Isolation von Kerstin-san ================================================================================ Kapitel 1: Isolation -------------------- Molly sieht ihn alleine auf der Tanzfläche stehen. Wobei “alleine“ ein relativer Begriff ist. Immerhin steht er inmitten einer tanzenden, fröhlichen Menge. Dennoch wirkt Sherlock unter all den Menschen deplatziert und völlig isoliert. Und auch wenn es außer ihr niemandem aufzufallen scheint oder es schlicht niemanden interessiert, so weiß sie doch ganz genau, wie Sherlock sich im Moment fühlen muss. Ausgeschlossen. Ausgestoßen. Verstoßen. Fehl am Platz. Diese Wortwahl scheint höchst unpassend in Bezug auf Sherlock Holmes zu sein, schließlich kümmert es ihn kaum, was andere von ihm denken, aber es ist nun einmal eine Tatsache, dass seine zweijährige Abwesenheit einiges an ihm verändert hat. Was aber dazu geführt hat, dass es ausgerechnet Auswirkungen auf sein Sozialverhalten hatte, nun, darüber kann Molly nur spekulieren. Fakt ist aber, dass er nun offener wirkt. Verletzlicher. Molly könnte ihm helfen. Was wäre einfacher, als zu ihm herüberzugehen und sich mit ihm zu unterhalten? Sie würde ihn zum Rand der Tanzfläche lotsen, sich ein Getränk schnappen und ihn auf seine wundervolle Komposition ansprechen, was sicher ein angemesseneres Gesprächsthema auf einer Hochzeit wäre, als wenn sie über ihre Arbeit oder seine Fälle sprechen würden. Natürlich würde Sherlock ihr vollkommen wissenschaftlich erläutern, wie er die Komposition zu Stande gebracht hat. Dennoch wäre es ein Thema für das er sich erwärmen könnte. Molly würde ihm zuhören, zustimmend nicken, obwohl sie keine Ahnung hätte, über was genau er eigentlich spricht. Moll, Dur, Akkorde, Rhythmusveränderungen, wiederkehrende Sequenzen. Für sie nur Fachausdrücke, für ihn eine ganze, sich selbsterklärende Welt. Das Einzige, was sie wüsste, wäre, dass sich das Ergebnis absolut traumhaft anhört und sie es wundervoll und erstaunlich zugleich findet, dass ein einzelner Mensch etwas so schönes kreieren kann. Das wäre ein mögliches Gesprächsszenario. Das Beste, auf dass sie hoffen könnte. Genauso gut wäre es aber auch möglich, dass Sherlock seine Unsicherheit über diese ungewöhnliche Situation ganz anders zum Ausdruck bringen würde. Er könnte sich über ihre Kleiderwahl lustig machen, könnte sie mit seinen üblichen Deduktionen förmlich überfallen, könnte Molly mit Dingen konfrontieren, die sie sich momentan selbst noch nicht eingestehen will oder weiß Gott noch viel schlimmeres tun, wenn er das Gefühl hätte, dass sie nur aus Mitleid mit ihm spricht. Sie ist sich zwar ziemlich sicher, dass er nicht vorhat für einen Eklat auf Johns Hochzeit zu sorgen, - nun nicht noch einen - aber das Problem bei Sherlock ist, dass man sich nie wirklich hundertprozentig sicher sein kann, wie er reagieren wird. Die schlichte Wahrheit ist zudem, dass Molly im Moment einfach keine Energie dafür hat. Weder für eine normale, gut verlaufende Unterhaltung und schon gar nicht für einen schlecht gelaunten Sherlock, der nur darauf aus ist, sie mit seinen Worten zu verletzen. Sie ist gerade dabei den chaotischen Nachmittag erfolgreich zu verdrängen. Wie Sherlock während seiner konfusen Rede zwischenzeitlich völlig den Faden verloren hat und sie ihn am liebsten geschüttelt und angeschrien hätte, was zum Teufel denn nur mit ihm los sei. Wie sie die SMS, die Greg erhalten hat, mitgelesen und plötzlich mit dem Schlimmsten gerechnet hat. Wie sie Tom mit voller Wucht eine Kuchengabel in die Hand gerammt hat. Letzteres schockiert sie immer noch. In diesem Moment hat sie einfach nicht nachgedacht, sondern automatisch gehandelt. Sie wusste ja, dass irgendetwas im Gange war und das der Grund für Sherlocks ungewöhnliches Verhalten sein musste. Tom nicht. Was natürlich keine Entschuldigung ist, dass sie ihn auf diese Weise dazu bringen wollte, still zu sein. Jedenfalls ist es gerade so, dass sie sich langsam wieder entspannt, viel redet, tanzt, lacht und davon überzeugt ist, dass der Abend doch noch irgendwie versöhnlich enden wird. Kein guter Zeitpunkt also, um sich mit Sherlock Holmes zu befassen. Molly hat sich in den letzten Jahren wirklich oft genug ausgeklinkt, um etwas für andere Menschen zu tun. Hat sich selbst isoliert und damit ins Abseits gestellt. Aber das wird sie jetzt nicht noch einmal tun. Sie ist nicht für Sherlocks Wohlergehen verantwortlich. Sie kann nichts für seine selbst gewählte Isolation. Er hat schließlich auch all die Jahre vorher überstanden, ohne dass er permanent von einer fürsorglichen Glucke überwacht worden ist. Also wendet Molly sich entschlossen von ihm ab. Dreht ihm bewusst ihren Rücken zu und beginnt noch ausgelassener zu tanzen. Er könnte ja auch einmal einen Schritt auf sie zumachen, wenn er nur wollen würde. Er könnte das Gespräch mit ihr oder mit irgendjemand anderen suchen, wenn er nur wollen würde. Aber sie weiß, dass er das nicht tun wird. Es ist nicht seine Art.  Molly riskiert einen letzten Blick über ihre Schulter. Das einzige, was sie von ihm sieht, ist seine hochgewachsene Gestalt, die sich alleine Richtung Ausgang bewegt. Sie könnte ihn immer noch problemlos einholen. Wenn sie nur wollen würde. Aber sie will nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)