Verhängnisvolle Nacht von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 5: Nächtlicher Ausflug ------------------------------ I. Vincent d'Estouville ritt lässig die Straße hoch. Von seiner erhöhten Position aus hatte er einen guten Ausblick auf das vor ihm liegende Gasthaus L'Hirondelle. Die Bäume, welche das Wirtshaus vor der Straße verborgen hatten, waren gefällt worden. Rund um das Haus standen Birken und Eichen im satten Grün des Frühlings und neigten sich leicht im Wind. Die L'Hirondelle erstrahlte im neuen Glanz. Etliche Bedienste eilten umher. Fröhliche Disziplin erfüllte das Gasthaus. Die Wirtin führte ihre Leute gut. Er betrat das Gasthaus und steuerte in Richtung Wirtschaftsräume. Durch die offene Küchentür sah er den Hintern der Köchin schwingen, dass die enormen Stoffbahnen ihrer Unterröcke wippten. Schuldbewusst schlängelte er sich unbemerkt an der Küche vorbei. Madam Scoric, neue Köchin des L'Hirondelle, uneingeschränkte Regentin über Töpfe und Pfannen verdankte Vincent d'Estouville ihre neue Stellung und Aramis war sich nicht sicher, ob sie Monsieur dafür danken sollte. Wenn man Madame Scoric mehrere Zutaten vorsetzte, so nahm sie diese ohne Rücksicht auf Verluste in Angriff. Zeuge zu werden, wie sie Fisch zubereitete, war ein einzigartiges Erlebnis. Die neu ernannte Wirtin hatte Madame Scoric gewisse Dinge zu erklären versucht, doch das Dreifachkinn der Köchin wackelte derart drohend, dass Aramis aus der Küche floh. Ursprünglich hatte Madam Scoric das Küchenregiment von d'Estouvilles Haushalt geleitet, worunter dieser litt. Jedoch war Madame Scoric eine Institution von Trézien-Plouarzel, wie Meré Jeannot und niemand hätte es gewagt, sie zu entlassen. Nicht einmal ein Monsieur d'Estouville. Er überzeugte seine Köchin davon, dass das L'Hirondelle ihre Hilfe dringender benötigte und konnte ab jetzt seinem Gaumen die Feinheiten der französischen Küche gönnen. In einem kleinen Raum, mit Blick auf den Hinterhof, hatte Aramis ihr Büro eingerichtet. Das Licht der Mittagssonne warf sanfte Schattenkringel auf die Blätter vor ihr. Verbissen kämpfte Aramis mit den schier unendlichen Zahlenkolonnen vor ihr. Die Mühe des Rechnens stand ihr ins Gesicht geschrieben. D'Estouville schaute ihr schräg über die Schulter ins Dekollete. "Bonjour Monsieur d'Estouville." "Bonjour, meine Liebe." Aramis machte sich bereit für weitere Banalitäten. " Ich dachte, Sie sind erschöpft von dem gestrigen Fest?" "Warum sollte ich erschöpft sein, Monsieur?" fragte Aramis. "Wir haben die ganze Nacht getanzt." "Nein, haben wir nicht." "Hätten wir aber tun können." Er hatte sich an den Türrahmen gelehnt. Überrascht stellte er fest, wie viel Spaß er hatte, obgleich er nach über einem Jahr Geplänkel immer noch nicht mit ihr in der Horizontalen verweilte. D'Estouville fühlte sich in ihrer Nähe wohl, was unter anderem an ihrer Persönlichkeit lag. Die Persönlichkeit vieler Leute bot gerade genug Platz für eine Kammer. Bei Renée Burnet hingegen passte eine Parkanlage hinein. "Wir sind für einander bestimmt. Ich möchte deinen Körper." "Ich benutze ihn noch." "Wieso nehmen Sie meine Liebesteuerungen nicht ernst?" meinte d'Estouville gepielt gekränkt. Aramis seufzte "Oh Vincent, Elfengold löst sich am nächsten Morgen in Luft auf, aber im Vergleich mit Ihren Liebesbeteuerungen hat es die Stabilität von Stahl." "Immerhin hab ich Ihnen meine Köchin gegeben," meinte großzügig Monsieur d'Estouville. "Ja, danke nochmals," erwiderte Aramis trocken und überlegte, ob er diese Bemerkung ernst meinte. Wie sollte sie jemals den ganzen Mann ernst nehmen? Sie wendete sich wieder ihrer Buchhaltung zu. "Ich hege für Sie wirkliche Zuneigung, dass müssen Sie mir glauben, Renée!" Vincents Stimme klang ungewohnt traurig. Die große rote Scheibe der Sonne hing dicht über dem Horizont. Aramis dachte immer noch über Vincent d'Estouville nach, als Meré Jeannot mit einer Blechwanne an ihr vorbei durch die obere Etage polterte. Fluchtartig griff Aramis nach ihrem kleinen Sohn und stürzte an Pierrè vorbei die Treppe hinunter. "Was ist denn los?" "Meré Jeannot hat heute Badetag. Sie stimmt schon ihre Stimmbänder." Pierrè wusste, welches Unheil mit Meré Jeannots Badetag auf sie zukam und stürzte hinterher. Beide hatten sich kaum einen schalldichten Platz gesucht, als Meré Jeannot das erste Lied anstimmte. Madame Bourel sang nicht etwa schlecht, aber wenn die von ihren Stimmbändern verursachten Töne durch eine zur Hälfte gefüllte Blechwanne verstärkt wurden, so ergab sich etwas, das übers Akustische hinausging. "Ich wollte dich sowieso sprechen," wandte sich Pierrè an Aramis. "Was hältst du von zollfreier Ware? Ich habe einen Freund auf einem der Schiffe, die Ware von England nach Frankreich bringen. Mittwoch Nacht sind sie auf unserer Höhe." Pierrè legte eine bedeutsame Pause ein. "Was willst du mir sagen?" fragte Aramis vorsichtig. "Ich reden von zollfreiem Alkohol. Die Odyseuss würde uns Brandy, Whisky, Gin und Wein in Massen liefern und das ZOLLFREI." "Du redest von Schmuggel." "Ja, ich rede von Schmuggel und wenn ich dich richtig einschätze und davon gehe ich gerne aus, lässt du dir diese Chance nicht entgehen," entgegnete Pierrè. In seinen Augen stand ein beunruhigendes Leuchten. "Das einzige Problem ist, dass uns jemand zuvorkommt. Ich hatte schon ein Auge auf die letzten Ladungen geworfen, aber jemand anderes war schneller. Um diesen Jemand muss sich gekümmert werden," sagte Pierrè. "Nein, Pierrè! Besitzstreit zwischen Schmugglern und Vincent d'Estouville weiß, dass an seiner Küste Schiffe zu diesem Zweck anlegen. Er mag zwar der größte Geck Frankreichs sein, aber er wird was unternehmen. Was wenn wir erwischt werden? Glaube mir einfach, wenn ich dir sage, dass ich weiß, wie ein Gefängnis von innen aussieht. Ich kann mich nicht in Gefahr begeben. Ich habe an meinen Sohn zu denken, an Raoul," erwiderte Aramis hitzig. Pierrè sog scharf die Luft ein. "Wer redet denn davon, dass du mitkommst. Ich wollte nur deine Zustimmung, nicht deine Teilnahme." "Das Gasthaus läuft doch gut. Wir kommen auch so zurecht," sagte Aramis fast flehend. Pierrè betrachtete Raoul auf ihrem Arm, welches gerader hingebungsvoll sabberte. Er antwortete ruhig: "Du kannst deine Mitarbeiter bezahlen und den Kredit, aber auch nicht mehr. Und ich denke dabei an Raoul." Aramis sah Pierrès kleiner werdenden Gestalt hinterher. "Und, was sagst du dazu?" wandte sie sich an ihren Sohn. Raoul gluckste glücklich. Sie spürte seinen kleinen warmen Körper. Das Strampeln der kleinen Beine. Die kleinen Finger, welche sich in ihren Miederrand gruben. "Soll ich das als Ja nehmen?" Der nächste Tag fing nicht gut an. Das triste Grau des Himmels drückte auf die Gemüter. Aramis hatte eine unruhige Nacht hinter sich. Ihre Gedanken umkreisten noch immer Pierrès Vorschlag. Schmuggel an sich fand sie nicht schlimm. Niemand fand das. Nur der Zoll. Jeder er Verstand hatte, vermied es, Zoll auf eingeführte Waren zu zahlen. Alle taten es! Aramis hatte es schon gefuchst, dass sie es nicht tat, nur weil sie nicht wusste wie. Vor ihrem geistigen Auge türmten sich Fässer mit unverzolltem Gin, Wein und Brandy bis an die Kellerdecke. Ihr Gewissen bereitete ihr keine Probleme. Es war wie eine Beteiligung an einem allgemeinen Zeitvertreib, ein fröhliches Hinterziehen von Steuern, die ansonsten in Richelieus Taschen fließen würden. Etwas Zitronengelbes kam den Weg entlang. Auch Monsieur Gillets Gang war der einer Ziege. "Bonjour Monsieur Gillet, was führt euch hierher?" "Bonjour Madame!" Nicolas Gillet entblößte zwei Reihen unregelmäßiger Zähne. "Ich möchte nur sichergehen, dass Sie genug Geld einnehmen, um ihren Kredit zu tilgen." Er schwenkte zuvorkommend seinen Hut und ließ Aramis zähneknirschend im Gasthof stehen. "Pierrè, wann kommt dieses Schiff?" "Nächsten Mittwoch," erwiderte der Angesprochene ruhig. "Ich werde dabei sein!" Aramis energische Schritte hallten auf dem Kopfsteinpflaster des Hofes wieder. *** II. Der Mittwoch kam und Aramis fieberte dem Abend entgegen. Im Gasthaus war an diesem Tag wenig Betrieb, da es Wochenmitte war und die Postkutschen auf Grund des eingesetzten Tauwetters nur begrenzt fuhren. Angst verspürte sie nicht. Es gab kaum etwas, vor dem sie wirklich Angst hatte. Aufregung und Ungeduld ließen ihren Magen kribbeln. Abends brachte sie ihren Sohn wie gewohnt ins Bett und wartete auf Pierrè. Am Ende der Treppe stieß sie auf Meré Jeannot und Madame Scoric. Suzanne Scoric hatte sich in ihrer Jugend nicht über zu wenig Bewunderer beklagen können, doch die Jahre hatten ihren Körper so verändert, dass man ihn bestenfalls als gemütlich bezeichnen konnte. Dazu kam ein Gesicht, das an eine Rosine erinnerte. "Sie haben schon wieder Hosen an," empörte sich Madame Scoric und schob das Kinn vor. "Die Hose sieht recht bequem aus", erwiderte Meré Jeannot diplomatisch. "Sie ist bequem," meinte Aramis ruhig. "Frauen sollten keine Hosen anziehen ... alle können ihre Beine sehen." "Nein," widersprach Aramis. "Der Stoff ist im Weg." "Aber man kann sehen, wo sich die Beine befinden", kreischte Madame Scoric. Meré Jeannot ging mit einem bedauernden Lächeln in Deckung. "Man könnte somit auch behaupten, dass die Leute unter ihrer Kleidung nackt seien." "Für mich gilt das nicht," stellte Madame Scoric fest. "Ich trage 3 Unterröcke." Und rauschte davon. Pierrè und Nobby kamen in Begleitung eines unbekannten Mannes. Er war von gedrungener Statur. Seine Gesichtszüge waren derart in ständiger Bewegung, dass sein Gegenüber in nervöse Zuckungen verfiel. "Charles, das ist Madame Brunet," stellte Pierrè ihn Aramis vor und zog diese beiseite. "Wer ist das denn?" "Charles Poitiers, ein Freund von mir." "Schon wieder ein Freund!" Das war eine Feststellung und keine Frage. "Er hat bei mir noch etwas gut und da er Schriftsteller ist, kommt er mit. Sozusagen um Erfahrungsberichte zu sammeln," flüsterte Pierrè. "Was? Wir machen hier keinen Spaziergang im Mondschein. Seit wann bist du dermaßen unvorsichtig?" Aramis Stimme rutschte merklich höher. "Psst, ich vertraue ihm und wir brauchen ihn sowieso. Der Kapitän spricht nur Englisch mit einem scheußlichen Dialekt. Wir brauchen ihn als Dolmetscher." "Was ist mit deinem Freund?" Aramis sah zweifelnd zu Monsieur Poitiers. "Es gab einen Sturm und er ist über die Reling geweht worden. Gott sei seiner Seele gnädig." "Ja, Amen und ich halte es trotzdem für einen großen Fehler." "Wenn ich jetzt schon Frauen bei solchen Unternehmungen mitnehme, dann können auch Möchtegern Schriftsteller mit," sagte Pierrè sichtlich verärgert. Aramis funkelte ihn an: "Die letzte Bemerkung will ich nicht gehört haben." Und Charles Poitiers wollte unbedingt mit. Dabei gehörte er eher zu den gemütlichen, vorsichtigen Menschen. Jemand, der seinen Tee aus der Untertasse trinkt, wenn er glaubt, dass dieser zu heiß ist und Geräusche von sich gibt, wie billige und schlecht installierte sanitäre Anlagen. Aber Schriftsteller geben sich häufig recht übertriebenen Vorstellungen in bezug auf Abenteuer hin. Das passierte, wenn man zu lange in kleinen Zimmern mit zugezogenen Vorhängen hockt, anstatt nach draußen an die frische Luft zu gehen. Es war Nacht geworden. Eine dunkle Nacht, mit einer Dunkelheit, als hätte man das Gefühl, eine Hand voll davon greifen und die Nacht herausquetschen zu können. Pierrè's Gesichtszüge blieben ungerührt, als er Aramis mit Degen über den Hof kommen sah. Er wusste, dass Renée Brunets Persönlichkeit über viele verschiedene Facetten verfügte. Auch wenn sie nicht oft über ihr früheres Leben sprach. Die Selbstverständlichkeit mit der sie Waffen und Hosen trug und sich auf ihr Pferd schwang, um in die Nacht hinaus zu reiten, versprach eine weitere interessante Seite. Irgend etwas ging von ihr aus, dass über das eingeschränkte Leben einer Frau hinaus ging. Nachdem sie eine halbe Stunde in scharfem Tempo geritten waren, kam der Küstenstreifen in Sicht, an dem die Übergabe stattfinden sollte. Sie hielten in einem kleinen Waldstück, unweit der Bucht. Das Tosen der Brandung drang durch das Dickicht. Riesige schwarze Bäume neigten sich in ihren dunklen Wipfeln aneinander. "Seht ihr das Dornengestrip am Felsenrand?" Pierrè zeigte in das undefinierbare Dunkel vor ihnen. "Nein, eigentlich nicht!" "Es ist aber dort. Durch die Büsche führt versteckt der Weg runter zur Bucht. Es ist der einzige Weg nach unten. Das Schiff wird schon angelegt haben. Man sieht es nur, wenn man direkt unten in der Bucht ist," erklärte Pierrè. "Ihr bleibt jetzt hier hinter dieser Baumgruppe verborgen. Nobby und ich gehen vor und sehen nach, ob das Schiff schon da ist und ob sich diese Mistkerle hier irgendwo verstecken." Aramis hielt Pierrè an der Jacke fest. "Von wie vielen Mistkerlen sprechen wir denn?" "Ach, nur zweien. Wir regeln das schon. Bleibt ihr beide nur brav hier, hinter den Bäumen versteckt! Komm Nobby!" Und wenn man mal von der Tatsache absah, dass bestimmt etwas schief ging, dann schien alles narrensicher zu sein. Aramis sah den schattenhaften Gestalten nach, während diese mit der Dunkelheit verschmolzen. Sie hatte abwartend die Arme verschränkt und trommelte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. Ihr gefiel es überhaupt nicht, nur passiv beteiligt zu sein. Sie spähte vergebens in Richtung Meer, während sich neben ihr Poitiers nervös am Kinn kratzte, was sich anhörte, als riebe jemand Sandpapier aneinander. "Ich kenne das Stückchen hier," erklärte Poitiers. Er war sichtlich nervös. "In meiner Jugend war ich oft hier, um ... Nun ja, er ist bei jungen Leuten sehr beliebt, da ...," Poitiers hüstelte verlegen. "Zur rechten Seite müsste sich eine alte Burganlage befinden. Sie steht schon mehrere hundert Jahre leer. Allerdings ursprünglich hat um 900 n.Ch. ..." "Psst, was war das?" unterbrach Aramis seinen geschichtlichen Abstecher. "Was?" "Hören Sie das nicht? Mehrere Männerstimmen. Auf jeden Fall mehr als zwei." "Das müssen nicht unbedingt die Schmuggler sein, die Pierrè sucht. Sie könnten hier rein zufällig sein." wisperte Monsieur Poitiers. "Na sicher, das ist bestimmt ein beliebtes Ausflugsziel, besonders um diese Uhrzeit." zischte sie ihm verärgert zu. "Folgen Sie mir oder wollen Sie hier warten, um sie zu fragen, was die hier wollen? Ich hoffe nur, sie entdecken nicht die Pferde." Charles schlich Aramis hinterher ins Dickicht. Irgendwie hatte der Wald sich verändert. Poitiers glaubte sich zu erinnern, dass es hier in seiner Jugend Hyazinthen, Oleander und Schlüsselblumen gegeben hatte. Jetzt schien die Vegetation nur aus Dornenbüschen zu bestehen. Sie zerrten an seiner Jacke und gelegentlich stießen ihm die Zweige aus reiner Bosheit den Hut vom Kopf. "Wir sind viel zu nah an ihnen dran." Monsieur Poitiers Stimme quietschte. "Ich will sie beobachten. Nicht, dass sie mit Pierrè und Nobby zusammenstoßen." Poitiers wünschte sich, Renée Brunet wäre in der Schublade geblieben, in die er sie eingeordnet hatte. Attraktive, kultivierte Frauen hatten vor Gefahr zurück zu scheuen, statt sich ihr zu nähern und noch Spaß daran zu haben. Neben ihm leuchteten ihre Augen erwartungsvoll. Das also war das Abenteuer. Er hatte darüber geschrieben, hatte davon geträumt. Charles der Furchtlose. Aber es war schmutzig. Wo blieb die Romantik? Wo der Heldenmut? Irgendwo unter seinen Fußknöcheln, die ihn fast nicht tragen wollten. "Sie sollten sich die Sache nicht als Gefahr vorstellen," wisperte Aramis ihm zu. "Sehen Sie darin statt dessen eine interessante Anekdote, die Sie später Ihren Enkeln erzählen können." "Finden Sie das komisch, Madam Brunet?" empörte er sich. "Das ist nicht richtig. Sie verhalten sich vollkommen falsch. So benimmt sich keine Frau." Aramis schob ihn mit sanften Nachdruck vor sich her. "Das mag normalerweise der Fall sein," sagte sie. "Aber ich bin im Urlaub." Poitiers stöhnte innerlich auf. Warum waren nicht alle Frauen wie Madame Poitiers. Madame Poitiers blieb zu Hause, hütete Haushalt und Kinder und war gefälligst glücklich dabei. Die Leute schätzten Madame Poitiers. Sobald eine Seele Zuflucht brauchte, kam sie zu ihr. Gut, Frauen, wie diese mutige Draufgängerin neben ihm beflügelte die Männerfantasien, aber doch nur in Romanen. Beide krochen weiterhin parallel zu den Stimmen im Gebüsch herum. Und zu einer Jahreszeit, in der alles aufblühte, fiel Monsieur Poitiers Nase ein, extrem empfindlich auf Blüten und Pollen reagieren zu müssen. Sein Niesen, vom Wind aufgenommen und fort getragen, fand seinen Weg ungestört zu den Ohren der Männer. "Ob sie es gehört haben?" "Ja und ich würde vorschlagen, dass wir anfangen zu rennen. Jetzt!" *** III. Aramis hörte Poitiers unregelmäßigen Atem, als die hohen Mauern der alten Burganlage vor ihr auftauchten. Sie dankte sämtlichen Grafen und Lords, welche die schützenden Mauern in Auftrag gegeben hatten und stürmte durch das Tor, die nächstliegende Treppe hoch. Erst am Ende der Treppe wurde ihr bewusst, dass Poitiers Japsen fehlte. Ihr blieb keine Zeit mehr, sich nach Poitiers umzusehen, da schon einer der Männer am Fuß der Treppe erschien. Aramis hechtete auf die nächste Tür zu und schob den Riegel vor. Ein riesiges Bett füllte den Raum aus. Über den Vorhängen lag jahrhundertealter Staub. Es schien wenig Sinn zu haben, das Bett als Versteck zu nutzen. An der linken Wand war eine Nische von einem Vorhang verborgen. Das Loch im Steinsims gab Aufschluss über die damaligen Toilettenverhältnisse. Aramis sah voll Unbehagen an der besudelten Röhre hinunter. Der Schacht bot genug Platz für einen Körper. Etwas stieß wuchtig gegen die Tür. Sie traf eine Entscheidung. Ihr Angreifer hatte die Tür aus den rostigen Angeln gehoben. Er sah den halb zugezogenen Vorhang, welcher sich durch den leichten Luftzug bewegte. Lächelnd trat er näher, um den Vorhang beiseite zu ziehen. Er beuge sich zum Loch vor. Aramis erschien hinter ihm und schlug fest mit einem der morschen Stühle zu. Der Stuhl zerbrach im Nacken des Mannes. Er versuchte sich umzudrehen und sein Gleichgewicht zu finden, aber in Aramis Händen war immer noch genug Stuhl übrig, um erneut zuzuschlagen. Sie vernahm ein dumpfes Pochen, als er rückwärts kippte. Manchmal hilft es doch, sich erst zu verstecken. Charles Poitiers sah sich um. Er konnte schon die Umrisse der verfolgenden Männer erkennen. In der Annahme, dass Aramis den Weg am Schloss entlang genommen hatte, bog er links um die Ecke, am dunklen Kanal des Burggrabens entlang. Mehrere Meter unten, floss zähflüssig das Wasser. Er lief orientierungslos, nur von den Schritten der Verfolger und seiner Angst angetrieben. Drei der Ganoven hatten die Verfolgung des Schriftstellers aufgenommen. Sie bewiesen damit die für Ganoven typische Fähigkeit, das schwächste Glied in der Kette zu finden. Poitiers stolperte, fiel und fand nicht mehr die Kraft, sich aufzurichten. Schweigend näherten sich ihm jetzt die Männer. "Boo ..njour Monsieurs," stotterte Poitiers. Sie schwiegen "Ich wollte Sie nicht stören, ähm ..," bemerkte Charles Poitiers. Keine Antwort. "Ich .. ich bin nur Schriftsteller... wirklich." Wieder fehlte für einen Dialog die Antwort. "Ich habe Sie offiziell nie gesehen, Sie können ganz unbesorgt sein", fügte Poitiers zittrig hinzu. Er war jetzt einer Ohnmacht nahe. Poitiers beschloss, dass Abenteuer jemand anderem zustoßen mussten und als sich die Männer grinsend näherten, sprang er über die Brüstung und fiel ohne besondere aerodynamische Eleganz in die Tiefe. Unten erwartete ihn das kalte Wasser des Burggrabens. Einer der Männer eilte zu dem davon schwindenden Monsieur Poitiers, um ihn aufzuhalten, als jemand gegen ihn prallte und ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Aramis hatte alles nur von weitem gesehen und sich gedankenlos gegen den Mann geworfen. Sie fand nur mühsam die Kontrolle über ihren Körper zurück. Verwirrt registrierten die Männer, dass eine Frau vor ihnen stand. Ihre Gesichter waren ungepflegt. In ihren Augen standen Habgier und Gewalt. Der ihr am nächsten stehende Gegner wandte sich Aramis zu. Sein Degen wog lässig in seiner Hand und er lächelte höhnisch. Das Begreifen, dass es ein Fehler war, sie zu unterschätzen kam zu spät. Tödlich getroffen sank er zu Boden. Dafür begriffen seine Gefährten um so deutlicher. Lauernd kamen sie näher. Hass stand in ihren Augen. Beide griffen gleichzeitig an. Ihre Degenführung war von purer Kraft und hektischen Bewegungen geprägt. Aramis fand zur jahrelangen Routine zurück und überlegt konterte sie die Angriffe. Prägnant fand die Spitze ihres Degens seinen Weg. Der zweite Gegner starb. Aramis trieb den verbliebenen Gegner mit schnellen und präzisen Attacken in die Enge. Sie tötete ihn schnell und schmerzlos. Aramis sah auf die toten Gestalten am Boden. Sie hatte bisher kaum jemanden getötet. Ihre Gegner hätten mit ihr kein Erbarmen gehabt, aber ihr Tod tat Aramis dennoch leid. Für solche Situationen brauchte sie Athos und Porthos. Sie wünschte, sie könnte sich einfach umdrehen und beide hinter sich stehen sehen. Aramis schreckte aus ihren Gedanken, als sie das Herannahen eines Pferdes hörte. Mit Schrecken sah sie Vincent d'Estouville wutentbrannt auf sich zukommen. Sie hatte ihn noch nie so wütend gesehen. Sie hatte angenommen, dass d'Estouvilles frivoler Charakter Wut gar nicht zuließ. "Du dummes Weibsbild, was machst du hier?" brüllte er. "Mein Gott ..." Er sah fassungslos auf die toten Männer. Im Dunkel der Nacht konnte er nicht sehen, dass sie den Degen hinter sich ins Gebüsch schmiss. "Oh, Ich weiß, was du hier machst!" "Du eitler Schönling, was geht es dich an, was ich hier mache," brüllte Aramis zurück. "Ich bin schon seit einiger Zeit hinter den Schmugglern her .... und wen muss ich hier vorfinden? Man sollte dich zu deiner eigenen Sicherheit wegsperren lassen." "Ach, du jagst Schmuggler. Hast du dich von deinem Spiegelbild losreißen können?" Vincent packte fest ihren Oberarm und schüttelte Aramis durch, dass ihre Zähne aufeinander klapperten. "Weißt du, dass ich dich ins Gefängnis schicken kann? Das ich dich enteigenen kann? Es wäre meine Pflicht." Aramis riss sich los und funkelte ihn böse an. "Du dummes Weib denkst du, dass das ein Spiel ist? Du wirst mich ernst nehmen!" Die Stimmen hatten sich hochgepeitscht. "Ich soll dich ernst nehmen? Ich soll dich ernst nehmen? Jemanden, der nur mit meinem Dekollete kommuniziert." "Ich werde über die Aktion heute hinweg sehen. Ihr wart nie hier! Dafür bist du mir eine Gefälligkeit schuldig!" sagte d'Estouville deutlich ruhiger. Aramis erbleichte. Er wollte doch nicht .... "Ich will dich hier NIE wieder sehen. Nimm deine Leute und verschwinde nach Hause. Morgen werden Agenten aus Brest eintreffen. In den kommenden Wochen wird es hier von Beamten wimmeln. Solange, bis der hiesige Schmuggel aufhört." Aramis und Vincent starrten sich mit verschränkten Armen an. Er seufzte und ging zu seinem Pferd. "Wo sind überhaupt deine Leute?" Vincent schnaufte. "Wie können Sie eine Frau unter lauter Toten zurücklassen? Ich hoffe, du musstest den Kampf nicht mit ansehen." Gut, dachte Aramis, er brachte den Kampf nicht mit ihr in Verbindung. Sie hätte eine Menge zu erklären gehabt. D'Estrouville wendete sein Pferd und sah auf sie herab. Er seufzte. "Wenn du so dringend Geld brauchst, dass du dich jetzt schon auf kriminelle Geschäfte einlassen musst, dann heirate lieber mich, René." HEIRATE MICH? Meinte er das ernst? Aramis war zu verblüfft, um ihn darauf hinzuweisen, dass seine finanzielle Lage auch nicht besser aussah als ihre. Er bekam nur, auf Grund seiner Position, einen größeren Kreditrahmen. Sie sah Vincent zu, wie er davon ritt. Was Verhütung von Verbrechen betraf, so dachte der örtliche Büttel in großen Maßstäben. Er hatte die Ansicht, der Versuch, den Schmuggelhandel zu senken, hatte ungefähr die gleiche Aussicht auf Erfolg, wie die Bemühung, den Salzgehalt des Meeres zu senken. Nach seiner Meinung musste ein moderner Büttel dem Verbrecher einen Schritt voraus sein. Irgendwann würde sich der Schmuggler in sein Wohnzimmer verirren und dann war er zur Stelle. Bis dahin konnte er es sich vor dem Kamin gemütlich machen. Er verschüttete seinen Tee vor Schreck, als die Tür aufschwang und Vincent d'Estouville wütend auf der Schwelle erschien. Den Vorwurf von Monsieur d'Estouville, er sei dumm und unfähig, nahm er sich nicht zu Herzen. Er war ein moderner Büttel und die wussten es besser. Charles Poitiers kam nass und durchfroren mit Nobby und Pierrè um die Ecke getrottet. Sie blickten verlegen an ihr vorbei. Anscheint hatten die drei den größten Teil des Gespräches mitbekommen. Pierrè pfiff durch die Vorderzähne. "Was ist denn hier passiert?" Er zeigte auf die Leichen. "Sind die tot?" fragte er. "Das weiß ich nicht. ... Charles, Sie waren doch vor mir hier?" fragte Aramis mit Fistelstimme und Wimpernaufschlag. "Aber Charles, dass hätte ich dir gar nicht zugetraut. Und gleich drei Männer. Sie sehen ziemlich finster aus." Anerkennend schlug ihm Pierrè auf den Rücken. Der unbekannte Retter war nirgendwo zu sehen und so nahm Charles Poitiers die Ehre für sich in Anspruch. "Ach, das war gar nichts," sagte er im lauten Rauschen des völlig ungewohnten Testosterons. Pierrè wandte sich an Aramis. "Ach Reneè, wir hatten Euch nicht gefunden. Darum haben wir schon die Packpferde mit dem Alkohol beladen. Lasst uns nach Hause reiten. Die Sache mit den anderen Schmugglern hat sich ja jetzt auch erledigt. Respekt Charles, Respekt!" Der Adrenalinschub des bestandenen Abenteuers hatte seltsame Nebenwirkungen auf Poitiers. Er fing an jedem aktiv auf die Schultern zu klopfen. "Haben wir das Ding geschaukelt oder haben wir das Ding geschaukelt?" fragte er glücklich. "Beim zweiten Mal muss es "nicht geschaukelt" heißen," lenkte Aramis ein. "Wir sind gerissen und gefährlich," rief Charles jäh in einem untypischen Anfall von Machismos. "Ja-ah, sind wir gerissen und gefährlich?" Aramis hob eine Augenbraue und wandte sich an die Anwesenden. "Sind wir gerissen und gefährlich?" "Ich glaube, dass ich gerissen und gefährlich bin," sagte Pierrè. "Ich bin bereit gerissen und gefährlich zu sein, wenn die anderen auch gerissen und gefährlich sind," bot Nobby an. Aramis blickte zu Charles. "Ja," meinte sie. "Offenbar sind wir alle gerissen und gefährlich." Alle verstummten, als hinter ihnen verdächtige Geräusche ertönten. Aus der Dunkelheit torkelte ziemlich benommen ein Mann auf sie zu. Aramis erkannte ihren Verfolger, welcher durch den Apportschacht gerutscht war. Der Weg über Steine, Dreck und Dornen hatte seine Kleidung zerrissen und das Naturgesetz des allgemein gültigen Humors sorgte dafür; dass er äußerst lächerliche Unterhosen trug. Bei ihrem Anblick ergriff er, soweit es sein angeschlagener Zustand erlaubte, die Flucht. Keiner der Anwesenden machte sich die Mühe ihn zu folgen. Die Nacht neigte sich zu Ende, als sie mit ihrer Beute heimwärts ritten. Pier war selig und sang aus voller Brust in derart falscher Tonlage, dass sich der Rasen am Wegrand nach oben bog. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)