Verhängnisvolle Nacht von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 7: Zusammentreffen -------------------------- I. "Das darf doch nicht wahr sein. Dies ist die letzte Richtung, in die sie hätten reiten können. Verdammter Mist! Eine Gruppe von schwarzgekleideten Männern kann doch nicht von einem ganzen Dorf übersehen worden sein." "Entweder, sie haben sie nicht gesehen oder aber sie WOLLTEN sie nicht sehen." Porthos Pferd tänzelte nervös auf der Stelle. Die Unruhe seines Reiters hatte sich auf ihn übertragen. "Wir verlieren einfach zu viel Zeit." "Die Pferde brauchen auch bald eine Rast," räumte D'Artagnan ein. D'Artagnan fühlte Panik in sich aufsteigen. Keiner der beiden konnte sicher sein, dass die Ganoven hinter Jean her waren, aber die bloße Vorstellung bereitete ihnen unsagbare Sorgen. Die einzige Dorfstraße lag wie ausgestorben vor ihnen. Die armseligen Hütten am Straßenrand wirkten wie die leblosen Kulissen eines Bühnenstücks. D'Artagnan und Porthos hatten nicht geahnt, dass sie bis weit in die Bretagne vordringen mussten. Sie hatten die Spur der Männer bis nach Rennes verfolgt. Dann aber verlor sich die Fährte hinter der Stadt. Der letzte konkrete Hinweis lag schon mehrere Meilen hinter ihnen. "Selbst das Wetter ist gegen uns. Hier kündigt sich ein mächtiges Gewitter an." D'Artagnan warf beunruhigende Blicke zur schwarzen Wolkendecke. Die schwarzgraue Wolkenwand umschloss fast den gesamten Himmel. Porthos tätschelte beruhigend sein Pferd. "Wir müssen uns irgendwo unterstellen! Mein Pferd dreht jetzt schon fast durch. Es wittert das Unwetter. Ich habe schließlich keine Rosinante unter dem Hintern." "Wo?" D'Artagnan sah sich fragend um. Das Dorf verfügte weder über eine Kirche, noch über den Luxus eines Gasthauses. Es bestand größenteils aus ein paar Holzhütten, die an eine zerfurchte Straße geworfen waren. Die alten römischen Meilensteine, am Wegrand waren der einzige Hinweis, dass dies eine reguläre Fernstraße war. Die Fassaden der wenigen Hütten wirkten abweisend und finster. Der erste Blitz entlud seine Energie auf der Erde. Sekunden später war ein fernes Donnern zu vernehmen. Mit Mühe beruhigte Porthos sein Pferd, als die ersten Regentropfen auf die staubige Erde fielen. Eine Minute später prasselte der Regen als undurchsichtige Wand auf den Boden und verwandelte die trockene Erde in Schlamm. Der nächste Blitz zeigte sich im gleißenden Licht am Himmel. Der Donner war kurz darauf zu vernehmen. Noch immer standen Porthos und D'Artagnan unschlüssig auf der Straße. Blitz und Donner krachten wieder am Firmament. Diesmal fast gleichzeitig. Sie waren nun nicht mehr alleine auf der Straße . Wieder grollte es am Himmel und die Welt erhellte sich für einen Sekundenbruchteil. D'Artagnan beobachtete die einsame Gestalt auf der Straße, welche sich im Blitzlicht des Gewitters unheimlich auf sie zu bewegte. Sein schwarzer Umhang wehte theatralisch im Wind. Die Welt wechselte von Hell zu Dunkel. Nur noch 100 Meter Entfernung. Krachend und funkensprühend versenkte sich ein Blitz in einen der Bäume. Porthos Pferd wieherte panisch und schlug aus. Nur noch 50 Schritte Entfernung. Porthos stieg ab, um sein Pferd am Halfter zu packen und beruhigend auf ihn einzureden. Nur noch 20 Schritte Entfernung. Sein Pferd war nahe daran in Panik durchzugehen. Geduld gehörte zu keinen von Porthos Tugenden und so holte er aus und hieb kurzentschlossen seinem Pferd eine runter. Die Gestalt war heran. "Athos?" rief D'Artagnan. Porthos drehte sich erstaunt um. Reiter und Pferd, welches immer noch vom Schlag betäubt war, sahen die Gestalt erstaunt an. "Was machst du denn hier? Wir haben dich schon gesucht. Wir jagen diesen Mistkerlen von den Überfällen hinterher. Wir glauben, dass sie Jean jagen," sprudelte Porthos runter. Seinem Pferd knickten die Beine weg. "Allerdings kommen wir nicht weiter. Wir haben ihre Spur verloren," gestand D'Artagnan in der Annahme, dass Athos ihnen aus diesem Grund folgte. "Ich weiß, wo wir lang müssen," antwortete Athos schlicht. "Wo ist dein Pferd?" "Es ist vor fünf Meilen zusammengebrochen." Porthos und D'Artagnan sahen sich verwundert an. Was musste geschehen, dass jemand besonnener, wie Athos sein Gaul zu Schande ritt. "Dann musst du wohl oder übel auf Rosinante mit aufsteigen," bot ihm D'Artagnan an. Athos seufzte ergeben. "Ich bekomme nie wieder ein Pferd mit dieser Mischung. Sein Vater war ein Araber," murmelte er, während er hinter D'Artagnan aufsaß und versuchte so würdevoll wie möglich zu wirken. "Das Gewitter verzieht sich schon wieder," sagte Porthos und bemühte sich noch immer, sein Pferd auf die Beine zu bekommen. Der Umstand, dass auf einer öffentlichen Dorfstraße zwei gestandene Musketiere sich ein Pferd teilen mussten und ein anderer versuchte seinen ohnmächtigen Klepper wiederzubeleben, traf mindestens zwei der Männer hart in ihrem Stolz. Und so machten sie sich auf, den Ort der Schande möglichst schnell zu verlassen. Porthos Voraussage bestätigte sich schon bald und der Himmel zeigte sich in seinem schönsten Blau. Die gefangenen Regentropfen in den Wipfeln der Bäume reflektierten das satte Sonnenlicht. Die Straße schlängelte sich, umgeben von Feldern und Wiesen in Richtung Westen. Sie waren noch nicht weit geritten, als eine Kutsche in Sicht kam. Die Räder der Kutsche standen zur Hälfte im Straßengraben und seine Insassen liefen ratlos herum. Gräfin d'Grinold hatte die letzte halbe Stunde ihre Wut an ihren Bediensteten ausgelassen. Nachdem sie anständig am Selbstwertgefühl ihres Kutscher gewürgt hatte, ging es ihr schon wesentlich besser. Ihre Laune verbesserte sich noch um ein weiteres, als sie die drei Männer in der Ferne auf sich zu kommen sah. Gräfin d'Grinold machte sich zur Jagd bereit. Mit subtilen Schrittchen tastet sie sich vor und platzierte den üppigen Körper in die Mitte der Straße. Sie fand, dass Sonnenlicht ihr gut stand. Um an Kutsche und Gräfin vorbei zu kommen, hätten die drei Männer schon in den Straßengraben ausweichen müssen. Der Höflichkeit wegen, stiegen die drei von ihren Pferden und begutachteten das Übel. Gräfin d'Grinolds zupfte ihr Mieder tiefer und klimperte mit den Augen in Richtung Athos. Irritiert registrierte sie, dass dessen Interesse nicht ihr, sondern ihren Pferden galt. Ihr Blick wendete sich Porthos zu. Dieser hatte schon etwas übrig, für die Freuden ihres Dekolletes. Die üppigen Formen standen im Widerspruch mit jeder physikalischen Gesetzmäßigkeit. Die Schwerkraft war nur dann von Bedeutung, wenn die doppelt geschnürten Miederbänder sich lösten würden. Ihre Zunge strich verführerisch über die unregelmäßigen Zähne. Porthos musste sich an seinem Pferd festhalten. Er war nicht jener gutaussehende Braunhaarige, mit dem regen Interesse an ihren Pferden, aber sie ließ sich nicht mehr von ihrem Kurs abbringen, wenn sie erst einmal eine gewisse hormonelle Geschwindigkeit erreicht hatte. "Im Namen des Königs konfiszieren wir dieses Pferd!" Athos hatte sich entschieden. "Ähm...dürfen wir das denn?" D'Artagnan sah ihn zweifelnd an. "Sei Still! ... für einen geheimen Auftrag im Namen der Krone." Die Gräfin strich sich eine kastanienbraune Locke aus dem Gesicht und senkte ihre Wimpern zum lasziven Schlafzimmerblick. "Vorher helfen wir Ihnen selbstverständlich noch," bot Porthos an. Er ließ seine Muskeln spielen und machte sich daran, die Kutsche mit purer Muskelkraft auf die Straße zu hieven. "Er hat doch tatsächlich sein Hemd ausgezogen." Athos explodierte. "Porthos komm jetzt! Wir müssen los, die Zeit rennt uns davon!" Mit größtem Bedauern unterbrach Porthos seine Mannbarkeitsrituale und verabschiedete sich von Gräfin d'Grinold und ihrem wunderbaren Busen. Er beeilte sich seinen Freunden zu folgen. *** II. D'Artagnan lenkte sein Pferd gegen Athos, während sie im halsbrecherischen Tempo die Straße entlang ritten. "Du bist ungewohnt ungeduldig Athos. Weißt du mit Sicherheit, dass sie zu Jean wollen?" "Nein, das weiß ich nicht sicher, aber ich weiß, dass ich dort hin muss." Athos trieb sein Pferd ungeduldig an. Er gab damit zu verstehen, dass er nicht mehr sagen wollte. Dunkelheit senkte sich langsam auf Frankreich nieder, während sie sich Trézien-Plouarzel näherten. D'Artagnan und Porthos hatten es aufgegeben, Athos nach ihrem Ziel zu fragen. Sie folgten den Weg, über den Aramis, vor über 5 Jahren in einer dunklen kalten Postkutsche nach Trézien-Plouarzel gekommen war. Die alte Fernstraße, welche mit ihren unzähligen Schlaglöchern und hinderlichen Baumwurzeln durch die Bretagne führte. "Wie weit ist es noch, Athos? Wo wollen wir denn hin?" fragte D'Artagnan voller Ungeduld. "Ich fürchte dorthin." Athos zügelte sein Pferd und ließ es langsam in die gezeigte Richtung traben. Jetzt sahen sie es auch. Dicke Rauchsäulen verschmolzen mit dem Dunkel der Nacht. Ein roter Schein schimmerte spärlich durch das dicke Geäst des Waldes. Sie preschten die Straße entlang, der Feuerwand entgegen. Bald wurden lange Flammenzungen sichtbar, die über die Baumwipfel schlugen. Der Wald öffnete sich vor ihnen und gab den Blick auf das Gasthaus frei. Das Gelände war taghell erleuchtet. Chaos tobte auf dem Platz. Das Hauptgebäude wand sich in den Flammen. Hitze, stickige Luft, Windböen mit Funken- und Aschestaub wirbelten ihnen entgegen. Das gesamte Gebäude schien zu ächzen und zu stöhnen. Schreie durchdrangen panisch-grell die Nacht. Tiere flüchteten führerlos ins Dickicht. Sprachlos starrten die Drei das Inferno an. Keiner rührte sich, wie erstarrt saßen sie auf ihren Pferden. Athos bewegte sich als Erster. Er rannte dem Haus entgegen und versuchte die Gefahr abzuschätzen. Porthos und D'Artagnan beeilten sich ihm zu folgen. Vereinzelte Personen waren zu erkennen, die das Feuer zu löschen versuchten. Sie hatten kaum die Hälfte zum Gasthof zurückgelegt, als ihnen ein Mann entgegen gelaufen kam. Er schien die drei Männer nicht wahrzunehmen. Immer wieder glitt sein Blick gehetzt nach hinten. Seine schwarze Kleidung hob sich deutlich von der Flammenwand ab. Es war unschwer zu erkennen, zu welcher Gruppe er gehörte. Er erkannte nicht, dass er direkt in die Arme von Porthos rannte. Zu spät versuchte er auszuweichen. Porthos gewaltige Pranken schnellten vor, packten ihn und hielten ihn umfangen, so dass er den Boden unter den Füßen verlor. Er blickte hinauf in wütende Gesichter. Athos Blick glitt von der dunklen Gestalt des Mannes am Boden zu dessen Verfolger. Jetzt sahen D'Artagnan und Porthos auf. Synchron klappten drei Kinnladen herunter. Vor ihnen stand Aramis. Oder auch nicht? Erschrocken war die Frau mitten im Schritt erstarrt. Ungläubig starrte sie die Männer an. Hinter ihr tobte weiter das Feuer. Im Widerschein des Feuers wirkte ihre Gestalt blutdurchtränkt. Die Haare, die Haut, das Kleid reflektierten das Rot der Flammen. Die Haare wehten schleierhaft im Wind. Das Kleid war am rechten Arm eingerissen. Flammen hatten sich am Rock hochgefressen und gaben die Hälfte des rechten Beins frei. Sie trug keine Schuhe. In der Hand hielt sie einen Degen. Noch immer starrten die Männer sie an. Sie starrte zurück. Der Mann in Porthos Würgegriff hoffte, dass man ihn vergessen hatte. Es war Aramis Gesicht, aber der Rest schien nicht zu passen. Jetzt nahmen sie auch Einzelheiten wahr. Ihr Gesicht war zerkratzt und rußverschmiert. Am Degen tropfte Blut herunter. Das rechte Bein wies Brandstellen auf. Immer noch irrten ihre Augen zwischen den Männern umher, dann fixierte sie den schwarzgekleideten Mann. Ihre Züge veränderten sich. Der Mund wurde ein farblosen Strich, die Augen sprühten vor Hass. Ohne Vorwarnung ging sie auf den Mann los. Sie zehrte ihn mit geradezu unheimlicher Kraft aus Porthos Umklammerung und nagelte ihn mit den Knien auf den Boden fest. "Wo ist mein Sohn? Wo ist mein Sohn?" schrie sie ihn mehrmals an. Sie hatte sein Hemd gepackt und schüttelte ihn wie eine Puppe, so dass sein Kopf fortwährend auf dem Boden knallte. "Wenn mein Sohn auch nur einen Kratzer hat, folge ich dir bis in die Hölle und noch weiter! Rede du Mistkerl!" Ihr Gesichtsausdruck zeigte, dass sie zu allem fähig war. Als ihre Faust seinen Nasenrücken brach, erwachten die Anderen aus ihrer Erstarrung. Athos zehrte sie von dem Mann weg und hielt sie fest. Raoul war das Kostbarste, was Aramis besaß und sie zeigte es ihnen. Schwarze Finsternis verschluckte alles außer dieser Dringlichkeit, als sie um sich trat und sich wand und kreischte und flehte, man möge ihr das Kind zurückgeben. "Ich habe kein Kind gesehen." verzweifelt wand sich der Mann in Porthos erneuter Umklammerung. Er blickte von der blondhaarigen Furie am Boden zu den harten Zügen des Kolosses, der ihn festhielt und beschloss in Ohnmacht zu fallen. "Reneè, Roaul ist hier. Ihm ist nichts passiert. D'Aragnan! Athos! Porthos!" Jean begrüßte jeden hoffnungsvoll und erleichtert. Auch er trug einen blutigen Degen in der Hand. "Meré Jeannot hat dem Typen eins mit der Bratpfanne rübergehauen," erzählte er grinsend. Seine Stimme durchdrang Aramis Bewusstsein. Sie richtete sich auf und sah sich suchend um. Jean trat zur Seite und gab den Blick auf Meré Jeannot frei, mit dem kleinen Jungen an der Hand. Unendliche Erleichterung durchflutete Aramis und sie streckte ihrem Sohn die Arme entgegen. Raoul fand die Nacht furchtbar aufregend. Schlafen gehen war doch sooo langweilig. Das Feuer und die fremden Männer waren um so vieles aufregender. Er war Meré Jeannot sehr böse, dass sie ihn weggetragen hatte. Aber jetzt befand er sich ja wieder im Mittelpunkt des Geschehens. Alle sahen zu ihm hin. Raouls blaugraue Augen leuchteten auf. Er lachte und rannte zu seiner Mutter, um seinen dunkelbraunen Lockenschopf in ihren Armen zu vergraben. Oh, halt! Jetzt drückte sie ihn doch ein bisschen zu heftig und warum sah sie ihn so komisch an? Warum sahen die Anderen ihn so komisch an? Aramis küsste gerade die Stirn ihres Sohnes, als Athos sie am Arm packte, hochzog und quer über den Platz schleifte. "Ihr bleibt hier!" bestimmte er und zog sie unnachgiebig mit sich. Jemand zupfte Porthos am Hosenbein. Er sah auf das kleine Gesicht von Raoul herunter. "Warum bist du so dick?" "Ich bin nicht dick ... ich bin stattlich," belehrte Porthos ihn. "Bist du richtig schwer?" "Ich habe einen schweren Knochenbau." Raoul nickte wissend. "Was wäre, wenn du auf einer Brücke stehen würdest ....? Porthos seufzte gequält. Kinder konnten so grausam sein. Hinter einer Baumgruppe ließ er sie los. Unnahbar und streng stand er mit verschränkten Armen vor ihr. Seine Augen musterten sie kalt. Aramis schrumpfte unter seinem Blick. Sie studierte die ökonomische Beschaffenheit des Waldbodens eingehend, während sie sich ihre Unterlippe blutig bis. Noch immer schwieg Athos. Eine kleine Unendlichkeit verging, bis er sprach. "Wieso finde ich einen Mann, von dem ich dachte, er wäre ein Freund, nach fünf Jahren als Frau wieder? Und das mit einem Kind? Einem Kind, von dem sich nicht leugnen lässt, dass es meine Gesichtszüge trägt? Und wenn ich richtig liege, dann entstand dieses Kind vor fünf Jahren, als ich dessen Mutter zu meinen angeblichen Freunden zählte? Als ich dachte, sie wäre ein Mann, ein Kollege, ein Freund. Ein Freund, dem ich vertrauen kann und den ich kenne?" Athos sprach das Wort Freund wie ein Schimpfwort aus. Seine Mimik blieb weiterhin unnahbar. Die Gesichtszüge hart, wie aus Marmor gemeißelt. *** III. "Du hast geübt?" "Ja, war es zu aufgesetzt?" "Nein, nein. Das war gut. Ich hatte gehofft, in Ohnmacht fallen zu können. Bist du nicht wütend?" fragte Aramis leise. "Doch, ich bin sogar furchtbar wütend. Ich habe mein Pferd zu Schande geritten ... und hatte 5 Meilen zu Fuß Zeit, über alles nachzudenken. Kapitän d'Treville hat mir alles erzählt. Auch, dass er denkt, dass dein Kind von mir ist. Er ist doch mein Sohn?" "Ja," gestand Aramis zerknirscht. "Ich habe aber dem Kapitän nie davon erzählt. Woher ...?" "Er hat es auf Grund deines Verhaltens geahnt. Und wie es aussieht, ist Kapitän d'Treville gut im Ahnen." "Wir müssen nachher weiterreden. Ich muss jetzt beim Feuerlöschen helfen, es ist schließlich mein Haus." "Du hast mir eine Menge zu erklären, Aramis. Ich weiß immer noch nicht, WIE du von MIR schwanger werden konntest. Aramis? Aramis .. " Athos fand, dass ihm in letzter Zeit die Frauen zu oft wegliefen. "Wie, das Feuer ist gelöscht?" "Ja, na das siehst du doch," sagte Pierrè leicht irritiert. "Wir haben das Forellenbecken geöffnet und das Haus überflutet. Halt, geh nicht dorthin! Die Balken könnten zusammenbrechen. Das ist zu gefährlich," "Es kann doch nicht schon alles gelöscht sein?" sagte Aramis panikerfüllt. "Ihr müsst mir irgend etwas zu tun geben! Sonst muss ich mit ihm reden und ihm alles erklären. Es gibt einfach Dinge, die kann ich ihm nicht erklären." Sie biss sich auf ihren Handknöchel. Pierrè betrachtete ihren Ausbruch fasziniert. "Dem da hinten? Es hat nicht rein zufällig damit zu tun, dass Raouls Züge seinen gleichen? Lass mich raten! Er ist der Vater?" Aramis hörte auf, auf ihrer Hand herumzubeißen. "Er ist Herr Brunet und du bist ihm davongelaufen!" "Falsch." "Er ist dir davongelaufen?" "Nein." "Er ist dein Liebhaber und du bist ihm und Monsieur Brunet davongelaufen?" "Nein." "Er ist eine alte Jugendliebe?" "Nein." "Sag nichts! ... Er ist dein Cousin?" "Nein." "Bruder, Halbbruder, Stiefbruder?" "Nein, nein und nein." Pierrè massierte sich die Schläfen. "Deine Schwester?" Aramis verschränkte die Arme und wippte auf den Absätzen. "Du wirst es mir nicht sagen?" "Ja." Pierré hob freimütig die Schultern und trottete von dannen. "Ich geh schlafen, guten Nacht," "Das ist eine Nacht." Meré Jeannot trat aus dem Schatten und legte Aramis den schlafenden Raoul in die Arme. "Der Anbau hat es wieder geschafft, ein Feuer zu überleben. Er ist nur ein wenig durch Pierrès Forellenteichaktion in Mitleidenschaft gezogen worden. Ich habe deinen Gästen Zimmer zugewiesen" Aramis nickte Meré Jeannots Entscheidung ab. "Sie suchen dich übrigens. Ich kann bei Suzanne schlafen. Komm mit mir!" "Nein, ich bleibe hier." "Dann gute Nacht." Aramis sah zu ihren unverhofften Gästen hinüber und zog sich weiter in den Schatten zurück. An einen Baum gelehnt, sank sie erschöpft nieder. Sie war vor fünf Jahren aus Paris davon gelaufen. Da kam es jetzt auf ein paar Minuten mehr nicht an. Sie war so unendlich müde und die Brandblase am Bein schmerzte. Als die Anderen sie schließlich fanden, stand Aramis, ihren schlafenden Sohn auf dem Arm haltend, mit einem Bein im Teich. "Warum stehst du im Wasser und wie kannst du es wagen, dich als Frau zu entpuppen?" fragte Porthos. D'Artagnan und Athos hatten ganz vergessen, dass Porthos, als Einziger, VÖLLIG unvorbereitet auf Aramis traf. "Mein Bein brennt und ich fürchte, ich hatte in dieser Angelegenheit nicht viel mitzureden," erwiderte diese sachlich. "Salute Aramis." "Salute D'Artagnan, schön dich zu sehen." "Du weißt ganz genau, was ich meine. Warum hast du nie etwas gesagt?" "Was willst du denn hören? Es ging um meine Existenz." "Die Wahrheit!" Aramis nickte. "Wir sollten zuerst ein Feuer machen," schlug Athos vor. Als das kleine Lagerfeuer brannte und die kleinen Flammen knisternd das Holz versengten, ließen sich die Männer, Aramis und Jean im Kreis nieder. Athos wollte erfahren, was in den letzten Monaten in Paris zwischen ihm und Aramis vorgefallen war, aber vor den anderen war es ein denkbar schlechter Zeitpunkt, danach zu fragen. Er hörte ruhig zu, wie sie von ihrem Verlobten und den vergangenen Jahren als Gasthauswirtin berichtete. Ein gewisser Pierrè und ein äußerst hässlicher Vogel namens Nobby gesellten sich dazu und hörten zu. Er stützte das Kinn in die Hand und beobachtete in aller Ruhe Aramis, während diese redete. Wohlgemerkt, mit dem rußverschmierten Gesicht, dem dreckigen Kleid und den zerzausten Haaren sah sie nicht eben aus wie ein Gegenstand inbrünstiger Begierde. Aber sie schien in jedem Mann ein behagliches, wehmütiges Wohlgefühl zu erwecken. Aramis war keine zerbrechliche Schönheit wie Marie. Sie war eine Mischung aus Geliebte und Waffengefährtin, die einzige Frau, die da gewesen war, wo sie auch waren. Als die Morgendämmerung hereinbrach, wollte jeder noch für ein paar Stunden in ein Bett klettern, um zu schlafen. "Weißt du, was ich beunruhigend finde?" verabschiedete sich Porthos von Aramis. "Was denn?" "Das ich dich jetzt nicht mehr verprügeln kann." "Ich finde das sehr beruhigend," erwiderte sie grinsend. *** IV. Gähnend reckte sich Athos in der Morgensonne. Er hatte nicht einmal ansatzweise genug Schlaf bekommen. Warm brannten die Strahlen auf seinen Rücken. Unweit von ihm stand Porthos. Aramis saß, umgeben von ihren Leuten, auf einem verkohlten Holzbalken. Alle starrten deprimiert auf die Überreste des Haupthauses. Im Tageslicht wirkte der Schaden noch verheerender. Athos beobachtete Porthos, welcher Aramis betrachtete. Die prüfenden Blicke im Rücken spürend drehte sich Porthos um und gesellte sich zu ihm. "Ich hab dir doch gesagt, dass Aramis kein Hermaphrod... was auch immer ist. Übrigens hättest du mir sagen können, dass Aramis eine Frau ist." "Ich wusste es selbst nicht, Porthos." "Aber du bist doch der Vater von dem Bengel. Ich bin doch nicht blind." "Ich wusste es trotzdem nicht." "Das ist mir zu hoch," Porthos schüttelte hilflos den Kopf. "Bonjour ihr zwei." D'Artagnan gesellte sich zu ihnen. Direkt in ihrem Blickfeld kam etwas Orangeleuchtendes den Weg hoch. Monsieur Nicolas Gillet ritt auf einer traurigen Version von einem Pferd die Straße hoch und hielt vor den Männern. Zu seinem orangefarbenen Wams und Kniehosen trug er heute stechend hellgrüne Socken. Porthos hatte noch nicht ganz Aramis im Kleid verdaut, aber diese kuriose Gestalt in schreienden Farben war zuviel für ihn. "Ach sagen sie, Monsieurs, wo kann ich Madame Brunet, die Wirtin dieses bejammernswerten Gasthofes finden?" Alle Finger zeigten gleichzeitig in die besagte Richtung. Keiner wagte es etwas zu sagen, in der Annahme, Monsieur Gillet wäre nur eine Fantasiegestalt und würde sich gleich auflösen. Man hatte mehrere Tische und Stühle ins Freie gerückt, um zu speisen. Am Ende der linken Seite saß Aramis, den Kopf in die Hände gestützt, vor ihren Rechnungsbüchern. Monsieur Gillets Angebot war niederschmetternd gewesen. Noch immer war der alte Kredit nicht abgezahlt. Ein Neuer kam einfach nicht in Frage. "Können wir nicht Vincent d'Estouville bitten, mit Monsieur Gillet zu reden, damit er uns einen niedrigeren Zins gibt?" fragte Meré Jeannot. "Oh, ich fürchte, der ist etwas angeschlagen, seit Renée wiederholt seinen Heiratsantrag ausgeschlagen hat. Du könntest ihn immer noch heiraten?" wandte sich Pierré an diese. Alle am Tisch hielten den Atem an und warteten auf Aramis Antwort. Sie schwieg, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt. Athos stockte das Herz. Aramis dachte offensichtlich wirklich über eine Heirat nach. Eifersucht stach in sein Herz. Erst jetzt bemerkte er, dass sie Pierrès Worte gar nicht registriert hatte. Aramis schreckte hoch. "Was hast du gesagt, Pierrè? Raoul hör auf! Nicht auf den Baum klettern!" "Heirate doch Vincent d'Estouville." Sie zog unwillig die Nasenspitze hoch und schüttelte den Kopf. Athos atmete innerlich erleichtert auf. Warum er so reagierte, dass verstand er nicht. "Oh, wenn man vom Teufel spricht. Sieh mal, dein Verehrer kommt!" Aramis stöhnte innerlich. Vincent d'Estouville sprang vom Pferd und eilte zu ihr. "Geht es dir gut? Es tut mir so unendlich leid," plusterte er sich auf. "Wäre ich doch nur in der Stadt gewesen. Ich wäre dir sofort zu Hilfe geeilt. Stimmt es, dass es ein Überfall war?" "Ja." "Diese Hunde!" "Es ist alles meine Schuld, tut mir leid, Renée." Jean plagte sich mit Schuldgefühlen. "Das muss es nicht, Jean, du kannst nichts dafür," beruhigte sie ihn. "Du siehst doch jetzt ein, dass es das Beste wäre, mein Angebot anzunehmen," wandte Vincent ein. "Ich bestehe darauf. Du handelst dir nur Ärger ein. Denk an den Jungen. Es ist die beste Entscheidung für dich! Glaube mir!" "Noch kann sie alleine entscheiden, was das Beste ist." Athos hatte sich erhoben. "Wer sind Sie denn?" fragte Vincente mit aller Arroganz, zu der er fähig war. "Der Vater des Jungen" "Ach, Monsieur Brunet ist aus der Hölle auferstanden?" Aramis knirschte unwillig mit den Zähnen. "Damit das klar ist. Niemand ist hier irgend jemandes Vater und niemand muss für mich sorgen," donnerte sie und ließ die beiden Männern stehen, um davon zu eilen. Vincent drehte sich zum Tisch hin. Sieben Augenpaare, die ihn zuvor interessiert angestarrt hatten, irrten jetzt, Desinteresse vortäuschend, in der Gegend herum. Athos lief hinter Aramis her. Endlich konnte er mit ihr alleine sprechen. Der Wind rauschte sanft in den Baumwipfeln. "So, was ist nun in Paris in den letzten Wochen vorgefallen?" Aramis schwieg betreten. "Ich meine, wie konnte ich es nicht mitbekommen, dass ..." Aramis wurde rot. So fern das überhaupt ging, übertrug sich das Rot sogar auf ihre Kleidung. "Du warst im Fieberwahn und hast mich anscheint für ... diese, diese ... zierlich, schwarzhaarig?" "Marie?" "Ja, Marie. Du hast mich für Marie gehalten." "Marie?" wiederholte Athos nachdenklich. "Die Nacht hatte ich schon fast vergessen ...oh, jetzt wird mir einiges klar." "Ja, jedenfalls hast du ihren Namen gerufen." Die Erinnerung schmerzte noch immer. "Es tut mir leid. Ich kann dir nicht sagen, was in mich gefahren war. Du solltest dieses Gespräch jetzt mit Marie führen. Nicht mit einem ehemaligen Musketier. Deshalb bin ich auch fortgegangen." Ja, ein ehemaliger Musketier. Ein kläglicher Fang. Als Gegenstand romantischer Verehrung kaum zu gebrauchen. Aber für mich bist du zufällig die Sonne und der Mond und die Sterne, dachte Aramis. Doch sie würde sich eher die Zunge abbeißen, als diese Worte laut auszusprechen. "Du kannst nicht sagen, was in dich gefahren war?" "Was möchtest du denn hören? Ich war einsam?" "Einsam?" Athos Tonfall klang fordernd. "Allein." "Allein?" "Mein Gott ... ich fühlte mich zu dir hingezogen, ist es das, was du hören möchtest? Es hat keine Bedeutung. Du kannst nach Paris zurückkehren. Was passiert ist, soll dich nicht belasten." "Glaubst du wirklich, ich könnte einfach wieder nach Paris gehen?" "Ich habe doch gesagt, dass ich niemanden brauche, der für mich sorgt," erwiderte Aramis hitzig. "Und was ist, wenn ich dich brauche? Wenn ich mir eine Familie wünsche?" Sie hob den Blick, weil seine Stimme verändert klang. "Wenn ich jemanden brauche, der mein Freund und meine Frau ist." "Ich war dein Freund. Erinnerst du dich? Aramis der Musketier, ein Mann!" "Das ist es ja. Dauernd habe ich mich an etliche Augenblicke mit dir erinnert. Und ich denke: Da ist doch nichts besonderes an diesem Musketier, überhaupt nichts." "Oh, danke vielmals." "... und nun sehe ich dich endlich wieder ... schlimmer noch als eine Vogelscheuche." "Das sagst du sicher zu jeder." Aramis lachte leise. "Verstehst du, was ich dir sagen will. Der Frau, die ich zu lieben glaubte, ist Geld wichtiger als Liebe. Dein Verlobter hatte eine Frau, die sich aus Liebe zu ihm, als Mann verkleidet, um für ihn Rache zu nehmen. Er wäre sicher stolz." "Er wäre schockiert. Als er mich kennen gelernt hat, war ich ein wohlerzogenes Mädchen, dass nicht einmal alleine auf ein Pferd kam." "Ich würde es nicht freiwillig zugeben, aber ich wäre es. Und ich bitte dich, mich zu heiraten," seine Stimme klang flehend. Vögel zwitscherten mehrstimmig im Wald. Der Bach bahnte sich rauschend seinen Weg. Vom Haus her klang leise das Lachen der anderen herüber. "Du musst mich nicht heiraten. Ich habe dir doch gesagt, dass du dich nicht um mich sorgen brauchst." "Du bist töricht. Die Jahre mit dir waren die besten meines bisherigen Lebens. Ich vermisse unsere Freundschaft. Ich will, dass es so wird wie früher! Nein, ich will, dass es besser wird! Mein Gott, mit jeder Minute, die ich mit dir verbringe, fühle ich mich näher zu dir hingezogen. Glaubst du, ich handle völlig uneigennützig?" Dies war die leidenschaftlichste Rede, die je von Athos gehalten wurde. Porthos war sich nicht sicher, was Athos von Aramis neuer Identität hielt und die Sache mit dem Kind verstand er rein gar nicht. Er verließ zwar nur ungern Hähnchenkeulen a la Madame Scoric, aber die beiden waren jetzt schon zu lange weg. Eine Hühnerkeule nahm er sich aber für den Weg mit. Und so schlenderte er, um das ausgebrannte Skelett des Gasthauses herum in Richtung Athos und Aramis. Währendessen hörte sich D'Artagnan in der Mittagssonne Pierrés interessanten Lebenswandel an. Als Musketier sollten ihm Pierrès Aktivitäten eigentlich weniger zusagen, aber er konnte nicht leugnen, dass von diesem Mann ein ziemliche Faszination ausging. Jean durchstreifte mit Raoul und Nobby die Überreste des ehemaligen Schankraumes. "Das Gasthausgewerbe ist eigentlich nichts mehr für mich. Ich würde Reneè selbstverständlich helfen, es wieder aufzubauen, aber mir fehlt die Abwechslung," gestand Pierrè. "Würde es sich denn lohnen, wieder von vorn anzufangen?" fragte D'Artagnan seinen Gesprächspartner. "Nein, ich fürchte nicht." Porthos kam wieder zurück. Er hatte versucht mit Athos und Aramis zu reden, aber er glaubte nicht, dass sie ihn gehört hatten. Sie enttäuschten ihn, wie sie sich so stumm gegenübersaßen und sich einander ansahen. "Ich glaube, das Gasthaus hat sich für Aramis erledigt," mischte er sich nachdenklich ein. Auf einmal sehnte sich Porthos nach einer Frau zum Heiraten und Kindern und er dachte sehnsuchtsvoll an Gräfin d'Grinolds und ihren wunderbaren Busen zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)