Ego von lil_Scarlet ((LokiXOC)) ================================================================================ Kapitel 2: A Thousand-Dollar-Suit --------------------------------- Sie lauschte kurz an der Tür, dann richtete sie ihr Kostüm und platzte unvermittelt in das Meeting. "Guten Morgen, Mister Stark. Gentlemen" Noch bevor eben genannte Gentlemen sich beschweren konnten, händigte sie dem Inhaber der STARK Industries ein Portfolio aus, das er kurz durchblätterte. "Alle wichtigen Informationen sind auf Seite vier zusammengefasst." Tony Stark schlug die Seite auf und begann diese zu überfliegen. Er hob anerkennend die Augenbrauen. "Vielen Dank, Eve. Bitte richten sie Miss Potts aus-" er wollte Ihr die Mappen eben wiedergeben, als sie lächelnd den Kopf schüttelte. "Miss Potts liegt bereits eine Kopie vor, Sir." Stark Lächelte. "Was würde ich nur ohne Sie machen, Eve. Ist für heute Abend alles vorbereitet?" "Selbstverständlich. Um 18:00 Uhr die Pressekonferenz, anschließend Sektempfang. Wie gewünscht." "Hervorragend. Das wäre vorerst alles." Mister Stark entließ seine Managerin mit einem freundlichen Nicken. Sie war noch nicht ganz aus der Tür, da beschwerte sich einer der wegignorierten Meetingteilnehmer lautstark. "Eine Unverschämtheit! Mister Stark, dass ihre Mitarbeiter einfach so in ein Meeting platzen." "Lassen sie doch das Tun meiner Mitarbeiter meine Sorge sein. Wo waren wir?" Seit Tony Eve vor etwa einem Jahr für seine Firma abgeworben hatte, war für ihn und Stark-Industries einiges leichter geworden. Der Tag verging. Mittagessen mit einem Korrespondenten, Videokonferenz für das Human-Ressource-Management und natürlich die Vorbereitungen für die abendliche Pressekonferenz und die Party danach. Vor allem die Gästeliste der Charity-Veranstaltung ließ sie die Nase rümpfen. Eine Menge Militärs würden anwesend sein. Unter anderem auch Tonys neuer Busenfreund Captain Rogers. Unzählige Telefonate später traf die Crew und das Catering ein. Es wurde später. Nervös sah Eve auf ihre Armbanduhr. Wo blieb Pepper? Sie hatte ihr Ablöse versprochen. "Eve! Entschuldige, die Presse." Die Rothaarige eilte zu ihr. Sie sah umwerfend aus, in dem cremefarbenen Hosenanzug. "Kein Problem. Zum Empfang bin ich wieder da." Eve wirkte immer so hektisch zum Abend hin. Was hatte sie nur? Eve schlug hinter sich die Tür zu und schloss ab. Erleichtert rutschte sie an dem kühlen Holz hinunter. Durch die breite Fensterfront zeichnete sich Manhattans Skyline nahezu schwarz vom Licht der untergehenden Sonne ab. Es war merkwürdig. Die Wolken drängten sich immer dichter am Himmel und vom Hudson her zog ein Unwetter heran. Vielleicht ein Meteoritenschauer heute Nacht? Bei derartigen Anomalien war es manchmal stärker, mal schwächer. Am bevorstehenden Gewitter konnte es kaum liegen. Es wurde stärker. "Nicht...jetzt." Eve presste verzweifelt die Hände an ihre Schläfen. Dann fing es an. Stille. Das unerträglich laute Pochen ihres Pulses. Donner. Sie stand im Regen, doch wurde sie nicht nass. So stark war es noch nie gewesen. "Ok, Eve! Reiß dich zusammen!" mahnte sie sich selbst. Ihre Stimme war weit weg. Wie ein Echo hallten die Worte wieder. Die Menschen auf den Straßen beeilten sich, aus dem Sturm zu kommen. Der Wind zerrte an ihren Mänteln und Regenschirmen. Sie spürte keinen Hauch. Die Leute wichen ihr aus, ohne sie zu sehen. Alles geschah wie in Zeitlupe. Der Regenschirm, den ein Windstoß einer Frau aus den Händen riss und an ihr vorbei auf die Straße geweht wurde. Hupen und quietschende Reifen auf nassem Asphalt. Der Regen wurde zum Wolkenbruch. Mit jedem Blitz zuckten Bilder durch ihren Verstand. Bilder, die sie nicht kannte. Menschen, denen sie nie begegnet war. Wie ferngesteuert setzte sie einen Fuß vor den anderen, immer schneller. Die Straße hinunter, durch die ihr entgegen strömenden Massen. Schneller. Eve blieb stehen. Völlig außer Atem versuchte sie einen klaren Gedanken zu fassen. Dann wurde ihr plötzlich klar, dass sie etwas suchte. Als ob man an einem Seil ziehen würde, das um ihre Brust gebunden war, wie ein Magnet von seinem Gegenpol wurde sie von irgendetwas angezogen. Eve hatte lange aufgegeben. Doch jetzt. Vielleicht? Ein harter Schlag rief sie zurück. Ihr Mund war trocken und ihr Atem ging so schnell, als wäre sie gerade einen Marathon gelaufen. Das schweißnasse dunkelbraune Haar klebte an ihrer Stirn. Sie war wieder in ihrem Büro, die Tür abgeschlossen. Draußen war es bereits dunkel. Der Regen klopfte ungeduldig mit vielen kleinen Fingern an die Fenster, am Horizont unheilvolles Wetterleuchten. "Verdammt." Sie zog sich an der Garderobe neben der Tür hoch. Ihre Beine zitterten. "Was war das?" Sie schleppte sich in das angrenzende Badezimmer und drehte kaltes Wasser auf. Es war ein angenehmes Gefühl, als mit der Kälte die Klarheit zurück in ihren Verstand sickerte. Aus dem Spiegel sah ihr ein gespenstisches Abbild ihrer selbst entgegen. Ihre Haut war kreidebleich, die Augen rot unterlaufen. "Du siehst aus, wie ein Junkie." Ihr Spiegelbild grinste sie an. Meine Güte. Du bringst kleine Kinder zum Weinen, Eve. Sie musste duschen. So konnte sie kaum auf die tolle Stark-Party gehen. Also stellte sie das Wasser in der Dusche an. Bluse, Rock und Strümpfe landeten unachtsam in einer Ecke. Aus der Kabine schlug ihr eine Dampfwolke entgegen, als sie die Schiebetür öffnete. Erst war es unangenehm heiß. Dann entspannte sich langsam jeder Muskel in ihrem Körper. Ein Schauer durchfuhr sie. Seufzend rutschte Eve an den nassen Fliesen entlang auf den Boden des Duschbeckens und zog die Knie an. Die Arme auf den Knien verschränkt, das Kinn auf ihren Armen ruhend und das heiße Wasser auf ihren Rücken trommelnd starrte sie in die Dampfgebilde vor sich. Immer wieder landete sie vor ihrem inneren Auge auf der Straße im Regen mit diesem merkwürdigen Gefühl in der Brust. Entnervt wischte sie sich über die Augen und griff nach der Shampooflasche. Steve Rogers war seit langem einmal wieder in Uniform zu einem solchen Event gekommen. Vermutlich weil diverse militärische Würdenträger heute anwesend waren. Er lehnte mit dem Rücken an einem der vielen Bartresen, die in dem Saal aufgestellt waren. Nach den Endlosen Reden und Verleihungen wurde die Party von Mister Stark persönlich eröffnet. Der Saal war nun nur noch in einem Blauschimmer beleuchtet und buntes Laserlicht wanderte in verschiedenen Mustern durch den künstlichen Nebel um die Tanzfläche und an den Wänden entlang. Diese Veranstaltungen waren sehr steif und nicht wirklich reizvoll für ihn. Er wirkte für einen kurzen Moment erleichtert, als er eine bekannte Silhouette zwischen den vielen Menschen ausmachen konnte. Sie trug ein dunkles schlichtes Cocktailkleid und hohe Schuhe. Das lange etwas lockige Haar viel offen über ihre Schultern. An ihrer linken Seite baumelte an einem funkelnden Kettchen eine kleine Tasche. Sie schob sich kokettierend durch die Menge, immer wieder händeschüttelnd, lächelnd, prostend, trinkend. Steve hatte sie schon länger nicht mehr gesehen. Es war interessant sie zu beobachten, wie sie souverän ihren Pflichten nachging, indem sie jedem Geldgeber mit etwas Charme noch ein wenig mehr aus dem Kreuz leierte. Während des Gesprächs wanderten ihre Augen durch den Raum, als sie den Captain sah, fuhr er unmerklich zusammen. Eve lächelte und Verabschiedete sich vom Konsul. Steve nahm einen größeren Schluck von seinem Drink, als sie auf ihn zu kam. "Captain Rogers." Eve begrüßte den ersten Avenger mit einem Nicken. "Major." Der junge Mann nickte zurück und prostete ihr zu. "Ich bin außer Dienst getreten, Captain." Sie trank einen Schluck. Steve tat es ihr nach. "Verzeihung, Eve." Plötzlich spürte sie ein leichtes Ziehen in der Brust, rief sich aber sofort wieder zur Ordnung. Das konnte nicht sein. "Wo haben Sie Natascha gelassen?", fragte sie schließlich. "Sie ist soweit ich weiß gerade in der Ukraine." "Grüßen Sie sie bitte bei nächster Gelegenheit von mir." "Selbstverständlich. Ich-" Steve Rogers wollte eben eine Frage stellen, als eine kleine Gruppe seiner offenbar schon im Alkoholkonsum etwas fortgeschrittenen Kameraden auf ihn zugestürmt kam. "Rogers! Da sind Sie ja!" Als er sich zu Eve umdrehen wollte, war sie verschwunden. "Eve!" Tony lies den Journalisten mitten im Interview stehen, als er Eve in Mantel und Schal davonschleichen sah. "Wollen Sie schon gehen?" "Es tut mir leid, Tony. Heute geht es mir nicht besonders." "Pepper sagte schon so etwas", meinte er gedankenverloren und legte die Hände an ihre Arme. "Sie sehen wirklich nicht gut aus. Soll ich Ihnen ein Taxi rufen lassen?" Eve schüttelte lächelnd den Kopf. "Frische Luft wird mir gut tun. Ich hab's ja nicht weit." "Draußen regnet es in Strömen, Eve. Seien Sie nicht albern." Tony Stark machte sich tatsächlich sorgen um seinen Schützling. "Ist schon in Ordnung, Tony. Morgen früh steh' ich wieder auf der Matte." Sie ließ sich nicht davon abbringen. "Also schön", sagte Tony gespielt beleidigt. "Dann lass Dir aber wenigstens einen Schirm geben." Er lächelte schief. "Danke." Sie machte Anstalten zu gehen. "Gute Nacht." Tony hob die Hand zum Gruß und widmete sich wieder dem nervtötenden Journalisten-Mob. Tony sollte Recht behalten. Es regnete tatsächlich -immer noch- in Strömen. Bevor sie aus dem Gebäude trat, spannte sie den überdimensionalen Stark-Industries Regenschirm auf. Eve nahm einen tiefen Atemzug von der feuchten kühlen Luft. Es war eine Wohltat im Vergleich zu der Stickigen unruhigen Atmosphäre drinnen. Bis auf einige Taxen war kaum noch etwas auf den Straßen los. Doch trotz der Dunkelheit war es dank der erleuchteten Fassaden, Laternen und Leuchtreklamen in den Straßen beinahe taghell. Es war doch kühler als erwartet, unweigerlich zog sie den Mantel etwas enger um sich. Während sie dem Prasseln des Regens auf der Bespannung des Schirms lauschte, packte sie allmählich die Neugier. Bedächtig, um mit Ihren Highheels nicht auszurutschen, ging sie die Straße in die entgegengesetzte Richtung , in der ihr Apartment lag, hinunter. Wenn sie sich recht erinnerte, war es an der Sechsundfünfzigsten gewesen. Schließlich fand sie die Stelle. Der spärlich beleuchtete Eingang eines Hotels an der Straße. Ein Obdachloser hatte sich in der angrenzenden Seitengasse unter einem Balkon mit Kartonagen zugedeckt. Eve griff ohne nachzudenken in ihre Manteltasche und holte Benjamin Franklin aus ihrem Portemonnaie. "Du bist zu gutmütig, Eve.", hörte sie Tony in ihrem Hinterkopf lachen. "Ja, vielleicht." Den Schein steckte sie dem Schlafenden in die Jackentasche und trat zurück ins Licht der Großstadt. Ein Pochen. Da war es wieder, dieses Gefühl in ihrer Brust. Jedoch lange nicht so stark, wie zuvor in der Dämmerung. Sie folgte dem Gefühl. Wieder den gleichen Weg entlang durch ein Wirrwarr aus Seitenstraßen und Bürokomplexen. Und dann war es plötzlich weg. Der Regen prasselte immer noch unermüdlich auf den Schirm über ihr. Eve schüttelte den Kopf, um wieder klar zu werden. Sie lachte leise über sich selbst. Sowas dämliches konnte auch nur ihr passieren. Am Ende hatte sie sich das nur eingebildet und war einem Hirngespinst hinterhergelaufen. Großartig, Eve. Wirklich großartig. Eine unbestimmte Richtung einschlagend lief sie an der Fassade eines riesigen Glaskomplexes entlang in der Hoffnung, wieder zurück in die Zivilisation finden zu können. Zu allem Überfluss hatte sie nämlich keine Ahnung, wo in dieser Verdammten Stadt sie gerade war. Tatsächlich führte sie die Glasfassade wieder auf eine der Hauptschlagadern New Yorks. Erleichtert stieß sie einen Seufzer aus. Ihr nächster Gedanke war ein Taxi nach Hause in ihr warmes Bett, hinaus aus dem kalten Regen. Ihr Blick wanderte über die breite Straße und blieb an einer ungewöhnlichen Szene hängen. An einem Laternensockel saß jemand. Der Regen schien ihn nicht zu stören. Als sie etwas näher trat , lies sich dieser Jemand eindeutig als männlich identifizieren. Er hatte die Unterarme locker auf die Oberschenkel gelegt und starrte unverwandt ins Leere. Der offensichtlich teure Anzug, den er trug und seine halblangen schwarzen Haare waren triefnass, als ob er schon seit Stunden hier sitzen würde. Seufzend fasste sie sich ein Herz und ging zu ihm. Selbst als sie sich an den Laternenmast lehnte und den Schirm über ihn hielt, schien er sie nicht zu bemerken. "Schlechten Tag gehabt?" Von oben herab konnte sie sehen, wie er blinzelte. Als ob er sich nicht sicher wäre ob er gemeint war, drehte er den Kopf zur Seite und sah dann unter dem Schirm zu ihr hoch. Ein sanftes nebliges Grün sah ihr aus einem markant geschnittenen Gesicht entgegen. Sie sah ihn abwartend an. Er sah fragend zurück. Schließlich konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. "Oder macht es Dir Spaß, alleine mitten in der Nacht im strömenden Regen herumzusitzen?" Verwirrt blinzelnd runzelte er die Stirn und sah zu Boden, als ob sie ihn in einer fremden Sprache angesprochen hätte, die er nur zum Teil verstand. Dann sah er wieder zu ihr auf. "Um ehrlich zu sein, ich bin nicht sicher." Er hatte eine angenehme klare Stimme. Nun konnte sie zumindest ausschließen, dass er betrunken war. "Nicht sicher?" Eve war tatsächlich an seiner Geschichte interessiert. Als er mit ihr sprach, sah er ihr in die Augen. Eine Eigenschaft, die sie bei zu vielen Menschen misste. "Nun", begann er, "ich weiß nicht, wie ich hier hergekommen bin. Noch weiß ich, wo ich bin." "Da haben wir zumindest eine Sache gemeinsam." Er sah Eve verständnislos an. "Ich habe auch keine Ahnung, wo ich bin. Ich habe mich gerade komplett verlaufen." Ein Lächeln schlich sich auf seine Züge. Es war ein ehrliches lächeln. Sie empfand unerwarteter Weise so etwas wie Sympathie für den nassen Herren im Tausend-Dollar-Anzug. Plötzlich sprang er etwas peinlich berührt auf - er war trotz der Highheels einen guten Kopf größer als sie, was sie zwang, den Schirm nun um einiges höher zu halten- und richtete sein triefendes Jackett. "Ich bitte um Verzeihung, ich habe mich nicht vorgestellt." Er lächelte entschuldigend und Eve ergriff mit einem etwas ungläubigen Gesichtsausdruck die ihr dargereichte Hand. Der hatte Probleme... Lange schlanke Finger schlossen sich um ihren Handrücken als er sie leicht drückte und ein Schütteln andeutete. "Loki." Eve fuhr hoch und sah ihm prüfend ins Gesicht. Scheinbar erinnerte er sich wenigstens an seinen Namen - der zugegebenermaßen äußerst merkwürdig war. Andererseits hatte sie einen Arbeitskollegen der auf den Namen Merlin hörte. Warum also nicht auch ein Loki? "Eve", stellte sie sich vor. Er ließ ihre Hand los und vergrub die eigenen in seinen nassen Hosentaschen. "Freut mich sehr." Loki schien der unorthodoxen Situation wegen etwas unsicher, was seinem Lächeln allerdings keinen Abbruch tat. Nach einer peinlich langen Pause ergriff Eve wieder das Wort. "Also, Loki." Der Name ging ihr erstaunlich leicht über die Lippen. "Du erzählst mir, Du kannst dich an nichts erinnern?" Sein Lächeln starb. Er wirkte ungemein nervös und sah sich immer wieder um, blieb mit dem Blick in der Ferne hängen. Angestrengt, seine Stirn in Falten gelegt versuchte er sich zu erinnern. Aber bis auf das Gewitter, den Regen, die Stadt, diese Nacht brachte sein Verstand nichts ans Tageslicht. Die Realität sickerte mit der Erkenntnis langsam durch ihn hindurch. "Ja." Seine Antwort war sanft, nur ein Hauch. Es klang nach einer bedingungslosen Kapitulation. Eve kramte ihr Handy aus der Manteltasche, um zu sehen, wie spät es war: 00:51 Uhr. Sie tippte auf dem Display herum und hielt sich das Gerät ans Ohr. Mit den Lippen formte sie ein lautloses "Moment." und bedeutete ihrem etwas verwirrt dreinschauenden Gegenüber damit, zu warten. Es klingelte. "Hallo, Piérre."... Loki verstand diese junge Frau namens Eve nicht recht. Während des Gewitters hatten sich die Straßen rasend schnell geleert. Keiner hatte Notiz von ihm genommen, bis sie plötzlich bei ihm stand und den Schirm über ihn hielt. Sie beendete das kurze Telefongespräch und lies das Handy wieder in ihrer Tasche verschwinden. "Halt mal bitte kurz." Sie drückte ihm den Schirm in die Hand und lief durch den Regen bis zum Rand des Bürgersteigs. Eve sah sich kurz um. Als sie ein freies Taxi entdeckt hatte, legte sie Daumen und Zeigefinger zwischen die Lippen und stieß einen lauten schrillen Pfiff aus. Loki zuckte zusammen. Sie streckte einen Arm aus und kurz darauf hielt ein Fahrzeug am Straßenrand. Ungeduldig winkte sie ihn heran. Als sie Anstalten machte einzusteigen, hielt ihr Loki die Tür auf. Etwas verwundert sah sie zu ihm auf, aber es schien für ihn selbstverständlich zu sein. Schließlich zog sie ihn ebenfalls ins Auto, gefolgt von dem überdimensionalen Stark Industries Regenschirm. "827, 5th Ave", wies sie den Fahrer freundlich an, der aufgrund ihres triefenden Begleiters einen argwöhnischen Blick in den Rückspiegel warf, bevor er losfuhr. Im Taxi war es angenehm warm- und Trocken. Loki konnte leider nichts daran ändern, dass er bis auf die Haut klatschnass war. Unruhig wischte er sich eine tropfende Haarsträhne aus dem Gesicht und sah aus dem Fenster. Hinter der von kleinen Tropfen und Rinnsalen übersäten Scheibe zog die Stadt beiläufig an ihm vorbei. Nichts von dem, was er sah, wollte ihm bekannt vorkommen. Schließlich wandte er sich an Eve. Sie lehnte entspannt mit dem Kopf an der Tür und sah ebenfalls hinaus. "Eh...Eve?" sie drehte den Kopf und sah ihn aufmerksam an. "Wo fahren wir hin?" "Zu einem Freund.", war die schlichte Antwort, mit der er sich offenbar zufrieden geben musste, da sie sich wieder dem Fenster zuwandte. Das Schweigen wurde nur von der leisen Radiomusik unterbrochen. Offenbar hatte der Fahrer, den das an der Trennscheibe angebrachte Dokument des Taxiunternehmens als Viggo Gonzales auswies, ein Fable für Jazz-Musik. Loki's Blick wanderte willkürlich durch den Innenraum des Fahrzeuges, dann sah er wieder zu Eve. Ein einzelner kleiner Regentropfen hatte sich vehement in ihrer Haarsträhne gehalten und wanderte nun glitzernd an der dunklen Welle hinab. Der Wagen wurde langsamer und hielt schließlich am Straßenrand vor einem hell erleuchteten Hauseingang. Eve öffnete die Tür auf ihrer Seite und hielt prüfend die Hand hinaus. Es hatte aufgehört. Sie stieg aus. Loki tat es ihr nach. Eve bezahlte den Fahrer und wünschte einen schönen Abend. Loki folgte ihr mit dem Schirm im Gepäck in den Eingang, aus dem leise fröhliche Geigenmusik an seine Ohren drang. "Vorsicht, Stufe." sagte sie beiläufig und öffnete die breite Holztür. Er hätte sie tatsächlich übersehen. Die Räumlichkeit war von gelblichem Licht durchflutet, dass die niedrig über den Tischen hängenden Lampen an die von alten Bildern und Holztäfelungen übersäten Wände warf. Der Boden bestand ebenfalls aus dunklem abgeschliffenem Parkett. Hinter der Bar verteilten die vielen bunten Flaschen und Gläser einen unwirklichen Schimmer. Bis auf die Musik waren sie alleine in der Lokalität. " Piérre?" Eve hängte ihren Mantel an die Garderobe neben dem Tresen und fuhr sich durch das feuchte Haar. Aus dem Hinterzimmer war ein Poltern zu hören. Anschließend kam ein alter gut gekleideter Herr mit schlohweißem Schnurrbart aus der Tür hinter der Bar getreten. "Eve! Wie schön, Dich zu sehen!" Er schlängelte sich durch den kleinen Durchgang am Tresen und umarmte die junge Frau herzlich. "Ich freue mich auch, Euch zu sehen." Er gab ihr links und rechts einen Kuss auf die Wange. "Wo ist Yetta?", fragte sie und lugte durch Tür, aus der er eben gekommen war. "Ach, du kennst sie doch." Er zuckte mit den Schultern und wandte sich an Eve' s Begleiter. "Guten Abend, Freut mich." Sie schüttelten die Hände. "Freut mich auch." Loki wollte sich dem freundlichen Herren eben vorstellen als man hinter der Tür jemanden eine Treppe hinuntereilen hörte. "Oh, je." seufzte Piérre wissend. "Eve! Liebes!", trällerte die alte zierliche Frau und begrüßte Eve auf dieselbe Weise, wie ihr Ehemann. Allerdings waren ihre Küsse mehr liebevolle Schmatzer. Und wie befürchtet, wie es eben Yetta' s Art war, begrüßte sie Loki auf eben dieselbe stürmische Art und Weise. "Herrje, Schätzchen! Du bist ja nass bis auf die Knochen. Das haben wir gleich. Ich bin übrigens Yetta, das ist mein Mann Piérre..." Unaufhörlich plappernd schob sie den sich hilfesuchend nach Eve umsehenden Loki hinter den Tresen und verschwand mit ihm hinter der Tür. "Der Arme." Mitleidig sah Piérre den beiden nach. "Du siehst aus, als könntest Du einen Drink vertragen." Der alte Herr musterte Eve in ihrem bezaubernden Cocktailkleid und den hohen Schuhen. "Einen?" Eve sah ihren Freund etwas verzweifelt an und ging dann zu ihrem Lieblingsplatz in Sullivan' s old English Pub. In einem etwas abgeschiedenen Bereich stand eine wuchtige lederne Couchgarnitur neben einem antik wirkenden Billardtisch. Im gehen zog Eve ihre Heels aus und warf sich längs auf das Sofa in das sie darauf leicht einsank. Sie seufzte. "Meine Füße bringen mich um." Während sich das junge Gemüse, wie Piérre Eve stets zu nennen pflegte, auf der Couch ausstreckte, schloss er den Laden ab. Er wollte zu so später Stunde nicht mehr gestört werden. Anschließend bereitete er zwei Gläser vor. "Heute Scotch?" fragte er sie durch den Raum hindurch. "Brandy." "Ach herrje.", murmelte der rüstige Barkeeper leise und machte für sich, seine Frau und Eve die Drinks fertig. "Was trinkt...? Äh...?" "Loki", beendete sie seinen Satz. "Keine Ahnung, was Starkes." "Brandy", seufzte er und trat mit einem Tablett voller Gläser hinter dem Tresen hervor. Gemächlich setzte er sich in den Sessel, der Eve gegenüber stand. In der Zwischenzeit hatte sie sich wiedermal aus seiner Sammlung bedient. Hinter der Couch stand ein rustikales Bücherregal voller alter englischer Lyrik, an dem sich seine Stammgäste während ihres Aufenthalts, neben der diversen Daly-News-Blätter bedienen konnten. "Immer Shakespeare." Er lachte und Stellte ihr neben den Brandy ein großes Glas Wasser hin. "Danke." Eve richtete sich auf und nippte an dem Brandy, während sie ein paar Zeilen in dem Buch überflog. "Und wo hast Du ihn aufgelesen? für einen Streuner ist er ziemlich gut gekleidet." Piérre lehnte sich gemütlich in seinen Ohrensessel und schwenkte sein Cognacglas. "Ich habe ihn auf der Straße getroffen. Er saß allein irgendwo mitten in Manhattan im strömenden Regen." Eve antwortete ohne vom Shakespeare aufzusehen und nippte ein weiteres Mal an dem Glas bevor sie es auf einen Vlies-Untersetzer stellte, welchen Piérre wohlweißlich auf den Tisch gelegt hatte. "Eve?" Sie sah in die dunklen gütigen Augen ihres alten Freundes, als sie seinen besorgten Tonfall wahrnahm. "Warum warst Du mitten in der Nacht im strömenden Regen in Manhattan unterwegs?" Er kannte die Antwort bereits. Mit einem Vorwurfsvollen Blick über den Buchrücken hinweg wandte sie sich wieder der schönen Porzia zu, als Yetta hinter sich die Tür sanft schloss. "Ich muss sagen, Liebes", begann sie und setzte sich neben Eve, die ihre Beine anzog, um ihr Platz auf der Couch zu machen. Yetta nahm ihren Whiskey Soda vom Tisch und nahm einen untypisch großen Schluck davon. "Dein Streuner sieht unglaublich gut aus. Aber mehr habe ich leider nicht rausgefunden." Ihr Mann und die junge Frau sahen sie skeptisch an. "Gar nichts. Ich habe seinen Anzug durchsucht es ist ein sehr edler Stoff, soviel kann ich sagen. Kein Label, keine Etiketten. Die Taschen waren allesamt leer. Keine ID, keine Kreditkarten, nichts." "Bist Du dir sicher?", fragte Eve beinahe verzweifelt nach. "Herzchen, der Junge hat nicht mal einen Cent Bargeld bei sich." Entschuldigend legte sie eine Hand auf den Oberschenkel der jungen Frau. Diese klappte seufzend das Buch zu und legte es auf ihren Schoß. "Kann er heute in eurer Gaststube bleiben? Bis morgen hab ich spätestens seine ID und sollte er sich dann immer noch nicht erinnern, bringe ich ihn in ein Krankenhaus." Piérre schüttelte nachdenklich den Kopf. "Unsere Zimmer sind alle mit Studenten belegt. Im Moment sind recht viele in der Stadt." "Tut uns leid, Liebes." Yetta drückte Eve's Hand, die auf dem Shakespeare-Band lag. Diese rieb sich seufzend die Stirn und griff schließlich wieder nach dem Brandy. Der Schluck war etwas zu groß, sodass es in der Kehle trocken brannte. Sie verzog das Gesicht und unterdrückte ein Husten. In ein Hotel kann ich ihn nicht bringen, dachte sie. Direkt in ein Krankenhaus, würde die Polizei auf den Plan rufen - und wenn sie etwas nicht mochte, dann waren es diese NewYorker Freizeitcops, die sich grundsätzlich für die Größten hielten. Nein, keine Cops. Dass Yetta nichts gefunden hatte, machte sie stutzig. Es war gerade so, als wäre er über Nacht in der Stadt einfach aufgeploppt, wie ein Fliegenpilz im Wald. Sie fasste sich an den Kopf. "Wie komme ich denn jetzt bitte auf Fliegenpilze?" "Fliegenpilze?" Piérre musste laut lachen. "Manchmal würde ich gerne Deine Gedanken lesen können, Eve. Fliegenpilze." Lächelnd prostete er in die kleine Runde. "Glaub mir, besser nicht." Eve stieß mit Yetta an und trank diesmal etwas vorsichtiger. "Warum hast Du ihn mitgenommen?" fragte Yetta unvermittelt ernst. Eve holte zu einer Antwort aus, aber da war keine. Sie stockte und sah hinunter auf den abgewetzten Einband des Buches, als ob die Antwort dort geschrieben stünde. "Ich-" In dem Moment wurde die Tür hinter der Bar vorsichtig geöffnet und Loki trat in den Raum. "Herzchen!" Yetta schlug unvermittelt die Hände vor der Brust zusammen. Eve und Piérre hätten sich am liebsten die Hände vor den Kopf geschlagen. Geht das schon wieder los! "Du siehst großartig aus.", bestärkte sie ihn, als er etwas unsicher an seinem dunklen Hemd zupfte. "Setz Dich." Yetta klopfte einladend auf den Sessel zu ihrer Linken. Sein bis eben noch glattes Haar begann sich von seinem Nacken nach oben hin leicht zu locken. Sie sah keinen Farbansatz. Als er sich setzte, stellte Pièrre ihm den Brandy vor die Nase. "Trink, Junge." Unsicher nahm Loki das Glas in die Hand und roch an der goldfarbenen Flüssigkeit. Er verzog das Gesicht und hob anschließend etwas wiederwillig sein Glas. "Nun, auf Euer Wohl." Er prostete in die Runde und schüttete den kompletten Inhalt des kleinen Glases hinunter. Er fletschte die Zähne und hustete leise. "Vielen Dank, für die Kleider", sagte er an Yetta gewandt und schob die Ärmel ein Stückchen weiter über seinen Ellbogen. "Aber ich fürchte, ich kann sie nicht bezahlen." "Keine Sorge, Herzchen." Yetta klopfte ihm aufmunternd auf den Oberschenkel. "Bis Du wieder auf den Beinen bist kannst du sie behalten. Wir schulden der lieben Eve noch einen Gefallen." Sie lächelte die junge Frau herzlich an; und auch Pièrre schenkte ihr einen dankbaren Blick und hob sein Glas in ihre Richtung. "Ich danke Euch." Loki lächelte verhalten. Eve ließ sich kaum etwas anmerken und nippte wieder an ihrem Brandy. Schon als sie ihn angesprochen hatte, war ihr seine Ausdrucksweise aufgefallen. Seine Sprache wirkte etwas veraltet; höfliche Noblesse. "Ihr habt sicher ein wenig Hunger. Ich mache uns ein paar Sandwiches." Yetta stand geschäftig auf und huschte hinter den Tresen in die Küche. "Yetta..." Eve streckte den Arm aus, um die ältere Dame aufzuhalten, aber diese war bereits außerhalb ihrer Reichweite. "Lass ihr doch die Freude." sagte Pièrre ruhig und lachte leise bevor er aufstand, um seiner Frau bei den Sandwiches zu assistieren. Schließlich richtete sich Eve auf und entdeckte Loki, wie er den Einband des Buches auf ihrem Schoß studierte. Unvermittelt hielt sie es ihm hin. Zögernd nahm er das Buch in die Hand und strich mit einer Hand über das Alte leder, bevor er es öffnete und zu lesen begann. "Kommt es Dir bekannt vor?", fragte Eve nach einer Weile. "Nein." Er blätterte um. "Aber ich erinnere mich an ähnliche Art der Poesie, die ich schon gelesen habe." Er sah neugierig zu ihr auf. "Was ist das?" "Shakespeare. Ein berühmter Britischer Autor aus dem sechzehnten Jahrhundert.", erklärte Eve geduldig in der Hoffnung, dass er sich zumindest langsam wieder erinnern konnte. "Welches Jahr haben wir jetzt?" -Hoffnung zerstört. "2014. Heute ist der 16. September. Hilft Dir das vielleicht?" Etwas unschlüssig sah er wieder auf die vergilbten Seiten des Buches, dann schüttelte er den Kopf. "Eve?" Er klappte den alten Shakespeare zu und legte den Einband auf einen Beistelltisch neben seinem Sessel. Dann beugte er sich ein Stück nach vorn und sah sie fest an. "Warum hast Du Dich meiner angenommen?" Die gleiche Frage, auf die sie schon bei Yetta keine richtige Antwort fand. Sie seufzte und sah ihn ebenfalls fest an. "Du hast mich an jemanden erinnert." Eine Lüge. "Was geschieht jetzt?", fragte er weiter. "Ich habe ein Gästezimmer. Wenn Du keinen anderen Ort hast, kannst du über Nacht dort bleiben. Ich versuche in der Zwischenzeit, etwas über Dich herauszufinden. Mit etwas Glück erinnerst Du Dich morgen wieder." Loki schluckte und wirkte plötzlich wieder so unsicher, wie zuvor im strömenden Regen. "Ich danke Dir vielmals für Deine Hilfe. Wenn ich mich irgendwie revan -" "Bedank' Dich, wenn das alles hier vorbei ist.", fuhr sie ihm dazwischen und leerte ihren Drink. "Nimmst Du mein Angebot an?" Er nickte. "Sandwiches!", rief Yetta fröhlich und kam mit einem großen Teller voller kleiner dreieckiger Schnitten zurück an den Tisch. Loki lachte leise, als Eve bei Yettas trällerndem Tonfall die Augen verdrehte. Sie aßen die kleinen Portionen schnell auf. Pièrre gab noch ein paar seiner Geschichten aus Großbritannien zum besten, die zur allgemeinen Belustigung beitrugen. Es folgten noch einige Irish Coffee, bis Yetta ein Taxi rief, dass die beiden nach Hause bringen sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)