Therapiestunden von KankuroPuppet (( Psychological Affairs )) ================================================================================ Kapitel 6: Killer (1/2) ----------------------- Sechster Teil Während er heißen, kitzelnden Atem auf seinen Lippen spürte, der sein Inneres verräterisch zum Prickeln brachte, konnte Law seine Konzentration nicht von dem aufdringlichen Knie nehmen, das sich immer mehr zwischen seine Beine drückte und dabei in leichten Bewegungen – lass es Absicht gewesen sein oder auch ihr instabiler naturaler Untergrund – auf und abglitt. Diese ungewohnte, ungewollte Nähe ließ die Luft in kurzen Stößen aus seinem Mund entweichen, mischte sich dabei mit der seines Gegenspielers. Es mussten nur Sekunden gewesen sein und dennoch meinte er, Ewigkeiten jedes einzelne Detail dieser intimen Begegnung wahrzunehmen. Er bildete sich sogar ein, eine markante Ausbuchtung in Kids Hose zu spüren, die er ebenfalls auf ihn drückte und die Frage aufwarf, ob Laws Anwesenheit den Rotschopf tatsächlich so sehr erregte. Ein nüchterner Gedanke, der von einem irrationalen, sich plötzlich aufdrängenden Wunsch überschattet war, der Law innerlich zusammenschrecken ließ. Er nahm es wahr, ganz leise und sachte, wie die letzten Sonnenstrahlen – das tiefe Begehren, von Kid interessant gefunden zu werden, vielleicht auch mehr. Das konnte er sich allerdings noch nicht eingestehen. Ein Kuss, hier auf dem kalten, feuchten Laub, mit einem fremden Kerl, der nach Alkohol und Rauch roch und dennoch sein Herz schlagen ließ, wie es schon seit Jahren nicht mehr passiert war. Ihre Lippen waren kurz davor sich zu berühren, kurz davor, eine weitere Grenze dieser abstrusen Konstellation aus Patient und Mediziner zu überschreiten – da krachte es. Ein Knistern, Knacken und genügend Wucht, um Kids Kopf nach vorne fliegen zu lassen, sodass aus einem vermeintlichen Kuss eine Kopfnuss wurde. Stirn knallte dumpf gegen Stirn, entlockte beiden Männern einen kurzen, überraschten und gleichzeitig schmerzerfüllten Aufschrei. Law kniff die Augenlider zusammen, legte reflexartig seine Hand aufs Gesicht und drückte die Kiefer fest aufeinander. Das Gewicht auf ihm verschwand. Es dröhnte in seinen Gedanken, brachte alles durcheinander und ließ sich Zeit mit der erneuten Ordnung. Als er seinen Blick wieder heben konnte, war Kid bereits aufgesprungen, offensichtlich weniger betroffen von der kleinen Attacke, wandte ihm den Rücken zu und hielt etwas in den Händen. Verwirrt blinzelte der junge Mediziner, versuchte auszumachen, was der Gegenstand war und erkannte es, durch die bunte Schnur, die sich von Kids Hüfte abwärts, bis zum Boden schlängelte. Er seufzte. Es war der Drachen des Jungen, der die letzte halbe Stunde wie ein Irrer durch diesen Park gelaufen war, in der Hoffnung, sein Flugmodell in den Himmel zu befördern. „Tut mir Leid!“, rief eine hohe Stimme von weitem, während das besagte Kind auf sie zugelaufen kam und entschuldigend winkte. In seinem letzten Startversuch, musste der Drachen wohl an Höhe gewonnen haben, nur um dann unvorteilhaft auf sich seltsam räkelnde Männer auf einem Laubhaufen zu fallen – Law war sich nicht sicher, ob er den Jungen lynchen oder ihm einen Orden verleihen sollte. Sein Herz raste immer noch am Limit, seine Haut, die Stellen, die Kid berührt hatte, sie kribbelten fortwährend. „Alter, was soll der Scheiß?“, beschwerte sich in diesem Augenblick der exzentrische Rotschopf, als er dem Kind sein Spielzeug zurückgab, „So wird das eh nichts.“ Überraschend und gleichzeitig fasziniert beobachtete Law die nächsten zehn Minuten, wie Kid dem fremden Kind half, den Drachen endlich in die Luft zu bekommen. Er schien dabei so konzentriert am Werk zu sein, dass es wirkte, als habe er Law und ihr kleines Intermezzo von eben vollkommen vergessen – vielleicht war es aber auch nur für Law eine Ausnahmesituation gewesen und eine solche Intimität fügte sich wie selbstverständlich in Kids Agenda, weshalb sie es auch nicht wert war, weiter bedacht zu werden, wenn es wichtigere Dinge zu tun gab – Drachen steigen lassen, beispielsweise. Der Mediziner lachte frustriert, als er seinen Hut aufsetzte. Er konnte sich immer noch keinen Reim aus all diesen wunderlichen Puzzleteilen machen, die Kid ihm unentwegt und unsortiert an den Kopf warf. Tatsächlich schafften es die beiden schließlich und der Drachen flog. So kehrte der Junge mit den feuerroten Haaren mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen zurück. Er wischte sich dabei mit dem Ärmel übers Gesicht, wodurch auch die letzten Spuren von Laws Laubattacke verschwanden, griff in seine Hosentasche und holte ein Handy hervor. Davon abgesehen, dass Law niemanden außer Kid kannte, der ein solch veraltetes Modell benutzte, geschweige denn besaß, denn wenigstens ein Farbdisplay gehörte, seiner Meinung nach, inzwischen zur grundlegendsten Grundausstattung, wusste er nicht, wie er reagieren oder was er sagen sollte. Zumindest war das Geheimnis um den Gegenstand in Kids Hose gelüftet. Nachdem er kurz einige Tasten gedrückt hatte, steckte Kid das Handy wieder weg und sah aus grünen Augen zu Law hinab. Die Sonne war inzwischen verschwunden, das Tageslicht wurde dunkler, der Horizont leuchtete zwar noch rötlich, doch nahm der Himmel ein pastellfarbenes Blau an. Es war Laws liebste Tageszeit, durfte er angenehm feststellen – der letzte Sonnenhauch, vor der dunklen, langen Nacht. „Wir müssen los“, nuschelte Kid mit einem Mal, streckte eine Hand aus und half Law beim Aufstehen, welcher die Hilfe annahm und dabei keine weiteren Nachfragen stellte. „Du magst Kinder?“, scherzte der junge Student stattdessen, während er ein letztes Mal seine inzwischen klammen Klamotten abklopfte. Kid fuhr sich nachdenklich durch die Haare, dann verzog er den Mund. „Stimmt… vielleicht. Eher Herausforderungen“, erklärte er, beließ seine Mimik ausdruckslos: „Einmal ganz davon abgesehen, dass du mir noch nicht geantwortet hast.“ Erwartungsvoll fixierte er Law. Dieser erschrak kurz, hatte nicht damit gerechnet, dass der Rotschopf das kleine Laubgeflüster von eben noch einmal erwähnen würde. Einen Moment lang sprach keiner ein Wort, Law blickte erschrocken wie ein kleines Kind, fühlte sich innerlich als auch äußerlich ohnmächtig eine Antwort zu finden, traute sich nicht einmal mehr zu atmen, in der Angst, selbst die Luft könnte etwas verraten, dass er selbst nicht einmal wusste. Schließlich war es Kid, der ihn erlöste, lachte und sich abwandte, um zurück zum befestigten Weg zu tigern, die Hände vergraben in den Hosentaschen. „Lass es stecken“, murmelte er amüsiert, „Wir müssen uns beeilen. Ich will dir wen vorstellen“, erklärte er, drehte sich noch ein letztes Mal in der Bewegung um, nur um sicherzugehen, dass Law ihm folgte. Der Student musste allerdings die ersten Meter laufend zurücklegen, da ihm die Erleichterung zunächst hatte erstarren lassen. „Was ist mit dem Fahrrad?“, fragte er schließlich, als er aufgeschlossen hatte – auch wenn er die Höllenfahrt ungern wiederholen würde. Kid warf ihm einen verwirrten Blick zu, schob die Augenbrauen gegeneinander und zog die Mundwinkel nach unten: „Fahrrad?“, fragte er nachdenklich. „Dein Fahrrad?“ Ein lauter Atemzug verriet, dass der Groschen gefallen war. Kurz darauf folgte ein ungläubiges Grinsen, gepaart mit einem abschätzigen Kopfschütteln. „Ja, mein Fahrrad… hole ich morgen ab“, meinte er voller Sarkasmus und beschleunigte das Schritttempo – Law hielt mit. Seine Laune hatte sich indes merklich verschlechtert, denn er konnte es einfach nicht verstehen. Wie konnte dieser so offensichtlich psychisch gestörte Mensch ihm, einen Medizinstudenten im letzten Semester, nur immer wieder das Gefühl geben, er sei der letzte Volltrottel auf Erden? Die letzte Bemerkung war dem Studenten nun mehr als peinlich und ließ ihn zunächst verstummen, wobei er die Krempe seiner Mütze tiefer ins Gesicht zog, um seine von Verlegenheit gezeichneten Augen zu verstecken. Es war nicht einfach mit Kid Schritt zu halten, denn dieser stürmte geradezu aus dem Park heraus, bog links ab und folgte einer Seitenstraße. Law nutzte das Schweigen, um einen Plan zu entwickeln, wie er diesen Ausflug für sich nutzen konnte, denn schließlich war er mitgekommen, um etwas mehr über den kranken Rotschopf zu erfahren, nicht wahr? Bisher war seine Mission allerdings nicht gerade von Erfolg gekrönt. Als ihm nichts Gescheites einfiel, ergab er sich seiner Neugierde und nahm zumindest das Gespräch wieder auf. „Wo gehen wir hin?“, fragte er und musste dabei seinen Kopf in den Nacken legen, um unter seinem Hut hervor zu lugen, damit er Kid anschauen konnte. Kaum war es ausgesprochen, da erreichten die beiden eine Straßenbahnhaltestelle, an welcher abrupt angehalten wurde, sodass Law beinahe in seine Begleitung hineingestolpert wäre. „Ich hab‘ dir doch gesagt, dass ich dir jemanden vorstellen will“, murrte Kid, offensichtlich beleidigt von dem Gedanken, dass Law ihm nicht richtig zugehört hatte. Gerade als er etwas erwidern wollte, erklärte eine mechanische Ansage, dass die Bahn gleich ankommen würde und so entschied der angehende Mediziner, eine ganz andere Frage zu stellen: „Brauchen wir keine Tickets?“ Während Law bereits in seiner Tasche nach Kleingeld suchen wollte, beobachtete er zu seiner Empörung, wie Kid entnervt die Augen verdrehte und zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Tag den Kopf schüttelte: „Tu mir den Gefallen und versuch‘ gleich wenigstens so zu tun, als wärst du locker…“, seufzte er herzzerreißend. Laws Reaktion zeigte sich in einem ungläubig geöffneten Mund, wobei er jedoch nicht wusste, welche Worte er dieser Unverschämtheit entgegensetzen konnte – musste er auch nicht. In diesem Moment wurde die beinahe vollendete Dämmerung von künstlich-gelben Licht durchschnitten, ein lautes Rattern erfüllte die Luft und die Straßenbahn erreichte ihre Haltestelle. Nachdem alle Passagiere ausgestiegen waren, betraten die beiden jungen Männer den Innenraum, der zu dieser Tageszeit so gut wie leer war, sodass sich der angehende Mediziner fragen musste, wieso sie all die freien Sitzplätze verschmähten und stattdessen das gesamte Abteil durchliefen – wieder seufzte er. Egal, was sie auf diesem ‚Ausflug‘ auch taten, jede kleinste Aktion rief mehr Fragen auf und dabei hatte sich für Law noch keine einzige beantwortet. „Die Fahrkarten bitte.“ Law sah überrascht auf, erkannte aber gleichzeitig, dass es Kid selbst war, der die seltsame Aufforderung durch die Bahn gerufen hatte, nur um sich just in diesem Augenblick unter lautem Kichern in einen Vierer zu werfen, der bereits durch eine Person belegt war. „Wichser“, nuschelte der fremde Kerl, streckte aber eine Faust aus und wartete, bis Kid mit seiner eigenen dagegen schlug. Law blieb verwirrt stehen, wobei er eine Augenbraue hob, um seiner Gefühlslage weiteren Ausdruck zu verleihen. Kid musste die Zeichen gedeutet haben, denn nun rutschte er zur Seite und zeigte Law dadurch, sich neben ihn zu setzen. Der Mediziner folgte schweigend der Anweisung. „Wer ist der Hübsche?“, fragte die dritte Person prompt und ließ dabei das freundliche Kompliment zu einer Beleidigung werden, die deutlich machte, dass er nicht viel von Kids Begleitung halten konnte. Ob es an ihm persönlich oder an seinem – im Vergleich zu Kid und dem Neuling – bessergestellten Kleidungsstil lag, vermochte Law dabei noch nicht zu sagen, aber er erinnerte sich daran, dass Kid am Morgen dieselbe Formulierung benutzt hatte. „Mein Arzt“, erklärte eben dieser in aller Kürze, verpackt als beiläufige, wenig interessante Information, während er eine Hand zu seinem Gegenüber ausstreckte und erwartungsvoll die Augen aufriss. Der Unbekannte kramte in seiner Tasche und überreichte eine weiße Plastiktüte, welche der Rotschopf augenblicklich öffnete und etwas hervorholte, das in Alufolie gewickelt war und verführerisch roch. Law entlarvte es als eine Falafeltasche und ignorierte dabei sein eigenes Leeregefühl im Magen. Vielmehr stutze er über die abstruse Situation. „Ist der nicht nen bisschen jung, um Arzt zu sein?“, hakte der Dritte nach, starrte dabei unentwegt auf die ihm unbekannte Person. Da Kid unter vergnügtem Kauen den Mund voll hatte, die Gegenantwort also warten musste, nahm sich Law Zeit, diesen fremden Typen etwas genauer zu betrachten. Soweit er das im Sitzen beurteilen konnte, war er mindestens so groß wie Law selbst, seine Klamotten wirkten jedoch ebenso heruntergekommen wie Kids: Eine dreckige Hose, ein schwarzes Shirt mit weißen Punkten unter einer alten Jeansjacke. Allerdings roch er weniger nach Rauch und Alkohol. Wie alt er war, konnte nur schwer beurteilt werden, denn um seinen Hals trug er einen weiten, blau-weiß gestreiften Schal, der sein Gesicht bis zur Nasenspitze verdeckte. Darüber sorgte eine dunkle Mütze mit kleinem Schirm, unter welcher sich lange, blonde Haare hervorkämpften, dafür, dass auch von seiner Stirn und den Augen nicht viel zu erkennen blieb. Law musste seine Augen geradezu anstrengen, um unter den Schatten etwas menschliches auszumachen – doch als es ihm gelang, raubte es ihm unmittelbar den Atem. Entsetzt wandte er sein Gesicht Kid zu, welcher sich gerade seelenruhig den letzten Bissen der Teigtasche in den Mund schob, angestrengt kaute und mit Resten weißer Soße um den Mund begann, seine Fingerspitzen abzulecken. Law konnte nicht fassen, in was für einer Welt er hier gelandet war und kam nicht umhin, an die Worte seines Onkels zu denken und dessen scherzhafte Anspielungen auf die Geschichte der kleinen Alice im Wunderland. So hoffte er für einige Sekunde, dass gleich auch vor ihm ein grinsender Katzenkopf auftauchen würde, dessen Anblick ihn bestätigte, dass dies alles nur ein böser Traum sein konnte – doch halt! Führte die Katze Alice‘ nicht zum Hutmacher? Wie auch immer, er schien den Hutmacher auch ohne Hilfe gefunden zu haben. Sein Großvater sollte Recht behalten. „Egal. Hör auf alles wie son kleines Mädchen zu hinterfragen, Killer!“, antwortete Kid schließlich auf die Frage seines Kumpels und leckte sich dabei mit der Zunge langsam über die Lippen, bis auch die letzten Indizien des Abendessens verschwunden waren, wischte sich noch ein letztes Mal mit dem Handrücken über den Mund und lehnte sich entspannt zurück: „Er heißt Law und kommt heute mit.“ Doch der Student konnte nur schwer schlucken, unsicher darüber, ob er bei der nächsten Haltestelle nicht einfach aufspringen und aus der Bahn und vor dieser ganzen Freakshow fliehen sollte – Hatte Kid den Typen gerade Killer genannt?! Law wurde gleichzeitig heiß und kalt, während sich seine Hände schmerzhaft in das raue Plastik seines Sitzplatzes krallten. Als er seinen Blick hob, konnte er es genau sehen, ja geradezu spüren. Er wollte nicht hinschauen und dennoch klebte sein Blick - wie eine Fliege im Spinnennetz, wie ein Schaulustiger, der nicht aufhören wollte, die Katastrophe zu filmen - am Gesicht des Mannes ihm gegenüber. Abermals musste Law trocken schlucken, um ruhig zu bleiben. Im Licht der Straßenlaternen, die sie passierten, konnte er sie nun deutlich erkennen. Narben. Rund um die Augen und an den Stellen, die nicht von Mütze, Haaren oder Schal bedeckte waren. Brandnarben. In seinem Hals bildete sich ein Kloß, der ihm die Luft zum Atmen nahm. ‚Killer‘ brauchte ihm nicht weiter vorgestellt zu werden. Er wusste bereits, wer der Kerl war. Er wusste, woher die Narben kamen und was noch schlimmer war – Er wusste, dass der Verursacher dieser Entstellung quietschvergnügt neben ihm saß und dabei verspielt eine Hand auf Laws Knie legte… ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)