Spirit von abgemeldet (ein Totoro-Oneshot) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Spirit Regen prasselte auf das Blätterdach des Waldes. Ein beruhigendes Geräusch. Ein Fünkchen von Frieden. Einer dieser Momente, in denen er die Augen schloss, sich im Schutz seiner Baumhöhle zurücklehnte und die Gedanken schweifen ließ. Das monotone Prasseln der Wassertropfen versetzte ihn in Tranche. Und seine Gedanken wanderten vom Hier und Jetzt unweigerlich in die Vergangenheit. Als die Reispflanzen auf den Feldern wuchsen. Üppiges Gras sich über die Hügel ergoss. Das Rascheln der Baumkronen im lauen Sommerwind. Der Bach, der ruhig vor sich hin plätscherte. Ein Meer von wilden Blumen, blühenden Büschen und Sträuchern. Kinderlachen. Warmer Sommerregen. Die Zikaden, die in lauen Sommernächten die vollmondbeschienenen Wiesen mit ihrem Gezirpe erfüllten. Schmetterlinge und Nachtfalter in undenklichen, schillernden Farben. Rehe, Kaninchen, Wildschweine, Füchse, die friedlich den Wald durchstreiften. Der Gesang der Vögel. Ein Orchester, welches tagein, tagaus durch den Wald hallte. Jetzt herrschte Stille. Die Vögel waren fort. Die Tiere des Waldes ebenso. Die Geräusche des ehemals üppigen Grüns verstummten. Jeden Tag wurde der Puls der Natur schwächer. Bäche, Wiesen und Felder waren einer harten, grauen Decke aus Asphalt gewichen. Wo früher Flora und Fauna pulsierten ragten nun die leblosen Gerippe riesiger Gebäude in die Höhe. Fahrzeuge verpesteten die Luft. Grauenhaftes, grelles Licht machte die Nacht zum Tag. Und der riesige Wald war auf ein Minimum geschrumpft. Eine kleine Insel Grün in einem riesigen Ozean aus Beton, Zahnrädern und Technik. Die brutalen Eingriffe der Natur waren auch an den Waldgeistern nicht spurlos vorbei gezogen. Konnten sie sich einst frei durch die Weiten der hiesigen Natur bewegen, waren sie nun Gefangene in einem verdorbenen, verseuchten und eingezäunten Areal. Viele von ihnen mussten für das Streben der Menschen nach Bequemlichkeit, Raum und Fortschritt ihr Leben lassen. Gebunden an die Pflanzenwelt der Gegend fielen nicht nur die Bäume der Rodung zum Opfer. Und diejenigen von ihnen, die überlebt hatten, waren nur noch ein Schatten ihrer Selbst. So wie die Natur unter der fortschreitenden Bebauung litt, litten auch sie. Ehemals schneeweißes Fell hing zerzaust, stumpf und grau von ihren ausgezehrten Körpern. Die wachsamen Ohren hingen schlaff und zerfetzt von ihren Köpfen. Die Augen trüb, entzündet und blind. Zusammengepfercht in den letzten Quadratmetern Tann, die ihnen noch geblieben waren. Auch Totoro war keine Ausnahme. Der ehemals so wohlgenährte, fröhliche Gott des Waldes war kaum wiederzuerkennen. Kahle Stellen breiteten sich immer weitläufiger im grauen, verfilzten Fell aus. Die Haut dünn und blutig. Schlaff hing sie über seinen Rippen, die sich bereits deutlich abzuzeichnen begannen. Seine Augen rot und entzündet von den Abgasen der Baumaschinen. Eines seiner Ohren war diesen technischen Ungetümen zum Opfer gefallen. Seine Krallen abgebrochen, rissig und gesprungen. Das Prasseln des Regens wurde leiser, bis es ganz verstummte. Totoro erwachte unsanft aus seiner Tagträumerei. Kaum, dass der letzte Tropfen den Boden berührt hatte, erfüllte das Getöse der Maschinen seine Ohren. Er grummelte und knirschte mit den Zähnen. Das unbarmherzige Wummern, Brummen, Heulen und Scheppern der riesigen Lastwagen, Bagger und Kräne sorgte dafür, dass sich ihm der stark ausgedünnte Pelz aufstellte. Der Baumstamm erbebte um ihn herum, als sich Baggerschaufeln in die dicken Wurzeln seines Unterschlupfes verbissen. Immer mehr und mehr dieses uralten, spirituellen Ortes zu Nichte machten. Die wenigen Überlebenden seiner Waldgeister suchten wimmernd Schutz an seinem malträtierten Körper. Und wie er sie so erblickte, in all ihrem Elend, wusste er, was zu tun war. Er durfte nicht aufgeben. So aussichtslos die Situation auch zu sein schien, er stand in der Verantwortung ihrer aller Leben. Er atmete tief ein. Die letzten ausgedünnten Gerüche des Waldes, durchsetzt mit Benzin und Asphalt und Staub. Immer schneller und schneller sog er die Luft ein und stieß sie brummend wieder aus. Dann nahm er all seine Kraft zusammen und erhob sich. Bäumte sich auf in all seiner verbleibenden Herrlichkeit. In dem Moment, als die Baumaschinen durch die Rinde des hohlen Stammes stießen, entfuhr ihm ein gewaltiges Grollen. All die Wut und der Schmerz der letzten Jahre entluden sich darin. Zielstrebig trat er in das Licht der Baustrahler. Doch die Menschen blieben blind. Nur ein alter Mann, der das Treiben aus einiger Entfernung beobachtete, schien Notiz von ihm zu nehmen. Als er den Gott erblickte, schien er seinen Augen nicht zu trauen. Doch er begriff. Schleppte sich schwer auf seinen Stock gestützt vor die Baumaschinen. Totoro unterdessen bemühte seine letzten Energiereserven. Mühsam bohrten sich die ersten kleinen Keimlinge durch den Teerboden, während der Herr des Waldes bereits in die Knie ging. Die Maschinen verstummten. „Was soll das, alter Mann? Verschwinde!“, schrie einer der Arbeiter. Doch der Greis blieb ruhig. Blickte den Waldgott an, dem außer ihm keiner wahrzunehmen schien. „Seht doch…“, sprach der Alte und deutete mit seinem Stab auf den Asphalt. Nach und nach wandten sich die Arbeiter zu der Stelle um, auf die er deutete. Langsam begriffen sie. Und auch die Waldgeister begriffen. Sie waren nicht verloren. So lange nur ein Einziger ihrer Existenz gewahr wurde, würden sie nicht vergehen. Sie fassten sich an den Pfoten. Tanzten einen Reigen um die jungen Keime, die nun immer weiter und weiter wuchsen. „Was geschieht hier, Opa?“ „Die Geister des Waldes…“ „Was meinst du?“ „Setzt euch.“ Mit ruhiger, weiser Stimme begann der Alte zu erzählen. Vom Wald. Von seinen Bewohnern. Von vergangenen Zeiten. Und schließlich auch von den Waldgeistern, während um sie herum die Flora das Schwarz und Grau der Straßen aufbrach. Ihre Herzen taten sich auf, ob der Geschichte des Mannes. „Seht nur…“, rief einer, und deutete auf Totoro. Ein anderer erblickte die kleinen, tanzenden Wesen. Sie trauten ihren Augen kaum. Doch nahmen die ersten ihren Mut zusammen und schlossen sich den Wesen an. Sie glaubten. Und mit ihrem Glauben, kehrte Stück für Stück auch die Kraft und das Leben in Totoro zurück. Jahre später waren die Wunder dieser Nacht längst vergessen. Doch immer noch kamen Menschen mit ihren Familien in den riesigen Stadtpark und erzählten ihren Kindern und Enkeln die Geschichte von Totoro. Und ab und an, im Licht der Dämmerung konnte man ihn und seine Waldgeister um die Statue des alten, namenlosen Mannes tanzen sehen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)