Homoarsch von Jaelaki (schrieben sie) ================================================================================ Prolog: Am Ende (In the End) ---------------------------- Prolog Am Ende (In the End) I had to fall To lose it all But in the end It doesn't even matter. (Linking Park – In the End) Es war mein Geheimnis. Ich kämpfte dagegen an. Als es nicht verschwand, schloss ich es in mir ein und tat so, als wäre es kein Teil von mir. Ich war nicht normal. Doch dann traf ich dich. Du hast gesagt, dass niemand jemandem vorschreiben dürfte, was Liebe wäre oder wie oder mit wem. Nicht, wenn beide liebten, frei und ehrlich. Du hast gesagt, du würdest mich lieben und es wäre dir egal, dass ich ein Junge sei. So wie du. Aber Liebe trägt Masken. So wie wir jeden Tag Masken tragen. Manchmal sehen wir nicht durch die Masken hindurch und werden getäuscht. Du hast gesagt, du würdest immer zu mir stehen. Dass ich nicht mehr dagegen kämpfen müsste. Nicht mehr allein. Du hast es mir versprochen. Doch am Ende war es dir egal. Oder? Kapitel 1: Wach und Lebendig (Awake and Alive) ---------------------------------------------- Kapitel 1 Wach und Lebendig (Awake and Alive) I'm awake, I'm alive,  now I know what I believe inside.  Now it's my time,  I'll do what I want, 'cause this is my life.  Here, right now,  I'll stand my ground and never back down.  I know what I believe inside,  I'm awake and I'm alive. (Skillet – Awake and Alive) Als er mich küsste, dachte ich nicht daran, dass er einen Penis hatte. Nicht daran, dass andere denken könnten, dass wir unter einer Störung litten oder wie andere reagieren würden. Ihre Blicke, das Getuschel, die Gerüchte. Als er mich küsste, spürte ich seine warmen Lippen, seine Hand, die mir langsam über die Wange strich und die andere, die auf meinem Rücken lag. Ich dachte nicht. Ich spürte. Ich spürte seine Nähe und Zuneigung und es fühlte sich richtig an. Dieser Moment. Er. Und ich. Ich wusste, es war richtig. Richtig für uns. Ich war wach und lebendig. Nicht nicht-schlafend und nicht-tot. Sondern voller Lebensfreude, Erwartungen, Hoffnungen und Träume. Voller Liebe. In seinem Blick stand genau das. Und es überwältigte mich. »Es ist mir egal«, flüsterte er mir zu, »was andere denken.« Als er mich küsste, konnte ich nicht wissen, dass es der Welt nicht egal war, dass er einen Penis hatte, so wie ich. Dass sie behaupteten, wir litten unter einer Störung. Ihre Blicke, das Getuschel, die Gerüchte. Ich konnte nicht wissen, dass andere besser zu wissen glaubten, was richtig und was falsch war. Für uns. Uns zerstören würden. Stück für Stück. Bis nichts mehr von diesem Moment übrig blieb. Kapitel 2: Freund (Boyfriend) ----------------------------- Kapitel 2 Freund (Boyfriend) If I was your boyfriend, I'd never let you go I can take you places you ain't never been before Baby take a chance or you'll never ever know. (Boyfriend – Justin Bieber) »Los! Lass uns ein Foto machen!« Er sah mich mit seinen blauen Augen an und ich verdrehte meine. Auf Fotos sah ich immer bescheuert aus. Nicht, dass es ihn davon abhielt, sie zu knipsen. Wir saßen am Weiher. Es waren Sommerferien. Die Sonne brannte auf uns hinunter und das Wasser umspülte unsere Beine. »Na, schön«, gab ich nach, »aber nur eines!« Natürlich blieb es nicht dabei. Wie ich in die Sonne blinzelte, wie ich verlegen meine Hände vor das Gesicht schlug, wie ich ihm die Zunge herausstreckte. Er strich mir die Wange entlang. Seine nassen Strähnen hingen ihm in der Stirn und im Nacken. Seine Sommersprossen auf der Nase waren leicht gerötet. Seine Fingerspitzen fuhren meine Lippen nach. »Nicht hier«, murrte ich. Hier konnte uns leicht jemand sehen. Er wusste, dass ich das nicht wollte. Obwohl es weh tat, als wäre es etwas Verbotenes. Vielleicht war es das. Er überspielte die Situation, so wie er es immer tat und grinste schief. »Du weißt, dass ich dich liebe, oder?« Obwohl es eine Frage war, klang es wie ein Versprechen. »Ich stehe zu dir.« Ich wich seinem Blick aus. »Ja!«, knurrte ich. »Willst du es mir jetzt vorwerfen?« Sprach er nur nicht aus, warum ich nicht zu ihm stand? Manchmal stellte ich mir vor, wie es hätte sein können, wenn wir normal wären. So ein Quatsch“, flüsterte er mir zu und nahm wie nebenbei meine Hand. Wären wir normal, dann wäre er nicht an meiner Seite, würde mich nicht so ansehen, etwas in mir berühren. Ohne ihn würde es sich nicht so anfühlen, als würde ich jeden Tag einen unbekannten Ort erkunden und trotzdem zu Hause sein. »Ich will nur, dass du weißt, dass du gar nicht sooo blöd bist, wie ich manchmal sage“, zog er mich auf und ich verdrehte die Augen. Schon wieder. Ich hätte nie erfahren, was es heißt, einen Freund zu haben. Kapitel 3: Auto jagend (Chasing Cars) ------------------------------------- Kapitel 3 Auto jagend (Chasing Cars) If I lay here If I just lay here Would you lie with me and just forget the world? I don't quite know How to say How I feel (Snow Patrol)         Der Herbst näherte sich und rauschte um das Haus herum. Der letzte Tag Sommerferien. Und es regnete. Schwere Tropfen klopften gegen die Fensterscheibe. Ich schloss es und wandte mich um, seufzte. »Was ist?«, fragte er und lächelte. »Sommerferienmelancholie?« »Vielleicht«, erwiderte ich und rieb mir über die Augen. Solches Wetter machte mich immer müde. Ich ließ mich zurück auf das Bett fallen und er lehnte sich an mich. Sein Blick rutschte wieder zum Fernseher, wo irgendeine Serie lief. Die Tüte mit den Gummibärchen raschelte. Ich seufzte schon wieder. Spürte seine Augen seitlich zu mir hoch schielen. »Was ist?«, hakte er nach. »Nichts«, behauptete ich. Sein Blick sprach Bände. Nichts war nie nichts. Doch er beharrte nicht darauf und schaute erneut fern. Ich spürte, dass er aufmerksam jede meiner Bewegungen neben sich, jeden Seufzer genau mitbekam und ich ihm irgendwann eine Antwort schuldig war. Ich rang mit mir selbst. Innerlich. Schon lange, immer wieder. Es war mein Geheimnis. Es war unser Geheimnis. »Was wäre, wenn –« Meine Stimme verlor sich zwischen unausgesprochenen Gedanken und einem unguten Bauchgefühl. »Was denkst du, wäre, wenn – also – wir – sagen –« Ich tigerte durch das Zimmer, verknotete ich meine Finger ineinander. »Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll«, murmelte ich. Er lächelte mich an und zog mich langsam zu sich. »Wenn's soweit ist, ist es soweit«, behauptete er und es klang wie ein altes Sprichwort, dabei war ich mir sicher, dass er sich das mal wieder aus den Fingern gezogen hatte. »Klar«, grinste ich zurück, lehnte mich an ihn und griff in die Tüte mit den Gummibärchen. Natürlich. Noch konnten wir einfach hier liegen, Süßigkeiten in uns hinein stopfen, die Zeit an uns vorbeiziehen lassen. Die Zeit genießen. Die Welt vergessen. Ich lugte zu ihm, als er gerade eine seiner rötlichen Strähnen aus dem Gesicht strich und wieder nach den Gummibärchen griff. In meinem Bauch hüpfte etwas. Brummte. Wie kleine Autos, die in meinem Magen umher rasten. Ein Wärme breitete sich aus, in meine Beine, über meine Wangen. Vielleicht wurde ich gerade wieder einmal rot. So viel Wärme. Ich wusste nur nicht, wie ich es ausdrücken sollte. Für ihn war es leicht. So natürlich. Er schämte sich nicht. Wäre ich nicht ich, sondern ein anderer, der sich auch nicht schämte, dann könnte er es allen zeigen. Aber ich schämte mich. Oder? Ich fürchtete die Reaktionen der anderen, die Blicke, die getuschelten Worte. Die kleinen Autos in meinem Magen rasten davon. Leere füllte meinen Bauch. Ohne ein Wort, aber mit einem Lächeln in seinen Augen, griff er nach den Gummibärchen und meiner Hand und hielt mir die Tüte hin.         Kapitel 4: Die Stadt (The City) ------------------------------- Kapitel 4 Die Stadt (The City) And I'm blazing on the street, What I do isn't up to you, And if the city never sleeps then that makes two. And my lungs hurt, And my ears bled, With the sounds of the city life, Echoed in my head. (Ed Sheeran)         Die Sache war, der Alltag holte mich wieder ein. Ferien endeten und damit begann die ganze Scheiße. Liebe ist Liebe, meinte meine beste Freundin zu mir, als ich ihr nach kläglichen Versuchen, in denen ich gar nichts herausbekommen hatte, schließlich gesagt hatte, was los war. Wir saßen bei ihr zu Hause in ihrem Zimmer, die Regale vollgestopft mit Büchern, manche so dick, dass man damit jemanden hätte erschlagen können. Wie sie die schaffte zu lesen, war mir ein Rätsel. »Ganz ehrlich«, holte sie aus und sah mich an, als könnte sie meine Aufregung nicht ganz verstehen, »das ist doch deine Sache. Ist mir doch egal, für mich ändert das nichts.« Sie lächelte und das nahm die Schärfe aus ihren Worten. »Du bleibst doch mein bester Freund, nicht?« Natürlich. Sie boxte mir spielerisch in die Seite und ein Grinsen kribbelte über meine Lippen.   Liebe ist Liebe, sagte ich mir und stand in der Küchentür. Liebe ist Liebe. Manchmal. »Mum, ich – also, wollte dir was sagen –« »Ja, was ist denn, Großer?« Ich mochte nicht, wenn sie mich so nannte. Es klang, als wäre ich ein Kind. Ich half ihr die Spülmaschine einzuräumen, was sie überrascht aufsehen ließ. Aber ich musste etwas mit meinen unruhigen Fingern machen. »Weißt du – ich – also ich hab einen Freund.« »Ja, okay –« »Nein, ich meine – ich habe einen [style type="italic"]Freund[/style].« »Achso –« Es wurde ganz still und mir sank das Herz in die Hosen. Wie ein Stein, der mir die Lungen hinabrutschte. »Du meinst sicherlich den jungen Herren, der bei uns ein- und ausgeht?«, fragte sie nach Sekunden, die sich wie ein Gummiband gedehnt hatten.  »Ähm – ja.« Ich wartete auf den Schmerz, wenn es zurückschnellte. »Ein sehr netter Junge«, meinte sie. Der Schmerz kam nicht. Das Gummiband verpuffte. Sie lächelte sie mich an und zog mich in eine Umarmung und obwohl ich es sonst nicht mochte, wenn sie das tat, kam es mir in diesem Moment vor, als fiele mir eine komplette Gebirgskette vom Herzen.   Liebe ist Liebe. Nicht ganz. Nicht immer. Als er mir einen flüchtigen Kuss zur Begrüßung auf die Lippen drückte, schwebten die Worte zwischen meinen Gedanken. Er ließ sich auf mein Bett fallen, während er die Schuhe auszog. »Ich habe es ihnen gesagt«, purzelten die Worte aus meinem Mund. In meinem Bauch kitzelte eine Mischung an Erleichterung und Freude. Euphorie, die ich unbedingt mit ihm teilen wollte. Weil ich ihn liebte und weil er das wissen sollte. Weil es auch andere wissen sollten. »Was? Du hast es ihnen gesagt? Warum?« »Weil es meine beste Freundin ist. Weil es meine Mutter ist. Aber es war kein Pro-« Er zog sich von mir zurück, schob den Mund vor. »Was ist denn?«, fragte ich verunsichert. »Nichts.« »Was – sag mir, was los ist«, forderte ich. Er zögerte, vermied Augenkontakt. Doch dann sah er auf. »Mein Vater will mich aus der Wohnung werfen.« »Warum?«, wollte ich entsetzt wissen. Er sah mich an, mit diesem Ausdruck in den Augen, den ich nie vergessen sollte. Liebe ist Liebe. Aber nicht für jeden.   »Hey! Stimmt es?«, rief mir einer von der Schule auf dem Heimweg über die Straße hinweg zu. Ich runzelte verdutzt die Stirn. Die Jungs da drüben kannte ich kaum, nur vom Sehen. »Stimmt es, dass du eine Schwuchtel bist?«, fragte er laut und die anderen brachen in Gelächter aus.         Kapitel 5: Dein Engel schweigt ------------------------------ Kapitel 5 Dein Engel schweigt halt mich - schrei nicht  spür dich - fest in meiner hand seh dich - wein nicht fühl dich endlich frei frag nicht - küss mich geh nicht nicht in dieser Nacht glaub nicht - such mich flieh nicht vor dir selbst (Staubkind – Dein Engel schweigt) Tagelang wich er mir aus. Meiner Berührung, meinem Blick, meinen Fragen, die in der Luft hingen. Irgendwann griff ich nach seiner Hand, während wir die Straße entlang gingen. »Was hat dein Vater gesagt?«, flüsterte ich. Er erstarrte und dann sah mich an, mit diesem Ausdruck in den Augen, den ich nie vergessen sollte. Liebe ist Liebe. Aber nicht für jeden. »Ich erinnere mich nicht genau an seine Worte. Aber es war etwas mit widerlich und abnormal.« Er sagte es ganz ruhig, als ginge es ihn eigentlich gar nicht direkt etwas an. Mir lief das Gefühl von Unglaube und Ohnmacht durch die Adern. »Aber ich dachte –«, brach ab und setzte mich auf eine Bank, vergrub meine Finger in meinen Haaren und saß da, die Ellenbogen auf die Schenkel gestützt. »Ich dachte, es – ich meine, wir wären für dich kein Problem.« »Es ist kein Problem für mich«, flüsterte er. In seinen Worten schwang mit, was er nicht sagte. »Du hast gesagt, dass du immer zu mir stehst«, erinnerte ich ihn und ich fühlte mich plötzlich so dumm und verletzlich. »Deswegen habe ich gedacht, dass –« »Deswegen habe ich es meinem Vater gesagt.« Er beugte sich zu mir, strich mir eine Strähne aus der Stirn. »Niemand darf einem vorschreiben, was Liebe ist«, behauptete er, »und auch nicht mit wem.« Ich wollte protestieren, doch er brachte mich mit seinen nächsten Worten zum Schweigen: »Es geht nicht um Junge oder Mädchen, es geht um die Person, es geht um dich. Nur um dich, Johannes.« Und so saßen wir da. So nahe, dass wir uns berührten, so entfernt, dass uns niemand seltsam anschaute. Ich legte meine Hand auf seine. In diesem Moment fühlte ich mich frei und geliebt und trotzdem wusste ich, dass sein sorgloses Lächeln nicht echt war. Genau dieses unechte Lächeln schwebte vor meinen Augen, als ich einen Tag später meine Freundin zur Rede stellte. »Wem hast du es sonst noch erzählt?«, fragte ich sie und der Vorwurf stand in meinen Augen, sie schaute verlegen. »Niemandem – bis auf – ich mein – ich hab's nur Sarah erzählt in der Pause, ich hab nur gemeint, dass ich es total wichtig finde, dass – also liebt wen man will und wenn man dazu steht. Und dass es trotzdem Idioten gibt, die das nicht kapieren, aber dass du dass du dich nicht davon unterkriegen lässt.« Wir saßen uns auf ihrem Bett gegenüber und sie knabberte auf ihrer Unterlippe herum, als wäre sie sich ihrer Schuld bewusst, aber dann sah sie auf und in ihren Augen stand, dass sie nicht verstand, warum ich mich so darüber aufregte. »Ich hab es dir erzählt!«, entgegnete ich aufgebracht. »Jetzt weiß es die ganze Schule!« »Sorry, Johannes«, meinte sie, »aber – früher oder später hätten sie es doch ohnehin erfahren, oder?« Ich warf ihr einen wütenden Blick zu. »Ich gehe. Von der ganzen Sache hab ich Kopfschmerzen.« Ich erhob mich und griff nach meiner Schultasche, streifte meine Jacke über, als sie mich am Ärmel zog. Dieses Mal wich sie meinem Blick aus. »Hey, Jo, ich – es tut mir leid.« »Ja – schön.« »Nein, wirklich«, wiederholte sie. »Ich hab es nicht böse gemeint.« Ich zuckte die Achseln. »Wir sehen uns in der Schule.« Sie folgte mir auf den Flur. »Ich –« Sie wollte noch etwas sagen, aber sie tat es nicht. Stattdessen nickte sie nur traurig und erwiderte ein leises »Ja, bis morgen«. Ich schloss die Tür zu der Wohnung hinter mir zu. Das Lächeln aus seinen Augen verschwand. Jedes Mal wurde er stiller. Das feixende Funkeln aus seinen Augen wurde stumpfer. Ich konnte nicht genau sagen, warum. Konnte es nicht festmachen, was sich veränderte. Jedes Mal, wenn ich ihn darauf ansprach, wiegelte er ab. »Stress mit meinem Vater«, meinte er oder »nur ein paar Idioten aus der Schule«. »Ich steh zu dir«, flüsterte ich ihm zu. »Egal, was sie sagen.« Er lächelte gequält und schwieg. Kapitel 6: Die Welt steht still ------------------------------- Kapitel 6 Die Welt steht still Sag mir, worauf wartest du denn noch? Was hält dich so lange auf? Wenn das alles ist, dann sag es jetzt! Streiche dich aus meinem Lebenslauf Die Welt steht still Zwischen uns Mach die Augen wieder auf Atme langsam wieder aus Die Welt steht still (Die Welt steht still - Revolverheld) »Hey, schwule Sau!«, rief er und die zwei Jungs, die mit ihm auf der anderen Seite der Straße liefen, gackerten. »Besorgt er's dir innen Arsch?« Wochen, Monate. Das Gerücht hatte sich verbreitet wie Öl im Wasser. Oberflächlich, aber gut sichtbar haftete es mir an. Mir war es egal. Anfangs. Ich hörte weg, denn ich wusste, dass die es nicht wert waren. Ich redete mir ein, dass es unwichtig war, dass mir die Worte nichts bedeuteten, weil die Typen mir am Arsch vorbei gingen. Aber es tat weh. In den schwachen Momenten, wenn es am Abend ganz ruhig war, dann hörte ich manchmal ihre höhnischen Stimmen, sah die provozierenden Gesten. Wut stauchte sich dann in meinem Magen und in meinen Fäusten zusammen. »Guckt mal, wer da wieder ist! Die Schwuchtel!« Wochen, Monate, in denen ich weg hörte. Doch ich vernahm ihr Gelächter und die Blicke. An diesem Tag – es war eigentlich gar kein besonderer – brannte es in mir durch. Ich schritt nicht ruhig weiter und ließ sie hinter mir. Ich wandte mich um, lief auf sie zu und rammte ihm meine Faust ins Gesicht. Erst herrschte Stille, keiner bewegte sich. Die Welt stand still. Nur mein schwerer Atem, als wäre ich kilometerweit gerannt. Dann sah ich ihre Gesichter. Die Überraschung, der Schock wich Wut. Solche, die sich auf meinen Magen, meine Rippen und mein Gesicht entließ. Schmerz brannte sich durch meinen Körper. Abscheu und Ekel presste meine Lungen zusammen und zwang mich immer weiter zu schlagen, zu treten, zu kämpfen. Selbst als ich vor Schmerz wimmerte, meine Finger nicht mehr spürte und vor Dreck und Tränen nichts mehr sehen konnte. »Willst du ihn umbringen?«, rief jemand. Aber dann riss mein Gedankengang und ich verlor jedes Zeitgefühl, lag auf dem Gehweg, das Bild vor meinen Augen drehte sich, dann verblassten die Farben und ich schwebte in der Dunkelheit. Zuerst nahm ich ein Piepen wahr. Dann spürte ich etwas an meinen Fingern und zuckte mit meiner Hand instinktiv zurück. »Oh«, machte jemand, »du bist wach.« Tagelang saß er immer wieder an meinem Bett. Manchmal sah er mich an, als wollte er etwas sagen. Aber er tat es nicht. Und ich tat so, als würde ich es nicht bemerken. Vielleicht weil ich mich davor fürchtete, was er sich nicht traute, mir zu sagen. Und so flüchteten wir uns in Oberflächlichkeiten und Smalltalk. »Vielleicht sollten wir –«, begann ich eines Abends und er sah mich an, als fürchtete er sich. Dieser Blick, den ich noch nie bei ihm wahrgenommen hatte, erschreckte mich und ließ mich verstummen. »Wir sollten das Ganze endlich beenden«, kam er meinen Worten zuvor. Worte, die ihm versichern sollten, dass ich ihn niemals im Stich lassen würde, Worte, die vorschlagen wollten, diese Idioten anzuzeigen. »Ja, auf jeden Fall«, stimmte ich ihm zu, glaubte, dass wir dasselbe darunter verstanden. »Wir könnten sie –« »Wir haben es versucht, aber«, behauptete er, »sie haben gewonnen.« Liebe ist Liebe. Aber manchmal gibt man sie auf, weil es so besser scheint. »Nein, haben sie nicht«, widersprach ich heftig. Alles in mir rumorte und strampelte, wie Tritte in meine Eingeweide oder wie die Schläge der Jungen – nur noch schmerzhafter. Er schritt aufgebracht hin und her, fuchtelte mit seinen Händen und öffnete den Mund, nur um ihn wieder wortlos zu schließen. Dann blieb er vor meinem Bett stehen und fixierte mich. Es sah so aus, als müsste er sich dazu zwingen. »Sie dich an!«, flüsterte er und als hätten diese Worte endlich den Bann gebrochen, schrie er: „SIEH DICH AN!“ Ich sah ihn an. Die Worte hallten in meinen Ohren. Ich wusste, wie ich aussah. Meine Nase gebrochen. Das linke Auge blutunterlaufen, das Weiß des rechten rötlich verfärbt. Mein Arm war gebrochen, ein Knöchel gestaucht. Mein Bauch übersät mit Blutergüssen. Aber nichts davon war ein Vergleich zu den Worten, die er dann zu mir sprach und seiner gebrochenen Stimme. »Mein Vater hatte Recht.« Es war als würde er mich in den Bauch treten. »Was? Mit was?« »Es würde mir irgendwann noch leid tun.« Er machte eine ausholende Geste, sah mich an, strich mir mit seinen Fingern über den Handrücken und flüsterte: »Werd gesund und denk nicht mehr an mich.« Mein Innerstes gefror. Alles in mir knirschte wie Eis. Ich wollte ihm widersprechen, ihn zurechtweisen, aber ich war betäubt und sah ihn stumm an. Wortlos wandte er sich um und ging. Als sich die Tür schloss, stand die Welt still und ich zerbrach mit jedem seiner Worte. Liebe ist Liebe. Aber manchmal geht sie. Kapitel 7: Verdammtes Bereuen (Damn Regret) ------------------------------------------- Kapitel 7 Verdammtes Bereuen (Damn Regret) Damn regret, I’ll try to forget  Don’t worry about me  ‘Cos I’m real fine  Cast my line  To see what’s behind  Did you think you persuaded me to let you go? (Damn regret – The Red Jumpsuit Apparatus) Es war seltsam, so zu tun, als wäre wieder alles normal, nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen worden war und wieder zur Schule ging. Meine Freundin sah das wohl genauso. Jedenfalls stand sie dichter bei mir auf dem Schulgang als sonst und es schien so, als hielte sie Wache, schaute dauernd umher. »Ich lass dich nicht mehr allein rumlaufen«, meinte sie und ich sah in ihrer Mimik, dass sie sich für mich verantwortlich fühlte. Wahrscheinlich, weil es durch sie die Runde gemacht hatte, vielleicht auch nur, weil sie meine beste Freundin war. Ich sprach sie nicht darauf an und flüsterte: »Du wirst nicht ewig bei mir sein können. Wahrscheinlich würden sie dich eh einfach mit verprügeln.« »Und – das nimmst du jetzt einfach hin?«, fragte sie aufgebracht. Ich schloss mein Fach, zuckte die Schulter und schaute an ihr vorbei, um ihrem trotzigen Blick nicht begegnen zu müssen. »Ich habe sie angezeigt. Mehr gibt es erst einmal nicht zu tun.« Sie schwieg, schien mit sich zu ringen, doch ich wusste, sie würde die Frage nicht für sich behalten, also wartete ich still. Ich kannte sie einfach zu gut. »Und – hat er sich –« Ich schüttelte nur den Kopf. Wir gingen den Gang entlang. Schüler schlängelten sich vorbei. Im Korridor drängten sich Kinder und Jugendlicher, die kicherten und sprachen und auf dem Weg zur nächsten Unterrichststunde waren. Einige warfen mir Blicke zu. Ich stöhnte leise. Es würde ein langer Tag werden. In Mathe erreichte mich ein Zettel von hinten. »Ist's wahr?«, stand dort in schönster Schrift. Ich sah mich unauffällig um. Sarah blickte auffällig zurück. »Was?«, formte ich genervt mit meinen Lippen, sofort machte sie sich daran einen zweiten Zettel zu beschreiben. »Dass du mit deinem Freund Schluss gemacht hast.« Ich starrte auf die Buchstaben und schluckte. Aber das Gefühl in meinem Magen blieb. Ich antwortete nicht auf ihr Briefchen. Meine Freundin stieß mich von der Seite an, aber als ich nicht reagierte, warf sie einfach einen Blick darauf. In mir klirrte das Eis. Ich hatte ihn nicht gehen lassen. Oder? Er war gegangen. Ich konnte ihn nicht aufhalten. Oder? Nach dem letzten Klingeln wartete sie auf mich, wie immer. Aber sie trennte sich nicht von mir als der Bus an ihrer Haltestelle hielt. Ich wollte gerade etwas sagen, als sie mir ins Wort fiel: »Halt einfach die Klappe.« Also schloss ich meinen Mund. Ich wusste, wann jede Diskussion verloren war. Wir stiegen gemeinsam aus und trotteten den Weg nebeneinander her. Auch, wenn ich es ihr nie sagen würde, war es ein gutes Gefühl, hier jetzt nicht alleine gehen zu müssen. Das Gefühl der Übelkeit stieg in mir hoch, als ich die Stelle sah, wo – »Ist schon okay«, meinte sie nur und wir ließen die Straße hinter uns. Sie legte ihre Hand um meine und drückte sie kurz. Langsam atmete ich wieder ein und hatte nicht einmal bemerkt, dass ich den Atem angehalten hatte. Tagelang ging das so. Morgens gingen wir zusammen zur Schule, nachmittags schlenderten wir gemeinsam nach Hause. Wenn ich an Gruppen von Schülern vorbeikam, verstummten sie erst und tuschelten, wenn sie glaubten, ich sei außerhalb der Hörweite. Ich tat so, als bemerkte ich es nicht. Denn ich wollte ihre Fragen, die in ihren Augen standen, nicht beantworten. »Stimmt es?«, fragte Sarah eines Tages, als meine Freundin und ich gerade an meinem Spind standen und ich mein Zeug hervorkramte. »Was?«, erwiderte ich verstimmt, doch sie ließ sich von meiner abweisenden Art nicht aus der Ruhe bringen. Sie sah uns abwechselnd an, als suchte sie etwas, ehe sie mit der Sprache herausrückte: »Dass ihr zusammen seid.« Verblüfft starrte ich sie an, dann schwenkte mein Blick zu meiner Freundin. Zu meiner besten Freundin. Sie schien nicht weniger perplex. »So ein dummes Zeug«, fand sie ihre Sprache zuerst wieder und begann dann zu lachen. »Mh, achso«, murmelte Sarah. Meine Freundin lachte noch auf dem Heimweg über Sarahs Mimik und den absurden Gedanken an sich. »Versteh mich nicht falsch, Johannes«, beschwor sie mich, »du bist echt – naja, aber – das wäre ja als wäre ich mit meinem Bruder zusammen.« »Du hast keinen Bruder«, erinnerte ich sie, doch sie hob und senkte nur ihre Schultern. »Du reichst mir vollkommen.« Und setzte eine Miene auf, als hätte sie ganz schön was damit zu ertragen. Ich grinste, doch als ich auf der anderen Straßenseite einen Jugendlichen mit blauer Kappe entdeckte, verblasste mein Grinsen. Furcht brannte durch meine Magenwände. Ich packte meine Freundin am Handgelenk und zog sie mit mir mit. Verdutzt sah sie mich von der Seite an. »Hey! Besorgt sie's die besser?«, rief er uns hinterher. Ich schloss für einen Moment die Augen, ohne anzuhalten, versuchte, nicht diesem Gefühl zu erliegen. »Deswegen hast du doch mit deiner anderen Schwuchtel Schluss gemacht, oder?« Wut riss die Luft aus meinen Lungen und ich keuchte, doch schritt stur weiter. Angst überwog. »Ist er das?«, hörte ich neben mir. Ich antwortete nicht. Als wir bei mir zu Hause ankamen, sah sie mich nur an. »Es geht mir gut«, behauptete ich, um sie zu beruhigen. Aber ich glaubte mir nicht einmal selbst. Kapitel 8: Bete nicht für mich (Don't pray for me) -------------------------------------------------- Kapitel 8 Bete nicht für mich (Don't pray for me) You're fucking crazy, if you think that I'll ever change I am mine, I am me, I'll never change my ways I must've a route to escape. (Asking Alexandria – Don't pray for me) Nachdem sie nach einer guten Stunde wegen meines Drängens doch gegangen war, stand ich am Fenster und schaute in die Dunkelheit. Es war November. Die Tage so kurz und die Nächte lang und kalt. Normalerweise, wäre er jetzt bei mir. Wir würden vielleicht einen Film zusammen sehen und immer mal wieder etwas naschen. Aber seit Tagen meldete er sich nicht. Auf meine Nachrichten und Anrufe bekam ich keine Antworten. Er war nicht da. Er hatte mich allein gelassen. Liebe war Liebe. Manchmal ging sie vorüber. Die Schule zog sich. In der Pause schlenderte ich vom Bäcker über den Schulhof. »Aber ihr klebt immer aneinander und –« Sarah verstummte, als sie entdeckte, wie ich mich ihr und meiner Freundin näherte. »Das haben wir schon immer!«, empörte die sich und warf mir einen genervten Blick zu, obwohl ich mich für unschuldig hielt. »Was ist denn jetzt wieder los?«, fragte ich und konnte nur schwer verbergen, dass es mir eigentlich egal war. »Es geht ein Gerücht um«, erklärte sie und fixierte Sarah düster, die schaute unbeeindruckt zurück. »Das Gerücht kommt nicht von mir!«, beteuerte sie stur. Meine Freundin schnaubte. »Jedenfalls heißt es, dass du und ich – dass wir zusammen wären. Und –« Sie verstummte und trat von einem Bein auf das andere, als brachten die ungesagten Worte sie dazu. »Und?«, hakte ich nach. Allein mein Ton verbat alle Ausflüchte. »Und dass du deswegen Schluss gemacht hättest.« Nach Schulende wollte sie mich wieder nach Hause begleiten, aber ich schüttelte den Kopf und meinte nur, dass ich noch etwas zu erledigen hätte. Sie wollte nachfragen, doch ich unterbrach sie. »Alleine«, teilte ich ihr kühl mit. Ich kannte seine Adresse nur von seinem Handyeintrag in meinem Smartphone. »Man weiß ja nie«, hatte er gemeint, »aber besser wär's, du würdest dort nie auftauchen.« Zielstrebig schritt ich auf das Haus zu. Der Garten war offensichtlich gut umsorgt. Irgendwie hatte ich es mir immer etwas schäbig vorgestellt. Doch das Gegenteil war der Fall. Ich stand vor einer verdammten Villa. Als ich klingelte und er öffnete, erstarrte ich. Dort stand er und sah mich an, als sähe er einen Geist. Vielleicht sah ich wirklich wie einer aus, denn ich spürte, wie alles Blut in meine Beine sackte, mein Gesicht kalkweiß. »Was – machst du hier?«, stolperte er über seine eigenen Worte. Zuerst schwieg ich, denn ich wusste nicht mehr, warum ich hier vor ihm stand. Er schien so vertraut, seine Stimme, sein Mund, seine Augen, das Haar, alles an ihm. Aber ich konnte die Distanz nicht überwinden, die sich zwischen uns aufbaute. Eine Entfernung, die nichts mit Metern zu tun hatte. »Du«, hauchte ich und räusperte mich sofort, als meine Stimme versagte, »du hast gesagt, dass uns niemand vorschreiben dürfte, was Liebe wäre oder wie oder mit wem. Aber jetzt – ich bin dir egal geworden. Oder?« Ich wollte, dass es gleichgültig klang. Doch das Zittern in meiner Stimme verriet mich. Er machte einen Schritt nach hinten und bedeutete mir, in das Haus einzutreten. Er ging vor, stieg eine Treppe hinauf, während er mir leise erklärte, was ich nicht hören wollte. »Sie werden nicht damit aufhören. Du wirst jeden Tag Angst haben, wenn du die Straße entlang gehst. Es sei denn –«, er stockte, beinahe unmerklich, aber ich hörte es trotzdem, »du hörst auf, eine Schwuchtel zu sein.« Er öffnete eine Tür und ließ mich eintreten. Zum ersten Mal sah ich sein Zimmer, doch ich hatte keinen Blick dafür übrig. Meine Gesichtszüge entgleisten, als ich endlich etwas begriff. »Du«, grollte ich, »du hast das rumerzählt!« »Nein«, behauptete er, doch sein Blick flüchtete vor meinem, als er die Tür hinter sich schloss und er zu spät fragte: »Was meinst du?« »Du hast das in die Welt gesetzt! Dass ich mit dir Schluss gemacht hätte, weil ich jetzt mit meiner Freundin zusammen wäre und –« Mir ging die Luft aus, so hektisch ratterte ich alles herunter. Der Zorn nahm mir die Luft zum Atmen. »Warum glaubst du auch nur eine Sekunde, dass es so besser wäre?«, schrie ich plötzlich. »Du hast gesagt, dass es dir egal ist, was andere sagen! Du – du hast gesagt, dass du immer zu mir stehst!« Er schwieg, betrachtete mich kurz, wandte sich dann an mir vorbei und startete seinen Laptop, der auf dem Bett lag. »Was soll das? Was –« Er gab sein Passwort ein. »Hast du wenigstens gerafft, was ich –« Er wendete den Bildschirm in meine Richtung. »Lies«, forderte er mich auf und sagte sonst nichts. Ich weiß nicht, was mich seiner Aufforderung folgen ließ. Vielleicht waren es die blauen Augen, in denen etwas stand, was ich vorher niemals gesehen hatte. Es war keine Furcht. Kein Amüsement. Kein Funkeln. Dort stand Resignation. Und es zog mir den Boden unter den Füßen weg und die Kraft zum Schreien. Ich setzte mich auf den Rand seines Bettes und zog den Laptop näher. Facebook war geöffnet. »Homoarsch«, stand dort. In Nachrichten, auf seiner Pinnwand. »Warum hast du nicht –« »Ich habe sie blockiert und solche Nachrichten und die Absender bei facebook gemeldet. Meine Privatsphäreeinstellungen habe ich seitdem auf Freunde begrenzt. Als sie das gemerkt haben –«, er ging hinüber zum Schreibtisch, kramte in einer Schublade und zog scheinbar willkürlich etwas hervor, »haben sie damit angefangen.« Er schob mir einen zerknüllten Zettel zu. »Es ist sinnlos. Es wird nie aufhören, verstehst du?« »An Homoarsch. Wir machen dich fertig. Du wirst schon sehn. Und dein Schwuchtelfreund auch.« »Zwei Tage später hast du im Krankenhaus gelegen. Glaubst du, dass es da noch wichtig ist, ob es mir egal ist, was andere denken? Oder was ich alles zu dir gesagt habe?« Liebe war Liebe. Auch, wenn man ging, weil man glaubte, dass der andere ohne einen besser dran war. Er legte sein Gesicht in die Hände, rieb fahrig mit einem Arm über seine Augen, aber als er mich ansah, waren da keine Tränen, nur Resignation in seinem Blick. »Das nächste Mal hätten sie dich vielleicht –« Er brachte den Satz nicht zu Ende, doch in diesem Moment verstand ich, dass Menschen wegen Liebe nicht nur Worte sagten oder Versprechen gaben. Liebe war nicht perfekt und es war oft nicht, wie man es sich vorstellte. Meistens war es nämlich verdammt schwer. Ich atmete tief durch und lehnte mich zurück, starrte an die Decke. »Du – wolltest mich beschützen?«, flüsterte ich wie erschlagen. Jemand meinte mal zu mir, dass Liebe Liebe war. Damals hatte ich nicht begriffen, wie kompliziert Liebe sein konnte. Kapitel 9: Was wenn (What if) ----------------------------- Kapitel 9 Was wenn (What if) What if I got it wrong And no poem or song Could put right what I got wrong Or make you feel I belong. What if you should decide That you don't want me there by your side That you don't want me there in your life. (Coldplay - What if) »Nein – ich –« Er fuhr sich nervös durch sein rotblondes Haar. »Warum – hast du mir nichts gesagt?« »Ich –« »Du weißt doch, dass ich für dich –« »Das ist nicht deine Sache, Johannes!«, fuhr er mir aufgebracht über den Mund. Plötzlich hörten wir, wie jemand die Tür aufschloss. Ich sah, wie sich in seiner Mimik Entsetzen ausbreitete. »Du solltest gehen. Ich bringe dich zur Tür.« »Und – was ist jetzt? Wegen uns, meine ich –« Er schüttelte den Kopf. Liebe trägt Masken. So wie wir jeden Tag Masken tragen. Manche davon tragen wir, um uns selbst, manche, um andere zu schützen. Manchmal sehen wir nicht durch die Masken hindurch und werden getäuscht. Ich hätte niemals gedacht, dass hinter seinem Lächeln Qual steckte und hinter dem Funkeln in seinen Augen, Scham. Wochenlang hatte ich ihn nicht mehr gesehen, als plötzlich eine SMS meinen Magen Purzelbäume schlagen ließ. Hoffnung spülte durch meine Adern und ich grinste, als ich seine Nachricht las. »15 Uhr. Unser Café.« Ich hätte ihm gerne gesagt, dass es egal war, was andere über uns dachten, dass ihre Worte Schall und Rauch waren, dass nur wir zählten. Vielleicht habe ich es ihm gesagt, ein Mal oder zwei Mal. Aber ich musste schnell erkannt haben, dass es nicht stimmte. Ich wollte mir einreden, dass er es aus Liebe zu mir tat. Aber ich wusste, da war auch die Furcht vor den anderen. Der Winter zog mit eiskalten Schritten über die Stadt und ließ meine Lippen klamm werden. Ich wartete vor dem Café, weil ich drinnen nicht stillsitzen konnte. Als ich ihn von Weitem kommen sah, tränkte Beklemmung meine Arme und Beine. Ich wusste nicht, wohin mit meinen Händen und ich trippelte von dem einen auf den anderen Fuß. Vor mir sah ich sein Lächeln und das Funkeln in seinen Augen. Wie er mit seiner Hand durch das rote Haar fuhr und mich mit einem Blick in den Bann zog. Wie er mit der Gummibärchen-Tüte raschelte und mir wortlos gestattete hineinzugreifen. Seine Lippen, wenn wir uns küssten und der Gedanke, dass es uns egal war, was andere dachten. Was, wenn wir gegen die Welt –? Es stand so vieles zwischen uns. Was, wenn wir es aussprechen würden? »Johannes«, begann er und es klang nach Abschied, obwohl wir uns nicht einmal begrüßt hatten. »Es tut mir leid, dass ich mich erst vor ein paar Tagen gemeldet habe. Aber –« »Lass uns doch reingehen. Es ist verdammt kalt hier«, warf ich dazwischen. Ich wollte sein Aber nicht hören. Er nickte, als wäre er für Widerstand zu müde. Ich bemerkte die dunklen Augenringe und wie sich seine Sommersprossen noch stärker von seiner blassen Haut abhoben. Er wirkte kränklich. Wir saßen uns gegenüber, als würden wir uns kaum kennen. Dabei kannten wir uns zu gut und wussten, was der andere sagen wollte. Es tat weh, als mir mit einem Schlag bewusst wurde, dass das Vergangenheit war. Sein Blick war ernst und keiner wusste so recht, was wir sagen sollten. Ich wünschte mir, wir könnten einen dummen Scherz machen und diese drückende Stille verscheuchen, uns ansehen und einfach loslachen – wie früher. »Mein Vater und ich haben Anzeige erstattet«, berichtete er, »wegen dieser ganzen – Mobbing-Sache.« Ich rührte in meiner heißen Schokolade und nickte der Tasse zu. Was, wenn ich es sagen würde? »Ich wünschte mir, es wäre anders gekommen«, murmelte er und ich sah, wie seine Hand über meiner schwebte, nur einen Moment, aber er berührte sie nicht, als würde er sich wieder besinnen und zog sie zurück. »Wir könnten es schaffen«, behauptete ich und die Worte stolperten aus meinem Mund, als hätte ich sie zu lange zurückgehalten. Ich erstarrte und wünschte mir, ich hätte es nicht gesagt. Nicht zu ihm. Gerade als ich meine Worte relativieren wollte, stimmte er mir vage zu. »Ja, vielleicht. Aber was würde es uns kosten?« Ich wollte sagen, dass ich jeden Preis bezahlen würde. Aber das wäre gelogen. Stille breitete sich aus und ich sah, wie etwas über sein Gesicht huschte – Müdigkeit und Schmerz. Oder Reue und Trauer. Ich war mir nicht sicher. Vielleicht sah ich auch nur das, was ich gerne sehen wollte. Ich wollte gerne glauben, dass es ihm ebenso weh tat wie mir. Dass nicht nur ich an seiner Gegenwart hing wie ein Ertrinkender. Gleichzeitig ertrank ich in seiner Präsenz. Er schluckte und suchte meinen Blick, ich wollte ihm ausweichen und ich wollte in ihm versinken. Wir hakten unsere Blicke ineinander, als gäbe es nur uns. Als wäre es egal, was die anderen dachten. »Wir ziehen um«, flüsterte er. Ich spürte den Aufprall seiner Worte in meinem Inneren wie Schläge in meinen Magen. »Was? Wieso?«, hauchte ich, räusperte mich und schöpfte nach Luft. »Mein Vater lässt sich versetzen. Er meint, ich sollte auf eine angemessene Schule gehen und mich dort angemessen verhalten.« Und dann legte er doch seine Finger auf meine. Ich wollte sie wegziehen, ihn anschreien und meiner Wut, meiner Enttäuschung, meiner Angst Platz machen. Ich tat es nicht. Ich starrte auf unsere Finger und schwieg, weil ich befürchtete, dass ich die Kontrolle verlieren würde, sollte ich ihn ansehen. »Es tut mir leid, Johannes.« Als ich zu Hause meinen Ranzen in die nächstbeste Ecke schleuderte, fühlte ich ein Loch in meinem Magen. Nichts, das mit Hunger zu tun hätte. Ich ging in mein Zimmer, als würde ich auf Watte gehen. In meinem Kopf herrschte Leere. Ich war plötzlich müde und ausgelaugt, legte mich in mein Bett, obwohl ich noch Schuhe anhatte. Mein Blick fiel auf den Nachttisch. Mit angehaltenem Atem streckte ich mich nach dem Bild aus und betrachtete es eine Weile. Es war Sommer dort in dem Foto. Wir saßen am Weiher. Sommerferien. Die Sonne brannte auf uns hinunter und das Wasser umspülte unsere Beine. Er hatte gesagt, dass sie uns niemals zerstören würden. Was, wenn ich gewusst hätte, dass Versprechen gebrochen werden würden? Er grinste mich an. Das Bild ein wenig unscharf, weil er unbedingt uns beide hat drauf haben wollen. »Du weißt, dass ich dich liebe, oder?«, hatte er mir gesagt. Obwohl es der Form nach eine Frage war, hatte es wie ein Versprechen geklungen. »Ich stehe zu dir.« Erst als es Tropfen für Tropfen feuchter wurde, bemerkte ich, dass ich weinte. Epilog: Schon wieder ein Ende (In the End) ------------------------------------------ Epilog Schon wieder ein Ende (In the End) What it meant to me will eventually be a memory of a time when I tried so hard And got so far But in the end It doesn't even matter I had to fall To lose it all But in the end It doesn't even matter. (Linking Park – In the End) Du hast gesagt, dass uns niemand vorschreiben dürfte, was Liebe wäre oder wie oder mit wem. Nicht, wenn beide liebten – frei und ehrlich. Du hast gelogen. Denn in unserer Gesellschaft, schreibt jeder jedem etwas vor. Niemand ist frei und ehrlich. Wie alle versuchten wir, durch den Alltag zu kommen. Wir tragen Masken. Manche machen andere fertig, weil sie selbst nicht klar kommen. Andere dulden es. Manche wehren sich. Andere wehren sich zu spät. Du hast gesagt, du würdest mich lieben und es wäre dir egal, dass ich ein Junge sei – und du auch. Aber wir haben Masken getragen, wie alle anderen auch. Die Liebe ist, was sie ist. Sie reißt uns manchmal die Masken vom Gesicht und lässt uns nackt und verletzlich zurück. Manchmal verletzen uns andere so sehr, dass wir vor der Liebe fliehen. Weil es zu sehr weh tut. Weil man irgendwann keine Kraft mehr hat, sich zu wehren. Du hast mich geliebt. Und ich dich auch. Aber es ist nicht egal, wen man liebt. Jemand meinte mal zu mir, dass Liebe Liebe ist. Es war dir nicht egal. Aber anderen. Und daran sind wir zerbrochen. Manchmal frage ich mich noch immer, was gewesen wäre, wenn –  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)