher auch an Parson „vermietet“ hat, war ein 19-jähriger Junge namens Neill Ferguson. Man schnitt ihm die Augen und die Stimmbänder raus, durchtrennte seine Achillessehnen und hielt ihn wie ein Tier. Inzwischen haben sie den Jungen so gebrochen, dass er zu einem durch und durch willenlosen Spielzeug geworden ist und kein anderes Leben mehr will.“ „Das ist ja schrecklich“, murmelte Elion bestürzt und konnte nicht fassen, wie grausam und krank die Menschen doch sein konnten. „Und Ezra wird von diesem Typ auch sicher bald genauso zugerichtet, wenn ich nichts dagegen unternehme.“ Als Jeremiel sah, wie sehr Elion diese ganze Sache mitnahm, wandte er sich an Liam und ergriff seinen Arm. „Glaubst du, es gibt eine Möglichkeit, wie wir Ezra da rausholen können?“ „Das dürfte nicht sehr einfach werden. Parson ist, wie schon gesagt, ein alter Hase im Geschäft und gehört schon zu den hochrangigeren Leuten in der Bostoner Unterwelt. Es gäbe sowohl diplomatische als auch nichtdiplomatische Wege, um dieses Problem aus der Welt zu schaffen. Der diplomatische Weg besteht darin, dass Ezra sich an die Polizei wendet, allerdings glaube ich kaum, dass die was machen wird. Denn Parson kann seine Spuren sehr gut verwischen. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass ein Schuldnertausch stattfindet. In unseren Kreisen ist das eher unüblich, aber es könnte durchaus funktionieren.“ „Wie sähe dieser Schuldnertausch aus?“ „Nun, ich würde Ezras Schulden begleichen und dann als neuer Schuldeneintreiber fungieren. So wäre er bei Parson fein raus und der hätte keine geschäftlichen Gründe mehr, Ezra zu bedrohen. Das alles setzt allerdings voraus, dass Parson mit dem Deal einverstanden ist, was ich allerdings bezweifle. Denn es ist bekannt, dass er eine Vorliebe für junge Leute hat. Wenn er den Jungen ins Auge gefasst hat, wird er bestimmt nicht mit sich reden lassen.“ Mit anderen Worten, es blieben also nur die undiplomatischen Methoden? „Und wie sieht die andere Alternative aus?“ fragte Elion und ahnte, dass er seine Frage noch gleich bereuen würde. Doch als er den Vorschlag hörte, klang dieser gar nicht so schlimm, wie er zunächst befürchtet hatte. „Die etwas drastischere Methode besteht darin, Parson zu erpressen. Er wird mit Sicherheit irgendwo Fehler gemacht haben und wenn wir diese finden, ist er bei der Polizei geliefert. Nun gut, es ist nicht sonderlich üblich, dass die Mafia andere Gruppen verpfeift, denn dadurch geraten sie selbst in Gefahr, ins Visier zu geraten. Deshalb würde es eher anonym von statten gehen, indem wir Informanten zur Presse schicken und das würde einen Skandal geben. Wenn er so ins Visier der Öffentlichkeit gerät, hätten wir Folgendes bewirkt: 1. die Polizei wird sich verstärkt auf seine kriminellen Geschäfte konzentrieren und 2. würden sich seine Partner zurückziehen, damit sie selbst nicht noch Schwierigkeiten bekommen. Somit würde Parson an Macht verlieren und hätte gar nicht mehr die Möglichkeit, sich auf so kleine belanglose Fische wie diesen Ezra zu konzentrieren. Er hätte ganz andere Probleme und diese Situation würde ich dann wiederum ausnutzen, um ihm systematisch seine Macht zu nehmen und seine Geschäfte zu zerschlagen. Somit hätte ich einen Konkurrenten aus dem Weg geräumt, was natürlich einen großen Vorteil für meine Geschäfte bedeutet und zugleich hätte ich auch deinem Freund Elion geholfen.“ Jeremiels Augen wurden groß als er hörte, was Liam da für einen Plan parat hatte. Und auch der Proxy war begeistert, denn zuerst hatte er ja noch ernsthaft damit gerechnet, dass der Mafiaboss noch einen regelrechten Krieg anzetteln und Parson und seine Leute einfach umbringen würde. Und das merkte wohl auch der Mafiaboss, woraufhin er ein kühles Lächeln aufsetzte und erklärte „Nur weil ich zur Mafia gehöre, bringe ich nicht gleich jeden um. So etwas ist auch selbst unter unseren Leuten sehr unvorteilhaft, weil unnötige Todesfälle nur die Aufmerksamkeit der Polizei auf uns lenken und es nur Arbeit macht. Und meist hat der Tod eines Mafioso durch einen anderen nur eine Vendetta zur Folge.“ „Vendetta?“ fragte Elion, der mit dem Begriff nichts anfangen konnte, woraufhin der Unvergängliche erklärte „Bis heute gilt unter den Mafiaclans das Gesetz der Blutrache. Wenn zum Beispiel die Saluggis einen von meinen Leuten töten, würde es bedeuten, dass wir mit gleicher Münze zurückzahlen würden, indem wir einen von ihren Leuten töten. Das ist nichts Persönliches, sondern rein geschäftlich.“ „Klingt irgendwie wie „Der Pate“, finde ich“, bemerkte Jeremiel und runzelte die Stirn, als er das hörte. „Nun, es klingt zwar hart, aber in der Unterwelt gehen Geschäfte oft vor Familie. Zumindest für die meisten. Ich werde jedenfalls sehen, was ich tun kann. Aber es wäre vielleicht besser, wenn wir mit dem Jungen persönlich reden, um genauere Informationen zu bekommen.“ „Okay, das klingt ja schon mal super. Aber ich muss euch warnen! Ezra ist extrem misstrauisch und wird alles andere als begeistert reagieren.“ „Nicht schlimm, ich bin schon mit schwierigeren Situationen fertig geworden.“ „Ich fürchte, du wirst den Jungen noch einschüchtern“, befürchtete Jeremiel und wandte sich Elion zu. „Ich denke, es wird das Vernünftigste sein, wenn du erst mal mit ihm redest. Wir kommen aber gerne mit dir mit.“ Da Elion diese Chance nutzen wollte, nahm er das Angebot gerne an und nickte. „Okay, dann gehen wir eben zusammen hin.“ Kapitel 10: Verzweiflung ------------------------ Laut stöhnte Ronnie auf, als er zu seinem Höhepunkt kam und sich vom Bett erhob. Er hatte schon ganze drei Runden gehabt, genauso wie Jack und so langsam waren sie echt aus der Puste. Während der ganzen Zeit hatten sie nicht einen Mucks von Ezra gehört und daraufhin wirklich alles versucht, um ihn zum Schreien zu bringen. Doch selbst als sie ihn mit dem Messer malträtiert und ihm eine Klinge in sein Loch gerammt hatten, da hatte er nur die Zähne zusammengepresst und keinen Ton von sich gegeben. Als Ronnie sein Ding rauszog, verzog er angewidert das Gesicht und spuckte aus. „Scheiße Mann, die kleine Schlampe ist komplett eingesaut. Und mein Schwanz ist auch voller Blut…“ Unablässig flossen Blut und andere Körperflüssigkeiten Ezras Beine hinunter und es kam kein Ton von ihm. Kein Schmerzwimmern, keine Protestschreie, rein gar nichts. Er stöhnte nicht einmal. „Aber trotzdem ne geile Runde. Ich muss schon sagen, der lässt sich bei weitem besser ficken als Neill. Dessen Arsch ist ja auch schon komplett ausgeleiert.“ „Stimmt. Willst du etwa noch mal ran?“ Doch Ronnie hatte genug und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Nun endlich verstand er, wieso jeder an Ezras Arsch ran wollte. Der Kerl konnte auch wirklich alles einstecken. „Ich muss schon sagen Ezra, du bist ja echt hart im Nehmen. Kein Wunder, dass der Boss so scharf auf dich ist.“ Immer noch keine Reaktion. Der gefesselte 18-jährige lag reglos im Bett und sein Haar war völlig zerzaust und man konnte sein Gesicht nicht sehen. Unablässig floss Blut und es sah nicht gerade gesund aus und das bemerkte auch Jack, der sich nun eine Zigarette genehmigte. „Der gibt ja gar keinen Mucks mehr von sich.“ „Der hatte wohl genug und ist ohnmächtig geworden. Na scheiß drauf. Wir nehmen ihm nur noch die Fesseln wieder ab, dann verschwinden wir. Ich bin ja mal echt gespannt, wann wir das nächste Mal hergeschickt werden. Der kleine Ezra ist ja schon echt verdammt heiß. Kaum zu glauben, dass der schon tatsächlich 18 Jahre alt ist.“ „Das ist nur die Größe. Der ist ja echt ein verdammter Zwerg.“ Ronnie zog seine Hose wieder an und lachte. Er verließ das Zimmer und ging in Richtung Küche, um sich was zu trinken zu holen. Im Flur stieg er über den toten Archi weg, pfiff dabei ein Lied und fand im Kühlschrank tatsächlich Bier, holte zwei davon heraus und ging damit zurück und reichte seinem Kollegen eines. So ein eiskaltes Bier konnten sie wirklich gut gebrauchen, besonders nach drei Runden mit so einem Zuckerarsch wie Ezra. Als er einen Schluck trank schmeckte er, dass es sich um recht billiges Bier handelte und spuckte aus. „Scheiße Mann du Nutte, kannst du nicht mal anständiges Bier kaufen?“ Doch Jack war da weniger anspruchsvoll und trank gleich die halbe Flasche aus. „Reg dich nicht so auf. Der kriegt doch eh nichts mit.“ Auch wieder wahr. Der konnte echt von Glück reden, dass er nichts mehr mitbekam. Sonst hätte er noch eine ordentliche Abreibung bekommen. „Ich glaub echt, der ist hinüber.“ „Was glaubst du denn? Nach sechs Runden und all dem, was wir mit ihm angestellt haben…“ Ja, das stimmte wohl. Nachdem sie ihr Bier ausgetrunken hatten, nahmen sie dem immer noch reglosen Ezra die Fesseln ab und wollten gerade gehen, da hörten sie plötzlich, wie die Tür geöffnet wurde und eine Stimme zu hören war. „Ezra?“ rief jemand und sofort hielten die beiden ihre Pistolen bereit. Scheiße… Dabei hieß es doch, der Zwerg würde alleine hier wohnen und hätte keine Verwandten oder Freunde. Außer die demente alte Frau eine Etage tiefer, die sich um ihre geistig behinderte Enkelin kümmerte. Jetzt kam jemand in die Wohnung und es durfte bloß keine Zeugen geben, sonst würde das nur Stress mit der Polizei geben. Und wenn es Stress mit den Bullen gab, dann würde Parson ihnen eigenhändig den Kopf abreißen. Also würde der Typ krepieren, wenn er hereinkam. Ronnie begann zu zielen und wartete, bis die Schritte näher kamen. „Ezra, ich bin wieder da“, rief die Stimme und kurz darauf waren wieder Schritte zu hören, die immer näher kamen. Die Tür wurde langsam geöffnet und sogleich feuerte Ronnie mehrere Schüsse ab. Er schoss sein gesamtes Magazin durch die Tür und danach war auch erst mal nichts zu hören. Doch dann wurde die Tür dennoch gänzlich geöffnet und ein Riese von einem Mann kam herein. Er war vollkommen in schwarz gekleidet und seine Augen funkelten in einem dämonischen Rot. Sogleich als sie ihn sahen, bekamen sie es mit der Angst zu tun, denn man sah deutlich, dass von diesem Typen etwas Gefährliches ausging. Auch sein Gesichtsausdruck sah deutlich danach aus, als würde er keinen Spaß verstehen. „So, wer von euch lebensmüden Vollpfosten hat es gewagt zu schießen?“ Keiner sagte etwas und sogleich lud auch schon Ronnie seine Waffe nach und wollte auf den Mann schießen, doch da spürte er plötzlich eine Vibration in seiner Pistole und im nächsten Augenblick zersprang sie in ihre Einzelteile. „Scheiße Mann, wer bist du?“ rief er und wich zurück, da bekam er auch schon einen Tritt in die Magengrube, der so heftig war, dass er gegen die Wand geschleudert wurde und zu Boden fiel. „Mein Name ist Liam J. Adams.“ „Wer?“ „Fuck Ronnie, das ist der Liam Adams, verdammt! Der Kerl, der Gordon Eames als neue Nummer zwei abgelöst hat!“ Nun überkam die beiden Panik, als sie erkannten, wer da vor ihnen stand. Sie hatten schon einige Gerüchte über diesen Liam gehört, der zu den wohl gefährlichsten und mächtigsten Mafia-Bossen der Unterwelt zählte. Es hieß, dass er seine Feinde nicht nur tötete. Nein, er brach sie regelrecht und trieb sie in den Wahnsinn, bis er auch den letzten Rest ihres Verstandes vernichtet hatte. Er verteidigte sein Revier mit aller Gewalt und Konsequenz und wer es wagte, sich in seinem Gebiet herumzutreiben und seine Geduld überzustrapazieren, den verfolgte er gnadenlos und dann konnte man sein Testament machen. Und wer es wagte, sich an seinem Eigentum zu vergreifen, dem machte er das Leben zu einer einzigen Hölle. Als Jack schon die Flucht ergreifen wollte, bekam Liam ihn am Kragen zu fassen und schleuderte ihn in Ronnies Richtung. „Ihr zwei Schießbudenfiguren bleibt schön hier und dann erklärt ihr mir in aller Ruhe, was das sollte und was ihr mit dem Jungen da gemacht habt.“ Weitere Schritte ertönten und Elion kam herein. Wenn Liam ihn und Jeremiel nicht noch rechtzeitig aus der Schusslinie geholt hätte, dann wäre er mit Sicherheit draufgegangen. Sofort eilte er zu Ezra hin, der nackt auf dem Bett lag. Blutend, beschmutzt und geschändet. Seine Haut war leichenblass und vorsichtig strich er ihm die Haare aus dem Gesicht. „Ezra, hey sag doch was!“ Doch als er diese leeren und leblosen Augen sah und vergebens versuchte, einen Puls zu fühlen, da ahnte er nichts Gutes. Und als er seine Handschuhe auszog und seine Hände an die Schläfen des Leblosen legte, wurde er in seiner schlimmsten Befürchtung bestätigt. Fassungslos kniete er neben dem Bett und brach in Tränen aus. Nein… das konnte doch nicht sein. Das war doch nicht möglich. Ezra ging es vorhin doch noch gut, sie beide hatten sich unterhalten und sich gestritten. Wieso nur war das jetzt passiert? Wieso war er nicht mit ihm nach Hause gegangen? Elion ergriff die Hand des 18-jährigen hielt sie fest und zitterte am ganzen Körper. Wieso nur war er nicht schon viel früher zurückgekommen? Dann hätte das nicht passieren müssen. Warum passierte das alles nur und warum ausgerechnet Ezra? Das war nicht fair, das war einfach nicht gerecht. Warum nur konnte diese ganze Gewalt nicht endlich mal ein Ende haben? Wieso mussten die Menschen einander immer so sehr wehtun? Wann hörte das denn endlich auf? …es würde niemals aufhören. Es würde immer so weitergehen und immer nur Menschen geben, die andere verletzten, schikanierten und quälten. Es würde niemals aufhören und so eine Welt, in der es nur Gewalt und Elend gab, sollte doch besser gleich aufhören zu existieren, oder? Elion erhob sich und ließ Ezras Hand los. Unbändige Wut kochte in ihm und er war von blankem Hass erfüllt. Noch nie in seinem Leben hatte er solch einen Zorn in sich getragen, doch nun war das Maß endgültig voll. Es war ihm egal ob sie ihn schlugen, vergewaltigten oder erniedrigten. Er konnte es aushalten, aber wenn er etwas nicht ertragen konnte dann war es, wenn jene so gequält wurden, die ihm wichtig waren. So etwas konnte und wollte er nicht akzeptieren und da war es ihm auch egal, wie viel Gewalt er selbst anwenden musste, um dieses Elend zu beenden. Ja, in diesem Zustand war er sogar zu einem Mord fähig. Er hatte es ja schon mal getan. Nämlich als man Sariel entsorgen wollte. Da hatte er ein knappes Dutzend Männer getötet, um sie zu retten. Und nun war er bereit, dasselbe noch mal zu tun und blutige Rache zu nehmen. Mit einem tödlichen Funkeln in seinen Augen ballte er die Hände zu Fäusten, dann wandte er sich Ronnie und Jack zu, die schon durch Liam bereits ziemlich eingeschüchtert waren. „Wer von euch hat das getan?“ fragte er mit bedrohlicher Stimme und selbst Jeremiel lief es eiskalt den Rücken hinunter, als er den sonst so sanftmütigen und friedliebenden Proxy in diesen Zustand sah. Er war mit einem Male wie ausgewechselt und es war so, als würde da eine ganz andere Person im Raum stehen. „Wer von euch hat Ezra umgebracht?“ „Scheiße Mann“, brachte Ronnie hervor und wandte sich an Jack. „Ich hab doch geahnt, dass er hinüber ist.“ Sofort ergriff Elion ihn am Kragen, zerrte ihn hoch und packte ihn im Gesicht, dann stieß er den Kopf des Mafioso so heftig gegen die Wand, dass es den Kerl noch fast umgebracht hätte. Blut floss aus der Wunde und sogleich schlug Elion ihn ins Gesicht und knöpfte sich dann Jack vor, der noch schnell wegkriechen wollte. Er nahm die Pistole an sich, die als Einzige heil geblieben war und richtete sie auf den Gangster. Immer noch flossen Tränen sein Gesicht herunter und er zitterte am ganzen Körper. Er sah wirklich danach aus, als wollte er abdrücken, doch dazu ließ es Jeremiel nicht kommen, der sich direkt dazwischenstellte. „Elion, bitte beruhige dich doch. Du kannst doch nicht…“ „Und ob ich das kann!“ rief der aufgebrachte Proxy und war vollkommen aufgewühlt und es schien so, als könne ihn nichts mehr aufhalten, um Ezras Mörder zu töten. „Diese Dreckskerle haben Ezra auf dem Gewissen und dafür sollen sie büßen. Ich bringe die beiden um, also geh aus dem Weg!“ Doch der 25-jährige ging nicht weg und blieb fest stehen. Er wollte nicht zulassen, dass Elion noch einen Fehler beging und etwas tat, was er mit großer Sicherheit bereuen könnte. „Du hast doch gesagt, dass du niemals jemandem wehtun willst. Du willst doch keine Menschen töten, Elion. Bitte, wir finden einen Weg, um Ezra zu helfen. Nimm die Pistole runter. Das ist doch nicht richtig, was du da tust!“ „Nicht richtig? Nicht richtig war es, die ganze Zeit zu glauben, man könnte alles ohne Gewalt lösen. Ich war ein Vollidiot und ein Träumer. Ezra hatte die ganze Zeit Recht gehabt und ich war so naiv und habe an eine Welt geglaubt, wo es keine solche Gewalt mehr geben muss. Aber das ist nicht wahr. Es wird immer nur Gewalt geben und deshalb hat es doch keinen Sinn mehr, an solchen Träumen festzuhalten, die eh totaler Schwachsinn sind. Gewalt kann man nur mit Gewalt beenden und in einer solchen Welt überlebt nur der Stärkere. Ich hätte diese ganzen Bastarde töten sollen, bevor sie Ezra so zugerichtet und ihn umgebracht haben. Ich werde jeden einzelnen von ihnen töten, jeden gottverdammten Menschen, der so etwas Grausames tut und ich lasse mich von niemandem aufhalten. Von niemandem, verstanden? Also jetzt geh endlich beiseite und ich knall diese Mistkerle ab!!!“ Doch bevor die Situation weiter eskalieren konnte, verpasste Liam den aufgewühlten Proxy einen kräftigen Schlag ins Genick und nahm ihm sogleich die Waffe weg. „Jetzt krieg dich mal wieder ein“, sagte er in einem strengen Ton und sah auf ihn herab. „Natürlich ist es naiv, an eine vollkommen gewaltlose Welt zu glauben. Die wird es auch wahrscheinlich nie geben, weil es immer Gewalt geben wird, solange es Frieden gibt. Aber es ist nicht falsch, trotzdem dafür zu kämpfen, dass es weniger Gewalt in dieser Welt gibt. Im Gegenteil, es lohnt sich immer dafür, etwas dafür zu tun, dass es weniger sinnlose Gewalt gibt und man andere überzeugen kann, auch andere Wege zu gehen. Und deshalb werde ich ganz sicher nicht zulassen, dass du hier irgendeine Dummheit begehst, du Grünschnabel. Um über andere richtig urteilen zu können, fehlen dir mindestens 400 Jahre Erfahrung. Also krieg dich wieder ein und überlass diese zwei Spatzenhirne mir.“ Elion senkte den Blick und schluchzte leise. Er fühlte sich vollkommen hilflos und alleine. Die ganze Zeit hatte er sich vorgenommen, Ezra zu beschützen und ihm zu helfen, vom Straßenstrich wegzukommen und nun war er gestorben. Dieses Mal hatten es seine Vergewaltiger zu weit getrieben und ihn umgebracht. Er war tot und nun… nun fühlte Elion nichts mehr als diese unendliche Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Genauso musste sich auch Ezra all die Jahre gefühlt haben und doch hatte er genug Stärke besessen, um nicht zu weinen, sondern weiterzukämpfen. Dabei hatte er doch selbst gewusst, dass es ein Kampf gegen Windmühlen war. Liam, der weitaus Schlimmeres gesehen hatte und deshalb auch deutlich besser die Beherrschung bewahren konnte, wandte sich an Jack, packte ihn am Kragen und stieß ihn gegen die Wand. „So und du sagst mir jetzt mal schön, wieso ihr das getan habt. Und ich warne dich jetzt schon mal: meine Geduld ist stark begrenzt, deshalb rate ich dir, schön den Mund aufzumachen, bevor ich dir gleich ein drittes Nasenloch verpasse.“ „Unser Boss hat gesagt, wir sollten ihn ein wenig bearbeiten, weil er so frech war und sich weigert, zum Spielzeug des Bosses zu werden.“ „Ist es Parson?“ Jack schwieg, doch Liam wusste, dass er Recht hatte. Sogleich rammte er sein Knie in Jacks Magengrube, schlug ihm ins Gesicht und als er am Boden lag, trat er ihm noch mal in die Seite. „Euren Boss werde ich mir später vorknöpfen, aber ihr zwei kommt mir nicht ungeschoren davon.“ „Wieso? Das ist der Bezirk vom Boss.“ „Das schon, aber ich kann es nun mal gar nicht ab, wenn Leute gequält und bedroht werden, die unter meinem persönlichen Schutz stehen.“ Und mit einem Tritt gegen den Kopf hatte er nun auch Jack zum Schweigen gebracht und sah mit einem verächtlichen Blick auf die beiden herab. Um die beiden würde er sich später kümmern. Wenigstens hatte er dafür gesorgt, dass Elion keinen Blödsinn anstellte. So aufgewühlt und durcheinander wie er gewesen war, konnte man ihm wirklich sogar einen Mord zutrauen. Aber da er ja wusste, dass Elion eine sehr friedliebende Natur war und niemals einem Menschen schaden wollte, musste er ja verhindern, dass der noch durchdrehte und hinterher noch irgendetwas bereute. Wenn sich hier jemand um Parson und seine Leute kümmerte, dann war das immer noch seine Angelegenheit und deshalb würde er auch nicht zulassen, dass Elion jetzt hier einen auf Rächer machte und noch irgendjemanden umbrachte. Der würde sich doch niemals davon erholen, auch wenn diese Schweine nichts Besseres verdient hatten. Als er sichergestellt hatte, dass die beiden Gangster keine Probleme mehr machten, ging er zum Bett hin und sah sich den Jungen an, um den es hier die ganze Zeit ging. Gleich schon vom kurzen hinblicken hatte er die Todesursache gefunden: Kreislaufversagen durch einen Schock, ausgelöst durch zu hohen Blutverlust. Wahrscheinlich durch die inneren Blutungen, die bei der Vergewaltigung entstanden waren. Liam sah sich den toten Ezra an und stellte fest, dass er noch nicht lange tot war, allerhöchstens zehn bis fünfzehn Minuten. Nun, es dürfte kein Problem darstellen, seinen Tod zurückzusetzen, zumindest nicht für ihn. Jeremiel kam schließlich zu ihm hin und fragte besorgt „Wie sieht es aus? Kannst du da was machen?“ „Klar. Sein Tod liegt ohnehin noch nicht lange zurück, das dürfte eigentlich problemlos von statten gehen. Was mich allerdings beschäftigt, sind diese Verletzungen.“ Und damit deutete er auf die Narben auf dem Rücken des Jungen und an seinem Arm. „Scheint von früheren Misshandlungen zu stammen.“ „Kannst du was dagegen machen?“ „Sicher. Das werden wir gleich haben.“ Damit legte Liam eine Hand auf Ezras Stirn und schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. Als sämtliche Narben und Verletzungen verschwunden waren und Ezras Herz wieder schlug, da nahm der Mafiaboss seine Hand weg und wandte sich Elion zu. „Du kannst dich wieder beruhigen, er lebt wieder.“ Als der Proxy das hörte, weiteten sich seine Augen und er konnte es gar nicht fassen. Ezra lebte? Er stand auf und ging zu seinem Freund hin und strich ihm über die Wange. „Ezra?“ Tatsächlich konnte er spüren, dass sein Herz wieder schlug und er wieder lebte, aber… irgendetwas stimmte da nicht. Denn immer noch war Ezras Blick leer und er wirkte immer noch so leblos wie eine Puppe. „Ezra, was ist mit dir?“ Er setzte ihn vorsichtig auf und versuchte ihn anzusprechen, doch es regte sich nichts in dem 18-jährigen. Es war so, als wäre da immer noch kein Leben in ihm und er sah Elion nicht einmal an. Da er nicht verstand, was mit ihm los war, wandte er sich an Liam. „Was… was stimmt nicht mit ihm?“ Nun war auch der Mafiaboss ein wenig verwundert und legte wieder seine Hand auf Ezras Stirn, so als wolle er feststellen, ob er vielleicht Fieber hatte. Und dann verdüsterte sich sein Blick merklich. „Hab ich es mir doch gedacht“, sagte er und er nahm seine Hand wieder weg. „Der Junge lebt, aber so wie es aussieht, ist sein Lebenswille endgültig gebrochen. Da kann ich auch nicht viel machen, das wäre eigentlich ein Fall für Eva.“ „Sein Lebenswille ist gebrochen? Aber… wie…“ „Das passiert, wenn ein Herz mehr ertragen muss, als es aushalten kann. Und zu sterben, kann für viele Menschen zu viel sein. Deshalb werden sie zu lebenden Leichen, weil sie nicht mehr in der Lage sind, ihrem inneren Tod zu entkommen. Ezra ist in einen apathischen Zustand verfallen und aus diesem wird er auch nicht mehr so schnell herauskommen. Um ehrlich zu sein fürchte ich, dass er für immer so bleiben wird, wenn nichts dagegen unternommen wird. Von alleine wird er sich nie davon erholen.“ Elion konnte es nicht fassen, als er das hörte. Ezra war innerlich tot und selbst Liam konnte da nichts machen? Gab es denn überhaupt keine Hoffnung mehr, ihm zu helfen? Nein, das durfte einfach nicht sein. Es musste doch eine Möglichkeit geben, eine winzig kleine Chance zumindest. Er konnte doch nicht zulassen, dass Ezra bis an sein Lebensende so blieb wie jetzt. „Können wir denn gar nichts tun?“ „Ich nicht, denn ich besitze nicht die Fähigkeit, anderen einen neuen Lebenswillen zu geben. Eva wäre die Einzige, die mir spontan einfallen würde. Aber… vielleicht besteht ja auch die Möglichkeit, dass du etwas tun könntest.“ „Ich?“ Liam nickte und erklärte „Ihr Proxys verfügt über die Fähigkeiten der Unvergänglichen. Aber es ist nicht klar, ob ihr jetzt eher nach mir oder nach Eva kommt. Es kann sein, dass du sowohl über meine, als auch über Evas Kräfte verfügst und deshalb vielleicht in der Lage bist, deinem Freund zu helfen. Zumindest wäre es einen Versuch wert.“ „Und… und wie mache ich das?“ „Du musst eine mentale Verbindung aufbauen und damit in Ezras Seele vordringen. Wenn du in seiner Welt angelangt bist, musst du ihm einen Grund geben, um weiterzuleben. Wenn er diesen annimmt, dann würde er einen neuen Lebenswillen bekommen und wäre somit vollkommen wiederhergestellt. Allerdings gibt es keine Garantie dafür, dass es auch funktioniert. Es ist auch möglich, dass er keinen Grund mehr sieht, weiterzuleben und auch keinen anderen akzeptieren wird. Wenn er so verbohrt ist in seinen Ansichten, dann kann ihm niemand mehr helfen. Den Tod einer Person zurückzusetzen ist für Unvergängliche keine Kunst, weil sie sich außerhalb der Grenzen zwischen Leben und Tod bewegen. Aber einen Lebenswillen zu erneuern, das schafft nur Eva, weil sie die Macht besitzt, die Herzen der Menschen zu erreichen und ihnen Mut zu machen. Ich kann es nicht, weil ich das Negative verkörpere und ob du es schaffen wirst, ist fraglich.“ Doch Elion hatte seinen Entschluss gefasst und wollte es tun. Er wollte Ezra einen neuen Lebenswillen geben und ihn somit retten. Kapitel 11: Die Welt der leeren Träume -------------------------------------- Da Elion mit Ezra alleine sein wollte und Liam sich sowieso um die beiden bewusstlosen Kriminellen kümmern wollte, ließen sie den Proxy alleine. Bevor sie aber gingen, warnte Liam ihn noch ausdrücklich. „Pass aber ja auf. In solchen Welten kann es Dinge geben, die ein schwacher Verstand nicht aushalten kann. Es kann dort Dinge geben, die nicht den Gesetzen dieser Welt folgen und es kann durchaus sein, dass es dort einiges geben könnte, was sehr verstörend ist. Du darfst dich nicht von Ezras Ängsten und Traumata vereinnahmen lassen, sonst wirst du selbst noch ein Gefangener seiner Welt und dann kommst du nie wieder da raus. Pass also auf und lass dich niemals von seinen Ängsten einsperren!“ „Ist gut, danke für den Ratschlag.“ Damit verließen Liam und Jeremiel das Zimmer und schleppten die beiden bewusstlosen Gangster raus, um sie draußen Delta und Marcel zu überlassen, die sich um die beiden kümmern sollten. So war Elion nun allein mit Ezra, der immer noch regungslos und mit starren Augen da lag und völlig tot und leblos wirkte. Traurig strich er über die blasse Wange des Kleingeratenen, der wie eine Puppe aussah. Ihn so zu sehen, tat ihm entsetzlich weh und er hätte fast wieder geweint. „Es tut mir Leid, dass ich nicht schon viel früher gekommen bin, um dich da rauszuholen.“ Da er ihn nicht in diesem Zustand sehen konnte, zog er Ezra erst einmal was an und richtete seine Haare. „Das ist alles nur meine Schuld…“ Damit legte er seine Stirn auf Ezras und schloss seine Augen. Das Erste, was Elion sah, war eine Welt, die wie aus einem bizarren Traum oder einem abstrakten Gemälde entsprungen zu sein schien. Es war eine riesige Welt, in der es offenbar keine physischen Gesetze gab wie in der richtigen. Obwohl der Himmel pechschwarz war, gab es hier dennoch Licht und überall schwebten Blöcke, Figuren und andere Gegenstände herum. Zahnräder ragten aus dem Boden und eine gigantische Uhr war in der Ferne zu sehen. Noch nie hatte Elion so etwas gesehen und er fragte sich, was das wohl für eine Welt war und ob sie wirklich zu Ezra gehörte. Am Himmel sah er sogar eine Insel schweben, die aber kopfüber hing und ein äußerst surreales Bild bot. „Nanu? Ist da jemand etwa auf der Durchreise?“ Elion wandte sich um und sah einen kleinen Jungen auf einen der schwebenden Blöcke sitzen die aussahen, als stammten sie aus einem Tetrisspiel. „Wer bist du?“ „Wer ist nicht die richtige Frage. Eher wäre die Frage „was“ angemessener und was ich bin, das ist lediglich ein Beobachter. Denn du musst wissen, dass ich ein Sefira bin, genauso wie Eva und Araphel.“ „Ein Unvergänglicher?“ „So nennen uns die Menschen, aber dabei beschreibt nichts das, was wir wirklich verkörpern. Denn was wir sind, das sind Fragmente der Ewigkeit. Fragmente von Ain Soph.“ Ain Soph, das war doch der Name des Projekts, dessen Teil er gewesen war. Aber was hatte ein Unvergänglicher hier zu suchen und wieso war er nicht bei Ezra? Als er diese Frage stellte, lachte der Junge und sprang herunter. Er landete leichtfüßig auf einer Art Hügel, der sich aus unzähligen Tischen zusammensetzte. „Nun, du versuchst in die Seele eines Menschen einzudringen, dessen Herz gebrochen ist. Was dort existiert, ist nichts. Und darum bin ich hier, weil ich der Bote des Nichts bin. Wo Leere ist, da ist nichts. Und wo Nichts ist, da ist die Unendlichkeit und Ewigkeit. Denn die Unendlichkeit und die Ewigkeit sind nichts. Und damit ist das, was du hier siehst, er: Ajin Gamur, das Ur-Nichts und die höchste aller Formen, die weit über allem steht, was ein beschränkter Geist wie deiner zu fassen vermag. Denn das, was du an mir zu sehen glaubst, ist nur ein Schatten, eine Illusion, weil alles andere für dich nicht begreifbar wäre. Denn das Nichts ist grenzenlos.“ „Ich… ich verstehe nicht wirklich.“ „Weil du zwar über die Kräfte, aber nicht über das Verständnis verfügst. Denn wie willst du Ezra erreichen, wenn du nicht in der Lage bist, zu begreifen, was hier vor sich geht? Du musst wissen, dass alles, was stirbt, ins Nichts geht. Denn alles, was erschaffen wird, hat seine Wurzeln im Nichts. Das Nichts und damit Ajin Gamur ist der Anfang und das Ende, die Endgültigkeit aller Dinge. Und aus ihm erschuf sich selbst Ain Soph, sein Gegenstück und damit die ewige Existenz. Doch um etwas Endliches zu erschaffen, musste etwas aus Ain Soph geboren werden. Also spalteten sich immer mehr Fragmente von ihm ab und daraus wurden die Sefirot geboren. Aus diesen wiederum die Welt der Vergänglichen und Sterblichen. Und da das Herz deines Freundes leer geworden ist, ist in dieser Leere nichts. Und wo nichts ist, da ist Ajin Gamur und damit wiederum ich. Ich bin überall, wo das Nichts sich ausbreitet und alles Vergängliche hineinzieht. Und deshalb gelangst du in Ezras Herz nur über diesen Weg.“ „Und wo finde ich ihn? Kannst du mir helfen?“ „Ich helfe und behindere niemanden, denn ich bin weder Freund noch Feind. Ich bin nichts davon und doch alles.“ „Das ist keine Antwort.“ „Keine Antwort, die dein kleiner Geist zu begreifen vermag. Denn Ajin Gamur ist nichts und doch alles. Denn alles, was ist, wurde aus dem Nichts geboren und kehrt ins Nichts zurück, auf dass aus dem Nichts wieder Neues geboren wird. Das ist der Verlauf der Dinge.“ Irgendwie wurde Elion aus dem Gerede dieses Jungen nicht sonderlich schlau und begann sich nun auf dem Weg zu machen, um selbst zu suchen. Dabei ging oder besser gesagt schwebte der Junge neben ihm her. „Ich verstehe das nicht“, murmelte der Proxy und irrte durch diese unwirkliche Landschaft, nicht wissend, wohin er überhaupt gehen sollte. „Sonst konnte ich doch immer problemlos eine mentale Verbindung aufbauen, wieso denn jetzt nicht mehr?“ Der Junge lächelte wissend und erklärte es ihm. „Das liegt doch auf der Hand. Der Unborn, nämlich das Fragment von Ain Sophs Willen war ein Sefira und die können sich direkt mit allen Lebewesen verbinden, weil alle Lebewesen mit ihnen verbunden sind. Aber du bist keiner und deshalb bist du nicht mehr in der Lage dazu. Dazu fehlt dir das Verständnis und solange du nicht begreifen kannst, wie das Gefüge dieser Welt aufgebaut ist, wirst du auch nicht fähig sein, zu Ezra durchzudringen.“ „Das heißt, ich sitze hier fest, weil ich kein Unvergänglicher bin?“ „So sieht es wohl aus. Aber es gäbe eine Möglichkeit. Denn ich bin nicht nur der Beobachter, ich bin auch das Bindeglied, so wie alle Unvergänglichen. Nur mit dem Unterschied, dass ich nicht in der Welt der Menschen lebe, sondern hier mein Zuhause ist. Ich durchreise die Welten und bin dort, wo nichts ist und aus dem Nichts Neues entsteht. Und ich kann dich zu Ezra bringen.“ Damit reichte der Junge ihm seine Hand und nach kurzem Zögern ergriff Elion sie. Sofort blendete ein gleißendes Licht den Proxy und er musste die Augen schließen. Und noch während ihn dieses Licht umhüllte, hörte er die Stimme des Jungen. „Vergiss nicht, was ich gesagt habe, denn um den Willen Ain Sophs aufzuhalten ist es wichtig, die Wahrheit zu erkennen. Und Ain Soph ist nur eine Schöpfung aus dem Nichts, darum auch wird alles ins Nichts übergehen.“ Die Stimme des Jungen rückte in eine immer weitere Ferne und als das Licht schwand und Elion die Augen öffnete, fand er sich in einer Welt wieder, die deutlich realer aussah, oder zumindest teilweise. Denn er fand sich in einer Stadt wieder, deren Häuser alle verlassen waren. Dichter Nebel herrschte und es war totenstill. Nicht einmal der Wind wehte und Elion konnte auch keine Menschen sehen, geschweige denn Tiere… zwar standen Autos am Straßenrand, aber die sahen allesamt gleich aus, der Staub lag auf den Armaturen und Sitzen und es sah so aus, als wären diese Fahrzeuge schon seit langem nicht mehr benutzt worden. Elion sah sich um, konnte aber wegen dem Nebel nicht viel erkennen und irgendwie erschien ihm dieser ganze Ort wie eine Geisterstadt. „Ziemlich unheimlich, oder?“ Elion erschrak fast, als diese totale Stille unterbrochen wurde und als er sich zur Seite drehte, sah er Frederica. „Und wie ich sehe, hast du ohne meine Hilfe hierher gefunden. Ich hatte schon befürchtet, du würdest unterwegs verloren gehen.“ „Dann warst du schon hier?“ Sie nickte und ging weiter. In dieser nebligen Landschaft sah sie mit ihrer schneeweißen Haut, den ebenso weißen Haaren und den roten Augen fast schon gespensterhaft aus. „Ja, weil ich ja aus dem Fragment einer Unvergänglichen geboren worden bin, so bin auch ich eine. Und wie bist du hergekommen?“ „Ich bin in einer Art Zwischenwelt gelandet, wo ich einen Jungen getroffen habe, der sich als Beobachter bezeichnet hat. Er redete irgendetwas vom Nichts und hat mich schließlich hergebracht.“ „Hm, dann musst du Nazir begegnet sein. Er wird auch der Bote des Nichts genannt und hält sich die meiste Zeit außerhalb dieser Welt auf. Im Grunde genommen ist er sogar älter und mächtiger als Liam und Eva und fungiert als Berater für die anderen Unvergänglichen. Du musst wissen, es gibt außer Liam und Eva noch viele weitere, aber sie haben sich alle weit zerstreut und haben kaum oder gar keinen Kontakt zueinander. Viele von ihnen haben ihr Dasein auch schon aufgegeben und sind für immer verschwunden. Aber von den Unvergänglichen belegt Nazir den ersten Rang, weil er der oberste Diener von Ajin Gamur ist. Er ist aber absolut harmlos, eben weil er neutral ist und sich auf keine Seite stellt. Übrigens ist er sowohl Liams, als auch Evas und mein Mentor gewesen und durch ihn gelangt man auch in die Welt der Shinigami und kann dort Ajin Gamur antreffen.“ „Schön und gut, aber erst einmal will ich Ezra finden und hoffen, dass ich ihm irgendwie helfen kann. Ehrlich gesagt fällt es mir schwer zu glauben, dass das wirklich seine Welt ist. Ich meine, hier ist alles irgendwie so verlassen.“ „Weil Ezra sich eben verlassen fühlt. Das, was wir hier sehen, spiegelt sein Herz wieder und das, was ihn ausmacht. Und das ist eine einsame und trostlose Welt, in der es niemanden gibt außer ihm selbst. Aber vermutlich wird es noch ganz anders zugehen, wenn wir das Zentrum erreichen. Das hier ist erst der Vorort und es kann durchaus sein, dass uns noch Schlimmes erwarten wird.“ „Das ist mir egal. Solange ich Ezra helfen kann, lasse ich mich durch nichts und niemanden aufhalten.“ „Du magst ihn sehr, nicht wahr?“ Elion senkte den Blick und nickte. Zugegeben, er hatte es vorher nicht so wirklich bemerkt gehabt. Aber nachdem er erfahren hatte, warum sich Ezra so verhielt und was wirklich mit ihm los war, da waren diese Gefühle irgendwie mehr geworden. Und als er ihn tot da liegen sah… in diesem entsetzlichen Zustand, da hatte er das Gefühl, als würde seine gesamte Welt zusammenbrechen. Ezra war für ihn mehr als nur ein Freund und Wohltäter, das hatte er nun erkannt. Und deswegen war der Junge auch weggelaufen, weil er Angst davor gehabt hatte, sich auf jemanden einzulassen und dann wieder so enttäuscht zu werden. „Im Grunde ist das alles nur meine Schuld. Hätte ich nicht zugegeben, dass ich Gefühle für ihn habe, dann wäre er nicht weggelaufen und dann hätten ihn diese Typen auch nicht umgebracht.“ „Hey, jetzt gib dir nicht die Schuld. Ich glaube, dass keiner in dieser Situation zu Ezra durchgedrungen wäre. Er war einfach nicht mehr in der Lage, noch irgendjemanden an sich heranzulassen und vielleicht ist das jetzt auch die beste Gelegenheit, um mit ihm zu reden und ihn davon zu überzeugen, ihm zu vertrauen.“ Nun, vielleicht hatte Frederica ja Recht und das hier war womöglich die einzige Möglichkeit, um Ezra zu erreichen und ihm klar zu machen, dass er Hilfe brauchte. „Und wie erreichen wir das Zentrum?“ „Wir gehen einfach weiter, bis wir ein Lebenszeichen wahrnehmen. Es mag ja sein, dass Ezras Welt vollkommen verlassen und tot ist, aber es muss irgendwo noch einen Lebensfunken geben.“ Da Frederica sich mit solchen Dingen besser auskannte, richtete sich Elion einfach nach ihr und gemeinsam gingen sie die Straßen entlang. Aber wirklich nirgendwo gab es ein Lebenszeichen. In den Häusern brannte kein Licht und wenn man durch die Fenster blickte, fand man alles völlig verstaubt vor, als wäre seit Ewigkeiten niemand mehr hier gewesen. Es gab nicht einmal Tiere hier und so langsam beschlich Elion auch das Gefühl, als würde der Nebel so langsam aber sicher die Stadt gänzlich verschlucken. Und als er diesen Gedanken Frederica mitteilte, nickte sie bedrückt und erklärte „Weil Ezras Welt auch langsam verschwindet. Deshalb müssen wir schauen, dass wir ihn schnell finden.“ Sie gingen durch die Straßen und der Nebel schien tatsächlich langsam immer dichter zu werden. Dann aber erreichten sie schließlich ein Haus, wo tatsächlich Licht brannte. Es war ein ziemlich heruntergekommenes Haus und es waren Stimmen zu hören. Das musste also das Zentrum sein, von dem Frederica gesprochen hatte. Und hier würden sie Ezra finden. Als Elion die Treppen hinaufstieg und an der Haustür stand, da bemerkte er, dass Frederica gar nicht mitkam. Er drehte sich verwirrt um und fragte „Wieso kommst du nicht mit?“ „Du bist der Einzige, der zu Ezra durchdringen kann, deshalb kann ich nicht viel ausrichten. Ich kann dich nur zur Tür bringen, aber hindurchgehen musst du selbst.“ „Okay, vielen Dank für die Hilfe.“ Damit öffnete Elion die Tür und betrat das Haus. Gleich schon als er drinnen war, hörte er Geschrei und Lärm. Zerbrechendes Porzellan und wie eine Frau vor Schmerzen schrie, als auf sie eingeprügelt wurde. Elion folgte dem Geräusch und gelangte zu einer Tür, hinter der sich das Szenario abspielen musste. Er versuchte sie zu öffnen, doch sie war verschlossen und ließ sich auch nicht mit Gewalt öffnen. Also ging Elion weiter und durchsuchte das Haus. Er fand eine Treppe hinunter in den Keller und als er sich daran erinnerte, was Ezra bei seiner zweiten Pflegefamilie erlebt hatte, ging er instinktiv hinunter in der Hoffnung, ihn vielleicht dort zu finden. Im Keller war es dunkel und er hörte mehrere Stimmen, Gelächter und anzügliches Gerede. Und er hörte ein leises Schluchzen. Er stieg die Stufen hinunter und hörte, wie die Stimmen deutlicher wurden. Einige von ihnen begannen laut zu lachen und einer von ihnen rief „Wer will sich die kleine Sau mit mir teilen?“, woraufhin ein begeisterter Jubel ausbrach und Elion begann Schlimmes zu ahnen. Wenn das nämlich diese ganzen Männer waren, die Ezra so zugerichtet und ihn vergewaltigt hatten, dann musste er dazwischengehen und zwar schnell. Doch schon bald merkte er, dass etwas nicht stimmte. Denn er ging zwar die Stufen hinunter, aber sie fanden kein Ende. Egal wie weit er auch nach unten ging, er kam irgendwie keinen Schritt weiter, so als würde er bei einer Rolltreppe in die falsche Richtung laufen. Also beschleunigte er seine Schritte und übersprang auch einige Stufen, aber es brachte nichts. Er kam einfach nicht vorwärts. „Ezra?“ rief er und blieb schließlich stehen. „Ezra, bist du da unten?“ Erst tat sich nichts, aber dann packte ihn plötzlich etwas am Fußgelenk. Eine eiskalte Hand und als er nach unten sah, erschrak er, als er ein Mädchen sah. Sie war schrecklich entstellt, ihr Gesicht war deformiert, Tränen liefen aus ihren blinden Augen und ein Arm wuchs ihr aus dem Kopf, ebenso ein weiterer aus ihrem rechten Ellebogen und sie hatte zwei linke Arme. Ihre Beine waren vollkommen verdreht und sie streckte ihre Hände nach Elion aus, während sie gequält röchelte und Blut aus ihrem Mund floss. Sie brachte nur ein Gurgeln zustande und entsetzt wich der Proxy beim Anblick dieses Wesens zurück. Was war das nur für eine Kreatur? „Wer bist du und was willst du von mir?“ Doch das Mädchen, dessen brünettes Haar zu zwei Zöpfen geflochten worden war, konnte kaum ein Wort sprechen und hielt sich an Elion fest. Ihr Blick zeugte von unendlicher Verzweiflung. Aber dann brachte sie mit großer Mühe unter Tränen ein einziges Wort hervor: „Papa…“ Papa? Wieso nannte dieses entstellte Mädchen ihn denn so? War sie vielleicht Ezras Schwester oder eine Person aus seiner Vergangenheit? Der Grauhaarige beugte sich zu dem Mädchen herunter und ergriff ihre Hand. „Weißt du, wo ich Ezra finde?“ Das Mädchen deutete mit ihrer normalen Hand nach oben, da die anderen Auswüchse wohl nicht richtig bewegungsfähig waren. Also befand sich Ezra nicht im Keller, sondern im oberen Stockwerk. „Danke.“ Damit ließ das Mädchen ihn wieder gehen und so eilte Elion wieder die Stufen hinauf. Dieses Mal hatte er aber kein sonderliches Problem, nach oben zu kommen und er ging einfach davon aus, dass es sich um Stationen aus Ezras Vergangenheit handeln musste, mit denen er besonders schlimme Erinnerungen verband und die deshalb nicht zugänglich waren, weil er sie verdrängte. Als er wieder den Flur erreichte, stieg er dieses Mal die Stufen hinauf ins obere Stockwerk und fand auch sogleich eine Tür, auf der „Ezra’s Room“ stand. Elion öffnete die Tür und fand ein vollkommen leeres und karges Zimmer, ohne Möbel, ohne Tapeten. Es gab nichts als nackte Wände und an den denen standen mit roter Farbe Worte wie „Missgeburt“, „Schlampe“, „Bastard“, „Verdorben“ oder „Abschaum“ geschrieben. Ezra selbst lag zusammengekauert auf dem Boden und trug Hand- und Fußfesseln. „Ezra…“ Elion wollte näher kommen, doch da schossen mehrere Ketten aus den Wänden und dem Boden und verflochten sich zu einer Art Gitter, wodurch es dem Proxy nicht mehr möglich war, dem 18-jährigen näher zu kommen. „Ezra, bitte lass mich durch. Ich bin es!“ „Verschwinde“, kam es von der anderen Seite und Ezras Stimme klang verzweifelt und kraftlos. „Lass mich alleine…“ „Nein, ich gehe hier nicht ohne dich weg. Bitte lass mich zu dir. Ich will dir doch helfen.“ „Du lügst. Niemand will zu mir. Niemand will so jemanden wie mich haben.“ „Das stimmt nicht. Mir bist du nicht egal und du bedeutest mir sehr viel. Und ich gehe hier nicht ohne dich weg, hast du verstanden?“ Doch Ezra war nicht in der Lage dazu, sich von seinen eigenen Fesseln zu befreien und blieb einfach liegen. Elion versuchte daraufhin, diese ganzen Ketten irgendwie zu lösen und einen Weg hindurch zu finden. Doch kaum, dass er sich hindurchzudrängen versuchte, da schlangen sich die Ketten um ihn und hielten ihn zurück. Aber seine Entschlossenheit war stärker und da konnten selbst die Ketten ihn nicht aufhalten. Er riss sich unter enormem Kraftaufwand los und schaffte es endlich, diese Mauer zu überwinden und zu Ezra zu gelangen. Dieser lag immer noch auf dem Boden und unzählige Ketten hatten sich um ihn geschlungen und beraubten ihn seiner Bewegungsfreiheit. Elion schaffte es, zumindest ein paar der Ketten zu lösen, nicht aber die an den Hand- und Fußgelenken. „Hör auf damit“, rief der 18-jährige schließlich und stieß Elion von sich. „Lass mich in Ruhe.“ „Ezra, ich lass dich nicht alleine und das habe ich dir auch schon gesagt. Hör mal, du kannst doch nicht für immer in diesem furchtbaren Haus bleiben. Komm doch bitte mit.“ „Wieso denn? Damit sie mich wieder nur im Stich lassen, so wie meine Familie? Ich habe niemanden auf der Welt. Alle haben mich einfach aufgegeben, weil kein Mensch so einen verdorbenen Stricherjungen wie mich haben will. Warum sollte ich also rauskommen? Es wäre doch besser, wenn es mich nicht mehr gibt. Keinen Menschen würde es interessieren, ob ich lebe oder sterbe. Ich will das alles nicht mehr. Also verschwinde, mit jemandem wie mir will sich keiner abgeben.“ Doch da legte Elion eine Hand auf die blasse Wange des 18-jährigen und dann küsste er ihn. Es war ein zärtlicher und zugleich liebevoller Kuss. Und bevor Ezra irgendwie reagieren konnte, schloss Elion ihn in den Arm und drückte ihn fest an sich. „Ich kenne das, was du durchmachst. Mich hatte auch niemand geliebt und alle haben in mir nur ein Monster gesehen. Mum war die Einzige gewesen, die mir jemals Liebe und Zuwendung gegeben hat, aber danach gab es niemanden mehr. Ich war alleine und habe mich ungeliebt, verachtenswert und unerwünscht gefühlt. Und ich dachte mir, dass es das Beste wäre, wenn ich einfach aus dieser Welt verschwinde. Dann könnte ich auch niemanden mehr verletzen und ich dachte mir, dass niemand so ein Monster wie mich jemals lieben würde. Ich habe mich all die Jahre selbst für ein abstoßendes und gefährliches Monster gehalten, aber du hast mich gerettet und bei dir aufgenommen. Du hast mich als Mensch gesehen und mich auch wie einer behandelt. Du hast mir einen neuen Lebenswillen gegeben und nun will ich dasselbe tun.“ „Warum?“ fragte Ezra und sah ihn an. Seine Augen zeugten von unendlicher Verzweiflung und Hilflosigkeit und es brach Elion das Herz, ihn so zu sehen. „Weil… weil ich dich liebe, Ezra. Ich liebe dich und deshalb werde ich dich niemals im Stich lassen, sondern für dich da sein und dich niemals so verletzen wie die anderen. Meinetwegen kannst du mich immer anschreien, mir eine reinhauen und mir sogar an den Haaren ziehen. Egal wie oft du mir auch sagst, ich solle verschwinden und dich alleine lassen, ich werde bei dir bleiben und für dich da sein, wenn du alleine bist. Und ich werde dir wieder aufhelfen, wenn du am Boden liegst und nicht mehr alleine aufstehen kannst. Du bist das Wichtigste für mich und deshalb werde ich dir die Liebe geben, die du dir immer so vergebens gewünscht hast. Bitte Ezra, bitte komm mit mir zurück und bleib bei mir. Ich… ich brauche dich.“ Und diese Worte waren zu viel für den Kleingeratenen. Er brach in diesem Moment in Tränen aus und erwiderte Elions Umarmung. Schluchzend klammerte er sich an ihn und zitterte am ganzen Körper. In diesem Moment zeigte sich, wie fertig er wirklich war. Schluchzend vergrub er sein Gesicht in Elions Schulter und ließ seinem ganzen Schmerz freien Lauf. „Ich kann nicht mehr…“, brachte er unter heftigen Schluchzern hervor. „Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Wirklich alles in meinem Leben ist eine einzige Katastrophe und ich schaffe das einfach nicht mehr. Bitte… hilf mir…“ Tröstend hielt Elion ihn im Arm und blieb stark für ihn. „Keine Sorge Ezra, ich werde nicht zulassen, dass dir irgendjemand wieder so wehtut. Ich werde dafür sorgen, dass du aus diesem Milieu rauskommst und du deine Ruhe vor diesen Perversen haben wirst und du nie wieder auf den Strich gehen musst. Vertrau mir einfach, okay?“ „Okay…“ Und damit lösten sich die restlichen Ketten, die Ezra festhielten und sogleich geschah etwas Überraschendes, womit selbst Elion nicht gerechnet hatte: Ezra erwiderte seinen Kuss. Kapitel 12: Ezras Lüge ---------------------- Da sie Ezra unmöglich in dieser Umgebung lassen konnten, brachten sie ihn zu Liams Anwesen, wo er im Patiententrakt untergebracht wurde. Der Rest der Familie wurde verständigt und so kamen sie alle natürlich hin, um Details zu erfahren. Nur Rumiko und Jamie konnten leider nicht kommen, da ihre Tochter Fieber hatte und sie sich um die Kleine kümmern mussten. Auch Liam war nicht dabei, da er wichtige Angelegenheiten zu klären hatte und die betrafen Jeffrey Parson und seine Leute. Delta und Johnny waren im Keller, um ihre neuen V.I.P.s gebührend Willkommen zu heißen und Jack und Ronnie eine Lektion fürs Leben zu erteilen, die sie niemals wieder vergessen sollten. Elion war fürchterlich nervös, als er hörte, dass die anderen kamen, doch als er Nastasja sah, da weiteten sich seine Augen und er war einfach nur überglücklich, sie zu sehen. „Mum!“ rief er und lief zu ihr hin. Als sie ihn sah, umarmte die gebürtige Russin ihn und sogleich nahm ihr italienisches Temperament Überhand und sie packte ihn energisch an den Schultern und schüttelte ihn durch. „Warum hast du dich nicht gemeldet? Hast du auch nur die geringste Ahnung, was ich für Ängste ausgestanden habe? Ich war ganz krank vor Sorge!“ „Oh ja, das war sie…“ Sogleich drängte sich ein Junge in einem Rollstuhl hervor, der rotes Haar und goldgelbe Augen hatte. Zuerst erkannte Elion ihn nicht wirklich, aber als der Junge breit grinste und ihn mit den Worten grüßte „Schön, dich wiederzusehen, Elion. Hast dich kein bisschen verändert“, da glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu können. Ungläubig sah der Proxy ihn an und konnte nicht glauben, wen er da vor sich sah. „Moment mal… bist du das, Sheol? Was ist denn mit dir passiert und wieso sitzt du im Rollstuhl?“ „Das Mittel hat leider so einiges eingefordert und da blieben einige Nachwirkungen leider nicht aus.“ „So ein Blödsinn“, rief Nastasja und gab ihm sogleich einen Klaps auf den Hinterkopf. „Dir geht es blendend du Pappnase und jetzt hör auf, hier einen auf querschnittsgelähmt zu machen und steig aus diesem verdammten Rollstuhl aus. Ich sagte doch, du sollst dich anständig benehmen.“ Und sogleich verdrehte Sheol mit einem genervten Seufzer die Augen und rief „Ja Mum…“, woraufhin er aus dem Rollstuhl ausstieg. „Ich wollte ihn doch bloß ein wenig erschrecken.“ Jeremiel schmunzelte darüber und schüttelte den Kopf. „Ich sagte ja: er hat nur Blödsinn im Kopf.“ Sie setzten sich in den Salon, wo Elion ihnen allen erzählte, was er in den letzten Tagen erlebt hatte und was passiert war. Und natürlich erzählte er ihnen auch Ezras Geschichte, woraufhin die meisten geschockt reagierten und insbesondere Beyond, der selbst von seinem Vater regelmäßig geschlagen worden war, ließ das nicht kalt. „Und nun würde sich also die Frage stellen, was mit ihm passieren soll“, fasste L zusammen, der ähnlich wie Jeremiel etwas zurückhaltend mit seinen Emotionen blieb und stattdessen nachdachte, was sie jetzt tun könnten. „Auf jeden Fall müssen wir dafür sorgen, dass die Mafia ihn in Ruhe lässt.“ „Darum kümmert sich Liam.“ „Nun, dann müssten wir schauen, dass Ezra erst mal in ein gefestigtes Umfeld kommt, damit er sein Leben wieder auf die Reihe bringen kann. Eigentlich würde ich ja fast sagen, Rumiko wäre eine gute Wahl, weil sie auch psychologisch geschult ist und als Lehrerin weiß, wie sie mit Problemfällen umzugehen hat. Allerdings hat sie zwei Kinder und da bin ich mir nicht sicher, ob sie und Jamie die Zeit und die Ruhe haben, sich um Ezra zu kümmern.“ Tja und Beyond und L waren da auch keine Alternative, so viel stand fest. Bei Andrew und Oliver waren sie sich auch nicht so ganz sicher. Zwar würde Oliver schon einen Weg wissen, um Ezra wieder auf die Beine zu bringen, aber sowohl er als auch Andrew hatten momentan so viel mit ihrer Hochzeitsplanung zu tun und außerdem lag es ja auch ein Stück weit mit an Ezra selbst, mit wem er überhaupt gut klar kam. Das spielte ja auch eine große Rolle. Schließlich aber meldete sich überraschend Nastasja zu Wort. „Ich kümmere mich sowieso um Sheol und würde auch gern Elion bei mir aufnehmen. Und wenn Ezra auch dazu kommt, habe ich auch nichts dagegen. Der Herr gab mir die Liebe, um jeden in die Familie aufzunehmen und den Dickkopf, um mich selbst gegen den größten Quälgeist durchsetzen zu können. Außerdem scheint Elion ja schon zu Ezra durchgedrungen zu sein und da wäre es förderlich, wenn die beiden zusammen bleiben.“ Nun, dieser Argumentation war nicht viel entgegenzusetzen und auch die anderen waren mit dem Vorschlag einverstanden. Sicherheitshalber fragte L aber noch mal nach. „Und du bist sicher, dass du es mit drei unter einem Dach schaffen wirst?“ Doch seine Mutter lächelte nur zuversichtlich und erklärte „Die drei sind ja keine Babys mehr und bei Elion mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Sheol kriege ich noch in den Griff und mit Ezra wird das auch schon funktionieren, da mach ich mir persönlich keine Sorgen.“ Da Elion Ezra nicht gleich überfordern wollte, entschied er, erst mal alleine mit Nastasja zu ihm hinzugehen und ihm die Idee schonend beizubringen. Nachdem er es geschafft hatte, ihm einen neuen Lebenswillen zu geben, war Ezra etwas aufgetaut und hatte sich auch bereit erklärt, sich helfen zu lassen. Aber dennoch war er immer noch äußerst misstrauisch und würde eine Zeit lang brauchen, um Vertrauen zu anderen fassen zu können. Als Elion die mentale Verbindung beendet hatte, war der Kleingeratene zwar wiederhergestellt, doch das alles hatte ihn fürchterlich angestrengt und danach hatte er erst mal ein paar Stunden geschlafen. Das hatte er auch bitterlich nötig gehabt nach allem, was er durchgemacht hatte. Inzwischen musste er aber eigentlich wieder wach sein, darum bot sich die Gelegenheit ja an, dass sie jetzt gleich mit ihm sprechen konnten. Während die anderen warten wollten und die Lage besprachen, gingen Elion und Nastasja zum Anbau mit den Patientenzimmern und erreichten schließlich nach einer Weile Ezras Zimmer. Als sie die Tür öffneten, sahen sie den Kleingeratenen aufrecht im Bett sitzen. Er wirkte ziemlich unruhig und schien auf Elion gewartet zu haben. Doch als er die Frau bei ihm sah, da verdüsterte sich sein Blick und er wirkte nicht gerade begeistert. Doch davon ließ sich Nastasja auch nicht sonderlich beirren. Elion ging zu Ezra hin und umarmte ihn. „Hey, wie geht es dir?“ „Ganz gut, bin aber noch etwas müde. Aber sag schon, wer ist die?“ Und mit einer leichten Kopfbewegung deutete er in Nastasjas Richtung, ohne sie großartig eines Blickes zu würdigen. Auch diese recht unhöfliche Geste übersah die Russin und schenkte dieser auch keine großartige Bedeutung. Elion war insgeheim froh, dass sie so entspannt war, aber vielleicht lag es ja auch daran, weil sie wusste, wie Ezra gestrickt war und woher sein Verhalten führte. Da konnte man ja auch Nachsicht walten lassen. „Das ist meine Mum, von der ich erzählt habe.“ „Ernsthaft? Die sieht nicht älter aus als du.“ „Das ist eine etwas komplizierte Sache. Sagen wir einfach, sie ist eine Zeitreisende und ist aus der Vergangenheit in die Zukunft gereist.“ „Ach du Scheiße, das wird ja immer abgefuckter. Naja, bei dir wundert mich ja eh nichts mehr. Und was nun?“ Nastasja ging zu ihm hin und setzte sich auf den Stuhl neben seinem Bett. „Hallo Ezra, ich bin Nastasja Kasakowa, du kannst mich aber auch einfach Natascha nennen. Elion hat mir erzählt, dass du große Probleme hast und er hat mich gefragt, ob ich helfen kann. Ich würde dir gerne anbieten, dass du bei mir wohnen kannst. Elion würde eh einziehen und da ich jetzt in ein größeres Haus gezogen bin, wäre auch noch locker Platz für dich. Ich würde dir helfen, ein geregeltes Leben außerhalb des Straßenstrichs aufzubauen und dir auch Unterstützung geben, was zum Beispiel die Jobsuche angeht.“ Ezra zögerte noch erheblich und traute dem Braten auch nicht besonders. Dann aber wandte er seinen Blick Elion zu und er fragte „Und du wirst auch dort wohnen?“ „Ja.“ Der Proxy versuchte ihm gut zuzureden, es wenigstens zu versuchen und er versprach ihm auch hoch und heilig, dass nichts Schlimmes passieren würde und seine Mutter bzw. seine Ziehmutter eine sehr liebevolle Person sei. Während die beiden miteinander redeten, beobachtete Nastasja den Jungen genauer, rückte ihre Brille zurecht und schien etwas bemerkt zu haben. Als die beiden mit Reden fertig waren und Ezra mit einem gewissen Widerwillen sein Einverständnis gegeben hatte, fragte die sie „Darf ich mal was fragen, Ezra? Hast du da irgendetwas mit deinen Zähnen?“ „Wieso?“ fragte dieser sofort und wurde nervös. Ein Zeichen dafür, dass er auf dieses Thema empfindlich reagierte. Und Elion wusste ja, dass er große Angst vor Zahnärzten hatte. „Mir ist aufgefallen, dass du oft mit deiner Zunge über die Backenzähne scheuerst.“ „Da ist irgendetwas Hartes und das kriege ich nicht weg. Weiß auch nicht, was das ist.“ „Darf ich mal kurz gucken? Keine Panik, ich bin keine Zahnärztin, nur Humanbiologin.“ Nachdem auch Elion ihm gut zugeredet hatte, öffnete Ezra den Mund und ließ Nastasja hineinschauen. Diese brauchte nicht lange, um festzustellen, was los war, stellte dann aber eine sehr überraschende Frage, die auch Elion verwunderte. „Sag mal Ezra, wie alt bist du wirklich?“ „Hä?“ rief der Kleingeratene verwirrt und sah sie verständnislos an, als würde er gar nicht kapieren, was sie von ihm wollte. Doch die gebürtige Russin konnte er nicht hinters Licht führen und sie erklärte es in aller Ruhe. „Deine Weisheitszähne kommen durch und das kommen sie meistens im Alter zwischen 14 und 16 Jahren. Und meinem geschulten Auge entgeht nichts. Mag ja sein, dass du durch deine Größe sehr jung wirkst, aber ich sehe schon, dass du deutlich jünger bist, als du angibst.“ „Wie bitte?“ fragte Elion nun verwundert, denn er hätte ja mit einigem gerechnet, aber nicht damit, dass Ezra noch minderjährig war. Er hatte sich so erwachsen und selbstständig verhalten und gar nicht so gewirkt, als wäre er so jung. Und vor allem hatte der Junge doch selbst angegeben, dass er 18 Jahre alt war. Wieso sollte er da lügen? Ezra, der sich nun in der Erklärungsnot befand, schwieg und wich dem Blick der beiden aus, aber man sah ihm an, dass er am liebsten wieder weggelaufen wäre. Und wahrscheinlich wäre er das auch, wenn er nicht so schwach wäre und nicht diese große Angst im Nacken hätte, wieder an Parson und seine Leute zu geraten. Schließlich seufzte er geschlagen und verkrallte seine Hände in die Decke. „Ich bin fast 16.“ Nun war Elion vollkommen sprachlos und konnte nicht glauben, was er da hörte. Ezra hatte es tatsächlich geschafft, die ganze Zeit sein ganzes Umfeld zu täuschen und erfolgreich vorzugeben, er wäre volljährig. Er hatte eine Wohnung, einen Job als Packer im Supermarkt und er ging auf den Strich und dabei war er nicht mal 16 Jahre alt? Das konnte doch nicht sein. „Du… du bist erst 15?“ „Hey, ich werde in zwei Wochen schon 16“, entgegnete Ezra gereizt, denn es passte ihm überhaupt nicht, dass sein wahres Alter jetzt ans Tageslicht gekommen war und da war auch Nastasja ein wenig sprachlos. Sie musste schon zugeben, dass der Junge wirklich was im Kopf hatte. Immerhin hatte er es geschafft, eine Wohnung anzumieten, einen Job anzunehmen und sich selbstständig durchzubringen. Dazu brauchte es schon einiges und da hatte sie auch ein Stück weit Respekt vor seiner Zielstrebigkeit und seiner Selbstständigkeit. Aber nun standen sie vor einem Problem und das war nicht gerade klein: Ezra war noch minderjährig und da er keine Verwandten hatte und man von seiner leiblichen Mutter offenbar nichts wusste, lag das Sorgerecht beim Jugendamt. Und da Ezra keine Vollwaise war, hieß das, dass er in eine Pflegefamilie gehen musste. Wie sich herausgestellt hatte, waren die letzten fünf Pflegefamilien absolute Fehlgriffe gewesen, aber sie konnten Ezra auch nicht einfach so bei sich aufnehmen, ohne wenigstens Rücksprache mit dem Jugendamt zu halten. Schließlich aber klatschte Nastasja einmal kurz in die Hände und atmete kräftig aus. „Wow, das nenne ich mal ein starkes Stück. Also ich ziehe meinen Hut vor dir, dass du es geschafft hast, die ganze Zeit alleine klar zu kommen und dann auch noch alle glauben zu lassen, du wärst volljährig. Da gehört einiges dazu. Allerdings stehen wir nun vor einem Problem und ich hoffe, das ist auch dir klar. Denn da du noch minderjährig ist, liegt das Sorgerecht beim Jugendamt, solange deine leibliche Mutter noch nicht aufgetaucht ist.“ Hier klingelten Ezras Alarmglocken und nun war er wirklich kurz davor, aufzuspringen und abzuhauen, weil er schon befürchtete, was gleich kommen würde. Aber da beruhigte die Russin ihn mit einer Idee. „Meine Idee wäre, dass ich die Vormundschaft beim Jugendamt beantrage und du als Pflegekind zu mir kommst. Damit würde sich nicht viel für dich ändern, aber du wirst dich schon an gewisse Regeln halten müssen. Denn da du noch nicht volljährig bist, kann ich dich ja wohl kaum auf Jobsuche schicken. Du wirst zur Schule gehen müssen.“ „Vergesst es, ich geh doch nicht wieder da hin. Von dem Laden hab ich die Schnauze voll!“ „Du wirst zur Schule gehen, junger Mann und wenn ich dich persönlich dorthin bringe! Sheol muss diese Prozedur auch über sich ergehen lassen und wenn du ein anständiges Leben fernab vom Straßenstrich führen willst, brauchst du einen vernünftigen Schulabschluss und eine Ausbildung.“ Sogleich warf Ezra dem Proxy einen strafenden Blick zu und war stinksauer, dass der ihm diesen Schlamassel nun eingebrockt hatte. Zwar hatte er viel Schlimmes durchgemacht, aber dieses selbstständige Leben war ihm alle Male lieber als die Schule, wo er massiv gemobbt worden war. Vor allem war einer seiner Pflegeväter ein Lehrer und hatte ihn sexuell missbraucht und das trug nicht gerade dazu bei, dass er begeistert auf die Nachricht reagierte, dass er zur Schule gehen sollte. Aber Nastasja blieb bei ihrem Entschluss. „Ich werde mich mit dem Jugendamt in Verbindung setzen und mit denen reden. Wenn es Probleme geben sollte, werde ich einfach sehen, ob ich irgendetwas drehen kann. Somit hättest du die Möglichkeit, weiterhin bei Elion zu bleiben und mit Sheol hättest du rein theoretisch auch jemanden, der mit dir in die gleiche Klasse gehen würde.“ Nun ja, eigentlich war Sheol ja bereits schon über 28 Jahre alt, aber äußerlich war er nicht viel größer als Ezra und ging auch als 15-jähriger durch. Wichtig war ja, dass Ezra in seiner neuen Umgebung immer jemanden hatte, an den er sich halten konnte und so auch mehr Sicherheit hatte. Und so würde man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wenn er als Pflegekind zu Nastasja kommen würde. Schließlich erhob sich 30-jährige und beschloss erst mal, die beiden alleine zu lassen und mit den anderen über ihre Entdeckung zu sprechen. Kaum, dass sie alleine waren, setzte sich Elion zu Ezra und ahnte, dass gleich wieder so einiges kommen würde und machte sich bereit für die Standpauke. „Du wirkst nicht sehr begeistert.“ „Wieso sollte ich denn auch begeistert sein? Fuck, ich hab doch gewusst, dass es nur Ärger geben wird…“ „Aber du hast sie doch gehört: wenn du ein vernünftiges Leben führen willst, musst du zur Schule gehen und eine Ausbildung machen. Mum kann zwar manchmal ziemlich streng und auch etwas schräg sein, aber sie ist auch ein sehr liebevoller Mensch. Glaub mir, sie wird schon alle Hebel in Bewegung setzen, dass du zu uns kommst. Und ich bin ja auch noch da. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich glaube, du willst dich sicher noch ein wenig ausruhen. Ich lass dich mal ein bisschen weitersch…“ Doch als er gehen wollte, ergriff Ezra seinen Arm und hielt ihn zurück. Überrascht sah Elion ihn an und fragte sich natürlich, was denn noch war, aber da sah er, wie der Kleingeratene den Blick senkte und rot im Gesicht wurde. Er versuchte mit aller Macht seine Verlegenheit zu verbergen, wodurch er einen ziemlich bösen Blick angenommen hatte, der aber auch irgendwie niedlich bei ihm aussah. Zwar sagte er nichts, aber Elion verstand schon, was Ezra damit ausdrücken wollte und gab ihm daraufhin einen Kuss auf die Stirn. „Ich bin gleich wieder da, keine Angst. Ich muss nur kurz etwas erledigen und komme danach wieder.“ Damit verließ er das Zimmer und ging in Richtung jenes Zimmers, wo jemand lag, dem er einen Besuch abstatten wollte. Im Bett lag ein weißhaariges Mädchen, das an lebenserhaltenden Maschinen angeschlossen war. Es war Sariel. Immer noch konnte sich Elion nicht erinnern, wer sie gewesen war, aber er wusste, was er zu tun hatte. Frederica stand neben ihm und sah nachdenklich auf die Gestalt im Bett. „Es ist schon komisch, quasi mich selbst da liegen zu sehen. Irgendwie erinnert es mich daran, als ich selbst an diesen Maschinen angeschlossen war.“ „Wie lange wirst du brauchen, bis du in diesem neuen Körper aufwachst?“ „Zwei Tage, schätze ich. So genau kann ich das nicht sagen. Ehrlich gesagt wird das ziemlich ungewohnt für mich sein. Immerhin war ich knapp zwei Monate in Andrews Körper und ein paar Tage habe ich mit dir einen Körper geteilt. Außerdem war ich zwanzig Jahre lang bewegungsunfähig gewesen, weil James mich an diese ganzen Maschinen angeschlossen und mich diesen starken Schmerzen ausgesetzt hat. Und nun werde ich dank Sariel wieder normal leben können und die Chance haben, wieder eine Familie zu haben. Ein wenig fühle ich mich nicht wohl bei dem Gedanken, dass sich Sariel meinetwegen geopfert hat. Aber wenn ich diese Chance nicht nutze, dann ist sie umsonst gestorben. Und außerdem kann ich ja nicht ewig in deinem Körper leben, er gehört immerhin dir.“ Elion ging zu Sariel hin, legte seine Hände an ihre Schläfen und dann seine Stirn auf die ihre, dann spürte er, wie Frederica schwand und auf Sariel überging. Ein schmerzhaftes Dröhnen breitete sich in seinem Kopf aus und ihm wurde schwindelig. Doch er schaffte es, seine Kraft einigermaßen zusammenzuhalten und er ging zu Ezras Zimmer zurück. Dieser schien ungeduldig auf ihn gewartet zu haben, sah aber, dass es Elion nicht gut ging und fragte sofort „Was’n mit dir passiert?“ „Ich habe Frederica in ihren neuen Körper transferiert und das raubt einem etwas Energie.“ Der Proxy setzte sich zu ihm und ergriff nach einigem Zögern Ezras Hand. „Du hör mal, du musst dich meinetwegen zu nichts gezwungen fühlen oder so. Wenn du nicht willst, dann sag es mir einfach, okay? Ich will nichts tun, was dich vielleicht verletzen könnte.“ Als der 15-jährige das hörte, da verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck und er verpasste Elion einen Schlag gegen den Oberarm. „Was redest du da für eine gequirlte Scheiße? Als ob ich es so dringend nötig hätte, mich an den Nächstbesten ranzuschmeißen. Denkst du etwa, ich würde mich auf dich einlassen, weil ich dafür eine bezahlte Unterkunft kriege, oder was?“ „Das habe ich damit nicht gesagt“, erwiderte Elion ruhig und legte beruhigend eine Hand auf Ezras Schulter. „Aber ich weiß eben, dass du sehr schlimme Erfahrungen gemacht hast und da will ich dir nichts zumuten, was dich zusätzlich belasten könnte. Und ich will dass du weißt, dass ich dir helfe, selbst wenn du meine Gefühle nicht erwiderst. Wir können es auch langsam angehen und ich will dir auch die Zeit geben, die du brauchst.“ „Ich brauch keine Rücksicht und ich schaff das schon“, log Ezra und versuchte überzeugend zu klingen, aber inzwischen wusste Elion genau, wann der Kurzgeratene ihm ein Märchen aufzutischen versuchte. Inzwischen kannte der Proxy ihn gut genug, um bei ihm zwischen den Zeilen zu lesen. Und als er sah, wie böse der 15-jährige drein blickte und dabei noch hochrot im Gesicht wurde, da war ihm schnell klar, dass auch Ezra diese Gefühle hatte. Aber er war einfach nicht der Mensch, der so locker und frei heraus sagte, was er fühlte. Er würde einfach weiterhin versuchen, den Starken zu markieren und erwachsener und selbstbewusster zu wirken, als er eigentlich war. Wie ein kleines Kätzchen, das versuchte, wie ein Löwe zu erscheinen. „Ich bin immer für dich da, Ezra. Daran wird sich nie etwas ändern. Gemeinsam werden wir das schon schaffen und die anderen werden dir auch zur Seite stehen. Wir lassen dich nicht alleine.“ „Jetzt hör schon auf, solch sentimentalen Kram zu reden und küss mich endlich!“ Und dieser Bitte kam Elion selbstverständlich nach. Kapitel 13: Letzte Formalitäten ------------------------------- Noch während Ezra sich von den Strapazen erholte und deshalb noch bei Liam blieb, stattete Nastasja dem Jugendamt einen Besuch ab, zusammen mit Elion. Dort schilderten sie, wie Ezra zu ihnen gekommen waren und dass Nastasja gerne die Vormundschaft beantragen wollte. Als die Sozialarbeiterin aber den Namen Ezra Parker hörte, da schaute sie die beiden ungläubig an und fragte „Sind Sie sicher, dass Sie sich das zumuten wollen? Ezra ist ein Problemkind und kaum eine Pflegefamilie hatte ihn länger als drei Monate. Der Junge ist zwei Male vorbestraft und ist schon wegen Prügeleien von zwei Schulen geflogen. Ich sage es Ihnen gleich: der Bengel wird Ihnen nur Ärger machen.“ Doch Nastasja lächelte nur höflich und erwiderte dann mit fast schon verräterischer Freundlichkeit „Ich dachte, es sei die Aufgabe des Jugendamtes, sich um das Wohl der Kinder zu kümmern und zu sorgen, dass sie in liebevolle Familien kommen. Aber soweit wir von Ezra gehört haben, scheint da in diesen Familien so einiges schief gelaufen zu sein. Er wurde sexuell missbraucht, im Keller eingesperrt und schwer misshandelt und von seinen Pflegefamilien nicht angenommen.“ „Nun, da haben uns die fünf Familien aber ganz andere Versionen erzählt. Aber wenn Sie meinen, dass Sie mit diesem Ausreißer zurechtkommen, dann können wir die Papiere soweit fertig machen. Also dann bräuchte ich einmal Ihre Daten.“ „Ja, mein Name ist Natascha Lawliet, ich bin 35 Jahre alt und wohne auch hier in Boston. Vom Beruf bin ich Dozentin für Humanbiologie an der Harvard Universität und ich habe noch einen Sohn namens Sheol.“ „Verheiratet?“ „Nein, aber ich wohne mit meinem Freund Elion zusammen und er möchte mich auch unterstützen.“ Sie hatten sich darauf geeinigt, dass Elion offiziell als Ezras Pflegevater eingetragen wurde, da er der Einzige war, der dafür infrage kam. Rumiko und Jamie waren bereits verheiratet, Oliver und Andrew würden bald heiraten, Sheol und Frederica waren äußerlich zu jung und Watari zu alt. Da Beyond eine kriminelle Vergangenheit hatte und sie ja wohl schlecht ihre eigenen Söhne fragen konnte, sich als Lebensgefährte auszugeben, da blieb eben nur Elion übrig. Und da dieser ja sowieso bei ihr wohnte, traf sich das ja auch ganz gut. Die Mitarbeiterin vom Jugendamt nahm alle Daten auf und man merkte auch, dass sie froh war, sich mit diesem Problemfall nicht weiter beschäftigen zu müssen. Kaum, dass sie draußen waren, trat Nastasja laut schreiend gegen eine Straßenlaterne und raufte sich die Haare. „Ich kapier es einfach nicht. Wieso ist die bloß beim Jugendamt, wenn es sie einen Scheiß interessiert, was mit Kindern wie Ezra passiert? Gott, ich könnte ihr den Hals umdrehen. Die hat ja so was von ihren Beruf verfehlt.“ Danach schimpfte sie noch gut fünf Minuten auf Russisch und hatte sich dann beruhigt. Sie fluchte immer auf Russisch, wenn sie sauer war und das tat sie aus folgendem Grund: lobe andere in ihrer Landessprache, aber fluche über sie in deiner Landessprache. Nachdem sie sich eingekriegt hatte, ging sie mit Elion zusammen die Straße entlang und atmete tief durch. „Echt unfassbar, dass es sie einen Dreck schert, wohin der Junge kommt. Aber zumindest haben wir das erledigt, wobei es mich aber schon wundert, dass es so schnell ging. Soweit ich gehört habe, wartet man meistens bis zu neun Monate, aber wahrscheinlich war sie einfach nur froh, dass jemand Ezra freiwillig aufnehmen wollte.“ „Sieh es doch positiv, Mum. Es ist ja alles unkompliziert von statten gegangen und nun kann Ezra ganz offiziell zu uns. Ich habe auch schon heute mit Frederica gesprochen, als ich Ezra besuchen gegangen bin.“ „Ach, sie ist schon wach?“ Der Proxy nickte und erzählte weiter. „Da Watari wohl langsam alt wird und einen Nachfolger braucht, will Frederica seine Nachfolge übernehmen und L und Beyond als Assistentin unterstützen. Solange Watari sie noch einweist, wohnt sie noch bei Rumiko und Jamie.“ „Tja, dann wird es wohl doch nicht so voll im Haus, wie ich mir dachte. Schade, ich hatte schon gehofft, dass Frederica zu uns kommt. Naja, solange sie glücklich ist, werde ich ihr auch nicht im Weg stehen. Und ich freue mich ja auch, dass du endlich zu uns kommst und dass wir auch noch Ezra bei uns aufnehmen.“ Damit hakte sie sich bei Elion ein und lächelte zufrieden. „Sheol und ich sind gerade dabei, Ezras Zimmer einzurichten. Und für seinen Geburtstag müssen wir uns auch noch zusammen etwas überlegen. Aber vorher wollte ich dir noch unbedingt sagen, wie stolz ich auf dich bin.“ Und damit gab sie ihm einen Kuss auf die Stirn. „Du hast diesem Jungen wirklich das Leben gerettet und darauf kannst du ganz besonders stolz sein. Ich wusste schon immer, dass du etwas ganz Besonderes bist.“ Doch Elion war nicht so der Ansicht, denn er erinnerte sich daran, dass er beinahe diese beiden Gangster getötet hätte, wenn Liam und Jeremiel ihn nicht aufgehalten hätten. Die beiden hatten kein Wort darüber verloren, denn es war ja nichts Schlimmes passiert. Und dass Elion einen von ihnen zusammengeschlagen hatte, konnte ihm auch niemand verübeln. „Ich bin nicht der, für den du mich hältst, Mum. Ich hätte diese Kerle, die Ezra umgebracht haben, beinahe getötet. Wenn Liam mir nicht die Waffe weggenommen hätte, dann wäre ich noch durchgedreht.“ „Ach Schatz, es ist doch nichts Schlimmes passiert und dass du aufgewühlt warst, kann dir niemand verübeln. Ich kann mir gut vorstellen, wie schlimm das für dich gewesen sein muss. Immerhin habe ich Henry verloren und man hat mir eines meiner Kinder weggenommen, bevor es geboren werden konnte. Da verstehe ich deine Gefühle sehr gut und es macht dir auch niemand Vorwürfe, dass du in dem Moment einfach die Nerven verloren hast. Ich weiß doch, dass du ein ganz wunderbarer Mensch bist und du für gewöhnlich niemals so etwas tun würdest. Es war einfach zu viel für dich gewesen und es kann jedem passieren, dass er die Beherrschung verliert und dann Dinge tut, die er sonst nie tun würde. Auch mir könnte das passieren, wenn du, Sheol oder meine Söhne bedroht werden würden. Und glaub mir: wenn das passiert, werde ich zur Furie. Zum Glück hat Liam noch verhindert, dass es eskaliert und nun mach dir nicht so viele Gedanken, was hätte passieren können. Es ist nichts passiert und ich bin dem Herrn dankbar, dass du wohlbehalten wieder zurück bist und dass wir die Chance bekommen, Ezra eine Familie zu geben, die ihn so annimmt wie er ist. Es mag viel Schlimmes passiert sein, aber ich glaube, dass es für all die Dinge, die der Herr uns zumutet, einen positiven Ausgleich gibt. Ich habe meinen Mann verloren, aber dafür habe ich ja jetzt dich, Sheol, Ezra und meine beiden Söhne. Und dafür bin ich sehr dankbar.“ „Ich möchte dich aber schon mal vorwarnen, Mum. Ezra hat nicht gerade angenehme Erfahrungen gemacht, was Religion betrifft. Seine zweite Pflegefamilie hat ihn im Keller eingesperrt und einen Exorzismus an ihm durchgeführt. Da reagiert er etwas sensibel.“ „Schon gut, ich bin bei ihm auf alles gefasst. Und ich wollte…“ Nastasja sprach nicht weiter, denn da sah sie auch schon Ezra auf sie zukommen. Wie immer trug er seinen Kapuzenpullover und einen Rollkragenpullover darunter, eine Jeans und einfache Turnschuhe. Sie waren überrascht, ihn hier zu sehen, denn sie waren eigentlich davon ausgegangen, dass er sich noch von den Strapazen erholte und deshalb noch bei Liam war. Elion kam ihm entgegen und fragte erstaunt „Ezra, was machst du denn hier?“ „Hatte keinen Bock mehr, die ganze Zeit nur auf der faulen Haut zu liegen und nichts zu machen. Und wie ist es gelaufen?“ „Alles gut“, meldete sich Nastasja und strahlte übers ganze Gesicht. „Elion und ich sind offiziell als deine Pflegeeltern eingetragen.“ „Wie bitte?“ rief der 15-jährige entgeistert, denn dass Elion jetzt sein Pflegevater war, passte ihm nun überhaupt nicht. „Das geht ja mal überhaupt nicht. Elion mein Pflegevater? Halloho! Ich geh doch nicht mit meinem Pflegevater!“ „Es ist ja auch nur zum Schein“, erklärte Nastasja, um die Situation zu entschärfen. „Das Jugendamt hat die Bedingung gestellt, dass es Pflegefamilien mit zwei Elternteilen geben soll. Elion ist als mein Freund eingetragen, der mit mir zusammen wohnt und den fehlenden Elternteil ergänzt. Das ist aber auch schon alles.“ „Trotzdem kann ich es nicht offiziell machen, weil es dann heißt, ich würde was mit meinem Pflegevater haben.“ „Damit wirst du erst einmal leben müssen, Ezra. Ich kann ja wohl schlecht meine eigenen Söhne fragen, ob die sich dazu bereit erklären. Ich musste ja schon mit dem Alter schummeln, weil ich sonst zu jung gewesen wäre.“ Trotzdem war Ezra ziemlich schlecht gelaunt und so schlug die Russin vor „Wie wäre es, wenn ihr zwei euch einen schönen Nachmittag macht? Ich geb euch etwas Geld mit und ihr könnt meinetwegen ins Kino gehen. Ich muss sowieso gleich noch zur Universität und diesen Spatenköpfen beibringen, dass der Hippocampus keine Universität für Nilpferde ist.“ Damit drückte sie Elion fünfzig Dollar in die Hand und eilte auch schon los. Der Proxy sah ihr noch nach und ihn beschlich so das Gefühl, als wäre diese Entschuldigung nur eine Ausrede gewesen, weil sie noch irgendetwas plante. Naja, das konnte ihm auch recht sein. So war er wenigstens mit Ezra allein und sie hatten etwas Zeit für sich. Nur eine Frage stellte sich ihm und da musste er sich an seinen 15-jährigen Begleiter wenden. „Was ist „Kino“ eigentlich?“ „Da werden Filme gezeigt, die gerade erst raus sind und die es noch nicht zu kaufen gibt. Die werden in großen Sälen auf Leinwänden gezeigt und man bezahlt dafür, sich die Filme dort anzusehen.“ „Und wieso gibt es diese Kinos?“ „Na weil die von den Kinoerlösen ja alles bezahlen. Die Einnahmen gehen ja auch an die Leute, die den Film produziert haben. Oh Mann, du musst echt noch einiges lernen.“ Sie machten sich auf den Weg und die Stimmung zwischen ihnen beiden war deutlich entspannter als die Tage davor, bevor Elion es geschafft hatte, endlich zu Ezra durchzudringen und ihn aus seinem inneren Gefängnis herauszuholen. Natürlich wusste er, dass es noch eine ganze Zeit lang dauern würde, bis Ezra sich richtig öffnen würde, aber zumindest war er nicht mehr ganz so dickköpfig und uneinsichtig. Er hatte schon verstanden, dass er trotz allem noch zu jung war und auf Hilfe angewiesen war, um sein Leben auf die Reihe zu bekommen. Das war alles schon eine große Umgewöhnung für ihn, aber sie alle waren sich sicher, dass er es schaffen würde. Und sie alle würden ihm jede Hilfe mit an die Hand geben, die er brauchte. Schließlich, als Ezras Hand zu Elions wanderte, da blieb er stehen und sah ihn missmutig an. „Wieso trägst du diese Dinger immer noch?“ Elion sah auf seine Hände, da er sich nicht sicher war, ob sein Begleiter die Handschuhe meinte. „Die Handschuhe? Nun, die trage ich, damit es mir leichter fällt, meine Fähigkeiten mehr unter Kontrolle zu halten.“ „Kannst du sie nicht auch mal ausziehen, wenn wir beide schon unter uns sind?“ Ezra klang ziemlich genervt, aber Elion ließ sich davon nicht sonderlich beirren und zog sie aus. „Kein Problem.“ So ergriff Ezra schließlich seine Hand und hielt sie fest. Dabei aber machte er ein so finsteres Gesicht, wobei seine Wangen hochrot wurden, dass man schon sehen konnte, dass er enorme Mühe hatte, seine Gefühle zu verbergen. Und da konnte Elion nicht anders, als zu schmunzeln. „Ezra, du…“ „Sag auch nur einen Ton und du stirbst!“ Und so sagte der Proxy auch nichts. Er fand es aber schon ziemlich süß, dass Ezra seine Hand hielt. Dass der 15-jährige sich dabei etwas unmöglich anstellte, störte ihn nicht im Geringsten. Dazu war er eine viel zu friedfertige und ausgeglichene Natur, als dass Ezras provokantes und aggressives Verhalten ihn irgendwie aus der Bahn bringen konnten. Er wusste ja, dass es nur daher kam, weil Ezra eben meinte, er müsste den Harten markieren. Und es war nun mal so, dass der Junge manchmal genau das Gegenteil von dem sagte, was er eigentlich meinte. Schließlich aber konnte er einfach nicht anders und sagte „Ich liebe dich auch.“ Und daraufhin senkte Ezra mit dem gleichen finsteren Gesichtsausdruck den Blick, damit niemand sah, wie rot er eigentlich war und sagte nichts. Am Kino angekommen standen sie nun vor der entscheidenden Frage, welchen Film sie sich angucken wollten. Elion konnte mit keinem der Filme irgendetwas anfangen, war aber nicht sonderlich für Horrorfilme und außerdem war Ezra sowieso noch nicht alt genug dafür. Den Schuh musste er sich leider anziehen. Schließlich entschieden sie sich für einen Science-Fiction Film, da Ezra mit Fantasy nichts anfangen konnte und Komödien nur dann witzig fand, wenn der Humor auch makaber genug war und es auch keine Romanze gab. Da Elion keinen Plan hatte, wie es im Kino ablief, übernahm Ezra alles Weitere und wenig später saßen sie im Kinosaal mit Popcorn und Getränken. Neugierig sah sich der Proxy um und bemerkte, dass viele Plätze leer waren. „Hier ist nicht sehr viel los, oder?“ „Die meisten kommen auch erst zur Abendvorstellung.“ Elion nahm sich etwas von dem Popcorn und begann alles in seinem Kopf abzuspeichern. Er war ohnehin jemand, der in einem enormen Tempo dazulernte und sich dann auch sehr schnell in neuen Situationen zurechtfand. Von dieser Beziehung profitierten sie beide und sie glichen sich gut aus. Elion wirkte zähmend auf den wilden und schwierigen Ezra, der ständig versuchte, sein wahres Ich hinter seiner aggressiven und abweisenden Seite zu verstecken. Und Elion hatte jemanden, der ihm die Welt erklären konnte, die ihm noch so fremd war. Wahrscheinlich war der Proxy auch der Einzige, der mit einem so schwierigen Charakter wie Ezras umgehen konnte, denn viele hätte dieses rüpelhafte und aggressive Verhalten schnell vor den Kopf gestoßen. Oder es hätte eine aggressive Gegenreaktion gefolgt, die Ezra dann wieder als Zeichen deuten würde, dass er nicht erwünscht war und darauf hätte er sich sofort komplett zurückgezogen. So aber schien es doch ganz gut zwischen ihnen beiden zu funktionieren und Elions ausgeglichener Charakter sorgte auch dafür, dass es Ezra leichter fiel, Vertrauen zu fassen und sich auch mehr zu öffnen. Aber obwohl Elion sich viel von Ezra gefallen ließ, so gab es aber auch Momente, wo er mal streng durchgriff. So auch, als sie die Getränke holen wollten und Ezra versuchte, sich ein Bier zu kaufen. Da hatte der Proxy einen Riegel vorgeschoben und erklärt „Du bist erst 15 Jahre alt.“ Sein Begleitet hatte natürlich protestiert und erklärt „Ich trinke und rauche schon, seit ich zehn bin!“, aber seine Proteste waren im Sande verlaufen, als Elion gegenargumentierte „Wenn Mum das erfährt, dann gibt es ein Donnerwetter und das will ich genauso wenig miterleben wie du.“ Trotzdem war Ezra sauer und musste sich mit einer Cola zufrieden geben. Das Leben als Erwachsener hatte ihm deutlich besser gefallen mit all den Freiheiten, wobei er aber auch selbst gemerkt hatte, dass er es nicht alleine hatte stemmen können. Insbesondere nicht mit der Mafia am Hals und dem riesigen Schuldenberg seines Vaters. So wie Ezra erzählt hatte, beliefen sich diese auf knapp 76.000$, von denen er zwar schon 10.400$ hatte zurückzahlen können, aber das auch zu einem hohen Preis. Während sie auf den Film warteten, kamen sie ins Gespräch und sogleich fragte der 15-jährige auch „Was geschieht denn jetzt mit Parson und seinen Leuten?“ „Nun, genaue Details weiß ich nicht, aber soweit ich richtig gehört habe, soll er ganz schön in Schwierigkeiten stecken, nachdem die Polizei herausgefunden hat, dass er bis zum Hals im Menschenhandel drin steckt und dabei auch Minderjährige als Sexsklaven gekauft hat. Auch sind diverse Drogengeschäfte aufgedeckt worden, nachdem anonyme Hinweise an die Presse gegangen sind.“ „Und woher haben sie die Hinweise? Von dir?“ Elion schüttelte den Kopf und erklärte „Liam und seine Leute haben sich darum gekümmert. Nachdem Parson sich geweigert hat, den Schuldnertausch zu akzeptieren, mussten Konsequenzen folgen. Und jetzt hat der Kerl genügend andere Probleme, als sich um dich zu kümmern. Der muss erst mal sehen, dass er sich irgendwie vor der Polizei in Sicherheit bringt. Aber keine Bange. Es wurde dafür gesorgt, dass du ganz außen vor bist. Es sei denn, du willst unbedingt vor Gericht und ihn verklagen.“ „Nein, darauf will ich lieber verzichten. Dann weiß die ganze Stadt Bescheid und die Pressefritzen werden sich dann auch über mich die Mäuler zerreißen. Und ich will auch nicht, dass irgendjemand erfährt, was dieser Kerl mir angetan hat.“ „Liam, Delta und Johnny haben auch dafür gesorgt, dass Parson erfolgreich verurteilt werden kann, auch wenn du nicht als Zeuge aussagen willst. Du bist sicher auch froh, dass das alles vorbei ist.“ Schweigend nickte der 15-jährige. Er wusste, wie es vor der Jury ablaufen würde: Parsons Verteidiger würden ihn erbarmungslos im Kreuzverhör auseinandernehmen, ihn bloßstellen und hinterher die Fakten verdrehen. Es würde dann heißen, er hätte Parson getäuscht und würde sowieso mit jedem in die Kiste steigen, wenn derjenige ein paar Dollar springen ließ. Schließlich lehnte Ezra seinen Kopf an Elions Schulter und wirkte sehr nachdenklich. Und der Proxy spürte, dass den 15-jährigen etwas bedrückte. „Was macht dir Sorgen?“ „Was denkst du eigentlich über mich? Sei mal ehrlich. Du hast ja gehört, was Ronnie, Jack, Tyson und Ramon über mich geredet haben. Dass ich selbst mit meinem Onkel für ein paar Zigaretten schlafen würde…“ „Ich hab dem Gerede nicht sonderlich viel Beachtung geschenkt, immerhin wollten sie dich doch nur provozieren und demütigen. Und ich weiß ja, dass du es nicht zum Spaß gemacht hast.“ Ezra schwieg und dachte offenbar darüber nach, was Elion gesagt hatte. Und dann fragte er überraschend und auch zugleich ganz unverblümt und direkt „Würdest du mit mir schlafen?“ Der Grauhaarige verschluckte sich fast an seinem Popcorn und musste husten. Diese Frage hatte ihn vollends überrumpelt und so ganz wusste er auch nicht, was er darauf antworten wollte. Das war eine von den Fangfragen, die es auch bei Frauen gab. Zum Beispiel die Frage, ob sie jetzt abnehmen solle oder nicht. Wenn er ja sagte, könnte Ezra vielleicht denken, er wäre nur an das eine interessiert. Und wenn er nein sagte, könnte der Eindruck entstehen, Elion wäre nicht an ihm interessiert und meinte es nicht ernst mit der Beziehung. Was also sollte er antworten? Das war eine mehr als vertrackte Situation. Im Prinzip konnte jede Antwort Ezra verletzen und das wollte er nicht. „Ezra, ich liebe dich und es stimmt, dass ich dir nahe sein will… Aber ich würde es niemals tun, wenn du es nicht willst und du darfst auch nicht denken, dass ich nur mit dir schlafen will…“ Oh Mann, was redete er da für einen Stuss? Im Grunde genommen redete er sich doch um Kopf und Kragen und machte alles schlimmer. „Warum hast du mich dann davon abgehalten, als ich es dir angeboten hatte?“ „Weil du es getan hast, da du dachtest, du müsstest das unbedingt tun. Ich sagte doch, dass ich nichts tun will, was dich verletzen könnte. Wenn du deine Zeit brauchst, ist das völlig in Ordnung. Und wenn… und wenn du es überhaupt nicht willst, dann ist das auch nicht schlimm. Ich…“ Bevor Elion weiterstammeln konnte, küsste Ezra ihn und brachte ihn somit zum Schweigen. Es war ein etwas überhasteter und unbeholfener Kuss, aber dennoch liebevoll. Der Kuss hielt aber nicht lange an, denn da rief jemand in der hinteren Reihe „Hey, nehmt euch ein Zimmer ihr beiden“, woraufhin Ezra ihm den Mittelfinger zeigte und ihm zurief „Glotz doch woanders hin, wenn es dir nicht passt, dass hier zwei Jungs rumknutschen, du Spanner!“ „Scheiße Mann, seit wann ist das denn bitteschön ein Schwuchteltreff?“ „Bist doch bloß neidisch, weil ich im Gegensatz zu dir in Begleitung bin, Arschloch.“ Und damit wandte sich Ezra wieder Elion zu. „Jetzt lass mich mal was klarstellen: ich bin kein kleines Kind und will auch nicht wie eines behandelt werden. Ich kann auch nichts an der Tatsache ändern, dass ich erst 15 Jahre alt bin. Mir gefällt es genauso wenig, aber daran lässt sich auch nichts ändern. Machen wir einen Deal: wir machen’s, wenn ich Geburtstag habe.“ „Bist du dir auch sicher?“ „Sonst würde ich das ja wohl nicht sagen, oder? Oder willst du noch eine schriftliche Einladung?“ Damit beendete Ezra das Thema und damit küssten sie sich. Und als der Typ hinter ihnen wieder zu meckern anfing, da sprang Ezra von seinem Sitz auf und wäre ihm noch wahrscheinlich an die Gurgel gegangen, wenn Elion ihn nicht zurückgehalten hätte. Aber da wurde es auch schon dunkel im Saal und der Film wurde abgespielt. Alles in allem war es doch ein schöner Tag, den sie zusammen verbrachten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)