Weggehen und etwas anderes machen von Niekas ================================================================================ Kapitel 3: Zehn --------------- Als Asuma an diesem besonderen Tag von der Akademie kommt und seine Schultasche in die Ecke pfeffert, sieht er durch ein Fenster, dass Hiruzen im Garten steht. Sein Herz macht einen Hüpfer. „Papa!“ Er schiebt die Tür zur Veranda auf und springt die Holzstufen hinunter. „Papa, rate, was passiert ist! Ich ...“ Er stockt, als wie aus dem Nichts zwei ANBU vor Hiruzen auftauchen. Der eine sagt gedämpft etwas zu ihm, und Hiruzen nickt und überlegt kurz. Er gibt irgendeinen Befehl, und einer der beiden Männer verschwindet wieder. „Papa?“, fragt Asuma zaghaft. Hiruzen dreht sich um, und einen Moment lang sieht er ungeduldig aus. Dann lächelt er und streicht Asuma über den Kopf. „Asuma. War es schön an der Akademie?“ Er fragt, aber Asuma weiß, dass er für die Antwort gar keine Zeit hat. „War gut“, murmelt er. „Wie immer.“ „Das freut mich. Ich muss dringend weg. Sag deiner Mutter, sie soll das Abendessen für mich aufheben, ja?“ Mit dem nächsten Wimpernschlag ist er in einer Rauchwolke verschwunden, zusammen mit dem verbleibenden ANBU. Asuma bleibt stehen, wo er ist, und ballt die Fäuste. „Asuma!“, erklingt Biwakos Stimme hinter ihm, aber er achtet nicht darauf. Soll Papa doch gehen und irgendwelche orangen Siegel verteilen, um Geheimnisse zu schützen, die Asuma nichts angehen. Oder womit auch immer er seine Zeit verbringt. „Asuma?“ Biwako tritt hinter ihn und streichelt seine Schulter. „Hey. Was ist denn los? Wie lief die Abschlussprüfung der Akademie?“ Asuma kann nichts sagen. Seit drei Wochen konnte er an nichts anderes denken als an die Prüfung, hat ständig davon erzählt, beim Frühstück, beim Abendessen, einfach immer. Wie oft hat Hiruzen nur genickt und ihn angelächelt. Du schaffst das schon, mein Sohn. Ich glaube an dich. Aber für Asuma hat es immer geklungen wie Ich bin der Hokage, ich habe wichtige Dinge zu erledigen. Glaubst du wirklich, ich mache mir Sorgen um deine lächerliche Prüfung? „Asuma?“, fragt Biwako besorgt. „Was ist denn, mein Schatz? Ist es nicht gut gelaufen?“ „Habe bestanden“, murmelt Asuma. „Mit Auszeichnung.“ Tränen schießen ihm in die Augen. Er reißt sich von seiner Mutter los, rennt zu dem Baum im hintersten Teil des Gartens und klettert die Äste hinauf, gelenkig wie ein Affe. Neun Jahre alt und Genin zu sein, ist gut, hat Asuma gedacht. Aber das ist es nicht, weil seine Missionen Unsinn sind, stumpfsinnig und nutzlos. Und weil Hiruzen ihn noch immer kaum ansieht, nicht mehr als ein Lächeln beim Abendessen und ein „Wie war dein Tag?“. Danach geht er wieder in sein Arbeitszimmer und versiegelt Schriftrollen. Asuma betrachtet die orangen Siegel feindselig. Irgendwann wird er groß genug sein, um sie zu bezwingen. Irgendwann. Aber zuerst einmal wird er zehn, und der Winter und der Frühling gehen vorüber. Danach kommt der lange Sommer, in dem er sich mit den anderen Jungen herumtreibt, mit Gai und Ibiki, mit Obito und den restlichen schwarzhaarigen, schwarzäugigen Uchiha-Bälgern, manchmal mit Kakashi, manchmal mit den Großen, Genma und Ebisu und Raidou. Söhne von Jounin und ANBU, Söhne von Chuunin, Söhne stolzer Clans und solche aus den bescheidensten Verhältnissen. Gais Vater ist nur Genin. Manchmal zieht jemand Gai damit auf, und dann prügeln sie sich, bis eine blutet, und dann ist alles wieder in Ordnung. Das Leben ist so einfach. Nur einer von ihnen ist der Sohn des Hokage, aber das kommt nie zur Sprache. Beinahe wünscht Asuma sich, jemand würde einen dummen Spruch darüber bringen. Dann könnten sie sich gegenseitig eine blutige Nase hauen, und damit wäre das Thema erledigt. So funktioniert das. „Ich habe dir doch gesagt, wann es Mittagessen gibt! Jetzt ist es natürlich kalt! Wo hast du so lange gesteckt?“ Biwako muss immer öfter Asumas zerrissenen Kleider flicken, seine aufgeschlagenen Knie verarzten und sich die Beschwerden der Nachbarn anhören. Ihr Sohn hat meine Katze mit Steinen beworfen! Ihr Sohn hat meine Kirschen gestohlen! Ihr Sohn hat meinen Gartenteich tintenblau gefärbt! „Du machst mir Sorgen, weißt du das?“, faucht sie und sucht einen passenden Stoffrest für einen Flicken aus ihrem Nähkästchen. Asuma sitzt ihr gegenüber am Küchentisch und schaufelt lauwarmen Reis in sich hinein. Er sagt nichts. „Und du machst deinem Vater Sorgen!“ „Als ob“, knurrt Asuma. „Der hat doch zu viel zu tun. Der merkt gar nicht, was ich mache.“ „Was glaubst du, warum er so viel zu tun hat? Konoha regiert sich nicht von allein! Die diplomatischen Beziehungen zu Iwa sind die reinste Katastrophe, und dein Vater verhandelt Tag und Nacht, um einen Krieg zu verhindern! Einen Krieg, Asuma!“ „Das sagst du schon ewig. Papa muss hier Krieg verhindern und da. Aber nie passiert wirklich etwas.“ „Und dafür solltest du deinem Vater danken!“, herrscht Biwako ihn an und greift nach seiner Hose, die ein Loch am Knie hat. „Du solltest deine Aufgaben als Konoha-Nin mit Stolz und Pflichtbewusstsein erfüllen. Aber nein, stattdessen treibst du dich müßig herum mit deinen Freunden ... wer nochmal? Der Junge von Maitos, und der kleine Ibiki?“ „Geht dich doch nichts an, wer meine Freunde sind.“ Biwako funkelt ihn an. „Wirst du jetzt auch noch frech, ja? Ich verstehe dich nicht mehr, Asuma. Du bist unausstehlich geworden. Du vernachlässigst sogar dein Training in letzter Zeit. So geht es nicht weiter.“ Asuma starrt in seinen Reis. Er könnte sagen, dass er so lange unausstehlich sein wird, bis Hiruzen bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Aber da kann er vermutlich lange warten. „Du hast Hausarrest“, sagt Biwako knapp. „Bis auf Weiteres.“ Erschrocken hebt er den Kopf. „Warum?“ „Weil du dein Training wieder aufnehmen musst, Asuma, und weil ich dich im Auge behalten will.“ „Ich bin morgen mit den Uchihas verabredet! Wir wollen schwimmen!“ „Sie werden dein Fehlen schon verkraften“, erwidert Biwako trocken, ohne den Blick von dem Flicken zu heben. „Du bist gemein!“, schreit Asuma und springt vom Tisch auf. „Ich habe gar nichts gemacht!“ „Du warst schon wieder nicht pünktlich zum Mittagessen, und dein Sensei hat sich schon zum zweiten Mal über deine mangelnde Disziplin beschwert! Du wirst hier bleiben und trainieren. Das ist mein letztes Wort.“ Was soll er antworten? Er will rufen Das sag ich Papa!, aber Hiruzen hat Biwako noch nie in ihre Kindererziehung hineingeredet. Er wird Asuma jedenfalls nicht unterstützen. Wütend dreht er sich um und verlässt die Küche. „Du hast nicht einmal aufgegessen, Asuma! In Ame verhungern Kinder!“ Er ignoriert Biwako. Was sie gesagt hat, würde nicht so schmerzen, wenn er nicht wüsste, dass es stimmt. In letzter Zeit hat er das Training schleifen lassen, viel mehr sogar als seine Freunde. Er wollte ein guter Shinobi werden, irgendwann einmal wollte er Hiruzen übertreffen. Was ist passiert? Wie soll er je lernen, die orangen Siegel zu öffnen, wenn er schon als Genin keinen Antrieb mehr hat, sich zu verbessern? Es wird doch keinen Unterschied machen. Wütend springt er die hölzerne Treppe zum Garten hinunter, überquert mit ein paar Sätzen den Rasen und greift nach dem Baumstamm. Es ist egal, was er tut, Hiruzen wird sich niemals ändern. Selbst wenn Asuma Chuunin würde, oder Jounin, oder womöglich zur ANBU gehen würde – Hiruzen hätte immer nur als Shinobi für ihn Zeit. Und das will Asuma nicht. Er will, dass sein Vater Zeit für ihn hat. Ist das zu viel verlangt? Den Baumstamm hochzulaufen ist ein Kinderspiel, so oft hat er es schon getan. Das hier ist Asumas Baum, er kennt ihn in- und auswendig. Mit schlafwandlerischer Sicherheit greift er nach den untersten Ästen, stemmt sich hoch, zieht und drückt. Höher, höher hinauf, bis die Wiese unter ihm kleiner wird und er vor lauter Blättern kaum noch hinaus sehen kann. Geschickt wie ein Affe. Sein Ehrgeiz mag kaum nennenswert sein, aber er reicht, um auf den Baum zu klettern. Das wäre ja noch schöner. „Asuma! Du musst ins Bett!“ In Biwakos Stimme liegt schon längst eine Mischung aus Mahnung und Resignation. Das Licht ist so weit geschwunden, dass Asuma ihre Silhouette auf der Veranda kaum noch erkennen kann. Er bleibt auf seinem Baum, die Hände über einem dicken Ast verschränkt und das Kinn darauf gelegt. Die Feuchtigkeit der Nacht kriecht langsam heran und schleicht sich klamm in seine Kleider. Sie schleicht wie ein Ninja, denkt Asuma und bleibt liegen. „Dann bleib eben dort oben. Wenn du dir eine Erkältung holst, wirst du ja sehen, was du davon hast.“ Er antwortet nicht, rein aus Prinzip. Sie verschwindet wieder im Haus, und er bleibt, wo er ist. Wie lange er bleiben will, weiß er noch nicht. Biwako hat ihn zu Hausarrest verdonnert, aber sie hat vergessen, ihm zu verbieten, auf seinem Baum zu hocken. Hinter den erleuchteten Fenstern des Hauses sieht er undeutliche Gestalten umher laufen, seine Mutter, seine Geschwister. Er sitzt draußen im dunklen Garten und gehört nicht dazu. Es gefällt ihm. Eine Weile lang träumt er in seiner Rolle des Ausgestoßenen vor sich hin, bis die Tür sich erneut öffnet und jemand hindurch tritt. Langsam steigt er die Treppe hinunter und bleibt unter dem Baum stehen. „Asuma?“ Die Stimme lässt Asuma zusammenzucken. Warum ist Hiruzen da? Er kommt seit Jahren nicht mehr in den Garten, um Asuma zu sehen. Er antwortet nicht und versucht, sich kein Stück zu rühren. „Ich weiß genau, dass du da oben bist“, sagt Hiruzen. Das Gesicht hat er erhoben, ein verwaschener, heller Fleck im Schatten des Gartens. „Deine Mutter hat mir gesagt, dass sie sich Sorgen um dich macht.“ „Und jetzt machst du einen auf besorgter Vater?“, flüstert Asuma unhörbar. „Gib es einfach auf. Du taugst nicht als Vater.“ Hiruzen schweigt einen Moment lang. Als er wieder spricht, klingt er sehr ernst. „Ab heute liegt Konoha im Krieg, Asuma.“ Asuma fährt zusammen, ein Zweig neben seinem Fuß raschelt. Krieg? Was ist das? Hat Mama nicht gesagt, Papa würde alles tun, um einen Krieg zu verhindern? „Ich hätte dir gerne eine friedliche Kindheit gegeben“, fährt Hiruzen leise fort. „Das wäre das Mindeste gewesen, was ich als Vater und Hokage für dich hätte tun können. Aber es hat nicht sollen sein. So sehr ich es dir gönnen würde, weiter ein unschuldiges Kind mit nichts als Flausen im Kopf zu sein – es geht nicht. Du musst erwachsen werden, und zwar sofort. Du bist einer der Shinobi Konohas. Konoha braucht dich.“ „Ja, Vater“, antwortet Asuma automatisch, und erst im nächsten Moment fällt ihm ein, dass er eigentlich so tun wollte, als sei er nicht da. Noch immer schwirrt ihm der Kopf. Ein Krieg? Was bedeutet es, ein zehnjähriger Genin in einem Staat zu sein, der im Krieg liegt? „Du bist mein Sohn, Asuma.“ Hiruzen stockt kurz. „Das wissen nicht nur die Bewohner Konohas, sondern auch unsere Feinde. Ich fürchte, dass du an der Front in noch größerer Gefahr schweben wirst als die anderen Genin. Aber du musst kämpfen. Dein Vater, dein Clan und du selbst dürfen nicht als feige dastehen.“ „Ja, Vater“, murmelt Asuma. „Ich will, dass du auf dich aufpasst. Natürlich will ich keines von Konohas Blättern verlieren, aber das wird bald unvermeidlich werden. Nur bist du kein Blatt wie jedes andere. Du bist mein Sohn, und dich will ich am allerwenigsten verlieren. Du hast einen besonderen Platz in meinem Herzen, Asuma. Ich will nur, dass du das weißt.“ Er verstummt, und Asuma muss schlucken. Er weiß gar nicht, was er sagen soll. Als er spricht, klingt seine Stimme erstickt. „Ich habe verstanden, Vater.“ Hiruzen nickt, wartet noch kurz, wie in Gedanken, und wendet sich ab. Plötzlich wirkt er sehr alt, sein Gang langsam, mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern. Er will den Frieden erhalten, hat Biwako gesagt. Wenn jetzt Krieg ist, heißt das wohl, dass er versagt hat. Es ist das erste Mal, dass er in irgendetwas versagt. Oder nein, fällt Asuma ein. Rauchringe machen kann er auch nicht. Als Hiruzen ins Licht tritt, das durch die Fenster auf die Veranda fällt, leuchtet eine Schriftrolle in seiner Hand auf. Sie trägt ein oranges Siegel. Geheimnisse also. Ob es im Krieg mehr Geheimnisse gibt als sowieso schon? Immer, wenn Asuma Orange sieht, will er weggehen und etwas anderes machen. Es ist eine böse Farbe, eine Asuma-Papa-hat-keine-Zeit-für-deine-Kindereien-Farbe. Hiruzen verschwindet im Haus und nimmt die Schriftrolle mit, und Asuma lässt die Stirn auf seine Hände sinken. Der Ast des Baumes ist hart, die Nachtluft ist kalt. Er hat keine Lust, hinunter zu klettern. Also bleibt er liegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)