Josephine Klick - Allein unter Cops von Peggy_Padouk ================================================================================ Kapitel 23: ------------ „Kommst du mit?“, fragte mich eine Stimme und riss mich aus meinen Gedanken. Ich wandte meinen Blick von den Unterlagen vor mir ab zur Tür hin, wo Fritz und Alex standen. „Wohin?“, fragte ich verwirrt. Beide sahen mich ungläubig an. „Zu Addie! Heute ist Mittwoch“, sagte Fritz und zog seine Augenbrauen hoch. „Was ist denn los mir dir, Josephine? Du bist den ganzen Tag schon so seltsam drauf.“ Alex war verwundert. Er hatte Recht. Heute war Mittwoch. Die letzten Tage waren rasend schnell vergangen. Als mich beide immer noch fragend ansahen, schüttelte ich meinen Kopf. „Nee, geht ohne mich. Ich habe noch einiges zu erledigen.“ Eines davon war jemandem heute kräftig in den Arsch zu treten. Bei dem Gedanken legte ich meine Stirn in Falten und schnaubte frustriert. Bei meiner Laune sollte ich im Moment lieber alleine bleiben, jedenfalls verdienten die Jungs es nicht, das abzukriegen, denn Ausnahmsweise hatte sie sich mal nichts zu schulden kommen lassen. Ich drehte mich wieder um und stützte mein Kinn in meiner Hand ab. „Habt Spaß, Jungs!”, sagte ich ohne mich zu den beiden umzudrehen als ich schon wieder die Unterlagen vor mir sichtete. Ich versuchte mich wieder auf den Bericht zu konzentrieren. Im Hintergrund brabbelten die beide noch einen Moment, dann verklangen die Stimmen und die Tür fiel ins Schloss. Endlich wieder alleine, dachte ich und beugte mich über die Akte um nach der Passage zu suchen bei der ich Unterbrochen worden war. Bevor ich das Revier verlies, wollte ich diesen Bericht noch fertig kriegen. Ich kaute auf meinem Stift rum, als ich den letzten Abschnitt eines Berichtes von unserer vergangenen Ermittlung überflog. „Alles klar bei dir?“, fragte eine Stimme neben mir und ließ mich hochschrecken. Der Stift fiel mir aus der Hand und rollte vom Schreibtisch. „Meine Güte, Fritz“, stieß ich halb keuchend, halb fluchend aus und legte meine Hand auf meine Brust. Ich drehte mich zu ihm und versuchte meinen Puls unter Kontrolle zu bekommen. Wie hatte er sich so anschleichen können? „Willst du Schuld sein, wenn ich heute Abend noch mit ´nem Herzinfarkt im Krankenhaus lande?“ Er lehnte sich an meinen Tisch und stützte sich mit seinen Händen ab. „Geht´s dir denn nicht gut?“, fragte er mich ernst. Ich verdrehte die Augen. „Wenn du mich so erschreckt, dann geht´s mir gewiss nicht gut.“ „Und sonst?“, harkte er nach. Ich sah ihn verwirrt an. Als ich nicht antwortete, lehnte er sich mit seinem Kopf ein wenig dichter zu mir. „Irgendwas hast du. Ist alles in Ordnung mit dir?“ „Jaaa“, sagte ich gedehnt und bemühte mich meine Stimmung etwas besser zu kontrollieren. Er konnte nichts für meine schlechte Laune und ich sollte es nicht an ihm auslassen. Ich bemühte mich ihn anzulächeln, aber irgendwie mussten mir meine Gesichtszüge dabei entglitten sein. „Dieses gekünstelte Lächeln kannst du dir sparen, Bielefeld. Ich sehe doch, dass du angepisst bist.“ Er lehnte sich wieder ein wenig zurück und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Etwas spitzbübisch sah er mich an. „Ich kenn’ diesen Gesichtsausdruck. Habe ich schon oft genug selbst zu verantworten gehabt.“ Fritz grinste mich schief an und ich musste dieses Mal wirklich schmunzeln. Es hellte meine Stimmung zumindest für diesen Moment etwas auf. „Keine Sorge, Kollege“, begann ich und setzte ein unschuldiges Gesicht auf. „Ich denke nicht Gefahr zu laufen jemanden heute noch anzuschießen.“ Sein ungläubiger Gesichtsausdruck brachte mich zum Lachen. Bei diesem nachdenklichen Gesichtsausdruck von ihm verebbte mein Lachen. Seine Nähe machte mich ungewohnt nervös, deshalb hatte ich seit Montag bewusst ein wenig Abstand gesucht. Ich drehte mich von ihm weg um den Stift aufzuheben. „Es ist also niemand gefährdet. Also entspann dich und kümmere dich endlich um Alex. Er ist bestimmt schon am verdursten.“ Fritz sah mich unzufrieden an, akzeptierte aber, dass ich nicht reden wollte. „Na gut“, entgegnete er gedehnt und stieß sich langsam vom Schreibtisch ab. „Dann mach heute nicht so lange. Kein Fall drängt zu Überstunden. Nutze das mal.“ Ich legte meine rechte Hand in einer salutierenden Geste an meine Schläfe und sah ihn gespielt ernst an. „Zu Befehl.“ Fritz schüttelte den Kopf, schenkte mir aber ein Lächeln, bevor er zum Ausgang ging. Im Türrahmen blieb er stehen und sah mich noch mal an. „Du weißt ja wo wir sind, wenn du dich doch noch für ein Bier entscheiden solltest“, ließ er mich wissen. „Ich komm vorbei, wenn es passen sollte“, entgegnete ich. „Aber wartet nicht auf mich. Ich denke nicht, dass es heute noch was wird.“ Er nickte und verabschiedete sich mit einer Handbewegung. Als die Tür ins Schloss fiel blickte ich sie noch eine Weile an. Irgendwas hatte sich seit Samstag geändert. Etwas in mir hatte sich verändert und ich spürte, dass es sich auf das Verhältnis zu Fritz auswirkte. Ich fühlte mich irgendwie... Zufrieden? Akzeptiert? Glücklich? Ich wusste nicht was es war, wusste nicht wie ich mich fühlte und das verwirrte mich. Nachdem ich in der Nacht von Samstag zu Sonntag nicht einschlafen konnte, wollte ich früh aufstehen und verschwinden, bevor Fritz und Benny aufwachen würden. Aber als ich mich an die Umgebung gewöhnt hatte und die Müdigkeit mich übermannte, war ich so fest eingeschlafen, dass ich erst wach wurde, als Benny auf die Couch gekrabbelt war und meine Schultern leicht schüttelte. „Joooosephiiine“, hatte er leise in mein Ohr geflüstert. Ich hatte ganz benommen meine Augen geöffnet und ihn angesehen. Mit seinen großen Kinderaugen sah er mich erwartungsvoll an und flüsterte „Papa hat das Frühstück fertig und er hat gesagt, dass wir erst essen, wenn du wach bist. Darum hab´ ich mich ins Wohnzimmer geschlichen. Ich hab’ gaaaaanz doll Hunger.“ Sein Magen knurrte im selben Moment und er verzog sein Gesicht. Ich hatte mich aufgesetzt und ihn entschuldigend angelächelt als ich mir den Schlaf aus den Augen rieb. „Tut mir leid, Benny. Ich bin jetzt wach.“ „Benny!“, hatte Fritz leise, aber streng gerufen, als Fritz die Tür zum Wohnzimmer leise öffnete und sah, dass Benny mit mir auf der Couch saß. „Ich habe dir doch gesagt, dass du Josephine schlafen lassen sollst.“ Benny hatte seinen Vater mit großen Augen. „Aber ich habe doch so einen Hunger, Papa.“ Bevor Fritz noch was sagen konnte, wandte ich mich an Benny. „Und deswegen war es richtig, dass du mich geweckt hast. Ich ziehe mich nur schnell um, dann können wir frühstücken, ok?“ Benny’s Augen leuchteten, als er mir energisch zunickte. Dann war er von der Couch gekrabbelt. Fritz bekam einen weichen Gesichtsausdruck. Er konnte nicht lange streng ihm sein, wie auch bei diesen Augen... „Wasch dir die Hände, Benny, wir frühstücken gleich!“ Auch ich stand von der Couch auf und sammelte meine Sachen zusammen als ich zu Fritz, der noch immer im Türrahmen stand, sagte, dass er mich ruhig hätte wecken können. „Selbst du musst mal ausschlafen, Bielefeld“, antwortete er gelassen. In diesem Moment fiel mir auf wie unglaublich müde er selber aussah. Wie viele Stunden Schlaf er wohl bekommen hatte? Ich bedankte mich und verschwand im Bad um mich rasch fertig zu machen. Ich war überrascht, dass es bereits nach 9 Uhr war - Benny sollte nicht noch länger auf das Frühstück warten müssen. Es war bereits nach zehn Uhr und wir saßen noch immer gemütlich am Frühstückstisch. Eigentlich hätte ich nach Hause gekonnt. Viktor hatte mir sogar schon geschrieben, dass Stefan los sei. Aber mein Handy war wieder in meiner Hosentasche verschwunden bevor Fritz mich darauf hätte ansprechen können. Ich genoss es zuzusehen, wie Vater und Sohn miteinander umgingen, zusammen lachten. Es erinnerte mich an meine Kindheit und das fühlte sich nach Zuhause, nach Familie und Wärme an. Ich hatte dieses Gefühl lange nicht mehr erlebt. Es tat so gut... Mein Handy klingelte neben mir auf dem Schreibtisch und riss mich aus meinen Gedanken, brachte mich wieder zurück ins Revier. Ich brauchte einige Sekunden, schnappte mir dann aber mein Handy. Beim Blick auf das Display verfinsterte sich meine Stimmung. „Hallo“, sagte ich tonlos, als ich den Anruf annahm. „Frau Klick?“, fragte die Stimme am anderen Ende. „Ich habe Ihre Nachricht auf der Mailbox eben gerade erst abhören können. Sie wollten mit mir reden.“ „Ja, das stimmt. Sind Sie Zuhause?“, fragte ich kurz angebunden. „Bin ich.“ „Dann warten Sie dort. Ich mache mich auf den Weg.“ sagte ich nur knapp und beendete das Gespräch ohne eine Antwort abzuwarten. Eigentlich wollte ich den Bericht heute noch zu Ende bringen. Aber Fritz hatte Recht. Die Zeit saß mir nicht im Nacken. Ich konnte das auch morgen noch machen. Jetzt musste ich aber dringend noch was erledigen. Ich schnappte mir meine Sachen und machte mich auf den Weg zu Herrn Altenburg. *** Ich knallte die Akte auf den Tisch, der im Wohnzimmer stand. Die Blätter hatten lose im Umschlag gelegen und verteilten sich jetzt über den ganzen Tisch. Ich blickte Herrn Altenburg finster an, während ich mit meinem Finger auf die Akte zeigte. „Ist das Ihr ernst?“, fauchte ich ihn an. Er wirkte nicht überrascht, sah mich ganz ruhig an. Schon während des Telefonates hatte ich das Gefühl, dass er diese Reaktion von mir erwartet hatte. Das machte mich rasend. Warum zum Teufel hatte er sich also trotzdem die Mühe gemacht, mich um Hilfe bei diesem Fall zu bitten? Er hätte doch wissen können, dass ich so einen Fall nicht annehmen würde. „Möchten Sie sich nicht setzen? Vielleicht kann ich Ihnen was zu trinken anbieten“, sagte er in einem ruhigen und höflichen Ton als er auf einen der Stühle deutete, die am Esstisch standen. Ich schüttelte energisch meinen Kopf. „Ich will mich nicht setzen und ich will auch nichts trinken.“ Ich atmete tief durch, um mich ein wenig zu beruhigen bevor ich weitersprach. „Ich will wissen, was hier eigentlich los ist? „Ich gehe davon aus, dass Sie sich den kompletten Fall durchgelesen haben?“ „Natürlich habe ich das. Auch wenn ich ernsthaft überlegt hatte nach dem ersten Bericht aufzuhören. Da war für mich schon klar in welcher Verbindung Sie zu dem Opfer standen.“ Er zuckte ein wenig zusammen bei meinen Worten, aber das war mir egal. Sophia hatte mir am Montag die Akten gebracht, ich war jedoch erst gestern sehr spät abends dazu gekommen die Unterlagen zu sichten. Nachdem ich die Fakten kannte, war ich restlos sauer auf ihn, weil ich das Gefühl hatte, dass er mir mit Absicht einiges verheimlicht hatte. Seine offene und ehrliche Art schätzte ich an ihm – er sagte gerade heraus was er dachte und allein aus diesem Grund stimmte ich überhaupt zu, den Fall mit ihm aufzuarbeiten. Das war der einzige Grund. Hatte ich mich so in ihm getäuscht? „Christin“, sagte er stumpf. „Sie hieß Christin. Bezeichnen Sie sie bitte nicht als Opfer“ „Genau das meine ich“, entgegnete ich ihm, als ich einen Schritt auf ihn zuging. „Für jeden Ermittler ist es normal ein Mordopfer auch als solches zu betiteln. Damit schafft man eine gewisse Distanz um die Objektivität beibehalten zu können. Aber für Sie ist es mehr. Für Sie ist es keine Fremde. So können Sie doch nicht den Fall bearbeiten! Das sollte jemand anderes tun!“ „Deshalb habe ich ja Sie gefragt, Frau Klick“, entgegnete er mir. „Ich war mir sicher, dass Sie sachlich und unvoreingenommen an die Ermittlungen gehen.“ Ich wehrte ab. „Ich kann diesen Fall nicht annehmen.“ „Warum nicht?“, wollte er wissen. Seine Stimme brach. Die Ruhe, die er bis eben noch ausgestrahlte war verloren. „Weil es Ihre Partnerin war, Herr Altenburg! Herr Gott noch mal, Sie müssen doch wissen wie es auf die Leute wirkt, wenn ich Ihnen bei einem persönlichem Fall helfe.“ Hatte er sich darüber wirklich keine Gedanken gemacht? Das traute ich ihm eigentlich nicht zu. Er war ein guter Ermittler. Das hatte ich ja schon erfahren dürfen. „Immerhin haben Sie gerade erst den Fall von MEINEM Partner bearbeitet“, fuhr ich fort. „Und es ging gut für ihn aus. Ich riskiere doch nicht, dass darüber geredet wird oder schlimmeres passiert. Wann hatten Sie vor mir davon zu erzählen? Nachdem ich bereits bei meinem Chef angefordert wurde?“ „Sie wissen doch, dass nicht ich, sondern mein Vorgesetzter Sie bei ihrem Chef angefordert hat“, wehrte er ab. „Ich konnte Ihnen die Details nicht erklären. Ich wollte nicht riskieren, dass Sie meine Bitte ablehnen. Hätten Sie sich die Akte angesehen, wenn ich Ihnen davon erzählt hätte?“ „Natürlich nicht“, entgegnete ich. „Sehen Sie? Ich musste zumindest versuchen, dass Sie sich den Fall ansehen. Ich war mir sicher, dass Sie Fehler in der Ermittlung entdecken würden.“ Bei seiner Vermutung musste ich ihm Recht geben. Mir waren wirklich einige Berichte nicht schlüssig vorgekommen. Es passten einige Dinge einfach nicht zusammen. Und gerade bei internen Untersuchungen war schlampige Arbeit ungewöhnlich. Ich hatte einige Fälle in der Vergangenheit in Bielefeld schon aufgearbeitet, die katastrophal ermittelt worden waren, aber bei diesem Fall war mir das schon seltsam vorgekommen. Ich atmete durch, als ich versuchte mich wieder zu beruhigen. Es war richtig, dass ich gekommen war und mich mit ihm aussprechen konnte, als einfach nur den Fall abzulehnen, wie ich es ursprünglich geplant hatte. Ich sah ihn nachdenklich an. „Warum beauftragen Sie nicht einen Untersuchungsausschuss? Oder warum arbeiten die Kollegen, die den Fall damals ermittelt haben das Ganze nicht noch einmal gründlich auf? Die erinnern sich vielleicht noch an Einzelheiten, an Kleinigkeiten, die für uns nicht mehr greifbar sind.“ „Weil ich denen nicht vertraue“, antwortete er simpel. Ich sah ihn skeptisch an. „Und mir vertrauen Sie?“ „Ja“, sagte er entschieden ohne zu zögern. „Warum?“, fragte ich ihn und schüttelte ungläubig meinen Kopf. „Warum gerade mir?“ „Wollen wir uns vielleicht doch setzen?“, entgegnete er mir und deutete erneut auf den Esstisch. „Ich denke, dass Gespräch wird noch ein wenig länger dauern und ich würde Ihnen gerne was zu trinken anbieten.” Dieses Mal stimmte ich zu. Ich nahm am Esstisch platz und er setzte sich mir gegenüber, nachdem er die Getränke hingestellt hatte und fing mit seiner Erklärung an. „Das erste Mal, dass ich von Ihnen gehört hatte, war nach dem Fall der erschossenen Muslimin und anschließend habe ich Ihr Profil studiert. Sie haben eine andere Art zu ermitteln und haben sich nicht von anderen Kollegen beeinflussen lassen. Sie sind immer Ihren Weg gegangen. Genau danach habe ich gesucht. Noch dazu hatte Sie vorher nie mit irgendwelchen Fällen aus Berlin zu tun.“ „Wie meinen Sie das denn nun schon wieder?“, unterbrach ich ihn und fragte mich, warum es so wichtig war, dass ich bis zu meinem Umzug noch nie in Berlin gearbeitet hatte. Aber er ging nicht weiter auf meine Frage ein und fuhr fort. „Ich hatte Sie nach dem Fall der Muslimin eigentlich schon ansprechen wollen, nur waren mir ständig Termine dazwischen gekommen. Und an dem Tag, an dem ich anrief, waren Sie gerade entführt worden. Ich sprach mit Ihrer Kollegin, alle waren in Aufregung. Und dann wurde ich am gleichen Tag zu den Ermittlungen bestellt bezüglich des Vorfalls auf der Brücke mit Ihrem Entführer und Herrn Munro. Da konnte ich Sie natürlich nicht auf mein Anliegen ansprechen.“ „Sie haben also schon alles über mich gewusst, während Sie mich befragt haben?“, wollte ich wissen. Er nickte und lächelte mich an. „Ja und ich war begeistert, wie souverän Sie die Befragung absolviert haben. Ich möchte nicht arrogant klingen, aber ich weiß, dass ich für meine strengen, erfolgreichen Ermittlungen und gezielten Fragen bekannt bin. Ich habe es Ihnen nicht leicht gemacht.“ „Sie haben mich vorgeführt“, sagte ich streng. Ich erinnerte mich sehr genau an diesen Tag. Ich hatte an einigen Stellen wirklich mit ihm zu kämpfen. Er war ein unglaublich guter Ermittler. Und die Fragen die er gestellt hatte, hätten Fritz wirklich schaden können, wenn ich mich nicht vorher über bereits bekannte Fälle informiert hätte. Ich sah ihn mit verengten Augen an, als mir ein Verdacht kam. „Die Fragen, die sie gestellt haben, waren die wirklich relevant für den Fall?“ Ich musste es einfach wissen. Waren die Ermittlungen im Fall von Fritz nur ein Test, ob ich wirklich für SEINEN Fall geeignet wäre? Wenn das wirklich stimmte, hätte ich mich ein weiteres Mal in einem Menschen schwer getäuscht und das würde mich wirklich an meiner Menschenkenntnis zweifeln lassen. „Sie meinen, dass man ihrem Kollegen versucht hat irrationales Verhalten vorzuwerfen? Sie müssen Akten ähnlicher Fälle gelesen haben, Sie waren gut vorbereitet, Frau Klick. Das habe ich während der ganzen Befragung gemerkt. Und auch während der Ermittlungen haben Sie clevere Schachzüge gewählt.“ Ich musste wieder an die Ermittlungen denken. Es waren keine cleveren Schachzüge. Wie so oft war ich einfach meiner Intuition gefolgt. Ich schüttelte meinen Kopf. Was ich jetzt brauchte waren keine Komplimente, sondern Antworten. Ich nahm ein Schluck Wasser, das er mir hingestellt hatte und sah ihn dann wieder ernst an. „Warum haben Sie mir geholfen?“, fragte ich ihn. „War das auch ein Plan von Ihnen?“ „Geholfen?“, fragte er mich und sah wirklich verwirrt aus. Ich verdrehte meine Augen. Er musste sich doch daran erinnern. Würde er jetzt so tun, als ob er mir nie Informationen gegeben und Fotos gezeigt häatte? „Sie haben mir immer wieder Informationen während laufender Untersuchungen zukommen lassen.“ Ich konnte das `Verstehen´ in seinen Augen erkennen. „Ich habe nur weitergegeben was den Untersuchungen nicht schaden konnte. Ich wollte, dass Sie zu mir Vertrauen aufbauen.“ Bei dem Wort Vertrauen verengte ich meine Augen. Hatte das alles nur seinem eigenen Zielen gedient? Meine Vermutungen gingen zumindest dorthin, auch wenn ich immer noch hoffte, dass ich mich täuschte. „Vertrauen aufbauen?“, wiederholte ich seine Worte. „Haben Sie Fritz deswegen laufen lassen? Wäre er vor Gericht gekommen, wenn ich nicht schon für diesen Fall eingeplant gewesen wäre? Das würde natürlich Sinn machen. Ohne Fritz hätte Alex nur mich als Partner und ich könnte keinen anderen Fall annehmen.“ „Also wirklich Frau Klick“, sagte er und seine Stimme klang streng. So klang er, wenn er im Dienst war. „Jetzt muss ich aber Ihrer Vorstellungskraft Einhalt gebieten. Ich hatte wirklich gehofft, dass Sie mich besser einschätzen würden. Wenn ich Ihren Kollegen wirklich für schuldig gehalten und keine Notwehr gesehen hätte, dann wäre mein Bericht auch entsprechend ausgefallen. Ich würde niemals einen Fall dazu benutzen mir persönliche Vorteile zu verschaffen.“ Er atmete entnervt aus, als er sich in seinem Stuhl für einen kurzen Moment nach hinten lehnte und sich den Nacken leicht massierte. Erst da fiel mir auf wie angespannt und erschöpft er aussah. Seine Augen waren rot unterlaufen und seine Haut wirklich fahl. Er musste viel gearbeitet haben, so hatte ich ihn kennen gelernt – hart arbeitend. Er war gründlich und fair. Das war von Anfang an mein Eindruck und ich hatte Mühe ihn während der Ermittlungen gegen Fritz nicht dafür zu bewundern. Vielleicht war ich deswegen so sensibel. Ich hatte Angst, dass es alles nur zum Schein war. Als er seinen Kopf zur Seite neigte und seinen Hals langsam streckte, sprach er ruhig aber erschöpft weiter ohne mich anzusehen. „Sie würden nicht so reden, wenn Sie wüssten, wie ich Herrn Munro verhört habe. Es gibt einen Grund, vielleicht auch mehrere, warum er mich nicht leiden kann. Ich habe meine Untersuchungen gründlich gemacht und keine Vorteile für mich dabei gesucht. Unterhalten Sie sich mit Ihrem Kollegen, der wird es Ihnen bestätigen. Er kennt die Protokolle, die ich an die Staatsanwaltschaft gegeben haben und an die Befragungen wird er sich wohl auch noch lebhaft erinnern.“ Es war merkwürdig, aber ich glaubte ihm. Es würde auch erklären, warum Fritz so einen Hass auf ihn hatte. Fritz hatte es sicherlich nicht leicht, als Herr Altenburg ihn auf Herz und Nieren geprüfte. Ich erinnerte mich an den Moment, als Fritz uns auf dem Polizeirevier begegnet war. Sofort hatte die Luft zwischen den beiden gebrannt und zu diesem Zeitpunkt hätte Fritz mir auch noch nicht unterstellen können, dass ich mich heimlich mit Herrn Altenburg treffe, obwohl er die Ermittlungen gegen ihn leitete. Es musste also etwas bei der Befragung vorgefallen sein. Was war dort nur passiert? „Warum dürfen ausgerechnet Sie einen Fall öffnen, indem Sie involviert sind?“, lenkte ich die Unterhaltung wieder auf den eigentlichen Punkt. Ich war mir sicher, dass er nichts zur Befragung preisgeben würde. „Weil ich die Leitung interner Ermittlungen seit einem halben Jahr übernommen habe, deswegen habe ich die Kompetenz dazu“, erklärte er ohne Umschweife. Es klang arrogant, aber eigentlich präsentierte er nur die Fakten. „Und Ihre erste Amtshandlung ist gleich diesen Fall wieder aufrollen zu lassen? Haben Sie etwa darauf spekuliert?“ Ich hatte mir die Akte sehr genau durchgelesen und mir war bewusst, dass er vor drei Jahren von seiner jetzigen Position noch weit entfernt war. „Laut Bericht waren Sie vor drei Jahren Hauptkommissar. Wie schafft man in so kurzer Zeit einen solchen KarriereSprung?“ Er zuckte mit den Schultern. „Es war nicht meine erste Amtshandlung diesen Fall aufzunehmen. Ich habe genug andere bereits bearbeitet. Und den Sprung habe ich geschafft durch sehr viel harte Arbeit, viel Training und Willenskraft. Ich habe nichts geschenkt bekommen, Frau Klick.“ Ich hatte auch nicht erwartet, dass er etwas geschenkt bekommen hatte. Mir war bewusst wie viel er arbeitete und wie ernst er die Aufgaben nahm, die er bekam. „Alles für diesen Fall?“, harkte ich nach. Er nickte zur Bestätigung. „Alles um das Versprechen einzulösen, dass ich den Eltern von Christin gegeben habe.“ „Was war das für ein Versprechen?“, wollte ich wissen. „Das ich den Fall aufklären werde.“ „Das Sie sich rächen werden?“ „Nein, Frau Klick. Ich plane keinen Feldzug. Natürlich will ich wissen wer es war. Und natürlich will ich, dass er seine Strafe bekommt. Trotzdem bin ich in der Lage mich an die Regeln zu halten, während ich versuche den Fall zu lösen. Aber ich halte meine Versprechen und ich akzeptiere nicht, dass so ein Fall vertuscht wird“ Die letzten Worte hatte er mit einer ungewöhnlichen Härte ausgesprochen. Seine Äußerung überraschte mich. - Vertuscht? „Warum sollte eine interne Untersuchung vertuscht werden?“, fragte ich verwirrt. Er zog eine Augenbraue hoch, als er mich ansah. „Sie sollten doch clever genug sein, um sich das selbst zu beantworten.“ Mir war klar, welche Gründe es für eine Vertuschung gab. Aber das konnte ich mir kaum bei diesem Fall vorstellen. Zumindest hoffte ich inständig, dass es nicht der Fall wäre. „Das macht nur Sinn, wenn intern jemand die Schuld an der Tat trägt. Die Person könnte aber auch eine andere, außenstehende Person schützen wollen. Wissen Sie überhaupt, was Sie da mutmaßen? Sie reden hier von... von-“ „Korruption?“, warf Herr Altenburg ein und seine Stimme klang beinahe nach einem Flüstern, als er mich mit ernster Miene ansah. „Ich glaube, dass war das Wort nachdem Sie gesucht haben.“ „Wie kommen Sie darauf? Sind Sie sich wirklich sicher?“, fragte ich angespannt. Wenn es stimmte was er sagte, dann gab es jemanden in unseren Reihen, dem man nicht vertrauen sollte. „Sicher kann man sich erst sein, wenn einem genügend Beweise vorliegen“, entgegnete er. „Vorher kann man nur Mutmaßen, wie Sie das eben schon so schön gesagt haben.“ Er füllte sein Glas nach und nahm einen Schluck. Ich sah ihn nachdenklich an, während tausende von Fragen durch meinen Kopf schossen. Wir schwiegen uns beide einen Moment an. Er atmete einmal tief durch, bevor er sein Glas bei Seite stellte und seine Ellenbogen auf den Tisch legte. Er beugte sich vor und sah mich eindringlich an. „Mutmaßung hin oder her. Ich möchte diesem Verdacht zumindest nachgehen. Wenn es wirklich so sein sollte und wir schaffen, dass der Fall aufgeklärt wird, dann haben wir nicht nur den Mord an einer jungen, unschuldigen Kommissarin geklärt, sondern auch dafür gesorgt, dass unsere Reihen wieder sauber sind. Finden Sie nicht auch, dass es zwei sehr gute Gründe sind, dass dieser Fall wieder aufgenommen werden sollte? Wer weiß, was sonst noch passieren könnte.“ Ich verstand seine Beweggründe und ich stimmte ihm vollkommen zu, dass dieser Fall bearbeitet werden musste. Aber ich stand noch immer am Anfang. Ich hatte noch immer die gleichen Gründe diesen Fall nicht anzunehmen. Es ging immer noch darum, dass ich ihm bei SEINEM persönlichen Fall helfen sollte, nachdem er einen persönlichen Fall von MIR untersucht hatte. Korruptionsvorwürfe hin oder her, er konnte es noch nicht beweisen. Die Kollegen würden davon nichts wissen und sich wundern, warum ich den Fall annehme. Es würde Gerede geben und ich war nicht bereit dadurch Fritz vielleicht Probleme zu machen. Ich rieb mir mit meiner linken Hand meine Schläfe als ich meine Augen schloss und weiter darüber nachdachte. Herr Altenburg musste den Zwiespalt in mir erkennen, musste wissen welche Sorgen und Bedenken mich plagten. „Ich habe Sie nie belogen“, begann er. Ich öffnete meine Augen und sah ihn vermutlich etwas gequält an. „Ich habe alle Fragen von Ihnen ehrlich beantwortet. Und ich schätze es sehr, dass auch Sie mir so ehrlich gegenübertreten. Mir wird jedes Mal aufs neue wieder klar, dass ich mit Ihnen die richtige Wahl getroffen habe. Ich fahre morgen nach Frankfurt und bin erst in einigen Wochen wieder da. Sie müssen mir nicht gleich antworten. Nehmen Sie die Unterlagen mit nach Hause. Schlafen Sie drüber. Aber versprechen Sie mir, dass Sie zumindest noch einmal darüber nachdenken und wir später darüber reden, wenn ich wieder da bin.“ Es fiel mir schwer Augenkontakt zu halten, als er mich so voller Hoffnung ansah. „Ich brauche Sie“, sagte er leise. „Versprechen Sie mir, dass Sie darüber nachdenken.“ „Meine Antwort wird vermutlich die Gleiche bleiben“, warf ich ein. „Dann muss ich damit leben“, entgegnete er mir. Er sah mich noch einen Moment an und ich merkte, wie ich langsam und zögernd nickte. „Ich werde darüber nachdenken“ *** Ich hatte nicht vorgehabt noch zu Addie zu gehen. Jetzt stand ich zögernd vor der Tür. Ich brauchte dringend ein Bier und ich wollte Fritz sehen. Ich wollte mir sicher sein, dass es richtig war den Fall abzulehnen. Er durfte nicht wieder Gesprächsthema werden. Ich konnte das nicht riskieren, das war ich ihm das schuldig. Immerhin hatte er mir das Leben gerettet. „Bielefeld“, sagte Fritz erstaunt, als ich mich neben ihn setzte. Er sah mich an und lächelte. Mein Brustkorb zog sich zusammen, als ich ihn ansah. Ich erwiderte sein Lächeln und fühlte mich augenblicklich besser. „Du hast ja doch noch Zeit gefunden.“ „Wo ist Alex?“, fragte ich ihn. Er zuckte mit den Schultern. „Caroline hat angerufen.“ Ich setzte mich neben Fritz als Addie zu mir kam. „Josephine“, begrüßte er mich. „Ein Bier wie immer?“ Ich nickte und er stellte mir kurze Zeit später die Flasche Bier auf den Tresen. „Danke, Addie.“ Ich nahm einen kräftigen Schluck bevor ich die Flasche wieder auf den Tresen stellte. „Pflichten erfüllt ohne jemanden zu erschießen?“, fragte mich Fritz und grinste mich an. „Kann man so sagen“, entgegnete ich nur knapp und blickte wieder meine Flasche Bier an. Was sollte ich auch weiter erzählen? Eigentlich erzählte ich immer viel, wenn wir bei Addie waren. Aber heute fragte ich mich, was ich überhaupt erzählen konnte. Im Augenwinkel sah ich, wie mich Fritz noch immer anblickte. „Willst du drüber reden?“, fragte er vorsichtig. Ja, dachte ich und wollte es hinaus schreien, aber ich konnte nicht. Ich hielt meine Versprechen und ich verstand jetzt umso mehr, warum die Details dieses Falls absolut geheim gehalten wurden. Ich schüttelte langsam meinen Kopf. „Der mysteriöse Fall?“, fragte mich Fritz nach einem Moment und hatte damit ins Schwarze getroffen. Ich sah ihn wieder an. Ich nickte zustimmend. Fritz verzog das Gesicht. „Du warst beim Altenburg?“ „Ja, war ich.“ Ich hatte mich am Wochenende verplappert, also konnte ich auch zugeben deswegen bei Herrn Altenburg gewesen zu sein. Er sah nicht glücklich aus. „Immer noch Geheimhaltung nehme ich an.“ „Immer noch“, bestätigte ich. „Keine Sorge, ich werde dich nicht danach fragen“, sagte er als er mich mit schiefen Lächeln ansah und mir seine Flasche zum Anstoßen hinhielt. Es war die richtige Entscheidung hier herzukommen. Nach dem Gespräch mit Herrn Altenburg war ich so unruhig, dass ich Fritz einfach sehen musste. Und jetzt war ich hier und es war gut. Alles wirkte klar. „Danke“, sagte ich etwas leiser, als ich mit ihm anstieß. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)