+C Schwert und Krone: Roviscos Stern von DivaIana (Ein Seemann Azelprades) ================================================================================ Kapitel 1: Ein Seemann Azelprades --------------------------------- Ich habe ihn umgebracht Reitz I. stand an der Treppe zum Oberdeck. Es... war schon lange her, dass er hier am Absatz der Treppe gestanden hatte. Auf der Azelprade. Um sie herum, nur seicht wogendes Wasser. Kein Land. Nur der Kapitän, er, und die anderen. Doch das Deck war menschenleer. Er war allein. Nein, nicht ganz. Oben, an der Brüstung, stand Rovisco und studierte seine Karte. Er hatte keine Laterne dabei, die ihm Licht spendete, doch er schien tief in sie versunken. Reitz hatte sich ständig gewundert, wie der Mann sich immer so fest auf etwas konzentrieren konnte. Er selbst hatte bis zum Ende ihrer Reise nie gelernt, eine Seekarte zu lesen. ... Das stimmte. Ihr gemeinsames Abendteuer war schon lange zu Ende. Verwirrt sah er sich um. Ihm fiel auf, dass nirgendwo Lichter brannten, weder auf dem Deck, noch im Steuerraum. Sie waren wirklich alleine, unter dem klaren Himmel, und dem Mond, der das ganze Deck in einen silbernen Schein hüllte. Der Stern hing neben Roviscos Kopf. Er sei ein Wegweiser, heißt es. Es mochte sein, dass Reitz sich nicht viel mehr für die Seefahrt interessiert hatte, als er brauchte, aber dieser Stern war ihm in Erinnerung geblieben. „Er zeigt den Seemännern den Weg, damit sie sich nicht verlieren“ Er hatte zu Ehren dieses Himmelskörpers einen Garten anlegen lassen. Und er war sich sicher, dass dieser ganz besondere helle Punkt am Himmel ganz bestimmt nie so tief gestanden hatte. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. Dorthin weist du mir den Weg? An seine Seite? Mit den Händen in den Taschen vergraben stieg er die Stufen hinauf. Er konnte die Abdrücke seiner Fesseln spüren, die eigentlich im Laufe seines Lebens verblasst waren. Er fühlte sich immer bedrückter, je näher er seinem Ziel kam. Er war tot. Eindeutig, und unwiderruflich. Er hatte das kalte Eisen der Verräter gespürt, dass sie ihm durch den Körper gerammt haben. Er schritt gradewegs an Rovisco vorbei und legte die Hände auf die Reling, blickte in die undurchdringbare Finsternis, in die sich das Meer bei Nacht verwandelte. Er sah auf seine Hände. Waren sie zuletzt noch voller mehr oder weniger schlecht verheilter Narben gewesen, faltig und alt, waren sie nun wieder glatt, weich und die Verletzungen erst frisch verheilt. Er war... jünger geworden? Einen schönen Effekt hat er, der Tod, dachte er und spannte sie um die Reling, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Ich hatte immer Angst, ihm als alter Mann wieder zu begegnen... Er blickte nach rechts. Rovisco hatte immer noch nicht aufgesehen. Er wirkte auch vollkommen ruhig, studierte die Karte. Obwohl sein Gesicht im Schatten der Kapitänsmütze hätte liegen sollen, war es hell vom Mond erleuchtet. Wie schon zu Lebzeiten wirkte er wie ein unerschütterlicher Fels, ein Ruhepol in einer schwankenden und schäumenden Welt. Und Reitz hatte ihn zu Fall gebracht. Den Menschen, der ihn und die anderen nicht angesehen hatte wie Abschaum, der sie nach ihrer Meinung gefragt, sie berücksichtigt, ihnen ein neues Leben geschenkt hatte. Der ihn angesehen hatte, nicht, um zu provozieren, sondern um ihn zu verstehen, der ihm Dinge beibrachte, die niemanden töteten, verletzten oder beraubten, sondern ihnen allen nutzten, ihnen ihr Überleben sicherten. Der, der mit ihnen gearbeitet, geplant, gegessen und gelacht hatte, der sie akzeptiert hatte. Ohne ihn, und mit einem anderen Kapitän, wären sie alle untergegangen. Sie hätten noch nicht mal die Wahl gehabt, ihr Leben auf der See zu riskieren, um weiterzuleben. Er hatte Rovisco mehr vertraut, als irgendwem sonst auf dieser Welt. Sogar mehr als seiner eigenen Mutter... Auch Rovisco hatte ihm vertraut. Er hatte ihn aus seinen warmen Augen betrachtet, gedacht, er hätte ihn verändert. Und Reitz hatte es ausgenutzt. Er erinnerte sich noch genau, wie er ihm das Messer blind zwischen die Rippen gejagt hatte... Wie ein Tier hatte er gehandelt. Ihn aus dem Weg geräumt, um ihn nicht mehr im Blickfeld haben zu müssen, damit er ihn nicht... Reitz hatte damals gewusst, warum er es getan hatte. Aus Neid, aus Eifersucht, aus unerklärlichem Hass? Er erinnerte sich, etwas in der Richtung gesagt zu haben. Aber... er hatte den wahren Grund vergessen. Oder in sich verschlossen. Er kannte sich mit so etwas nicht aus. Aber er wusste, er hatte sich an diesem Tag um Jahre zurückentwickelt. Und Rovisco hatte ihn angesehen. Die ganze Zeit. Erst erschrocken. Mit blankem Entsetzen im Gesicht. Dann hatte er ihn einfach nur betrachtet. Mit seinen unglaublich warmen Augen. Mitleidig. Er hatte gewusst, dass es für ihn zu spät war, so war sich Reitz sicher. Aber wieso Mitleid? Er verdiente es nicht! Er hatte es noch nie verdient! Von Niemandem! ... Und erst recht nicht von der Person, die er kaltblütig ermordete... Reitz hatte danach sein Königreich aufgebaut. Er hatte angefangen, in einem Märchen zu leben, in dem er selbst der Held war. Er hatte das Land von wilden Bestien befreit, die sein neues Volk bedrohten, Kanäle und Gräben gebaut, Dämme errichtet, Kriege geführt, und hatte bei jeder Tat gesiegt. Nach und nach begannen die Menschen, ihn anders anzusehen. Sie bejubelten ihn, riefen voller Freude seinen Namen, warfen sich ihm vor die Knie und akzeptierten ihn als ihren König. Nein- sie WOLLTEN ihn als ihren König! Es hatte sich erst unglaublich gut angefühlt. Er war der Prinz aus einem fernen Land, der Erlöser, der Erretter. Aber niemand hatte ihn jemals wieder so angesehen, wie Rovisco. Nie wieder blickte er in solch verständnisvolle, barmherzige, warme, allwissende und irgendwie... liebevolle Augen. Mit der Zeit hatte sich sein Denken verändert. Er war ein Herrscher, ein Held geworden, hatte den höchsten Titel im gesamten Reich inne. Eine schöne Frau. Kinder. Luxus. Geld. Doch... er hätte das alles nie erreicht, wenn herausgekommen wäre, dass er damals ein Verbrecher gewesen war. Er war nicht zu Unrecht auf der Azelprade gelandet. Er hatte auch vorher schon Schlimmes getan. Jeder hätte ihn davongejagt, seine Taten augenblicklich vergessen und er wäre vom Volk in der Luft zerfetzt worden. Es hätte einen riesigen Aufstand gegeben. Und mindestens eine Enthauptung. Im Laufe seines Lebens hatte er immer stärker bereut. Es war zeitweise so schlimm, dass er weder essen noch schlafen konnte. Rovisco wäre ein besserer König gewesen. Nach und nach sah er immer mehr Fehler, die der Kapitän nie begangen hätte. Sein Märchen war auf Lügen aufgebaut. Konnte aus einem Luftschloss ein Reich werden, in dem seine Bürger glücklich waren? Der Kapitän hätte alles besser gemacht. Mit mehr Leidenschaft, Gewissen und Güte. In seiner Vorstellung hatten sie zusammen ein Reich errichtet, in dem sie gemeinsam regierten. Er war sich schlussendlich vorgekommen, wie der wahre Amontel. Das Wesen, dass den Menschen ein besseres Leben gewaltsam geraubt hatte. Er hatte sich stellen wollen, damit man über ihn richtete, ihn bestrafte. Es hatte ihn sein Leben gekostet, aber die Wahrheit hatte er nicht mehr offenbaren können. Das Rascheln von Papier riss ihn aus seinen Gedanken. Er löste sich von der tiefschwarzen Oberfläche des Wassers und blickte auf. Direkt in ebenso tiefe, dunkle Augen. Er spürte sofort, wie sich seine Kehle zuzog. Er hatte noch genau den gleichen gütigen, sanften Blick. Es machte Reitz rasend, und es fühlte sich an, als würde etwas in ihm heftig an seiner Brust zerren. Er senkte den Blick und wich vor Rovisco zurück. „Eine schöne, klare Nacht haben wir, nicht wahr?“ sprach sein Gegenüber. Reitz verkrampfte seine Hände in seinem Oberteil. Seine Stimme war so unglaublich sanft, dass es ihn förmlich zerriss! „Er strahlt heute heller als sonst.“ Der Stern stand wieder an seinem natürlichem Platz am Himmel, aber Reitz schaute gar nicht erst auf. Eine Zeit lang war es still. Noch nicht einmal das Meer machte irgendein Geräusch, wo es doch sonst immer lebendig plätscherte und gurgelte. Er fühlte sich bedrängt, obwohl sie beide einfach nur da standen. „Hör auf damit!“ knurrte Reitz. Er konnte spüren, dass Rovisco ihn mit einem zum Kotzen treuherzigem Blick betrachtete! Es machte ihn wütend! Es regte ihn auf! Dieser beschissene... „Warum machst du das?!“ spie er aus. Er fand die Kraft, seinem Gegenüber in die Augen zu blicken und- er fühlte sich wie immer vor den Kopf gestoßen, wie ein kleines Kind. Dabei hatte er deutlich länger gelebt! „Warum stehst du einfach nur da? Wieso redest du über scheiß Sterne?!“ er hielt dem Blick nicht mehr stand und schaute wieder zu Boden. Er fühlte sich von sich selbst verarscht. Weder als Verbrecher, noch als auch als König, hatte es jemanden gegeben, der ihn einschüchterte. Er begann zu schnauben. Einfach aus dem Druck des Durcheinanders in seinem Kopf heraus. Musste er sich gerade jetzt benehmen wie ein Irrer? „Wieso hasst du mich nicht?! Ich habe dich verdammt noch mal umgebracht! Wieso siehst du mich an, mit diesen- Grahh!“ er raufte sich die Haare, wusste nicht, wie er sich ausdrücken sollte. „Du- Ich- ich habe Menschen zu Teufeln gemacht! Ich habe sie jagen lassen! Ich habe Menschen getötet, ihnen ihre Heimat genommen, mein Volk mein ganzes Leben lang betrogen!“ Er spürte eine Hand auf seiner Schulter. Sie war warm. Ebenso wie die Stimme, die seinen Kopf augenblicklich leer fegte. „Es stimmt, du hast vielen Menschen viel Leid angetan. Auch meine Freunde hast du gejagt, und getötet, ebenso wie mich, damit sie dich nicht verrieten.“ Die Hand fuhr weiter, über seinen Rücken und schob ihn näher an Rovisco. „Das sind unverzeihliche Dinge, aber ich wusste, wer du warst. Ich habe dich eventuell etwas unterschätzt. Und dass du auf mich neidisch warst, nehme ich dir nicht ab. Du warst immer zu Stolz, um aus so einem einfachen Grund zu töten. Ich weiß nicht, wieso du es getan hast, aber es ist nun zu spät. Du hast deinem Volk aber auch viel Gutes getan. Du hast sie beschützt und geliebt, und ihnen dein Leben gewidmet. Du bist gewachsen, und hast bereut. Du wolltest für deine Taten gerichtet werden. Du wolltest ehrlich sein, und hast sogar mit deinem Leben dafür bezahlt. Am ende warst du doch ein echter und treuer Seemann der Azelprade.“ Rovisco wuschelte ihm mit der Hand über den Kopf. Sie standen nun dicht beieinander. Die Worte... hatten etwas Vertrautes. „Ich bin kein Seemann.“ „Was? Was redest du da? Natürlich bist du einer.“ „Hä? Ich verstehe ni...“ „Du bist ein Seemann Azelprades, mein Seemann.“ Reitz schloss den Anderen in eine leichte Umarmung, legte sein Kinn aus Roviscos Schulter. Der Mann mit den dunklen Augen schien sich kein Stück verändert zu haben. „Unsere gemeinsame Reise in die neuen Welt war viel zu schnell vorüber.“, meinte Rovisco „Aber ich würde gerne noch mehr Abenteuer mit dir erleben.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)