Last Desire 6.5 von Sky- (Just another Desire) ================================================================================ Kapitel 14: Ein kleiner Spaziergang ----------------------------------- Am nächsten Morgen wachte Jeremiel mit deutlich besserer Laune auf und merkte auch, dass es ihm auch körperlich nicht so schlecht ging wie nach dieser einen Nacht, als Liam das erste Mal mit ihm geschlafen hatte. Womöglich lag es ja daran, dass er dieses Mal deutlich mehr aufgepasst hatte und auch viel rücksichtsvoller gewesen war, sodass Jeremiel nicht solche Schmerzen erdulden musste. Aber auch psychisch ging es ihm erheblich besser und das merkte sogar er! Er war nicht mehr so lustlos und niedergeschlagen, sondern hatte deutlich mehr Energie als vorher. Sicherlich, weil es daran lag, dass er sich mit Liam endlich ausgesprochen und alle Probleme geklärt hatte. Gleich schon, als er in Richtung Salon ging, traf er auch schon auf Liam, der gerade dabei war, etwas zu lesen. Als er aufschaute und den 25-jährigen sah, da blieb sein Gesicht unbewegt, aber er zog leicht die Augenbrauen zusammen und fragte „Wo willst du denn hin?“ „Raus. Ich wollte etwas von Boston sehen.“ „Aha“, murmelte der Mafiaboss und sein Gesicht verdüsterte sich. Offenbar dachte er wieder an die Entführung und machte sich Sorgen. „Wenn du gehst, möchte ich, dass du Johnny bei dir hast. Du hast immer noch keine Erinnerungen und würdest dich verlaufen und es gibt genug Mafiaterritorien in dieser Stadt. Du könntest wieder in die Fänge dieser Menschenhändler geraten, wenn du nicht aufpasst. Deshalb hätte ich es lieber, wenn Johnny dich begleitet.“ Nun gut, eigentlich hatte er ja Recht und man hatte ja gesehen, was passiert war, weil Jeremiel einfach nicht imstande war, verdächtige Situationen sofort zu erkennen oder Misstrauen gegen dubiose Gestalten zu hegen. Aber dennoch war ein Teil von ihm der Ansicht, dass das unnötig war und er auch ohne einen Aufpasser klar kam. Um Liam zufriedenzustellen und ihm auch ein Stück weit die Sorge zu nehmen, es könnte wieder irgendetwas passieren, erklärte sich der 25-jährige einverstanden und so gingen sie Johnny suchen. Dieser war sich mal wieder mit der Mechanikerin am Streiten und machte mit seinen Provokationen alles nur noch schlimmer. Wahrscheinlich wären sie noch aufeinander losgegangen, denn die Madonna mit den Schraubenschlüsseln hatte einen besonders großen gepackt und wollte damit schon auf Johnny losgehen, da ging Liam dazwischen und trennte die beiden Streithähne voneinander. „Jetzt ist aber mal gut hier. Das ist kein Kindergarten und wenn ihr euch die Schädel einschlagen müsst, dann macht das woanders. Johnny, du hast folgenden Auftrag: du begleitest Jeremiel und passt auf, dass er sich nicht schon wieder in Schwierigkeiten bringt. Gishi, die Sportwagen, die eingetroffen sind, müssen umlackiert werden. Kennzeichen und Seriennummern entfernen und dann transportbereit machen. Und kontaktiere Mr. Smith mit der Mitteilung, wenn die Ware abholbereit ist.“ „Verstanden, Chef!“ Damit ging die Asiatin mit den türkis gefärbten Haaren und steckte den Schraubenschlüssel wieder ein. Johnny blickte ihr noch nach und grinste. „Meine Güte, die Madonna ist ja ne richtige Kampfhenne.“ Liam gab ihm einen strafenden Klaps auf dem Hinterkopf und war sichtlich genervt. „Warum musst du auch immer die Leute so provozieren?“ „Hey, ich bin höflich, wenn ich wenigstens mal lügen dürfte.“ „Vergiss das mal lieber. Wir haben alle zu spüren bekommen, was deine verdammten Lügen alles anrichten können.“ „Was kann ich denn dafür, dass die alle plötzlich Paranoia schieben und das Geld von den Banken abheben, woraufhin gleich die ganze Wirtschaft zusammenbricht, nur weil ich das Gerücht verbreitet habe, die Bank wäre zahlungsunfähig geworden?“ „Du hast es doch darauf ankommen lassen und deinetwegen haben wir ebenfalls Riesenverluste gemacht. Ich diskutiere nicht mit dir und fertig aus.“ Doch das schien Johnny auch nicht sonderlich zu jucken und er zuckte gleichgültig mit den Achseln, dann wandte er sich Jeremiel zu. „So, wollen wir zwei Hübschen dann?“ Damit ging Johnny voran und pfiff wieder die Melodie aus Kill Bill, während Jeremiel ihm folgte. Draußen war es irgendwie kühl und bewölkt, allerdings änderte das rein gar nichts an Johnnys guter Laune. Während sie so die Straßen entlanggingen, fragte er direkt „Hab schon gehört, dass da zwischen euch zwei Turteltäubchen alles paletti ist und ihr offenbar euren Spaß im Bett hattet. Und wie geht’s weiter?“ „Wo… woher weiß du…“ „Ich bin Informant, schon vergessen? Ich kenne jedes schmutzige Geheimnis. Also erzähl schon, wie läuft das jetzt zwischen euch weiter?“ „Nun, ich möchte mit meinem Bruder Kontakt aufnehmen und ihn näher kennen lernen. Und dann werde ich mich entscheiden, ob ich zu einem von euch werde, oder ob ich lieber ein normales Leben führen möchte.“ Johnny steckte seine Hände in die Manteltaschen und nickte bedächtig. Es war schon ein Wunder, wie ihm in den Klamotten nicht heiß wurde… „Ist eigentlich die vernünftigste Lösung. Nun gut, es wäre nicht unbedingt unumkehrbar, wenn Liam dich nicht mehr altern lassen würde. Du könntest dich dann immer noch für ein Leben als normaler Mensch umentscheiden. Genauso umgekehrt, wenn du es zumindest noch vor deinem Tode sagen würdest. Trotzdem ist das keine einfache Entscheidung. Denn ein Leben als nicht Alternder würde man schnell Gefahr laufen, komplett abzudriften und zum größten Arsch aller Zeiten zu werden. Dorian Gray ist immer noch das beste Beispiel dafür, dass ewiges Leben nicht immer Glück mit sich bringt. Und man beginnt sich auch irgendwann zu langweilen. Also muss man sich einen guten Zeitvertreib suchen. Delta hat ein ausschweifendes Liebesleben, Marcel hat seine Zahlen und Finanzen und ich hab meinen Spaß, wenn ich mit meinen Lügen und Intrigen ein schönes Chaos anrichten kann. Und Liam hat auch vielfältige Tätigkeiten.“ „Wie ist er eigentlich auf die gekommen, Mafiaboss zu werden?“ „Er sagte mal: Die Gier ist das Einzige, was die Menschen vorantreibt. Geld ist zwar nicht alles, aber es ist das meiste und reicht, um Macht über andere zu haben. Es ist nicht der Mensch, der über den Menschen herrscht, sondern nur seine eigene Habgier und die Materie. Er wollte die Menschen auf seine Weise manipulieren, kontrollieren und beherrschen. Nämlich indem er sie mit ihren eigenen Waffen schlägt und das ist das Geld. Für Geld tun die Menschen einfach alles. Das ganze Leben dreht sich darum, sie verkaufen sogar ihren eigenen Körper oder andere Menschen, nur um daran zu kommen. Wer das Geld hat, der macht auch die Regeln. Und da Geld nicht verboten ist und die Menschen alle ihren Preis haben, hat sich Liam dafür entschieden. Natürlich hätte er genauso gut ins Drogengeschäft einsteigen können, aber das war ihm auf Dauer zu riskant.“ Nun gut, Jeremiel hatte ja gewusst, dass Liam ein gefährlicher Kerl war, denn mit der Mafia war nicht zu spaßen. Und im Hotel hatte er auch gesehen, dass Johnny und Delta nicht zu unterschätzen waren. Sie waren beide Killer, die ohne zu zögern jeden töten würden, der eine Bedrohung darstellte. Aber im normalen Alltag waren sie eigentlich recht umgänglich. „Und wie kam er dazu, mittellose Menschen zu operieren, wenn er doch eigentlich im organisierten Verbrechen tätig ist?“ „Nun, das ist auf deine oder besser gesagt auf Nikolajs Kappe gewachsen. Weißt du, damals war Liam noch ein ganz anderer Typ gewesen. Er war ein echter Tyrann und wir haben in seinem Auftrag auch viel Unheil verursacht. Aber als er dann Nikolaj kennen lernte, da hat er sich schon verändert. Und Nikolaj meinte, dass er auch wenigstens etwas Gutes tun könnte, wenn sein Herz nicht vollkommen schwarz wäre. Und weil der Gute auch gesagt hatte, dass er immer zu Liam zurückkehren würde, wenn er seine nette Seite nicht verlieren würde, hat er sich etwas gesucht. Und da insbesondere während der ganzen Kriege Menschen verletzt wurden und keine Hilfe bekamen, da hat er eben einen auf Chirurg gemacht. Ich denke, er hat diese Tätigkeit ein Stück weit auch beibehalten, weil er für sich selbst die Bestätigung haben wollte, dass Nikolaj Recht hatte und ihn ihm etwas Gutes steckt.“ Also habe ich in meinem letzten Leben vor über 400 Jahren wohl so einiges bewirkt. Insbesondere bei Liam. „Johnny, kannst du mir vielleicht helfen, etwas für Liam zu finden? Ich wollte ihm etwas schenken, damit er nicht mehr bloß ein altes Andenken von Nikolaj hat.“ „Klar doch. Ich denke, wir finden schon was.“ Also begannen sie sich gemeinsam in den Läden umzusehen und Johnny hatte so einige Tipps, aber Jeremiel war nicht immer so hundertprozentig überzeugt. Schließlich, als sie sich dann eine Pause gönnten und in ein Cafe gingen, fragte der 25-jährige so nebenbei „Wie hast du das eigentlich jetzt mit Delta geklärt?“ Johnny, der sich einen Erdbeermilchshake bestellt hatte, setzte sich und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Nun, wie will man etwas mit so einem durchgeknallten Sexsüchtigen wie ihm klären? Wie ich schon mal sagte, er hat an monogamen Beziehungen null Interesse. Dagegen hab ich ja auch nichts, weil ich ja weiß, wie er gestrickt ist. Aber zumindest hat es jetzt den Anschein, als wäre ich jetzt wieder seine Nummer 1. Wollen wir nur mal hoffen, dass das auch so bleibt, denn ich hab nicht sonderlich Lust, wieder der Idiot auf der Ersatzbank zu sein. Und so langsam scheint er wohl auch eingesehen zu haben, dass dieses ganze Hin und Her totaler Bockmist ist. Ich hatte sowieso eher das Gefühl, dass er nur deshalb mit Marcel die ganze Zeit so rumgemacht hat, weil er mich eifersüchtig machen wollte. Im Grunde gehört das ja auch irgendwie zu seinem Spiel dazu.“ Irgendwie ist das mit denen echt kompliziert, dachte Jeremiel und sah Johnny ein wenig ratlos an. Oder liegt es an mir? Als würde der Unvergängliche seine Gedanken lesen könnten, sagte er mit einer abwehrenden Handbewegung „Zerbrich dir deswegen mal nicht so den Kopf, Jerry. Selbst Liam blickt da nicht so wirklich durch, was zum Teufel mit Delta los ist. Und wenn der das nicht schnallt, dann erst recht du nicht. Ich glaub, Delta muss man auch nicht verstehen. Er ist halt eine Nummer für sich.“ Nachdem sie ihre kleine Zwischenpause beendet hatten, gingen sie weiter und sogleich, als sie um eine Ecke bogen, da ergriff Johnny plötzlich seinen Arm, zog ihn in eine kleine Seitengasse und versteckte sich mit ihm. Der 25-jährige war verwundert und fragte „Was ist los?“ „Da kommt gleich ein „Bekannter“ deines alten Ichs.“ Jeremiel versuchte da jemanden zu erkennen und tatsächlich entdeckte er einen gebeugt gehenden schwarzhaarigen Mann in seinem Alter. Und der ähnelte seinem Bruder fast bis aufs Haar. Nur seine rot leuchtenden Augen wirkten irgendwie gruselig. „Wer ist das?“ „Beyond Birthday, der Lover deines Bruders. Ist auch gerade kein Unschuldsengel. Er hat drei Menschen getötet und kam auch ins Gefängnis. Er ist aber ausgebrochen und seitdem lebt er bei deinem Bruder.“ „Mein Bruder lässt einen Mörder bei sich leben? Wieso denn?“ „Na weil es zwischen denen echt gefunkt hat. Weißt du, eigentlich waren die beiden Erzfeinde und Beyond hat L bis aufs Blut gehasst, weil er ihm die Schuld an den Tod von Andrew gegeben hat. Dieser wurde durch die Gedankenschaltkreistechnologie zurückgeholt und sowohl Beyond als auch L haben sich miteinander vertragen und die beiden lieben sich heiß und innig. Allerdings ist der gute Beyond ein absoluter Menschenhasser und ich will lieber nichts riskieren, wenn er dich alleine und ohne L hier sieht. Nicht, dass er noch die Beherrschung verliert, denn dann kann er ziemlich ungemütlich werden.“ So, dann ist das also Beyond, der Partner meines Bruders? Die sehen sich echt ähnlich… „Aber wenn er mit L zusammenlebt, könnte es doch Probleme geben, wenn ich dort auftauche, oder?“ „Das kann ganz gut möglich sein. Ist sogar sehr wahrscheinlich, aber L hat ihn ganz gut im Griff. Wenn er dabei ist, sollte eigentlich nichts passieren. Liam weiß das, sonst würde er dich kaum einfach so gehen lassen.“ Schließlich blieb Jeremiel vor einem Laden stehen, als ihm etwas ins Auge fiel. „Johnny, meinst du, Liam würde so etwas mögen?“ „Ich glaub, der würde sogar ein rosa Tutu annehmen, wenn es von dir käme. Aber ich denke, das wird ihm tatsächlich gefallen. Okay, dann nehmen wir es gleich mit.“ Johnny ging rein und kam kurz darauf mit dem Geschenk zurück und drückte es Jeremiel in die Hand. „Du scheinst ja langsam immer besser zu werden, was das Zwischenmenschliche angeht. Offenbar lernst du ziemlich schnell.“ „Nun ja, ich finde es irgendwie spannend mich mit allem zu beschäftigen, was man irgendwie mit Emotionen verbindet. Ich weiß auch nicht wieso.“ „Scheint so, als hättest du noch ein paar alte Gewohnheiten von Sam Leens beibehalten. Er war auch besessen davon, alles über Emotionen zu lernen. Nur mit dem Unterschied, dass es bei ihm rein gar nichts gebracht hat und er auch nicht mal vor Mord zurückschreckte. Ich fand den Typen schon immer widerlich, jetzt nichts gegen dich. Als Mensch bist du echt in Ordnung und ich mag dich auch echt.“ „Magst du die Menschen etwa nicht?“ „Nun, gegen die Menschheit hab ich ja nichts. Es ist nur der Mensch selbst und an sich, den ich nicht mag. Im Grunde ist sie eine zerstörerische und dumme Rasse, die eigentlich nichts Weiteres sind als Parasiten. Sie sind die einzigen, die aus niedrigen Beweggründen töten. Tiere töten um zu überleben oder um ihre Artgenossen zu beschützen. Es widert mich einfach an, dass sie so verlogen, habgierig und egoistisch sind und nicht mal davor zurückschrecken, andere zu verletzen, zu hintergehen und zu töten, wenn es ihnen persönlich Vorteile bringt.“ „Aber bist du nicht du nicht die verkörperte Lüge?“ Johnny blieb stehen, steckte die Hände in die Manteltasche und sah Jeremiel mit einem fast schon lauernden Blick an. Er lächelte und erklärte „Stimmt ja auch eigentlich. Delta, Marcel und ich verkörpern die wohl schlechtesten Angewohnheiten der Menschheit: Gier, Versuchung und Unaufrichtigkeit. Ich gebe auch zu, dass ich gerne lüge und damit Steine ins Rollen bringe, die dann irgendwann Katastrophen auslösen. Ich denke mir einfach: die Welt will betrogen werden, also soll sie auch betrogen werden. Und mir ist es auch herzlich egal, was meine Lügen anrichten. Immerhin lügen die Menschen doch allesamt auch, also brauchen sie sich doch nicht wundern, wenn sie ebenfalls belogen werden. Aber meine Familie belüge ich nicht gerne, auch wenn es heißt, dass sie mit meiner schamlosen Ehrlichkeit nicht klar kommen.“ „Aber nicht alle Lügen sind schlecht.“ Sie gingen schließlich weiter und die Sonne schien hell, nachdem sich der Himmel etwas gelichtet hatte. Auch von Beyond Birthday war keine Spur mehr zu sehen, weshalb auch Johnny keine Gefahr mehr sah. „Ich weiß. Nicht umsonst heißt es: im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist. Ohne Höflichkeitslügen würden sich noch alle gegenseitig an die Gurgel gehen. Dennoch ändert es nichts daran, dass die Menschheit eine verlogene und selbstsüchtige Rasse ist. Für meine Meinung wurde ich schon oft als menschenhassendes, selbstverliebtes und zynisches Arschloch bezeichnet.“ „Und was sagst du dazu?“ „Dass ich ein misanthrophischer egozentrischer Zyniker mit einem gewissen Hang zu Narzissmus bin. Das ist ein himmelweiter Unterschied!“ „Keine sonderlich guten Eigenschaften, oder?“ Doch Johnny zuckte nur gleichgültig mit den Achseln und schien sich nicht sonderlich darum zu kümmern. „An sich gibt es weder gut noch böse. Erst das Denken macht es dazu und ich war ohnehin schon immer der Ansicht gewesen, dass diese subjektive Einteilung der Dinge in Richtig oder Falsch eine weitere stupide Erfindung der Menschen war. Genauso stupide wie das Geld. Aber die Menschen, die ich am allerwenigsten leiden kann sind Ärzte. Sie nennen sich selbst die Götter in weiß und es stimmt ja auch. Sie sind es, die oft über Leben und Tod herrschen und das Schicksal von Menschen in Händen halten. Deshalb sind sie entweder überheblich oder selbstsüchtig, oder Leben und Tod anderer Menschen geht ihnen am Arsch vorbei. Manchmal trifft sogar alles zu. Mag ja sein, dass es auch Ärzte gibt, die sich ihre Ideale bewahrt haben, aber meist sind es genau die, die dann entweder an der Flasche hängen oder haufenweise Antidepressiva schlucken und selbst vor die Hunde gehen. Nenn mich ruhig einen Pessimisten, was solche Dinge betrifft. In gewisser Hinsicht stimmt das ja auch. Ein Pessimist ist ein Optimist mit Erfahrung und der Vorteil eines Pessimisten ist, dass er immer wieder positiv überrascht werden kann.“ Jeremiel hätte nicht gedacht, dass Johnny eine so schlechte Meinung von den Menschen hatte. Er wirkte gar nicht danach, als würde er so abschätzig über sie denken. Vor allem, weil sie beide sich doch so gut verstanden. Als der Unvergängliche bemerkte, was Jeremiel durch den Kopf ging, klopfte er ihm auf die Schulter und sagte „Jetzt mach dir mal keine Sorgen. Du bist die ganz große Ausnahme. Und weißt du: wenn man schon so lange lebt, dann beginnt man irgendwann alles zu hassen. Ganz egal ob es die Deutschen, die Russen, die Mexikaner, die Amerikaner, die Araber oder die Schlitzaugen sind. Irgendwann ist jeder mal das große Arschloch der Menschheitsgeschichte. Die einen öfter, die anderen eher weniger.“ Jeremiel dachte nach und überlegte, ob er irgendwann auch so zynisch wurde wie Johnny, wenn er tatsächlich so lange leben sollte. Nun ja, er hatte ja noch Zeit, sich das Ganze zu überlegen und zuerst wollte er ja noch seinen Bruder kennen lernen. Aber es stellte sich natürlich die Frage, ob L ihn auch wirklich mit offenen Armen aufnehmen würde, wenn doch bekannt war, dass Jeremiel vor seiner Amnesie Sam Leens war und viele furchtbare Dinge getan hatte. Was, wenn es zur Katastrophe kommen und L ihn hassen würde? „Johnny, was meinst du? Wird es überhaupt gut gehen, wenn ich meinen Bruder treffe?“ Der Unvergängliche dachte kurz nach und legte den Kopf zurück, wobei er ein lang gezogenes „hm…“ von sich gab. Dann aber schien er sich seine Antwort zurechtgelegt zu haben. „Es wird schon schwierig werden, vor allem weil Beyond nicht gerade erfreut sein wird, dich zu sehen. Aber L kennt die Umstände und weiß auch, wieso du so warst, wie du warst. Und er weiß auch, dass Beyond dir sein Leben zu verdanken hat. Zwar wird er dem Braten wohl erst nicht wirklich trauen, aber er wird dir schon eine Chance geben. Wichtig ist nur, dass du dich nicht unterkriegen lässt und auch nicht so schnell aufgibst. Aber wenn du schon Liam auf die Spur bringen konntest, sehe ich hierin eigentlich kaum ein Problem. Wenn es allerdings Probleme geben sollte, kannst du dich jederzeit an uns wenden. Vergiss nicht, wir sind Freunde. Und da werden wir immer sofort zur Stelle sein, wenn du in der Klemme stecken solltest.“ Nachdem sie noch eine Weile spazieren gegangen waren, kehrten sie wieder zurück zu Liams Anwesen. Der Hausherr war gerade nicht da und so wie sie erfuhren, war er gerade mitten in einer Operation. Einem allein stehenden Familienvater musste ein Hirntumor entfernt werden, ansonsten würden seine beiden Kinder bald zu Vollwaisen werden. Dafür aber fanden sie Delta, der mal wieder mit Marcel am Streiten war. Es endete damit, dass er versuchte, den Buchhalter mit einem Stahlfächer zu attackieren, aber der konnte sämtliche Angriffe mühelos abwehren und zeigte sich auch nicht sonderlich beeindruckt. Er sagte nur „Delta, es kostet nur unnötig Energie, wenn du dich so aufregst. Spar dir das doch für deine Schäferstündchen mit Johnny auf.“ „Du bist doch bloß eifersüchtig, weil ich mit dir Brillenschlange Schluss gemacht habe.“ „Wie kannst du Schluss machen, wenn wir nicht mal zusammen waren?“ Johnny seufzte und schüttelte den Kopf. „Gishi hat es wirklich treffend beschrieben: wer schon so lange lebt, der hat irgendwann einen Knacks im Oberstübchen.“ Aber Jeremiel kümmerte dieses Gezanke nicht sonderlich. Mochte ja sein, dass Delta und die anderen schräg sein konnten, aber sie hatten auch ein gutes Herz und allein darauf kam es an. Um den Zoff zu beenden, kam er schließlich mit dem Vorschlag „Warum setzen wir uns nicht einfach nach draußen und trinken einen Tee?“ Und tatsächlich war der Streit erst einmal beendet und so setzten sie sich in aller Ruhe nach draußen auf die Terrasse, woraufhin die Gemüter auch wieder deutlich beruhigt wurden. Und natürlich musste Delta auch gleich fragen „Na, Engelchen? Wie war denn die Nacht mit Liam? Erzähl mir am besten alle schmutzigen Details!“ Der Blondschopf sah ihn erst ratlos an und verstand gar nicht, was denn mit „schmutzigen Details“ gemeint war. Aber als der Crossdresser ihm ein wenig auf die Sprünge half, da spürte Jeremiel, wie er im Gesicht rot wurde und er wusste nicht, was er dazu denn sagen sollte. Doch da kam Johnny schon zur Hilfe und ging dazwischen. „Du brauchst nichts zu sagen. Delta ist eben pervers und verdammt neugierig. Ich hab ihn auch nur mit roher Gewalt von der Tür wegbekommen, weil er unbedingt durchs Schlüsselloch gucken musste.“ „Ich freu mich eben für Engelchen, dass es bei ihm und Herzchen endlich läuft, Darling! Also lass mich doch!“ „Sei froh, dass ich Liam nicht verraten habe, dass du spannen wolltest, sonst hätte er dir noch richtig den Marsch geblasen. Und damit meine ich nicht das, was du dir schon wieder in deinem perversen Hirn zusammenspinnst.“ Doch der Kimonoträger streckte nur beleidigt die Zunge raus und trank einen Schluck Tee. „Du denkst auch immer nur das Schlechteste von mir, oder?“ „Wenn es doch stimmt?“ Offenbar gehört diese Art der Streiterei auch zu ihrer komischen Beziehung dazu. Naja, versteh mal einer die Leute, dachte sich Jeremiel, während er die beiden so beobachtete. Ob mein Bruder auch so drauf ist? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)