Last Desire 6.5 von Sky- (Just another Desire) ================================================================================ Kapitel 5: Deltas Unruhe ------------------------ Jeremiel war noch eine Weile ziellos umhergewandert, ohne zu wissen, wohin er gehen sollte. Immer noch beschäftigte ihn diese Begegnung mit Andrew und es tat ihm weh daran zu denken, dass er vielleicht Menschen getötet haben könnte, bevor er seine Amnesie erlitten hatte. Er wusste nicht was er glauben sollte, fühlte sich total verunsichert und ihn plagte die Sorge, dass da tatsächlich etwas dran sein könnte. Kann es wirklich sein, dass ich ein Mörder bin? Was soll ich tun, wenn es stimmt und ich Menschen getötet habe? Ziellos irrte er umher, nicht wissend, wo er überhaupt war, aber dafür hatte er jetzt einfach keinen Kopf. Doch die Hitze setzte ihm immer mehr zu und er fühlte sich einfach nur müde und erschöpft. Verdammt, warum nur musste es so furchtbar heiß sein? Das war doch einfach nicht zum Aushalten. Er suchte sich eine etwas schattige Gasse und atmete tief durch. Sein Hals tat weh und er war dehydriert. Womöglich hatte er deshalb Kopfschmerzen. Zu dumm, dass er kein Geld dabei hatte. Vielleicht konnte er sich irgendwo in ein Lokal setzen und sich dort abkühlen. Nach einer Weile erreichte er eine Art Bar, die den Namen Lovely Evening trug. Was das wohl für ein Laden war? Warte… war das nicht dieser komische Schwulentreff? Nee, da suchte er sich lieber etwas anderes. „Hey, alles in Ordnung bei dir?“ Jeremiel blieb stehen und sah einen braungebrannten Mann an die Hauswand gelehnt, der Goldschmuck trug und einen ziemlich muskulösen Eindruck machte. Der 25-jährige blickte ihn fragend an, denn er kannte diesen Mann nicht und konnte sich deshalb nicht erklären, weshalb dieser ihn ansprach. „Kennen wir uns?“ „Nicht wirklich, aber du hast einen ziemlich geknickten Eindruck gemacht. Ich bin Norman Hayes! Hey was ist? Soll ich dich auf einen Drink einladen?“ Dieser Norman schien hilfsbereit zu sein. Also nahm Jeremiel das Angebot an und sogleich führte der Mann ihn in die Bar. Das irritierte den Blondhaarigen nur noch mehr und er fragte sogleich „Wieso gehen wir in die Bar?“ „Da sind die Drinks sehr günstig. Und man kann dort eben ziemlich gut Party machen.“ Na wenn das so war. Jeremiel gab sich mit dieser Antwort zufrieden und folgte Norman in die Bar und spürte sogleich die angenehme Kühle der Klimaanlagen. Da es Mittagszeit war, war noch nicht sonderlich viel los und so setzten sie sich an den Tresen. Sogleich kam der Barkeeper, der sich als Alex vorstellte und bemerkte sogleich „Hey Norman, ich dachte echt, Mama Ruby hat dich aus der Stadt gejagt.“ „Ach, von der lass ich mir gar nichts sagen. Und soweit ich weiß, muss sie sich jetzt sowieso um ihre Bälger kümmern. Die soll sich hier mal nicht als Möchtegern-Batman aufspielen.“ Sogleich bekamen sie die Drinks und Norman reichte Jeremiel seinen herüber. Dieser sah auf sein Glas und meinte „Ich weiß nicht, ob ich wirklich Alkohol vertrage.“ „Ist alkoholfrei, da mach dir keine Gedanken.“ Jeremiel nahm dankend sein Glas entgegen und trank einen Schluck. Nach der sengenden Hitze da draußen war das hier wirklich eine Wohltat. Er hatte wohl wirklich Glück gehabt, diesen Norman getroffen zu haben. Aber wieso war dieser so hilfsbereit? Das verstand er irgendwie nicht. „Wie heißt du den eigentlich?“ „Jeremiel.“ „Jeremiel? Komischer Name…“ „Der Name kommt vom achten Erzengel der russisch orthodoxen Kirche. Dem Glauben nach war Jeremiel der Engel der Vorhersehung und jener, der die Verstorbenen ins Jenseits gebracht hat.“ „So? Dann bist du also religiös?“ Jeremiel schüttelte den Kopf und nahm noch einen Schluck von seinem Drink. „Ich glaube im Allgemeinen nicht an eine höhere Existenz göttlicher Natur. Das ist unlogisch, denn diese ist nicht wissenschaftlich belegbar und es gibt keinerlei Indizien. Streng genommen ist der Glaube an ein göttliches Wesen ein erstes Symptom einer infantilen Neurose oder man kann von anderen Störungen des Gehirns ausgehen. Zum Beispiel von einer Frontallappenepilepsie wie im Fall Jeanne D’Arc.“ „Ah, verstehe“, murmelte Norman, schien aber wohl nicht ganz zugehört zu haben. Stattdessen betrachtete er ein wenig neugierig Jeremiels Gesicht und meinte schließlich „Du hast wirklich schöne Augen.“ „Ach echt?“ „Ja. Solche eisblauen Augen hab ich noch nie gesehen. Sag mal, wo kommst du eigentlich her?“ „Keine Ahnung. Ich habe mein Gedächtnis verloren und weiß nicht, ob ich von hier bin.“ Irgendwie fühlte sich Jeremiel ein klein wenig komisch. Sein Kopf fühlte sich so schwer an und irgendwie schien ihm jegliche Energie zu fehlen. Er erhob sich und wollte nach draußen gehen, um ein wenig frische Luft zu schnappen, da stand auch Norman auf. „Hey, alles in Ordnung?“ „Mir… mir ist gerade etwas seltsam zumute.“ Er musste sich am Tresen abstützen und spürte, wie ihm schwindelig wurde. Hatte er vielleicht einen Hitzeschlag gekriegt oder war es etwas anderes? Seit wann… seit wann fühlte er sich denn so komisch? Jeremiel versuchte weiterzulaufen, doch da verlor er die Kraft in den Beinen und stürzte zu Boden. Sein Atem wurde flacher und irgendwie fühlten sich seine Fingerspitzen seltsam taub an. Sein ganzer Körper war wie paralysiert und er war nicht mehr imstande, sich zu bewegen. „Hey!“ hörte er Norman rufen, der ihn hochzog und ihn zu stützen versuchte. „Bleib ganz ruhig, ich bring dich ins Krankenhaus.“ Nur mit Mühe konnte der 25-jährige die Augen offen halten und wollte etwas sagen, doch er brachte nicht einen Ton zustande und ihm war, als wäre er vollständig gelähmt worden. Was um alles in der Welt passierte da nur mit ihm? So langsam wurde ihm schwarz vor Augen und er merkte nur, wie er nach draußen gebracht und in einen Wagen gelegt wurde. Eine Stimme rief „Hey Norman, das hat aber gedauert. Und? Was hast du denn dieses Mal?“ Der Drink, dachte Jeremiel und verstand allmählich, was hier gerade passierte und was mit ihm los war. Norman muss mir irgendetwas in den Drink gegeben haben. Aber warum? Was hat er mir in den Drink getan und was hat er mit mir vor? „Mensch, da hast du aber einen echten Glücksgriff erwischt. Ich wette der wird noch ordentlich Kohle bringen.“ Geld? Die… die wollen mich doch nicht etwa wirklich… Jeremiel konnte kaum noch die Augen offen halten und wusste, dass er gleich das Bewusstsein verlieren würde. Doch er wusste, dass er nichts mehr ausrichten konnte. Das Mittel wirkte schon und sein Körper reagierte schon längst darauf. Liam… hilf mir… Das waren die letzten Gedanken, die er noch zu fassen vermochte, bevor die Welt in eine tiefe Schwärze versank und er endgültig das Bewusstsein verlor. Nachdem Norman ihn ins Auto gelegt hatte, stieg er ins Auto zu seinem Komplizen und fuhr los. „Der wird sicher ein absoluter Hauptgewinn sein. Nachdem diese verdammte Hexe mich vor ein paar Monaten mit ihrer Teufelsmusik noch fast in den Wahnsinn getrieben hat und ich mich nach San Diego absetzen musste, muss ich so langsam die Kohle wieder reinbringen. Bis jetzt hab ich irgendwie nur Massenware gefunden, aber dieser Jeremiel scheint schon ein kleines Juwel zu sein.“ „Stimmt schon. Er hat ein wirklich schönes Gesicht und besonders seine Augen sind faszinierend. Ich denke, wir haben endlich den Jackpot. Der wird uns bei der Auktion noch echt viel Geld einbringen.“ Delta ging unruhig auf und ab, während er darauf wartete, dass endlich jemand von Liams Leuten zurückrief, um Bescheid zu geben, dass sie den Verschwundenen endlich gefunden hatten. Aber nichts tat sich und am liebsten wäre Delta ebenfalls losgezogen, aber Liam wollte ihn lieber im Haus haben, falls es dazu kommen sollte, dass Jeremiel wieder zurückkehren sollte. Johnny war derweil in der Gegend unterwegs, um seine Quellen abzufragen, ob die etwas wussten. Marcel, der ungerührt und mit einem völlig desinteressierten Blick die Bücher durchging, schwieg und schien sich kaum für das derzeitige Problem zu interessieren. Nach einer Weile seufzte Delta jammervoll und theatralisch und ließ sich auf einem Stuhl sinken. „Ach Hasi, was soll ich bloß machen? Ich mach mir solche Sorgen wegen unserem Engelchen. Am liebsten würde ich sofort losgehen und ihn suchen…“ „Nun, es bringt durchaus finanzielle Vorteile, wenn er wegfällt. Dann wären die Kosten deutlich geringer. Allein schon die Medikamente, die er benötigt und die Energiekosten, ganz zu schweigen von der Verpflegung.“ „Ach verschon mich mit deinen Zahlen, du unsensibler Pinguin. Das arme Engelchen weiß doch gar nicht wohin und ist doch völlig aufgeschmissen. Was, wenn ihm was zustößt? Das würde mir das Herz brechen!“ Marcel sah immer noch nicht von seinen Büchern auf und zeigte nicht wirklich Mitgefühl. Aber dann nahm er kurz seine Brille ab, um die Gläser zu putzen. „Delta, Liam und Eva sind Unvergängliche und sie haben genug Möglichkeiten, um ihn zu retten. Du machst dir unnötig Sorgen und verschwendest nur deine Energie.“ „Das weiß ich, aber du müsstest doch auch wissen, dass Liam seine Kräfte nicht einsetzen will, weil er lieber nach den Regeln der Menschen spielt. Und du kennst mich eben: ich bin nun mal emotional und mach mir Sorgen. Du weißt doch, wie sehr Liam Nikolajs Tod damals mitgenommen hat. Es kann ja nicht jeder so ein gefühlskalter Kerl wie du sein, Hase.“ „Das hat seine Gründe. Ich bin dein ausgleichender Pol und bewahre stets die Objektivität, weil du das nicht kannst. Du lässt dich zu sehr von deinen Gefühlen beherrschen und das trübt deinen Blick für gewisse Dinge. Ich sehe das alles aus distanzierter und objektiver Sicht und weiß deshalb, dass Jeremiel schon rechtzeitig gefunden wird, bevor ihm etwas ernsthaft passieren kann. Also sei so gut und reg dich ab, ich kann mich nur schwer auf meine Arbeit konzentrieren, wenn du dich wie ein sterbender Schwan in einer Seifenoper aufführst.“ „Ich bin nun mal theatralisch, na und? Ich mach mir trotzdem große Sorgen um Liam. Seit Eva wieder da ist, da ist er entweder dauergereizt oder er ist total verschwiegen und abweisend. Entweder hatte er schlechten Sex, oder es sind einfach diese aufgestauten Aggressionen gegen seine Schwester. Weißt du, ich finde es ja auch nicht sonderlich prickelnd, wie sich Eva verhalten hat und ich muss Liam in vielen Punkten zustimmen, was seine Meinung über sie angeht. Aber irgendwie verhält er sich so komisch, seit wir Engelchen zu uns geholt haben. Was glaubst du, Hase? Was ist mit ihm los?“ „Was kümmern mich schon Gefühle?“ „Das ist keine Antwort!“ rief Delta genervt und wollte ihm mit dem Fächer eins überbraten, aber Marcel nahm einfach eins seiner Bücher als Schild und fing den Schlag ab, ohne wirklich hinzusehen. „Also wenn du meine Einschätzung willst: ich denke, er ist verunsichert und versucht das durch seine Aggressivität zu verbergen. Er ist eben jemand, der keine Schwäche zeigt.“ Ja, das musste es wohl sein. Aber so langsam begann sich der Crossdresser zu fragen, wie das denn weitergehen sollte. Liam war zwar schon immer einer von der knallharten Sorte gewesen und eben der etwas Unnahbare. Aber seit Jeremiel und Eva da waren, wurde es immer schlimmer mit ihm. Jedes Mal, wenn er Eva sah, da würde er sie am liebsten in Stücke reißen und auch Jeremiel bekam alles ab, obwohl er doch überhaupt nichts dafür konnte. Es brachte alles nichts. Delta goss sich einen Drink ein, überkreuzte die Beine und lehnte sich zurück. „Es muss schon hart sein für Liam. Ich meine, er hat Nikolaj abgöttisch geliebt. Er war ein Teil unserer Familie und wir alle hatten ihn ins Herz geschlossen, selbst du. Sein Tod war schon schlimm genug und jetzt ist er wiedergeboren worden und was ist? Er ist ein völlig anderer Mensch. Zwar hat er noch so ungefähr denselben Charakter, aber er ist trotzdem nicht mehr derselbe und das macht auch Liam ganz schön fertig. Mit ihm will ich ganz sicher nicht tauschen. Ob er sich vielleicht deshalb so unmöglich Engelchen gegenüber verhalten hat, weil er Nikolaj zurückhaben will?“ „Das kann ich nicht sagen, ich bin erstens kein Therapeut und zweitens kümmern mich diese Gefühlsduseleien recht wenig.“ „Das merke ich jede Nacht, Hasi. Immer, wenn ich im Anschluss kuscheln will, setzt du deine blöden Gläser auf und fängst wieder mit der Buchhaltung an. Das ist genau der Grund, warum ich dir am liebsten wieder die Augen auskratzen würde.“ „Weil du eben ein Nymphomane ist.“ „Ich bin kein Nymphomane!“ „Sagt der, der es selbst mit Johnny getrieben hat. Und ich dachte, selbst so ein triebgesteuerter Transvestit wie du hat ein wenig Selbstachtung. Das zeigt doch nur, wie tief du inzwischen gesunken bist und wie niedrig inzwischen deine Ansprüche geworden sind.“ „So, so. Hör ich da etwa eine Spur von Eifersucht bei dir raus, Hasilein?“ „Wozu denn? Wir sind nicht mal richtig zusammen. Wir schlafen nur miteinander.“ Delta betrachtete ihn, lächelte wohl wissend und fuhr sich mit seiner Zunge über seine weißen Zähne, während er Marcel betrachtete. „Nur zu deiner Info: das mit Johnny war eh der schlimmste Fehler meines Lebens. Genauso wie eigentlich jede Nacht mit dir, wenn ich überlege, was für ein Eisblock du bist. Streng genommen bist du genauso emotional wie eine Raufasertapete. Ich brauch einen richtigen Kerl!“ Damit stand er auf und ging. Marcel blieb kopfschüttelnd zurück und sah nicht ein Mal von seinen Büchern auf. Delta brauchte unbedingt mal eine Therapie… Delta durchstreifte das ganze Haus und telefonierte noch ein wenig herum in der Hoffnung, dass irgendjemand Jeremiel bereits gefunden haben könnte. Wenn dem noch was passierte und man fand ihn nicht rechtzeitig, würde er sich das so schnell nicht verzeihen können. Vielleicht sollte er Eva sprechen. Immerhin hatten sie diesen ganzen Schlamassel ja auch teilweise ihr zu verdanken und momentan war er ja der Einzige, der vernünftig mit ihr reden konnte. Auch wenn er so seine Meinung hatte, was Eva betraf, so wollte er allein Liam und Jeremiel zuliebe vernünftig mit ihr reden und eine Lösung finden. Johnny hielt ja ohnehin zu Liam und auch wenn er ein Arsch mit einem miesen Charakter war, der gerne intrigierte, so würde er ihn gewiss nicht hintergehen. Er brauchte nicht lange zu suchen und fand Eva schließlich in der Bibliothek, welche Liam im Laufe der Zeit zusammengetragen hatte. Sie saß still und alleine auf einem Stuhl und sah ins Leere. Unbewegt und starr wie eine Puppe. Tränen glänzten auf ihren blassen Wangen und sie sah sehr unglücklich aus. „Eva?“ Hastig wischte sie sich ihre Tränen weg und blickte ihn überrascht an. „Delta, was gibt es? Ist irgendetwas mit meinem Bruder?“ „Nein, ich bin wegen Engelchen hier. Aber wie ich sehe, scheint Herzchen dich schon wieder ziemlich zusammengestaucht zu haben.“ „Ich halte das nicht aus…“, brachte sie hervor und vergrub schluchzend das Gesicht in den Händen. „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich will Liam doch so gerne helfen und meine Fehler wieder gut machen. Aber… egal was ich tue, er stößt mich immer von sich. Und ich bin ganz alleine…“ „Gib ihm einfach etwas Zeit, Liebes. Er hat es auch nicht leicht gehabt und braucht eine Weile, um mit der Gesamtsituation klarzukommen. Ich rede noch mal mit ihm. Aber sag schon, hast du vielleicht eine Spur von Engelchen? Du und Liam, ihr seid die Einzigen, die mit allen Menschen auf der Welt verbunden seid. Da müsste es doch kein Problem für dich sein, ihn zu finden.“ „Das geht leider nicht. Mein neuer Körper hat sich noch nicht vollständig meinen Ansprüchen angepasst und ich kann meine Kräfte noch nicht gänzlich freisetzen. Es wird noch eine Weile dauern. Ich habe diesen Körper ja erst seit einigen Tagen.“ Unzufrieden über diese Antwort verschränkte Delta die Arme und dachte nach. Was konnten sie denn noch tun, um Jeremiel schnell wiederzufinden? „Ach Mensch, es wäre echt viel einfacher, wenn Liam seine Kräfte einsetzen würde, um ihn wiederzufinden aber nein: er will es einfach nicht. Nun gut, ich kann verstehen, wieso er das nicht tun will, aber es geht immerhin um Engelchen! Da könnte er zumindest dieses eine Mal eine Ausnahme machen.“ „Du kennst ihn doch, Delta. Er würde niemals eine Ausnahme machen. Auch wenn er die negative Hälfte verkörpert, ist er immer noch der Moralischere von uns beiden. Er war es eigentlich schon immer gewesen, im Gegensatz zu mir. Im Grunde ist er schon bewundernswert wenn man bedenkt, wie lange er bereits in dieser Welt lebt und damit klar kommt, dass alles vergeht, nur er nicht.“ „Er weiß eben um seine Aufgabe, Liebes. Wenn es Vergängliches in dieser Welt gibt, dann gibt es auch Unvergängliches. Er ist ein Teil des Ganzen, so wie du. Und er hat auch einen ganz anderen Bezug zu den Menschen als du. Eigentlich hat er viel mit Anja gemeinsam gehabt, was aber auch daran liegt, weil Anja aus der Finsternis geboren wurde, die du von deinem Bruder angenommen hast. Du hast eine viel zu emotionale Bindung zu den Menschen und das ist deine Schwäche, Liebes. Und solange du sie hast, wirst du immer mit einem gebrochenen Herzen enden. Wir Unvergänglichen müssen nun mal damit leben, dass wir nicht in das Leben der Menschen hineinpassen. Wir werden immer anders sein und nicht unter ihnen leben können, ohne sie zu täuschen. Dies ist nun mal der Preis, den wir dafür zahlen müssen. Mag ja sein, dass du das nicht willst und du damit unzufrieden bist, aber was willst du denn dagegen tun? Es gibt nun mal Dinge, die sich nicht ändern lassen. Du bist in diese Welt zurückgekommen, um sowohl Engelchen, als auch deinem Bruder zu helfen. Also mach das Beste aus seiner Situation und übe dich einfach noch ein wenig in Geduld. Liam befindet sich gerade in einer schwierigen Phase und braucht einfach etwas Zeit. Und solange bin ich ja da, wenn irgendetwas sein sollte.“ „Warum tust du das, Delta? Ich dachte, du würdest mich auch hassen.“ Delta fuhr sich mit seinen grazilen Fingern durchs Haar und lächelte. „Ich hasse dich doch nicht, Liebes. Dafür bin ich nicht der Typ. Ich denke einfach, dass du viele Sachen falsch angehst und ich denke auch, dass du für Liam hättest da sein sollen, als Nikolaj gestorben ist. Nun gut, du hast deine Familie verloren und das ist sehr tragisch. Aber du hättest mit Liam das Gespräch suchen sollen, anstatt einfach zu verschwinden. Und dass du Frederica, Nastasja Kasakowa, Henry Lawliet, die Kinder vom Norington Waisenhaus und noch unzählige andere Menschenleben geopfert hast, nur damit du deine Familie wieder zusammenbringen kannst, das ist es, was ich beim besten Willen nicht verstehen kann. Und das ist es auch, was Liam dir nicht verzeihen will. Zwar ist er auch kein Unschuldsengel, aber er hasst es, unnötig Leben zu opfern und dann auch noch für solche „Kleinigkeiten“. Weißt du, er und Frederica waren enge Freunde gewesen und wir hatten sie lange Zeit bei uns aufgenommen, während sie gewartet hat. Und Fakt ist nun mal, dass Frederica nur zu dem Zweck von dir erschaffen wurde, damit sie deinen Willen erfüllt. Und dabei war dir vollkommen egal gewesen, was aus ihr wird und du hast keinen Gedanken daran verschwendet, dass Frederica nicht bloß ein Werkzeug war, sondern auch ein eigenständig denkendes und fühlendes Wesen so wie Marcel, Johnny und ich. Sie hatte auch Gefühle und außerdem hatte sie Freunde und Familie. Das alles hat sie aufgegeben, nur um deinen Willen zu erfüllen und ich denke, darin liegt das Kernproblem bei eurem Geschwisterstreit: du stellst deine Bedürfnisse über andere und siehst nur dein Elend. Und dabei denkst du nicht für eine Sekunde nach, wie es anderen vielleicht dabei geht. Das ist es, womit Liam nicht klar kommt und was er dir auch nicht so schnell vergeben kann. Ich denke…“ Delta wollte weiterreden, doch da klingelte plötzlich sein Handy. Er sah schon auf dem Display, dass es Johnny war und ging sofort ran. „Was gibt’s, Darling? Schon etwas Neues von Engelchen?“ „Yo Delta! Ich hab tatsächlich Neuigkeiten. Als ich mich nämlich ein wenig im Viertel umgesehen habe, da hab ich erfahren, dass wieder mal eine illegale Auktion stattfinden soll.“ „Organhandel?“ „Nee. Denke ich eher nicht. Aber ich habe gehört, dass da wohl jemand versteigert wurde, der hellblondes Haar und eisblaue Augen hatte. Und so wie angegeben wurde, soll der Versteigerte Jeremiel heißen.“ Delta sprang sofort auf als er das hörte und warf Eva einen kurzen Blick zu, dann verließ er schnell den Raum, um sich sofort auf den Weg zu machen. „Und wo ist er?“ „Im Paradise Hotel. Soll wohl ein stinkreicher Geschäftsmann sein, der ihn gekauft hat. Ich bin noch dabei, den Namen rauszufinden und bin bereits auf den Weg dorthin. Wenn du dich beeilst, dann können wir uns den Kerl gemeinsam vorknöpfen. Ansonsten musst du dich hinten anstellen.“ „Ist gut, ich gebe eben Liam Bescheid und dann bin ich sofort da!“ Das Paradise Hotel. Das traf sich ja gut. Das lag nicht sonderlich weit von hier entfernt und war schnell zu erreichen. Na hoffentlich schafften sie es auch rechtzeitig, bevor es zu spät war. Denn es war nicht schwer abzusehen, was Liam dann tun würde. Mit großer Sicherheit würde da noch sehr viel Blut fließen. So viel stand fest. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)