Last Desire 9 von Sky- (L x BB) ================================================================================ Kapitel 6: Das Unborn-Phänomen ------------------------------ Nastasja nahm einen Schluck Kaffee und wartete kurz mit der Erklärung, um zu überlegen, wo sie denn anfangen sollte zu erzählen. Dann aber schien sie einen passenden Anfang gefunden zu haben. „Als ich nach London kam, habe ich bei den Wammys gewohnt, da ich mit Wataris Tochter sehr eng befreundet war. Sie war ein paar Jahre älter als ich, aber mindestens genauso intelligent wie ihr Vater und sie war eine hervorragende Ärztin. Eines Tages hatte sie einen Fall, wo ein Schüler extreme Verhaltensstörungen aufwies und seinen Vater, seinen Bruder und drei Mitschüler ermordet hatte. Alle Symptome deuteten auf eine Persönlichkeitsstörung hin, weil er sich auch anders genannt hat und ein völlig anderes Verhalten an den Tag legte, als seine Mitschüler von ihm kannten. Daraufhin begannen wir mit der Aufnahme der Familienanamnese und es stellte sich heraus, dass der Junge von seinem Vater regelmäßig sexuell missbraucht und verprügelt worden war. Also stand der Fall fest, bis wir dann bemerkten, dass der Junge Symptome aufwies. Er hatte motorische Ausfälle, Lähmungserscheinungen, massive Gedächtnislücken, starke Kopfschmerzen und halluzinierte zwischendurch sogar. Daraufhin untersuchten wir ihn und stellten fest, dass er einen sehr aggressiven Hirntumor hatte. Also entfernten wir diesen und somit sollte sich der Zustand des Jungen eigentlich bessern. Denn Hirntumore können durchaus Symptome psychischer Krankheiten hervorrufen.“ Wieder machte die Russin eine kurze Pause und gab sich noch etwas Zucker in den Kaffee, bevor sie weitererzählte. „Aber der Zustand besserte sich nicht, im Gegenteil. Es wurde zusehends schlimmer und er begann immer seltsamer zu reden. Als ich ihn mit seinem Namen Kian McKee ansprach, sagte er einfach „Kian ist nicht hier“. Und er wiederholte immer wieder, dass er „es beenden“ müsse. Es war, als wäre er nicht er selbst und als würde er durch etwas gesteuert werden. Für die Staatsanwaltschaft stand schnell fest, dass der Junge ein Psychopath war, aber wir wollten ihn noch mal untersuchen. Und tatsächlich konnten wir etwas entdecken, das uns stutzig machte. Wir hatten uns so auf die Entfernung des Tumors konzentriert, dass wir nicht bemerkt hatten, dass sich Fremdzellen im Gehirn des Jungen befanden. Es handelte sich um die Zellen seines eineiigen Zwillings. Anstatt, dass sich dieser normal weiterentwickelt hat, verschmolzen seine Zellen mit dem seines Zwillings und setzten sich im Gehirn fest. Diese Zellen hatten weder ein Gehirn, noch irgendetwas anderes, was Intelligenz aufweisen könnte. Aber dennoch übten sie einen Einfluss auf den gesunden Zwilling aus und durch starke Emotionen und Einflüsse entwickelte sich eine Art Persönlichkeitsspaltung. Man könnte von einem ähnlichen Phänomen wie der Zellteilung sprechen: das Innere der Zellen verdoppelt sich und entwickelt sich auseinander, bis zwei einzelne Zellen entstehen. So funktionierte es auch mit Kian und diesem zweiten Ich, das er „Agony“ nannte. Mit der Zeit hat der unterentwickelte Zwilling immer mehr von Kians starken Gefühlen und Gedanken aufgenommen und eine Art eigenes Bewusstsein entwickelt. Zuerst hatte Kian in seiner Jugend Agony als einen imaginären Freund wahrgenommen, aber im Laufe der Jahre begann der andere Zwilling immer aggressiver und bösartiger zu werden. Er begann regelrecht Kians Ich zu zerstören und durch sein eigenes zu ersetzen, bis von Kian selbst kaum noch etwas übrig war. Der Zwilling war regelsecht zu einem Parasiten geworden. Er wurde quasi aus dem Wunsch heraus geboren, dass es „beendet“ werden sollte. Kian meinte damit die Übergriffe seines Vaters, aber der Zwilling konnte diesen Wunsch nicht genau zuordnen und begann dann alles beenden zu wollen. Sein Leid, seinen Hass, das Leben anderer… Es gelang uns, die Zellen des parasitären Zwillings zu entfernen und Kians Zustand zu bessern. Es dauerte einige Zeit, aber er war wieder ganz der Alte, allerdings konnte er sich nicht mehr an die Zeit erinnern, als sein Zwilling die Kontrolle über ihn hatte.“ L, Jeremiel und die anderen dachten darüber nach, als sie das hörten. Das war also das Unborn-Phänomen. Ein unterentwickelter Zwilling nistet sich noch in der Gebärmutter im Gehirn seines Zwillings ein und entwickelt irgendwann eine eigene Persönlichkeit, woraufhin er dann versucht, die Kontrolle zu übernehmen. Liam schüttelte den Kopf, als er das hörte. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so etwas auch bei Menschen gibt. Dass sich Unvergängliche in Körper einnisten, ist ja bereits bekannt, aber dass es dieses Phänomen tatsächlich unter Menschen gibt…“ „Und wenn man diesen Fall mit dem parasitären Bewusstsein vergleicht, das Andrews Seele fast zerstört hätte, dann muss es sich ebenfalls um einen solchen Unborn handeln“, schlussfolgerte L und wandte sich seiner Mutter zu. „Oder liege ich da falsch?“ „Nein, du hast es ganz richtig erfasst“, antwortete die Russin und nahm sich eine Lakritzschnecke, die sie erst auseinanderrollte, bevor sie sie aß. „Die Proxys sind allesamt mit einem Unborn infiziert worden. Einer davon schon, als er noch ein Embryo in der ersten Woche war. Insgesamt gibt es sieben Proxys, von denen aber nur noch drei existieren. Sie tragen allesamt Nummern, aber ich gab ihnen damals Namen, als ich eine Bindung zu ihnen aufbaute, um mehr über das Projekt zu erfahren. Die verbliebenen Proxys sind Elion, Sheol und Sariel. Sheol wurde mit dem Unborn infiziert, als er im sechsten Monat war. Allerdings entwickelte er eine schwere Schizophrenie, wurde instabil und aggressiv. Er weist dieselben Symptome wie Kian auf, allerdings ist es zu keiner Spaltung der Persönlichkeiten gekommen. Stattdessen ist Sheols Bewusstsein mit dem seines Unborns verschmolzen, wodurch ein Ungleichgewicht zwischen den beiden herrscht. Sariel schlug auf die Behandlung überhaupt nicht an, weil sie viel zu spät mit dem Unborn infiziert wurde. Es handelt sich allerdings nicht um einen gewöhnlichen Unborn wie in Kian McKees Fall. Er ist ein mutierter Unborn, der das Potential eines Unvergänglichen hat. Wie ihr schon richtig erfasst habt, sind die Unvergänglichen parasitäre Bewusstseinsformen, die sich in fremde Körper einnisten und sie übernehmen. Sie können ihren Wirtskörper nach eigenen Vorstellungen verändern und ihn ihren Bedürfnissen anpassen. Sie müssen es sogar, wenn sie nicht altern und ihre Kräfte gebrauchen wollen. Außerdem sind menschliche Körper nicht dazu geschaffen, um eine so mächtige Seele zu tragen, ohne dabei schwere Schäden zu erleiden. Bei dem Unborn handelt es sich um ein neuartiges Bewusstsein, das sofort damit beginnt, die Seele seines Trägers zu zerstören. Er absorbiert sie sozusagen und normale Menschen wären nicht in der Lage, diesen Parasiten zu überleben oder zumindest einen vernünftigen Wirtskörper bieten zu können, weil der Unborn zu aggressiv ist. Er würde auch Schäden im Körper anrichten, sodass er sich gar nicht erst einen Körper aneignen kann. Ganz anders sieht es aber aus, wenn jemand infiziert wird, der über Genfragmente eines Unvergänglichen verfügt. Diese Träger sind in der Lage, diesen Unborn auszuhalten. Und vermutlich hatten sie vor, Jeremiel ebenfalls zu einem Proxy zu machen. Das würde zumindest erklären, wieso sie ihn so früh als Embryo rausgenommen und mit Evas Genen gekreuzt haben. Als er infiziert wurde, hat der Unborn seine Persönlichkeit weitestgehend zerstört und dabei diverse Hirnschäden angerichtet. Allerdings hat der Unborn offenbar nicht lange überlebt und ist eingegangen, sodass Jeremiel oder besser gesagt Sam Leens überleben konnte. Und als er dann von Josephs Sohn erschossen wurde, hat Eva den Schaden behoben, den der Unborn angerichtet hat und belebte ihn anschließend wieder.“ Jeremiel wurde mit einem Male kalkweiß im Gesicht als er das hörte und auch Liam und L waren erschüttert, das zu hören. „Ich bin… ein Proxy?“ „Nicht direkt“, erklärte Nastasja und versuchte ihn zu beruhigen. „Der Unborn ist verendet und wird auch nicht mehr aktiv werden. Deshalb wollte dich Joseph wahrscheinlich töten, weil du weder über die Kräfte eines Unvergänglichen verfügst, geschweige denn, dass der Unborn in dir heranwächst. Deshalb war es gut, dass Liam dich rechtzeitig in Sicherheit gebracht hat. Und außerdem sind die Leute, die euch angegriffen haben, selbst keine vollwertigen Proxys.“ „Was genau sind die Proxys dann?“ „Nun, Proxy bedeutet übersetzt „Stellvertreter“, klar soweit? Um ein vollwertiger Proxy zu werden, muss der Unborn seinen Wirt restlos zerstören und sich dann selbst dieses Körpers bemächtigen. Sheol und Sariel sind außen vor, weil der Unborn es nicht schafft, ihre Persönlichkeit gänzlich zu zerstören. Lediglich Elion wäre in der Lage, zu einem vollwertigen Proxy zu werden und ich fürchte, dass uns nicht viel Zeit bleibt, um das zu verhindern.“ Also dann waren Proxys also Träger des Unborns. Und sie wurden erst zu vollwertigen Proxys, wenn ihre eigene Persönlichkeit zerstört wurde und der Unborn die Kontrolle über seinen Wirt hatte. „Aber wozu das alles?“ fragte Andrew, der da noch nicht so den gesamten Sinn des Projekts verstand. „Wieso infiziert man Hybride mit diesem Unborn und was haben diese Proxys überhaupt vor? Was ist Projekt AIN SOPH?“ „Nun, da musste ich auch ziemlich viel verdeckt ermitteln, um das in Erfahrung zu bringen“, gab Nastasja zu und begann bedächtig auf ihrer Daumenkuppe herumzukauen. „Ich bin mir mit meiner Theorie noch nicht ganz sicher. Gerade mal zu 69,33333%, weil mir noch einige Indizien bzw. Beweise fehlen. Aber soweit ich das richtig aufgefasst habe, besteht Projekt AIN SOPH darin, eine Art Superwesen zu erschaffen. Eines, das selbst stärker ist als Liam und Eva.“ Als der Mafiaboss das hörte, musste er spöttisch lachen. Er war von den Menschen viele Verrücktheiten gewohnt, aber das schlug dem Fass ja nun wirklich den Boden aus. „Im Ernst? Das würde bedeuten, dass diese Leute versuchen, eine Art menschlichen Gott zu erschaffen.“ Er lachte zunächst darüber und auch Andrew und Oliver stimmten zuerst mit ein, doch Nastasjas Blick wurde sehr ernst und das ließ nichts Gutes erahnen. „Ihr lacht, aber es wäre die ultimative Waffe. Versteht ihr? Dieser Unborn ist ein Parasit, der sich die Seele seines Wirtes einverleibt und dadurch stärker wird. Man könnte ihn auch einen Seelenfresser nennen. Und wenn meine Vermutung zutrifft, dann haben die Proxys den Befehl, die Unvergänglichen aufzuspüren und mit dem Parasiten zu infizieren, bzw. ihre Körper zu zerstören und sich dann ihre Seelen einzuverleiben, damit der Unborn stärker werden kann. Demnach wird er auch versuchen, die Fragmente der Unvergänglichen zu töten. Das gilt also für Liams Familie, als auch für Evas. Mir wurde klar, dass L in Lebensgefahr geraten würde, wenn herauskäme, dass er Evas menschliche Wiedergeburt ist. Ich hatte Angst um sein Leben, deshalb musste ich ihn bei Watari verstecken und zusammen mit Frederica dafür sorgen, dass sie nicht auf den Gedanken kommen würden, nach ihm zu suchen. Wenn sie mich töten, dann hätten sie ihr größtes Problem aus der Welt geschafft. Ich wollte die Verantwortlichen des Projekts glauben lassen, dass ihnen keine Gefahr mehr droht, weil sie mich aus dem Weg geräumt haben und um zu verhindern, dass irgendetwas von meinem Plan mit der Zeitreise durchsickert, habe ich die Pläne des Tesserakts zerstört und nicht einmal Henry und Watari etwas davon gesagt. Ich habe Sariel und Elion den Auftrag gegeben, möglichst lange durchzuhalten und nicht zuzulassen, dass Evas Familie etwas zustößt. Zudem hat Sariel einen weiteren Plan gefasst, weshalb sie und Elion dich gebraucht haben, Andrew.“ „Mich?“ fragte der Rothaarige überrascht und sofort wanderten sämtliche Augenpaare zu ihm. Dann aber erinnerte er sich wieder daran, was Elion ihm gesagt hatte. „Ja stimmt. Elion sagte mir, ich solle ihm Sophies Wunsch geben.“ „Weißt du, was Sophies Wunsch ist?“ Ein unsicheres Achselzucken war die Antwort, woraufhin Liam erklärte „Frederica wurde aus Sophies Wunsch geboren, als Eva ihn in ihren alten Körper aufnahm und ihm ein eigenes Leben gab.“ Nastasja bestätigte dies und ergänzte „Sariel sieht deshalb genauso aus wie Frederica, weil sie ein Klon ist. Man dachte, dass sie Eva sei und wollte ihr daraufhin den Unborn einsetzen, damit es neben Elion eine weitere erfolgreiche Verschmelzung gab. Sariels Plan ist es, ihre eigene Seele mitsamt den Unborn zu zerstören und ihren Körper Frederica zu überlassen. Elion hat daraufhin Fredericas Seele, die Andrew in sich getragen hat, in sich aufgenommen, um sie hinterher auf Sariel zu übertragen. Dabei konstruierte er eine neue Seele oder besser gesagt einen nichtanatomischen Schaltkreis, um Andrew dennoch am Leben zu erhalten. Jedenfalls wäre es mit Sariels Plan möglich, Frederica wiederzubeleben.“ Das wurde ja immer besser. Nicht nur, dass Nastasja quicklebendig vor ihnen saß und ihnen so viele Geheimnisse offenbarte, die sie vor zwanzig Jahren in Erfahrung gebracht hatte, jetzt hieß es auch, dass es einen Weg geben sollte, um Frederica zurückzuholen. Irgendwie wurde die ganze Sache immer verworrener und spätestens jetzt wäre ein normaler Mensch kaum noch mitgekommen. L konnte es nicht fassen und musste noch mal nachfragen. „Es gibt wirklich eine Möglichkeit, dass wir Frederica zurückholen können?“ „Ja, allerdings läuft uns etwas die Zeit davon.“ Wieder wurde Nastasja ernst und nahm schließlich ihre Brille ab, um die Gläser zu putzen. „Elion hält leider nicht mehr lange durch. Sein Zustand war schon Besorgnis erregend gewesen, als ich ihn damals untersucht habe. Aber inzwischen müsste er schon kritisch sein. Wenn es uns nicht gelingt, ihm das Serum zu injizieren, bevor der Unborn seinen Gedankenschaltkreis zerstört hat, dann wird auch Fredericas Seele nicht mehr existieren. Darum musste ich die Einbrüche begehen, weil alles andere zu lange gedauert hätte. Außerdem habe ich Elion sehr ins Herz geschlossen und er tut mir einfach Leid, genauso wie die anderen. Er war für mich… nun ja… wie ein eigenes Kind. Er hat nie einem Lebewesen etwas tun wollen und er hat ein wirklich gutes Herz. Dass er dich infiziert hat, Andrew, war für mich selbst ein Schock. Ich kenne Elion als einen sehr sanftmütigen Menschen, der lieber selbst den Kopf hingehalten hätte, als anderen ernsthaft zu schaden. Darum denke ich, dass es eher ein Versehen gewesen sein muss als er dir eine neue Seele im Austausch für Fredericas gab und er einfach nicht mehr die Kraft hat, den Unborn zu unterdrücken.“ „Er hat mich auch um Hilfe angefleht, als die mentale Verbindung zustande gekommen ist.“ Nastasja nickte bedächtig und schien sich schon ein Bild von der Gesamtsituation machen zu können. „Verstehe. Dann besitzt er noch genügend Menschlichkeit in sich, um zumindest über diesen Weg um Hilfe zu rufen und euch nichts zu tun. Aber darauf können wir uns auch nicht verlassen. Eine Strategie muss her…“ Auch L und die anderen dachten nach und sofort wollte der Detektiv einen Vorschlag machen, doch als er sagte „Wir könnten…“, da unterbrach ihn die blondhaarige Russin auch schon sofort. „Nein, ihr haltet euch da raus. Ich mache das alleine.“ „Wie bitte?“ Das gefiel L ganz und gar nicht und es sah ganz stark nach einer Diskussion zwischen Mutter und Sohn aus. Und beide waren bereit, ihren Standpunkt bis aufs Äußerste zu verteidigen. „Das schaffst du nicht alleine und überhaupt: wir hängen alle ausnahmslos in der Sache mit drin.“ „Ich weiß, aber ich will nicht riskieren, dass die Proxys euch noch etwas antun. Sheol ist extrem gefährlich und er wird euch sofort töten, wenn er eine Chance sieht. Und Elion ist wahrscheinlich nicht mehr in der Lage, den Willen des Unborns zu unterdrücken, weshalb auch von ihm eine Gefahr ausgeht. Ich lasse nicht zu, dass sie euch etwas antun und im Gegensatz zu euch kann ich mich sehr wohl zur Wehr setzen.“ „Jetzt sei mal vernünftig, Mum. Du bist ganz alleine.“ „Das kann sein, aber ich kann für drei kämpfen. Ich trainiere schon MMA, Krav Maga und Kickboxen seit ich neun Jahre bin. Ich kenne die Stärken und Schwächen jedes einzelnen Proxys und ich bin die Einzige, die das Serum auch herstellen kann.“ „Mag ja sein, dass du Kampfsport beherrschst. Aber gemeinsam könnten wir…“ „Ich diskutiere hier nicht mit dir, junger Mann. Mein Haus, meine Regeln. Zwar mag ich momentan nur fünf Jahre älter sein als du, aber ich bin trotzdem noch deine Mutter und deshalb habe ich hier das Sagen.“ Nun war das italienische Temperament von Nastasja zum Vorschein gekommen. Sie war aufgestanden, hatte belehrend und mahnend den Zeigefinger gehoben und eine Faust in die Seite gestemmt, als wolle sie L zurechtweisen. Obwohl sie vorher noch so sanft, liebevoll und herzlich gewirkt hatte, war sie nun dominant, streng, energisch und ziemlich temperamentvoll. Da Jeremiel bemerkte, dass die beiden absolut stur in ihren Ansichten waren, versuchte er irgendwie zu vermitteln. „Diese Diskussion wird doch auch nicht weiterhelfen. Wie wäre es, wenn wir einen Kompromiss finden?“ „Nein, es gibt keinen Kompromiss. Ihr haltet euch da raus, das ist eindeutig zu gefährlich.“ „Ich bin kein kleiner Junge mehr“, protestierte L, der nun langsam richtig sauer wurde, weil es ihm überhaupt nicht passte, wie seine Mutter ihn hier gerade behandelte. „Und du kannst nicht von mir erwarten, dass ich tatenlos da sitzen werde, während du dich in Gefahr begibst und ich dich eventuell noch mal verliere.“ „Ich weiß was ich tue und ich lasse auch nicht mit mir reden. Schluss, aus, basta. Ihr wisst so gut wie nichts über die Proxys und ihr könnt euch auch nicht großartig zur Wehr setzen, wenn sie euch angreifen. Da seid ihr mir einfach nur ein Klotz am Bein.“ „Oh Dankeschön, dass ich dir ein Klotz am Bein bin, Mum.“ „Hey, jetzt komm mir nicht mit dieser Tour, Freundchen! Du weißt genau, dass ich das so nicht meine! Also hör damit auf, mir meine Worte im Mund verdrehen zu wollen und mich hier als die Böse darzustellen.“ Und dann begann sie noch etwas auf Russisch zu schimpfen, was aber niemand außer Liam und Jeremiel verstand. Und das, was sie sagte, musste wohl wirklich ziemlich heftig sein, da selbst dem Mafiaboss der Mund offen stehen blieb. Dann aber beschloss er, zumindest einen Versuch zu wagen und ging bei den beiden Streithähnen dazwischen. „Jetzt beruhigt euch doch mal. Jeremiel hat ganz Recht: Diskussionen bringen auch nichts. Nastasja, jetzt sei doch nicht so verdammt stur. Ich bin doch auch da und ich habe Jeremiel versprochen, die anderen zu beschützen. Meine Familie wird nicht zulassen, dass die Proxys ihnen etwas antun. Und versuch doch auch mal L zu verstehen. Er hat ganz Recht: er ist erwachsen und er hat in seinem Leben verdammt viele Kriminalfälle gelöst. Er hat einen Massenmörder aufhalten können, der mit einer Waffe getötet hat, für die er lediglich Namen und Gesicht brauchte. Diese Truppe hier ist zwar ein wenig durchgeknallt und chaotisch, aber sie passen aufeinander auf und haben schon viel erlebt. Glaub mir, normalerweise würde ich nicht Partei für andere ergreifen. Zumindest nicht für die meisten Menschen. Aber ich kann dir eines sagen: die Jungs sind hart im Nehmen und deine beiden Söhne sind fast genauso dickköpfig und willensstark wie du. Jetzt sei doch nicht so, sondern gib ihnen wenigstens eine Chance. Das ist ja auch eine Chance für deine Söhne, ihr Können zu beweisen und ihr kommt euch auch wieder näher. Was meinst du?“ Nastasja verschränkte die Arme und funkelte Liam mit einem warnenden und sehr Respekt einflößenden Blick an. Dann aber seufzte sie geschlagen und nickte. „Also gut. Zwar bin ich immer noch nicht so wirklich begeistert von der ganzen Sache, aber… du hast Recht. Meine Kinder sind schon längst erwachsen und da hab ich wohl nicht mehr viel zu melden. Das alles ist noch ein wenig viel für mich. Ich meine, ich habe Henry verloren, mein Sohn ist jetzt erwachsen und ich hab jetzt noch einen zweiten Sohn, der mir damals einfach weggenommen wurde. Hört mal, seid mir bitte nicht böse, aber ich muss das alles erst mal verarbeiten. Wie wäre es, wenn wir uns morgen besprechen, wie es weitergehen soll? Ihr könnt morgen um eins bei mir vorbei kommen und dann überlegen wir uns gemeinsam einen Plan. Ist das ein Angebot?“ Da sie gut verstehen konnten, dass diese ganze Situation nicht gerade einfach für Nastasja war, wollten sie sie nicht noch weiter überfordern. Das Ganze war sowieso schon schwer genug für sie. Also verabschiedeten sie sich und kehrten zurück nach Hause. Doch sie ahnten nicht, dass die Russin in Wirklichkeit ganz andere Pläne verfolgte. Denn knapp eine Stunde, nachdem die Truppe die Wohnung verlassen hatte, begann sie schnell ein paar Sachen zu packen, die sie noch brauchen würde. Nie und nimmer, schwor sie sich und packte den Koffer mit dem Serum. Nie und nimmer werde ich zulassen, dass meine Söhne oder die anderen sich in Gefahr begeben und ihnen passiert noch am Ende etwas. Ich habe mir geschworen, dieses verdammte Projekt alleine zu stoppen und niemanden mit in die Sache hineinzuziehen. Es ist schon schlimm genug, dass Henry sterben musste, obwohl er nichts damit zu tun hatte. Deshalb werde ich auch alles daran setzen, es alleine zu schaffen und die Verantwortlichen für das Projekt zu finden, bevor der absolute Worst Case eintreten kann und der Unborn noch schlimmstenfalls jegliches Leben auf der Welt auslöschen wird, wenn er mächtig genug wird und Elion vollständig zerstört hat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)